Podcast | Folge: 113 | Dauer: 36:14

Wie hilft der „Krisenchat”, Kai Lanz?

hier reinhören
Bild des Titelgebers

Aktuelle Folge jetzt anhören

Wenn Sie diesen bereitgestellten Inhalt aufrufen, kann es sein, dass der Anbieter Nutzungsdaten erfasst und in Serverprotokollen speichert. Auf Art und Umfang der übertragenen bzw. gespeicherten Daten hat die UBSKM keinen Einfluss. Weitere Informationen zu den von FeedPress erhobenen Daten, deren Speicherung und Nutzung finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters.

Folge hier anhören

Das Interview der Folge 113 als Transkript lesen

[00:00:01.680] - Kai Lanz

Also grundsätzlich ist die Themenpalette sehr, sehr breit. Also ist es wirklich von bis. Also alles, was man sich vorstellen kann und auch alles, was man sich nicht vorstellen kann. Das muss man auch ehrlich dazu sagen. Das eine sind wirklich die sehr, sehr akuten Krisensituationen: Panikattacken, Suizidabsichten, akutes Selbstverletzendes Verhalten und so weiter. Das ist so ein Drittel ungefähr. Und dann als vierter Teil: Familiäre Konflikte. Das sind quasi so die vier häufigsten Themen. Aber es geht dann auch eben weiter über Einsamkeit, und auch zum Beispiel häusliche Gewalt und so weiter.

[00:00:33.850] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:00:57.060] - Nadia Kailouli

Warum gibt es eigentlich so gut wie keine schnelle, einfache und immer erreichbare Hilfe für Menschen, die psychische Probleme haben, die gemobbt werden oder auch sexueller Gewalt ausgesetzt sind? Das fragte sich der Schüler Kai Lanz und er entwickelte im Rahmen eines Schulwettbewerbs mit Mitschüler:innen ein niederschwelliges digitales Konzept gegen Mobbing an Schulen. Zwei Jahre später wurde daraus Krisenchat, ein psychosozialer Beratungsdienst. Das Konzept klingt kinderleicht: über einen WhatsApp-Chat können Kinder und Jugendliche bei psychischen Problemen Kontakt aufnehmen zu psychologischen und sozialpädagogischen Berater:innen. Und zwar 24/7, also wirklich immer erreichbar, anonym und kostenlos. Krisenchat beschäftigt heute 500 ─ also das muss man sich mal vorstellen, 500 ─ ehrenamtliche Psycholog:innen und 140 Festangestellte. Ich freue mich, dass derjenige, der sich das als Schüler ausgedacht hat, heute hier ist. Herzlich willkommen, Kai Lanz.

[00:01:52.370] - Kai Lanz

Ich freue mich, da zu sein.

[00:01:53.360] - Nadia Kailouli

Kai, wir fangen direkt an. Du hast Krisenchat auf den Markt geworfen. Ist ein Hammerteil. Was ist das?

[00:01:58.460] - Kai Lanz

Genau, wir hatten jetzt vor kurzem unseren fünften Geburtstag mit Krisenchat. Wir machen rund um die Uhr Krisenberatung per Chat für alle jungen Menschen, vor allen Dingen bis 25. Das ist unser Kernservice. Darüber hinaus super viel Entstigmatisierung, Aufklärung auf Social Media, Wir sind da quasi auf allen Kanälen unterwegs, also von YouTube, Instagram, TikTok, Discord, Twitch und so weiter, auch mit verschiedenen Angeboten für verschiedene Zielgruppen. Und dann noch mal separat davon haben wir so eine Struktur dann auch in der Ukraine, wo wir auch jetzt inzwischen eines der größten Mental Health-Angebote sind, wo wir eben auch diese Krisenberatung per Chat machen, wo man sich eben diese sehr, sehr niedrigschwellige Hilfe holen kann.

[00:02:38.310] - Nadia Kailouli

Also dafür, dass es euch erst fünf Jahre gibt, habt ihr ganz schön was geleistet. Wenn ich jetzt auch höre, dass ihr mittlerweile auch im Ausland sozusagen, da wo Menschen in Not sind, erreichbar seid. Jetzt muss man dazu sagen, oft ist es ja schon ein Abturner für junge Menschen, wenn wieder ein alter Mensch etwas auf den Markt bringt für die Jungen, weil man ja die Jungen so gut versteht. Ihr könnt es an der Stimme wahrscheinlich nicht hören, aber Kai ist kein alter Mensch. Kai ist noch sehr jung, du bist Mitte 20 und du hast Krisenchat in einem Schulprojekt auf den Markt gebracht. Das heißt, du weißt sowohl, was die Zielgruppe betrifft, worum es geht und du weißt vor allem, warum du es entwickelt hast aus der Schule heraus. Vielleicht kannst du die Geschichte dazu einmal erzählen.

[00:03:16.160] - Kai Lanz

Genau. Vor Krisenchat gab es einen Vorgänger. Das hieß Exclamo damals. Das haben wir damals tatsächlich in der Schule entwickelt und da war der Kern gar nicht, dass wir selbst eine Beratung anbieten, sondern dass wir vor allen Dingen eine Plattform zur Verfügung stellen, die dann andere nutzen können. Die Idee dahinter einfach ganz klar: Hey, die digitale Welt birgt natürlich einerseits auch viele negative Effekte, gerade auch für junge Menschen, was man sich in der Welt da angucken kann, aber bietet natürlich auch super viele Möglichkeiten und Chancen, wie man viel bessere Hilfsangebote auch aufbauen kann, die wirklich in der Lebenswelt von jungen Menschen, aber eigentlich aller Generation, ankommen. Man trifft die sonst vielleicht in der Schule, aber ansonsten ist einfach der digitale Raum ein Ort, wo ganz, ganz viele sind. Und gerade wenn es darum geht, wie kann man wirklich so einfach wie möglich sich Hilfe holen, gerade in solchen Krisen, Notsituationen, gerade bei stigmatisierten Themen, dann ist es einfach unglaublich wichtig, so einfach wie möglich anzusetzen. Und das haben wir gemacht im Chat-Format. Das für alle nativ ist, ist ja jetzt auch nicht mehr nur ein Thema von der jungen Generation. Alle sind auf Messenger, WhatsApp, Signal, wo auch immer unterwegs. Aber gerade für junge Menschen ist eben die Hemmschwelle noch mal deutlich höher, in Person sich Hilfe zu holen oder auch per Telefon, per Anruf. Und daraus ist das dann im Prinzip entstanden und dann zwei Jahre später wurde daraus Krisenchat, wie es heute ist, weil wir gesehen haben, während des ersten Covid-Lockdowns, wir können viel, viel effektiver sein, viel mehr Menschen erreichen, wenn wir eben nicht über dritte Player gehen, wie Schulen, die das dann anbieten müssen, sondern wenn wir direkt das Beratungsangebot selbst machen.

[00:04:55.230] - Nadia Kailouli

Jetzt kann man natürlich direkt fragen: Okay, wie wollt ihr denn beraten? Ich meine, ihr seid selber so mittendrin im Covid-Lockdown. Ihr seid, ich weiß nicht, du warst, glaube ich, 19, als es so losging mit der Entwicklung. Wie beratet ihr denn?

[00:05:09.770] - Kai Lanz

Ich glaube, was wir immer geschafft haben, ist, sehr viele verschiedene Welten zusammenzubringen. Also wie du sagst, es gibt super viele auch ältere Menschen, die eine super Fachexpertise haben, die viele Angebote entwickeln, die fachlich extrem gut sind, inhaltlich super gut sind, aber es dann nicht schaffen, die Zielgruppe vielleicht zu erreichen, gerade bei jungen Menschen. Und ich glaube, was wir geschafft haben, ist, junge Menschen zusammenzubringen, gleichzeitig aber auch irgendwie so einen unternehmerischer Ansatz, so was aufzubauen, quasi von null starten, ohne jetzt auf groß irgendwie jemand anderen zu warten und dann aber auch total die fachliche Expertise. Heutzutage mache ich das zusammen mit Melanie Eckert, die kurz nach Start mit dazugekommen ist, als die fachliche psychologische Leitung. Wir sind aber vor allen Dingen gewachsen auch aus einem Ehrenamt und heutzutage sind es so knapp 500 aktive ehrenamtliche Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen, also alles professionelle Expert:innen und Fachpersonen, die dort beraten, die einerseits diesen Hintergrund schon mitbringen, andererseits dann aber auch noch mal durch ein wirklich ausführliches Schulungs- und Trainingsprogramm bei uns laufen, das wir entwickelt haben, was sich fokussiert auf: "Wie berate ich eigentlich in diesem Medium Chat?", Was für viele einfach noch sehr, sehr neu ist. Es kommt gerade immer mehr, auch in anderen Bereichen, aber viele haben das jetzt nicht gelernt. Und wie mache ich denn dieses Konzept Krisenberatung, Krisenintervention, wo es wirklich darum geht, nicht einen längeren Prozess über mehrere Wochen zu begleiten, sondern wirklich in einer kurzen Session, die vielleicht 40 bis 60 Minuten geht, möglichst gut zu helfen, damit die Person einerseits stressreguliert ist, ihr es in dem Moment besser geht, sie aber auch eine Perspektive hat und eine Idee hat, wie kann es denn weitergehen, wenn die Person jetzt auch längerfristige Hilfe braucht.

[00:06:51.700] - Nadia Kailouli

Also die Zahl erst mal ist ja erst mal wow. Also so viele ehrenamtliche Therapeutinnen und Therapeuten zu finden, die sagen: „Ey, Ich mache da mit. Ich werde Beraterin, Berater beim Krisenchat." Ist natürlich erst mal eine Leistung, aber wie hast du die Leute oder wie habt ihr die Leute dazu bekommen, zu sagen: „Wir engagieren uns da!" Weil wir wissen das, Therapieplätze sind sehr, sehr beschränkt. Es gibt einen absoluten Mangel. Von Montag bis Freitag ausgebucht, morgens bis abends. Woher nehmen sie die Kapazitäten und was war euer ausschlaggebendes Argument, dass sie dennoch bei euch mitmachen?

[00:07:24.960] - Kai Lanz

Ich glaube, hier kommt wieder der Punkt rein der Genese, und zwar im ersten Lockdown. Und ich glaube, was wir geschafft haben, ist, so ein Momentum mitzunehmen und zu kreieren. Also im ersten Lockdown waren auf einmal alle Menschen zu Hause, hatten auf einmal ganz viel Zeit und Freizeit und wussten alle nicht, was ist los. Viele Leute waren verunsichert, frustriert, wütend auf diese Gesamtsituation. Ich glaube, was wir zumindest einigen Leuten und diesen Fachpersonen dann geben könnten, ist ein Bild: „Hey, guck mal, hier kannst du was machen mit deiner Zeit. Lass uns mal diese Energie nehmen und die in was Positives kreieren und damit ein Angebot schaffen, was jungen Menschen dann helfen kann, auch in dieser Überforderung, in dieser Situation." Und wir sehen natürlich jetzt über die letzten Jahre, wir sind natürlich auch sehr auch im Ehrenamt gewachsen, aber dass das einfach auch in seine Grenzen kommt. Also wie man sich vorstellen kann, mit 500 Expert:innen – und du hast es gesagt –, diese Fachpersonen sind auch jetzt schon oft sehr stark gefordert, gerade wenn sie dann im klinischen Bereich zum Beispiel arbeiten oder in der therapeutischen Praxis. Und das geht langfristig nicht nur, dass man sich darauf verlassen kann auf dieses Ehrenamt, gerade wenn wir auch eben rund die Uhr Verfügbarkeit anbieten wollen, weshalb wir jetzt auch anfangen, einen quasi hauptamtlichen Strang aufzubauen.

[00:08:39.800] - Kai Lanz

Und das wird in Zukunft auch einfach sehr, sehr wichtig sein, weil wir einfach komplett überlastet sind. Wir haben jetzt in den letzten fünf Jahren über 200.000 Beratungen durchgeführt und gleichzeitig sind wir aber komplett überfordert. Also wir können 50 bis 60% der Leute, die sich bei uns melden, aktuell nicht beraten, weil wir diese Kapazität nicht haben. Deshalb suchen wir natürlich auch nach neuen Partner:innen, Spender:innen und so weiter, die uns helfen, diese Kapazitäten auszubauen und aufrechtzuerhalten, damit man diesen Personen, die schon diese Schwelle gegangen sind, die schon sich irgendwo gemeldet haben, sich Hilfe holen wollen, teilweise eben mit diesen Themen, die auch ihr hier im Podcast natürlich thematisiert, wie sexualisierter Gewalt, wie häuslicher Gewalt, aber auch Selbstverletzungsverhalten, Suizidgedanken, Suizidalität, dass man die nicht alleine lässt, sondern dass man denen ein Beratungsangebot machen kann.

[00:09:29.360] - Nadia Kailouli

Also den Aufruf, den wiederhole ich hier sehr gerne auch noch mal: Also wenn uns jetzt Leute zuhören, die eine therapeutische Ausbildung haben, als Psychotherapeutin oder Therapeut arbeiten und sagen: „Ah, eigentlich hätte ich noch ein bisschen Kapazitäten", dann meldet euch gerne bei uns und wir leiten das gerne an Kai Lanz weiter, an den Krisenchat. Jetzt hast du eine Zahl gesagt, die ist erschütternd, weil sie klarmacht, da ist ein riesen Bedarf. Also über 200.000 Menschen, sagst du, haben sich über diesen Chat schon bei euch gemeldet und brauchten in irgendeiner Art und Weise für irgendein Thema Hilfe. Ihr seid jetzt ja nur ein Anbieter von einigen, der einzige Chat, den ich sozusagen kenne, aber es gibt ja noch das Hilfetelefon und, und, und. Und macht einfach noch mal deutlich: Gerade junge Menschen haben einen Bedarf und haben Belastungen. Kannst du uns einen Eindruck davon mitgeben, was das genau für Themen sind? Also inwiefern hat das mit der Pandemie zu tun? Inwiefern hat das mit Plattformen zu tun, über die man Gewalt erfährt oder ja, missbräuchliches erfährt? Also einfach, dass wir mal verstehen, was sind das für Leute, die sich melden, mit welchen Themen?

[00:10:37.110] - Kai Lanz

Also grundsätzlich ist die Themenpalette sehr, sehr breit. Also ist es wirklich von bis. Also alles, was man sich vorstellen kann und auch alles, was man sich nicht vorstellen kann. Das muss man auch ehrlich dazu sagen. Trotzdem gucken wir uns natürlich an, okay, was sind die Themen, die am häufigsten kommen? Und wir wollen uns wirklich auf diese akuten Krisensituationen auch fokussieren. Grundsätzlich kann man das einteilen im Prinzip in drei Bereiche. Das eine sind wirklich die sehr, sehr akuten Krisensituationen: Panikattacken, Suizidabsichten, Selbstverletzendes Verhalten und so weiter. Das ist so ein Drittel ungefähr. Dann gibt es einen Teil, wo, wir können natürlich keine Diagnosen stellen oder Ähnliches in so einen Chat-Kontext, aber wo man aus dem Kontext schon ein bisschen rauslesen kann, indizieren kann: „Hey, hier könnte jemand etwas haben, was wirklich langfristige Unterstützung braucht. Hier gibt es vielleicht therapeutischen Bedarf und Ähnliches." Und dann ein dritter Teil, der eher so ein bisschen präventiver ist, wo die ersten Anzeichen sind vom psychosozialen Stress, von Konflikten in der Familie, in der Schule und so weiter und wo wir da unterstützen, um auch zu verhindern, dass es schlimmer wird und eine Person dann irgendwann noch viel tiefgreifendere Hilfe braucht. In ganz konkreten Themen sind die drei häufigsten Themen: Suizidalität, non-suizidales Selbstverletzendes Verhalten und depressive Symptomatiken und dann als vierter Teil familiäre Konflikte. Das sind quasi so die vier häufigsten Themen, aber es geht dann auch eben weiter über Einsamkeit und auch zum Beispiel häusliche Gewalt und so weiter.

[00:12:05.300] - Nadia Kailouli

Wie filtert ihr das denn? Also gibt es da ein Filtersystem nach dem Motto: „Chat-Prio eins, Prio zwei, Prio drei"?

[00:12:13.380] - Kai Lanz

Es ist nicht unbedingt so eindeutig, in jedem Fall zu machen. Wir wollen uns aber vor allen Dingen bei den drei Bereichen, die ich eben aufgezeichnet habe, auf den ersten konzentrieren, auch jetzt im Ausbau, also wirklich auf diese akuten Krisensituationen. Wir wollen den Zweiten auch mehr eine Guidance zur Verfügung Fragen stellen, die aber vielleicht auch ein bisschen automatisierter funktionieren kann, also so ein bisschen als so eine Art Lotsen-System, weil das ja auch nicht der Bereich ist, auf den wir uns konzentrieren wollen, irgendwie eine Therapie zu ersetzen oder so was, sondern wir wirklich diese Krisensituation machen wollen und dann auch dem dritten Teil, nämlich den eher präventiveren Personen, da auch ein breiteres Angebotsspektrum aufzubauen. Wir versuchen uns natürlich schon zu konzentrieren auf die ganz akuten Momente, die akuten Suizidalitätsmomente, aber das ist natürlich auch in einer Warteschlangen-, sage ich jetzt mal, Situation, nicht immer möglich, das direkt rauszulesen. Aber wir sind auch dabei oder wir haben auch schon Assistenzsysteme entwickelt für die Berater:innen und für die Plattform, wo zum Beispiel aus der Sprache schon herausgelesen werden kann und initiiert werden kann mit AI: „Hey, könnte es hier einen sehr akuten Fall geben von zum Beispiel Suizidalität oder so was?"

[00:13:24.880] - Nadia Kailouli

Jetzt hast du gerade AI angesprochen, also die künstliche Intelligenz. Nun kennen wir das ja schon, dass man bei Krisen vielleicht auch die KI einfach fragen kann. Da gibt es auch Entwicklungen dahin, ja, Therapieplätze sind rar, aber damit der Mensch nicht alleine ist, dann kommt die künstliche Intelligenz ins Spiel und berät dann sozusagen. Bei euch wendet ihr die künstliche Intelligenz aber anders an. Also die Menschen, die antworten, sind tatsächlich Therapeutinnen oder Therapeuten, ihr nutzt nicht die KI für die Beratung.

[00:13:51.420] - Kai Lanz

Genau. Wir benutzen die KI, um die Berater:innen zu unterstützen, damit sie effizienter arbeiten können, mehr Hilfsmaterialien zur Verfügung bekommen, die auch ausgerichtet sind, dann zum Beispiel auf einen spezifischen Chat. Ich glaube, dass das eine unglaubliche Möglichkeit ist, die sich der Menschheit da im Prinzip gerade erbietet, nämlich emotional support für jeden Menschen, und zwar sehr, sehr günstig zu jeder Zeit. Aber ich glaube, dass da auch sehr viele Gefahren mit verbunden sind, nämlich da drin Abhängigkeitsverhältnis und so was zu kreieren, die wir zum Beispiel gerade bei Social Media sehen. Wir gucken uns diesen Bereich auf jeden Fall auch an, aber gucken uns eher an, es gibt unglaublich viele Anbieter:innen, die gerade ganz viel entwickeln, aber sehr wenige mit einer wirklich ethischen Ausrichtung und einer Ausrichtung, die auch gemeinnützig ist, die wirklich die Nutzer:innen, die Hilfesuchenden im Zentrum haben, sondern oft eben kommerzielle Interessen zum Beispiel. Deswegen, wenn wir solche Sachen entwickeln, gucken wir uns ganz bewusst an: Okay, wie sieht ein ethisches und natürlich auch rechtliches Framework aus, in dem so was passieren kann? Uns ist zumindest zum Beispiel sehr wichtig, keine Abhängigkeitsverhältnisse zu kreieren, eher die Personen zu unterstützen, raus in die Welt zu gehen und nicht in der digitalen Welt zu versinken, nicht eine Abhängigkeit mit einer digitalen Beziehung zu kreieren, sondern dass Menschen dabei unterstützt werden, ihre anderen Beziehungen mit anderen echten Menschen zu führen. Das ist der Bereich, wo wir drüber nachdenken und wo wir gerade anfangen, Sachen zu entwickeln.

[00:15:19.880] - Nadia Kailouli

Ich bin total begeistert gerade, dass du das so schlüssig auch zusammenfassen kannst, die Gefahren und die Chancen in einem. Und die Gefahr ist ja tatsächlich dann eben, wenn man sich nur auf die KI meinetwegen verlassen möchte, dass sie einen ja dann auch in der Beratung vielleicht dranhält. Also wenn du das Thema Einsamkeit ansprichst, teilt man seine Einsamkeit mit der KI und die KI antwortet und das Einsamkeitsgefühl geht dann ein Stück weit weg, weil da ist ja jemand, der mir zuhört und der sich meinen Themen annimmt, aber es ist halt kein Therapeut, der dir dann auch klarmacht: „Aber wir beenden jetzt hier den Chat. Fühlst du dich gut damit, dann jetzt rauszugehen und dir vielleicht Face-to-Face-Beratung mit einem Therapeuten oder Therapeutin zu holen?" Also ein sehr, sehr wichtigen Aspekt, wie ich finde. Nun habt ihr ja Therapeut:innen da sitzen, was ich sehr gut finde, aber man kennt das in einem Chat, ja, ich vergleiche das jetzt mal, wenn man jetzt über eine Dating-App geht oder so, das kann dann auch schnell wieder abbrechen. Vielleicht habe ich keinen Bock mehr oder mein Gegenüber hat keinen Bock mehr. Ich sage jetzt mal, deine Therapeutinnen und Therapeuten, die werden Bock haben, zu antworten und dran zu bleiben. Aber wie baut ihr überhaupt dieses Vertrauen auf? Also wenn ihr merkt, da ist jemand in einer Krisensituation, meinetwegen Prio 2, vielleicht tut die Person sich was an aus Gründen für sich selbst. Wie haltet ihr diese Person überhaupt dabei, dass sie dann auch, ich sage jetzt mal blöd, "auspackt" im Chat, erzählt, was ist denn gerade passiert? Das ist ja auch nicht einfach, wenn ein 16-jähriges Mädchen oder Junge erzählen soll: „Mein Vater, meine Mutter hat mich gerade geschlagen", oder so.

[00:16:47.960] - Kai Lanz

Ja, ich glaube, da sprichst du ein total wichtiges Thema an. Also grundsätzlich ist es so, dass wir auch in der Priorisierung zum Beispiel mit dem, wir nennen das den Warteraumbot, der auch bei den Personen dann noch mal eincheckt nach einer Zeit: „Hey, gleich könnte eine Berater:in für dich da ist. Hast du noch Zeit dafür?" Wir bitten die Hilfesuchenden wirklich, sich da auch Zeit für so ein Gespräch zu nehmen und zu sagen: „Okay, ich habe hier mal 30, 40, 50 Minuten, die ich dem auch widmen kann." Das ist für uns schon sehr wichtig, weil genauso abgehackt kann man zum Beispiel kein Beratungsgespräch führen. Wir fokussieren uns wirklich auf diese Live-Beratung und nicht zum Beispiel eine Antwort nach Stunden oder 24 Stunden oder Ähnlichem, wie irgendwie eher so eine Art E-Mail-Verkehr. Grundsätzlich, glaube ich, sehen die – und vielleicht dazu auch noch, das sind alles quasi Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, also das sind nicht unbedingt Psychotherapeut:innen, das vielleicht auch noch transparent zu sagen –, wenn sie das erste Mal diese Chatberatung nutzen, sind sehr viele sehr, sehr begeistert, wie viel man eigentlich darüber machen kann und wie einfach das eigentlich auch funktioniert, dass die Leute sich wirklich darüber öffnen.

[00:17:50.350] - Kai Lanz

Lustigerweise sehen wir zum Beispiel, dass wenn jemand zum Beispiel im Warteraum landen muss, weil wir nicht genug Kapazitäten haben, dass viele auch dann einfach sagen: „Okay, ist gar kein Problem, dass gerade niemand für mich zuhört, aber mir tut das gerade super gut, einfach mal ganz viel runterzuschreiben. Und es muss gar keiner antworten darauf." Also das finden wir auch total schön zu sehen, dass die Leute einfach sagen: „Okay, ich benutze das ein bisschen mehr wie so ein Tagebuch hier, und dann antwortet halt keiner, aber ich habe das mal für mich geordnet und runtergeschrieben." Eigentlich funktioniert das ziemlich natürlich in so einer Konversation. Wir haben aber auch einen mehrschrittigen Beratungsprozess, den die BeraterInnen in dieser Ausbildung erlernen, wo es am Anfang eben vor allen Dingen um diesen Vertrauensaufbau geht, wo dann im zweiten Schritt eben exploriert wird: „Okay, was ist denn das Thema, was die Person hat?" Dann so eine Art Auftragsklärung: „Okay, und was würde sich die Person denn jetzt wünschen von mir als Berater:in?" Und das wird dann quasi behandelt.

[00:18:43.910] - Nadia Kailouli

Jetzt fragt man sich: „Okay, wo finde ich diesen Krisenchat?" Das ist ganz einfach über WhatsApp. Hat ja fast jeder, würde ich sagen. Über WhatsApp schreibt man dann mit euch.

[00:18:52.940] - Kai Lanz

Genau, also WhatsApp, SMS haben wir, in der Ukraine auch Telegram und bald launchen wir einen eigenen Webchat. Das wird dann so in den nächsten Wochen, ich glaube, spätestens bis Anfang Juli kommen.

[00:19:02.710] - Nadia Kailouli

Okay, ich bin eine ältere Generation, hole mich ab. Was ist das „Webchat"?

[00:19:06.530] - Kai Lanz

Genau, wo man nicht auf einer dritten App oder so was chatten muss, sondern wo man direkt dann bei uns auf der Website schreiben kann.

[00:19:14.040] - Nadia Kailouli

Alles klar. Okay, und da eben nicht mit einer KI. Man kennt das ja oft nur so, dass dann irgendwie ein Fenster aufplopt: „Hallo, kann ich…"

[00:19:19.150] - Nadia Kailouli

Kein KI-Bot, echte Menschen, genau.

[00:19:20.330] - Nadia Kailouli

Echte Menschen, Wahnsinn. Also, Kai, ich muss es einfach sagen: Ich hänge an deinen Lippen im Wortsinn, weil ich bin so begeistert, weil Altersdiskriminierung soll es jetzt auch nicht sein, aber du bist Mitte 20. Du sitzt hier ohne einen Schriftzug. Das kommt alles so raus aus deinem Kopf und dazu muss man sagen, du bist ja kein ausgebildeter Sozialarbeiter oder Therapeut.

[00:19:45.660] - Kai Lanz

Nein, ich kann gar nichts. Ich habe Abitur.

[00:19:47.690] - Nadia Kailouli

Du kannst ganz schön viel. Ja gut, aber das, was du sagst, ich bin jetzt nicht die, die Therapeutinnen oder Sozialarbeiter ausbildet, aber ich habe ja hier schon mit vielen Leuten gesprochen und alles, was du sagst, würde ich jetzt mal sagen, ist per se nicht falsch. Das ist ja schon mal gut. Wie kommt das? Woher hast du dafür Interesse bekommen, dich so in dieses Thema reinzuarbeiten und damit ja auch zu arbeiten und diese Plattform zu gründen?

[00:20:14.690] - Kai Lanz

Ja, wie gesagt, ich beschäftige mich da natürlich jetzt so fünf bis sieben Jahre mit. Vielleicht einfach zu Krisenschat Ursprungsmoment: Wir waren im ersten Lockdown und hatten eben unser bisheriges Angebot und dann haben wir auf einmal aus allen anderen Ländern, wo es schon vorher die Lockdowns angefangen haben, die Berichte gehört. Also das irgendwie aus Wuhan, aber auch aus Frankreich, wo das ja auch schon früher gestartet hatte. Und man hörte da wirklich schreckliche Sachen, also drei bis fünf mal so hohe Fälle von häuslicher Gewalt. Was das alles mit den Kindern und Jugendlichen macht, den Schüler:innen, wenn die Schulen geschlossen sind, wenn alle Sozialvereine, Sportvereine und so weiter, alles nicht mehr stattfindet. Da haben wir gesagt: „Okay, wir müssen da einfach was machen. Und daher kommen irgendwie wirklich diese Motivationen. Das hat sich einfach, ja, natürlich super weiterentwickelt und ich versuche natürlich dann, möglichst gut wiederzugeben, was die ganzen Fachexpert:innen, die ganzen Sozialarbeiter, Psycholog:innen, Therapeut:innen bei uns im Team dann entwickeln und entwickelt haben, die ganze Qualitätssicherung, die da Tag und Nacht quasi stattfindet. Und deswegen sitze ich dann jetzt auch zum Beispiel bei so Sachen wie hier, um dem irgendwie eine Stimme zu geben, weil die sind ganz beschäftigt, weil sie gerade im Chat quasi hocken und die Kinder und Jugendlichen beraten.

[00:21:26.830] - Nadia Kailouli

Du machst das hauptberuflich, ne? Das habe ich eben erst, ich habe gerade, bevor das Mikro an war, so doof gefragt: „Na, studierst du oder wo jobst du eigentlich?" Und da hast du gesagt: „Ich komme vom Krisenchat." Also das ist deine Hauptquelle, wo du deine ganze Energie reinsteckst. Das ist dein Full-Time-Job.

[00:21:42.500] - Kai Lanz

Genau, das braucht es einfach. Neben den 500 Ehrenamtlichen haben wir inzwischen ein wirklich tolles Team zusammen mit unserem Ukraine-Team von ungefähr 130 Leuten. Genau, das ist natürlich irgendwie ziemlich eine Organisation, die da entstanden ist und wo sich natürlich dann auch unsere Aufgaben als Gründer:innen in den letzten Jahren sehr, sehr verschoben haben von alles selber machen, zu mit Leuten Leute anleiten, Leute unterstützen, die alles selber machen, zu Leute unterstützen, die Leute leiten und so weiter. Genau, aber das muss man auch einfach sagen. Der tolle Eckart von Hirschhausen hat das ja so toll gesagt: „Es ist sehr schwierig, die Welt ehrenamtlich zu retten, wenn andere sie hauptamtlich zerstören." So eine Arbeit und so eine Organisation muss es auch in einer hauptamtlichen Struktur geben. Wir sind noch gerade dabei, an der Oberfläche zu kratzen. Der Bedarf ist unglaublich hoch und es sieht nicht so aus, als ob das bisherige Gesundheitssystem es schafft, diese Lücke zu schließen, weil es einfach jetzt schon viel zu teuer ist. Das heißt, wir brauchen mehr frühe Angebote, die verhindern, dass Leute einen Bedarf haben nach Therapie, nach irgendwie die klinische Behandlung. Ich glaube, da muss man da ansetzen. Und wie gesagt, deswegen suchen wir eben auch immer weiter nach Unterstützer:innen dafür, weil das Angebot ist und soll auch kostenlos bleiben für die Endnutzer:innen. Und da gucken wir natürlich in Richtung Einzelperson, Unternehmen, Stiftungen, aber auch natürlich Politik, da eine Finanzierungsstruktur hinterzustellen, die funktioniert.

[00:23:07.250] - Nadia Kailouli

Also man sagt ja immer, wer an der Jugend spart, der zahlt die Quittung später. Deswegen hier der Aufruf auch an die Politik, zu sagen, jetzt wo der Haushalt, die neue Bundesregierung steht und man natürlich auch darüber diskutiert, was mit dem Haushalt passiert. Also das Geld wäre an solchen Stellen meiner Meinung nach sehr gut angebracht. Das Geld spielt natürlich eine Rolle, das hast du gerade gesagt, aber es spielt natürlich auch eine Rolle, zu sagen: "Wir sind ein verlässlicher Anbieter." Und wenn du natürlich sagst, hier ehrenamtlich schwierig, immer alle hundertprozentig an der Stange zu halten, ist klar, weil die einen Full-Time-Job haben. Jetzt würde ich gerne auf das Thema kommen, was du auch schon angesprochen hast, das Thema sexualisierte Gewalt. Das ist ja sozusagen unser Hauptthema hier auch in diesem Podcast. Wie geht ihr da am besten um? Ich meine, das ist ja ein sehr, sehr breites Spektrum von Missbrauch zu Hause, aber nehmen wir jetzt mal was Seichteres, aber auch Schlimmes. Einfach, dass man von einem Schulkollegen dazu genötigt wird, noch ein Nacktfoto zum Beispiel zu schicken, weil man ja eigentlich mal zusammen war und schon ein Nacktfoto hat. Das hat viele Menschen schon in wirklich schlimme Situationen gebracht. Nehmen wir mal das als Beispiel. Wie geht ihr dann damit um?

[00:24:19.160] - Kai Lanz

Ja, vielleicht grundsätzlich dieses Thema beschäftigt uns eigentlich schon von Anfang an, weil das habe ich jetzt nicht gesagt, aber ich war am Canisius-Kolleg in der Schule und während meiner Schulzeit wurde dann sehr viel Aufarbeitung von den Sachen, die da ja wirklich echt jahrzehntelang schiefgelaufen sind, gemacht.

[00:24:36.830] - Nadia Kailouli

Vielleicht kannst du einmal kurz zusammenfassen in einem Satz, was da passiert ist.

[00:24:41.030] - Kai Lanz

Genau, da ist der quasi sexualisierte Kindesmissbrauch, ab den 70ern durch, vor allen Dingen die Priester:innen, die auch in der Schule gelehrt haben, gelebt haben. Das ist in 2010, glaube ich, öffentlich geworden und hat im Prinzip die ganze Aufarbeitung in Deutschland der katholischen Kirche auch ins Rollen gebracht. Oder wenn man es „Aufarbeitung" nennen kann, lässt ja wirklich auch teilweise zu wünschen, üblich. Aber noch mal dazu zurück, was wir jetzt mit Krisenchat mit den Themen machen. Also grundsätzlich ist natürlich für uns wichtig zu sagen, wir kümmern uns vor allen Dingen auch um die psychosoziale Ebene und die individuelle Ebene dieser Personen. Was wir nicht machen, ist rechtliche Beratung oder rechtliche Schritte, die jemand einenleiten könnte, darüber zu sprechen, sondern eher mit einer Person zu gucken: „Okay, was macht das jetzt mit der Person? Was braucht die Person, um ein gutes, gesundes Leben zu leben?" Und das sind natürlich auch Fälle, die unglaublich komplex sind oft. Die wirklich sehr akuten Gewaltfälle sind auch eine große Ausnahme bei uns im Chat, weil das teilweise Chats sind, die wir dann auch über einen längeren Zeitraum begleiten in diesen Einzelfällen, wo wir nicht nur diese einmalige Beratung machen, sondern teilweise eben mehrere Beratungen über ein paar Wochen mit den Personen machen.

[00:26:00.360] - Kai Lanz

Was wir natürlich dann quasi eher auf der „Okay, was macht man jetzt damit, wenn man das mitbekommen hat?"-Ebene machen, ist, wenn wir akut davon mitbekommen und den sehr bestätigten Verdacht haben, dass in irgendeiner Form Leben in Gefahr ist, ist das auch ein Notfall, wo wir dann auch mit den Rettungskräften und der Polizei zusammenarbeiten, zusammen mit dem Bereich Suizidalität, wobei da natürlich immer eine Herausforderung ist, dass man die Situation dann von außen auch schlimmer machen kann. Weshalb wir dann auch eher versuchen, in diesem Personen die Person zu begleiten dabei: Okay, wie kann denn dieser eigene Schritt vielleicht aussehen, zum Beispiel dazu, sich bei der Polizei zu melden? Und ich glaube, das ist was, was bei uns im Chat wirklich extrem gut funktioniert und wo diese Niedrigschwelligkeit sich wirklich bezahlt macht. Also diesen Schritt zu gehen von: „Ich melde mich hier in einer vertraulichen Chat-Beratung", zu: "Ich gehe zum Beispiel auch zur Polizei." funktioniert sehr gut, weil wir die Leute dabei begleiten, wie sie diese Hürden überkommen können. Also es könnte dann zum Beispiel auch so ausgehen, dass wir mit der Person wie so ein Skript erst mal durchgehen: „Okay, wenn du da jetzt mit jemandem telefonierst oder mit jemandem redest, was würdest du denn dann sagen? Wie würdest du das denn ausdrücken?" Oder so was, um da diese Hemmschwellen abzubauen, ohne natürlich konkrete Aufforderungen zu machen. Aber eher, wenn sich jemand zum Beispiel auch schon damit beschäftigt hat, mit so einer Situation, aber sich zum Beispiel noch nicht traut in Person, im echten Lebensumfeld, in der Realität, sich Hilfe zu holen, dass wir den dann sehr eng begleiten.

[00:27:32.630] - Nadia Kailouli

Das heißt aber, ihr persönlich schaltet eben nicht die Polizei ein, oder? Also das bleibt alles anonym? Ich meine, das kann einen natürlich auch schnell überfordern, oder? Wenn man da sitzt, als... Ich mein, man macht ja bei euch erst mal, so wie ich das richtig verstanden habe, eine Ausbildung, um im Krisenchat sozusagen anfangen zu können. Das beinhaltet wie viel? Wahrscheinlich ist das ein paar Tage, einen Tag, einen Workshop oder wie ist das?

[00:27:56.830] - Kai Lanz

Das sind so Online-Kurse und dann eine Live-Begleitung. Es geht typischerweise über zwei, drei Monate. Aber dann halt nicht Vollzeit.

[00:28:04.710] - Nadia Kailouli

Ja, okay. Und jetzt habe ich da den Chat und dann schreibt wirklich jemand: „Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr. Ich mache dem Ganzen jetzt hier ein Ende." Und die Person schickt meinetwegen noch den Ort und so. Also ich als Journalistin müsste da tatsächlich dann sagen: „Okay, jetzt schalte ich die Polizei ein." Das macht ihr jetzt nicht, sondern ihr versucht dann über therapeutische Beratung zu sagen: „Hey, wir kriegen das irgendwie hierhin jetzt."

[00:28:31.660] - Kai Lanz

Genau, wir versuchen eben, diese Fälle dann zu deeskalieren. Das ist wirklich auch eines der Schwerpunkte unserer Ausbildung, weil diese Fälle wirklich jede Woche vorkommen. Und die allermeisten Fälle lassen sich darüber dann deeskalieren, wo man die Person wirklich schon begleiten kann, weil dieser Schritt, sich dann Hilfe zu holen, ist ja schon dieser Hilfeschrei und dieses klare Zeichen: Hey, okay, da ist doch eine Lebensenergie auf jeden Fall da bei der Person, dass sie doch noch will und nach diesem Halm greift an Unterstützung. Das heißt, die allermeisten Fälle können wir so deeskalieren. Wenn das eben nicht so aussieht und wir eben glauben, dass akut Leben in Gefahr ist, dann arbeiten wir dort mit der Polizei zusammen und das ist auch eine wirklich sehr gute Zusammenarbeit, die da stattfindet. Wir waren gerade vor zwei Wochen, glaube ich, wieder zwei Personen aus dem Team bei uns mit der Polizeiakademie in, ich glaube, Niedersachsen, wo unser Team auch die Polizist:innen, die dann in der Rufzentrale sind, geschult haben, wie wir mit diesen suizidalen Fällen umgehen und quasi unsere Tipps und gleichzeitig aber auch von der anderen Seite, wie die damit umgehen.

[00:29:36.450] - Nadia Kailouli

Ja, also dann müssen wir jetzt mal unseren Finanzminister, Herr Klingbeil, sagen: „Wenn Sie jetzt nicht hören, dass das vielleicht ein gut investiertes Geld ist hier, also wenn die sogar schon die Polizei mitnimmt, das ist ja super." Ich war gestern auf der Seite bei euch und fand sie erst mal wirklich cool. So, dachte: „Ah, ist eine coole Seite. Spricht mich an", obwohl ich nicht 16 bin oder Mitte 20, ich bin eine erwachsene Frau. Und ich habe dann aber nicht auf den Chat gedrückt. Ich wollte es einmal probieren, aber dann habe ich so Gewissensbisse bekommen, weil ich dachte: „Moment, dir geht es jetzt gut. Du hast den jetzt morgen zu Gast.Du willst es natürlich jetzt einmal probieren..." Als journalistische Sorgfaltspflicht, würde man sagen, musst du natürlich erst mal gucken, wie funktioniert das Ding. Aber dann dachte ich: „Boah, wenn ich jetzt hier so einen Therapeuten beschlagnahme, der hätte eigentlich gerade was Besseres zu tun." Und das hat mich tatsächlich davon abgehalten, dann den Chat zu aktivieren. Und ich wollte nicht lügen. Ich wollte jetzt nicht aus dem Zug irgendwie schreiben: „Mir geht es gerade nicht gut", oder so, um zu gucken, was kommt da für eine Antwort. Aber was wäre denn für eine Antwort gekommen?

[00:30:32.490] - Kai Lanz

Ja, danke, dass du das gemacht hast. Genau, das ist super wichtig für uns, dass der eben nicht missbraucht wird dann der Chat. Also wie gesagt, der erste Schritt ist erst mal in der Regel so ein Vertrauensaufbau. Also in der Regel würde dich der Berater oder die Beraterin dann fragen: „Hey, wie kann ich dich denn nennen jetzt?" Oder: "Magst du uns sagen, wie alt du bist?" Einfach, um so eine grundsätzliche Einschätzung zu haben, weil natürlich zwölfjährige sich ganz anders beraten lassen als 23-Jährige oder so was. Und dann würde quasi so ein Prozess starten. Dann würde Berater, Beraterin auch einen eigenen Namen quasi teilen. Da benutzen wir Aliasse. Und ja, dann versuchen wir herauszufinden: „Okay, was ist denn dein Thema? Was beschäftigt dich denn?" Was sind vielleicht andere Personen, die da involviert sind in diese Situation?

[00:31:18.390] - Nadia Kailouli

Weißt du, woran ich gerade denken musste? Dass ich denke, so voll gut, voll gut, dass es das gibt, voll gut, dass es das seit fünf Jahren gibt. Man denkt sich, warum gab es das nicht schon früher? Aber immerhin, so, ihr habt es auf den Weg gebracht. Und dann hatte ich aber gerade den Gedanken: „Boah, und jetzt stell dir mal vor, das missbraucht jemand." Weil wir hatten hier letztens auch das Thema Missbrauch in der Psychotherapie, wie Therapeuten eben ihre Patienten sozusagen ausnutzen und da Verhältnisse aufbauen, die nicht okay sind und so. Auch Thema Machtmissbrauch et cetera, et cetera. Und jetzt gerade dachte ich so: „Boah, diese Branche, diese digitale Branche, was man alles machen kann, da liegt ja so viel Gefahr drin und so viel, was wichtig ist, was möglich ist, weil es so Puls der Zeit ist. Wir sind einfach an diesen Geräten die ganze Zeit unterwegs. Und jetzt dachte ich: „Okay, wie geht ihr sicher, dass es nicht Therapeuten auch bei euch gibt, die das ausnutzen und dann vielleicht einen Menschen, der da gerade schreibt, vielleicht privat trifft und das ausnutzt und sagt: 'Hey komm, ich treffe dich'"? Weil es ist ja oft so: Täter suchen sich ihre Orte, wo sie dann an ihre Opfer kommen. Keiner dachte, dass der Tennis-Trainer es böse mit einem meint, weil am Ende sind wir schlauer. Oder auch: Ich biete einfach auch so eine App an, „Krisenchat_01", und dahinter steckt aber kein Therapeut, sondern ein Täter. Solche Gedanken hatte ich gerade.

[00:32:41.980] - Kai Lanz

Ich glaube, da ist der digitale Raum tatsächlich super gut für, für gerade diese Qualitätssicherung, weil eben alles auch transparent ist. Man ist nicht in einem abgeschlossenen Raum mit einer anderen Person oder Ähnliches, sondern der Chat ist transparent für unser Qualitätssicherungsteam. Daher, also wir hatten bisher keinen Fall, wo wir gesehen haben, dass das in irgendeiner Form missbraucht wird. Und das ist natürlich der komplette Fokus, unserer Qualitätssicherungsteams auch sicherzustellen, dass eben die Qualität kontinuierlich sehr, sehr hoch ist. Deswegen kriegt auch jeder Krisenberater, Krisenberaterin regelmäßig Feedback-Gespräche, wo jemand aus diesem Qualitätssicherungsteam von uns, die vergangenen Chats der Person sich anguckt und der Person Feedback gibt von: „Was kann sie besser machen?", oder Ähnliches. Das heißt, dieses Vier-Augen-Prinzip, funktioniert da tatsächlich sehr, sehr gut und viel, viel besser als im analogen Raum oder jetzt vielleicht beim Telefon, weil wir eben diese Transparenz auch haben.

[00:33:39.600] - Nadia Kailouli

Okay. Wie findet man euch?

[00:33:41.610] - Kai Lanz

Krisenchat.de.

[00:33:42.860] - Nadia Kailouli

Wenn ich nichts vom Krisenchat gehört habe, wie erreicht ihr mich? Schaltet ihr Werbung bei Insta und Snapchat, oder?

[00:33:50.530] - Kai Lanz

Wie gesagt, ist das unser geringstes Problem. Wir werden komplett überrannt. Deswegen machen wir eigentlich nicht auf unseren Chat so aufmerksam. Die meisten kommen über Empfehlungen von Freundinnen von Bekannten und über TikTok, wobei wir eben in sozialen Medien nicht den Chat irgendwie promoten als Marketingkanal, sondern eben Aufklärung geben, über die Themen sprechen, den Leuten Tipps an die Hand geben, die ihnen auch helfen können, wenn sie keine Chat-Beratung machen.

[00:34:13.920] - Nadia Kailouli

Okay, also wir haben jetzt natürlich dafür geworben hier. Kann sein, dass es mehr wird, aber hoffentlich wird es einfach mehr von den Leuten, die euch unterstützen wollen. Kai, Lanz, ich muss die Frage einfach stellen. Ganz anderes Thema, aber bist du verwandt mit Markus Lanz?

[00:34:27.700] - Kai Lanz

Über die Frage habe ich neulich auch gesprochen. Nein, ich bin nicht verwandt.

[00:34:32.560] - Nadia Kailouli

Aber Markus Lanz sollte dich unbedingt mal in seine Sendung einladen, oder warst du schon da?

[00:34:36.010] - Kai Lanz

Ich war vor vier Jahren mal da, ja.

[00:34:37.760] - Nadia Kailouli

Wegen Krisenchat?

[00:34:38.830] - Kai Lanz

Genau.

[00:34:39.520] - Nadia Kailouli

Super.

[00:34:40.050] - Kai Lanz

Seitdem habe ich eine gute Geschichte zu dieser Frage, die ich in den letzten Jahren natürlich sehr oft bekommen habe.

[00:34:46.430] - Nadia Kailouli

Das ehrt uns dann natürlich dann noch mehr, dass wenn man bei Markus Lanz saß, noch mal irgendwo hingeht und Interviews gibt. Ich danke dir sehr, dass du heute bei uns warst. Krisenchat, tolle Sache und ich glaube, damit können ganz, ganz viele Leute ganz viel anfangen. Vielen Dank.

[00:34:59.720] - Kai Lanz

Danke für das Gespräch. Danke für die Einladung.

[00:35:02.290] - Nadia Kailouli

Ja Leute, was soll man da noch sagen? Ey, super, dass es das gibt. Und ich habe gerade off the record auch noch mal Kai gefragt: „Wir finanziert ihr das denn?" Das fragt man sich ja auch. 140 Leute sind da festangestellt. Und Ey, Chapeau, alles durch Förderung und Spenden. Das muss man natürlich jedes Jahr zusammenkratzen, aber in diesem Sinne auch ein Hoch an alle Psychologinnen und Psychologen und Sozialarbeiter:innen, die sagen: „Ey, ich mache da mit, und zwar ehrenamtlich." Das ehrt euch alle sehr, wie gut das es euch gibt.

[00:35:33.180] - Nadia Kailouli

Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle 'Missbrauchsbeauftragte'. Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.

Mehr Infos zur Folge

Warum gibt es eigentlich so gut wie keine schnelle, einfache und immer erreichbare Hilfe für Menschen, die psychische Probleme haben, die gemobbt werden oder auch sexueller Gewalt ausgesetzt sind? Das fragte sich der Schüler Kai Lanz und entwickelte im Rahmen eines Schulwettbewerbs mit Mitschüler:innen ein niedrigschwelliges digitales Konzept gegen Mobbing an Schulen. Zwei Jahre später wurde daraus „Krisenchat”, ein psychosozialer Beratungsdienst.

Das Konzept klingt kinderleicht: Über einen Whatsapp-Chat können Kinder und Jugendliche bei psychischen Problemen zu psychologischen und sozialpädagogischen Berater:innen Kontakt aufnehmen. Und zwar 24/7, anonym und kostenlos. „Krisenchat” beschäftigt heute 500 ehrenamtliche Psycholog:innen und 140 Festangestellte. Das Angebot startete in der Corona-Krise und wurde dringend gebraucht, auch im Hinblick auf sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Denn während der Corona-Krise hatten sich die Fälle sexueller Gewalt deutlich erhöht. Grund hierfür sind vor allem die Zunahme digitaler Gefahren, die Überforderung oder der Wegfall von Hilfe- und Unterstützungssystemen, wie der Schule oder Vereinen, sowie der allgemeine mentale Belastungszustand der Menschen durch die Krise. Betroffen waren und sind vor allem Frauen, Kinder und Jugendliche.

Bei der Gründung von „Krisenchat” war Kai 19 Jahre. Er glaubt persönlich fest daran, dass Menschen und menschliche Systeme die Dinge, die falsch laufen, ändern können. Er möchte andere Menschen dafür begeistern, denselben Weg zu verfolgen, um eine bessere Welt zu schaffen.

LINKSAMMLUNG

Die Webseite des Unternehmens, die neben Informationen über die App die Möglichkeit bietet, mitzuarbeiten
Zum „Krisenchat”

Außerdem kann der Besucher in der „Oase” zahlreiche Tipps finden, um zu entspannen - damit im Idealfall erst gar kein Notfall entsteht.
Zur „Oase”

Kai Lanz über die Mobbing-Erfahrungen im eigenen Umfeld und die Motivation dagegen aktiv zu werden
Aufschrei gegen Mobbing. Wie die Generation Z die Digitalisierung gegen Gewalt an Schulen nutzt

Der Instagram-Kanal zur App
Instagram @krisenchat.de

Der YouTube-Kanal zur App mit zahlreichen Info-Videos einer Psychologin
YouTube @krisenchat

Kai spricht über Herausforderungen und Erfolge der Organisation, die häufigsten Themen der jungen Nutzer:innen und wie er seinen Glauben an die Menschen nicht verliert.
YouTube „Leaders Talk – by Leadership Choices”: Episode 97 – Kai Lanz, wie revolutioniert krisenchat die psychische Beratung für junge Menschen?

Zur Gründung von „Krisenchat”, Kais Motivation, Corona und die Probleme, wegen derer sich die Kinder und Jugendlichen melden
Podcast SWR2 Tandem: Krisenchat – Kai Lanz organisiert Hilfe für Kinder und Jugendliche per WhatsApp

Studie: Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen durch globale Krisen belastet
Zur Studie

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

einbiszwei@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs möchte diese Website fortlaufend verbessern. Dazu wird um Ihre Einwilligung in die statistische Erfassung von Nutzungsinformationen gebeten. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.