Warum gibt es so oft sexuelle Gewalt in der Kultur- und Medienbranche, Maren Lansink?
▷ hier reinhörenAktuelle Folge jetzt anhören
Das Interview der Folge 85 als Transkript lesen
[00:00:00.380] - Maren Lansink
Das geht von verbalen sexuellen Belästigungen bis hin zu schweren Vergewaltigungen. Wir erfahren im Schnitt von fünf bis acht Vergewaltigungsfällen im Jahr am Arbeitsplatz und es teilt sich eigentlich auf ansonsten zwischen verbaler und körperlicher sexueller Belästigung. Also das hält sich so 50/50 die Waage.
[00:00:26.500] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missständen und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:00:49.840] - Nadia Kailouli
"Produzent bittet Schauspielerinnen auf die sprichwörtliche Besetzungscouch.", "Alternder Sänger einer international erfolgreichen Band lässt sich nach dem Auftritt gerade so volljährige Frauen hinter die Bühne bringen." In den vergangenen Jahren wurde häufig über solche und ähnliche sexuelle Übergriffe berichtet. Die Aufregung ist dann jedes Mal groß. Den dazugehörigen Hashtag #metoo kennen mittlerweile auch sehr viele. Aber nur in wenigen Fällen gibt es dann eine Verurteilung vor Gericht. Themis, eine unabhängige Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt in der Kultur-und Medienbranche, soll hier helfen. Hier gibt es Beratung und juristische Hilfe. Geschäftsführerin ist Maren Lansink, bei einbiszwei erklärt sie, warum gerade in der Kultur-und Medienbranche sexuelle Übergriffe so häufig geschehen und wie es mächtigen Produzenten oder Künstler:innen immer wieder gelingt, sexuelle Gewalt unter den Teppich zu kehren. Herzlich willkommen bei einbiszwei Maren Lansink.
[00:01:43.860] - Maren Lansink
Hallo, ich freue mich. Vielen Dank für die Einladung.
[00:01:46.170] - Nadia Kailouli
Ja, wir freuen uns sehr, dass du da bist, denn wir haben hier bei einbiszwei tatsächlich schon des Öfteren über das Thema sexuelle Gewalt in der Kulturbranche gesprochen, sei es in der Musik, beim Film etc. Jetzt sprechen wir aber mal mit einer, die sich dafür einsetzt, dass diese Menschen, die das erleben, auch eine Anlaufstelle haben, wo sich etwas darum gekümmert wird. Du bist die Geschäftsführerin von Themis. Was ist das genau?
[00:02:11.450] - Maren Lansink
Die Themis Vertrauensstelle ist eine Beratungsstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur-und Medienbranche. Wir unterstützen Betroffene, die am Arbeitsplatz der Kulturbranche sexuelle Belästigung oder sexualisierte Gewalt erlebt haben. Und wir unterstützen aber nicht nur Betroffene, sondern auch Arbeitgeber:innen, die sich zu dem Thema informieren wollen, die sich darüber informieren wollen, wie kann man präventiv irgendwas gegen dieses Thema tun? Und wir unterstützen auch Zeug:innen oder Angehörige, die Fragen einfach zu dem Thema haben, die sie gerne geklärt haben möchten.
[00:02:50.430] - Nadia Kailouli
Ja, und bevor wir das Interview hier angefangen haben, du und ich, haben wir sozusagen im Backstage darüber gesprochen, weil ich gefragt habe: „Wie seid ihr eigentlich finanziert? Vom Bund? Dies das?" Und da hast du gesagt, ja, unter anderem, es gibt verschiedene Faktoren, wo ihr Geld herbekommt. Aber was man nicht weiß, ist, ihr nehmt natürlich auch Spenden entgegen. Und deswegen dachte ich, mache ich das heute einfach mal zu Beginn der Sendung und nicht erst zum Ende. Also für die Themis Vertrauensstelle kann man spenden. Also wenn ihr jetzt gerade den wahnsinnigen Auftrag bekommen habt, ja, als, keine Ahnung, Opernsängerin und sagt: „Ach, das möchte ich gerne mit einer guten Organisation teilen", die Themis freut sich. Nur das mal von vornherein gesagt. Maren, wir kennen Themen, wenn es um sexuelle Gewalt geht, wie zum Beispiel ganz groß natürlich Rammstein. Ja, das geht durch die Presse und alle sind alarmiert und denken sich: „Oh mein Gott, wie kann das sein? Das ist aber ja einfach, wenn man das so will, ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn sexuelle Gewalt in der Kulturbranche ist ja noch viel größer, oder?
[00:03:51.470] - Maren Lansink
Ja, die Dunkelziffer ist mit Sicherheit sehr hoch. Man muss dazu sagen, Rammstein, das waren ja die Fälle, die hauptsächlich Fans betrafen. Wir sind für die Beschäftigten in der Branche zuständig. Das bedeutet, dass wir eben zum Beispiel die Roadies bei Rammstein, wenn die solche Erfahrungen gemacht hätten, sehr gerne beraten würden. Für die Fans gibt es viele andere tolle Beratungsstellen, an die man sich wenden kann. Das Thema ist auf jeden Fall virulent und immer da. Wir können ja immer nur über das Hellfeld sprechen Das heißt, wir wissen, wie viele Betroffene sich an uns wenden. Und im letzten Jahr haben wir das absolute Rekordjahr gehabt. Wir hatten 884 Beratungsgespräche, die wir geführt haben. Das ist sehr, sehr viel, wenn man weiß, wie groß unsere Stelle ist. Man denkt nämlich immer: „Mein Gott, die sind wahnsinnig riesig." Das sind wir nicht. Wir haben viereinhalb Vollzeitstellen und wir sind zuständig für die ganze Bundesrepublik. Das heißt also und die Film-, Fernseh-, Bühnenbranche, Orchester, Tanz und die Musikindustrie. Und wenn man das sich mal überlegt, dann ist das schon sehr, sehr knapp bemessen.
[00:05:11.170] - Nadia Kailouli
Was nicht knapp ist, ist die Zahl, die offizielle Zahl, die ihr jetzt habt mit dem neuen Rekord von über 800 Menschen, die sich bei euch gemeldet haben und ja angeprangert haben oder gemeldet haben, dass sie sexualisierte Gewalt im beruflichen Kontext erlebt haben. Was sind da genau die Erfahrungen und Geschichten, die an euch herangetragen werden?
[00:05:29.800] - Maren Lansink
Das ist ganz unterschiedlich. Also es geht von verbalen sexuellen Belästigungen bis hin zu schweren Vergewaltigungen. Also wir erfahren im Schnitt von fünf bis acht Vergewaltigungsfällen im Jahr am Arbeitsplatz und es teilt sich eigentlich auf ansonsten zwischen verbaler und körperlicher sexueller Belästigung. Also das hält sich so 50/50 die Waage.
[00:05:57.280] - Nadia Kailouli
Das ist erschreckend, vor allem, weil man sich ja denkt: Moment mal, die Kulturbranche, das ist doch die coolste Branche. Da will jeder rein, zum Film, zum Fernsehen, zur Musik, Theater, Museen, ich weiß nicht was. Und eigentlich nehmen wir ja solche Themen, um damit irgendwie gesellschaftsrelevante Themen dann wieder zu erzählen, beim Fernsehen, beim Film, in der Musik, in Ausstellungen. Wie kann das dann also sein, dass gerade diese Branche anscheinend auch ein großes Problem mit sexualisierter Gewalt hat?
[00:06:25.240] - Maren Lansink
Ich glaube, das liegt einfach daran, wie die Mechanismen in der Branche funktionieren. Also es gibt eine sehr, sehr enge familiäre Nähe. Also in dieser Branche fühlt man sich so ein bisschen wie in so einem Familienverband. Die Branche ist sehr klein. Es gibt hohen Produktionsdruck. Also es muss immer schneller produziert werden. Die Jobs sind knapp. Es sind viele freie Mitarbeitende in der Branche, die natürlich darauf angewiesen sind, wieder weiterempfohlen zu werden und ja, eine gute Empfehlung ausgesprochen zu bekommen. Und die Hierarchien sind aber trotzdem sehr steil. Also vor allem, wenn man auch mal im Orchesterbereich guckt, wie das ist, also den GMD und dann die einzelnen Mitarbeitenden dort im Orchester, die unterliegen schon sehr, sehr starken Hierarchien. Genauso ist es beim Film auch: Der Regisseur, der quasi bestimmt, wie der Film auszusehen hat, Produktion. Dann gibt es Redakteure in den Sendeanstalten teilweise, die auch noch mitbestimmen. Und da bedeutet das einfach, dass man da nicht so gerne was sagt, weil man einfach Angst hat, aus dieser Branche wieder rauszufallen, weil man keine Jobs mehr bekommt und irgendwovon muss man sein Leben ja auch bestreiten.
[00:07:45.660] - Maren Lansink
Na ja, und der Job macht einem ja auch Spaß. Man möchte den ja auch machen. Und mit dem Wissen, wenn ich das jetzt anzeige oder anprangere, besteht da eben dieses Machtverhältnis, dass man sehr schnell aussortiert wird, ohne – ich komme ja auch aus der Branche der freien Journalist:innen - ohne dass man natürlich auch direkt die Kündigung auf dem Schreibtisch hat, sondern dann heißt es ja gerne mal: „Melden Sie sich, wir bleiben im Kontakt." Ja, im Kontakt bleiben zahlt die Miete nicht.
[00:08:09.580] - Maren Lansink
Richtig.
[00:08:09.930] - Nadia Kailouli
Und dementsprechend ist das natürlich ein großes Druckmittel.
[00:08:12.860] - Maren Lansink
Richtig. Und befristete Arbeitsverhältnisse, also gerade am Theater, wenn man da so Spielzeiten hat. Man ist da ja nicht richtig fest, sondern es gibt den NV Bühne. Das ist der Arbeitsvertrag dort, der auch einige Lücken hat und Schutzlücken hat wo man immer das Risiko hat, zum Beispiel, dass man aus künstlerischen Gründen nach einem Jahr einfach nicht mehr weiter beschäftigt wird, weil der Regisseur oder der Intendant andere Vorstellungen hat und dann sagt: „Nein, also das gefällt mir jetzt nicht mehr so." Und das ist ja so sehr weich. Man sagt, künstlerische Gründe, ja, wie greift man die? Was sind künstlerische Gründe? Also das ist einfach schwierig und da kann man ganz viel sagen. Und deswegen ist die Angst, wenn man Missstände erlebt, sich darüber zu beschweren, einfach riesig groß. Und die Dunkelziffer ist halt sehr, sehr hoch.
[00:09:07.610] - Nadia Kailouli
Jetzt hattest du eben von diesem im Durchschnitt fünf Vergewaltigungen im Jahr erzählt, die so an euch herangetragen werden, von dieser Zahl von über 800 Menschen, die sich allein in diesem Jahr oder letztes Jahr, 2023 …
[00:09:19.770] - Maren Lansink
Nein, das sind die Beratungsgespräche.
[00:09:21.710] - Nadia Kailouli
Beratungsgespräche. Genau.
[00:09:22.260] - Maren Lansink
Also es ist meistens so, dass es nicht bei einem Beratungsgespräch bleibt. Also zum Beispiel im psychologischen Bereich können bis zu zehn Gespräche geführt werden, weil es da auch oftmals darum geht, die Suche eines Therapieplatzes vielleicht zu überbrücken. Und juristisch ist es so, dass wir ja Beschwerden nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz für die Betroffenen an die Arbeitgeber:innen richten. Und da ist dann halt viel Abstimmungsbedarf und dadurch werden einfach viele Gespräche auch benötigt.
[00:09:56.890] - Nadia Kailouli
Ja. Hebt sich eine Branche besonders hervor, wo Missstände stattfinden? Kann man das sagen, in der Kulturbranche?
[00:10:03.050] - Maren Lansink
Nein. Am Anfang war das so, als wir angefangen haben, war der Theaterbereich ganz weit vorne. Also da hatten wir wahnsinnig viele Anrufer:innen aus dem Bereich und das hat sich aber angeglichen. Wir vermuten, dass es daran lag, dass die Strukturen in dem Bereich einfach sehr gut waren, um diese Stelle bekannt zu machen. Uns gibt es ja erst seit Oktober 2018. Über den Deutschen Bühnenverein, der auch Gründungsmitglied ist der Themis Vertrauensstelle, wurde das dann an die Häuser gespielt. Also: "Es gibt jetzt eine Beratungsstelle. Bitte hängt das aus für Betroffene." Und das haben viele Häuser gemacht und dadurch haben sich auch viele wahrscheinlich ermutigt gefühlt, sich an uns zu wenden. Im Filmbereich hat das etwas länger gedauert, weil da die kurzfristigen Beschäftigungen noch deutlicher sind. Also wenn man jetzt zum Beispiel 90 Minüter dreht, dann hat man 23 Drehtage als Schauspieler:in im besten Fall und danach geht man wieder zur nächsten Produktion und dann weiß man das nicht. Da gibt es kein schwarzes Brett, da findet man vielleicht diese Kontakte nicht. Und wir haben dann darauf gedrängt, dass auf jeder Stabliste einfach unsere Telefonnummer und unsere Daten stehen, damit man das auch sehen kann und ganz niedrigschwellig und vor allem auch, so das es niemand mitkriegt, sich jemand bei uns melden kann.
[00:11:27.510] - Nadia Kailouli
Warum muss das so im anonymen Raum stattfinden Also anonym für sich selbst. Jetzt nicht, dass ihr sagt, ihr wollt da jemanden anprangern, sondern dass man selbst so eine große Angst hat, aus dieser Branche heraus. Du hast es angesprochen, die Jobs, dass man Angst hat, dass man keine Folgeaufträge bekommt. Aber die Frage ist ja, weil du ja auch gesagt hast, ihr kümmert euch vor allem auch um die Mitarbeiter, um das System und wollt auch Anlaufstelle für Arbeitgeber sein, dass die dort sensibilisiert sind. Warum ist gerade diese Branche so fern davon, wie zum Beispiel die Sportvereine. Die sollen ja direkte Anlaufstellen zum Beispiel haben, was den Kinderschutz betrifft und so was. Warum kann die Kulturbranche von sich aus nicht sagen: „Wir wollen ein geschützter Raum sein, wo Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt erst gar nicht stattfindet"?
[00:12:13.860] - Maren Lansink
Also das haben sie ja ein bisschen gemacht mit der Gründung der Themis Vertrauensstelle. Wir sind ja eine unabhängige, überbetriebliche Stelle, wo sich Betroffene auch hinwenden können. Das heißt, Problem erkannt. Das ist ja schon mal gut. Aber aus meiner Sicht muss da auch mit der gleichen Verve drangeblieben sein. Also 2018, als Metoo dann über die Welt rollte, da waren alle ganz aufgeschreckt und haben gesagt: „Oh mein Gott, ist das hier in Deutschland auch so? ja, ist so! Oh Mist, was machen wir denn? Was schaffen wir niedrigschwellig?" Und so sind wir ja gegründet worden als Themis Vertrauensstelle. Und ich habe manchmal so ein bisschen den Eindruck, man lässt da so ein bisschen nach. Man hat so die eine Sau durchs Dorf getrieben, dann kommt die nächste, die nächste, dann kommt Green Production, also grünes Produzieren, klimafreundlich produzieren. Da ist dann jetzt Metoo wieder so ein bisschen abgehakt. Und dann kommen immer diese großen Aufregerfälle, wie im letzten Jahr Til Schweiger oder davor der Klaus Dörr Fall im Theater, hier an der Volksbühne. Und dann sind alle wieder ganz aufgeschreckt und sagen: „Oh mein Gott, das ist ja doch noch gar nicht vorbei." Und ich muss aber sagen, dass die Branche selber, also dass es da schon ein Umdenken gibt und dass auch viele Theater und auch viele Filmproduktionsfirmen und auch aus dem Musikbereich - da kann ich noch nicht ganz so viel zu sagen, weil die sind erst das zweite Jahr jetzt dabei. Da läuft das aber auch gut an - dass die sich präventiv gerne entsprechend aufstellen wollen. Wir haben ja 2020, als die Corona-Pandemie über uns niedergebrochen ist, haben wir gedacht: „Na ja, super. Können wir jetzt nach Hause gehen!" Weil es wird nirgendwo mehr gearbeitet, nirgendwo mehr gedreht, überall wurden die Drehgenehmigungen widerrufen. Wir so: „Ja, was machen wir denn jetzt?" Und da haben wir angefangen, ein Konzept für Prävention zu schreiben und haben mittlerweile ganz, ganz viele Präventionsveranstaltungen schon konzipiert, unter anderem für Mitarbeitende, Selbstschutz und Empowerment, wie lerne ich, Nein zu sagen? Wie lerne ich, meine Grenzen zu verteidigen? Was sind eigentlich meine Rechte? Weil ganz, ganz viele überhaupt nicht wissen, dass es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt in Deutschland, was sie schützt am Arbeitsplatz vor Diskriminierung und was Arbeitgeber:innen aber verpflichtet, auch den Arbeitsplatz diskriminierungsfrei zu halten. Das heißt, viele Arbeitgeber:innen wussten auch um ihre Pflichten überhaupt nicht. Also als wir angefangen haben, gab es sehr, sehr wenige Beschwerdestellen, wo sich Betroffene hinwenden können, eben auch über sexualisierte Gewalt zu beschweren. Und das hat mich total verwundert, weil dieses AGG gibt es seit 2006. Also schon- Wir sind 2018 angefangen, es gab's schon zwölf Jahre davor. Und jetzt mittlerweile nimmt das so zu. Also das merken wir und das, finde ich, das gibt uns ganz viel Auftrieb, also dass auch die Branche versteht: „Ah, wir müssen da was tun." Da ist noch Luft nach oben. Also es ist noch deutlich Luft nach oben. Und ich merke aber jetzt auch, dass sich zum Beispiel auch die Branchenverbände zusammenschließen, Code of Conduct zu entwickeln, Richtlinien vorzugeben. Und das ist eigentlich alles gut, solange das gelebt wird. Also wenn man jetzt nur auf so einem Papier irgendwas niederschreibt, dann bringt das nicht so viel. Das muss man schon leben.
[00:15:47.320] - Nadia Kailouli
Und das andere ist, wie du es ja schon sagtest, dass es sind halt einfach viele Freiberufler in diesen Branchen unterwegs und die sind dann natürlich anders geschützt oder manchmal auch gar nicht geschützt, was irgendwie arbeitsrechtliche Konsequenzen dann auch betrifft. Und die stehen dann eben da und überlegen sich ja eben dreimal: „Sag ich jetzt was oder sage ich nichts, weil …"
[00:16:09.020] - Maren Lansink
"Wie zahle ich morgen meine Miete, wenn ich keinen Job habe?"
[00:16:11.820] - Nadia Kailouli
Genau. Und man kennt sich ja in der Branche und dann braucht man einfach nur mal einen Anruf tätigen oder mal auf einer Party sagen: „Ach die, die hat bei mir nur rumgestresst, die würde ich nicht engagieren." Zack bumm. Aber wie könnt ihr diese Leute unterstützen, die sich dann doch trauen, was zu sagen, aber Angst haben, dann die Konsequenzen zu erleben, dass sie keine Aufträge mehr bekommen?
[00:16:32.280] - Maren Lansink
Also was wir tun, wir beraten auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes juristisch und helfen Betroffenen bei der Einlegung von Beschwerden. Das heißt, wir formulieren die auch vor. Also wir sind drei Juristinnen bei der Themis und wir besprechen dann mit den Betroffenen den Beschwerdeentwurf, wir lassen den gegenlesen und wenn die Betroffenen sagen: „Ja, das ist für uns so okay", schicken wir das ab, weil für uns oberste Prämisse ist, dass Betroffene immer, wir nennen das, Herr oder Herrin des Verfahrens bleiben. Das bedeutet, dass die über jeden Schritt, den wir machen, mitbestimmen dürfen und wir nichts tun, was die uns nicht freigegeben haben, weil wir einfach wollen, dass Betroffene selbstbestimmt handeln können, dass sie informiert handeln können, denn durch die Übergriffe, die denen geschehen sind, haben sie halt ihre Selbstbestimmung einmal ganz kurz verloren. Und da sind wir natürlich an der Seite. Wir übernehmen, wenn Betroffene das wollen, auch die gesamte Kommunikation mit den Arbeitgeber:innen in Vertretung für die Betroffenen. Wir lassen uns da eine Vollmacht geben und sind zum Beispiel auch bei den Anhörungsgesprächen dabei, haken da auch nach, was da für Sanktionen dann angedacht sind oder was für Sanktionen getroffen worden sind. Und wir versuchen dann eben, für Betroffene auch einen vernünftigen Weg da zu finden. Was wir natürlich nicht können, ist, sie schlussendlich, also wenn so ein Verfahren abgeschlossen ist, also ich kann halt niemanden davor schützen, dass der Intendant irgendwo einen anderen Intendanten anruft, sagt: „Oh, die hat total herumgestresst. Ich musste da so ein riesen Beschwerdeverfahren mit der Themis durchlaufen. Nimm die mal nicht, die ist vielleicht bei dir auch so anstrengend." Das können wir natürlich nicht. Das kann man halt nur, indem man versucht, den Kulturwandel voranzutreiben, also indem man dieses Thema wachhält, indem man darüber spricht. Deswegen dokumentieren wir auch anonymisiert und nehmen unsere Zahlen, die wir dann auch an unsere Mitgliedsverbände übermitteln, in der Hoffnung, dass die das dann auch an ihre Mitglieder eben weitergeben und sagen: „Hier, da ist noch ein Problem. Bitte guckt dahin." Aber wir können natürlich nicht alle vor allem schützen und auch nicht vor allen beruflichen Konsequenzen. Und das ist uns aber besonders wichtig, dass wir das den Betroffenen in unserer Beratung auch von Anfang an sagen. Also wir sagen, wir gehen den Weg mit euch, aber für die Zukunft können wir jetzt keine Garantien übernehmen.
[00:19:15.110] - Nadia Kailouli
Aber was ist, unabhängig davon, dass man sich natürlich wünscht, dass man keine beruflichen Konsequenzen dadurch erleidet, was ist das Ziel, diesen Weg zu gehen? Also was könnt ihr dann erreichen mit Aussagen eines Betroffenen, der oder die dann eben Missstände erlebt hat im Job, im Kulturbereich? Was macht ihr dann? Also geht ihr zum Intendanten und sagt: „Das wissen wir jetzt von Ihnen. Wir prangern das an!" Ich meine, bis so ein Intendant mal den Sessel räumen muss, muss schon viel passieren. Besser gesagt, manchmal ist schon viel passiert und der sitzt immer noch da.
[00:19:47.820] - Maren Lansink
Ja, das stimmt. Da stimme ich dir total zu. Aber was wir natürlich tun, ist, wenn wir eben juristisch Dinge erfahren … Also man muss wissen, unser Bereich ist ja sehr begrenzt, und zwar begrenzt auf die sexuelle Belästigung, die ja allerdings oft mit anderen Diskriminierungsmerkmalen auch so verschränkt kommt. Also marginalisierte Gruppen haben ein deutlich erhöhtes Risiko, auch sexuell belästigt zu werden. Und das ist wirklich ein Problem, wo wir ernsthaft echt dran arbeiten müssen. Und deswegen ist unser Blick auf diese ganzen Sachen auch immer sehr intersektional. Also wir versuchen, das auch mit einzubeziehen. Und wir können natürlich durch unsere Beschwerden informieren wir jetzt Intendant:innen oder Produzent:innen oder Redakteur:innen darüber, dass es Missstände gibt mit einer bestimmten Person. Oder wenn jetzt ein Redakteur von einer Sendeanstalt zum Beispiel, ich sage jetzt mal, der mutmaßliche Beschuldigte ist, dann wenden wir uns auch schon an in die Leitung von so Sendeanstalten und sagen: „Da gibt es jetzt ein Problem. Bitte guckt da mal hin und bitte prüft das. Prüft den Sachverhalt, schaut da mal nach."
[00:21:12.350] - Nadia Kailouli
Wie reagieren die dann? Ich bin so neugierig. Ich arbeite ja für die Öffentlich-rechtlichen. Jetzt möchte ich ja doch mal wissen… Also ich kenne ja meine Geschichten, die so an mich herangetragen werden. Jetzt bin ich gespannt: Aus dem öffentlich-rechtlichen Spektrum bekommt ihr dort Geschichten zu hören, die auf in jeden Fall sexuelle Gewalt sind?
[00:21:31.110] - Maren Lansink
Ja, klar.
[00:21:32.640] - Nadia Kailouli
Hammer. So, und warum? Das ist doch das. Das sage ich immer, ne? Also wir berichten ja gerne immer über andere, aber selten über uns. Ich spreche jetzt hier von den Öffentlich-rechtlichen. Ich weiß, alles anonym, aber ist ein Sender sehr speziell im Fokus?
[00:21:45.500] - Maren Lansink
Darf ich nicht sagen.
[00:21:46.720] - Nadia Kailouli
Das darfst du auch nicht sagen?
[00:21:47.330] - Maren Lansink
Nein, natürlich nicht.
[00:21:48.020] - Nadia Kailouli
Schade. Weil… Ja, schade.
[00:21:51.150] - Maren Lansink
Nein, ich darf also generell nicht über unsere… Also wir reden generell nicht über unsere Fälle, die an uns herangetragen werden. Wir sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Das ist auch unsere oberste Prämisse und auch das, warum uns Betroffene vertrauen. Also wenn wir jetzt darüber reden, das machen wir generell nicht. Wir ordnen zwar ein und du könntest mich jetzt anfragen als Journalistin. Ich könnte dir sagen: „Ja, das gibt es und das liegt vielleicht da und da und daran", so wie wir jetzt auch sprechen. Aber ich würde dir niemals sagen: „Ja, jetzt Sender XY, das ist aber puh, da geht es aber zur Sache."
[00:22:25.860] - Nadia Kailouli
Ja, dabei wissen wir ja, als Journalisten zum Beispiel, dass wenn man ans Licht bringt, dass sich dadurch dann doch manchmal was verändern kann. Wir hatten Katharina Kestler hier zu Gast, die eine Geschichte recherchiert hat von einer Mountainbikerin und hat dann eben den Mountainbikeverein damit konfrontiert, ob das jetzt so ist oder nicht, aber nichtsdestotrotz, immerhin haben die sich jetzt eben Ansprechpartner auf die Agenda geschrieben, eine Kontaktperson, die ist das. Und man weiß ja, wenn man im Öffentlichen darüber berichtet, dass man mehr sensibilisiert, enttabuisiert und und und. Und natürlich denke ich mir so: Wenn das bei den Öffentlich-rechtlichen, warum soll das dann nicht passieren? Das ist halt auch ein riesen Unternehmen, ja. Da passieren auch definitiv Missständen, müssen die ja auch irgendwie ans Licht kommen. Aber egal, ich schicke dann noch mal eine Anfrage und fühle dem noch mal auf den Zahn.
[00:23:14.460] - Maren Lansink
Kannst du gerne machen.
[00:23:15.140] - Nadia Kailouli
Ja, aber es wird ja einfach deutlich, dass eben keine Branche, jetzt in der Kulturbranche, davon befreit werden kann, dass sie sich komplett korrekt verhält, oder?
[00:23:25.510] - Maren Lansink
Nein. Ich will das jetzt gar nicht so schwarz malen, dass das nur die Kulturbranche ist. Es gibt auch andere- Also ich glaube, das hat einfach mit unserem patriarchalen System zu tun, wie wir alle aufgewachsen sind. Und in der Kulturbranche kommen eben diese Stellschrauben: Geniekult, man darf da nichts sagen, weil das ist doch so ein toller Typ, der ist doch so wahnsinnig erfolgreich. Der macht so super Filme. Also wie Dieter Wedel zum Beispiel, der ja sehr, sehr lange sehr hofiert worden ist, auch von den ganzen Fernsehsendern, als der Top-Regisseur oder bestimmte Dirigent:innen – ich glaube, es gibt gar nicht so viele „innen", sondern mehr Dirigenten –, die dann auch sehr hofiert werden, weil sie einfach großartige Arbeit machen oder Tänzer, die wahnsinnig erfolgreich sind. Und da wird einfach gesagt: „Na ja, aber klar, der hat ja auch so viel Druck und der muss ja auch damit fertig werden." Und na ja, das sind dann so Nebengeräusche.
[00:24:29.220] - Nadia Kailouli
Aber kannst du oder hast du im Laufe deiner Arbeit, die du seit 2018 jetzt für die Themis machst, irgendwie für dich eine Antwort darauf gefunden, warum diese Branche auch ein Nährboden eben für sexualisierte Gewalt ist? Oder fangen wir mal so an: Die Geschichten, die du gehört hast und deine Kolleginnen und Kollegen, was sind das für Geschichten? Also wir kennen natürlich die Missbrauchsfälle von der Metoo-Erfahrung, dass man aufs Hotelzimmer gerufen worden ist für ein Vorgespräch oder "wir können ja noch mal eine Szene spielen."
[00:25:00.300] - Maren Lansink
Das gibt es übrigens immer noch.
[00:25:01.810] - Nadia Kailouli
Und das gibt es immer noch? Also das ist die Frage: Ist es wirklich so, wie wir eins gehört haben, wo wir denken, da sollte auch jeder daraus gelernt haben? Das passiert so immer noch? Der Regisseur sagt: „Komm doch noch mal aufs Zimmer, sprich doch noch mal vor."?
[00:25:12.240] - Maren Lansink
Das passiert immer noch. Und ehrlich gesagt wundert uns das auch, weil wir auch denken: „So Mensch, wo leben die eigentlich? Gucken die nie Fernsehen? Lesen die keine Zeitungen? Was ist mit Berichterstattung? Das interessiert aber bestimmte Personen nicht. Oder sie denken: „Mir Mir passiert sowieso nichts, wenn ich das mache. Die sind so in ihrem Machtkosmos quasi selber gefangen, dass sie denken, die trauen sich eh alle nicht. Ich bin einfach so mächtig, ich kann das alles ausblenden und kann mich, ich sage immer, benehmen wie eine offene Hose. Also es gibt von bis. Es gibt das, was du sagst, es gibt ganz niedrigschwellige Dinge, es gibt hauptsächlich ja den Bereich, wo dann eben Nachwuchskräfte, die gerade von der Schauspielschule kommen oder von der Uni, die dann umgarnt werden und denen gesagt wird: „Ach, du bist so toll und du bist so talentiert. Ich bringe dich hier in meinem nächsten Film groß raus und komm doch einfach noch mal, wir treffen uns bei mir zu Hause, dann kannst du schon mal vorsprechen." Also solche Sachen, die passieren immer noch. Und genauso ist es zum Beispiel im Ausbildungsbereich, deswegen an den Hochschulen. Da ist ja, auch gerade eine ganz große Debatte, wo es darum geht, wie macht man Unterricht sicherer? Also gerade auch Musikunterricht. Also Gesangsunterricht, wenn dann plötzlich der Dozent kommt und sagt: „Ich muss hier mal eben auf deinem Klangkörper die Hand..." Also legt die Hand oben auf die Brust und hinten auf den Rücken, ohne einfach mal zu fragen, ob man das darf oder nicht. Geht also in den eigenen Space so rein oder schließt die Tür ab und massiert hinten die Schultern und sagt: „Du musst mal ein bisschen lockerer werden. Ansonsten wird das alles nichts mit dir, mit dem Klaviervorspiel." Also da geht es von bis – man glaubt es gar nicht –, was da immer noch so für Auswüchse passieren.
[00:27:12.200] - Nadia Kailouli
Gibt es eine Sache, die dich besonders schockiert hat wo du selber gesagt hast: „Oh mein Gott, das glaube ich jetzt nicht"?
[00:27:18.250] - Maren Lansink
Na ja, was mir immer noch nachhängt, ist ein Satz in der Beratung, den uns mal eine Betroffene gesagt hat, die gesagt hat: „Wissen Sie was, Frau Lansink, bei uns ist jeden Tag Weihnachtsfeier." Und ich dachte so, ja Mensch, also das war so wirklich, als ob mir einer mit der Pfanne auf den Kopf haut, weil ich dachte so: Ja, krass, das hat sie jetzt wirklich richtig umschrieben. Das ist immer Ausnahmezustand. Also es ist nie „normales", ich sage jetzt mal in Anführungsstrichen „normales Arbeiten". Man geht irgendwo hin, arbeitet, geht wieder nach Hause. Es ist immer irgendwie besonders. Man geht danach noch mal was trinken, man hat die Aufführung auf der Bühne, danach geht man noch in die Bar, dann passieren natürlich auch leichter dann so Übergriffigkeiten. Und wer macht das schon? Also ich gehe nicht jeden Feierabend mit meinen Kolleginnen, mit denen ich mich super verstehe, irgendwo noch einen trinken. Das mache ich nicht.
[00:28:14.340] - Nadia Kailouli
Aber das ist echt ein richtiges, ich will nicht sagen Druckmittel, aber ein Mittel, sich verbunden zu machen.
[00:28:20.780] - Maren Lansink
Richtig.
[00:28:21.110] - Nadia Kailouli
Ich kenne das auch noch aus einer Zeit in meinem Leben als Journalistin, wo ich in einem Team drin war, die wirklich so miteinander abhingen und ich mich entscheiden musste: Mache ich da mit und gehe immer mit denen aus? Oder sage ich: Ich suche hier keine neuen Freunde die ganze Zeit. Ich möchte meine Arbeit machen und dann wieder zurück in mein Privatleben gehen. Und was ist passiert? Ich habe nie wieder für die gearbeitet, weil man sich dann entscheiden muss: Bist du Teil davon oder bist du kein Teil davon? Und dann ging es nicht mehr so um die journalistische Arbeit, sondern eher um „verbrüdert" man sich in Anführungsstrichen und ist Teil einer Party-Redaktion oder eben nicht?
[00:28:57.310] - Maren Lansink
Ja, und das macht es halt auch für Betroffene so schwer, sich zu wehren, weil man will die Familie nicht beschädigen. Das ist ja auch ein Mittel, genau wie du sagst, die Party-Redaktion. Man sagt ja, es ist so wie Mutter, Vater, Kind. Wann sagt man was gegen seinen Vater oder seine Mutter? Bis man das sich traut, da kommt schon viel dazu. Oder warum unterstützen dann die Kolleginnen nicht? Die sagen dann: „Ja, der ist ja schon immer so gewesen. Der ist halt ein Feierbiest. Ja, dem rutscht dann vielleicht mal die Hand aus, dann landet die halt mal am Po. Aber ist das jetzt so schlimm?" So, und ja, das ist schlimm. Das hat am Arbeitsplatz nichts zu suchen. Und ob der ein Feierbiest ist oder nicht, hat auch am Arbeitsplatz nicht zu suchen. Und das wird aber so relativiert und Betroffene, die das merken, denken dann so: „Ja, Mist, wie komme ich denn dagegen an, wenn selbst ich mich der Kollegin anvertraue und sage: 'Der hat mir da, dem Rutsch ständig die Hand aus, die landet entweder auf meiner Brust oder meinem Po, oder der umarmt mich immer, wenn ich morgens zur Arbeit komme und drückt mir erst mal links und rechts sechs Küste irgendwo hin. Ich will das gar nicht, ich möchte einfach arbeiten, professionell.' Und die Kollegin sagt: 'Mein Gott, ist ja nicht so schlimm. Der ist halt so. Schon seit Jahren ist der so.'" Umso schlimmer, dass das so relativiert wird.
[00:30:19.490] - Nadia Kailouli
Aber komischerweise sind die auch immer erfolgreich. Also ich habe auch einen mit dem, der hat mir noch nie einen Job gegeben. Jetzt packe ich mal aus, ne? Pass auf. Der hat mir wirklich noch nie einen Job gegeben. Aber andauernd, vor allem zu der Zeit, wo ich eben noch nicht so, ich sage jetzt mal, so einen Namen hatte wie heute, nimmst du das natürlich gerne an. Dann wirst du angerufen: „Ich habe da eine Idee. Hast du Lust, das zu machen?" Ich landete auch immer wieder mit dem, natürlich hatte er nur abends Zeit, an der Bar zum Brainstormen für ein Konzept und dann wurden aber Fantasien von dem ausgesprochen, wo ich dann zum Glück als schlagwertige Frau nur dachte, ich sage jetzt den Namen nicht, aber „forget it".
[00:30:51.670] - Maren Lansink
Das ist auch schon eine sexuelle Belästigung.
[00:30:53.680] - Nadia Kailouli
Natürlich. Ich kann das gar nicht sagen, was der für Fantasien ausgesprochen hat. Und dann war es „Haha, der Alkohol." Einen Auftrag habe ich nie bekommen, aber immer wieder eine Einladung, mit diesem Produzenten auszugehen. Und da frage ich mich: Warum sind diese Leute, die diese Position so ausnutzen und so grenzüberschreitend ja nun sind, so erfolgreich?
[00:31:11.280] - Maren Lansink
Ja, weil manchmal das System deckt halt auch seine Kinder. Also das ist dann auch so. Es ist halt so ein Machtgeflecht und manche profitieren da natürlich von. Das hat auch was mit Geld zu tun, selbstverständlich. Also wenn jetzt ein sehr erfolgreicher Regisseur, der viel Kinopublikum ins Kino bringt, der bringt natürlich auch viel Geld für Produktionsfirmen. Mit dem möchte man natürlich gerne arbeiten, weil man dann selber auch gut dasteht, auch finanziell gut dasteht. Und da müssen wir, glaube ich, so ein bisschen so ein Umdenken bekommen und sagen, das ist einfach gesellschaftlich nicht mehr gewollt, dass wir so miteinander arbeiten. Und wir merken aber, dass die Jugend, die jetzt gerade so nachwächst, ganz andere Vorstellungen hat vom Arbeiten, also dass sie das nicht mehr hinnimmt, dass die sich eher beschwert. Wir haben im letzten Jahr 20 Beschwerden an Arbeitgeber:innen gerichtet. Das ist super viel, weil in den Jahren davor von '18 bis '22, haben wir insgesamt nur 18 Beschwerden bearbeitet. Also das heißt, in vier Jahren 18 und in einem Jahr 20. Also das ist halt ein richtig, also das ist wirklich krass viel und das waren zu 80% junge Kolleginnen am Anfang ihrer Berufslaufbahn, die gesagt haben: „Mir ist das jetzt egal. Ich möchte so nicht arbeiten. Ich setze mich dazu wehr, weil wenn ich das nicht mache, dann macht das ja keiner. Und das ist nicht die Arbeitswelt, in die ich möchte." Die haben ja eigentlich, gehen ja ein riesig großes Risiko, weil sie ja noch keinen Job haben, am Anfang stehen, erst mal reinkommen müssen in die Branche, auch gerne in der Branche arbeiten würden, weil sie ja einfach so attraktiv und so toll und so kreativ ist. Und das ist sie ja auch. Und trotzdem sind es diejenigen, die sagen: „Nein, stopp. Also das wollen wir nicht. So nicht."
[00:33:10.860] - Nadia Kailouli
Weil die zum Glück alle unseren Podcast hören, einbiszwei, und sagen: „Nein, nein, Moment mal. Wir wissen nämlich, das ist hier eine absolute Grenzeüberschreitung. So nicht, definitiv nicht." Aber wie reagieren denn dann die Arbeitgeber? Ich kann mir vorstellen, also wenn mein Redakteur – ich habe super Redakteure, das muss ich auch an dieser Stelle sagen. Ja, ich bin ja hier beim NDR. Ich habe da wirklich top Redakteure, nicht, dass man das jetzt falsch versteht, aber wenn ich mir vorstelle, dass mein Redakteur jetzt ein Schreiben von dir bekommt, ich glaube, dem fällt erst mal alles aus dem Gesicht. Also wie reagieren denn die Arbeitgeber, wenn ihr die konfrontiert mit „Das wurde an uns herangetragen, bitte schön, so geht es bitte nicht!"?
[00:33:45.640] - Maren Lansink
Bislang alle erstaunlich positiv. Wir haben noch nicht einmal die Erfahrung gemacht, dass wir keine Rückmeldung bekommen haben. Alle melden sich auch sehr zeitnah zurück. Die meisten sind natürlich ein bisschen verstört und sagen: „Oh mein Gott, was ist da passiert?" Weil sie auch vielleicht überrascht sind, vielleicht auch nicht, aber zumindest sagen sie uns, sie sind überrascht und sie bemühen sich auch, mitzuarbeiten. Also es ist schon so, dass sie teilweise auch externe Anwaltskanzleien dann beauftragen, mit der Sachverhaltsaufklärung beginnen.
[00:34:18.310] - Nadia Kailouli
Okay, aber das heißt sozusagen, damit wir uns nicht missverstehen, ihr konfrontiert die Arbeitgeber: "In ihrem Haus ist das und das passiert." Jetzt kann ja der Arbeitgeber selbst, der Chef selbst, der Täter sein. Ja, dann ist man wahrscheinlich nicht mehr so positiv, oder?
[00:34:32.770] - Maren Lansink
Na ja, das bringt meistens nicht so viel, wenn man den Chef selbst mit seinen Missständen oder seinen Missetaten konfrontiert. Da ist das so, dass wir dann gucken, wer ist da drüber geschaltet. Also gibt es da zum Beispiel einen Aussichtsrat? Gibt es da… Also wenn jetzt dein Redakteur zum Beispiel oder einer deiner Redakteure übergriffig wäre, dann gäbe es da ja auch noch mal Chefs. Also auch bei einer Sendeanstalt gibt es ja dann irgendwie Chefs. Und klar, wenn der Intendant das jetzt macht, dann ist das schwierig, aber dann muss man sich auch überlegen: Wen schaltet man da ein? Schaltet man dann vielleicht ein Rundfunkrat ein? Gibt es da irgendwie andere Personen, die man dann noch mal darüber in Kenntnis setzen kann, was da passiert? Danach gucken wir dann schon. Also wir gucken schon … Also es gibt ja auch Theater, die von Städten getragen werden, wo wir uns dann, wenn das sich zum Beispiel um die Leitung handelt, dann auch an die Städte wenden, an die Bürgermeister und sagen: „Schaut mal bitte da hin. Da soll folgendes vorgefallen sein. Wie geht ihr jetzt damit um?"
[00:35:38.050] - Nadia Kailouli
Okay. Jetzt ist es ja so, die meisten Menschen, die ich in meiner Branche kenne, sind natürlich erwachsen. Aber wenn wir jetzt gerade beim Film sind oder beim Theater sind, da sind natürlich auch Minderjährige auf der Bühne oder auf der Kinoleinwand zu sehen. Jetzt können die ja in Eigenregie nicht bei euch anrufen, aber habt ihr da auch schon Geschichten gehört, wie Minderjährige am Set oder beim Film oder ich weiß nicht, wo behandelt werden?
[00:36:00.570] - Maren Lansink
Ja, und es wird tatsächlich immer mehr. Es macht uns auch ein bisschen Sorge. Also die Zahl, die steigt und es melden sich tatsächlich auch minderjährige Personen bei uns. Also die können uns auch anrufen oder auch die Eltern können uns auch anrufen und bekommen Unterstützung. Ja, es liegt daran, dass noch Schutzkonzepte an vielen Orten fehlen und man da wirklich noch mal seinen Fokus drauf legen sollte, auch als Produktionsfirma oder als Theater, auch in den Bereichen, wenn zum Beispiel Abschlussfeste gefeiert werden. Und dann wird die Person natürlich, die minderjährige Person, auch eingeladen, wenn sie mitgespielt hat. Darauf auch zu achten, dass um 2 Uhr nachts nicht die 14-jährige Schauspielerin inmitten von feierenden Kolleg:innen ohne vielleicht eine erziehungsberechtigte Person an so einem Fest teilnimmt. Also das ist in den Köpfen noch nicht so verankert, der Schutz. Und da passieren tatsächlich dann auch Übergriffe und die werden uns auch gemeldet.
[00:37:06.910] - Nadia Kailouli
Und die habt ihr auch schon gemeldet bekommen.
[00:37:08.180] - Maren Lansink
Die haben wir schon gemeldet bekommen, ja.
[00:37:09.260] - Nadia Kailouli
Also das Minderjährige innerhalb ihres Arbeitsumfeldes, was es ja dann ist, Übergriffe erlebt haben?
[00:37:15.620] - Maren Lansink
Ja, haben wir schon gemeldet bekommen tatsächlich. Und es gibt auch immer noch Theater, die auch keine ausreichenden Schutzkonzepte haben. Und ich meine, beim Film gibt es natürlich die Jugendschutzgesetze. Da gibt es Kinderfachkräfte und Jugendschutzkräfte, die dann auch am Set sind. Aber auch da müsste, aus meiner Sicht, noch mal sehr genau hingeguckt und nachgeschärft werden, gerade auch, wenn es den Bereich von intimeren Szenen geht, denn auch die werden ja manchmal mit minderjährigen Personen … Nastassja Kinski, der Fall, die ja jetzt auch gegen den NDR, glaube ich, vorgeht und sagt: "Ich möchte nicht mehr, dass das gezeigt wird. Ich war da auch noch minderjährig Ich bin da überhaupt nicht geschützt worden. Das wurde einfach so ausgestrahlt."
[00:38:05.340] - Nadia Kailouli
Und das ist die Tochter von Klaus Kinski und damals, eben, als sie noch eine Minderjährige war, gab es Szenen von ihr, intime Szenen, als Kind, die sie gespielt hat, wo sie heute als erwachsene Frau sagt: „Das wollte ich so eigentlich gar nicht und ich will vor allem nicht, dass man diese Szenen heute noch ausstrahlt." Und da ist die ja mit ihrem Juristen dann in Gesprächen mit dem NDR, dass man sagt: „Bitte unterlasst das, bitte strahlt es nicht aus."
[00:38:29.790] - Maren Lansink
Genau.
[00:38:30.410] - Nadia Kailouli
Aber das ist natürlich ein wichtiger Punkt, noch mal zu sagen, klar, Minderjährige am Set. Wir hatten hier schon mal eine Intimacy-Koordinatorin zu Gast, die halt irgendwie am Filmset oder am Theaterset eben guckt, dass intime Szenen, sei es Umarmung, Kussszenen, was auch immer man unter intim dann in der Darstellung versteht, da da ist und guckt, dass sich die vor allem Schauspielerinnen und Schauspieler eben wohlfühlen und dass das da eben nicht zu, und wenn es vielleicht nicht beabsichtigt ist, Grenzüberschreitungen kommt. Ist das denn etwas, wo ihr auch drauf guckt, so, dass ihr sagt, wenn ihr so was hört, dass ihr dann direkt guckt, gibt es eine Intimacy-Koordinatorin? Und wenn nicht, könnt ihr die auch sofort anprangen und sagen: „Ihr könnt hier nicht Minderjährige am Set haben, ohne dass da jemand ist, der aufpasst!"?
[00:39:16.230] - Maren Lansink
Klar, also da gucken wir schon nach. Und Intimacy-Coordinating ist absolut ein total sinnvolles Berufsbild, was wir zu 1000% unterstützen und wichtig finden, gerade für Schauspieler:innen. Also das ist toll, dass dass da jetzt auch immer mehr Personen gibt, die da auch entsprechend ausgebildet werden. Und das ist auch wichtig. Aber das gilt ja für Schauspieler:innen, Intimacy-Coordinating, aber es gibt ja zum Beispiel auch Kinderballets und solche Sachen. Und ich habe mal von einem Fall gehört, wo die minderjährigen Kinder sich quasi umkleiden mussten, direkt in dem gleichen Raum, wo auch die Hausmeister des Theaters gesessen haben. Und das geht natürlich nicht. Also nicht, dass ich jetzt sagen will, die Hausmeister sind alle pädophil, aber generell müsste es da einen Raum geben, wo die geschützt sind. Die ziehen sich da um, die ziehen sich da aus, das sind Kinderkörper. Und das darf einfach nicht sein, dass die keinen eigenen Raum dafür haben. Und solche Sachen, da muss man wirklich aus meiner Sicht noch mal sehr genau gucken: Wie sind da unsere Schutzkonzepte? Achten wir darauf? Und auch, also wir hatten jetzt eine ganz interessante Anfrage von einem Theater, die gesagt haben: "Wir wollen ein Schutzkonzept machen für Beschäftigte und Kinder, die zum Beispiel als Kompasen oder als Statisten mitspielen, die sehr brutale Szenen sehen müssen, die also gar nicht in diesen Szenen jetzt sind, aber die sie sehen müssen, weil sie als Statist irgendwie auch mit auf der Bühne sind. Und wie schützen wir die eigentlich vor dem, was sie da sehen müssen?" Also das habe ich das erste Mal gehört und fand den Ansatz ganz, ganz toll, weil natürlich gibt man den Minderjährigen dann jemanden an die Seite und sagt: „Wollt ihr da drüber sprechen, über diese Szenen, die ihr da gesehen habt?" Die auch verstörend sein können unter Umständen und sie nicht einfach so von der Bühne abgehen lässt und sagt: „Na ja, nach uns die Sintflut."
[00:41:20.700] - Nadia Kailouli
"Sind ja Schauspieler."
[00:41:21.450] - Maren Lansink
Genau.
[00:41:22.090] - Nadia Kailouli
„müssen sie abkönnen."
[00:41:23.100] - Maren Lansink
Klar, richtig. „Du willst doch Schauspieler werden. Ja, dann kannst du schon mit zehn anfangen, das mal zu lernen, wie das so ist in dem Job."
[00:41:30.560] - Nadia Kailouli
Und dass das eben so nicht ist, sondern dass man sensibilisiert ist, dass das traumatisierend sein kann. Richtig. Und dass, wenn man präventiv daran arbeitet oder direkt daran arbeitet, dass das dann bestimmt auch die besseren Schauspieler werden, wenn die wissen: Das war jetzt alles nur gespielt. Ich kann das verarbeiten, ich kann mit jemandem drüber reden und muss da nicht mein Trauma mit nach Hause nehmen.
[00:41:48.280] - Maren Lansink
Genau.
[00:41:48.890] - Nadia Kailouli
Absolut. Jetzt fragt man sich ja: Wie wird denn die Branche ein besserer Arbeitgeber? Man kennt ja neben Till Schwaiger ja nun auch andere Beispiele, wo man sich dann im Nachhinein entschuldigt. Das ist ja schon mal okay, sich zu entschuldigen. Nichtsdestotrotz sind diese Sachen passiert, dass man angeschrien worden ist, dass man, weiß ich nicht, angegrabscht worden ist, ohne das jetzt irgendeinem expliziten Schauspieler oder Produzenten jetzt vor die Füße zu legen. Aber diese Fälle gibt es und dann werden die an die Öffentlichkeit getragen und dann entschuldigt man sich mit: „Ich war überfordert, „Ich weiß auch heute besser Bescheid, dass man das nicht mehr macht." Nichtsdestotrotz passieren diese Sachen ja weiterhin. Ist das schon mal ein guter Weg, solche Sachen öffentlich anzuprangern? Und die, ich sage jetzt mal in Anführungsstrichen „Täter zu Wort kommen zu lassen" und ihre Entschuldigung dann sozusagen mit in die Branche zu nehmen? Oder was wäre für dich, für euch der beste Weg oder ein guter Weg, dass man sich besser in dieser Branche fühlt, was sexuelle Übergriffe betrifft, dass man sich da geschützter fühlt?
[00:42:47.550] - Maren Lansink
Also ihr Journalist:innen, ihr müsst ja auch Täter:innen anhören. Also ihr müsst denen ja auch die Möglichkeit zu einer Stellungnahme geben. Das ist ja so. Ich glaube, der bessere Weg wäre einfach, viel Präventionsmaßnahmen zu machen und dafür zu sorgen, dass das Anschreien gar nicht mehr vorkommt oder so gut wie gar nicht mehr, dass man nahezu diskriminierungsfrei quasi arbeiten kann, was das Gesetz eigentlich ja auch vorschreibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, spricht davon, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz verboten ist und dass die Arbeitgeber eben durch geeignete Präventionsmaßnahmen dem vorbeugen und dafür sorgen, dass das Klima eben entsprechend ist, dass solche Sachen nicht mehr passieren können. Das kann man zum Beispiel machen, indem man regelmäßig Sensibilisierungsworkshops für Mitarbeitende anbietet, indem man Infomaterial auslegt, indem man dieses Thema zum Führungsthema macht, weil mein Lieblingssatz ist „der Fisch stinkt vom Kopf." Und wenn die Leitung nicht davon überzeugt ist, dass das ein wichtiges Thema ist, gegen Diskriminierung zu sein und für Diskriminierungsfreiheit zu sorgen. Dann erleben wir sehr häufig, dass in den Unternehmen, wo das so ist, auch Mitarbeitende sagen: „Guck mal, aber die sitzt doch beim Chef eben mal auf dem Schoß. Na, dann kann die doch jetzt hier bei mir auch auf dem Schoß sitzen." Also der Chef quasi als Vorbild oder die Chefin als Vorbild genommen wird, wo man dann denkt: „Da muss ich ja jetzt auch nichts mehr machen." Das heißt, Führungskräfte haben eine extrem wichtige Rolle, sollten sehr gut geschult sein. Man muss dahin kommen, dass man nicht immer nur auf's Genie guckt, sondern auch auf Führungsqualitäten. Also nicht nur Sind es wahnsinnig kreative Künstler:innen? Sondern: Wie leiten sie vielleicht auch Teams? Haben sie da auch Erfahrungen? Und wie sieht das aus? Also, wie würden sie die überhaupt umsetzen? Und sich im Haus oder in einem Unternehmen auch damit auseinanderzusetzen, und zwar nicht einmal eine Betriebsvereinbarung zu schreiben, die vielleicht noch so top-down ist. Am besten ist es, die wird gemeinschaftlich erarbeitet mit Betriebspersonalrat zusammen. Mitarbeitende werden mitgenommen in kleine Arbeitsgruppen, also dass es quasi wie so ein Gemeinschaftswerk wird und dann das auch lebt, also indem man regelmäßig einen Team-Tag macht zu dem Thema Diskriminierungsfreiheit: Wie wollen wir eigentlich miteinander arbeiten? Wie wollen wir miteinander umgehen? Und so eine Speak-out-Kultur quasi etabliert, also wo man das auch sagen darf, wenn ein etwas stört und wo man auch sagen darf: „Ey, nimm jetzt deine Hand von meinem Hintern!" Weil eigentlich ist es ja so, wenn man diese Speak-out-Kultur halt nicht hat, dann fällt es immer auf die Betroffenen zurück. Wenn sie was sagen, dann sind diejenigen immer, die schwierig sind. Und dann liegt die Last noch mal wieder. Also einmal haben sie den Übergriff erlebt, dann müssen sie sich noch mal wieder für sich selber einsetzen, dann müssen sie sich stark machen, dann müssen sie wieder sagen: „Ja, aber das geht so nicht." Und das ist eigentlich, finde ich, fatal, wenn man Betroffenen, die schon durch den Übergriff quasi in ihrer Selbstbestimmung einmal verletzt worden sind, wenn man denen dann noch mal das zumutet, quasi diesen Rucksack aufzusetzen, so: „Ey, ihr müsst jetzt dafür kämpfen, dass sich hier auch was verändert in dem Unternehmen." Das ist eigentlich gemein und schofel. Und ein gutes Unternehmen sollte sagen: „Nein, das sollen nicht die Betroffenen machen. Wir machen das. Und wir etablieren Formate in unserem Haus."
[00:46:33.270] - Nadia Kailouli
Ja, das sind ja alles gute Impulse, auf jeden Fall. Und vor allem Impulse, die andere Unternehmen wahrscheinlich schon für sich auch übernommen haben, die wir vielleicht aus der medienschaffenden Welt sonst immer angeprangert haben, dass die eben nicht gendergerecht sind, irgendwelche Hierarchien haben dies, das und die haben sich dann damit auseinandergesetzt, haben sich dann den Shit geholt und meinten: „Okay, wir müssen hier was ändern. So geht das halt nicht mehr. Wir können unsere Vorstände jetzt nicht mehr, keine Ahnung, feiern lassen und die Praktikantinnen kommen dazu. Das ist no-go.", so sensibilisiert. Aber die Kulturbranche ist natürlich die coole Branche und die Kulturbranche lässt sich natürlich auch nicht so gerne von außen irgendwie reinreden. Und vielleicht erkennen wir, dank des Gesprächs mit dir eben auch, dass wir mal von dem hohen Ross runterkommen müssen und auch wir Präventionskonzepte in unseren Büros und auf der Bühne oder sonst wo irgendwie etablieren müssen.
[00:47:23.300] - Maren Lansink
Ja, und solidarischer sein miteinander ist auch noch mal, finde ich, ein sehr, sehr wichtiger Fakt. Also wenn Kollegen, Kolleginnen sich solidarisch zeigen und nicht sagen: „Ja, der hat das ja immer schon so gemacht." Sondern sagen, das ernst nehmen, wenn du jetzt kommst und sagst: "Der fasst mir immer an den Hintern." Dass man auch mal zuhört und sagt: „Was brauchst du denn jetzt? Also das geht auch nicht. Ich finde das auch schlimm. Brauchst du Unterstützung von mir? Sollen wir zusammen irgendwo hingehen?" Oder wenn die einen Vorfall mitbekommen, die betroffene Person vielleicht auch zu fragen, ob sie Unterstützung benötigt, Hilfe anbieten. Zum Beispiel in Dänemark ist es so, da gibt es ein Ensemble. Wenn da ein Regisseur brüllt und sich da eine Person rauspickt und sagt: „Du hast schlecht gespielt, du hast schlecht gearbeitet!" Dann gehen die alle zusammen von der Bühne ab und sagen: „So wollen wir nicht arbeiten." Also das heißt, die gehen als Kollektiv und die Person, die eigentlich einzeln rausgepickt wurde, geht in dem Kollektiv mit raus und dann sind andere da, die sagen: „So wollen wir nicht arbeiten! Was war das jetzt gerade? Wir wollen partnerschaftlich miteinander, auf Augenhöhe miteinander arbeiten." Und ich finde, das ist eigentlich ein ganz, ganz schönes Bild, wenn man denkt: Ja, Solidarität ist wichtig, nicht wegzugucken, weil diese Verantwortungsdiffusion, die wir ja auch im öffentlichen Raum ganz oft haben. Man steht in der U-Bahn, man denkt sich so: „Hm, irgendwie komisch, dass der da bei dieser Frau immer so herumzuppelt." Und man denkt: „Vielleicht sind es ein Paar, wer weiß, weiß, in welcher Position." Und alle gucken weg oder denken: „Vielleicht der, der direkt nebensitzt, wird was sagen." Also das heißt, irgendein anderer wird vielleicht was tun und man selber sagt nichts. Und ich glaube, das muss man irgendwie aufbrechen Und das geht halt, indem man aktiv Solidarität zeigt. Und ich glaube, das wäre eine gute Lösung.
[00:49:21.470] - Nadia Kailouli
Absolut. Und ich hoffe, dass sich ganz, ganz viele Leute diese Folge hier mit angehört haben und diesen Lösungsvorschlag von dir mit zu ihrem Arbeitgeber nehmen. Maren, vielen, vielen Dank, dass du heute bei uns bei einbiszwei warst.
[00:49:32.930] - Maren Lansink
Ich danke dir.
[00:49:37.450] - Nadia Kailouli
So, also alle Kulturschaffenden da draußen, ja, wenn ihr in eurem Arbeitsumfeld Belästigung erlebt, da Themis Vertrauensstelle ist euer Ansprechpartner. Prangert das an und wisst ihr, was ich total spannend fand, was Maren erzählt hat? Dass gerade die jungen Kulturschaffenden in der Branche ziemlich schnell dann merken: „Nein, Moment, das möchte ich nicht." Und das macht mir ein bisschen Hoffnung, ja, Dass wir hier eben durch die neuen Generationen, die viel sensibilisierter und aufgeklärter vielleicht ja aufwachsen, weil wir eben enttabuisieren und eben über Missstände berichten, über sexualisierte Gewalt berichten und daraus kein Tabu mehr machen, dass die dann, sobald sie eben sexualisierte Gewalt erleben, beim Arbeitgeber auch ziemlich schnell sagen: „Nein, das mache ich nicht mit und pranger das an!" Und das ist genau der richtige Weg.
[00:50:27.300] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Produzent bittet Schauspielerinnen auf die sprichwörtliche Besetzungscouch und erwartet sexuelle Dienstleistungen, damit sie die Rolle bekommen. Alternder Sänger einer international erfolgreichen Band lässt sich nach dem Auftritt eine gerade so volljährige Frau hinter die Bühne bringen. Schauspieler bevorzugt junge Männer, die sich von einer Affäre mit einem bekannten Star einen eigenen Karriereschub erhoffen. Warum bietet gerade die Kulturbranche einen guten Nährboden für Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt? Es geht auch hier, wie wir mittlerweile wissen, um: Macht.
Um das Machtgefälle zwischen Regisseur und Schauspielerin oder Lehrerin und Schüler, um die Bereitschaft, für einen Traum über Grenzen zu gehen. Das führt zu ungesunden Abhängigkeiten. Und: Um das Bild des Stars oder Genies aufrechtzuerhalten, wird hier vieles sogar noch lieber unter den Teppich gekehrt als in anderen Branchen.
In den vergangenen Jahren wurde häufig über solche und ähnliche sexuelle Übergriffe berichtet. Die Aufregung ist dann jedes Mal groß, das dazugehörige Hashtag #MeToo kennen mittlerweile auch sehr viele – aber nur in wenigen Fällen gab es bisher eine Verurteilung vor Gericht.
Themis, eine unabhängige und überbetriebliche Beratungsstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kultur- und Medienbranche, soll hier helfen. Hier wird Betroffenen, Zeug:innen, aber auch Arbeitgeber:innen seit nunmehr sechs Jahren juristische und psychologische Beratung angeboten. Geschäftsführerin ist Maren Lansink. Bei einbiszwei erklärt sie, warum gerade in der Kultur- und Medienbranche sexuelle Übergriffe so häufig geschehen, wie es mächtigen Produzenten oder Künstlern gelingen kann, sexuelle Gewalt immer wieder unter den Teppich zu kehren und wie Themis Betroffenen helfen kann.
LINKSAMMLUNG:
Website von Themis
themis-vertrauensstelle.de
Taz über den Aktionsplan und Themis
taz.de
Politik & Kultur Bericht über „Sexualisierte Gewalt im Kulturbetrieb”
politikkultur.de
Frauen in Kultur & Medien „Beraten, begleiten, Handlungsspielräume beleuchten – Die Arbeit der Themis Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt”
frauen-in-kultur-und-medien.de
Deutschlandfunk Kultur über „Übergriffigkeit im Kulturbetrieb. Von Macht und Ohnmacht”
deutschlandfunkkultur.de