Berlin/Ober-Hambach/Heppenheim, 18.11.2024. Am heutigen „Europäischen Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexueller Gewalt" wurde auf dem Gelände der ehemaligen Odenwaldschule in Ober-Hambach ein Mahnmal enthüllt, das den Opfern von Missbrauch gedenkt. Das Mahnmal erinnert an die jahrzehntelangen systematischen Vergehen, denen hunderte Kinder und Jugendliche an der reformpädagogischen Internatsschule zum Opfer fielen. Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindermissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, nahm an der Einweihung teil.
In ihrer Rede würdigte Claus den Mut der Betroffenen, die durch ihr Engagement die Errichtung dieses Mahnmals ermöglicht haben: „Die Odenwaldschule war nicht nur reformpädagogischer Leuchtturm, sondern über Jahre und Jahrzehnte auch Ort hundertfacher Sexualstraftaten an Kindern und Jugendlichen. Es darf hier kein Vergessen geben. Dieses zentrale Mahnmal im Eingangsbereich des Geländes der ehemaligen Odenwaldschule stellt sicher, dass die Erinnerung an diese Verbrechen wachgehalten wird, die an diesem Ort unter dem Deckmantel reformpädagogischer Erziehung an Schülern und Schülerinnen verübt wurden.
Mein besonderer Dank und meine Hochachtung gelten den vielen Betroffenen, die über ihren Mut und ihr Sprechen erst Aufdeckung und letztlich die umfassende Aufarbeitung möglich gemacht haben. Eine Aufarbeitung, die auch das staatliche Versagen mit in den Mittelpunkt gerückt hat. Schulaufsicht und die Jugendhilfe sind über Jahrzehnte ihrem Kontroll- und Schutzauftrag nicht angemessen nachgekommen und haben dadurch immer weitere Taten mit ermöglicht. Deswegen es so wichtig ist, dass der Landkreis Bergstraße und auch das Land Hessen das Mahnmal finanziell unterstützen und damit auch sichtbar mit in die Verantwortung gehen.“
Das Mahnmal, nach einem Entwurf von Adrian Koerfer, selbst Betroffener sexueller Gewalt an der Odenwaldschule, besteht aus fast vier Meter hohen rostigen Metalltüren, deren Türgriffe unerreichbar hoch angebracht sind. „Es spiegelt wieder“, so Claus, „dass es für so viele der Opfer damals kein Entrinnen gab.“ Eine Kommission hatte den Entwurf aus diversen anonymisierten Vorschlägen ausgewählt, „nicht zuletzt, weil er eindrucksvoll die Taten in den Mittelpunkt rückt und gleichzeitig das systematische Wegsehen und Vertuschen (be-)greifbar macht“, so Claus weiter. Koerfer habe mit seinem Einsatz und der künstlerischen Gestaltung des Mahnmals ein starkes Zeichen gesetzt, das nicht nur für das beklemmende Ausmaß des begangenen und erlittenen Unrechts stehe, sondern auch für die kollektive Verantwortung, der wir als Gesellschaft uns stellen müssen:
Mehr als zwei Dutzend Täter und auch Täterinnen verübten an der Odenwaldschule insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren ungehindert schwerste sexuelle Straftaten an Minderjährigen. Unabhängige Untersuchungen der Universität Rostock und des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) München belegen, dass bis zu 1.000 Schüler*innen betroffen waren. Die Odenwaldschule, einst als Modellprojekt der Reformpädagogik gefeiert, wurde 2015 geschlossen. Die dramatischen Versäumnisse von Seiten staatlicher Behörden wie auch der Gesellschaft, die diese Verbrechen über Jahre hinweg zuließen und teils deckten, gelte es, als maßgeblichen Teil dieses als historisch anzusehenden Unrechts, anzuerkennen, so Claus.
Die Enthüllung des Mahnmals fand in Anwesenheit von Vertreter*innen der Landesregierung Hessens, des Landkreises Bergstraße, der Stadt Heppenheim und von Betroffenen statt. Die hessische Sozialministerin Heike Hofmann (SPD) und der Kreisbeigeordnete Philipp-Otto Vock richteten Grußworte an die Anwesenden. Abschließend sprach Adrian Koerfer, der die Vision eines Orts des Erinnerns jahrelang verfolgt hatte. Auch der ehemalige Unabhängige Beauftragte Johannes-Wilhelm Rörig, in dessen erstem Betroffenenrat Koerfer Mitglied war, nahm an der Einweihung des Mahnmals teil.
Die Unabhängige Beauftragte wies darauf hin, dass die Aufarbeitung solcher Verbrechen und die Etablierung von Gedenkorten wie diesem ein wichtiger Bestandteil nicht nur der Anerkennung ist, sondern auch wesentlich dazu beiträgt, Gesellschaft zum Handeln zu mahnen und Missbrauch besser zu verhindern. „Ich freue mich sehr, dass die Errichtung des Mahnmals durch die hessische Landesregierung gefördert und auf kommunaler Ebene unterstützt wurde, aber auch, dass der neue Besitzer des Areals diesem Mahnmal zugestimmt hat. Erstmalig ist es damit in übergreifender Zusammenarbeit gelungen, einen öffentlichen Ort des Erinnerns zu schaffen.“ Das nun eingeweihte Mahnmal stehe als bleibendes Zeichen für die Anerkennung des Unrechts und für die Verantwortung, die die Gesellschaft gegenüber den Opfern sexueller Gewalt trage.
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