Wenn das eigene Kind missbraucht wird – wie kann man das verkraften, Christine und Daniel?
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[00:00:02.640] – Daniel
Dieser Moment, wo unsere Tochter in die Wohnung gekommen ist und gesagt hat: "Mama, Papa, ich möchte das nicht mehr." Das war dieser Moment, wo sie sich uns gegenüber geöffnet hat. Gänsehaut immer noch und Gänsehaut lügt nun mal nie. Und diese Emotionen, die wir da lange mit uns mitgetragen haben, nachdem es bekannt geworden ist, was passiert ist, die kannst du natürlich nicht wegdrücken. Die hast du jeden Tag. Irgendwann mal im Laufe der Zeit holts dich ein diese Situation.
[00:00:30.870] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:00:54.340] - Nadia Kailouli
Wir haben hier bei einbiszwei schon viel darüber gesprochen, was passieren muss, damit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche effektiver bekämpft werden kann. Wir haben mit Menschen gesprochen, die missbraucht wurden und bei uns ihre Geschichte erzählt haben. Wir haben ausgeleuchtet, was in Sportvereinen an Schutzkonzepten eingeführt werden sollte, an Schulen oder in Kitas. Worüber wir bisher noch nicht geredet haben, wie es Eltern geht, deren Kind sexueller Gewalt ausgesetzt war. Daniel und Christine ist genau das passiert. Ihre Tochter wurde missbraucht und hat sich dann ihren Eltern Gott sei Dank anvertraut. Was Daniel und Christine nach dem Schock getan haben, welche Höhen und Tiefen sie durchlaufen haben und welchen Weg sie gefunden haben, um damit umzugehen, das erzählen sie mir heute. Ich freue mich sehr, dass sie bei uns sind. Christine und Daniel, herzlich willkommen bei einbiszwei.
[00:01:41.070] - Christine
Vielen Dank für die Einladung.
[00:01:42.490] - Daniel
Ja, schön hier zu sein. Dankeschön.
[00:01:44.020] - Nadia Kailouli
Ja, wir freuen uns. Ich habe das heute Morgen so zu meinen Kolleg:innen da draußen gesagt: "Oh, ich freue mich so auf die." Und dann dachte ich, ist das eigentlich gut zu sagen? Weil wir echt über etwas sprechen, was überhaupt gar nicht so erfreulich ist. Wir machen das direkt ganz transparent. Eben eure Tochter hat sexuelle Gewalt erfahren und ihr seid heute hier, um als Eltern mal darüber zu sprechen. Und das hatten wir hier noch nie bei einbiszwei tatsächlich.
[00:02:06.980] - Daniel
Ja, du. Also mit der Vorfreude, uns ging es ähnlich, auch wenn das Thema sehr bedrückend ist, über das man spricht. Aber ich glaube, wenn man nicht irgendwie versucht, trotzdem Leichtigkeit in seinen Alltag zu halten, sind die Dinge einfach zu erdrückend. Deswegen schön hier zu sein. Die Vorfreude hatten wir auch. Und ja, wir sind gespannt, was heute noch so alles passiert.
[00:02:26.660] - Nadia Kailouli
Absolut. Vor allem ihr seid zusammen hier. Das finde ich so toll. Eben als Eltern, als Paar seid ihr zusammen heute hier zu uns nach Berlin gekommen und eure Tochter weiß auch, dass ihr hier seid?
[00:02:34.980] - Christine
Ganz genau, das weiß sie. Und ohne unsere Tochter würde es den Podcast auch nicht geben oder bzw. ohne ihre Zustimmung.
[00:02:41.290] - Nadia Kailouli
Ja, du sprichst schon direkt euren Podcast an, denn, da kommen wir später zu, aber hier schon mal einen Cliffhänger, ja, ihr macht einen eigenen Podcast und der ist eben daraus entstanden, dass ihr erfahren habt: "Okay, scheiße, uns ist das passiert, worüber vielleicht Menschen manchmal reden, aber eigentlich tabuisieren. Und auf einmal ist unsere eigene Familie betroffen." Eure Tochter hat vor zwei Jahren, glaube ich, war das?
[00:03:04.510] - Christine
Ja, richtig.
[00:03:05.260] - Nadia Kailouli
Eben sexuelle Gewalt erfahren. Könnt ihr einmal erzählen, wie ihr das herausgefunden habt?
[00:03:11.190] - Christine
Ja, also das ist einfach herausgekommen, weil unsere Tochter angefangen hat davon zu erzählen. Ansonsten wären wir, glaube ich, bislang ahnungslos. Wir haben nie was gemerkt. Sie hat zwar zwischendurch mal gesagt, sie hätte uns Zeichen gegeben, die für uns aber so unterschwellig waren, dass wir sie niemals wahrgenommen haben. Und wenn sie nicht angefangen hätte, uns zu vertrauen und diesen ganzen Täterstrategien zu entkommen oder durchzubrechen, dann wären wir bis heute ahnungslos und sie weiterhin alleine mit dem Ganzen.
[00:03:36.830] - Nadia Kailouli
Ich finde es so krass, dass du das direkt so sagst: "Wir haben einfach nichts gesehen und hätte sie nichts gesagt, hättet ihr bis heute nichts bemerkt." Ist es eine Frage, die euch, seitdem eure Tochter euch davon erzählt hat, was ihr passiert ist, euch immer wieder gestellt habt: "Warum haben wir nichts gesehen?"
[00:03:55.610] - Christine
Ich nein, du ja, glaube ich.
[00:03:57.130] - Daniel
Ja, also ich habe das mit meiner Therapeutin mal besprochen. Also wenn du so ein Ereignis hast als Elternteil, dann musst du dich irgendwo auch öffnen, jemand anderem gegenüber. Und das ist so meine Therapeutin gewesen. Und sie sagte genau zu diesem Thema, Mensch, ich mache mir total die Vorwürfe. Wie konnte ich das denn nicht sehen als Vater? Und dann war ganz schnell klar, dass die Situationen einfach so gewesen sind, wie sie waren und man hätte es nicht definieren können, weil das Vertrauen ja den Personen gegenüber, wo das passiert ist, relativ groß gewesen ist. Und aus dem Zusammenhang kann man solche Dinge auch gar nicht vermuten von den Personen, die dann entsprechend diese Taten begangen haben.
[00:04:38.490] - Christine
Plus, muss man dazu sagen, Entschuldigung, dass die natürlich auch dafür sorgen, dass die Kinder schweigen. Also da gibt es ja schon Strategien, dass die Kinder sagen: "Okay, mir glaubt eh keiner, es passiert etwas Schlimmes, wenn ich etwas meinen Eltern erzähle." Und wenn man das über die Jahre immer eingetrichtert bekommt, wird so ein Kind auch erst mal nicht das Schweigen brechen.
[00:04:58.450] - Nadia Kailouli
Ich habe gerade für mich selber gemerkt, während ich euch zuhöre, merke ich, bei mir tun sich ganz viele Fragen auf. Gleichzeitig merke ich auch tatsächlich richtig physisch, bei mir verändert sich gerade irgendwas, weil ich natürlich hier bei einbiszwei schon viel mit Betroffenen gesprochen habe, die sexuelle Gewalt erlebt haben. Das waren aber erwachsene Menschen. Jetzt sitze ich hier mit euch. Ihr seid natürlich auch erwachsene Menschen, aber ich weiß, wir reden über eure minderjährige Tochter und ich kann mir nur, ich bin keine Mutter und kein Vater, aber ich kann mir nur annähernd vorstellen, welcher Schmerz in einem hochkommt, wenn man sein eigenes Kind vor Augen hat und dieses Kind einem sagt: "Mama, Papa, mir ist das und das passiert." Und jetzt gerade merke ich, dass ich irgendwie gar nicht weiß, wie rede ich mit euch? Weil das irgendwie so näher ist, als mit Betroffenen zu sprechen, die erwachsen sind und selber davon sprechen. Versteht ihr wie ich das meine?
[00:05:47.690] - Daniel
Also das ist auch ganz oft bei uns, wenn Leute auf uns zukommen und fragen: "Mensch, wie geht es dir eigentlich?" So, dann überlegst du so drei Sekunden, öffnest du dich jetzt sofort? Weil in der Regel sagst du ja: "Gut und dir." Und dann hast du ja sofort die Probleme des anderen, die du erzählt bekommst und selber dich gar nicht öffnen kannst. Deswegen ist für uns das relativ normal, so wie du das beschreibst. Aber dieser Moment, wo unsere Tochter in die Wohnung gekommen ist und gesagt hat: "Mama, Papa, ich möchte das nicht mehr." Das war dieser Moment, wo sie sich uns gegenüber geöffnet hat. Gänsehaut immer noch. Und Gänsehaut lügt nun mal nie. Und diese Emotionen, die wir da lange mit uns mitgetragen haben, nachdem es bekannt geworden ist, was passiert ist, die kannst du natürlich nicht wegdrücken. Die hast du jeden Tag. Irgendwann mal im Laufe der Zeit holts dich ein diese Situation. Und ja, das macht es manchmal schwierig, weil Thema Wut kommt auch noch hinzu. Ja, deswegen...
[00:06:45.010] - Christine
Wut gleich Angst, weil die Angst ja immer noch da ist, auch glaube ich, oder die Unsicherheit. Was kommt da noch? Unser Kind ist immer noch traumatisiert, hat immer noch nicht alle Erinnerungen zurück. Das heißt, es ist ein ständiger Begleiter geworden. Und ja wir haben uns das zur Aufgabe gemacht, einfach das Beste daraus zu machen, in irgendeiner Form ein bisschen Leichtigkeit reinzubringen, das Schweigen zu brechen, Mut zu machen und natürlich allem voran unserer Tochter den Rücken zu stärken und für die da zu sein und zu zeigen: So, deine Zukunft hat jetzt hier angefangen, deine neue und wir begleiten dich.
[00:07:15.180] - Nadia Kailouli
Jetzt hattest du Daniel das gerade gesagt, eben der Moment, als eure Tochter nach Hause gekommen ist und gesagt hat: "Ich möchte das nicht mehr." Das hat sie ja wortwörtlich so zu euch gesagt. War euch in dem Moment schon klar "Oh Gott"?
[00:07:30.520] - Christine
Ja, also das war für dich der Schlüsselmoment: "Ich möchte das nicht mehr." Ich hatte den in einer anderen Situation. Ich bin mit meiner Tochter im Wald spazieren gegangen und da hat sie die ersten Dinge so geäußert, was sie machen musste, aber nicht wollte. Und als ich aus diesem Spaziergang wieder zurückkam, bin ich nach oben damals gegangen. Da weiß ich noch, "wir haben ein Problem", habe ich zu Daniel gesagt und ich war am Zittern. Also ich habe das zwar im Kopf schon alles realisiert, aber mein Körper hat viel heftiger reagiert als ich das, ich wusste gar nicht, was ist hier eigentlich los? Aber ich wusste okay, das ist alles andere als in Ordnung. Was darauf die Tage noch so folgte, war uns zu dem Zeitpunkt gar nicht bewusst. Aber es war klar, das ist eine krasse Nummer hier.
[00:08:11.220] - Nadia Kailouli
Ihr entscheidet selbst, inwieweit ihr erzählen könnt, was passiert ist und inwieweit ihr über den Täter sprechen könnt. Ich stelle aber die Frage, weil sich die natürlich gerade viele stellen. Was genau ist eurer Tochter passiert?
[00:08:26.260] - Christine
Ja, genau das ist tatsächlich ein bisschen schwierig, weil das Ganze noch im Verfahren steckt, noch kein Urteil darüber gibt. Deswegen muss man da ein bisschen aufpassen mit den Formulierungen, weil wir natürlich auch keine Verleumdungsklage am Ende am Hals haben wollen zu dem Ganzen, was eh schon ungerecht ist. Und wir tragen hier gerade irgendwie ja Verantwortung für etwas, wofür wir keine Schuld tragen im Prinzip. Und diejenigen, die Schuld tragen, die ziehen sich aus dieser Verantwortung. Das ist, glaube ich, so der schwerste Brocken, den man so mit sich rumschleppen kann in dieser Zeit, diese Ungerechtigkeit.
[00:08:53.950] - Daniel
Ja, also zu dem Verfahren, es ist ein weiterhin laufendes Verfahren. Unsere Tochter sind halt Dinge widerfahren, die man sich als Elternteil und als erwachsener Mensch nicht ausmalen kann und auch nicht möchte. Gewisse Handlungen, die einfach realitätsfremd für eine damalige Zwölfjährige sind, da können wir jetzt nicht im Detail darauf eingehen. Aber am Ende hat die Staatsanwaltschaft einen Prozess eröffnet. Das Jugendamt hat entsprechend eine Klage formuliert und wir waren diejenigen, die dann auch bestätigen mussten, dass unsere Tochter eine Aussage machen darf oder soll, weil die Staatsanwaltschaft darauf gepocht hat. Und dann bist du als Elternteil natürlich auch so ein bisschen in der Zwickmühle, weil du gar nicht genau weißt, wie läuft das eigentlich ab in so einem Verhörraum? Weil da bist du als Elternteil nicht dabei. Das sind geschulte Menschen, die man noch nie vorher gesehen hat. Dann kommst du in einen Raum rein, ähnlich wie hier. Zwei Kameras, ein paar Mikros, steriler Raum. Und dann sitzt da das Personal, was ihren Job macht - nicht falsch verstehen - das läuft wie ein Uhrwerk. Nur wir als Eltern geben unser Kind unten im Treppenhaus der Kriminalpolizei ab. Und dann wissen wir nicht, was passiert.
[00:10:09.560] - Christine
Ja, ich habe gerade einen richtigen Throwback. Das ist so ein bisschen wie, wenn man sein Kind in einen OP-Saal schickt tatsächlich. Wir saßen da total angespannt und wann ist die Situation endlich vorbei und wie kommt sie da raus? Und können wir sie überhaupt auffangen? Wie geht es ihr damit? Was hinterlässt es bei ihr? Ja, das war die eine Situation.
[00:10:26.690] - Nadia Kailouli
Also ihr dürft im Detail gar nicht darüber sprechen, eben weil es ein laufendes Ermittlungsverfahren ist. Am Ende ist es einfach so, eure Tochter hat eben sexuelle Gewalt erlebt und das reicht auch, finde ich, dann zu sagen okay, man muss das im Detail jetzt gar nicht so sehr besprechen in dem Rahmen, um euch auch zu schützen. Weil...
[00:10:47.260] - Christine
Viel mehr unsere Tochter, die muss ja auch geschützt werden. Wenn wir jetzt mit ganz vielen Details rausgehen, sie ist nun mal auch minderjährig aktuell noch und ich glaube, da muss man sie auch noch ein bisschen schützen.
[00:10:56.480] - Nadia Kailouli
Also wenn sie den Podcast hört, dass es dann...
[00:10:59.110] - Christine
Genau, dass sie nicht noch mal doppelt beschämt ist oder sie von außen durch Schulkameraden oder sonstigen Hate abbekommt. Das wollen wir natürlich auch vermeiden. Von daher...
[00:11:07.810] - Daniel
Das haben wir aber alles mit ihr besprochen. Also das Mädchen ist ganz schön taff. Also nicht weil es meine Tochter ist, sondern weil sie so eine enorme Stärke entwickelt hat. Und auch das hat sie nicht alleine hinbekommen oder auch nicht mit uns, sondern es gibt ja verschiedene Einrichtungen, woran man sich dann entsprechen wenden kann als betroffene Eltern, deren Kind sexuellen Missbrauch erfahren hat. Bei uns war es das Mädchenhaus in Bielefeld, die da sehr, sehr viel Energie reingesteckt haben. Und ja, neben der Pubertät, die jetzt dabei ist, ist sie sehr, sehr willensstark und entschlossen und weiß genau, was sie will. Und am Ende war es auch ihr Auftrag an uns: "Mensch, Papa, Mama, irgendwie müssen wir aus dieser blöden Situation für andere was Positives gestalten!" Und das war das, was sie ja in deine Richtung auch relativ zeitnah gesagt hat. Und dann haben wir den Podcast gemacht, haben mittlerweile einen Verein gegründet, wo sich betroffene Eltern an uns wenden können, die ähnliches Leid widerfahren haben. Und dann versuchen wir halt mit unseren Erfahrungen die Dinge zu unterstützen, weil du bist in einem total luftleeren Raum, wenn das passiert.
[00:12:11.580] - Nadia Kailouli
Ich würde gerne noch mal zurückkommen zu dem Punkt, den du gerade beschrieben hast, ihr gerade beschrieben habt, als eure Tochter eben eine Aussage machen musste. War für euch sofort klar, als ihr erfahren habt: "Unserer Tochter ist das passiert, wir zeigen an!" Oder hattet ihr darüber nachgedacht? Weil das ist ja so dann die nächste Instanz mit der Anzeige rollt man das natürlich auch alles auf, was da passiert ist.
[00:12:33.990] - Christine
Also auch das, muss man sagen, war ein Prozess, ein kleiner Findungsprozess, der zwar relativ schnell ablief, also bei mir glaube ich schneller als bei Daniel. Aber man sucht sich erst mal Hilfe, da gibt es die Nummer gegen Kummer, da gibt es den Weißen Ring und sämtliche andere Institutionen, Telefonnummern, die man anrufen kann, um das Problem erst mal zu schildern und einzuordnen. Und natürlich kommt dann Empfehlung von außen, was man dann machen sollte. Auch das ist immer mit Abstimmung mit unserer Tochter passiert. Sie musste nichts machen. Ich hab gesagt: "Ab jetzt hast du das alles hier in der Hand und du die Macht dadrüber. Wenn du möchtest, dann gehen wir da und da hin und schildern die Situation." Und erst durch diese Initiative heraus ist halt alles weitere entstanden.
[00:13:13.870] - Nadia Kailouli
Jetzt, wenn man euch so anschaut, sage ich jetzt mal ganz oberflächlich. Ich guck euch an, hier sitzen zwei gutaussehende junge, sympathische Menschen. Und in unserer Gesellschaft würde man euch jetzt nicht damit verbildlichen zu sagen: "Da ist Missbrauch passiert in dieser Familie." Jetzt nicht in dieser Familie von der Vater oder von der Mutter. Aber man würde euch nicht damit in Verbindung setzen. Hattet ihr selbst auch den Gedanken: "Moment mal, in unserer Familie passiert doch sowas nicht. Wir sind doch davon ganz weit weg von dem, was da draußen so passiert"?
[00:13:44.930] - Christine
Ich nicht. Du ja?
[00:13:47.230] - Daniel
Na ja, ich glaube, das was du beschreibst, so geht es ja auch ganz, ganz viele Menschen, die vielleicht nicht genau hingucken, weil sie denken, bei uns in der Familie ist heile Welt. Und am Ende gibt es ja Statistiken, die beweisen und wo man ja ablesen kann, dass so und so viele Kinder im Schnitt ja leider Opfer von sexuellem Missbrauch werden. Und wir als Betroffene können es besser erleben oder besser beschreiben als jede Statistik oder jedes Fachbuch, wenn irgendjemand sagt: "Mensch, ich begleite das auf einem pädagogischen Rahmen", weil die Praxis haben wir halt erlebt, leider Gottes.
[00:14:24.250] - Christine
Den Schmerz vor allem.
[00:14:25.150] - Daniel
Den Schmerz, die Trauer, die Wut, so die Punkte. Nicht, dass ich das schlechtreden will. Pädagogen gehören auf jeden Fall dazu zu diesem ganzen Thema der Aufarbeitung. Aber ja, wir haben diesen Weg für uns gefunden, zu sagen, ja, okay, wir sind so ein bisschen die Mittelschicht, beschreibe ich jetzt einfach mal, weil da kann es genauso passieren wie in allen anderen Bereichen auch. Und dieser Deckmantel der Schweigens, den man ja immer mal wieder hört und mitbekommt und das lassen wir jetzt mal unter den Teppich oder kehren wir mal unter den Teppich. Da haben wir uns von erster, erster Sekunde aus gleich gesagt: Wir gehen sofort mit unserer Story nach draußen, um anderen Leuten zu helfen. Punkt. Koste es, was es wolle. Am Ende wird es mit Sicherheit die einen oder anderen geben, die sagen: "Boah ist das blöd, was die machen und die setzen sich in den Mittelpunkt." Ja, wir setzen uns in den Mittelpunkt, weil wir für unsere Tochter da sind, weil wir für andere Kinder da sind, weil wir für andere Eltern da sind und leben das mit aller Intensität im Positivem.
[00:15:22.830] - Christine
Ja, auch um Aufmerksamkeit zu erzeugen in erster Linie, weil dieses Thema eben verschwiegen wird und da keiner drüber sprechen möchte, weil es weh tut. Das ist vielleicht im Kopf der Menschen, aber nicht im Herzen. Das merkt man immer wieder. Und ich glaube, das ist unsere Botschaft nach draußen. Also da ist uns die Öffentlichkeit auch total recht, auch wenn wir eigentlich nicht so sind oder ich zumindest bin überhaupt nicht derjenige, der gerne irgendwie vor den Kameras steht. Aber das ist mir alles in dem Moment so egal, weil ich finde, Hauptsache jemandem kann man geholfen werden in dem Moment. Wir sind ansprechbar. Man ist nicht alleine.
[00:15:54.340] - Nadia Kailouli
Na ja, und ihr macht halt einfach eine Masse sichtbar. Also das ist ja, es ist ja, du hast die Zahlen irgendwie angesprochen. Es ist ja vor allem so, ihr seid ja kein Einzelschicksal einer Familie, wo Missbrauch stattgefunden hat an einem Kind, sondern die Zahlen sprechen für sich. Es betrifft eben sehr, sehr viele Kinder und damit sehr, sehr viele Familien. Und damit schafft ihr natürlich auch eine Sichtbarkeit. Und was eure Tochter ja gemacht hat, ist, dem Täter dann klarzumachen: "Ich erzähl's trotzdem Mama und Papa." Und das ist ja oft die Strategie. So, das ist unser Geheimnis. Hier wird nichts verraten. Man glaubt ihr sowieso nicht. Und ihr habt eurer Tochter halt sofort geglaubt, als sie erzählt hat, was da passiert.
[00:16:36.490] - Christine
Ganz genau. Bin ich auch heute froh drum und ganz stolz eigentlich drauf. Also erstens, dass sie uns das überhaupt erzählt hat und wir auch in dem Moment reagiert haben, richtig. Also ich glaube, ich mag mir nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn wir es auch verschwiegen hätten oder nicht ernst genommen hätten.
[00:16:48.560] - Nadia Kailouli
Das eine ist ja zu sagen: "Alles klar, wir zeigen diesen Menschen an, wir involvieren da unsere Tochter, wir geben ihr, obwohl sie eine Minderjährige ist, das Recht selbst zu entscheiden, willst du das, willst du das nicht?" Ermittlungsverfahren laufen. Das ist das eine. Das sind sozusagen die Akten. Das andere ist ja euer alltägliches Leben, die Schule, die Nachbarn, die Freunde, auf der Arbeit. Wie seid ihr damit umgegangen?
[00:17:13.610] - Christine
Genauso transparent wie jetzt auch. Also ich glaube, ich konnte auch gar nicht anders, weil für mich dann auch ein Punkt da war, so jetzt, es war natürlich auch Corona, vorher Home Office Situation. Also spitze sich irgendwie alles zu und dann merkte ich, okay, mein Fass läuft hier über. Und ich glaube genau die Formulierung habe ich sogar im Podcast im ersten genannt und ich habe mich bei meinem Arbeitgeber ganz offen und transparent gezeigt und habe gesagt: "Sorry, ich kann nicht. Ich muss mich jetzt hier um meine Tochter und um mich kümmern, sonst gehe ich unter." Und da hatten wir ja Gott sei Dank Verständnis auf der Seite und hatten auch die Möglichkeit, so lange eine Auszeit zu nehmen, wie wir brauchen, um erst mal wieder Boden unter den Füßen zu bekommen, um das einzuordnen, um gefühlstechnisch nicht baden zu gehen, sind wir trotzdem. Wir haben ordentlich geschwommen und sind gepaddelt ohne Ende. Aber ich glaube, mit dem jetzigen Stand geht es. Also wir sind okay im Moment.
[00:18:00.620] - Daniel
Also ich habe das ein bisschen anders verarbeitet, muss ich ehrlicherweise sagen. Erst mal bist du als Vater natürlich, habe ich ja eben schon mal gesagt, fühlt sich so, als wenn du was verloren hast. Du hast nicht den Beschützer sein können. Das, was du dir immer geschworen hast. Du beschützt deine Familie als Ehemann und du beschützt deine Kinder als Vater. Und ich habe mich dann in ganz, ganz viel Arbeit gestürzt, bin ganz viel laufen gegangen, habe immer versucht, so einen Halbmarathon zu laufen, dreimal die Woche mindestens, und habe das dann so versucht nicht zu verdrängen, aber es war für mich so die Aufarbeitung, die ich in dem Moment brauchte. Und natürlich, so Rückbetrachtung dazu, war es der falsche Weg. Also ich hätte mich viel intensiver mit mir auseinandersetzen müssen, mit der Situation auseinandersetzen, nicht, dass ich mich darum nicht gekümmert habe, um Gottes Willen, aber ich habe mich nicht so weit geöffnet, wie es vielleicht hätte sein sollen zu dem Zeitpunkt. Und das sind die Dinge, die du halt nicht abrufen kannst, sondern das ist eine Situation, da bist du erst mal weggekickt und musst gucken, wie du klar kommst.
[00:19:06.560] - Christine
Da läuft vieles unbewusst oder im Unterbewusstsein und automatisch. Man muss auch fairerweise sagen, du warst auch nicht 100% sofort für unsere Tochter da. Also du warst da schon viel bei dir, die Situation erst mal klar zu kriegen und vielleicht nicht auch impulsiv zu handeln und dem Täter einen aufs Maul zu hauen. Wenn man das hier so sagen darf.
[00:19:29.990] - Nadia Kailouli
Also hier wirklich alles, haus raus. Aber das ist eben das. Ich meine, also seitdem ich diesen Podcast mache, habe ich ja auch, ich habe auch Freunde, die Eltern sind und wenn man mit denen spricht, ist oft so: "Ne, will ich gar nicht drüber reden und bei uns nicht." Oder dann eben gerade mit Väter, die sagen: "Boah, das ist so schlimm, wenn mir das passieren würde, ich würde den umbringen, den Typen." Im Wortsinn, so ausgesprochen schon. Nun habe ich jetzt hier einen Vater sitzen, wo die Tochter gesagt hat: "Der hat mir was angetan." Und da fragt man sich jetzt natürlich schon, will man da nicht direkt dahin laufen und den packen und sagen: "Hier, ich mach dich fertig"?
[00:20:11.710] - Daniel
Ganz, ganz oft kamen diese Gedanken. Am Ende war es aber so, dass man dann bei sich gewesen ist und hat abgespielt, welche Reaktionen können dann darauf folgen? Am Ende bist du der Täter und hast andere Probleme und bist dann noch weniger für deine Familie da. Und in dem Zusammenhang haben wir beide uns sehr, sehr oft miteinander beschäftigt. Wenn der eine Wut in sich hatte, da hat es manchmal schon gereicht, in den Arm genommen zu werden, ein Gespräch zu führen, eine Runde spazieren zu gehen, in den Wald zu gehen, einfach mal rum zu schreien. Sorry, auch das ist passiert. Weil du irgendwo hin musst mit deinen Gefühlen. Und wie gesagt, ich war viel joggen. Ja, da habe ich so viel Power gelassen. Aber auch meine Frau hat zu der Zeit dann ganz oft, wenn sie gesehen hat: "Mensch, da kocht gerade die Wut hoch", den richtigen Kanal gefunden. Und andersherum glaube ich genauso zu sagen Mensch, A, wir kriegen das hin und B, wir sind auf einem guten Weg, weil es ist schon öffentlich geworden. Sprich unsere Tochter hat den Mut gehabt, sich zu öffnen. Und ja, das war ja so das Löwenherz einer Mama, hast du mal gesagt in einer Folge. Das ist sofort angeschlagen. Und ja, der, das Vaterdasein natürlich auch, so wie du es beschrieben hast. Natürlich müsstest du eine andere Handhabungen haben. Aber wir leben in einem Rechtsstaat und da gilt es auch, gewisse Dinge einzuhalten.
[00:21:36.390] - Christine
Leider. Ja, in dem Fall.
[00:21:38.800] - Nadia Kailouli
Ja, ja, absolut. Aber das ist jetzt so interessant, weil man jetzt natürlich auch mit euch mal darüber sprechen kann, wie ist das für eben Eltern, die zusammen in einem Haushalt mit dem betroffenen Kind leben? Ich glaube, ihr habt zwei Kinder, ne?
[00:21:53.807] - Daniel
Zwei Kinder, ja.
[00:21:54.230] - Nadia Kailouli
Das heißt, man ist für das Kind da, man ist für sich selbst da, man ist für den Partner oder die Partnerin da und dann ist da noch ein weiteres Kind. Wie schafft man das dann?
[00:22:05.450] - Christine
Weiß ich nicht. Habe ich auch keine Antwort drauf. Ich glaube, das ist einfach mitgegeben und in einem … Und ich glaube, da geht auch jeder anders mit um und es heißt auch nicht, dass der Weg, den wir gehen, der Richtige ist. Für uns ist er der Richtige, aber nicht vielleicht für die Masse. Kann ich nicht sagen, ne weiß ich keine Antwort drauf.
[00:22:22.250] - Daniel
Der Alltag geht halt weiter. Also es bleibt ja jetzt nicht die Welt stehen, sondern ja, das ist passiert und du musst irgendwie die Klarheit in den Kopf kriegen. Das Leben geht aber trotzdem weiter, weil du hast noch eine zweite Tochter. Und dieser Begriff Trauerpfütze fand ich ganz, ganz lustig, als ich den letztens gelesen habe in dem Zusammenhang. Du bist am Trauern und bist am Weinen. Und dann kommt ein kleines Kind rein, was ja auch dazugehört. Und dann musst du in dieser Pfütze gefühlt spielen, so wie es Kinder ja auch tun. Und das war für mich so, jetzt kriege ich schon wieder Gänsehaut, das war für mich so klar, dass wir das diese ganze Zeit eigentlich gemacht haben. Wir standen in so einer weinenden Pfütze jeden Tag und mussten trotzdem irgendwie damit klarkommen und das Positive sehen. Und wir sind jetzt, ich bin Anfang 40, Christine wird 40 und wir haben noch so viel Leben vor uns und wir können das ja nicht auch einfach hinter uns lassen. Und das wäre auch das fatale Zeichen unserer Tochter gegenüber, weil die ist ja noch jünger als wir und hat dann noch mehr Leben vor sich. Und dann gilt es zu sagen: Genieß das Leben, was kommt. Das, was gewesen ist, war halt so, gehört zu unserer Geschichte dazu. Und jedes Kapitel in dieser Geschichte, die da entstanden ist, versuchen wir soweit es geht auszulöschen. Aber das, was jetzt noch kommt an Zeit, das ist ja das Schöne für sie und für uns. Und daran ziehen wir uns hoch.
[00:23:45.260] - Nadia Kailouli
Habt ihr auch Angst vor der Zeit, vor der Zukunft?
[00:23:48.070] - Christine
Nein.
[00:23:49.580] - Nadia Kailouli
Gar nicht?
[00:23:49.930] - Christine
Nein, absolut nein. Natürlich wissen wir, weil haben wir ja schon erwähnt, unsere Tochter noch einiges an Erinnerungen verdrängt hat, dass dann noch mal was auf uns zukommt. Aber ich glaube, wir sind inzwischen wieder stark genug, um dem dann entgegenzutreten. Und für mich ist auch wichtig, also für mich persönlich, dem Täter nicht weiter die Macht über unsere Emotionen und Gefühle zu geben. Also wo kommen wir denn da hin, wenn die Opfer weiter schweigen und die Täter einfach weitermachen können? Also das kommt für mich null in Frage. Also da kämpfe ich bis aufs Blut und irgendwann wird auch alles gut. Also ja.
[00:24:28.270] - Daniel
Die Zukunft soll Pink sein, so haben wir es mal gesagt in unserem Podcast. Das ist eines unserer Mottos und Peter Fox begleitet uns dann. Und ja, alles wird gut, mein Kind.
[00:24:39.960] - Nadia Kailouli
Euer Kind, sie ist jetzt 14, 15, Pubertät. Das allein ist ja schon eine Herausforderung für viele Eltern. Dann ja, wenn die Kinder eben älter werden und auch der Charakter sich noch mal verändert. Was würdet ihr sagen, was ist für euch gerade so der, ich will nicht sagen der richtige Weg, aber der wichtige Weg, irgendwie zu gucken, eine gewisse Normalität zu Hause zu leben, ja, aber gleichzeitig immer irgendwo präsent zu haben, dass ihr eben eine Tochter habt, der Missbrauch widerfahren ist und das ja in ihrer Entwicklung irgendwie immer weiter eine Rolle spielt. Wie geht ihr damit um? Holt ihr euch da Hilfe? Habt ihr für euch einen Weg gefunden? Wie geht es eurer anderen Tochter damit? Das ist ja auch ein Thema.
[00:25:22.350] - Christine
Ich glaube, da ist einfach die Antwort ganz klar in Kontakt bleiben, regelmäßig drüber reden: "Wie geht es dir heute?" Und das auch wirklich so meinen und nicht einfach als Floskel daher sagen, sondern wirklich fragen: "Wie geht es dir? Was hast du heute für ein Gefühl? Möchtest du drüber reden?" Also der Alltag geht weiter, hat Daniel eben gerade schon gesagt. Und natürlich ist das bei unserer pubertierenden Tochter gerade nicht so präsent, das ganze Thema. Die hat natürlich auch andere Themen im Kopf und das ist vielleicht auch gerade genau ganz gut so. Und trotzdem bleiben wir in Kontakt und versuchen irgendwie ihr das Gefühl immer jeden Tag zu vermitteln: "Du kannst jederzeit zu uns kommen. Du bist geliebt. Wir glauben dir alles, was du uns erst mal sagst und wir können über alles reden."
[00:26:01.570] - Daniel
Ich muss gerade so schmunzeln, weil mich gerade so zwei, drei Erinnerungen einholen, wie ich darauf reagiere, dass sie jetzt gerade in der Pubertät steckt und dann halt diese Geschichte mit sich trägt und so ein bauchfreies Top war für mich immer total so: "Oh Gott, jetzt kommt vielleicht wieder ein Blick oder wieder irgendeiner, der sagt..." Und da hatte ich schon echt das Problem mit eine Zeit lang. Oder man schminkt sich auf einmal und dann denkst du: "Oh Mann, jetzt denken die, die ist schon 18 und wie wird die denn angesprochen?" Und dann auf einmal hast du natürlich Szenarien im Kopf als Papa dann, wo du sagst, wow, da holte ich gerade noch mal viel ein und auch das bespreche ich mit meiner Therapeutin. Also weil es mir einfach eine Zeit lang nicht gut damit ging. Und die Dinge müssen einfach besprochen werden, sonst gehst du selber halt komplett kaputt. Und ja, viele Themen, also drumherum passieren dann schon. Und ja, was soll man sagen? Die Emotionen, die man morgens hat, die man mittags und abends hat. Die sind halt da und echt. Gefühle sowieso. Und ich würde jetzt lügen, wenn ich sagen würde, das interessiert mich aktuell nicht. Und ja, ich gucke da schon ein bisschen hin, muss ich ehrlicherweise sagen. Aber ich glaube, die Väter unter uns, die verstehen das, was ich meine.
[00:27:17.660] - Nadia Kailouli
Jetzt sitzt ihr hier als Ehepaar. Ja, und man kann durchaus schon sagen, dass Familien daran zerbrochen sind, weil sie eben nicht den Weg gefunden haben, da gemeinsam irgendwie einen Weg zu finden. Was würdet ihr sagen, was hat euch geholfen, dass ihr heute hier zusammensitzt und eben nicht auch als Partner daran zerbrochen seid und euch dann nicht verloren habt, sondern eben zusammen geblieben seid?
[00:27:44.810] - Christine
Sprechen, miteinander reden. Ich glaube, der Verein hat uns auch ein bisschen geholfen.
[00:27:50.300] - Daniel
Das ist eine super Frage eigentlich. Nicht eigentlich, sondern das ist eine super Frage. Aber so ehrlich habe ich das noch gar nicht für mich so bewertet, weil der Alltag einfach so stabil bei uns war, trotz der Situation. Und wir konnten uns total aufeinander verlassen. Und Christine hat da unheimlich viel Energie reingesteckt, mich auch mitzunehmen. So nach dem Motto: "Ja, jetzt hat sie mal gerade eine Phase, lass sie mal grad in Ruhe, weil die verarbeitet gerade vielleicht ein Thema für sich, wo du ja im Alltag gar nicht drauf kommst." Ach ja, da war ja noch was. Und in dem Zusammenhang hat Christine da viel gemacht, dass man dieses Gesamtgefüge auch als Ehepaar beisammenhält.
[00:28:33.180] - Christine
Ja, man darf es aber auch nicht kleinreden. Also natürlich macht das auch was mit einer Partnerschaft. Natürlich hat man auch Reibungen und ich glaube, da muss man auch gegenseitig Verständnis füreinander aufbringen, dass gewisse Dinge einfach dann auch mal hochkochen. Man darf es dann auch in dem Moment nicht persönlich nehmen, würde ich sagen. Was einfach schade ist. Und deswegen sitzen wir vielleicht auch hier, dass da so wenig Unterstützung von außen kommt. Also da ist kein Pädagoge oder kein Psychologe in dem Sinne, der sagt, okay, wir beraten euch jetzt als Paar in dem Bereich oder als Eltern. Oder natürlich gibt es Anlaufstellen, gar keine Fragen, ist auch gut, dass es die gibt, ohne Zweifel. Aber ich glaube, es gibt noch zu wenig. Und es ist dann auch nicht so schnell greifbar, wie man es dann in dem Moment akut bräuchte.
[00:29:14.310] - Nadia Kailouli
Und du hast ja tatsächlich sehr, sehr schnell Anlaufstellen irgendwie kontaktiert.
[00:29:18.990] - Christine
Genau.
[00:29:19.190] - Nadia Kailouli
Also ich meine, das ist ja auch das, dass du sofort wusstest: "Moment mal, ich muss da jetzt erst mal gucken, wo können wir hier anrufen und uns beraten lassen von Menschen, die sich damit auskennen?" Aber darüber hinaus eben, es gibt jetzt nicht die Paarberatung für betroffene Eltern, wo Kinder sexuellen Missbrauch erlebt haben.
[00:29:36.220] - Daniel
Korrekt. Das gibt es nicht.
[00:29:38.120] - Christine
Ja, das gibt es einfach nicht. Auch direkt danach. Natürlich hat man halt diese Anlaufstellen, aber einen längeren Prozess, also im Prozess wird man dadurch nicht weiter begleitet. Also da gibt es dann niemand, der sagt: "Okay, Sie sind jetzt erst mal ein Jahr bei mir in der Obhut und wir helfen Ihnen dabei, irgendwie das Ganze für sich zu verarbeiten."
[00:29:53.080] - Daniel
"Ruft mich an, wenn was ist, wenn es euch nicht so gut geht."
[00:29:55.740] - Christine
Gibt es nicht.
[00:29:56.050] - Daniel
Und jetzt reden wir da so drüber. Aber ich kann mir das wirklich nur minimalst einfach nur vorstellen. Also allein als ich mich jetzt darauf vorbereitet habe, dass ihr heute bei uns seid. Ich lag gestern Nacht wirklich im Bett und bin so wach geworden, weil ich seit langem mal wieder so eine Geschichte gelesen habe. Ich habe ja dann meine Papiere und lese mich da so ein zur Vorbereitung auf das Gespräch. Und dann bin ich wirklich so nachts wach geworden. Dachte ich so, fuck. Und dann dachte ich so, okay, wie oft kommt bei euch so nachts so ein Gefühl einfach mal hoch? Ja, von Bildern, die man nicht haben will, von irgendwelchen Fragen, die man sich dann auf einmal stellt und so. Und dann dachte ich mir echt so: Boah krass, wie machen die das? Und dann habe ich euren Podcast auch gehört und dachte irgendwie cool, die gehen damit so an die Öffentlichkeit und sind so für alle hörbar. Und dann dachte ich auch so wie viele, die es dann wieder besser wissen, machen euch dann wiederum einen neuen Ballast, so nach dem Motto: "Also das ist doch was, das bleibt doch in der Familie, muss man das jetzt so öffentlich machen?" Oder so. Ich weiß nicht, erlebt ihr so was?
[00:30:54.750] - Daniel
Also eigentlich bisher noch nicht.
[00:30:56.920] - Christine
Nee, aktuell nicht. Und selbst wenn, wäre mir das egal, das wäre für mich kein Ballast, weil hatten wir ja schon einmal gesagt, also solange wir nur jemandem helfen konnten mit unserer Öffentlichkeit, ist halt einfach unsere Arbeit schon getan. Also da gibt es kein richtig und kein falsch für uns und auch kein Hate. Das wäre mir alles total egal, solange nur irgendjemand davon profitiert.
[00:31:16.680] - Daniel
Und das hat es ja auch schon. Also wir haben ja schon Eltern, die sich an uns gewandt haben und gesagt haben: "Mensch, wir brauchen mal grad euren Rat." Und dann haben wir oder du viel mehr, fast zwei Stunden mit den Betroffenen gesprochen. Und allein das hat uns schon gezeigt, es ist richtig, dass wir das machen, wie wir es machen. Und wir konnten den Betroffenen helfen und das tut gut. Wir investieren natürlich viel in die Gesellschaft hinein mit dem, was wir, was wir erzählen und was wir machen in unserem Verein und drumherum. Aber wenn es gut tut und anderen hilft, dann machen wir das jederzeit weiter. So wie jemand, der sich ehrenamtlich für einen anderen Verein engagiert beispielsweise. So sehen wir unsere Aufgabe auch aktuell zu all den Dingen, die wir noch drumherum haben. Also wir haben ja auch noch ein Leben, unabhängig von den Dingen, die wir gerade beschreiben.
[00:32:08.220] - Nadia Kailouli
Wenn ich hier irgendwie mit, ja sage ich mal, Expertinnen und Experten über sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen spreche, dann sprechen wir oft über Prävention, über Enttabuisierung, über Prävention, Aufklärung, dies, das. Habt ihr in eurer Erziehung bei euren Kindern dieses Thema angewendet? Also bevor ihr von...
[00:32:29.610] - Christine
Nein, weil es nicht bewusst war und weil wir es auch nie für möglich gehalten haben. Und das ist auch das, was unser Verein irgendwie aussagen soll, also: Missbrauch für möglich halten und gemeinsam dagegen ankämpfen. Wir habens einfach nicht für möglich gehalten. Das ist wie eine schwere Erkrankung oder Tod. Da spricht man nicht drüber. Es tut weh. Man will es nicht wahrhaben und es betrifft einen selbst nicht, bis man selbst Betroffener ist.
[00:32:50.760] - Daniel
Genau so ist es.
[00:32:52.320] - Nadia Kailouli
Ja, es ist es dann so. Man ist irgendwie hat so eine Awareness. Jeder weiß irgendwie davon. Klar, man hat dasgehört. Man kennt das Thema, aber: "Bei uns nicht."
[00:33:03.470] - Daniel
Ja, und so der erste Schritt auch für uns, sich mal an Leute zu wenden, zu sagen, Mensch, das ist jetzt hier gerade passiert. Das ist natürlich auch für uns eine riesen Hürde gewesen und da sind auch Freundschaften auf der Strecke geblieben, kann man auch sagen. Also unsere Eltern standen da sofort hinter uns. Also das war schon aller Ehrung wert und das tut uns auch heute noch gut. Freunde sind da auch da und viel für uns da für Gespräche. Aber wie geht man diese Gespräche an? Also es ist ja nicht so, dass du dich hinsetzt und unterhältst dich wie hat Hertha BSC gespielt beispielsweise oder Union Berlin, sondern du hast ein Thema, das wird erdrückend werden die nächsten zwei Stunden.
[00:33:42.050] - Christine
Das kann auch nicht jeder. Ich glaube, viele sind ja auch auf Small Talk ausgerichtet und die können diesen Deep Talk gar nicht so. Also ja klar, das ist dann schwierig und ich drück das oder wir drücken das auch nicht jedem auf. Und deswegen ist so ein Podcast vielleicht ganz gut. Das kann derjenige hören, der es hören will und die, die sich nicht damit beschäftigen wollen, nicht. Aber schön wäre natürlich trotzdem, wenn man möglichst viele erreicht da draußen und das eben bewegt, dass man an Missbrauch glaubt sozusagen und es einfach für möglich hält. Und wenn man ein Bauchgefühl hat, was wir ja auch irgendwie hatten, dass man dem ruhig Glauben schenken kann, was nicht heißt, dass man sofort Vorurteile haben soll oder irgendwie da Schritte einleiten sollte. Aber man sollte diesem Bauchgefühl manchmal schon trauen. Ich glaube, dann hätten wir unserer großen Tochter viel erspart.
[00:34:24.530] - Nadia Kailouli
Und das hattet ihr tatsächlich. Ihr hattet ein komisches Gefühl?
[00:34:28.450] - Christine
Ja.
[00:34:28.620] - Nadia Kailouli
Könnt ihr kurz, wenn das nicht zu viel verlangt ist, noch mal erklären, wie sich das geäußert hat, dieses Bauchgefühl und wo ihr dann durch das Erzählen eurer Tochter für euch klar definiert hat: "Ach krass..."
[00:34:39.600] - Christine
Hat sich bestätigt?
[00:34:40.930] - Nadia Kailouli
"Hat sich bestätigt." Ohne dass dieses Bauchgefühl so groß war, dass ihr eure Tochter hättet schützen können. Das ist ja dann diese Gratwanderung zwischen "wir hatten irgendwie ein Gefühl, aber wir haben jetzt nichts gesehen und uns ist eigentlich nichts aufgefallen", wie du ja eingangs schon gesagt hast.
[00:34:54.390] - Christine
Ja, man ist aus falscher Höflichkeit natürlich irgendwie in Kontakt geblieben. Also man weiß ja inzwischen, dass das Täterumfeld meistens irgendwo in der Familie und Nachbarschaft ist. Natürlich war es für uns auch eine bekannte Person. Und ja, war schwierig, da dann einfach zu sagen, so, wir haben jetzt einfach keinen Kontakt mehr nur weil wir das Bauchgefühl haben. Also wir haben es versucht so gering wie möglich zu halten. Ganz eindämmen konnten wir es leider nicht. Man hat schon gewisse Strategien im Nachhinein durchblickt und sofort diesen Aha-Moment gehabt, als der Missbrauch dann aufgedeckt wurde. Also man hat das schon gemerkt, dass die Person einfach anders mit Kindern umgegangen ist. Generell im ganzen Konstrukt verschiedene Auffälligkeiten waren, die darauf gedeutet haben im Nachhinein.
[00:35:40.630] - Nadia Kailouli
Ich glaube, "im Nachhinein" ist ein sehr wichtiges Wort dabei.
[00:35:46.030] - Daniel
Also wenn es diese Zeitmaschine von Michael J. Fox geben würde "Zurück in die Zukunft". Ich würde sie jetzt gerne suchen wollen, um die Zeit zurückzudrehen. Also das ist ja das, was ich vorhin kurz gesagt habe, was ich mit meiner Therapeutin besprochen habe, weil ja, du hast diese Anzeichen gesehen und im Nachhinein machst du natürlich Vorwürfe. Warum hast du damals nicht den Schlussstrich gezogen? Oder bist du eingegriffen oder hast eingegriffen? Und ja, so wie es Christine beschrieben hat, kann man es ganz gut stehen lassen.
[00:36:16.130] - Nadia Kailouli
Fällt euch das schwer, Menschen zu vertrauen heute?
[00:36:19.890] - Christine
Natürlich hat man immer ein bisschen Skepsis. Du vielleicht ein bisschen mehr. Ich möchte einfach auch nicht durch die Welt gehen und jeden jetzt irgendwie als Täter betrachten oder irgendwie Vorurteile den Menschen gegenüber haben. Aber das ist, glaube ich, auch eine persönliche Einstellung. Ich möchte so wenig Vorurteile Menschen gegenüber haben, wenn ich ihnen begegne wie möglich. Das wird sich ein bisschen falsch für mich persönlich anfühlen.
[00:36:44.360] - Daniel
Also ich glaube, wir können unsere Tochter vertrauen. Das ist ja das A und O in dem Zusammenhang. Und unsere weitere Tochter, die wird natürlich auch viel aus dieser Situation mitnehmen und dann irgendwann vielleicht auch die Dinge für sich richtig einordnen können.
[00:37:00.730] - Nadia Kailouli
Jetzt kann ich mir gut vorstellen oder ich weiß, dass viele Eltern auch zuhören in diesem Podcast, also Eltern von Betroffenen, die selten oder noch nie eben Eltern hier haben sprechen hören bei einbiszwei. Gibt es etwas, was ihr denen mitgeben möchtet?
[00:37:16.770] - Christine
Ganz viel Zuversicht. Dass die Zukunft trotzdem positiv sein kann. Dass man eben nicht die Macht in Emotionen weiterlegt, in die negativen Emotionen und den Tätern nicht noch diese Genugtuung gönnt an diesem, ja, das Schicksal zu zerbrechen.
[00:37:32.050] - Daniel
Ja, die Stärke als Eltern darf man nicht unterschätzen, die man hat. Und wenn man zusammensteht, dann schafft man diese dunkle Zeit. Und miteinander reden ist, glaube ich, ein gutes Wort oder guter Satz gewesen, den wir oder ich in der Vergangenheit nicht so gut konnte. Miteinander reden und darüber reden. Aber das hat mich als Vater ungemein gestärkt. Und ja, das bringt die Kraft, die man braucht im Alltag.
[00:37:57.880] - Nadia Kailouli
Ich finde es super, dass ihr mit dieser Kraft heute hierher gekommen seid und mit uns hier bei einbiszwei darüber gesprochen habt. Ich finde es super, dass eure Tochter euch so mitgibt: "Mama, Papa, ihr seid jetzt hier die Erwachsenen, macht was draus", in Anführungsstrichen, also, "Es ist kein Geheimnis, sondern erreicht die, die nicht drüber reden wollen." Und ich verweise jetzt gerne noch mal auf eure Seite Schattenmonster.de. Da kann man euren Podcast hören, da kann man eure Geschichte hören, Gespräche zwischen euch beiden hören. Und ich finde das ganz großartig und sage Vielen Dank Christine und Daniel, dass ihr heute bei einbiszwei wart.
[00:38:34.470] - Christine
Sehr gerne und auch vielen Dank in eure Richtung.
[00:38:36.580] - Daniel
Ja, vielen, vielen Dank.
[00:38:41.220] - Nadia Kailouli
Ja, das war tatsächlich eine Premiere, hier bei einbiszwei mal mit betroffenen Eltern über den Missbrauch ihres Kindes zu sprechen. Und ich habe total den Respekt vor den beiden. Ich finde, die saßen mir hier gegenüber. Ich finde das so toll, dass die sich gesagt haben: "Nein, wir lassen vor allem nicht diesen Täter weiterhin irgendwie so die Macht über unseren Zustand, sondern wir gehen da jetzt offensiv dran. Wir machen das öffentlich, wir reden da ganz offen drüber." Und ich fand das so tatsächlich schön zu sehen, wie die sich hier auch die ganze Zeit angeguckt haben und so beieinander waren. Das hat sich richtig schön vermittelt und vor allem auch, dass die Tochter sagt: "Mama, Papa, macht das!" Und die ihr Kind auch so einbeziehen. Und an dieser Stelle noch mal der Hinweis auf deren eigenen Podcast "Schattenmonster". Hört da gerne mal rein. Das machen die wirklich ganz, ganz toll und hört auch gerne hier andere Folgen von einbiszwei rund um dieses Thema.
[00:39:37.420] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Es ist eine der schrecklichsten Vorstellungen, die man sich als Eltern machen kann: Sexuelle Übergriffe auf das eigene Kind.
Für Daniel und Christine wurde diese Vorstellung Realität, als ihre damals 12-jährige Tochter erzählte, dass sie über mehrere Jahre hinweg sexuelle Gewalt durch jemanden aus dem nahen Umfeld erfahren hat. Die Reaktionen von Daniel und Christine sind zunächst sehr unterschiedlich:
Er stürzt sich in seine Arbeit und seinen Sport. Sie legt sofort einen Schalter um, fährt ihre Arbeit zurück und sucht Hilfe bei Beratungsstellen. Nach kurzer Zeit finden die beiden immer mehr zusammen, unterstützen sich gegenseitig und sind vor allem für ihre Tochter da.
Zwei Jahre später läuft das Verfahren immer noch. Ihrer Tochter geht es besser. Sie ermutigt ihre Eltern, öffentlich über das Erlebte zu sprechen und andere betroffene Familien zu unterstützen.
Genau aus diesem Grund haben Daniel und Christine den Verein und den Podcast „Schattenmonster“ gegründet.
LINKSAMMLUNG:
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@schattenmonster_ev
Website von Schattenmonster e. V.
Schattenmonster.de
Hier kommt ihr zum Podcast von den beiden
Schattenmonster. Ohne Missbrauch ist viel cooler