Opfer sexueller Gewalt können sozialrechtliche Ansprüche gegen den Staat sowie zivilrechtliche Ansprüche gegen den Täter oder die Täterin geltend machen. Sollten diese Ansprüche nicht bestehen oder nicht durchsetzbar sein, kommen für Betroffene auch Leistungen aus dem sogenannten Ergänzenden Hilfesystem (EHS) in Betracht.
Sozialrechtliche Ansprüche: Opferentschädigungsgesetz, Rentenansprüche, Unfallversicherung
Betroffene können von unterschiedlichen staatlichen Trägern Entschädigung verlangen.
Opferentschädigung nach dem Sozialen Entschädigungsrecht (SER) - Opferentschädigungsgesetz (OEG) und dem Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch (SGB XIV)
Betroffene, die aufgrund von sexuellem Kindesmissbrauch unter einer gesundheitlichen Beeinträchtigung leiden, können gegen den Staat einen Anspruch auf Entschädigung nach dem Sozialen Entschädigungsrecht haben. Dieser Anspruch richtet sich im Moment noch nach den Regelungen im Opferentschädigungsgesetz (OEG). Das Soziale Entschädigungsrecht wurde aber 2019 umfassend reformiert. Am 1. Januar 2024 tritt deshalb das neue Sozialgesetzbuch SGB XIV in Kraft. Ab dem Zeitpunkt richtet sich der Anspruch auf Soziale Entschädigung nach dem SGB XIV und das OEG tritt außer Kraft.“
Zu den Leistungen, die beansprucht werden können, zählen zum Beispiel Schnelle Hilfe in einer Traumaambulanz, Heil- und Krankenbehandlungen, Rentenleistungen, Fürsorgeleistungen und Rehabilitationsmaßnahmen.
Sach- und Vermögensschäden werden nach dem SER nicht erstattet. Auch ein Schmerzensgeld wird nach dem SER nicht gezahlt.
Leistungen nach dem SER werden nur auf Antrag gewährt. Eine Antragsfrist gibt es nicht. Leistungen werden rückwirkend ab dem Schädigungstag gewährt, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach dem schädigenden Ereignis gestellt wird. Bei späterer Antragstellung werden Leistungen ab dem Antragsmonat bewilligt. Es empfiehlt sich daher, den Antrag schnell zu stellen.
Rentenansprüche aus der Rentenversicherung
Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend können Anspruch auf Erwerbsminderungsrente gegen den Träger der Rentenversicherung haben. Auf eine etwaige Rente nach dem SER wird die gesetzliche Rente dann aber angerechnet.
Wer gesundheitlich eingeschränkt und deshalb nicht mehr in der Lage ist, den Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit zu bestreiten, kann bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Zahlung von Erwerbsminderungsrente haben. Beim Eintritt ins Rentenalter wird aus der Erwerbsminderungsrente eine reguläre Rente.
Die Erwerbsminderungsrente wird nur auf Antrag gewährt. Es ist zu empfehlen, sich vorher von Fachberatungsstellen oder Anwält:innen beraten zu lassen. Auch die Deutsche Rentenversicherung bietet über ihre Website Beratungen an.
Anspruch aus der Unfallversicherung
Für Betroffene von sexueller Gewalt kann es auch einen Anspruch auf Entschädigung aus der Unfallversicherung geben.
Die Unfallversicherung schützt auch Kinder und Jugendliche in Krippen, Kindergärten, in der Kindertagespflege oder in Schulen. Kommt es dort zu einem sexuellen Übergriff, haben Betroffene einen Anspruch auf Entschädigung. Zu den Leistungen gehören medizinische Versorgung, berufliche und soziale Teilhabe, Pflegeleistungen und Geldleistungen.
Ein Antrag ist nicht erforderlich. Die Einrichtungsleitung meldet den Missbrauchsfall an die gesetzliche Unfallversicherung. Sobald die gesetzliche Unfallversicherung informiert ist, wird sie von Amts wegen, das heißt ohne Zutun der:des Betroffenen, tätig.
Zivilrechtliche Ansprüche: Schadensersatz und Schmerzensgeld
Betroffene können vom Täter oder von der Täterin selbst Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen.
Voraussetzungen für Schadensersatz und Schmerzensgeld
Für die Wiedergutmachung eines materiellen Schadens besteht der Anspruch auf Schadensersatz. Für den Ausgleich immaterieller Nachteile gibt es den Anspruch auf Schmerzensgeld. Diese Ansprüche können unabhängig von einer strafrechtlichen Verfolgung geltend gemacht werden.
Ist das Opfer des sexuellen Missbrauchs noch minderjährig oder aus anderen Gründen nicht geschäftsfähig, müssen die gesetzlichen Vertreter:innen die Ansprüche geltend machen.
Die Ansprüche richten sich gegen die Tatperson, die den Missbrauch schuldhaft selbst begangen oder nicht verhindert hat.
Daneben sind bei Übergriffen, die sich innerhalb von Institutionen ereignet haben, Ansprüche gegen den Träger der Einrichtung denkbar, der der Täter oder die Täterin zum Zeitpunkt des Übergriffs angehört hat.
Liegt eine schuldhafte Verletzung einer Amtspflicht durch Beamt:innen oder Richter:innen – etwa bei der Schul- oder Heimaufsicht bzw. im Betreuungsrecht – vor, kommt auch ein Anspruch wegen Amtspflichtverletzung in Frage.
Verjährung
Zivilrechtliche Ansprüche wegen sexuellen Missbrauchs verjähren seit 2013 erst in 30 Jahren. Sie können so lange also eingeklagt werden. Diese 30-Jahres-Frist gilt für alle Missbrauchsfälle, die sich seit 2013 ereignet haben. Sie gilt aber auch für Ansprüche, die zwar vor 2013 entstanden sind, 2013 aber noch nicht verjährt waren.
Kostenhilfen für einkommensschwache Bürger:innen
Für die außergerichtliche Rechtsberatung und Rechtsvertretung gibt es für einkommensschwache Bürger:innen die Möglichkeit, Beratungshilfe zu beantragen. Die Beratungshilfe bewilligt das Amtsgericht am Wohnort der rechtssuchenden Person. Die Beratungshilfe umfasst dann zum Beispiel einen Beratungsschein, mit dem die rechtssuchende Person eine kostenfreie Erstberatung bei einer:einem Rechtsanwält:in ihrer Wahl bekommen kann.
Für ein gerichtliches Verfahren kommt die Gewährung von Prozesskostenhilfe in Betracht. Je nach ihren finanziellen Verhältnissen müssen die Bürger:innen keine Zahlungen oder nur gesetzlich festgelegte Ratenzahlungen leisten. Die Prozesskostenhilfe bewilligt das Gericht, das auch zur Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch zuständig wäre.
Ergänzendes Hilfesystem (EHS)
Finanzielle Hilfen bietet darüber hinaus das sogenannte Ergänzende Hilfesystem (EHS). Das Ergänzende Hilfesystem besteht aus dem Fonds sexueller Missbrauch und dem Hilfesystem im institutionellen Bereich. Es unterstützt Betroffene, die als Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt in familiären oder im institutionellen Bereich erfahren haben. Das Ergänzende Hilfesystem gewährt Leistungen, die vom gesetzlichen Hilfesystem nicht, nicht mehr oder nicht in ausreichendem Umfang finanziert werden.