Podcast | Folge: 112 | Dauer: 42:04

Wenn ganze Sprechchöre im Stadion Schiedsrichterinnen als „Hure“ beleidigen – was ist da los, Dr. Thaya Vester?

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[00:00:02.140] - Thaya Vester

Bei einem Mann geht man automatisch davon aus, dass der weiß, was ein Abseits ist. Die Frau muss das erst mal zeigen, dass sie das wirklich kann. Sie muss sich erst mal legitimieren und wenn dann was passiert, erlebt sie diese Abwertung, aber nicht nur mit: „Ey, du bist ja blind", sondern „Ey, du bist eine blöde Fotze." Das eine sind ja diese Begriffe, aber der Unterschied, gerade auch bei Fabienne Michel, war ja, da ging es zusätzlich um Androhungen sexueller Gewalt. Und das passiert Männern einfach nicht.

[00:00:36.340] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:00:59.920] - Nadia Kailouli

Der Name Fabienne Michel war bis vor kurzem vor allem denjenigen bekannt, die regelmäßig Fußballspiele der dritten Männerfußballliga besuchen. Fabienne Michel ist derzeit die einzige Frau, die im Profibereich der Männer pfeift. Sie wurde 2024 zur DFB-Schiedsrichterin des Jahres gewählt. Bis hierhin alles super. Nur leider ist ihr Name nicht deshalb großflächig in den Medien gelandet, weil sie ihren Job so gut macht. Bekannt wurde sie, weil sie während eines Drittligaspiels zwischen Rot-Weiß-Essen und dem SC Verl von Essener-Fans mit sexistischen Stadiongesängen beleidigt wurde. Die Schiedsrichterin wurde als, ich sage das Wort jetzt, Hure beschimpft – ja, das muss man sich mal vorstellen – nachdem sie einem Spieler die gelbe Karte gezeigt hatte. Kurz Darauf stimmten die Anhänger einen Sprechchor an, der Michal zum oralen Geschlechtsverkehr aufforderte. Also ziemlich böse das Ganze. Die Kriminologin Dr. Thaya Vester beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Themen Gewalt, Rassismus und Sexismus im Fußball. Sie hat im Auftrag des DFB intensiv geforscht und sagt: „Es ist schlimm, was da passiert ist, aber ich könnte jetzt 20 andere Fälle aus diesem Jahr aus der Schublade ziehen, denn Schiedsrichterinnen passieren noch ganz andere Dinge." Warum so wenig also gegen Sexismus im Fußball getan wird, das erzählt sie uns am besten selbst. Herzlich willkommen bei einbiszwei, Thaya Vester. Schön, dass du da bist.

[00:02:22.610] - Thaya Vester

Hallo und danke für die Einladung.

[00:02:24.240] - Nadia Kailouli

Thaya, ich habe es in der Anmoderation schon gesagt: Wir reden über den Fall Fabienne Michel. Die wurde tatsächlich so schlimm beschimpft, als sie ein Spiel als Schiedsrichterin eben gepfiffen hat. Ich will das Wort ehrlich gesagt gar nicht noch mal wiederholen, was da aus dem Stadion gekommen ist. Viele Medien haben darüber berichtet. Wie hast du reagiert, als du das gesehen, gehört hast, was da passiert ist?

[00:02:49.400] - Thaya Vester

Also auf der einen Seite hat es mich jetzt nicht sonderlich überrascht, weil ich fast schon tagtäglich mich unter anderem mit diesem Themengebiet auseinandersetz und dadurch schon einiges mitbekommen habe, auch in meinen eigenen Forschungen, welchen Anfeindungen, verbalen Entgleisungen Schiedsrichterinnen tagtäglich ausgesetzt sind. Der Fall hatte doch einige Besonderheiten, und zwar, dass da erst mal, obwohl das in einem großen Stadion passiert, ist mit sehr, sehr vielen Besucherinnen und Besuchern, dass es erst mal überhaupt gar keine Reaktionen gab und nur aufgrund einer journalistischen Recherche, weil das in einem Begleitsatz irgendwo aufkam, dass die Schiedsrichterin ja durchaus ordentlich beleidigt worden wäre, wurde da mal recherchiert: Was wurde denn da eigentlich gesagt und geäußert? Und dann kam raus, dass die Schiedsrichterin, wie du es gerade schon gesagt hast, massiv abgewertet wurde aufgrund ihres Geschlechts und dass das erst mal sehr viele Menschen nicht für ein Problem gehalten haben, sondern unter diesem im Fußball gängigen Narrativ: „Das gehört ja dazu. Die Schiris haben halt keinen einfachen Job. Ja, das ist ja bekannt, dass die den einen oder anderen Spruch zu hören bekommen", und wurde gar nicht so als Problem gesehen. Und das Interessante ist, dass auch von offizieller Seite, also so ein Spiel und dritte Liga ist jetzt ja schon Profifußball. Da sind sehr viele Menschen mit verschiedenen offiziellen Funktionen auch am Spieltag da, dass das niemand mitbekommen haben will. Und dass der eine oder die andere das vielleicht nicht hört, mag mal vorkommen, aber in der Gesamtheit war das dann schon heftig, sich dann zu überlegen, dass das auch, obwohl da auch das aufgenommen wurde und so weiter und so fort, dass das niemand als Problem gesehen hat, zumindest zu dem Zeitpunkt. Und dann gibt es ja noch mal den Unterschied: Sehe ich das in dem Moment, manchmal ist man in Situationen überfordert, dass man dann sagen kann: Okay, man ist da drin, man hört das, man möchte dann da nicht dagegen vorgehen und weiß vielleicht auch nicht genau, wie verhalte ich mich in so einer Situation richtig, aber dass auch im Nachgang keine Meldung kam. Das hat mich dann doch auch schon sehr überrascht und nachdenklich gestimmt.

[00:05:22.190] - Nadia Kailouli

Du hast jetzt mit fast der Rechtfertigung angefangen, die viele eben so nutzen, nach dem Motto: „Die Emotionen kochen hoch beim Fußball, ja, und man ist da halt für seine Mannschaft." Und klar, der Schiedsrichter – was heißt klar? – Schiedsrichter ist dann oft entweder der Feind oder der Freund, je nach Mannschaft, wo er dann gerade pfeift. Und dann sind Beleidigungen fast gang und gäbe. Das alleine kann man ja auch schon kritisieren. Jetzt sage ich es aber doch mal in der Sprache, wie es dann über diesen Platz ging. Wir reden hier nicht darüber, dass hier eine Schiedsrichterin als "Arschloch", oder "du Pfeiffe, hast so keine Augen am Kopf?", beschimpft worden ist, obwohl ich selbst das nicht gut finde, sondern ganz klar als Hure eben beschimpft. Deswegen meine Frage noch mal an dich in die Richtung: Warum ist es so wichtig, dass wir heute auch über Schiedsrichterinnen sprechen und da klar den Unterschied auch aufmachen, was die Beleidigungen, Diskriminierungen auf dem Platz und aus dem Stadium betrifft, besprechen?

[00:06:14.360] - Thaya Vester

Ja, du hast ja gerade schon gesagt, dass Schiris es generell schwer haben auf dem Platz und das war auch einer meiner Beweggründe, dass ich angefangen habe, darüber zu forschen. Also ganz ursprünglich war der Fokus auf Gewaltvorfällen im Fußball und dann war klar, man kommt an der Figur des Schiedsrichters, der Schiedsrichterin nicht vorbei, weil die entweder in jedem Konflikt vermitteln müssen oder selber Zielscheibe werden von bestimmten Äußerungen und habe dann eben geschaut: Okay, was widerfährt denen denn? Und wir nehmen das so als normal hin, müssten aber vielleicht von außen mal drauf gucken, nur weil das bisher so war, heißt das, das ist gut? So dieses gewöhnliche Beleidigen von bestimmten Personen, wenn man sich überlegt, was das eigentlich bedeutet, da ist eine Person, die ermöglicht, dass dieses Spiel stattfinden kann, und die wird mit Häme und Spott übergossen. Kann man sich auch überlegen, okay, wenn das normal ist, was stimmt mit uns nicht? So ungefähr. Und habe damals dann festgestellt, ja, okay, die müssen einiges ertragen, verbaler Natur. Manche werden auch körperlich angegriffen. Und ich habe ganz lange die Schiedsrichterinnen auch gar nicht mit auf dem Bildschirm gehabt, weil das, als ich angefangen habe zu forschen, waren das auch immer nur so 3,2%. Und die sind bei mir immer im Hintergrund mitgelaufen: „Na ja, da gibt es noch so ein paar." War mir, muss ich jetzt aus heutiger Sicht sagen, auch immer nur eine Fußnote wert, so von wegen: „Es sind ja so viele Männer, die Frauen sind schon mit gemeint." So wie man das damals vielleicht auch immer noch gemacht hat und dachte: „Ja gut, das sind so wenig", und habe dann, als es dann darum ging, sich das mal auch noch aus einer anderen Perspektive anzugucken, muss einmal kurz ausholen, vor rund zehn Jahren wurde der Tatbestand der Diskriminierung im Fußballrecht überall eingeführt. Und dann habe ich mir daraufhin mal angeguckt: Wie sind denn da die Belastungswerte? Und dann kam eben deutlich zum Vorschein, dass die Frauen, die Schiedsrichterinnen, über ganz andere Erlebnisse berichten. Und das Interessante war, was mich dann auch bewogen hat, das intensiver anzuschauen, dass die Frauen eben nicht nur mehr verbaler Gewalt ausgesetzt sind im Sinne von Diskriminierungen, also qualifizierte Beleidigungen, als die männlichen Kollegen, sondern dass sie auch ganz anders damit umgehen, und zwar der Gestalt, dass sie es viel seltener melden. Und wenn man dann anguckt, wenn man dann weiterfragt, warum melden die das nicht, unterscheiden sich auch die Meldegründe von denen, der Männer sehr deutlich.

[00:09:01.140] - Thaya Vester

Und das führt dazu, dass dadurch, dass das so wenige Frauen sind, denen passiert zwar mehr, aber sie melden weniger, ist dieses Problem absolut unsichtbar. Und dadurch kann sich auch nichts ändern, weil es keinen Veränderungsdruck gibt, wenn diese Vorfälle nicht sichtbar gemacht werden. Und da können wir jetzt auch die Brücke schlagen zu dem Fall von Fabienne Michel. Die hat, ohne jetzt zu sagen: Hat sie das in dem konkreten Moment mitbekommen, ja oder nein? Da möchte ich mir gar nicht anmaßen, das zu bewerten, aber sie ist an die Spitze gekommen von diesem System, das einem sehr früh lehrt: "Zum einen Ohr rein, zum anderen Ohr raus." Vielleicht auch, ja, weil – und das ist erst mal egal, was das für Abwertungen sind – man soll sich auf das Spiel konzentrieren und fokussieren. Das ist jetzt grundsätzlich auch erst mal richtig und durchaus sinnvoll, auch von der Arbeitsökonomie. Die haben einen verdammt schweren Job, den die da machen müssen. Die müssen blitzschnell Entscheidungen treffen auf dem Platz und konzentrieren sich dann auf den Platz und müssen in gewisser Weise ja dann auch weghören. Ist ja auch gar nicht so einfach, jetzt genau zu sagen: „Was schreit der hinter mir und da? Und dann muss ich das alles noch irgendwie dokumentieren." Dass die ganz schnell gelehrt bekommen: „Konzentriere dich auf das Spiel und das gehört zum Fußball halt dazu." Dieses Gebrülle und dass man einen schweren Stand hat. Und als Schiri bin ich ja… Wenn ich mich für den einen entscheide, bin ich automatisch gegen den anderen. Also ich bin immer zwischen den Stühlen und bin da als Schiedsrichter – und dann bleiben wir mal bei einem männlichen Begriff – in der Regel der Außenseiter. Und da gehört es vielleicht auch dazu, dass da negative Emotionen qua Aufgabe mit verbunden sind. Und jetzt geht es aber so weit, dass bei den Frauen eben zusätzlich zu dieser schwierigen Rolle noch die Abwertung als Frau obendrauf kommt. Das ist noch ein zusätzliches Päckchen und die erleben dann eben ganz unterschiedliche Herausforderungen, dass die... In der Regel startet so ein Mann jetzt eher mal bei null. Man ist dem jetzt vielleicht auch nicht so freundlich gesonnen, aber einer Frau, wenn die auf den Fußballplatz kommt, muss sie sich erst mal legitimieren, dass sie wirklich die Schiedsrichterin ist. Das haben mir sehr viele Schiedsrichterinnen erzählt. Die kommen auf den Platz, wenn sie vielleicht noch im Gespann pfeifen und da sind zwei Männer dabei, dann können die Männer die Assistenten sein, aber es wird immer zuerst der Mann gefragt und begrüßt als Hauptschiedsrichter. Da wird immer davon ausgegangen, die Frau wird maximal an der Linie die Assistentin machen. Und das ist jetzt auch nicht auf den Fußball begrenzt. Es wird sicherlich auch einigen Pilotinnen so gehen, dass man da eher für die Stewardess gehalten wird und der Mann der danebensteht, selbst wenn das der Steward ist, wird der eben als Pilot begrüßt. Aber die Frauen starten dann eben im Minusbereich, müssen sich erst mal beweisen. Bei einem Mann geht man automatisch davon aus, dass der weiß, was ein Abseits ist. Die Frau muss das erst mal zeigen, dass sie das wirklich kann. Und dann erleben Frauen eben ganz einfach andere Dinge. Zum einen, sie muss sich erst mal legitimieren und wenn dann was passiert, erlebt sie diese Abwertung, aber nicht nur mit „Ey, du bist ja blind", sondern „Ey, du bist eine blöde Fotze." Das eine sind ja diese Begriffe. Würde jetzt vielleicht auch jemand sagen: „Ich suche halt nach einer weiblichen Form. Zu einem Mann sage ich ja auch 'Du Blinder' oder wie auch immer." Aber der Unterschied, gerade auch bei Fabienne Michel, war ja, da ging es zusätzlich um Androhungen sexueller Gewalt. Und das passiert Männern einfach nicht. Und das ist der Unterschied und das wurde auch in der Diskussion dann im Nachgang – man musste das sehr viel erklären und sagen: „Ja, es macht eben einen Unterschied, ob da eine Frau steht oder nicht" – musste da im Nachgang sehr deutlich hinweisen, um nicht umgekehrt... Also was ich auch gelesen habe, was wirklich absurd war: „Ja, die Frauen wollen doch immer Gleichberechtigung. Jetzt werden sie halt auch beleidigt." Nein, das ist zum einen nicht die Gleichberechtigung, die Frauen gerne haben möchten und es ist inhaltlich einfach nicht dasselbe. Und das wird aber häufig gar nicht erkannt, weil dieses: „Der Fußball als Sportart ist einfach männlich geprägt." Das wird einfach als der Standard angesehen und dann noch eher, wenn die Frauen jetzt, die dürfen zwar mitmachen, die dürfen ins Stadion. Das würden ja die Allerwenigsten heute noch in Abrede stellen, zumindest nicht offen. Vielleicht versteckt im Hinterzimmer regt man sich vielleicht drüber auf. Aber ansonsten glaube ich schon, dass wir Gott sei Dank in Deutschland so weit sind, dass das niemand mehr sagen würde, Frauen dürfen nicht ins Stadion oder Frauen dürfen nicht Fußball spielen. Aber dass man sich dann von der Frau die Regeln erklären lassen muss, das geht für viele dann doch einen Tacken zu weit.

[00:14:43.960] - Nadia Kailouli

Ich meine, das hat man ja immer wieder erlebt, dass Frauen im vor allem männerdominierten Sport eben Diskriminierungen ausgesetzt sind. Das fing ja auch schon an mit der ersten weiblichen Kommentatorin eines Fußballspiels. Da ging es ja auch direkt los: „Die hat ja keine Ahnung und und und." Und das ist noch harmlos ausgedrückt. Aber reden wir hier von einem Problem, weil du hast es ja gerade auch gesagt, dass jetzt Frauen genauso auf ein Spiel von Sankt Pauli gehen wie Männer, darüber müssen wir gar nicht mehr diskutieren. Und dass es auch Frauenfußball gibt, darüber müssen wir auch nicht mehr diskutieren, aber ist es hier das Problem, dass eine Frau im Männerfußball sozusagen der Chef im Ring ist, dass das dann eben bei vielen Fans eben zu diesen Aggressionen hochkocht und man ganz gezielt eben Sexismus anwendet und ganz klar das weibliche Geschlecht dann eben diskriminieren möchte?

[00:15:34.980] - Thaya Vester

Also was da die einzelnen Beweggründe sind, das weiß ich gar nicht, ob man das so genau analysieren kann, aber es zeigt sich durchaus, dass dann eben Argumente kommen, wie mit „Ja, muss das denn sein bei den Männern?" Und dann fragt man sich schon, ja, umgekehrt stellt das niemand in Frage, wenn die Männer bei den Frauen pfeifen. Und allein diese Diskussion ist schon relativ absurd, weil – da könnte man zwar auch drüber diskutieren, ob das denn jetzt auch gerecht ist – die Qualifikation und die Anforderungen sind exakt identisch. Die Frau, die in diesem Bereich pfeift, muss exakt dieselben Leistungen erbringen wie die Männer. Das heißt, auch bei den Lauftests muss sie diese Normen erfüllen. Das heißt, wenn man sich das überlegt, dass die Leistung dieser Frau dementsprechend ja eigentlich sehr viel höher zu gewichten wäre als die der Männer, wird da überhaupt gar nicht gesehen. Und ja, ich glaube, dass dieser letzte Bereich insbesondere da… Aber selbst der Vergleich funktioniert gar nicht mehr so ganz, weil selbst im Management-Bereich oder im Präsidium, wo es ja auch Macht geht, wie bei der Leitung eines Spiels, da gibt es inzwischen schon deutlich mehr Frauen. Und dieses Schiedsrichterwesen ist noch so eine der letzten Bastionen, wo das eben nicht der Fall ist und die Frauen wirklich immer noch auf so einem niedrigen Niveau sind, wo man sich fragen muss: Wie kann das denn sein, dass jetzt im Jahr 2025 liegen wir bei 4,5% Frauenanteil und das ist ein absoluter neuer Positiv-Rekord. Da muss man sich mal überlegen, von welchem Niveau kommen wir? Und dass das jetzt sozusagen schon unglaublich fortschrittlich ist und das Schiedsrichterwesen noch nie weiblicher war, ist ja schon irgendwie verrückt.

[00:17:41.150] - Nadia Kailouli

Was würdest du sagen, wer steht hier in der Verantwortung? In dem Fall von Fabienne wurde ja auch ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Das Urteil steht ja noch aus. Wer trägt hier Verantwortung? Wer ist dafür verantwortlich, dass Schiedsrichterinnen auf dem Platz vor Gewaltäußerungen aus dem Publikum besser geschützt werden? Und wenn nicht, wer sollte da zur Rechenschaft gezogen werden?

[00:18:04.620] - Thaya Vester

Also grundsätzlich alle. Jetzt haben wir das Problem, wenn wir sagen, alle sind verantwortlich, dann haben wir die Verantwortungsdiffusion, dass sich schon wieder niemand mehr zuständig führt. Aber da sind ganz klar die Vereine und auch die Verbände als Dachorganisationen gefragt, insbesondere Strukturen zur Verfügung zu stellen, die es dann auch erlauben, dass bestimmte Vorfälle gemeldet werden und dass Vorfälle sichtbar gemacht werden. Weil ich gehe jetzt einfach mal davon aus, irgendjemand im Stadion wird vielleicht doch ein Störgefühl gehabt haben, aber war dann überfordert und wusste nicht, was tun. Wenn ich jetzt ein Plakat, einen Aushang, was auch immer habe, auf dem draufsteht: „Vorfälle können gemeldet werden, hat es zur Folge – am besten habe ich noch einen QR-Code – ich kann das melden, Es hat vielleicht aber auch gleichzeitig einen erzieherischen Effekt, wenn diejenigen, die so was brüllen, dann vielleicht doch noch mal kurz drüber nachdenken und daran hängenbleiben und sich denken: „Wow, okay, solches Verhalten wird hier nicht gerne gesehen und kann Konsequenzen haben. Und da brauchen wir aber Strukturen, brauchen wir jemanden, der das zur Verfügung stellt. Und dafür ist erst mal erforderlich, dass man das Problem anerkennt.

[00:19:31.030] - Nadia Kailouli

Jetzt hast du ja selber eingangs gesagt, als du mit deinen Forschungsarbeiten angefangen hast, ist dir selber erst viel später klar geworden, dass Frauen da natürlich auch eine sehr, sehr große Rolle mitspielen und dann durch deine Forschung erkannt hast, okay, die werden natürlich noch mal auf eine ganz andere Art und Weise diskriminiert. Gleichzeitig hast du eben auch gesagt, dass Frauen das ja oft gar nicht melden und deswegen ist da so eine große Dunkelziffer. Wie erklärst du dir das, dass sie das nicht getan haben oder nicht tun? Und siehst du eine Veränderung, dass es aufgrund von einem so prominenten Fall, wie jetzt eben Fabienne Michel, mehr Schiedsrichterinnen dazu bewegt, Fälle in Zukunft zu melden?

[00:20:10.570] - Thaya Vester

Jetzt sind wir in dem aktuellen Fall ja noch mittendrin und wissen noch nicht, was für ein Urteil es geben wird. Und ich hoffe sehr, dass es ein Urteil geben wird, dem deutlich gemacht wird. Da geht es gar nicht so genau um die exakte Strafhöhe, weil jetzt zu beurteilen, 50. 000 Euro, 70. 000 Euro, ist das jetzt angemessen, ja oder nein? Sondern es muss verbunden sein mit einem sehr, sehr deutlichen Appell, dass das Verhalten ist, das nicht toleriert wird und eben auch, dass klar ist, wenn das im Wiederholungsfall noch mal auftritt, dass dann eben noch stärkere Konsequenzen folgen werden. Wenn wir jetzt sehen, und ich mag mich da jetzt nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, weil wir jetzt jetzt ja schon uns fragen müssen, warum dauert dieses Urteil jetzt so lange? Das ist jetzt über einen Monat her und ich frage mich: Gibt es da jetzt noch Ermittlungen? Auf was muss man da warten? Die Beweislage ist relativ eindeutig. Es gibt Aufnahmen, die beweisen, dass das passiert ist. Dann wird in der Regel jeder Verein noch mal angeschrieben und angehört und damit liegen eigentlich die Fakten auf dem Tisch. Vielleicht sind auch gerade alle ganz froh, dass da jetzt kein akuter Handlungsdruck da ist. Vielleicht will man auch noch die Saison jetzt in Ruhe zu Ende spielen, weil ansonsten sind die Sportgerichte, haben eigentlich einen großen Vorteil im Gegensatz zur normalen Strafjustiz, die sind immer relativ schnell. Wenn die rote Karten aussprechen, dann muss ja ganz schnell klar sein, wie lang wird jetzt jemand gesperrt. Das heißt, eigentlich kann ein Sportgericht innerhalb von Tagen oder Wochen ein Urteil sprechen. Und wenn man jetzt schon so lange dafür braucht, ist ja die Frage, okay, möchte man sich jetzt absichern, wenn man da jetzt wirklich so einen Präzedenzfall schafft, wenn die Strafe höher ausfällt? Oder man bekommt zumindest nicht den Eindruck, als ob da jetzt mit voller Kraft und Solidarität gesagt wird: „So nicht, liebe Vereine in der dritten Liga. Wir möchten, dass unsere Schiedsrichterinnen so nicht behandelt werden." Das hängt jetzt so in der Luft und wenn man dann mitbekommt als Schiedsrichterin – oder es muss auch nicht nur eine Schiedsrichterin sein, können ja auch andere Personen sein –, die bestimmte Vorfälle im Fußball melden möchten, wenn ich dann den Eindruck bekomme, ich werde gar nicht gehört oder das macht es vielleicht noch schlimmer aus den verschiedensten Gründen, dann überlegt man sich natürlich zweimal, ob man was meldet.

[00:23:02.980] - Thaya Vester

Und ich glaube auch, dass das in der Vergangenheit sehr oft der Fall war, weil man eben relativ schnell vielleicht auch eingetrichtert bekommt: „So was gehört halt zum Fußball dazu und das sind ja nur Sprüche." Und vielleicht ist auch ein bisschen die Problematik, oder nicht die Problematik, aber was das ein bisschen befeuert, dass ich, wenn ich, egal ob Mann oder Frau, mich auf einem Platz stelle und so ein Spiel leite, bin ich ja schon mit einer ordentlichen Portion Selbstbewusstsein ausgestattet. Sonst würde man sich das ja gar nicht zutrauen. Das heißt, das sind ja schon Personen, die relativ resilient sind und sich da auch mehr zutrauen. Dann sind die vielleicht auch eher bereit, bestimmte Dinge zu schlucken. Und dadurch ist man aber schon so in der Richtung und dann muss man sich überlegen, „Okay, ich werde...", durch diese Normalisierung, „Ich werde sowieso als dieses und jenes betitelt" und habe da schon so einen Gewöhnungseffekt. Und dann melde ich nur noch die Dinge, die wirklich, die schlimmsten 10%. Und wenn ich das dann mache und dann merke, da gibt es jetzt keinen Rückhalt vom Verband, dann werde ich mir entweder überlegen: „Okay, ich ertrage das, ich erdulde das und mache einfach weiter an dem System", oder aber, „ich steige aus dem System aus." Und das ist das, was mir auch zu wenig gesehen wird, ist, dass wir gar nicht unbedingt das Problem haben, dass so wenige Frauen Schiedsrichterinnen werden wollen, sondern vielmehr, dass so wenige Schiedsrichterinnen es auch bleiben wollen.

[00:24:58.970] - Nadia Kailouli

Es ist klar geworden und ich möchte an dieser Stelle auch noch mal erwähnen, dass du Thaya Kriminologin bist, ja, also auch ein gewisses Know-how in Verfahren hast, die eben strafrechtlich verfolgt werden. Und deswegen ist dein Appell, dass mit dem großen Fragezeichen zusammengekommen, warum es hier noch kein Gerichtsurteil gibt, angekommen. Ich will noch mal gerne auf den Punkt draufgehen, weil du ja gesagt hast, ja, viele überlegen sich das dann: „Melde ich, melde ich das nicht?", aus Gründen. Jetzt hast du diesen Punkt angesprochen: "Na ja, viele denken ja auch, wenn du da vorne stehst und natürlich so ein Spiel pfeifst, ein paar Sprüche, muss man sich natürlich als Schiedsrichter auch gefallen lassen. Das gehört irgendwie zum Job dazu." Gibt es denn für dich per Definition da eine klare Regelung, ab wann es dann wirklich zur verbaler Gewalt aus dem Publikum in Richtung Schiedsrichter bei so einem Spiel? Also wo hören die Sprüche auf und wo wird es zur verbaler Gewalt?

[00:25:56.210] - Thaya Vester

Also interessanterweise, auch wenn man sich die Rechts- und Verfahrensordnungen anguckt, gibt es sehr viele Dinge, die auf einem Fußballplatz nichts verloren haben. Und dann gibt es natürlich verschiedene Stufen und dann ist immer die Frage: Okay, was ist jetzt mit Beleidigungen? Da muss man sich aber immer klar machen, dass das häufig die Vorstufe ist, dann auch zu körperlicher Gewalt, oder mache ich die Abgrenzung, also natürlich ist jetzt der eine Spruch, kann man sich überlegen. Dann: „Schiri, du Pfeife" wird von vielen ja gar nicht als Beleidigung angesehen, sondern eher als … Man kann auch sagen: „Ja, der hat ja eine Pfeife." Aber das wird dann einfach so abgetan und da kann man sicherlich drüber sprechen, ob das dann vielleicht einfach nur ein bisschen ein ruppigerer Ton ist. Wir haben dann, wenn man sagt: „Okay, wir ertragen alles Verbale", ah, ne, weil was machen wir denn mit Bedrohungen? Wenn ich jemandem was androhe, da können auch Wörter extrem, zum einen verletzend sein und einen im Sicherheitsgefühl massiv erschüttern. Und wenn ich da Angst habe, weil mir jemand androht, nach dem Spiel auf mich loszugehen, dann muss man da sagen, Bedrohungen gehört definitiv auch schon zur Gewalt. Und dann geht es noch weiter und dann können wir vielleicht eher sagen, okay, dann gibt es noch so ein paar Dinge, die sind unsportlich und es fällt dann unter unsportliches Verhalten, also dass ich jetzt mit zum Beispiel weigere, dem Schiri, die Hand zu geben oder so. Aber wenn alle die Fußballregeln beherzigen würden, das kann man sich gar nicht vorstellen. Also wenn Unparteiische wirklich durchgreifen würden, da ständen jetzt bei so einem normalen Spiel, also die Hälfte würde nicht mehr mitspielen. Und die Frage ist eben: Bräuchte es das nicht auch mal, wenn ansonsten die Regeln so stark ausgereizt werden, dass man sagt: „Ja, das ist ja gerade noch okay."?

[00:28:04.920] - Nadia Kailouli

Gibt es dazu nicht so einen Handout, so ein Booklet? Ich überlege gerade, wäre das nicht was, wenn man ins Stadion geht? Du bist ja auch in der Initiative vom DFB. Ich weiß nicht, ob Initiative das richtige Wort ist Fair-Play. Du kommst ins Stadion, anstatt dein Bier kriegst du erst mal so einen Flyer in die Hand, wo draufsteht: „Keine Bedrohungen, das und das und das wird nicht gesagt", und so. Gibt es so was? Ich wüsste jetzt zum Beispiel gar nicht, jetzt wirklich per Definition: Was darf ich jetzt brüllen in meiner Emotion für meinen Verein und was nicht?

[00:28:34.860] - Thaya Vester

Ja, also es gibt solche Materialien, die gibt es insbesondere auch für die Schiris selbst, um genau diese Abgrenzung zu treffen. Beispielsweise: Was ist der Unterschied zwischen einer Beleidigung und einer Diskriminierung? Und da sagt man ganz klar: Okay, bei einer Diskriminierung kommt eine Herabwürdigung hinzu, ein Merkmal eines Menschen, sei es Geschlecht, Hautfarbe, Sprache, Herkunft und so weiter und so fort, sexuelle Orientierung. Wenn das hinzukommt, dann greife ich den Menschen spezifisch an und nicht auf einer allgemeinen Art und Weise. Und ich versuche, jemanden abzuwerten aufgrund seiner Eigenschaften. Und dann sagt man ganz klar: „Okay, das sehen wir als", sage ich jetzt mal so platt, „schlimmer an als eine Beleidigung." Und das spiegelt sich auch deutlich im Strafrahmen nieder. Diese ganzen Materialien gibt es bislang für die Schiris, aber wir haben generell im Fußball das Problem, dass alle denken, sie kennen die Regeln, also nicht nur die Verhaltensregeln drumherum, sondern auch die Regeln auf dem Platz, dadurch, weil es einfach ein unglaublich populärer Sport ist und wir das ständig bei jeder Gelegenheit sehen, aber die Allerwenigsten nehmen ja mal ein Regelheft in die Hand. Auch nicht die Spieler. Und es gibt auch wenig, außer ich mache jetzt eine Ausbildung als Trainerin oder so, aber im Normalfall komme ich mit dem Regelwerk gar nicht so groß in Berührung. Höchstens vielleicht noch, wenn es Änderungen gibt, typisches Beispiel, großes Streitthema im Fußball, Regel: Wann ist es Hand? Wann ist es ein Handspiel. Da wird dann immer drüber diskutiert und „Ah, das wurde jetzt wieder geändert." Aber wenn sich alle einfach an eine Regel halten würden, an Regel Nummer fünf: „Den Anweisungen des Schiedsrichters ist Folge zu leisten", hätten wir diese ganzen Probleme nicht.

[00:30:45.610] - Nadia Kailouli

Hätten wir die ganzen Diskutierereien nicht. Aber könnte denn der Schiedsrichter selbst dann auch sagen, wenn er jetzt zum Beispiel dieses Booklet bekommen mit den Regeln, „Okay, das musst du dir alles hier nicht gefallen lassen", kann dann der Schiedsrichter auch während des Spiels dann sagen: „Oh, Punkt 5 ist mir hier gerade passiert. Ich sage, das Spiel jetzt ab. Ich breche ab hier, weil ich werde hier beleidigt und das möchte ich nicht."

[00:31:06.290] - Thaya Vester

Jein. Also ein Spielabbruch ist der absolute worst case und da gibt es verschiedenste Mechanismen, dass eben klar ist, okay, Ultima Ratio. Ich breche das Spiel wirklich dann ab, wenn es gar nicht anders geht. Also da ist schon eher so, da muss es blitzen, donnern, alles Mögliche oder ich habe kein Licht. Aber ansonsten, selbst wenn bestimmte Dinge passieren, versucht man in der Regel, dass ein Spiel zu Ende geführt wird. Es gibt seit einiger Zeit den sogenannten Drei-Stufen-Plan. Der sieht auch vor, dass ich, wenn ich jetzt ein sicherheitsrelevantes Vorkommnis habe – und dazu gehören auch Diskriminierungen, jedweder Art –, wenn das auftritt, dass ich das Spiel erst mal unterbrechen kann und dann dafür sorge, dass dieses Ereignis oder was auch immer da passiert, im Fall von Gesängen wäre es eben, dass das nicht mehr gesungen wird. Und dann kann man sagen, ich unterbreche das Spiel so lange, bis jetzt die Störquelle sozusagen entfernt wird. Diese Möglichkeit gibt es, aber gerade in der Vergangenheit haben wir gesehen, es kommt bei sexistischen Vorfällen sehr selten zum Einsatz, sondern da sind wir schon einen Schritt weiter, was Rassismusvorfälle betrifft. Da sind auch alle so weit sensibilisiert und dann ist klar, okay, das geht nicht. Bei den sexistischen Vorfällen ist es so, dass dadurch, dass viele das für so normal halten, sagen die: „Na ja, der Drei-Stufen-Plan, der ist aber nur für richtig schwerwiegende Vorfälle. Und jetzt für so ein bisschen Frauen-an-den-Herd-zurück-Sprüche, dafür ist das ja nicht." Und da ist aber schon mit das Problem, dass das so gegeneinander aufgewogen wird, das eine ist schlimmer als das andere und das ist, wenn man sich überlegt, was da eigentlich passiert, einfach nicht richtig. Und wir hatten das jetzt gar nicht nur begrenzt auf das Frauenthema. Das ging sogar so weit. Vor ein paar Jahren hat der damalige Präsident des Französischen Fußballverband hat dann auch gemeint, na ja, für ihn ist es in Ordnung, wenn das dann eingesetzt wird bei rassistischen Vorfällen, aber wenn da jetzt so ein paar homofeindliche Gesänge kommen, nein, dafür ist das ja nicht. Wo so ganz klar dann unterschieden wird und die eine Diskriminierungsform ist jetzt schlimmer als die andere. Und wenn ich in so einem System, das muss gar nicht bewusst sein, aber auch als Schiedsrichterin, wenn ich ja in diesem System sozialisiert werde, dann hinterfrage ich das ja auch gar nicht. Oder wenn ich es hinterfrage und ich versuche, was zu ändern, merke dann, es funktioniert nicht, dann sind wir wieder bei dem Punkt: „Okay, dann kehre ich dem Schiedsrichterwesen eben den Rücken." Und wenn man sich die Zahlen anguckt, dann war das in den vergangenen Jahren so, dass knapp ein Drittel der Frauen eben gesagt haben: „Nein, das tue ich mir nicht weiter an."

[00:34:18.960] - Nadia Kailouli

Und sind dann damit sozusagen vom Platz gegangen, was natürlich sehr tragisch ist. Jetzt haben wir vor allem von den Diskriminierungen gesprochen, die sozusagen auch vom Publikum auskommt, aber man bekommt es ja vor allem, wenn man Spiele mitbekommt oder miterlebt, die Diskussion mit, die natürlich unter den Spielern stattfindet, gegenüber dem Schiedsrichter, wenn der pfeift. Dann gibt es manchmal ewig lange, obwohl das ja auch strenger geworden ist, Diskussionen. Inwieweit hast du dahin einen Blick, dass auch Spielerinnen und Spieler dem Schiedsrichter oder der Schiedsrichterin gegenüber verbal aggressiv werden, diskriminieren, beleidigen, etc.?

[00:34:58.880] - Thaya Vester

Das gibt es sicherlich schon auch, aber insgesamt habe ich schon die Rückmeldung bekommen, dass bestimmte Äußerungen eher von außen kommen, sei es aus der Zuschauerschaft oder dann vielleicht auch noch von, in allermeisten Fällen sind es dann auch Männer, von den Trainern, von der Seitenlinie, dass da sehr viel negative Emotion von außen ins Spiel reingebracht wird und dass jetzt im direkten Kontakt auf auf dem Platz, das gar nicht so intensiv ist, weil man dann ja doch auch schnell… Also man guckt sich da in die Augen und dann ist auch noch mal klar, okay, wenn man jetzt was sagt, da ist es vielleicht einfach nicht so angebracht. Also da ist vielleicht die Hemmschwelle auch noch mal höher, dann bestimmte Dinge zu tun. Und was ich aber noch einen ganz, ganz wichtigen Aspekt finde zu erwähnen, ist, dass Schiedsrichterinnen zum einen sehr viel Unmut auf den Plätzen ausgesetzt sind, aber es gibt noch einen fast vielleicht noch größeren Problembereich und das ist das Schiedsrichterwesen selbst, was viele auch gar nicht auf dem Schirm haben und ich erst auch nicht, weil ich mich auch erst mal auf die Geschehnisse auf dem Platz konzentriert habe und dann erst später gesehen habe, okay, selbst im Schiedsrichterwesen, und ich mag das nicht pauschalisieren, weil da ist auch eine ganz große Bandbreite, aber es gibt durchaus Schiedsrichterinnen, die sagen: „Na ja, auf dem Platz, damit komme ich schon auch irgendwie klar und damit habe ich auch gerechnet." Aber die dann ein größeres Problem damit haben, wenn entweder aus den eigenen Reihen bei Vorfällen keine Solidarität kommt oder die im Schiedsrichterwesen selbst auch bestimmten Strukturen ausgesetzt sind, da strukturell benachteiligt werden oder auch da von Männern auf unterschiedlichste Weise auch angegangen und belästigt werden bei Lehrgängen, im Rahmen von Ausbildungen, dass es einfach nicht in Ordnung ist. Und das ist dann sozusagen für, wir haben es vorhin schon gesagt: "Schiris sind Außenseiter." Dann könnte man so weit gehen und sagen, die Frauen trifft es da doppelt. Dann sind hier sogar unter den Außenseitern, weil sie auch prozentual einfach so wenig sind, auch noch Außenseiterinnen. Ein doppeltes Außenseitertum. Und auch, da muss noch nicht mal so viel vorfallen, wenn ich immer die einzige Frau bin oder es gibt maximal eine weitere, also so Schiri-Gruppen sind, je nachdem, meistens so aufgebaut, lokal auch unterschiedlich, aber das sind 40, 50, 70 Personen, dann bin ich meistens die einzige Frau. Vielleicht gibt es noch eine zweite, aber das heißt dann nicht automatisch, dass die mir jetzt sympathisch ist und dass ich mit der da die komplette Zeit immer verbringen möchte. Also ich habe einfach wenig Rückhalt dann als Schiedsrichterin und das auch im Schiedsrichterwesen und habe da wenig Personen, mit denen ich mich austauschen kann. Und dadurch, dass das so wenige sind, und sich so wenig beschweren können, kann sich aber auch nicht viel ändern.

[00:38:19.990] - Nadia Kailouli

Thaya, jetzt gehe ich natürlich davon aus, dass du selbst gerne mal ins Stadion gehst und auch Fußballfan bist. Aber nichtsdestotrotz, warum hast du dich als Kriminologin so dafür interessiert und das dann auch umgesetzt, dich mit dem Thema Sexismus gegenüber Schiedsrichterinnen auseinanderzusetzen?

[00:38:37.550] - Thaya Vester

Ich habe mich dem Thema Sexismus im Fußball im Speziellen gewidmet, weil es vielleicht auch in dieser Konstellation die extremste Version ist, und zwar, dass die sowieso schon unbeliebten Schiris dann noch in Kombination mit Diskriminierungsvorfällen, in dem Fall mit sexistischen Vorfällen. Das ist ja im negativen Sinn, würde ich fast schon sagen, die Königsdisziplin. Wenn wir das nicht mehr haben, haben wir auch alles andere nicht mehr, weil das schon miteinander zusammenhängt. Und das habe ich am Anfang vielleicht auch gar nicht so klar gesehen, aber das ist mit der stärkste Ausdruck von Fehlverhalten im Fußball. Und wenn wir jetzt überlegen, dass Fußball ja als die populärste Sportart in Deutschland in gewisser Weise ja manchmal ein Spiegel, manchmal ein Brennglas diese Gesellschaft ist, sehe ich das Thema als sehr, sehr relevant an. Und ganz viele sehen das ja so als absolute Nische und sagen dann: „Oh, du bist Schiedsrichter-Forscherin" und so weiter und so fort. Aber es ist in so vielen Dimensionen, finde ich zumindest gesellschaftlich relevant, dass sich es eigentlich fast schon aufdrängt, sich damit zu beschäftigen.

[00:40:07.440] - Nadia Kailouli

Thaya, ich danke dir auf jeden Fall, dass du uns heute Einblicke in deine Forschungsergebnisse gegeben hast und uns grundsätzlich einen Einblick darin gegeben hast, was sowohl Schiedsrichter, aber vor allem Schiedsrichterinnen auf einem Fußballfeld so alles ertragen müssen und dass wir hoffen, dass ein Gerichtsurteil bald kommt, im Fall Fabienne Michel, dass allen Stadionbesucherinnen und -Besuchern ein klares Zeichen setzt, und zwar, dass man niemanden beleidigt, diskriminiert, nur weil man ein Spiel pfeift und vor allem nicht, wenn man das als Frau tut. Für dich hoffe ich, dass du in Zukunft weiterhin Spiele genießen kannst im Stadion, trotz deiner Forschungsergebnisse. Vielen, vielen Dank, Thaya.

[00:40:42.730] - Thaya Vester

Sehr gerne.

[00:40:43.710] - Nadia Kailouli

So Leute, jetzt wird es richtig aktuell, denn kurz nach Aufzeichnung dieser Folge gab es folgende Meldung, haltet euch fest: Der Deutsche Fußballbund hat nun endlich ein Urteil gesprochen. Rot-Weiss Essen muss demnach 20.000 Euro wegen Zitat: „Unsportlichen Verhaltens“ seiner Anhänger zahlen. Um bis zu 6.650 Euro davon kann der Verein für präventive Maßnahmen gegen Diskriminierung verwenden. Das sind doch mal echt gute Nachrichten, die wir hier gerne mit euch teilen und die hätten wir natürlich sehr gerne auch mit Thaya besprochen, aber als wir diese Folge aufgezeichnet haben, war das DFB-Urteil eben noch nicht da. Und jetzt ist es da.

 

Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle ‚Missbrauchsbeauftragte‘. Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.

Mehr Infos zur Folge

Der Name Fabienne Michel war bis vor Kurzem wohl vor allem denjenigen bekannt, die regelmäßig Fußballspiele der 3. Männer-Fußball-Bundesliga besuchen. Michel ist derzeit die einzige Frau, die im Profibereich der Männer pfeift. Sie wurde 2024 zur „DFB-Schiedsrichterin des Jahres“ gewählt und hatte zuvor unter anderem das DFB-Pokalfinale der Frauen sowie den Supercup der Frauen geleitet.

Leider ist ihr Name nicht deshalb großflächig in den Medien gelandet, weil sie ihren Job so gut macht. Bekannt wurde sie, weil sie während eines Drittliga-Spiels zwischen Rot-Weiss Essen und dem SC Verl von Essener Fans mit sexistischen Stadiongesängen beleidigt wurde. Die Schiedsrichterin wurde als „Hure“ beschimpft, nachdem sie einem Spieler die Gelbe Karte gezeigt hatte. Kurz darauf stimmten die Anhänger einen Sprechchor an, der Michel zum oralen Geschlechtsverkehr aufforderte.

Die Kriminologin Dr. Thaya Vester beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit den Themen Gewalt, Rassismus und Sexismus im Fußball – dabei auch speziell mit Übergriffen gegen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter. Sie hat im Auftrag des DFB dazu intensiv geforscht. Für sie ist es ein Dauerthema geworden, weil es auch im Fußball eines ist. Sie sagt: „Es ist schlimm, was da passiert ist, aber ich könnte jetzt 20 andere Fälle aus diesem Jahr aus der Schublade ziehen – denn Schiedsrichterinnen passieren sogar noch ganz andere Dinge.“ Warum so wenig gegen Sexismus im Fußball getan wird, erzählt Thaya Vester bei einbiszwei.

LINKSAMMLUNG

SWR-Interview mit Thaya Vester (04/2025)
Beleidigungen gegen Unparteiische: „Es ist seit Jahren ein Thema"

Tagesspiegel Kommentar auf YouTube (04/2025)
Schweigen im Stadion: Sexismus gegen Schiedsrichterin

Tagesspiegel Artikel (04/2025)
„Kein Schiedsrichter wird zum Oralverkehr aufgefordert“: Fußball als letzter Hort der absoluten Männlichkeit

1 und 1 Magazin Interview mit Thaya Vester (04/2025)
Sexismus im Fußball: Warum bleibt der große Aufschrei aus?

Artikel von Thaya Vester als PDF (01/2025)
Allein auf weiter Flur: Warum es nach wie vor so wenige Schiedsrichterinnen im Fussball gibt

YouTube Interview: Schiedsrichtern von Felicia Mutterer mit Thaya Vester (08/2024)
Schiedsrichtern mit Thaya Vester

Fußballverband Niederrhein e.V. Lagebild (08/2024)
„Die Richtung stimmt": DFB veröffentlicht das 10. Lagebild Amateurfußball mit positiver Tendenz

Artikel von Thaya Vester in der Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft (2020)
„So eine Fotze, die sieht doch nichts!“ – Eine empirische Annäherung an das Erleben und den Umgang mit persönlichen Diskriminierungen von Schiedsrichterinnen im deutschen Amateurfußball

Vorstellung von Thaya Vester als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Uni Tübingen
Institut für Kriminologie

 

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

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