Wenn es zu sexualisierter Gewalt gegen Kinder oder Jugendliche kommt, geschieht das in den meisten Fällen im familiären oder sozialen Umfeld – durch Menschen, die die Kinder oder Jugendlichen gut kennen. Im digitalen Raum sind es vor allem Fremdtäter und -täterinnen, die sexuelle Kontakte über das Netz zu Minderjährigen suchen.
Missbrauch findet vor allem im nahen sozialen Umfeld statt
Sexueller Missbrauch findet größtenteils im nahen sozialen Umfeld von Kindern und Jugendlichen statt. Dazu gehören Angehörige, der Freundes- und Bekanntenkreis der Familie oder auch Mitarbeitende in Bildungs-, Sport- und Freizeiteinrichtungen. In den meisten Fällen erleiden Kinder und Jugendliche sexuelle Gewalt in ihrer Kernfamilie.
In all diesen Fällen, in denen der Täter oder die Täterin hohes Ansehen bei den Eltern genießt oder eine Respektsperson für die Familie ist, ist es für Kinder und Jugendliche besonders schwer, Hilfe zu erhalten. Sie können sich kaum vorstellen, dass ihnen geglaubt wird und dass sie Unterstützung erhalten.
Täter und Täterinnen sind oft Vertrauenspersonen
In den meisten Fällen von Missbrauch besteht ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Täter oder der Täterin und der betroffenen Person. Diese Nähe und mögliche Abhängigkeit wird vom Täter oder von der Täterin häufig ausgenutzt.
Gegenüber Bezugspersonen sind die meisten Mädchen und Jungen arglos, sie spüren zunächst keine Gefahr und können sich deshalb kaum schützen.
Wenn beispielsweise auch die Eltern selbst Vertrauen zu diesen Bezugspersonen des Kindes oder der:des Jugendlichen haben, kann es schwierig sein, sexuellen Missbrauch zu erkennen und Maßnahmen zum Schutz der Betroffenen zu ergreifen. Manche Personen aus dem nahen Umfeld weichen zur Vorbereitung des Missbrauchs auch auf digitale Medien aus, um die Beobachtung und Kontrolle von Eltern oder anderen Bezugspersonen auszuschalten.
Missbrauch in der Kernfamilie ist oft schwer vorstellbar
Besonders bei innerfamiliärem Missbrauch ist es für das nicht missbrauchende Elternteil und andere Familienmitglieder oftmals schwer, die Taten wahrzunehmen: Sexuellen Missbrauch trauen die meisten Menschen eher Außenstehenden als Angehörigen zu und halten ihn in der Kernfamilie nicht für möglich. Die gesellschaftliche Sicht auf Täter und Täterinnen ist zu vernichtend und dämonisierend, als dass es vorstellbar wäre, eine Person aus dem eigenen Privatleben sei zu so einer Tat in der Lage.
Je näher der Täter oder die Täterin dem Kind oder Jugendlichen steht, umso schwerer ist es für die Betroffenen, sich aus den Macht- und Abhängigkeitsstrukturen zu lösen und sich Hilfe zu holen.
Missbrauch in Institutionen
Einen wesentlichen Teil des sozialen Umfeldes von Kindern und Jugendlichen machen ihre Bildungs-, Sport- und Freizeiteinrichtungen, aber auch Einrichtungen der Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe aus.
Auch hier machen es sich Täter und Täterinnen zunutze, dass Beziehungen und Sympathien bestehen oder Machtgefüge und Abhängigkeiten vorhanden sind. Potenzielle Täter und Täterinnen wählen häufig pädagogische oder therapeutische Berufe oder (ehrenamtliche) Betätigungsfelder, in denen es möglich ist, sich Kindern und Jugendlichen leicht und kontinuierlich zu nähern. Sie profitieren vom guten Ruf der pädagogischen, sportlichen oder religiösen Einrichtungen, der durch ihre Beschäftigung dort auch ihnen zukommt, und dem daraus resultierenden Vertrauen, das Eltern ihnen entgegenbringen.
Täter und Täterinnen zeichnen sich häufig durch pädagogisches Geschick aus, sind meist beliebt und gelten bei den Kolleg:innen als besonders engagiert. Gerne übernehmen sie ungeliebte Tätigkeiten, decken kleine Schwächen oder professionelle Fehler von Kolleg:innen und sorgen so für eine Atmosphäre der Dankbarkeit und Loyalität. Systematisch erschleichen sie sich das Vertrauen der Kinder und Jugendlichen, bevorzugen einzelne Mädchen oder Jungen, stellen sich scheinbar auf eine Stufe mit dem (potenziellen) Opfer, indem sie eine exklusive Beziehung aufbauen und die anderen Erwachsenen als bedrohlich oder wenigstens verständnislos darstellen. So gelingt es ihnen, das Kind oder den:die Jugendliche:n von der Umwelt zu isolieren, sie stärker an sich zu binden und immer weiter von helfenden Personen abzuschirmen.
Zudem ist zu beachten, dass in pädagogischen und medizinisch-therapeutischen Institutionen, wie Heimen, Behinderteneinrichtungen, Kliniken oder therapeutischen Praxen, Kinder und Jugendliche überrepräsentiert sind, die bereits durch verschiedene Formen von Kindeswohlgefährdungen (sexueller Missbrauch, körperliche und seelische Misshandlung, Vernachlässigung, häusliche Partnergewalt) oder belastet sind oder Behinderungen haben. Sie sind häufig besonders bedürftig nach Nähe und Anerkennung. Diese Bedürftigkeit wird von Tätern oder Täterinnen, die in diesem Bereich arbeiten, ausgenutzt.
Fremdtäter sind eine Ausnahme – nur nicht im Internet
Nur wenige Täter und Täterinnen sind den betroffenen Kindern oder Jugendlichen wirklich fremd. Aus der Perspektive der Täter und Täterinnen ist es deutlich einfacher, auf bestehende Vertrauens-, Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zu bauen, als einen Kontakt zu fremden Kindern oder Jugendlichen herzustellen.
Anders verhält es sich im Internet. Viele Täter und Täterinnen nutzen die Anonymität des Netzes, um sich Kindern und Jugendlichen mit sexueller Absicht zu nähern (Stichwort: Cybergrooming). Durch intensive und oft sehr persönliche Chats entsteht bei Kindern und Jugendlichen leicht der Eindruck, dass es keine Fremden sind, mit denen sie in Kontakt stehen. Die vermeintliche Vertrautheit wiegt sie in Sicherheit und schwächt ihre Vorsicht.