PODCAST | Folge 4 | Antonia Quell

„Ich persönlich bin da immer voll aggro."

Nicht jeder Mann macht es, aber jede Frau kennt es: „Ey Blondie“, „Mäuschen, komm doch mal rüber.“, Kuss- und Pfeifgeräusche oder anzügliche Gesten. Die wenigsten dieser Anmachsprüche können als Kompliment gelten, die meisten sind nichts anderes als verbale sexuelle Belästigung. Oder kurz: Catcalling. Bis vor knapp einem Jahr kannte hierzulande fast niemand den Begriff. Das hat sich schlagartig geändert, seit Antonia Quell die Petition “Es ist 2020 – Catcalling sollte strafbar sein” gestartet hat. 70.000 Menschen haben unterschrieben und heute wissen sehr viele, was ein “Catcall” ist - und auch, warum viele Männer das so toll finden: Weil sie sich dominant fühlen möchten. Und: Weil sie es können.




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Antonia Quell [00:00:03] Für meine Eltern ist es normal, dass ich abends draußen vorsichtig sein muss und mein Bruder zum Beispiel nicht.

Nadia Kailouli [00:00:08] Ja ich glaube meine Mutter hat meinen Bruder auch noch nie gesagt, pass auf dich auf oder ruf an, wenn du zu Hause bist.

Antonia Quell [00:00:11] Mein Bruder schreibt sich bestimmt mit seinen Freunden auch nicht, schreib mir, wenn du daheim bist. Ich schon.

Nadia Kailouli [00:00:16] Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Einbiszwei? Ja genau. Ein bis zwei Kinder sind in jeder Schulklasse in Deutschland sexueller Gewalt ausgesetzt. Wieso das so häufig passiert und was man gegen sexuelle Übergriffe tun kann, das erfahrt ihr hier bei einbiszwei. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast spreche ich mit Expert:innen, Journalist:innen und Betroffenen. Wir reden über akute Missstände, Anlaufstellen und persönliche Geschichten. Wenn es euch damit aber nicht gut gehen sollte, wir haben in den Shownotes Telefonnummern und Hilfsangebote verlinkt, wo ihr Hilfe findet. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst. Dein Arsch ist so geil, ich würde dir am liebsten hier die Hose runterziehen und dich von hinten durchnehmen. Oh Baby, du geiles Stück! Ich würde dich die ganze Nacht zum Schreien bringen. Boah Alter, hat die Titten ey! Ja, das sind Sprüche von der Instagram-Seite Catcalls of Berlin. So oder so ähnlich haben das sicher schon einige von uns gehört, dieses hinterherrufen, pfeifen und plumpe Anmachen nennt man Catcalling. Und das ist nicht nur nervig, sondern ekelhaft, herablassend und in vielen Situationen auch angsteinflößend. Zum Beispiel, wenn es dunkel draußen ist. Antonia Quell hat das satt. Deshalb hat sie die Petition "Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein." gestartet. Hallo Antonia, schön, dass du da bist.

Antonia Quell [00:01:43] Hi Nadia.

Nadia Kailouli [00:01:43] Wie war das für dich, als ich jetzt diese Sachen vorgelesen habe?

Antonia Quell [00:01:46] Ähm, bekannt auf jeden Fall. Und immer wieder ekelerregend. Also es ist super erschreckend, wenn man diese Zitate liest. Ich versuche das eigentlich zu vermeiden, weil es einfach schlechte Laune macht und weil es einen unwohl fühlen lässt.

Nadia Kailouli [00:01:58] Das sind ja jetzt wirklich keine einzelnen Sachen, die ich jetzt hier zitiert habe, sondern das sind tatsächlich Sprüche, die Frauen tagtäglich erleben. Du hast eben eine Petition gegründet, "Es ist 2020. Catcalling sollte strafbar sein." Was hat dich dazu motiviert?

Antonia Quell [00:02:14] Also ich denke mal über die Jahre sammeln sich einfach so persönliche Erfahrungen an. Das kann man sich irgendwie vorstellen, wie so ein Fass was irgendwann überläuft. Dann hat eine Freundin zu mir gesagt, wir tauschen uns da immer über unsere Erfahrungen aus, und meinte, ja in Frankreich ist das ja schon strafbar. Und ich war so, hä what? Wie soll das gehen? Wie soll man das nachverfolgen? Wie soll man da Beweise finden, so wie jede und jeder eigentlich am Anfang reagiert. Und eine Petition ist halt so das easieste politische Mittel für jemanden, der eigentlich keine politische Bühne hat. Und dann dachte ich mir so, ja mache ich das einfach mal. Ich erinnere mich voll gut noch daran, als ich in der Straßenbahn war und habe meinen zwei Freundinnen von der Idee erzählt. Die waren so, ja mach das, das ist voll die gute Idee.

Nadia Kailouli [00:02:51] Wie ist die Petition angekommen?

Antonia Quell [00:02:53] Sehr gut. Also auf jeden Fall polarisierend. Im Endeffekt waren es ja am Ende so 70.000 Unterstützende ungefähr, also knapp 70.000 Unterschriften. Was für so einen polarisierenden Nischenthema, was eigentlich nur die Hälfte der Bevölkerung ungefähr betrifft, schon eine ganze Menge ist.

Nadia Kailouli [00:03:10] Also 70.000 Unterschriften wurden bisher gesammelt. Was ist seitdem passiert?

Antonia Quell [00:03:16] Also die Unterschriften, dieser Sammlungzeitraum ist ja schon abgelaufen und seit Januar diesen Jahres liegt die Petition dann beim Petitionsausschuss vom Bundestag. Da ist jetzt noch nicht so viel passiert. Das ist ein super bürokratischer Weg einfach die eine Petition da durchläuft. Was ja auch gut ist, es ist ein wichtiges Thema und dann sollen die sich ordentlich Gedanken darüber machen und nicht schnell irgendwelche Entscheidungen treffen. Und gesellschaftspolitisch ist aber seitdem, würde ich sagen, eine ganze Menge passiert. Also erstmal das Wort Catcalling ist super salonfähig geworden seitdem. Davor, also in meiner Welt zumindest, nicht. Aber ich glaube auch in erwachsenen Welten, außerhalb von Social Media, also in analogen Welten, ist dieses Wort super neu gewesen und hatte ganz viel Erklärungsbedarf. Und das ist auf jeden Fall passiert. Und diese ganzen Diskussionen, die auch sehr polarisieren und Diskussionen, die auf sehr emotionaler Weise auch geführt wurden mit viel Kontra, die haben ganz viele Leute zum Nachdenken angeregt, glaube ich. Und das ist gut so!

Nadia Kailouli [00:04:17] Du hast gerade noch mal gesagt, dass viele Leute diesen Begriff im letzten Jahr erst das erste Mal gehört haben. Kannst du uns erklären in deinen Worten, was ist Catcalling?

Antonia Quell [00:04:28] Also zu diesem Begriff stehe ich total zwiegespalten, kann ich auch gleich noch mal drauf eingehen, aber Cat Calling so qua Definition ist ja, also abgeleitet von diesem Anlocken eines Tieres, hinterherpfeifen oder so, als würde man eine Katze anlocken wollen. Und dazu gehört eben anstarren, hinterherpfeifen, anhupen, obszöne Gesten, sexuelle Anspielungen, sexuelle Witze, alle Kommentare, die den Körper betreffen und irgendwie in einer sexuellen Weise daherkommen und herabwürdigend sind. Genau, das ist so dieser boulevardfähige Begriff Catcalling, der einfach voll gut in Schlagzeilen sich macht und in Klatschblättern super interessant ist. Aber im strafrechtlichen Sinne ist es überhaupt nicht etabliert. Da heißt es natürlich nicht Catcalling, sondern da ist der Begriff von "nicht tätlicher sexueller Belästigung" zu bevorzugen. Oder halt "verbale sexuelle Belästigung" trifft das Problem halt viel, viel besser, weil eben alle es verstehen können und weil es nicht so verniedlichend klingt und nicht so diesen Jugendvibe hat, weil es ja eben ein Thema ist, was alle betrifft.

Nadia Kailouli [00:05:35] Als ich heute Morgen nach Berlin gefahren bin, habe ich hier mit meiner Redakteurin genau darüber gesprochen, dass ich irgendwie das Gefühl habe, dass wir Frauen auch noch gar nicht so weit sind, dass wir merken, so moment mal, das ist eigentlich gar nicht okay, dass das jetzt so einen Begriff braucht wie Catcalling, um sich selbst bewusst zu machen, moment mal, das ist eigentlich nicht geil und eigentlich auch strafrechtlich zu verfolgen, wenn man mir eben wie eben diese zitierten Sprüche hinlegt oder mir auf der Straße sagt, hey, komm doch mal her, jetzt stell dich nicht so an, jetzt komm doch mal rüber.

Antonia Quell [00:06:06] Da gebe ich dir voll recht. Also das heißt tatsächlich hermeneutische Ungerechtigkeit, wenn es für etwas keinen Begriff gibt und man es dementsprechend auch nicht bekämpfen kann das Problem. Und deswegen bin ich super dankbar, dass ich die Petition unter diesem Titel irgendwie gestartet habe. Und auch, dass dieses Wort so krass in den Medien war, auch wenn es eigentlich voll scheiße ist, weil dadurch eben das wach gekitzelt wird, um dieses Thema pointiert auf den Punkt zu bringen und zu sagen Hierum geht es. Und vielen Frauen wurde dadurch erst mal so ein Werkzeug an die, oder vielen Betroffenen, wurde dazu erst mal ein Werkzeug an die Hand gegeben, um zu sagen, ach so, ja, das ist das, was mir da passiert. Da gebe ich dir voll echt.

Nadia Kailouli [00:06:40] Jetzt versuchen wir mal in manchen Männer Gesichtspunkten zu denken. Es gibt natürlich genügend Männer, die das so sehen wie du und ich und viele andere, die sagen okay, das ist ein NoGo, das geht nicht. Und das hat die Berechtigung, strafrechtlich verfolgt zu werden. Es gibt aber auch Männer und auch Frauen, die sich denken, hey Leute ey, entspannt euch doch mal, ernsthaft.

Antonia Quell [00:06:59] Hm, so schwierig. Also das ist zum Beispiel, wenn Männer das sagen, dann kann ich das auf eine Art noch nachvollziehen, weil sie einfach selber nicht betroffen sind und deswegen sich da diese Transferleistung, dass sie empathisch genug sind, ist zwar dumm, aber kann ich nachvollziehen, dass sie das nicht nachvollziehen können, weil sie nicht persönlich betroffen sind. Andere Frauen zum Beispiel, die sagen "Entspannt euch doch mal, seid mal cool, ich entgegne da immer mit einem lässigen Spruch." Dann freue ich mich natürlich für euch, wenn ihr so cool und lässig seid. Aber das ist so dieses "I am not like other girls." Ich bin cool und entspannt. Ich bin nicht so verklemmt. Ich bin nicht so eine blöde Emanze. Und das ist eben auch so, ja, das nennt man internalisierte Misogynie, wenn man nicht typisch weiblich sein will, wenn man nicht wie andere Frauen sein will. Und wenn Frausein im Prinzip kacke ist. Aber es ist nicht kacke. Und deswegen ist es super wichtig meiner Meinung nach, dass man dazu steht, auf sein Recht beharrt und eben auch auf im Grundrecht verankerte Rechte beharrt und sagt so, nee ich lasse mir das nicht gefallen und ich bin mir nicht zu schade, den Mund aufzumachen.

Nadia Kailouli [00:07:58] Wie war der Begriff gerade? 

Antonia Quell [00:07:59] Internalisierte Misogynie. Also Misogynie ist quasi Frauenhass. Die Tatsache, dass wir ja unterbewusst quasi das Weibliche verachten, dass das Weibliche, die Sensibilität und alles, was damit verbunden wird, dass es uns unterbewusst so ein bisschen widerstrebt, also zum Beispiel eine Pussy sein ist ein Schimpfwort. Oder halt so, sie wirft wie ein Mädchen, ist ein Schimpfwort. Wieso? Wieso ist es ein Schimpfwort, wie ein Mädchen zu werfen? Und das ist eben diese internalisierte, das bedeutet quasi, dass wir das alles verinnerlicht haben, und dass man damit aufwächst in diesen Strukturen, ohne dass wir das überhaupt wissen, also ohne das, ohne, dass man das mit Absicht macht, sondern es ist einfach, in diesen Strukturen sind wir aufgewachsen und die trägt man bei sich.

Nadia Kailouli [00:08:42] Okay. Jetzt kommen wir nochmal zurück zu den Frauen, die sagen, ey moment mal, das ist doch einfach mein Gott, es ist mir ja nichts Neues. Ich komme damit klar, wenn mir in der U-Bahn oder keine Ahnung am Bahnhof oder in der Bar oder sonst wo am Arbeitsplatz mir Sprüche hingelegt werden. Was ist denn so dein ja, dein Hilfsmittel zu signalisieren oder zu merken, das ist jetzt nicht einfach nur ein Spruch, sondern das ist eigentlich eine Belästigung.

Antonia Quell [00:09:07] Also ich gehe da mal zweiteilig drauf ein. Also erst mal möchte ich Frauen nie das abnehmen oder nie unterstellen, wie sie sich zu verhalten haben oder denen es vorschreiben. Weil wenn Frauen oder Mädchen oder so d'accord damit sind, dann ist das für mich voll in Ordnung. Also jeder Mensch soll das handhaben, wie sie möchten und wenn sie das cool finden oder vielleicht auch als flirten einordnen, I don't give a shit, also macht wie ihr wollt. Und auf der anderen Seite muss man sagen, dass diese Abgrenzung ist gar nicht so schwer. Man tut immer so, als wäre das alles subjektiv und als würden das verschiedene Menschen unterschiedlich sehen. Aber die Abgrenzung ist eigentlich immer so, dass die Einvernehmlichkeit, wenn die nicht da ist, dann ist es übergriffig. Also wenn ich quasi nicht damit einverstanden war, dass mir oder dass mich jemand in eine sexuell konnotierte Situation irgendwie pusht oder so, dann ist es übergriffig und dann kann man eben von Belästigung sprechen. Dazu kommt, dass quasi alles, was keinen sexuellen Bezug hat, zum Beispiel schöne Tasche kann keine sexuelle Belästigung sein, weil ja kein sexueller Bezug da ist. Und alles, was in Einvernehmlichkeit passiert, kann auch keine Belästigung sein. Und so versuche ich das immer abzugrenzen im Arbeitsrecht, tatsächlich. Also ist was anderes als das Strafrecht. Das Arbeitsrecht ist natürlich nicht so important und nicht so krass wie das Strafrecht, aber da funktioniert diese Abgrenzung auch, weil da kann nämlich verbale sexuelle Belästigung ein Kündigungsgrund sein. Und da sagt dann halt auch niemandem, wie soll man das eigentlich unterscheiden? Sondern das gibt es da schon ewig.

Nadia Kailouli [00:10:28] Interessant. Wir haben mal eine kleine Umfrage gemacht und wollten von Menschen wissen, was denn für sie die schlimmste Catcalling-Erfahrung war. Da hören wir mal rein.

Umfrage [00:10:37] "So ein Typ hat mir im Park auf 30 Meter Entfernung entgegen gerufen: Ey, du hast echt geile Titten, zeig die mal her, was super krass war, weil da irgendwie Familys und Kinder außen rum waren, aber trotzdem niemand irgendwas gesagt hat. Ich habe mich danach ziemlich scheiße gefühlt, auch weil ich irgendwie gern was erwidert hätte, aber in dem Moment einfach nur sprachlos war." "Die Situation war folgende, dass ich auf dem Fahrrad an einer Baustelle vorbeigefahren bin, an der drei Männer standen und auch schon davor sehr auffällig geguckt haben. Und dann bin ich über die Ampel gefahren und mir ruft einer der Männer hinterher 'Ich wäre gern dein Sattel!' und zwar über die komplette Straße rüber. Es haben alle Menschen gehört und auch im Nachhinein löst es bei mir immer noch so Schamgefühle aus." "Das letzte Mal, als ich Catcalling erlebt habe, war ich mit meiner damaligen Freundin unterwegs. Wir waren spazieren und wurden von einem Jogger blöd angemacht von der Seite. Das war in der Situation mega weird und einfach mega deplatziert. Wir waren halt voll schockiert und perplex davon. Ich habe dann aber zum Glück noch schnell genug einfach zurückgerufen und habe den jungen Herrn gefragt, was er denn von uns möchte. Woraufhin er dann zurückgekommen ist und selber komplett überfordert war mit der Situation und schockiert und ja, genau auf diese Gegenfrage letztendlich gar keine Antwort hatte, was dann für uns ganz schön war, um ein bisschen Kontrolle über die Situation zu gewinnen."

Nadia Kailouli [00:12:12] Antonia, was macht Catcalling mit Menschen?

Antonia Quell [00:12:15] Also ich finde in den Beispielen, die wir jetzt gehört haben, sieht man ja, also hört man voll gut diese Hilflosigkeit raus, dass man quasi gar keine Macht über die Situation hat, in die man gebracht wird. Und das finde ich so interessant, weil es dadurch so relevant für das Strafrecht wird, dass man sagt, also man sieht daran, uns wird eine Freiheit quasi genommen, zum Beispiel die Bewegungsfreiheit oder einfach das Recht, quasi sich draußen sicher zu fühlen, was im Grundrecht verankert ist, indirekt. Und man hat quasi kein Werkzeug, kein Mittel, man kriegt nichts an die Hand, womit man sich dagegen wehren kann, außer mit sich selber quasi. Aber was habe ich davon, wenn ich mich jemand mit jemand auf der Straße anlege und dann hat man entweder eine aufs Maul oder oder keine Ahnung? Dann wird alles nur noch schlimmer. Also das ist voll unterschiedlich, wie man darauf reagieren kann. Aber ich sage dazu immer, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass man nicht in diese Victim-Shaming-Schiene abrutscht und sagt, auf Catcalling musst du so oder so reagieren oder das sollte das und das nicht mit dir machen, du darfst dich dann nicht als Opfer präsentieren. Ich kann auf eine Situation, die von vornherein falsch war, nicht richtig reagieren und es auch überhaupt nicht meine Aufgabe. Und daran sieht man also an den Aussagen gerade auch super belastend, man sieht daran ja, wie, wie krass eingeschränkt das ist, wie krass einschränkend diese Aussagen sind und wie nachhaltig einen das belastet. Also die eine hat ja auch gesagt, sie denkt da ewig dran und dann überlegt man auch als Betroffener mal selber, war das jetzt richtig, wie ich reagiert habe?

Nadia Kailouli [00:13:39] Man ärgert sich manchmal auch so richtig und denkt sich, ohman eh, warum bin ich nicht eben von meinem Fahrrad runter gestiegen und bin zu dem hingegangen und hab gesagt, ach was, was willst du sein? Das ist dann so im Nachhinein erst, dass da so eine Wut in einem hochkommt.

Antonia Quell [00:13:52] Und daran sieht man eben, dass es eine Machtdemonstration ist. Also das ist ganz wichtig, dass es bei verbaler sexueller Belästigung nie um Komplimente geht oder verrutschte Anmachsprüche oder so, sondern es geht um eine Machtdemonstration. Und diese Machtdemonstration ist immer einseitig. Also es sind überwiegend Männer gegenüber Frauen und nie andersherum zum Beispiel. Und das ist ganz, ganz wichtig, dass man das im Hinterkopf hat, weil es geht um ein strukturelles Problem und quasi nicht um Ausrutscher oder Einzelfälle. Und deswegen ist es auch so relevant für das Strafrecht, weil weil wir nicht alle gleichermaßen betroffen sind, weil das eine Ungerechtigkeit ist, die ausgeglichen werden muss. Und das nicht von alleine passiert.

Nadia Kailouli [00:14:28] Ich habe gerade auch noch mal so darüber nachgedacht. Ich glaube ganz viele, die das jetzt so gehört haben die Beispiele, erinnern sich selber an Sachen. Das passiert mir gerade tatsächlich auch. Also ich erinnere mich gerade, das ist jetzt ein Cliffhanger, jeder will jetzt wisssen, woran erinnert sie sich. Ich erinnere mich nämlich gerade, dass ich im früheren Berufsleben, da war ich noch recht jung, da hat ein Kollege mal zu mir gesagt: So, und wenn das jetzt hier nichts wird, dann kannst du ja deine Titten bei 9live in die Kamera halten. Und da bin ich aber zu meinem Chef gegangen, aber der musste sich halt einfach bei mir entschuldigen. Aber allein dieser Schritt, zum Chef zu gehen, der ist natürlich auch so eine Überwindung. Jetzt gerade hatte ich bei den Beispielen auch gedacht, wie viel brauchen wir von der Zivilgesellschaft, dass die sich einmischen. Weil eigentlich sind das ja immer so Beispiele, wo andere anfangen zu lachen oder so, du läufst auf die Straße, ein Typ macht einen blöden Spruch, oder was heißt  einen blöden Spruch, sondern eine belästigende Äußerung. Meistens passiert es im Kollektiv, dass noch irgendwelche Buddies oder Kollegen oder so was dabei stehen. Und es fängt an, man fängt an zu lachen, es ist irgendwie lustig, was es natürlich nicht ist. Braucht es dann mehr Mut von den anderen, die sagen, hey, was redest du da? Oder ist es besser, wenn man nichts sagt? Was würdest du sagen, wie geht man im Alltag mit solchen Situationen um?

Antonia Quell [00:15:38] Ja voll, ich verstehe voll, was du meinst. Dieses Gefühl, dass man es cool playen muss und dass man jetzt ja nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss. Also wie gesagt, ich will das überhaupt niemandem raten, wie man sich da zu verhalten hat. Das muss jede Person selber mit sich irgendwie so, dass man sich halt wohlfühlt. Ich persönlich, ich bin immer aggro. Also ich gebe immer Kontra, solange ich mich quasi sicher fühle und dann fühle ich mich einfach viel, viel besser und habe das Gefühl, die Person hat jetzt hoffentlich gemerkt, dass das überhaupt nicht geht, so mit mir umzugehen. Aber wie gesagt, das ist einfach eine Charaktersache, glaube ich. Und das ist voll der wichtige Punkt, den du ansprichst, dass in Gruppen immer eine ganz andere Dynamik herrscht. Also das ist, glaube ich, auch ein typisch weibliches Merkmal, dass man schiss hat, anzuecken, dass man nicht jetzt als die Spaßbremse dastehen will und dass man ja jetzt nicht noch ein großes Fass aufmachen will. Und das persönlich ist mir ganz wichtig, dass man sich diese Freiheit rausnimmt, weil es ist unser Recht, quasi nicht gestört zu werden. Und dazu, wenn ich noch gleich was sagen darf, dass es auch in Männergruppen viele Jungs oder junge Männer oder auch ältere Männer denken, dass nur weil sie nicht catcallen, nur weil sie nicht Frauen aktiv sexuell belästigen, dass sie dadurch zu guten Menschen werden. Aber zu guten Menschen wirst du eigentlich nur, wenn du aktiv andere daran hinderst und nicht, wenn du normal bist. Also Menschen, die nicht catcallen, Menschen, die nicht verbal sexuell belästigen, sind normal. Die sind nicht überdurchschnittlich gut, sondern das sollte der Status quo sein. Und deswegen ist es auch eine Aufgabe von Leuten, die nicht von diesem Problem selbst betroffen sind, da aktiv dagegen zu schauen, zu sagen, das kannst du so nicht sagen, das geht gar nicht. Auch bei Leuten, die man gerne hat. Und auch wenn es unangenehm ist.

Nadia Kailouli [00:17:11] Wir wollen natürlich jetzt auch auf das juristische Ausmaß blicken, denn bisher ist ja noch nicht strafbar. Es gibt aber Bereiche, die vom Gesetz schon abgedeckt sind. Das hat uns einmal Dr. Anja Schmidt erklärt. Sie ist Rechtswissenschaftlerin und leitet das Forschungsprojekt Pornografie und sexuelle Selbstbestimmung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihre Spezialgebiete sind Strafrecht, Grundlagen des Rechts und Legal Gender Studies, also die Geschlechterforschung im Recht.

Dr. Anja Schmidt [00:17:38] Wenn wir von sexueller Belästigung sprechen, gibt es tatsächlich jetzt schon zwei Möglichkeiten, das strafrechtlich zu verfolgen. Zum einen ist seit der Reform, die den Grundsatz 'Nein heißt Nein' ins Strafrecht, ins Sexualstrafrecht integriert hat, ist auch die körperliche sexuelle Belästigung strafbar, also eine sexuelle Belästigung, die mit einer körperlichen Berührung einhergeht. Außerdem ist es jetzt schon als Beleidigung strafbar, wenn der Inhalt der Belästigung bewusst beleidigend ist. Also zum Beispiel die Bemerkung 'Frauen sind sowieso nur zum ficken gut' ist beleidigend, weil sie eben Frauen zum Sexualobjekt herabwürdigt und eben die gleiche Anerkennung versagt. Eine Regelungslücke haben wir in den Fällen, wo Sexualität unerwünscht aufgedrängt wird, ohne dass es zu einer körperlichen Berührung kommt und ohne dass das bewusst beleidigend gemeint ist.

Nadia Kailouli [00:18:32] Antonia, wenn du als unsere heutige Catcalling-Expertin auf die rechtliche Lage in Deutschland guckst, was macht das mit dir?

Antonia Quell [00:18:42] Ich finde es total crazy, weil das, was Frau Dr. Schmidt gerade gesagt hat, zum Beispiel über den Straftatbestand der sexuellen Belästigung, also körperliche sexuelle Belästigung, alles das, was mit Anfassen zu tun hat, das ist ja erst seit 2016 strafbar. Das muss man sich mal reinziehen, dass davor, bedeutet das im Umkehrschluss, war das in Ordnung, Menschen quasi sexuell zu berühren oder auch nur zu berühren, ohne dass sie damit einverstanden waren. Und das zeigt mir einfach, wie wenig wie wenig Aufmerksamkeit diese Lücken im Strafrecht bekommen, weil die müssen ja erst mal auffallen und dann muss man ja auch noch irgendwie durch diese krasse Männerdomäne in der Justiz, also unter Jurist:innen und so was durchkommen. Bei der Polizei genauso. Da muss man erst mal durchkommen und quasi dieses Begehren auf den Tisch bekommen. Oder auch in der Politik sozusagen. Das habe ich auch gemerkt, dass es super schwer ist, mit Politikern über diese Themen, über dieses Problem zu sprechen. Und dann sieht man einfach das Strafrecht, dass es aus einem sehr männlichen Narrativ geschrieben wurde und dass sich das ändern sollte.

Nadia Kailouli [00:19:43] Du hast gerade gesagt, dass du die Erfahrung gemacht, wie schwierig es ist, gerade auch in der Politik über dieses Thema zu sprechen. Da können wir eigentlich noch mal auf deine Petition zurückkommen, weil nicht jeder war ja damit einverstanden, so eine Petition überhaupt loszulegen. Der FDP Politiker Dr. Jürgen Martens hat damals gegen eine Petition gestimmt mit dem Vorwurf, dass es schwierig ist, eine Abgrenzung zwischen Zitat "strafwürdigem Unrecht und unangebrachten, aber zweifellos erlaubten Äußerungen schwierig ist".

Antonia Quell [00:20:10] Das ist falsch. Das stimmt so einfach nicht. Und das ist so krass, auch zum Beispiel in irgendeinem RTL-Interview, was gegeben habe oder so, dann werde ich quasi da vorgestellt mit meiner Petition und im nächsten Schnitt zeigen Sie einen Anwalt, der vor irgendeinem Bücherregal steht, holt ein Buch heraus und sagt "Nein, das ist schon vom Strafrecht gedeckt" und alle die das sehen, glauben das. Und das was dieser FDP-Politiker jetzt gesagt hat, stimmt auch so nicht. Also wie gesagt, im Arbeitsrecht schaffen wir die Abgrenzung auch. Ich habe die Abgrenzung ja auch gerade schon erklärt und zum Beispiel es gibt ja auch eine Beleidigungs-Straftatbestand, was das gleiche in Grün ist. Wo wir auch sagen könnten, was ist denn jetzt eigentlich beleidigend? Wer fühlt sich denn beleidigt von was? Und wo kann man da die Abgrenzung machen? Und wenn das Leben einfach wäre, dann bräuchten wir das Strafrecht auch, glaube ich sowieso nicht. Und deswegen ist es halt einfach die Herausforderung, der wir uns stellen müssen zwangsläufig. Und nicht, dass wir sagen, dann lassen wir es halt einfach gut sein. Also Sexualstraftaten sind halt einfach krass kompliziert. Es ist einfach krass schwer mit Sexualstraftaten umzugehen in jederlei Hinsicht, dass zum Beispiel auch bei Vergewaltigungen so. Und deswegen bringt es überhaupt nichts zu sagen, nur weil es schwer ist, dann gehen wir das Thema einfach nicht an.

Nadia Kailouli [00:21:14] Es ist umso wichtiger, das anzugehen und zwar eben dann auch in die Detailfrage. Und weil das eben so komplex ist, haben wir noch mal Dr. Anja Schmidt gefragt und sie hat uns erzählt, wie eine Strafbarkeit aussehen könnte und wie unterschieden werden müsste.

Dr. Anja Schmidt [00:21:28] Ja, bisher ist ja sexuelle Belästigung als aufgedrängte Sexualität noch nicht als solches strafbar. Aber wenn es strafbar werden sollte oder als Ordnungswidrigkeit sanktioniert werden sollte, dann würde ich dafür plädieren, dass man tatsächlich unterscheidet zwischen einem kurzen Pfiff oder einer kurzen Bemerkung und zwischen dem Verhalten, was wirklich die betroffene Person erheblich und unzumutbar beeinträchtigt durch eine sexuelle Belästigung. Die Abgrenzung kann im Einzelfall schwierig sein, aber ich denke, es gibt ganz klare Fälle, die unwürdig sind, zum Beispiel bei einem großen Altersunterschied oder wenn die Frau oder oder wenn eine Person der verbalen sexuellen Belästigung nicht ausweichen kann. Die Frau, die in einem Zugabteil von Fußballfans verbal sexuell belästigt wird oder, wenn die Belästigung unzumutbar ist, weil ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, ein Beispielsfall ist eben der Chef, der vor seiner Angestellten masturbiert.

Antonia Quell [00:22:31] Wenn ich dazu gleich etwas sagen darf, ganz wichtig, was Frau Schmidt da sagt, dass wir natürlich uns alle bewusst sind, dass es Abstufungen in der Intensität gibt, dass man nicht den Pfiff hinterher, also hinterherpfeifen oder hinterherhupen, anhupen gleichstellen kann, wie mit wenn mich jemand nachts im Park verfolgt und mir dann irgendwelche Sachen hinterher ruft oder so was. Das ist auch immer so ein Pseudo-Gegenargument was so was genannt wird und gesagt wird, hä ein Pfiff, so was soll da passieren? Und klar gibt es da Abstufungen. Klar muss man dann überlegen, was wird dann geahndet und was nicht. Aber dafür gibt es ja so viele Experten und Expertinnen, die sich mit Strafrecht so gut auskennen und sich sehr lange damit beschäftigen können, die das studiert haben und da super Lösungen finden.

Nadia Kailouli [00:23:10] Du hast mal gesagt, der Tag eines Mannes hat 24 Stunden, der einer Frau, solange es hell draußen ist.

Antonia Quell [00:23:20] Ja, stehe ich auch immernoch dahinter. Es gibt eine ganz große Datagap zu diesem Thema. Es ist voll schwer, dass ich mit passenden Zahlen argumentiere, weil die Zahlen entweder uralt, aus 2003 zum Beispiel sind, aus irgendwelchen Umfragen und Datenerhebungen oder weil sie es einfach noch nicht gibt, weil wie gesagt, das Thema haben wir noch nicht so lange auf dem Schirm.

Nadia Kailouli [00:23:35] Das ist so interessant. Jetzt, wo ich mit dir spreche, es kommen mir so viele Beispiele. Mir ist, letztens war ich in Berlin und ich wurde ganz angeguckt, ich saß im Restaurant, ich saß da mit einer Freundin, ich wurde die ganze Zeit angeguckt. Dann ist dieser Mann aufgestanden, der war in Begleitung einer Frau, ist er aufgestanden, hat sein Handy in die Hand genommen und hat die ganze Zeit in der Nähe meines Tisches telefoniert und mich die ganze Zeit angelächelt. Und ich dachte so, ja mein Gott, und to make it short: Ich bin ins Hotel gelaufen und dieser Mann ist mir hinterhergelaufen. So, und ich habe dann meinen Freund angerufen und habe ihm gesagt, wie unangenehm ich das fand und dass ich dann die ganze Nacht, ich lag die ganze Nacht in meinem Bett, weil ich war im Hotel, ja, das war jetzt auch nicht mein Safespot von zu Hause. Ich wusste nicht, kommt er hier rein, kommt er nicht herein? Sieht ja, wo das Licht anging. Keine Ahnung. Und das meine ich. Das ist doch, ist das für dich Catcalling, was ist das?

Antonia Quell [00:24:19] Achso, ja, das ist schwierig zu sagen. Also ist im Prinzip ist es nicht schwierig zu sagen, weil du das selber entscheidest, ich muss das nicht entscheiden, aber diese Abstufungen halt, ich will das gar nicht zum Thema machen, weil da sollen sich andere Menschen mit beschäftigen. Also was ist Catcalling, was nicht? Keine Ahnung. Ist ja im Prinzip egal. Wenn du dich gestört gefühlt hast, dann hast du dich gestört gefühlt, egal wie man das jetzt betiteln muss. Und wie gesagt, wie man das strafrechtlich dann einordnen würde oder in späterer Zukunft das einordnen kann,  das will ich mir nicht anmaßen, dass ich das entscheide.

Nadia Kailouli [00:24:48] Aber macht es dich, weil du dich ja so intensiv damit beschäftigst, macht es dich ohnmächtig oder motiviert es dich, dass wir da noch so viele Lücken haben? Weil zum Beispiel ich, oder auch viele andere, wir wüssten ja jetzt gar nicht rufe ich jemanden an, hätte ich jetzt die Polizei anrufen können, sagen können, hey, dieser Mann ist mir bis zum Hotel nachgelaufen? Oder muss ich mich damit auseinandersetzen, wenn ich als Frau abends alleine unterwegs bin und einem Mann nicht direkt meine Telefonnummer zustecke, dass vielleicht dieser Mensch mich bis ins Hotel begleitet? Muss ja nicht heißen, dass die mir was Böses will. Vielleicht wollte er nur sagen, hallo, Sie haben schöne Zähne. Ich weiß es nicht.

Antonia Quell [00:25:18] Das gibt einem auf jeden Fall so ein Ohnmachtsgefühl. Ich kann das verstehen, also das, was du gesagt hast. Und mich motiviert es in dem Sinne, dass ich das Gefühl habe, dass ich was dagegen tue, das fühlt sich auf jeden Fall besser an. Aber es ist halt krass zu sehen, selbst wenn das jetzt durchgeht, da kann ich ja später was noch dazu sagen, es sieht auf jeden Fall gut aus, dass sich da was ändert. Aber selbst wenn es durchgeht, gibt es noch so viel zu tun. Also erst mal das, man kann ja quasi nicht den Bürger:innen in so ein Gesetz aufoktroyieren und dann zu sagen so, ja, lebt jetzt mal damit und hier ist jetzt dieses neue Gesetz und die verstehen gar nicht, worum es da geht. Man muss die Leute alle mitnehmen und die müssen verstehen, wieso gibt jetzt dieses neue Gesetz? Was hat das zu bedeuten? Wie kann man das anwenden? Was sind meine Rechte? Auch das, was du gerade gesagt hast. Du weißt gar nicht,  darf man dann zur Polizei gehen oder nicht? Oder keine Ahnung. Man weiß irgendwie nie, wie man sich verhalten soll. Da muss man ganz, ganz viel tun. Und dazu kommt, dass das Justiz- und das Polizeisystem ja total sexistisch und rassistisch ist. Was einfach damit einhergeht, dass wir alle so sozialisiert sind. Also wir alle sind so aufgewachsen nach dem Motto, wer hat Angst vorm schwarzen Mann oder quasi Frauen, die wollen ja quasi nur angesprochen werden und all diese Sachen. Und die Menschen, die in der Justiz oder bei der Polizei arbeiten, sind davon nicht losgelöst. Also die sind genauso aufgewachsen. Und damit geht einher, dass die Betroffenen von zum Beispiel verbaler sexueller Belästigung es auch in Zukunft sehr, sehr schwer haben werden, selbst wenn die so was anzeigen können, dass das durchgeht, dass das verurteilt wird, dass sie die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient haben und auch die Empathie bekommen, die sie verdient haben. Weil wie gesagt, einfach Sexualstraftaten ein sehr sensibles Thema sind und es einfach super schwierig ist, damit richtig umzugehen. Und diese ganze Arbeit, dass auch die Gerichte sensibilisiert werden, Anwälte und Anwältinnen, Richter und Richterinnen und so weiter. Ey das wird so ein Haufen Arbeit. Deswegen also sozuagen, ja, wir machen jetzt ein neues Gesetz und dann ändert sich die Welt, das wär natürlich total naiv. Und ja, aber es ist auch eigentlich geil so, haben wir noch was zu tun.

Nadia Kailouli [00:27:12] Ja wer hoch auf den Berg gehen will, der muss auch loslaufen. Und wir wollen ja alle auf diesem Berg ankommen.

Antonia Quell [00:27:17] Jetzt weiß ich auch wieder, was ich vorhin sagen wollte zu dem Zitat, was du von mir gebracht hast. Der Tag eines Mannes hat 24 Stunden, der einer Frau, solange es hell draußen ist. Wir denken, das ist normal und wir nicht alle damit beschäftigt sind, das alles zu ändern, also dass wir nicht tagtäglich überlegen, wie können wir uns alle sicherer fühlen in der Öffentlichkeit und so? Ist das nicht total verrückt, dass wir denken, ja, Frauen können halt nachts nicht ausgehen, Frauen können ja nicht im Dunkeln joggen gehen, weil es halt gefährlich ist? Es müsste aber nicht gefährlich sein.

Nadia Kailouli [00:27:43] Ich habe immer wieder eine Bewunderung, wenn ich Frauen sehe, die das tun. Ich gehe manchmal auch spätabends dann noch spazieren, aber nicht alleine, mit einer Freundin oder mit meinem Freund oder so, und auf einmal siehst du so eine Frau, so joggen an der Alster. Ich lebe in Hamburg, ja, und da denke ich mir so, boah es ist so dunkel, du gehst hier alleine laufen? Ich würde mich das nie trauen. Und jetzt gerade habe ich auch gedacht, wie viele hören gerade zu, gerade bei den persönlichen Geschichten und sich denken, also bei mir kam auch direkt so Hoodie und Käppi, habe ich auch schon gemacht. Es ist absurd. Jetzt wo wir drüber sprechen, wird es auch erst mir bewusst, wie absurd es ist. Aber wie wichtig es ist, dass wir drüber sprechen.

Antonia Quell [00:28:20] Und was es auch für eine Benachteiligung ist, das muss man sich mal reinzeihen. Das heißt also, wenn ich, okay, ich will jetzt drei Mal in der Woche joggen gehen, das kann ich aber nur machen, wenn es hell draußen ist. Das heißt, ich muss es um 17:00 Uhr oder so im Winter machen oder um 16:00 Uhr, das heißt, da kann ich nicht mehr arbeiten, während andere Männer zum Beispiel arbeiten oder ein Buch lesen oder sich bilden oder irgendwas anderes Wichtiges machen, was man tagsüber machen will. Und ich habe dafür aber keine Zeit. Ich muss vielleicht das vielleicht spätabends machen oder es spätabends nicht mehr machen. Und das sind ja alles solche Kleinigkeiten. Das meine ich mit den Strukturen, die sich ändern müssen quasi. Die Frauen so krass weit oder Betroffene so krass weit zurückwerfen und uns das halt alles nicht juckt. Wir denken, das ist alles normal und es bleibt halt so. Für meine Eltern ist das normal, dass ich abends draußen vorsichtig sein muss und mein Bruder zum Beispiel nicht.

Nadia Kailouli [00:29:00] Ich glaube, meine Mutter hat meinem Bruder auch noch nie gesagt, pass auf dich auf oder ruf an, wenn du zu Hause bist.

Antonia Quell [00:29:04] Mein Bruder schreibt es bestimmt mit seinen Freunden auch nicht, schreib mir, wenn du daheim bist. Ich schon.

Nadia Kailouli [00:29:09] Ja, ich mache das auch. Bei jeder Freundin, die ich spätabends treffe, sage ich Zeynep oder Ute oder keine Ahnung was, schreibt mir, wenn du zu Hause bist.

Antonia Quell [00:29:16] Und das ist normal. Das war ja auch mal so ein Movement mit dem "text me, when you're home." Das war auch total so ein auch berechtigter Aufstand, dass man sagt, wieso ist es eigentlich normal, dass man sich Sorgen machen muss, wenn jemand nach Hause geht, wenn es dunkel ist.

Nadia Kailouli [00:29:27] Und eben, wir haben jetzt ganz oft das Wort normal benutzt, es ist ja selbstverständlich. Und die Frage ist ja, finden wir uns damit ab, weil wir sind so sozialisiert, wir sind so aufgewachsen und wir erziehen ja also auch unsere Generation erzieht schon die nächste Generation ran und bringt das ihren Töchtern auch so bei. Die Frage ist, glaubst du denn jetzt, wenn du zum Beispiel so eine Petition machst wie "2020, Catcalling sollte strafbar sein." Siehst du da eine Bewegung? Siehst du da einen Fortschritt? Oder werden auch deine Enkelinnen noch mit Angstgefühlen in die U-Bahn steigen?

Antonia Quell [00:29:59] Ja, voll schwierig. Also dass wir auf jeden Fall als Gesellschaft immer emanzipierter werden und dass wir da immer sensibler werden und empathischer, das glaube ich auf jeden Fall. Also die Mühlen der Gerechtigkeit, sie mahlen, aber sie mahlen langsam. Also auf jeden Fall, meine Enkel, wenn ich welche bekommen, ob die das mitbekommen? Keine Ahnung, ich würde es ihnen wünschen. Es ist aber so, dass jeder kleine Schritt, auch wenn es noch so unbedeutend ist oder egal in welchem Bereich man sich jetzt dann irgendwie engagiert oder irgendwie auch wenn man nur mit der Familie über so was quatscht oder so, ich glaube da ganz fest daran, dass jeder kleiner Step total wichtig ist und zu irgendwas Großem beiträgt. Ja.

Nadia Kailouli [00:30:36] Jetzt reden wir gerade sehr, sehr viel aus unserer Perspektive, aus der Perspektive einer Frau. Wir haben aber mit Sicherheit ganz viele Zuhörer, Männer, die uns total zustimmen und die dann aber eher ein anderes Problem haben. Und zwar, wie schaffe ich das denn, dass man vor mir keine Angst hat, dass wenn sich eine Frau morgens um zwei in die U-Bahn setzt und ich als Typ sitze da und hatte gerade einen schlechten Tag und gucke vielleicht ein bisschen grimmig, dass man da nicht direkt Angst vor mir bekommt. Wie gehen wir damit um?

Antonia Quell [00:31:03] Da gibt es sogar so Videos und so im Internet zu, kann man sich reinziehen Die Männer oder die männlichen Personen, die sich das jetzt anhören, können sich das anschauen. Also es ist auf jeden Fall total wichtig, dass man irgendwie Frauen nicht unangenehm nahe kommt, dass man irgendwie nicht nicht-erkennbar ist. Zum Beispiel wenn ich von jemandem das Gesicht nicht sehen kann oder nicht sehe, was er in den Händen hat oder was er in den Taschen hat oder so, da es ja total beängstigend sein kann. Oder wenn mir jemand lange hinterherläuft, vielleicht hat er einfach nur die selbe Route wie ich, kann ja sein und er meint es überhaupt nicht böse. Aber dass da einfach, dass Männer oder alle, die quasi nicht selbst von verbaler sexueller Belästigung betroffen sind oder an sich einfach alle Menschen quasi sensibel sind. Dass man sich überlegt, wie könnte die andere Person sich gerade fühlen oder was könnte das für einen Eindruck erwecken? Zum Beispiel habe ich letztens, habe ich das gehört, dass irgendein Mann war mit seinem Hund draußen spazieren und hat dann seinem Hund hinterher, hat ihn gepfiffen und angelockt. Daneben, die Frau hat sich super unwohl gefühlt und da hat er erst so gecheckt, oh die dachte gerade, ich meinen sie, wie unangenehm. Und er meint es natürlich gar nicht böse. Und dass man da einfach woke ist und sich überlegt, wie kommt das eigentlich an, was ich gerade mache? Was ich dazu aber noch sagen wollte, weil du gerade gesagt hast, wir überlegen gerade, wie wir Frauen uns fühlen. Was mir auch immer voll wichtig ist, dass es rauskommt, dass nicht alle Frauen verbale sexuelle Belästigung gleich erleben. Und das, deswegen erzähle ich auch nicht gerne von meinen persönlichen Erfahrungen, weil ich nicht möchte, dass meine Erfahrungen als weiße, heterosexuelle Frau, die nicht behindert ist, die nicht dick ist und so weiter, dass die repräsentativ für alle Erfahrungen von verbaler sexueller Belästigung gelten. Es wäre auf jeden Fall vermessen, das zu denken und ganz, ganz schwierig, weil ich nicht zweifach oder dreifach diskriminiert werde und zum Beispiel schwarze Frauen nicht nur wegen ihres frauseins diskriminiert werden, sondern auch wegen ihres schwarzseins und wegen diesen beiden Faktoren. Und das ist mir immer ganz wichtig, weil ich nicht will, dass mein privilegiertes weißes Face auf dieser Kampagne dann quasi immer steht und hier gesagt wird "Diese Studentin, blablabla."

Nadia Kailouli [00:32:52] Aber du als privilegierte weiße Frau, hast ja dennoch Erfahrungen, die die Berechtigungen haben, geteilt zu werden.

Antonia Quell [00:32:59] Und ich habe vor allem die Kraft dafür.

Nadia Kailouli [00:33:01] Ich finde es eher interessant, dass ich auf dem Weg heute nach Berlin und als ich mich mit der Sendung heute beschäftigt habe, eher dachte so, ich habe das noch nie erlebt, Catcalling, das habe ich doch noch nie erlebt. Und jetzt sitze ich hier und höre mir diese Beispiele an und rede mit dir und denke mir doch, doch, doch, habe ich ja doch, aber mir ist das gar nicht bewusst. Ich hab wirklich drüber nachgedacht, und dachte so, ne, ich wurde noch nicht belästigt. Bis ich jetzt drüber reden denke, ah fuck.

Antonia Quell [00:33:25] Es ist so crazy wie man, also ich bin ja unglaublich sensibel für dieses Thema momentan und auch jetzt schon seit einem Jahr, seit der Petition und davor wahrscheinlich auch schon. Und ich wohne ja jetzt noch nicht so lange in Berlin und es ist so interessant zu sehen, wie in der Großstadt noch mal viel schlimmer als zum Beispiel in Würzburg, einer relativ kleinen Stadt, wo ich sonst immer studiere, wie krass viel Raum Männer einnehmen. Wie breit die sich in öffentlichen Verkehrsmitteln machen. Die spucken dir auf der Straße vor die Füße und juckt es nicht. Oder die übersehen dich, die gehen dir nicht aus dem Weg, wenn sie in der Dreierkette laufen und du musst da irgendwie durch und so und es ist krass, was für ein Selbstverständnis, oder ich hab ein Buch gelesen, da heißt es Entitlement, dass Männer denken, sie hätten den Anspruch auf etwas, oder sie hätten den Anspruch auf diesen Platz, auf diesen Raum, diesen Raum einzunehmen. Und das ist ganz typisch für das Patriarchat, zum Beispiel, dass dass, ja diese Balance, dass man sagt, Frauen müssen sich so klein machen und Männer haben den Anspruch auf alles. Das ist so vermessen und so gefährlich und das nehme ich auch gerade seit der Petition viel, viel intensiver wahr. Und dazu gehört eben auch, dass du sagst, ich habe das irgendwie gar nicht gemerkt, aber jetzt aus der Retrospektive fällt mir das alles auf. Ja, krass, stimmt, ich habe es gar nicht gecheckt.

Nadia Kailouli [00:34:32] Ich finde es eher auch, und da können wir vielleicht auch noch mal drüber reden, wie man am Ball bleibt und jetzt nicht du als diejenige, die eine Petition gestartet hat, sondern als diejenige, die es halt in ihrem Alltag erlebt, sich dessen bewusst ist, das war jetzt hier für mich eine Grenzüberschreitung und ich möchte die sichtbar machen. Beispiel, man ist in einer Kneipe irgendwie die ganze Zeit auf Augenhöhe und dann ist aber ein bisschen viel Alkohol geflossen. Und auf einmal erlaubt sich dann der eine oder andere, die in die Hüfte zu kneifen, zu sagen, ach Mäuschen, jetzt komm mal her, stoß noch mal mit uns an. Und du dann sagst, entschuldigung, wir haben es doch die ganze Zeit irgendwie auf Augenhöhe unterhalten. Ich bin jetzt nicht dein Mäuschen und dann aber gerade nahestehende Kumpels oder so sagen, ach komm, ist doch lustig, jetzt stell dich doch nicht so an! Wie gehen wir damit um, mit dieser Schwelle, dass aus Spaß Ernst werden kann und dass Ernst eben kein Spaß mehr ist?

Antonia Quell [00:35:22] Voll interessant, dass es ansprichst. Das ist halt die Zweiseitigkeit der Medaille oder die Ambivalenz, dass man sagt, wo will ich mich da jetzt positionieren? Also umso mehr man das alles checkt, umso mehr man diese Strukturen erkennt, umso mehr man diese Ungerechtigkeiten entdeckt, desto frustrierender ist das natürlich, dass man sagt, keine Ahnung, selbst meine Freunde sind manchmal voll scheiße, ohne dass sie das vielleicht wollen oder machen irgendwelche Sachen, die einfach nicht in Ordnung sind. Also voll frustrieren auf der einen Seite aber auch super empowernd auf der anderen, weil man sagen kann geil, diese ganzen Gefühle, die ich dann früher in mir getragen habe, ich habe das früher nie gecheckt und jetzt weiß ich, woher das kommt. Und ich weiß, dass mir das nicht gefallen lassen muss. Und ich weiß, hier kann ich Grenzen für mich ziehen. Und da, ich persönlich kann jetzt nur von mir reden, habe ich genug Selbstrespekt, um zu sagen, ich umgebe mich nur mit Leuten, die mir gut tun, ich stehe für mich selber ein. Ich stehe für das ein, was mir wichtig ist und sag genau, wie es mir passt und wie es mir nicht passt.

Nadia Kailouli [00:36:13] Gehen wir noch mal einen Schritt weiter. Wie schaffen wir das, dass wir nicht, jetzt kommt so ein ganz böses Wort eigentlich, verbissen werden oder verbittert in dieser ganzen Debatte. Sich eben zu positionieren, klare Grenzen zu setzen und so, weil ich höre immer auch die anderen Stimmen, die dann vielleicht nicht mit mir einer Meinung sind und eher sagen, mein Gott, jetzt stell dich nicht so an und dann steht doch einfach drüber, sag doch mal nichts. Also wie schaffen wir das dann eben nicht, diesen Eindruck zu vermitteln, dass man so verbittert wird in diesem, ich sage es jetzt mal, in diesem nicht Kampf, aber in diesem ja, sich damit auseinanderzusetzen, auf Augenhöhe und respektvoll miteinander umzugehen.

Antonia Quell [00:36:49] Ich verstehe, was du meinst, aber die Frage, also ich stelle mir die Frage muss ich das schaffen, nicht verbittert rüberzukommen? Also wenn das Männer denken, dann so what, dann sollen sie mit mir nichts zu tun haben. Also das auch so ein Ding, dass man halt dieses Male-Approval-Ding, also dass man Männern gefallen will und dass man diese Bestätigung will und hauptsache, die denkt nichts Böses über mich, hauptsache die denken, ich bin nicht verklemmt oder so. Mittlerweile geht mir das so am Arsch vorbei. Also die sollen denken was sie wollen. Wenn ich verbittert bin, dann bin ich verbittert. Und wenn ich zynisch bin, dann bin ich zynisch. Ich bin einfach so, wie ich bin.

Nadia Kailouli [00:37:19] Aber selbst da gibt es dann immer wieder die nächste Instanz der Beleidigung, die da lautet, die muss mal wieder gevögelt werden, dann entspannt die sich auch wieder. Haben glaube ich auch ganz schön viele von uns schon mal gehört.

Antonia Quell [00:37:30] Was ich dazu aber noch sagen will. Also ich habe das jetzt ein bisschen polemisch gesagt, ist aber ein berechtigter Ansatz, dass man sagt, wie schaffen wir es, dass die Fronten sich nicht so krass verhärten? Dass man sagt, die sind jetzt so, sie ist jetzt so eine und man kann jetzt gar nichts mehr sagen und so, das ist auch voll wichtig, dass man natürlich Verständnis hat. Also es gibt ja ganz viele Menschen, die sich falsch verhalten, aber das wirklich nicht im richtigen Wissen machen. Ich sage ja, wir sind alle so sozialisiert und alle Männer verhalten sich da draußen auch so, wie sie eben erzogen wurden, wie sie es gewöhnt sind, wie sie sich an männlichen Vorbildern sehen und möchte deswegen auch irgendwie so ein bisschen die Fronten glätten und sagen, ich weiß, dass ganz viele da draußen keine Unmenschen sind, mit Absicht. Und deswegen ist es so wichtig, dass man empathisch ist und dass man sein eigenes oder das eigene Verhalten hinterfragt und so sagt, hm, vielleicht hat sie ja recht. Und ich kann ja auch aus der anderen Perspektive sagen, vielleicht war es ja nicht so gemeint, aber du musst das trotzdem ändern in Zukunft.

Nadia Kailouli [00:38:20] Jetzt würde ich gern mit dir auch noch mal ins Ausland blicken, denn in Portugal oder auch Frankreich ist eben Catcalling schon strafbar. Da muss man in die Tasche greifen, wenn man den Schritt zu weit gegangen ist eben. Jetzt sind es aber auch genau die Länder, die ein bisschen lockerer miteinander umgehen. Italien, Frankreich, Spanien, ja, wir kennen es alle. Dann fährst in Urlaub und auf einmal sind die Männer so charmant. Ja, man wird dann eben mehr angeflirtet. Das ist da nicht so prüde, ich weiß nicht, ob das der richtige Begriff ist dann, wie bei uns in Deutschland. Wie stehst du dazu, zu dieser Balance, dass gerade in diesen Ländern wie zum Beispiel Frankreich, Portugal Catcalling strafbar ist? Aber in Frankreich hat auch ein Richter mal gesagt, ich weiß nicht, Staatsanwaltschaft, Staatsanwalt oder Richter, dass so ein bisschen auch die französische Flirtkultur vielleicht verloren gehen kann.

Antonia Quell [00:39:06] Genau. Also das ist genau das Äquivalent zu Deutschland, dass man sagt "Diese Studentin will das Flirten verbieten." Und so weiter und so fort. Aber wie gesagt, das will ich nochmal betonen, dass ja verbale sexuelle Belästigung nichts mit Flirten zu tun hat. Also das eine ist komplett was anderes als das andere. Man kann das klar abtrennen. Und Belästigung ist eben wie gesagt kein flirten. Also alle Menschen dürfen weiter flirten. Voll geil. Super! Und dann zu Frankreich, aber es ist ein großes Thema und auch gut, dass du es ansprichst. Also in Frankreich gibt es ja das Gesetz seit 2018 und da ist es eben im Code Pénal verankert. Das ist quasi gleichzusetzen mit den Ordnungswidrigkeiten hier in Deutschland. Also so der unterste Teil vom Strafgesetz für die nicht ganz so krassen Sachen, um es jetzt mal easy auszudrücken. Und da wurde dieses Gesetz auch, es stand in krasser Kritik, weil es eben ein Jahr nach Inkrafttreten nur 700 Verurteilungen gibt. Und wenn man sich vorstellt, dass das 700 Mal passiert ist, das weiß jeder, dass es mehr passiert, dass verbale sexuelle Belästigung viel öfter und häufiger passieren und dass es da eine extrem hohe Dunkelziffer gibt. Das heißt, dass ganz viele Fälle gar nicht erst angezeigt werden und dementsprechend natürlich auch nicht verurteilt werden können. Und da sagen Kritiker:innen eben so, ja, das ist ein zahnloser Tiger, das bringt uns gar nichts. Wir haben jetzt dieses Gesetz erlassen und es wird halt nicht angewendet, aber nice, dass wir das gemacht haben. Und so soll es eben in Deutschland nicht werden, deswegen sage ich, ist es wichtig, die Leute mitzunehmen und das alles so hinzubekommen, dass alle verstehen, worum es geht, dass man seine Rechte kennt und dass wir natürlich aus den Regelungen von Nachbarländern lernen, dass wir die Stärken und die Schwächen von denen analysieren und schauen, okay, was funktioniert in Frankreich nicht so gut? Dann können wir es ja besser machen. Das Geile ist ja, dass Deutschland so hart hinterher hängt, dass wir das jetzt alles so als Vorbild oder anschauen können und schauen können so, hm was funktioniert eigentlich gut, was funktioniert nicht so gut und was ist die beste Regelung für uns?

Nadia Kailouli [00:40:50] Antonia, du hast mit einer Petition auf jeden Fall ein Thema ins Rollen gebracht und auf den Schreibtisch gebracht, dass man darüber mehr nachdenken mss und gucken muss, wie wird es in Zukunft bei uns im Land zum Thema Catcalling weitergehen. Wie geht es denn bei dir weiter nach dieser Petition?

Antonia Quell [00:41:11] Also wenn ich mal so einen Ausblick geben darf, wie es gerade so läuft mit der Petition. Es läuft eigentlich richtig gut. Ooft werde ich so gefragt, "Ein Jahr später und es ist immer noch nichts passiert. Was denkst du, Antonia?" Und es ist natürlich klar, dass sowas nicht von jetzt auf gleich entschieden werden kann und dass man da nicht gleich Resultate sehen kann. Momentan ist der Diskurs aber so, dass wir mit der neuen Regierungsbildung auf jeden Fall bessere Startbedingungen haben für so ein Gesetz, als mit der ehemaligen Regierung. Und zum Beispiel Herr Fechner von der SPD, ein Bundestagsabgeordneter von der SPD, ist voll hinter dem Thema her und sagt, wir müssen auf jeden Fall eine Regelung finden. Da geht es nicht mehr nur um Diskussionen, sondern er sagt, er kümmert sich darum, eine Regelung zu finden, entweder im Ordnungswidrigkeitenbereich oder im strafrechtlichen Bereich. Und der veranlasst im Januar dann ein Treffen mit den Regierungsparteien plus die Linke. Und ja, stößt das Ganze an oder veranlasst auch, das ist auch eine Forderung vom Deutschen Bund der Juristinnen, dass Forschung zu dem Thema angestoßen wird und da will er auch Budget beiseitelegen und sich darum kümmern. Was da natürlich alles geschieht oder nicht, ist in der Politik immer noch eine andere Sache. Und dass da immer viel geredet wird und dann weniger gemacht wird als vorher oder dass da einiges dazwischen kommt, gerade mit der Pandemie, das ist natürlich klar, aber da geht es auf jeden Fall vorwärts. Und ja, das ist cool. Ich persönlich sage auch in Interviews sowieso immer, ich bin mir so sicher, dass es strafbar wird. Um mich jetzt mal weit aus dem Fenster zu lehnen. Wenn es halt nicht jetzt passiert, dann in fünf Jahren oder in zehn Jahren. Also die Strafbarkeit von verbaler sexueller Belästigung ist eigentlich eine logische Konsequenz auch aus dem Aufbau unseres Strafgesetzes. Weil um das kurz zu erklären, es ist ja so, wir haben Beleidigungen strafbar. Damit erkennen wir quasi an, dass auch Worte verletzen können und wir schützen quasi in diesem Straftatbestand der tätlichen sexuellen Belästigung schützen wir das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Und wieso sollte dann quasi, wenn mein sexuelles Recht, meine sexuelle Selbstbestimmung durch Worte verletzt wird, wieso sollte das nicht strafbar sein? Also ich hoffe, das war jetzt nachvollziehbar.

Nadia Kailouli [00:43:00] Also für mich schon. Vor allem finde ich es gut und wichtig, dass du so dran bist an dem Thema und dass du uns auf jeden Fall finde ich, Mut gemacht hast. Wir werden dich sicherlich noch mal irgendwo hören zu diesem Thema und wir werden natürlich auch gucken, wie sich die neue Regierung genau in diesem Themenbereich entwickeln wird. Vielen Dank, Antonia Quell.

Antonia Quell [00:43:19] Yes, gerne.

Nadia Kailouli [00:43:22] Also das Gespräch mit Antonia Quell, das hat mir einfach so deutlich vor Augen geführt, wie oft Belästigung im Alltag vorkommt und man sich dahingehend ja schon fast irgendwie ja, ich will nicht sagen dran gewöhnt hat, aber irgendwie so ein bisschen blind war, dass das ja eigentlich überhaupt nicht cool ist, was da passiert. Und ich finde, sie macht halt einfach Mut, weil sie ist ja so positiv, sie macht ja so Mut dahingehend, dass eben genau dieses Catcalling, also diese sexuelle Belästigung, früher oder später eben strafrechtlich verfolgt werden kann.

Mehr Infos zur Folge

Genau dieses Überlegenheitsgefühl möchte Antonia Quell ändern, sie möchte, dass Catcalling unter Strafe gestellt wird. „Das deutsche Recht sollte ein Wegweiser für Richtig und Falsch sein. Ein Gesetz gegen Catcalling demonstriert, dass verbale sexuelle Belästigung definitiv falsch ist,” steht auf der Website zur Petition.

In Frankreich ist Catcalling schon seit 2018 strafbar und wird mit Geldstrafen von bis zu 750 Euro geahndet. Auch in Portugal, Belgien und in den Niederlanden ist Catcalling illegal. 

Betroffen von Catcalling sind überwiegend Frauen und die können viel darüber erzählen, wie sehr das nervt. Und wie sehr es das Sicherheitsgefühl beeinträchtigt. Denn in Momenten der sexuellen Belästigung fühlen sich viele vollkommen hilflos. Da hilft auch kein gut gemeintes „Mach dir nichts draus“ oder ein “Das ist doch nur ein doofer Spruch” hinterher von Freund:innen - für viele Betroffene ist es einfach super unangenehm, von Fremden verbal ausgezogen zu werden. 

Im Gespräch mit Nadia Kailouli erzählt Antonia Quell, warum der Tag einer Frau keine 24 Stunden hat, was internalisierter Sexismus ist und warum sie sich sicher ist, dass Catcalling in wenigen Jahren sowieso strafbar sein wird.

Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:

Auf der Website der Petition könnt ihr den aktuellen Stand der Dinge verfolgen, euch in die Diskussionen und Argumente der Unterstützer:innen einlesen und findet außerdem einen aktuellen Pressespiegel zum Thema: https://www.openpetition.de/petition/online/es-ist-2020-catcalling-sollte-strafbar-sein 

Auf der Instagram-Seite “catcallsofberlin” findet ihr eine Reihe von Catcalls, die die Macher*innen sammeln und mit Kreide auf die Straßen Berlins schreiben. Ähnliche Aktionen gibt es mittlerweile in vielen deutschen Städten:
https://www.instagram.com/catcallsofberlin/  

Mit der Frage “Wie wehre ich mich gegen verbale sexuelle Belästigung?” hat sich die Journalistin Lara Thiede für “jetzt” beschäftigt und eine Expertin befragt: https://www.jetzt.de/gutes-leben/catcalling-wie-wehrt-man-sich-gegen-verbale-sexuelle-belaestigung

Hilfe und Informationen zu sexuellem Missbrauch gibt es beim Hilfe-Portal und beim Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch:
https://www.hilfe-portal-missbrauch.de/startseite

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

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