Wie ist eine Ausbildung im Handwerk für Frauen, Emilia und Hexe?
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[00:00:02.120] - Emilia
Ich glaube, bei den Steinmetz:innen kriegen die da traditionell einen Klaps auf den Po, wenn sie fertig sind mit ihrer Ausbildung. Und wenn man sich das vorstellen würde bei einem Studium, wenn man das abgeschlossen hat oder sein Bachelorzeugnis überreich bekommt und dann gibt der Professor einem einen Klaps auf den Po, dann scheint das total absurd zu sein. Aber im Handwerk ist das nicht absurd. „Lehrjahre sind keine Herrenjahre", das ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass einfach davon ausgegangen wird, die Ausbildung muss hart sein und es gibt auch Ausbilder, die genau das so weitergeben. Sie denken, die müssen einem das Leben zur Hölle machen, weil sie haben das ja auch so gelernt und nur dann kommt man klar, man lernt fürs Leben. Das ist der Umgangston, mit dem man auskommen muss.
[00:00:46.000] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:01:09.340] - Nadia Kailouli
Kommentare wie: „Hat dir denn keiner gesagt, dass Frauen auf dem Gerüst Röcke zu tragen haben?" Oder Sprüche wie: „Du bist das, wofür ich einen Penis habe", so was bekommt nicht selten zu hören, wer als Frau eine Ausbildung im Handwerk macht. Hier scheinen sexistische Sprüche und Mackertum häufig immer noch genauso dazu zu gehören, wie der Pirelli Kalender mit Nacktbildern an der Werkstattwand. Für Frauen ist das die klare Ansage: „Ihr gehört nicht wirklich hierher." Die Folge: Das Selbstbewusstsein sinkt, die Selbstzweifel wachsen. „Bin ich zu empfindlich? Muss ich härter sein?" Das fragen sich viele. Und viele Frauen brechen ihre Ausbildung ab. Andere halten durch und sind am Ende ausgelaugt und ernüchtert. Das Azubihilfe Netzwerk will genau das ändern und setzt sich für bessere Ausbildungsbedingungen und gegen jede Form von Diskriminierung im Handwerk ein. Bei mir sind heute Emilia und Hexe, die sich im Azubihilfe Netzwerk engagieren und ich freue mich sehr, dass sie heute mal erzählen, was die so in ihren Handwerksbetrieben erlebt haben.
[00:02:05.840] - Nadia Kailouli
Herzlich willkommen.
[00:02:06.820] - Hexe
Danke.
[00:02:07.310] - Emilia
Danke sehr. Wir freuen uns auch.
[00:02:09.100] - Nadia Kailouli
Wir sprechen über das Thema Handwerk. Ihr beide habt Erfahrung im Handwerk, ihr habt Ausbildungen im Handwerk gemacht. Wie habt ihr euch das Handwerk vorgestellt, als ihr euch entschieden habt: „Da und da mache ich jetzt eine Ausbildung"?
[00:02:21.540] - Hexe
Genau. Erst mal kann ich vielleicht sagen, wir sind beide noch in Ausbildung. Was, glaube ich, wichtig ist, weil wir aktuell noch erleben, was es bedeutet, eine Ausbildung im Handwerk zu machen. Ich habe es mir natürlich, wie wahrscheinlich die meisten Menschen, unglaublich romantisiert vorgestellt. Ich dachte, als Tischlerin arbeite ich nur mit Holz und alle lieben den Job und man geht wahnsinnig gut miteinander um, weil es ist ein natürlicher Rohstoff, also würden dementsprechend die Menschen auch irgendwie gut miteinander umgehen, so wie sie mit dem Rohstoff umgehen. Und ich habe natürlich aber auch, gerade als FLINTA*-Person, mir selber vorgestellt, dass ich dann einfach selber in der Lage bin, Dinge zu machen. Also das heißt, ich bin nicht darauf angewiesen, einen Handwerker zu rufen, der dann eben meistens ein Handwerker ist, sondern ich bin unabhängig und selbstwirksam und kann selber die Lampe aufhängen, den tropfenden Wasserhahn reparieren, was auch immer.
[00:03:10.800] - Emilia
Ja, so viele Gedanken habe ich mir vorher nicht übers Handwerk gemacht, glaube ich. Ich war der Meinung, dass ich das wahrscheinlich ganz gut hinbekomme, ganz praktisch begabt bin oder zumindest sehr viel Selbstvertrauen diesbezüglich mitgegeben bekommen habe und war vorher eher unglücklich in einem Studium, wollte dann- genau mit Corona reingestartet, gar nicht praktisch, also nicht mal Menschen sehen dort vor Ort, wollte dann sehr schnell was Praktischeres machen und bin dann kurzfristig reingestartet. Und klar, Holz ist ein schöner Rohstoff. Wenn man denn dann damit arbeitet in der Ausbildung, das habe ich nämlich erwartet, dass man in der Tischlerei mit Holz arbeitet. Das war bei mir im Endeffekt nicht wirklich der Fall. Aber genau, ich bin…
[00:03:51.220] - Nadia Kailouli
Womit habt ihr denn dann gearbeitet?
[00:03:52.740] - Emilia
Ich bin in der Bautischlerei gewesen am Anfang, also in meiner ersten Ausbildung. Jetzt bin ich Zimmerin oder lerne Zimmerei. Ich war da in der Bautischlerei. Wir haben sehr viel Fenster und Türen eingebaut. Wir haben sehr viel natürlich mit Kunststoff, aber auch mit Metallzargen gearbeitet. Ich habe alles gemacht im Rohbau, Fliesenlegen, Trockenbau, irgendwelche Dichtungen anbringen, Abriss, Montagearbeiten, aber sehr wenig mit Holz. Dann beim Verbundausbilder, da wurde ich hingeschickt, um ein paar Holzverbindungen zu lernen und so.
[00:04:24.080] - Nadia Kailouli
Okay, gut. Das ist das eine, wie die Arbeitsbedingungen sind mit den Materialien, aber wir bei einbiszwei. Wir haben euch ja nicht eingeladen, sozusagen, um darüber zu sprechen, ob es jetzt schöner ist, mit Holz oder mit Fliesen zu arbeiten und dass das alles so wunderschön im Handwerksbetrieb ist, sondern wir wollen durch euch einen Realitätscheck so ein bisschen bekommen, was sonst noch so problematisch ist im Handwerk. Die Realität ist nämlich eine andere, als dass man denkt: „Ach, da ist doch die Welt in Ordnung und da fühlt man sich gut aufgehoben, und zwar egal, welches Geschlecht man ist." Wann habt ihr gemerkt: „Puh, die Realität für mich als Frau ist echt doof hier", zum Beispiel, Emilia?
[00:05:06.780] - Emilia
Ich habe das sehr schnell gemerkt, dass ich mich unwohl fühle in meinem Betrieb, habe das dann erst mal auf meinen Betrieb im Speziellen oder auf meine Ausbildungssituation bezogen, habe aber auch viel natürlich in der Schule und beim Verbundausbilder andere Auszubildenden kennengelernt und dann schon schnell mitbekommen, dass es echt ein generelles Problem ist oder in der Ausbildung, wo man ein sehr hierarchisches System hat, ein Ausbilder oder, ja, meistens ist es ein Ausbilder, manchmal eine Ausbilderin oder ein Meister oder eine Meisterin. Und wenn man dann eben noch als Frau oder FLINTA*-Person ins Handwerk kommt, ist es oftmals ein sehr viel älterer Mann, der einen dann betreut in einem Betrieb alleine und es ist irgendwie prädestiniert dafür, dass es da Missbrauch oder Übergriffe geben kann, empfinde ich so. Wenn man andere Auszubildende im Betrieb hat, dann ist es natürlich manchmal noch mal ein bisschen aufgelöster. Ich finde, Gleichaltrige dazuhaben oder auch in der Schule mit anderen reden zu können, auf jeden Fall hilfreich. Aber ich bin da sehr, sehr schnell irgendwie an, noch nicht an eine Grenze gestoßen, aber habe gemerkt, dass es was mit mir macht und habe dann aber die ganze Zeit gedacht: „Das muss ich durchhalten, die Ausbildung durchstehen.“
[00:06:23.720] - Nadia Kailouli
An was hast du das gemerkt? Was ist dir sozusagen… Welche Erfahrungen hast du gemacht, dass du gemerkt hast: „Das finde ich hier eigentlich dich nicht in Ordnung"? Oder nicht, dass du es nicht in Ordnung findest, sondern dass es eigentlich gar nicht so sein sollte, dass das nicht in Ordnung ist.
[00:06:37.960] - Emilia
Ich finde, das ist so ein bisschen schwierig zu erklären, weil es nicht ein Beispiel gibt, was es gut rüberbringt, würde ich sagen. Ich bin in die Ausbildung gestartet und das fängt damit an, dass mein Chef mich duzt, ich ihn siezen muss. Das war bei allen natürlich anderen auch so. Die Hierarchie ist klar festgelegt von Anfang an und dann als Frau immer zu wissen, dass man 120 % geben muss, weil in meinem Betrieb zumindest auch sehr viel gelästert wurde und dementsprechend viel über andere Auszubildende und andere Leute hergezogen wurde und man wusste schon direkt: Ja, okay, Frauen haben hier eigentlich nichts zu suchen. Wir sind vielleicht schön anzugucken oder gut fürs Betriebsklima manchmal, aber sonst können wir nicht so viel beitragen. Und ja, ich habe durchaus auch Kommentare bekommen, das dann meistens eher von Fremdfirmen, aber dass Leute ja nur mit mir zusammenarbeiten wollen, um mir dann auf den Arsch zu gucken oder Ähnliches. Aber es wird einfach nicht davon ausgegangen, dass ich überhaupt helfen kann. Ich glaube, bei einem Gesellen, bei dem ich den einen Tag, also das erste Mal, als wir uns kennengelernt haben, eingeteilt war, der wollte mich nach einem halben Tag eigentlich nach Hause schicken, weil er, glaube ich, nicht dachte, dass ich arbeiten kann beziehungsweise beim Fenstereinbau, was ja schon schweres Tragen, Lasten sind, irgendwie war er nicht der Meinung, dass ich da helfen kann und auch anscheinend nicht, dass ich da was lernen kann, weil selbst wenn ich dann neu bin und noch nicht so genau weiß, was gemacht werden muss, könnte ich ja zugucken und vielleicht was mitnehmen fürs nächste Mal. Ja, bei dir?
[00:08:08.340] - Hexe
Genau, ich muss, glaube ich, ein bisschen ausholen. Ich habe mein erstes Lehrjahr gemacht in einem Restaurierungsbetrieb. Hatte da unter meinen Kolleg:innen ein unglaublich wertschätzendes Arbeitsumfeld an sich. Also Restaurierung ist auch schon noch mal sehr speziell innerhalb dieser ganzen Handwerksbranche. Mein Chef hat manchmal so ein bisschen so Kommentare fallen lassen, was sozusagen Frauen in Werkstätten angeht, aber das war nicht so, dass ich gedacht habe: „Boah, das ist jetzt hier super sexistisch und geht gar nicht", aber es hat natürlich trotzdem schon mein mir zugewiesenes Geschlecht herausgestellt, sage ich mal. Also es gab einen Moment, den fand ich ganz spannend. Da waren wir auf einer Baustelle, in einer sehr großen Baustelle haben wir Handläufe restauriert und haben die da wieder eingebaut und es gab dort den zuständigen Architekten, der scheinbar besonders gerne da vorbeigelaufen ist, wo wir gerade gearbeitet haben und jedes Mal gerne kommentiert hat, wie toll es doch ist, dass auch hier eine Frau auf dem Bau ist. Und man muss wirklich dazu sagen, das ist ein riesiger Teil einer technischen Universität, der restauriert beziehungsweise saniert wurde. Und es ist eine riesige Baustelle gewesen, wo unfassbar viele Handwerker waren. Und ich habe dort manchmal eine andere Handwerkerin gesehen, eine Garten- und Landschaftsbauerin aus der Ferne, und ansonsten war ich weit und breit die einzige FLINTA*-Person dort. Und da gab es die Situation, dass es so Bau-Toiletten gab und die Frauentoilette war halt immer abgeschlossen. Und dann irgendwann hat mich das so genervt. Dann dachte ich: „Okay, gehe ich zu den Männern rüber?" Dann hat sich dort ein anderer Handwerker irgendwie darüber beschwert und meinte, ja, dann sollte ich doch jemandem Bescheid sagen, dass er mir meine Toilette aufschließt. Also es gab so ein Architekturbüro wo die Bauleitung auch drin saß und als ich das denen gesagt habe, meinten die dann so zu mir: „Aber das ist doch eh nichts für dich irgendwie. Das ist doch alles viel zu dreckig und so geh doch lieber hier bei uns auf Toilette." Und das ist halt, ich glaube, so ein falsch verstandene Rücksichtnahme auf FLINTA*-Person im Handwerk, es zu sagen: „Ah nein, ihr seid ja so soft und wir wollen ja nicht euch belasten." Und ich wollte einfach nur gleichberechtigt sein. Ich wollte einfach nur, dass die mir die verdammte Toilette aufschließen, damit ich einfach nur aufs Klo gehen kann, und zwar nicht bei den Architekten, sondern auf die ganz normale Toilette, wie alle anderen Handwerker auch auf ihre Toiletten gehen. Genau, ich glaube, das war so der erste Moment und dann gab es im Laufe der Zeit einfach sehr schwierige Diskussionen mit meinem Chef zunehmend und dann wurde das immer hässlicher und dann musste ich es irgendwann abbrechen, weil ich einfach gemerkt habe, okay, ich kann das nicht aushalten und habe dann, zwei Jahre lang, muss man sagen, mir überlegt, ob ich wieder ins Handwerk möchte und meine Ausbildung beenden möchte, was schon ein sehr dringlicher Wunsch war, aber ich habe mich die ganze Zeit innerlich gefragt: Halte ich das aus? Und wie finde ich einen Betrieb, bei dem ich weiß, dass ich hier irgendwie sicher bin? Und das ist, würde ich sagen, der Knackpunkt. Also ich bin sozusagen als Mensch mit Trauma durch Gewalterfahrungen da reingestartet und es gibt keine Möglichkeit, irgendwie über Suchkriterien oder was auch immer, FLINTA*-freundliche Betriebe zu finden. Also meistens, wenn, dann läuft das irgendwie so über Mundpropaganda, dass man sagt: „Ich habe mal da und da gehört und du kannst mal da und da gucken." Aber in den Betrieben, die da dafür bekannt sind, bewerben sich dann natürlich auch irgendwie zig Leute auf ein oder zwei Ausbildungsplätze. Das heißt, es ist tatsächlich gar nicht so einfach, in Anführungsstrichen einen „sicheren" Betrieb zu finden. Und dann habe ich mich irgendwann an die Agentur für Arbeit gewendet und habe gesagt: „Ich habe nur Einsen in meinem Berufsschulzeugnis. Ich mache diese Sache wirklich gerne. Ich würde es unglaublich gerne weitermachen." Und im Endeffekt hat dann die Arbeitspsychologin von der Agentur für Arbeit mit mir gesprochen und ich habe ihr von meiner Situation erzählt und habe gesagt: „Ich möchte diese Ausbildung machen, aber ich muss sie in einem halbwegs sicheren Rahmen machen." Und das Einzige, was dann eben in Betracht kommt, ist ein sogenanntes Berufsbildungswerk.
[00:11:48.130] - Hexe
Die gibt es überall in Deutschland und eigentlich jeder größeren Stadt, mindestens eins. In der Regel gibt es dort eigentlich auch immer die Tischler:innenausbildung, aber es ist halt offiziell eine Ausbildungsstätte für Menschen mit Behinderungen. Und Ich habe mich schon dann erst mal eine Weile gefragt: „Okay, was heißt denn das eigentlich? Also was ist eigentlich..." ganz blöd gesagt, habe ich mich gefragt: „Habe ich das Recht da drauf, dort die Ausbildung zu machen? Also kann ich von mir selber sagen, ich bin ein Mensch mit Behinderung, weil ich dieses Trauma habe?" Genau, und bin dann für mich zu dem Schluss gekommen: „Okay, wenn das so ist, dann kann ich da die Ausbildung machen und dann bin ich safe." Und jetzt bin ich dort im dritten Lehrjahr. Also ich bin dort jetzt seit knapp über einem Jahr und ich muss leider sagen, es ist noch viel schlimmer, als es vorher jemals war. Also es ist auf unterschiedlichsten Ebenen Machtmissbrauch dort absolut vorprogrammiert, weil es relativ abgeschlossene Systeme sind in sich. Es gibt normalerweise die Trennung, also in „normalen", in Anführungsstrichen, handwerklichen Ausbildungen, die Trennung zwischen dem Betrieb und der Berufsschule. Das heißt, ich habe in den Berufsschulen häufig noch so was wie Vertrauenslehrerinnen, die ich ansprechen kann, wenn was im Betrieb beschissen läuft. Oder ich habe den Betrieb, wo ich vielleicht mit meinem Ausbilder darüber sprechen kann, warum die Schule gerade schwierig ist. Und diese Berufsbildungswerke haben meistens beides in einem integriert. Das heißt, es sind relativ abgeschlossene Systeme, wo es keine wirkliche Kontrolle von außen gibt. Also unsere Ausbilder haben in der Regel bestimmte Fortbildungen. Ich merke aber, dass es im konkreten Handeln und in der konkreten Arbeit nicht stattfindet, irgendeine Form von Bewusstsein. Ich möchte, fair zu bleiben, sagen, das Berufsbildungswerk hat für mich auch einige Vorteile. Also Es gibt zum Beispiel eine andere Regelung, was Krankentage angeht. Das heißt, es gibt ein größeres Verständnis dafür, wenn man gerade mit psychischen Dingen, aber auch teilweise körperlichen Dingen, dort die Ausbildung macht, dass man mehr Krankheitstage haben darf und trotzdem die Abschlussprüfung mitmachen darf. Ich darf meinen Begleithund mitnehmen, der für mich essentiell ist, jetzt gerade auch in dieser Ausbildung, weil ich halt weiß, dass er im Notfall bestimmte Dinge macht.
[00:13:52.750] - Nadia Kailouli
Möchtest du Hexe vielleicht einmal aufklären, weil viele ZuhörerInnen jetzt vielleicht gar nicht wissen: „Hey, was hat Hexe denn?" Möchtest du einmal da für Aufklärung sorgen? Es steht dir zu, das zu sagen oder nicht. Ich weiß es, aber …
[00:14:04.270] - Hexe
Genau, ich habe mehrere Diagnosen in Anführungsstrichen. Ich habe eine postraumatische Belastungsstörung. Ich bin Autistin und hochsensibel und sogenannt hochbegabt. Ich finde es immer schwierig, diesen Begriff zu verwenden, weil Leute, glaube ich, oft ein anderes Bild haben, was das ist. Aber in meinem Fall bedeutet es einfach: Mein Kopf kriegt unfassbar viele Daten von außen, alle ins Bewusstsein, die ich alle verarbeiten muss, mit denen ich allen umgehen muss. Und ich würde sagen, die besondere Schwierigkeit dadurch im Handwerk ist, dass ich diese ganzen Kommentare, Blicke, diese ganzen Details, die vielleicht für viele Menschen eher so sind wie „Ach, ist egal", sind für mich alle die permanent in meinem Bewusstsein und ich muss mit denen allen umgehen. Und das heißt, dass ich einfach zum Teil schneller voll bin. Also meine Herausforderung ist nicht das Handwerkliche, das Fachliche, auch nicht das Körperliche. Ich habe inzwischen auch da irgendwie im Berufsbildungswerk eine sehr gute Begleitung, aber es geht um das Soziale. Und diese Berufsbildungswerke sind die Sammelbecken eigentlich für alle Menschen, die nicht in anderen Betrieben unterkommen. Und das heißt, ich sitze zum Beispiel in einer Klasse mit Menschen, die wegen Gewaltverbrechen im Knast saßen und die sich rassistisch und sexistisch äußern. Und es gibt kein Bewusstsein, keinen bewussten Umgang, meiner Meinung nach, der Ausbilder mit diesem Raum. Was bedeutet das, wenn wir Täter und Betroffene von Gewalt in einem Raum haben? Und die machen dort beide ihre Ausbildung. Und ich finde es total wichtig, dass Menschen, nachdem sie, ich sage jetzt mal etwas salopp Scheiße gebaut haben, eine Möglichkeit haben, wieder einen Weg in die Gesellschaft zu finden. Also das sage ich wirklich und das sage ich selber als Betroffene von Gewalt. Aber ich finde es trotzdem krass fahrlässig, einen Ort zu schaffen, an dem die Ausbilder, also ich sage jetzt mal in Anführungsstrichen, „nicht mal" ein Bewusstsein dafür haben, was es bedeutet, als FLINTA*-Person eine handwerkliche Ausbildung zu machen und darüber hinaus dann noch einen Raum halten müssen eigentlich, wo es eben Täter und Betroffene in einem Raum gibt und beide wollen dort ihre Ausbildung machen. Also wir haben da schon viel auch drüber gesprochen, Emilia und ich, im Vorhinein. Das Ding ist, dass das Handwerk Arbeitsräume schafft, in denen sich offensichtlich Menschen, vor allem Männer, sicher genug fühlen, sich so zu verhalten, weil es keine Konsequenzen hat. Wir haben bei uns in einer anderen Sparte einen Ausbilder, der mit einer Auszubildenden offen eine Liebesbeziehung führt. Offen. Die laufen händchenhaltend übers Gelände und es hat keine Konsequenz. Es gibt Ausbilder, die in der regulären Ausbildung auch in einem anderen Bereich nicht mehr eingesetzt werden dürfen, weil es zu oft Vorfälle gab mit Auszubildenden. Die machen jetzt in Anführungsstrichen „nur noch" Sonderaufgaben, also spezielle Ausbildungen, aber sie sind immer noch da. Wir hatten bis vor wenigen Wochen kein Gewaltschutzkonzept am Berufsbildungswerk. Das heißt, es gab keinen institutionalisierten Umgang damit, was passiert, wenn sich jemand gewalttätig gegenüber einer anderen Person benimmt, egal ob es ein Ausbilder ist jemand aus der Verwaltung, ein Mit-Azubi, was auch immer. Es gab keinen Rahmen dafür. Und das, was zu mir in solchen Fällen dann immer gesagt wurde, wenn ich gesagt habe: „Hey, das und das ist passiert", ist, „tut uns leid, da können wir nichts machen."
[00:17:13.600] - Nadia Kailouli
Jetzt habt ihr beide eure erste Ausbildung abgebrochen, weil ihr euch in einem Umfeld bewegt habt, wo ihr euch als Frauen in dieser männlich dominierten Welt, wie sie ist, mit Chef-Erfahrung und und und, nicht wohlgefühlt habt? Oder warum habt ihr gesagt: „So, wir brechen jetzt hier ab", aber wir verlassen das Handwerk nicht, weil ihr seid ja beide zurück ins Handwerk gegangen. Könnt ihr mal erklären, Emilia, was da los war?
[00:17:33.460] - Emilia
Ja, ich beschreibe es eigentlich eher mittlerweile lieber, als ich habe das erfolgreich abgebrochen, weil das ein ganz schön langer Prozess war. Ich habe mich da bestimmt ein Jahr lang durchgequält. Also ich habe anderthalb Jahre diese Ausbildung gemacht, habe sehr schnell gemerkt, dass ich mich unwohl fühle, obwohl ich das Feedback bekommen habe, dass ich Sachen gut mache, dass ich handwerklich das hinbekomme. Aber ich finde das schwierig, darüber zu reden. Es macht mich auch emotional teilweise, weil ich den Eindruck bekomme, dass ich das nicht geschafft habe oder zu sensibel war oder andere Sachen, die irgendwie negativ konnotiert sind, auch mit Weiblichkeit assoziiert, dass ich das nicht schaffen konnte, nicht hart genug war für den Umgang oder so: „Ja, wir reden halt so miteinander."
[00:18:20.360] - Nadia Kailouli
Aber das war schon eine Geschlechtserfahrung, würdest du sagen? Also so, wie man dir begegnet ist. Du hast jetzt nicht gemerkt: „So wie sie mit mir umgehen, als junger Mensch, der der jetzt in der Ausbildung ist, so gehen sie auch mit meinem Kollegen Gustav um." Sondern das hast du gespürt, weil du gesagt hast: „Weil ich die Emilia bin und nicht, weil ich ein Typ bin. Deswegen wird mir hier so vermittelt: 'Hey, du musst jetzt hier extra noch mal klarkommen, extra beweisen, dass du das Gleiche schaffst als Frau, was wir Typen hier schaffen'"?
[00:18:49.420] - Emilia
Ja, auf jeden Fall. Mir wurde wenig zugetraut. Das ist ganz klar. Ich möchte betonen, dass eine Ausbildung für viele, auch für Männer, schwer sein kann. Der Druck ist immer da. Es wird viel auf die Auszubildenden abgeladen und selbst wenn man nicht in der Ausbildung ist, es gibt eine ganz klare Hierarchie. Wenn man Leiharbeiter zum Beispiel ist oder nicht so gut Deutsch spricht. Alle Ismen sind eigentlich ein Problem im Handwerk, würde ich behaupten. Da habe ich Rassismus auch mitbekommen, also um mich herum. Es ist nicht so, dass ich die Einzige war, die da belastet war. Viele, alle, ich denke, alle würden davon profitieren, wenn sich da was ändert. Aber meine Erfahrung war dann halt insbesondere sexuelle Belästigung, dass ich nach der Arbeit teilweise angerufen wurde, von anderen Leuten gefragt wurde, wann wir endlich mal miteinander ausgehen würden. Das sind Sachen, die passieren regelmäßig und ich würde nicht sagen, dass es Freundinnen von mir nicht passieren würde, das ist anscheinend gang und gäbe. Und dann erzählen Kollegen einfach frei und offen, eine Bekannte von uns hat uns das im Vorgespräch erzählt. Bei ihr war das so, dass einer dafür bekannt war in ihrer Firma, dass er Kundinnen belästigt hat und nach der Arbeit noch mal zu denen gefahren ist, denen Briefe geschrieben hat oder vor Ort. Und der hat da frei auch drüber erzählt und er hat, glaube ich, gar kein Bewusstsein dafür gehabt, weil sonst würde er es ja nicht erzählen, dass er übergriffig ist: „Das geht ja gar nicht, wenn die mit Jogginghosen schon in der Wohnung rumlaufen, dann ist es ja vorprogrammiert. Warum hat sie das dann gemacht?" Also ich weiß nicht.
[00:20:12.470] - Nadia Kailouli
Also es findet überhaupt gar keine Sensibilisierung auf unternehmerischer Seite, was die Geschäftsführung, den Chef oder so was betrifft, zu sagen, das ist hier ein Ort, ein Arbeitsort, wie du jetzt schon gesagt hast, Hexe. Hier gibt es Standards, die einzuhalten sind. Es gibt gar keine Prävention oder gar keine Sichtbarkeit dafür, dass Übergriffe, Diskriminierung, Sexualisierung und so, dass das eigentlich nicht stattfinden soll, vor allem nicht am Arbeitsplatz. Das große Problem sind ja die Chefs, die sich denken: „Naja, jeder soll, wie er will und jeder darf sagen, wie er will und jeder darf Sprüche machen und so", während ja viele Unternehmen, kleine Firmen, große Firmen, ich weiß nicht, in anderen Branchen mittlerweile, nicht alle, aber eine Sensibilisierung dafür bekommen: Hey, eine Beziehung am Arbeitsplatz, das ist nicht einfach okay, sondern da muss man drüber sprechen, da muss man gucken oder Sprüche, wie: „Wollen wir mal ausgehen?", sind eigentlich auch nicht okay. Und du solltest ja eigentlich dich sicher fühlen, dann zum Chef zu gehen und zu sagen: „Ich möchte mit dem nicht ausgehen. Ich möchte aber morgen wieder gerne in die Arbeit kommen."
[00:21:14.300] - Emilia
Ja.
[00:21:14.800] - Hexe
Genau, ich glaube, da sind halt mehrere Aspekte jetzt drin. Also ich glaube, das eine, was ich schon auch wichtig finde bei dem, was du gerade erzählt hast, Emilia, ist halt diese … Also ich habe auch eine Freundin, die einen Tischler bei sich in der Wohnung hatte, in der Mietwohnung, und sie hat ihn im Endeffekt angezeigt, weil er sich so übergriffig verhalten hat. Das heißt, es geht von der Ausbildung von den Azubis selber über dann im Arbeitsleben, den Umgang miteinander bis hin zu, wie ist die Arbeit mit Kundinnen und Kunden? Also was ich interessant finde, ist, dass es im Handwerk auch aus gutem Grund sehr viele Vorschriften gibt, was Arbeitssicherheit angeht, solange es handwerkliche Dinge betrifft.
[00:21:53.040] - Nadia Kailouli
Die Schuhe zum Beispiel, die Handschuhe, der Helm.
[00:21:56.510] - Hexe
Genau, es gibt die persönliche Sicherheitsausrüstung, die PSA. Das heißt, wir müssen immer Stahlkappe tragen, im Umgang mit bestimmten Stoffen müssen Masken getragen werden und so weiter und so fort. Die nächste Frage ist: Wird das gemacht? Und ich glaube, man kann kurz zusammenfassen: In vielen Betrieben wird das nicht gemacht. Und es geht natürlich auch viel um die Arbeit mit Maschinen. Also das heißt, wenn ich an der Säge stehe, bei der ich mir sozusagen, wenn ich eine halbe Sekunde nicht aufpasse, die Hand absägen kann, dann ist es halt einfach sau wichtig, dass ich darauf achte, dass ich geschult werde. Deswegen gibt es Maschinenschulungen. Es gibt die Berufsgenossenschaft, die - theoretisch zumindest - immer bei Betrieben vorbeikommen kann Von jetzt auf gleich und überprüft, werden die Sachen alle eingehalten. Aber es gibt halt von der Berufsgenossenschaft nicht ein einziges Kriterium, was psychische Gefährdungen angeht. Das heißt, dieser Sicherheitsbegriff im Handwerk besteht nur auf einer rein körperlichen Ebene und auch da nur durch die Gefahr von Maschinen, nicht die Gefahr, die vielleicht irgendwie unter Kolleginnen oder Azubis von Meister, Azubi ausgeht oder so. Also dieser Aspekt von Sicherheit wird überhaupt nicht gesehen. Der spielt einfach überhaupt gar keine Rolle.
[00:23:03.310] - Nadia Kailouli
Und zwar nicht nur für jeden Betrieb an sich, sondern eben auch in der Ausbildungsstruktur. Da geht es ja auch drum. Eine Ausbildung ist ja festgeschrieben, welche Lehrinhalte kommen darin vor und und und. Und dieses Thema ist ja gar kein Thema Also es wäre ja eigentlich total gut, in der Ausbildung schon mal zu lernen, man ist ja sozusagen im Betrieb und dann ist man ja auch in der Berufsschule, dass spätestens da vielleicht mal eine Lehrkraft irgendwie sensibilisiert, gerade in dem Bereich: „Hier gibt es mehr Männer als Frauen. Die und die Punkte sind aber für euch wichtig. Keine Diskriminierung. Wenn die Frau zum Beispiel sagt: 'Kannst du mir mal helfen?' Weil das wirklich jetzt gerade schwer ist, dann tut sie das nicht, weil sie eine Frau ist und schwach ist, sondern weil es halt einfach für jeden gerade schwer ist. Nutzt es nicht aus, macht keine Sprüche." Das wäre ja schon mal der erste Weg, zu sagen, wir verankern die Sensibilisierung der Geschlechterdiskriminierung irgendwie in die Lehre. Jetzt seid ihr ja beide auch Teil des Ausbildernetzwerkes, wo es ja darum geht, auch ein bisschen Sensibilisierung zu schaffen, richtig?
[00:23:57.980] - Hexe
Genau. Azubi Netzwerk, nicht Ausbilder.
[00:24:00.000] - Nadia Kailouli
Azubi Netzwerk, genau.
[00:24:00.820] - Hexe
Es geht eben nicht um die Ausbilder, sondern es geht darum, dass wir als Azubis uns vernetzen. Wir müssen, glaube ich, dazu sagen, wir sind beide erst vor kurzem haben wir überhaupt vom Azubi Netzwerk gehört. Genau, ich kann vielleicht kurz ein paar Worte dazu sagen. Das Azubi Netzwerk hat sich vor ich glaube, zwei oder drei Jahren auf dem sogenannten Tischler*innen Treffen gegründet. Das ist ein bundesweites Treffen, was nur für FLINTA*s ist, größtenteils aus Holzgewerken, aber theoretisch kann auch zum Beispiel jede Person, die Interesse hat an einer Tischler:innenausbildung, dort auch hinkommen. Es findet einmal im Jahr statt und dort gab es eben den Austausch und mehrere Menschen haben gemerkt: „Okay, guck mal, wir sind alle, wenn wir uns selber sehen und unsere Schicksale alleine, dann sind wir alles Einzelfälle, aber wenn man das Strukturelle dahinter sieht, dann sind es doch sehr viel mehr." Das heißt, dann hat sich dieses Azubi Netzwerk gegründet, was jetzt auch ein eingetragener Verein ist und was halt eben versucht Azubis inzwischen auch wirklich aller Gewerke, also egal ob ich jetzt Friseurin lerne, ob ich Konditormeister bin oder was auch immer oder Auszubildender, dort eben Unterstützung zu bekommen auf eine unterschiedliche Art und Weise. Ich habe das jetzt schon ein paar Mal in Anspruch genommen und jetzt selber gesagt: „Okay, diese Arbeit dort ist so cool und so wichtig. Ich würde das gerne auch selber dann sozusagen mit unterstützen, aktiv, und nicht nur durch eine Person, die davon profitiert." Und das ist auch offen für alle Geschlechter. Also das ist ja auch das, was Emilia meinte, alle Menschen, egal welches Geschlecht, leiden unter diesen Strukturen im Handwerk. Das heißt, dementsprechend können sich natürlich auch alle Menschen aller Geschlechter, aller Religion, was auch immer, dorthin wenden und sie werden dort halt eben ernst genommen. Und ich glaube, das ist der große Unterschied, muss man leider so sagen, zu auf jeden Fall den allermeisten Handwerkskammern, weil … Also blöd gesagt: Wenn die Handwerkskammern ihre Jobs gut machen würden, dann bräuchte es das Azubi Netzwerk nicht. Aber leider machen die Handwerkskammern ihre Jobs in vielen Fällen nicht.
[00:25:47.940] - Nadia Kailouli
Wie würden sie denn den Job gut machen? Also was bräuchte die Handwerkskammer, damit ihr als Auszubildende euch in diesen Handwerksbetrieben gut fühlt? Was bräuchte es da eurer Meinung nach?
[00:25:59.580] - Emilia
Also ich habe auch vor kurzem erst das erste Mal vom Azubihilfe Netzwerk gehört und habe mich bei meinem Ausbildungsabbruch damals an die Handwerkskammer gewendet und habe sehr, sehr lange probiert, einen anderen Betrieb zu finden, in dem ich mich vielleicht wohler fühlen könnte. Und ich war erst mal froh und es hat mich auch selbstwirksamer fühlen lassen, dass es überhaupt eine Möglichkeit gab, mich daran zu wenden. Das ist auch nicht so alt. Es ist eher eine Neuerung, dass man sich bei den Handwerkskammern Hilfe suchen kann. Und die haben mir dann geholfen, einen neuen Betrieb zu finden. Und ich fand das sehr absurd, weil die mir dann Betriebe vorgeschlagen haben, wo andere Auszubildende aufgehört haben. Und ich kannte dann teilweise die Betriebe aus den Erzählungen von den anderen Auszubildenden. Ich kannte eine, die hat da aufgehört aus ganz bestimmten Gründen. Es war genau die Belastungssituation, aus der ich eigentlich raus wollte. Der Ausbilder war auch zusätzlich noch sehr cholerisch, hat die angeschrien, hat ab und an mal was herum geworfen oder so. Und sie wollte da raus, hat da aufgehört und der hat dann einen neuen Auszubildenden eine neue Auszubildende gesucht. Und das wurde mir dann wieder vorgeschlagen, weil die haben ja gesucht und ich habe auch gesucht. Aber so richtig sinnvoll hat sich es nicht angefühlt. Und in Berlin gibt es halt eine Handvoll Betriebe, muss ich auch wieder sagen, von denen man weiß, die bilden sehr, sehr gut aus und sind irgendwie für FLINTA*-Personen eine gute Anlaufstelle. Und da bewerben sich natürlich wahnsinnig viele drauf. Deswegen, ich verstehe schon die Schwierigkeit dann einen neuen Betrieb zu finden, vor allem mitten in der Ausbildung. Aber ja, so richtig sinnvoll oder verständlich war die Maßnahme für mich nicht.
[00:27:36.150] - Nadia Kailouli
Jetzt hast du Emilia ja ganz toll erzählt und ich finde das ja, wie gesagt, so mutig. Du gehst da hin zur Handwerkskammer und sagst: „Hey, ich fühle mich da nicht wohl. Ich möchte woanders hin", und so. Diesen Mut muss man ja auch erst mal aufbringen, weil man macht sich da ja so sichtbar und so. Aber gibt es auch eine Stelle, für die, die dich jetzt hören und sagen: „Ich will das auch, aber ich traue mich nicht, weil eigentlich gehört der Betrieb, keine Ahnung, meinem Onkel?"
[00:27:57.720] - Emilia
Das ist eine große Schwierigkeit, dass es in den Betrieben, das sind oft kleine und Mittelbetriebe, gibt es meistens niemanden, an den man sich wenden kann. Es gibt keine Art Betriebsrat oder so, wie vielleicht in größeren Firmen. Und generell weiß man sowieso immer, wer „der die Nestbeschmutzerin" ist oder von wem die Kritik kommt. Und dann, wenn man sich an die Handwerkskammer wendet, kann man nicht anonym bleiben und etwas anzeigen. Das ist anders bei zum Beispiel dem Azubihilfe Netzwerk. Allerdings können die sich auch nicht an die Handwerkskammer wenden - oder noch nicht, daran wird gearbeitet - können die sich auch nicht an die Handwerkskammer wenden und da anonym Sachen anklagen. Dann wird immer gefragt: „Okay, wer sind denn genau die Auszubildenden?" Ich glaube, vielleicht ist es ein Problem, weil die Betriebe so klein sind.
[00:28:46.570] - Nadia Kailouli
Aber eigentlich bräuchte es sozusagen eine Meldestelle, eine Anonyme, die da bei der Handwerkskammer ankommt, damit man weiß: „Oh, komisch. Jetzt haben wir von dem Betrieb XY schon mehrmals einen Hinweis bekommen, dass man da, weiß ich nicht, beleidigt wird oder angegrapscht wird oder so. Wir müssen da mal eine Prüfung vornehmen oder wir müssen da mal hin." Ohne dass man sagt: „Das war eine Frau, das war ein Mann, das war jung, das war alt", egal, sondern dass man einfach eine anonyme Meldestelle hat.
[00:29:15.460] - Emilia
Das wäre wahnsinnig toll, weil man, wie gesagt, sehr abhängig von seinem Ausbilder, seiner Ausbilderin ist oder generell von der Firma, in der man landet. Und ich muss sagen, jetzt habe ich sehr viel Glück gehabt und bin in einer Schule gelandet, wo ich mich sehr wohlfühle und da möchte ich auch noch mal kurz Werbung machen fürs Handwerk: Leute, geht trotzdem ins Handwerk. Es ist toll, ist ein toller Beruf, trotz der ganzen Probleme. Wir wollen mehr FLINTA*-Personen. Wir wollen generell mehr junge, woke Menschen im Handwerk.
[00:29:42.680] - Nadia Kailouli
Das große Problem ist ja, dass die Handwerkskammer ja dann eigentlich, wenn wir jetzt diesen Vorwurf mal so aus der Erfahrung von euch jetzt mal erheben dürfen, dass die sich nicht damit auseinandersetzt, die Chefs an den Tisch zu holen und zu sagen: „Leute, ihr habt hier eine Verantwortung für junge Menschen. Ihr müsst eure Art, eure Betriebsklima, eure Strukturen dahingehend ändern, dass sich junge Menschen hier wohlfühlen, um hier ihre Ausbildung zu machen." Weil wir haben – und das muss man ja auch mal sagen – ein scheiß Problem in Deutschland. Wir haben einen wahnsinnigen Mangel. Und wenn der Mangel bedeutet, dass vor allem Frauen sagen: „Ich möchte diesen Job aber nicht lernen, auch wenn er mir Spaß macht, weil diese Arbeitsatmosphäre wirklich scheiße ist." Dann ist nicht das Problem, dass wir nicht Leute haben, die es machen können, sondern dass wir ein Problem haben, die sich nicht darum kümmern, dass Leute das auch gerne machen und safe machen können. Das ist ja ein Riesenproblem. Aber was könnt ihr sagen, was kann man da machen? Weil ich habe jetzt hier zwei Frauen sitzen, die zwar noch mal eine neue Ausbildung anfangen, aber wenn ich so ehrlich bin, ihr wirkt jetzt nicht so auf mich, als würde der Job wahnsinnig bocken. Und zwar nicht wegen dem Handwerk, sondern weil ihr einfach keinen Bock auf dieses System habt.
[00:30:46.360] - Hexe
Also ich glaube, das, was dann viel passiert, was mir jetzt auch so auf dem Tischler*innentreffen klar geworden ist, dass … Also es gibt die Menschen, die abbrechen, bevor sie die Ausbildung beendet haben. Und man kann dann irgendwie die Statistiken sich angucken dazu, sozusagen, wie viele das sind, Aber ich glaube, was man ja verstehen muss, und das ist das, was, glaube ich, Emilia eben auch meint oder was du dann gerade noch mal so angesprochen hast, ist dieses: Was bedeutet denn das dann für die einzelnen Personen, alle, die alle abgebrochen haben? Jeder einzelne Person, da sitzt dann wahrscheinlich irgendjemand zu Hause und sagt: „Scheiße, ich habe es nicht geschafft. Ich war nicht stark genug. Ich habe es nicht durchgehalten. Ich war zu doof, keine Ahnung was." Also nimmt sich vielleicht das auch noch zu Herzen, was einem ein Jahr lang oder wie lange auch immer eingeredet wurde. Ich glaube, der nächste Aspekt ist, dass die Handwerkskammern, also es gibt nach wie vor in Deutschland die sogenannten eine Meisterpflicht. Das heißt, wenn ich einen Betrieb eröffnen will und den offiziell Tischlerei nenne, muss ich einen Meister, Meisterinnen-Titel haben. Und der Meister ist verpflichtend, ausbilden zu dürfen. Das heißt, ich kann nicht, wenn ich sozusagen jetzt meinen Abschluss als Gesellin mache, in hoffentlich einem Jahr, kann ich nicht einfach selber dann ausbilden, sondern ich muss dann auch noch einen Meisterinnen-Titel machen, der mich Geld kostet. Es gibt da inzwischen ganz gute Förderungen auch, weil man halt eben erkannt hat: „Hey, wo ist der Nachwuchs?", sozusagen. Aber das Ding ist einfach, dass super viele FLINTA*-Personen, entweder die Ausbildung direkt abbrechen, schon während sie es machen, oder nach Ende der Ausbildung sagen: „Boah, ich habe keinen Bock mehr, weiterhin im Handwerk zu bleiben. Ich gehe jetzt studieren oder mache irgendwas anderes." Oder – und das sind, glaube ich, dann auch… Also wenn man als FLINTA*-Person da weiterarbeitet, würde ich sagen, war mein Eindruck auf dem Tischler*innentreffen, dass der Großteil der Menschen dann selbständig wird und sagt: „Okay, aber theoretisch, um eine Tischlerei zu haben, muss ich den Meisterin-Titel haben." Der nächste Punkt ist, dass die Ausbildung sozusagen … Also es gibt diesen sogenannten Ausbildereignungsschein, den der ist Teil dieser Meisterprüfung, die ich machen muss, um Menschen auszubilden. Der Ausbildereignungsschein nimmt von den kompletten zwei Ausbildungsjahren zum Meister zwei Wochen ein. Das heißt, in Deutschland werden Menschen zwei Wochen ausgebildet, um dann den Rest ihrer beruflichen Zeit junge Leute ausbilden zu dürfen. Und es gibt nie wieder eine Nachprüfung. Es gibt keine Überprüfung. Es gibt eben die BG, die überprüft: Halten wir uns an irgendwelchen Maschinenstandards? Aber es gibt niemanden, der da hingeht und sagt: „Ist dieser Mensch überhaupt noch als Ausbilder geeignet?" Und wie du sagst, das heißt, die Handwerkskammer bekommt mit: „Okay, da bricht ein Azubi ab." Und vielleicht kriegen sie sogar mit: „Der Azubi bricht ab, weil der Chef ist ein Choleriker und keine Ahnung was." Und dann sagt die Handwerkskammer: „Ist doch super, hier hat auch gerade jemand abgebrochen, dann kann die Person jetzt dahin wechseln." Also das heißt, dieses ganze System ist vorprogrammiert für Machtmissbrauch und die weitere Existenz dieses Machtmissbrauchs. Auch dieser Ausbildereignungsschein ist, es gibt keinen Abschnitt davon, wo es darum geht, wie können wir zum Beispiel mit unsicheren Azubis umgehen? Wie können wir die irgendwie gut supporten, dass wir die nicht weiter unter Druck setzen und sagen: „Mann, jetzt stell dich mal nicht so an!" oder „Jetzt mach mal hin!" oder so, sondern: Wie kann ich diesem jungen Menschen das Gefühl geben, „Hey, du bist unsicher, aber du machst das gut, du bist da auf einem Weg"? Und natürlich ist es manchmal wichtig, laut zu sein oder sozusagen sehr deutlich zu machen, zu sagen: „Mach auf gar keinen Fall diesen Fehler, weil das ist wirklich gefährlich." Aber es geht ja auch viel um diese Frage von – und das glaube ich gerade bei FLINTA*-Personen – ich habe zehn Jahre gebraucht, den Mut aufzubringen, mich für ein Praktikum in einer Tischlerei zu bewerben. Nur,um mich für ein Praktikum zu bewerben, weil ich die ganze Zeit dachte: „Ich kann das ja nicht und ich als Frau und ich habe ja keine Vorerfahrung und so." Und wenn ich dann auch noch einen Ausbilder habe, der gar kein Bewusstsein dafür hat, was das bedeutet für mich, jetzt in diesem Beruf, in dieser Ausbildung zu stecken und der seine einzige pädagogische Fachkenntnis, auch minderjährige Menschen auszubilden, waren zwei Wochen – also zwei Wochen Ausbildereignungsschein.
[00:34:28.360] - Nadia Kailouli
Jetzt muss man ja sagen, ihr beide seid ja keine 16 mehr, ihr seid Mitte 20 und Mitte 30, aber man beginnt ja oft die Ausbildung eben mit, keine Ahnung, 16, 17. Das ist ja dann noch schwieriger für die.
[00:34:40.380] - Hexe
Genau, ich glaube, das ist eben der Punkt. Ich glaube, der Grund, weshalb wir beide hier jetzt sitzen, hat ganz viel damit zu tun. Also ich hätte selber mit 16 sowieso nicht, aber ich glaube, vielleicht noch nicht mal in Emilias Alter, die Selbstsicherheit gehabt, zu sagen: „Hey, ich glaube, hier läuft irgendwas schief und ich glaube, das liegt nicht an mir." Und ich glaube, dieses Bewusstsein dafür, wenn man 16, 17, 18 Jahre alt ist, auch als junger Mann, auch geschlechtsübergreifend zu sagen: „Stimmt hier was vielleicht nicht? Und das liegt vielleicht nicht an mir?" Dieses Bewusstsein oder „Hey, hier stimmen Dinge definitiv nicht. Und egal, ob alle sagen, es ist richtig, es fühlt sich trotzdem nicht richtig an." Dieses Selbstwertgefühl, dieses Selbstbewusstsein zu haben, das ist, glaube ich, einfach blöd gesagt, umso jünger man ist, desto weniger ist es vorhanden. Und ich glaube, deswegen gibt es einen Grund, warum wir hier sitzen. Nicht, weil wir nicht gerne anderen 16-jährigen Azubis unseren Platz gegeben hätten, aber ich glaube, in dem Alter ist man einfach noch gar nicht an dem Punkt, wo man in der Lage ist, häufig diesen Machtmissbrauch und so zu erkennen.
[00:35:34.300] - Nadia Kailouli
Umso wichtiger ist es dann, dass es Orte gibt, wo man sich hinwenden kann und wenn nicht die Azubis selbst, weil sie sehr jung sind. Uns hören ja auch sehr viele Eltern. Und liebe Eltern, vielleicht denkt immer darüber nach, wenn eure Kinder zu Hause rumsitzen und irgendwie denken: „Ich weiß nicht hier und das." Vielleicht unterstützt ihr mal als Erwachsene und guckt euch mal an und lauft ihr mal zur Handwerkskammer und sagt: „Ich möchte, dass mein Kind mit Freude zur Ausbildung geht und da müssen sie jetzt mal was tun, dass sich das hier verbessert."
[00:36:02.160] - Hexe
Das wäre super. Ja.
[00:36:03.340] - Nadia Kailouli
Es gibt diesen Spruch: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre."
[00:36:06.310] - Emilia
Oft gehört.
[00:36:07.380] - Nadia Kailouli
Oft gehört?
[00:36:08.240] - Hexe
„Arbeit ist die wärmste Jacke", ist auch so ein guter Spruch. Ja, genau.
[00:36:11.690] - Nadia Kailouli
Und wie reagiert man dann da drauf, wenn du sagst: „Oft gehört", „Lehrjahre sind keine Herrenjahre", als junge Frau?
[00:36:18.170] - Emilia
Ich finde es absurd, dass das Handwerk so doll… Also es ist traditionsgeprägt, ja, aber darauf wird sich ausgeruht. Sachen werden hingenommen, als „Ja, das ist Tradition." Wir hatten das Beispiel von, es gibt ja eine Freisprechung am Ende. Also wenn man fertig mit seiner Ausbildung ist, die sogenannte Freisprechung, damals aus dem Mittelalter, dass man quasi kein Leibeigener jetzt mehr seines Meisters ist, sondern eigenständig arbeiten darf. Und ich glaube, bei den Steinmetz:innen kriegen die da traditionell einen Klaps auf den Po, wenn sie fertig sind mit ihrer Ausbildung. Also das wird bei den Männern und bei den Frauen so sein, gehe ich von aus. Trotzdem, das ist halt eine sogenannte Tradition. Und wenn man sich das vorstellen würde bei einem Studium, wenn man das abgeschlossen hat oder sein Bachelorzeugnis überreich bekommt und dann gibt der Professor einem einen Klaps auf dem Po, dann scheint das total absurd zu sein. Aber beim Handwerk ist das nicht absurd. Es wird einfach so hingenommen und ich finde auch unter dem Deckmantel von Tradition manchmal, dass „Lehrjahre sind keine Herrenjahre", ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass einfach davon ausgegangen wird, die Ausbildung muss hart sein. Und es gibt auch Ausbilder, die genau das so weitergeben. Sie denken, die müssen einem das Leben zur Hölle machen, weil sie haben das ja auch so gelernt und nur dann kommt man klar, man lernt fürs Leben, keine Ahnung. Also das ist der Umgangston, mit dem man auskommen muss.
[00:37:42.540] - Nadia Kailouli
Aber ich finde, im Vergleich mit der Hochschule der Universität und dem Handwerksbetrieb so gut, weil da ist mittlerweile klar, ich meine, da lief auch viel schief. Also die Hierarchien, Machtmissbrauch, Prof, Studi und so. Aber de facto, wenn du heute einem Studenten, einer Studentin ein Klaps auf den Po geben würdest oder sei es einfach ungefragt, eine Umarmung, dann bist du längste Zeit dort wahrscheinlich Prof gewesen. Und das ist ja eigentlich das, was wir hier die ganze Zeit besprechen. Wir haben so viele Orte, so viele Bereiche und wir sind noch lange nicht am Ende, wo wir darüber sprechen: „Okay, wie gehen wir mit einem sicheren Arbeitsplatz um, dass dort keine Übergriffe passieren, keine Diskriminierung und so weiter und so weiter." Und wir haben diesen Bereich, den Handwerksbereich, irgendwie ganz oft gar nicht auf dem Zettel. Und jetzt sprechen wir zum Beispiel über den cholerischen Chef, ja, das ist das eine, aber es fängt ja schon damit an, dass dann ein Playboy oder ein Pirelli-Kalender oder was weiß ich im Gemeinschaftsraum ist. Habt ihr das auch gesehen?
[00:38:41.490] - Emilia
Auf jeden Fall. Ja, ich glaube, das zweitgrößte Problem nach immer dem Toiletten-Thema sind überall diese Kalender. Das Erste, was immer aufkommt, ist entweder, wenn man keine Frau haben will: „Wir haben keine Toilette für Frauen", oder wenn die dann Frauen nehmen, dann ist trotzdem oft die Toilette das Thema. Und das zweite ist, dass überall diese Kalender hängen.
[00:39:00.000] - Nadia Kailouli
Also Kalender, wir sagen mal, wie es ist. Kalender mit nackten Frauen, oder?
[00:39:03.400] - Emilia
Ja, nackte Frauen, die Werkzeuge oder Arbeitskleidung bewerben, vielleicht. Oder ja, irgendwie noch eine Säge offiziell bewerben. Also es ist dann ein Werbekalender von Wirt oder Ähnlichem. Und bis letztes Jahr, glaube ich, gab es die auch noch bei Wirt zu kaufen und dann haben die halt eine Kettensäge oder was weiß ich, aber sonst nicht so viel an.
[00:39:22.240] - Nadia Kailouli
Also das ist auch etwas, das ihr selbst so gesehen habt?
[00:39:25.050] - Hexe
Ironischerweise haben sie vielleicht auch deswegen nicht so viel an, weil … Also ich habe auf jeden Fall, als ich vor vier Jahren versucht habe, eine kurze Arbeitshose für Frauen, also eine Zunfthose - das heißt, die mit den zwei Reißverschlüssen - zu finden, habe ich keine gefunden. Es gab keine. Also das ist jetzt ein zynischer Kommentar auf diese Nacktkalender, aber blöd gesagt, ja, die Handwerkerinnen…
[00:39:42.260] - Hexe
Es gibt keine Arbeitskleidung, ja.
[00:39:43.330] - Nadia Kailouli
Also keine Arbeitskleidung für den Sommer für Frauen?
[00:39:45.740] - Emilia
Nein, gar nicht. Es gibt keine Arbeitskleidung für Frauen oft. Also es gibt meistens zwei zur Auswahl und wenn dann eine nicht passt oder wenn ich hier in den Laden gehe, sind auch oft gar keine da. Da muss ich online auf jeden Fall bestellen. Da gibt es dann so ein, zwei. Und jetzt, es gibt auch ein paar von FLINTA*-Personen, gegründete, neue, die sind natürlich dann wahnsinnig teuer am Anfang und so. Da gibt es schon Leute, die in dem Bereich ein bisschen arbeiten, aber da gibt es auf jeden Fall auch große Lücken.
[00:40:10.220] - Hexe
Zum Beispiel bei uns am Berufsbildungswerk haben wir dieses Thema Arbeitskleidung seit Jahren, weil wir bekommen Arbeitshosen gestellt, die müssen wir aber auch andersherum tragen, wir dürfen keine anderen tragen. Und das sind aber alles Männermodelle und die gehen schon runter auf eine bestimmte Größe, sozusagen. Aber für Menschen, die zum Beispiel ein breiteres Becken haben, wird es dann teilweise schon schwierig. Das heißt, die haben dann eine Hose an, die die irgendwie acht Meter zu lang ist, damit es halt an der Hüfte passt. Oder ich habe zum Beispiel das Problem, wir haben eine Latzhose und eine Bundhose heißt die, also ohne Latz, und die Latzhose kann ich nicht tragen, weil der Latz ist nicht kürzer einstellbar für meinen Oberkörper. Das heißt, dann hängt mir die Hose so im Schritt und ich kann halt nicht vernünftig arbeiten. Und es gibt seit Jahren bei uns die Diskussion: „Können wir bitte einfach Arbeitskleidung haben, in der wir arbeiten können?" „Nein, haben wir ja schon immer so gemacht und es geht doch schon irgendwie und haben wir kein Geld dafür", oder was auch immer. Und wir haben auch gesagt: „Okay, dann gebt uns doch selber das Geld, sagt uns, was unser Budget ist und zur Not lege ich den Rest selber drauf, aber dann habe ich wenigstens eine Hose, die ich gerne trage und die mir passt." Nein, machen Sie nicht, weil es ist wichtiger, dass wir einheitlich nach außen erkennbar sind, als dass wir Kleidung tragen, in der wir gut arbeiten können.
[00:41:14.040] - Nadia Kailouli
Ich kann nichts sagen gerade, weil ich das so irre finde. Wirklich, ich finde das gerade so irre und mir geht gerade wieder so ein Fenster auf, weil ich mir denke: Ich weiß nicht, Leute, welche Folge ist das? 107 und ich weiß nicht was. Und wir haben schon über so viel geredet und jetzt sitzen hier zwei Frauen vor mir, die sagen: „Ich kriege hier noch nicht mal eine Hose, die mir passt." Verstehst du?
[00:41:35.260] - Hexe
Ja, im Jahr 2025. Wenn ich ins Fachgeschäft gehe, haben die meistens in meiner Größe keine Hosen da. Nicht eine einzige.
[00:41:42.180] - Nadia Kailouli
Es ist so absurd. Und wir haben so was … Also Nicht, dass ihr einen Mangel aufführen sollt, aber wenn man sich das vorstellt, da fragt man sich natürlich auch: Politik, wie beschränkt denkt man denn die ganze Zeit in dem Bereich?
[00:41:53.240] - Emilia
Ja.
[00:41:53.660] - Nadia Kailouli
Sich ins Ausland zu gehen, Werbung zu machen, Leute zu holen. Und was heißt Leute? Männer ja auch wieder für dann den Handwerksberuf. Und dabei gibt es ja Frauen, die haben Bock, aber die können nicht, weil sie scheiße behandelt werden, diskriminiert werden, keine Toilette haben und noch nicht mal die passende Arbeitskleidung finden. Das ist doch absurd.
[00:42:12.760] - Hexe
Oder auch die Maschinen. Also ich habe zum Beispiel das Ding an der Tischkreissäge, die sind eigentlich ein bisschen zu hoch für mich gebaut. Es gibt keine Möglichkeit, die weiter nach unten zu stellen. Das heißt, ich muss bei bestimmten Aufgaben mir andere Lösungen überlegen, wie ich Dinge säge, weil ich einfach sonst nicht rankomme. Das könnte man lösen, indem man Sägen zum Beispiel höhenverstellbar macht, sodass auch Menschen, die kleiner sind, daran arbeiten können. Also das ist tatsächlich auch für kleine Männer ein Problem, also für alle Geschlechter, die kleiner sind. Also da fängt das halt auch an, sozusagen. Also die durchschnittliche Arbeitshöhe, die wir bei der Planung annehmen, wenn wir Küchen bauen, ist immer Körpergröße 1,80. Das ist das, was wir annehmen, wenn wir uns darüber Gedanken machen, wie hoch soll die Küche werden. Ja, aber viele Menschen sind nicht 1,80, egal welches Geschlecht. Wird nicht beachtet.
[00:42:56.920] - Nadia Kailouli
Und ich finde das gut. Jetzt brechen wir auch mal die Geschlechtergrenze. Also ein Klaps auf dem Po zum Beispiel nach Ausbildungsende. Also ich habe Freunde, ich glaube nicht, dass die das wollen. So, Männer jetzt. Also das ist jetzt auch jetzt mal geschlechtsübergreifend, einfach mal zu sagen: Hey, da ist echt noch viel zu tun, und zwar sowohl von der Instanz, ja, auch in den kleinen Betrieb hinein, als auch in der Vermittlung der Lehre. Wie gehen wir eigentlich hier in diesem Berufsspektrum miteinander um, dass das ein Ort ist für alle Geschlechter und alle Identitäten, dass man sich hier wohlfühlt und seinen Job gut macht. Hexe und Emilia, ich sage vielen Dank. Ich glaube, wir könnten noch stundenlang weiterreden über dieses Thema. Vielleicht machen wir das irgendwann noch mal. Aber ich glaube, jetzt habt ihr uns ganz, ganz viel mitgegeben, stellvertretend für einige. Es ist ja nicht so, dass ihr zwei jetzt so die Einzelfälle, wie man so schön sagt, sind, die irgendwas erfahren habt, sondern ihr habt Austausch mit vielen, sowohl aus diesem Netzwerk als auch aus euren Ausbildungsbetrieben. Und ich finde das toll, dass ihr stellvertretend mal einen Einblick gegeben habt in den Handwerksberuf und dass man da echt noch einiges machen muss und ich hoffe, dass das passiert. Vielen, vielen Dank an euch beide.
[00:44:01.570] - Hexe
Kann ich noch eine schnelle Werbung, eine kleine Werbeeinblendung?
[00:44:04.260] - Nadia Kailouli
Ja.
[00:44:04.460] - Hexe
Genau. Also es gibt so ein paar Dinge, die würde ich gerne promoten noch mal. Also eben wirklich das Azubihilfe Netzwerk. Wenn es Menschen gibt, egal welche handwerklicher Ausbildung, ihr seid in der Ausbildung, kriegt die Krise, wendet euch irgendwie gerne an die, die machen ganz tolle Arbeit. Genau. Das ist super. Es gibt das Tischler*innentreffen, also für alle FLINTA* in Holzfachgewerken, aber auch Interessierte. Es gibt Bauhandwerker*innen-Treffen für alle FLINTA* in sämtlichen Bauhandwerken. Also genau. Und ich Wollte ich einfach noch mal kurz promoten, weil vielen Leuten war das nicht oder ist das nicht bewusst, auch Leuten, die selber in Ausbildung sind oder eben potenziellen Kund:innen. Genau.
[00:44:37.630] - Nadia Kailouli
Danke, dass ihr da seid.
[00:44:39.340] - Hexe
Danke, dass ihr uns den Raum gebt.
[00:44:41.020] - Nadia Kailouli
Ja, dafür sind wir da.
[00:44:46.680] - Nadia Kailouli
Ja, Leute, jetzt wissen wir Bescheid. Also ich finde wirklich, wir müssen auch in diesem Bereich mehr gucken. Das haben Emilia und Hexe doch so deutlich gemacht. Auch die Handwerksbetriebe, egal von Konditorei bis, keine Ahnung, die Tischlerei sollen Orte sein, wo junge Menschen, egal welchen Geschlechts, sicher sich hinbewegen und dort eben auch Chefs haben, die dahingehend sensibilisiert sind, dass man sich keine blöden Sprüche drückt, weder rassistisch noch sexistisch oder Leuten auf den Hintern klopft oder so. Also und das mit den Klamotten. Also wo ist denn die Handwerksmodeindustrie? Leute, kann ja wohl nicht wahr sein, dass man keine kurze Hose für Frauen für eine Tischlerei bekommt. Also wenn ihr es nicht macht, dann mach es ich.
[00:45:31.120] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an einbiszwei@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Kommentare wie „Hat dir denn keiner gesagt, dass Frauen auf dem Gerüst Röcke zu tragen haben?“ oder Sprüche wie „Du bist das, wofür ich einen Penis habe!“ – sowas bekommt nicht selten zu hören, wer als Frau eine Ausbildung im Handwerk macht. Hier scheinen sexistische Sprüche und Mackertum häufig immer noch genauso dazu zu gehören, wie der Pirelli-Kalender mit Nacktbildern an der Werkstattwand. Für Frauen ist das die klare Ansage: Ihr gehört nicht wirklich hierher. Die Folge: Das Selbstbewusstsein sinkt, die Selbstzweifel wachsen. Bin ich zu empfindlich? Muss ich härter sein? Das fragen sich viele. Und: Viele Frauen brechen ihre Ausbildung ab. Andere halten durch und sind am Ende ausgelaugt und ernüchtert. Das Azubihilfe Netzwerk will das ändern und setzt sich für bessere Ausbildungsbedingungen und gegen jede Form von Diskriminierung im Handwerk ein. Bei einbiszwei erzählen Emilia und Hexe, wie sie sich im Azubihilfe Netzwerk engagieren.
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