Berlin, 17.06.2025. Unter dem Titel „Heimkindheiten hinter Schweigemauern: Betroffene haben ein Recht auf Aufarbeitung!“ fand in Berlin das 6. Öffentliche Hearing der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs statt. Zwischen 1949 und 1990 waren insgesamt etwa 1,2 bis 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche in Heimen der Bundesrepublik und der DDR untergebracht – viele von ihnen erlebten Gewalt, Zwang und sexuellen Missbrauch.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen die Berichte von Betroffenen. Sie schilderten, wie das erlittene Unrecht jahrzehntelang ihr Leben prägte und forderten eine konsequente Übernahme politischer und gesellschaftlicher Verantwortung. Gemeinsam mit Expert:innen aus Wissenschaft, Praxis und Politik diskutierten sie über zentrale Fragen: Welche Heimstrukturen ermöglichten die Gewalt? Welche Verantwortung haben Träger, Aufsichtsbehörden und die Politik? Und welche konkrete Unterstützung brauchen Betroffene?
Ein besonderer Schwerpunkt lag auf der Frage: Was muss sich ändern? – diskutiert auf einem Podium mit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) Kerstin Claus, dem Vorsitzenden der Münchner Expert:innenkommission zur Aufarbeitung der Heimerziehung, Ignaz Raab, sowie Prof. Dr. Wolfgang Schröer von der Universität Hildesheim, der seit Jahren intensiv im Bereich der Heimerziehungsforschung tätig ist.
Gemeinsam mit ihren beiden Gesprächspartnern aus Praxis und Wissenschaft machte Claus deutlich: „Es geht um Menschen, denen elementare Rechte genommen wurden – Schutz, Bildung, Würde. Dass viele von ihnen bis heute um Anerkennung kämpfen müssen, ist ein Versagen unseres Systems. Wir können dieses Unrecht nicht ungeschehen machen, aber wir können Verantwortung übernehmen. Aufarbeitung ist nicht abstrakt, sondern Ausdruck praktizierter Gerechtigkeit – durch Teilhabe, Unterstützung und gesellschaftliche Sichtbarkeit.“
In der Diskussion wurden wichtige Aufarbeitungsmaßnahmen der letzten Jahre gewürdigt und kritisch hinterfragt wie der Runde Tisch „Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“ und der Fonds zur Unterstützung ehemaliger Heimkinder, der zwischen 2012 und 2018, der rund 40.000 Betroffenen finanzielle Hilfen in Höhe von insgesamt 485 Millionen Euro ermöglicht hatte. Ergänzend hierzu wurde die „Stiftung Anerkennung und Hilfe“ gegründet, die seit 2011 gezielt Menschen unterstützt, die in Behindertenheimen und psychiatrischen Einrichtungen Leid erfahren haben. Die Stiftung hat bislang mehr als 50 Projekte initiiert, um das Ausmaß des erlittenen Unrechts zu dokumentieren und die Verantwortung der Institutionen klar zu benennen. Daneben entstehen in einzelnen Bundesländern langfristige Strukturen wie die Aufarbeitungskommission in Nordrhein-Westfalen, die Etablierung von Landes-Missbrauchsbeauftragten sowie Landesbetroffenenräten.
Ein gemeinsames Anliegen der Podiums-Teilnehmenden war es, bundesweit verbindliche Anerkennungs- und Entschädigungsleistungen für alle Betroffenen zu etablieren, insbesondere für jene, die nicht von den früheren Fonds profitierten. Kerstin Claus verwies auf das Beispiel München, hier hat die Stadt freiwillig 35 Millionen Euro zur Verfügung gestellt – ein Vorbild für kommunale Verantwortung und partizipative Aufarbeitung. Ebenso hob sie die jüngste Veranstaltung des Bistums Speyer hervor, bei der sich katholische Heimträger öffentlich für das Unrecht entschuldigten, das Kindern in ihren Einrichtungen widerfahren ist. Solche Gesten seien essenziell, so Claus, denn „sie schaffen Sichtbarkeit, Würde und gesellschaftliche Anerkennung. Sie müssen systematisch gefördert werden, etwa durch Gedenkveranstaltungen, Anhörungen im Bundestag oder Erinnerungsorte.“
Zudem betonte Claus die Notwendigkeit eines umfassenden Rechts auf Akteneinsicht für Betroffene und den systematischen Zugang zu Archiven – ein zentraler Bestandteil für späte Gerechtigkeit. Der Gesetzgeber habe erste strukturelle Weichen gestellt: Mit dem neuen UBSKM-Gesetz ab 1. Juli 2025 werden der Zugang zu Akten verbessert und die Aufbewahrungsfristen für Heim- und Jugendamtsakten auf 70 Jahre nach Volljährigkeit verlängert – ein wichtiger Schritt, der jedoch durch aktive Unterstützung bei der Aktenrecherche ergänzt werden müsse, so Claus.
Das Hearing verdeutlichte abschließend die dringende gesellschaftliche Aufgabe, Betroffenen nachhaltig Unterstützung zu bieten, insbesondere hochaltrigen Betroffenen. Für sie ist die Vorstellung erneut in einer Heimeinrichtung leben zu müssen, eine enorme Belastung. Hierzu fördert die Aufarbeitungskommission aktuell Forschungsprojekte zur Versorgung ehemaliger Heimkinder im Alter.
Weitere Informationen
Wir bieten regelmäßig Praktikumsplätze im Bereich Presse und Öffentlichkeitsarbeit/Social Media an.
Weitere Informationen: Zu den Stellenangeboten