PODCAST | Folge 43 | Maria Mesrian

Ich fordere keine Reformen, ich fordere eine Revolution. Den Umsturz dieser Bischofskirche, die ohne irgendeine Art der Machtkontrolle agiert.

Maria Mesrian erzählt uns in dieser Folge, wie sie die Kirche revolutionieren will und warum man sie nicht aufgeben soll.




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[00:00:00.300] - Maria Mesrian

Was ich fordere, sind keine Reformen, sondern es ist tatsächlich eine Revolution. Es wäre ein totaler Umsturz dieser Bischofskirche, die tatsächlich ohne irgendeine Art der Machtkontrolle agiert. Alles, was wir in der katholischen Kirche sehen an Schlechtem, ist Machtmissbrauch und am schlimmsten natürlich in der Form der sexualisierten Gewalt.

[00:00:21.900] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Einbiszwei? Ja, genau. Ein bis zwei Kinder sind in jeder Schulklasse in Deutschland sexueller Gewalt ausgesetzt. Wieso das so häufig passiert und was man gegen sexuelle Übergriffe tun kann, das erfahrt ihr hier bei einbiszwei. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast spreche ich mit Expert*innen, Journalist*innen und Betroffenen. Wir reden über akute Missstände, Anlaufstellen und persönliche Geschichten. Wenn es euch damit aber nicht so gut gehen sollte, wir haben in den Shownotes Telefonnummern und Hilfeangebote verlinkt, wo ihr Hilfe findet. Hier ist einbiszwei, schön, dass du uns zuhörst.

[00:01:05.200] - Nadia Kailouli

Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es in Deutschland mehr Nichtmitglieder als Mitglieder in den Kirchen. Weniger als 50 % sind überhaupt noch in der Kirche. Das hat nicht nur was damit zu tun, dass die Leute die Kirchensteuer sparen wollen. Die meisten sagen, dass ihr Vertrauen in die Kirche dahin ist. Alt, verkrustet, starrköpfig. Männerverein, Machtmissbrauch und die Vertuschung von Missbrauchsskandalen, das sind so die gängigen Antworten, wenn man Menschen fragt, warum sie eigentlich ausgetreten sind. Heute ist eine Frau bei mir, die all diese Antworten vermutlich teilt und dennoch sagt: "Kirche ist wichtig. Gebt sie nicht auf." Warum sie mit der Bewegung Maria 2.0 und dem Verein UMSTEUERN! dafür kämpft, dass die katholische Kirche sich ändert, erzählt sie mir heute, die katholische Theologin Maria Mesrian. Herzlich willkommen bei einbiszwei. Grüß dich!

[00:01:49.330] - Maria Mesrian

Hallo!

[00:01:49.780] - Nadia Kailouli

Hi! Wir wollen heute mit dir über die Kirche sprechen, besser gesagt über die katholische Kirche. Und da würde ich gerne am Anfang direkt von dir wissen, warum sollte man überhaupt noch Mitglied der katholischen Kirche sein nach all den Missbrauchsfällen, die in den letzten Jahren ans Licht gekommen sind?

[00:02:07.180] - Maria Mesrian

Also ob man es sollte oder nicht, kann ich natürlich nicht entscheiden. Das ist eine private Entscheidung jedes Einzelnen. Wir müssen allerdings dabei mitbedenken, dass die Kirche in Deutschland ein sehr starker und großer Arbeitgeber ist mit 1,2 Millionen Arbeitnehmern. Und die können nicht aus der Kirche austreten. Für jeden persönlich stellt sich, auch für mich, die Frage: Wie kann ich es überhaupt noch moralisch rechtfertigen, dass ich Geld für diese Institution gebe? Und in Deutschland ist es ja wirklich so geregelt wie in keinem anderen Land der Welt, dass unsere Zugehörigkeit zu dieser Glaubensgemeinschaft über Geld geregelt wird. Das heißt, Sakramente, also Taufe, Beerdigung geht über Geld und das ist eigentlich nicht hinnehmbar. Und deshalb müsste man eigentlich sagen, die Katholiken in diesem Land müssten aus dieser Kirche austreten, damit der Druck erhöht wird. Wobei, da muss ich in manchen auch wieder die Luft ein bisschen rausnehmen. Die Kirche in Deutschland, wir sehen es in Köln, verfügt über riesige Vermögen im Immobilienbereich, in Anlagen. Damit sprechen wir in Köln von 3,4 Milliarden Euro. Also denen tut die Kirchensteuer erst mal nicht so weh, wenn da ein paar gehen. Die sind sogar froh, wenn die Unbequemen gehen. Dann sind sie nämlich noch besser unter sich. Also es ist eine total heikle, verwickelte Frage, wo natürlich auch ganz viel Privates mitreinspielt. Auch bei mir noch eine Art Trotz zu sagen, wem gehört eigentlich die Kirche? Warum ist es Gesetz, dass das Geld denen gehört? Und wenn ich gehe, habe ich ja auch keinen Anteil mehr an den Entscheidungen, die da getroffen werden. Das muss ich auch dazu geben.

[00:03:47.230] - Nadia Kailouli

Das heißt, du bist noch Mitglied der Kirche?

[00:03:50.110] - Maria Mesrian

Ja, ich bin noch Mitglied dieser Kirche. Natürlich jeden Tag, wie du auch an meinen Antworten merkst, jeden Tag wird es schwerer für mich. Viele von meinen Mitstreiterinnen, auch bei UMSTEUERN! in unserem Verein, sind ausgetreten und steuern ihr Geld tatsächlich um in unseren Verein oder an andere karitative Projekte. Also es ist eine total schwierige Frage, für die es auch wirklich keine leichte Antwort gibt.

[00:04:16.420] - Nadia Kailouli

Viele haben sich aber diese Frage gestellt und hatten ganz schnell eine Antwort gefunden. Und zwar: "Ich trete aus". Wenn man sich die Zahlen anguckt, dann sind eben in den letzten Jahren so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten, dass man ganz klar sehen kann, okay, in Deutschland haben wir ein Problem mit der katholischen Kirche. Man verliert ja dadurch nicht den Glauben an...

[00:04:38.030] - Nadia Kailouli

Nein.

[00:04:38.680] - Nadia Kailouli

...an die Religion, wenn man austritt. Nichtsdestotrotz hast du ja gerade gesagt, dass man sich damit so eine Art Mitspracherecht behält, wenn man eben weiter zahlt. Man sieht ja aber, gerade was die Aufklärungsarbeit betrifft, in der katholischen Kirche zu den Missbrauchsfällen, dass Mitreden gar nicht gewünscht ist und auch in vielen Fällen gar nicht stattfindet.

[00:04:57.910] - Maria Mesrian

Ja, also dann sehe ich meine Aufgabe darin, wenn meine Mitsprache da nicht, die ist die natürlich nicht gewünscht. Meine Aufgabe ist es, so laut wie möglich zu bleiben, Politik da einzubeziehen, um den Kirchen da die Möglichkeit zu nehmen, selbst Aufarbeitung zu leisten. Denn das haben wir festgestellt, können sie nicht. Trotzdem zählt auch noch das Argument dabei, dass alleine ein Austritt aus der katholischen Kirche nichts nützt, weil diese Kirche so viel Macht hat in diesem Land, dass es nicht reicht, die Verantwortung dafür abzugeben, in dem ich austrete und dann nichts dagegen zu tun. Diese Macht bleibt ja trotzdem bestehen. Insofern ist ein Kirchenaustritt für mich total nachvollziehbar. Jeder, der das tut, soll es tun und wahrscheinlich werde ich das auch eines Tages tun. Oder ich war schon oft davor, es zu tun, Aber ich möchte daran erinnern, dass es trotzdem niemanden entbindet, in dem Bereich dann aber auch Verantwortung zu übernehmen, um die Macht der Kirchen auch einzuhegen. Und jeder muss wissen, jeder Steuerzahler in Deutschland zahlt beispielsweise die Gehälter der Bischöfe mit über die Staatskirchenleistungen, die es in diesem Lande immer noch gibt. Also das muss tatsächlich noch viel mehr in die Öffentlichkeit, denn wir subventionieren eben dieses System, was in meinen Augen tatsächlich in vielen Bereichen nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes agiert.

[00:06:25.550] - Nadia Kailouli

Jetzt wollen wir natürlich wissen, warum du dich dahingehend so stark machst und dich damit auseinandersetzt, was da in der katholischen Kirche passiert und was im besten Fall eigentlich in der Zukunft passieren müsste. Und zwar mehr Transparenz und eine Offenheit zur Aufklärung. Wie kam das dazu, dass du eben den Verein mitgegründet hast von UMSTEUERN!? Das kann es ja auch noch mal ganz kurz erklären, was ihr da genau macht.

[00:06:51.620] - Maria Mesrian

Also ich bin katholische Theologin und komme aus einer liberalen katholischen Familie oder einer christlich geprägten Familie, in der Werte wichtig waren, in der wir, ja in der ich eigentlich einen sehr positiven Glauben lernen durfte. Und der hat natürlich in, den habe ich natürlich erlebt in den Räumen auch der katholischen Kirche und ich hatte damit durchweg eben, ja - wie wahrscheinlich viele andere, positive Erfahrungen. Dann habe ich Theologie studiert und mir wurden allerdings im Laufe der Jahre, natürlich wurde mir dann auch klar, ich werde niemals als Theologin in der Kirche arbeiten können, weil eben diese diskriminierenden Strukturen da sind und bin dann ganz schnell in eine ganz andere Richtung gegangen, habe fürs Fernsehen gearbeitet, hab mich da auch abgewendet und habe das eigentlich so ein bisschen alles vergraben. Und dann kam die Bewegung Maria 2.0, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, dass diese, dass dieses System, so wie es existiert, so nicht weiteragieren darf in Männerhänden und vor allem auch gegründet aus dem Impuls heraus, was im Bereich der sexualisierten Gewalt in der Kirche läuft und gelaufen ist. Und in Köln haben wir es dann erlebt, bin ich das erste Mal mit Betroffenen in Kontakt gekommen, die durch Kleriker missbraucht wurden. Und das hat natürlich mein komplettes Denken und meinen kompletten Fokus umgeworfen. Und ich habe in dem Moment erkannt, dass meine einzige Aufgabe darin bestehen kann, das zu tun, was ich lange Jahre versäumt habe, nämlich an der Seite dieser Betroffenen zu stehen und das so konsequent. Und daraus ist die Idee entstanden, den Verein UMSTEUERN! zu gründen, als, auch als Lobbyorganisation. Aber vor allem, was für mich eine wahnsinnige Bereicherung ist, ist, dass wir mit Betroffenen und nicht Betroffenen Hand in Hand arbeiten. Und wir haben jetzt, ja Gott sei Dank, dass wir so viel Resonanz bekommen. Wir konnten jetzt innerhalb von einem halben Jahr eine Beratungsstelle "Leuchtzeichen" eröffnen und dann eine Ganztagskraft einstellen, die die leitet -  zusammen mit vielen Ehrenamtlichen. Und wir kommen mit so vielen auch gesellschaftlichen Gruppierungen, weil Missbrauch ist ja natürlich in allen Kontexten sichtbar und  geschieht überall, nicht nur in der Kirche. Aber da ist es für mich natürlich noch mal besonders schrecklich. Und die Arbeit erlebe ich als total bereichernd und konsequent aus dem, was letztlich auch so meine Basis ist, was ich vom Christentum verstanden habe.

[00:09:26.210] - Nadia Kailouli

Wie sehr hat dich das denn dann aber schockiert, als jetzt eben die Hintergründe zu Kardinal Woelki bekannt geworden sind, weil du eben auch Köln angesprochen hast.

[00:09:36.800] - Maria Mesrian

Also was mich daran schockiert oder eben eigentlich nicht schockiert, weil es ist in diesem System letztlich implementiert, in diesem System katholische Kirche ist, dass es möglich ist, dass ein Mensch so viel Macht hat. Wir kennen in der katholischen Kirche, es ist eine absolutistische Monarchie, wir kennen keine Macht und Gewaltenteilung und dieses System, zusammen mit der absoluten Überhöhung dieses Priesterbildes, ist eine der systemischen Ursachen des Missbrauchs. Und insofern überrascht mich nicht die Vorgehensweise, die wir jetzt auch in Köln sehen, dieser Menschen. Aber es ist mir ein dringendes Anliegen, das öffentlich zu markieren zu kommentieren und als das zu zeigen, was es ist, nämlich menschenverachtend und in manchen in meinen Augen auch bisweilen kriminell.

[00:10:32.660] - Nadia Kailouli

Jetzt wollen wir über deine Bewegung Maria 2.0 sprechen im Detail, was ihr da eigentlich genau macht und fordert. Dazu müssen wir sagen Maria, der Name dieser Bewegung, ist jetzt nicht auf deinen Namen basierend, richtig?

[00:10:47.900] - Maria Mesrian

Nein, die Bewegung wurde in Münster 2019 gegründet, eben aus dem Impuls heraus. Es gibt einen Film, der heißt "Das Schweigen der Hirten". Und in diesem Film wird klar aufgezeigt, welche Lösungen die katholischen Hierarchen gefunden haben, um Missbrauchstäter zu schützen. Nämlich man spricht von geographischen Lösungen. Die wurden dann einfach versetzt, teilweise über Kontinente hinweg. Und die Frauen waren nach der nach dem Sehen dieses Filmes so schockiert, dass sie letztlich sich zusammengesetzt haben und gesagt haben: "Wir können so nicht weiter katholisch sein". Es ist unsere Aufgabe letztlich, dieses System, das zu benennen, was hier passiert und Reformen einzufordern. Und so ist Maria 2.0 entstanden. Allerdings wurden wir auch sehr schnell darauf verkürzt, dass wir die Weihe für Frauen fordern und Gleichberechtigung. Aber ich muss immer wieder betonen, dass der erste Impuls aus dem Entsetzen über diese Art der Aufarbeitung in der katholischen Kirche entstanden ist. Und die Forderung nach Reformen hat sich dem angeschlossen. Denn wie gesagt, wie wir auch aus dieser großen MHG-Studie wissen, ist der Missbrauch in der katholischen Kirche systemisch bedingt. Und deshalb können nur radikale Reformen an den Strukturen und an diesem System letztlich präventiv wirksam sein.

[00:12:14.660] - Nadia Kailouli

Aber welche, von welchen Reformen sprichst du genau? Was müsste sich konkret für euch und damit eben für viele Gläubige verändern, damit man der katholischen Kirche eher wieder oder damit man eher in die Kirche eintritt, zurücktritt anstatt austritt?

[00:12:29.800] - Maria Mesrian

Ja, was ich fordere, sind keine Reformen, sondern es ist tatsächlich eine Revolution. Es wäre ein totaler Umsturz dieser Bischofskirche, die tatsächlich ohne irgendeine Art der Machtkontroll, agiert. Wir müssten in diese Kirche demokratische Prinzipien einführen, die Leitungen müssten auf Zeit gewählt werden, es müssten transparente Prozesse eingeführt werden, die Macht dürfte nicht in der Hand eines Bischofs oder eines Klerikers liegen, nur weil er die Weihe hat. Also alles das, was wir das Beste, was wir aus demokratischen Systemen kennen, würde ja auch nicht, das halten uns die Kritiker immer vor, den Glauben irgendwie in irgendeiner Weise verletzen, sondern es würde einfach diese Strukturen ja so weit wie möglich dafür rüsten, nicht missbräuchlich zu wirken. Denn alles, was wir in der katholischen Kirche sehen an Schlechtem, ist Machtmissbrauch und am schlimmsten natürlich in der Form der sexualisierten Gewalt. Und das sind die Reformen. Wenn man die mal auf einen Punkt bringen würde, ist der wichtigste Punkt Macht-, und Gewaltenteilung. Und dann natürlich ganz klar eine diskriminierungsfreie Kirche, in der Menschen, egal welchen Geschlechts und welcher sexuellen Identität sie sind, die gleichen Rechte haben.

[00:13:45.680] - Nadia Kailouli

Das würden viele unterschreiben und viele würden sagen: "Ja, dafür bin ich auch." Aber wie realistisch ist das? Wie realistisch ist denn diese Revolution, die ihr anstrebt?

[00:13:55.580] - Maria Mesrian

Ja, das ist genau der Punkt. Also wir wissen, dass diese Forderungen im Rahmen dieses Systems und natürlich auch Kirche als Global Player nicht gewünscht sind, weil sie natürlich mit dem Machtverlust der herrschenden Kaste einhergehen würde. Insofern sie sind nicht realistisch. Aber was wir jetzt auch sehen ist, die Basis, wo wir herkommen, ist ja letztlich, erstmal, klar können wir unsere christliche Prägung nicht einfach über Bord werfen, aber die sehe ich jetzt eigentlich auch in allen Religionen oder in allem, wo Menschen sich auf Werte berufen, mit denen fühle ich mich genauso verbunden. Und aus dem Gesichtspunkt her würde ich sagen, dass wir jetzt in dem Stadium, wo wir jetzt als Bewegung auch sind, würde ich sagen, gehen wir in ein komplett neues Feld, in dem wir letztlich diese alten Strukturen sich vor die Wand fahren lassen und Neuland betreten. Und dieses Neuland besteht letztlich, was wir in Köln oder hier als, wir sind eine Graswurzelbewegung, ich spreche ja nur für, letzlich als Vertreterin hier jetzt für Köln, ist eine Verbindung mit all den interessanten, demokratisch Handelnden, auch ich bin interreligiös unterwegs, mit Fridays for Future sind wir unterwegs, mit all denen, die sich für eine plurale, moderne Gesellschaft einsetzen. Und das finde ich extrem spannend. Und da ist eben unser Beitrag, den sehe ich da in der Zukunft.

[00:15:36.820] - Nadia Kailouli

Da frage ich mich jetzt gerade: Geht das überhaupt zusammen, eine demokratische, offene, tolerante Gesellschaft im Zusammenhang mit der katholischen Kirche? Ist das überhaupt vereinbar?

[00:15:48.520] - Maria Mesrian

Nein, mit der Hierarchie ist es nicht vereinbar. Und es ist auch, ich sage ja, wir verlassen letztlich dabei auch das Feld dieser hierarchisch institutionalisierten Kirche. Aber dennoch gibt es ja im Raum dieser Kirche noch, der Klerus, macht ja nur 0,01 % dieser Kirche aus. Der Rest, ich habe in dieser Kirche auch oder sind in dieser Kirche ja auch unfassbar viele engagierte Menschen, die in Gemeinden die Flüchtlingsarbeit hochhalten, die sich für andere einsetzen, die in der Obdachlosenarbeit tätig sind, viele ehrenamtliche Menschen. Also ich würde das nicht über einen Kamm scheren, aber diese Menschen haben eben jetzt auch immer mehr ein massives Problem mit dieser institutionalisierten Kirche, mit dem Klerus, der die Macht hat. Und da gibt es jetzt, da brechen jetzt eben Konflikte aus und auf die, über die bin ich eigentlich sehr froh, weil sie letztlich dazu führen werden, dass diese Männer ihre Legitimation ja auch verlieren. Und das ist dann ein Empowerment einer Basis, die ja an sich nicht schlecht ist.

[00:17:01.430] - Nadia Kailouli

Bräuchte es nicht einfach eine komplett neue Erfindung der katholischen Kirche oder eine neue Institution für Menschen, die glauben wollen und dafür einen Ort brauchen, wo sie hingehen können, um zu glauben und sich zusammenzufinden?

[00:17:17.480] - Maria Mesrian

Genau. Und ich glaube, das ist eben nicht mehr, im 21. Jahrhundert ist es nicht mehr auf einer institutionalisierten Ebene möglich. Ich glaube, dass es eher dahin geht, das, was ich vorher skizziert habe, dass sich aus verschiedenen. Also es braucht natürlich Räume. Deshalb frage ich auch immer, wem gehört die Kirche, wem gehören die Räume? Die sind ja da und die sind in besten Innenstadtlagen. Und diese Räume aber nutzbar zu machen für alle gesellschaftlichen Gruppen, das ist so meine, meine Vision von einer, eine gesellschaftliche Vision auch, dass wir uns öffnen. Also ich glaube nicht, dass es Sinn macht zu sagen, wir gründen jetzt eine neue Kirche, weil dann tappen wir wahrscheinlich in dieselben Fallen, die die, in die schon seit 1700 Jahren getappt wird. Aber ich denke, dass wir da auch viel vernetzter und eben auch angepasst an diese Moderne, in der wir leben, denken müssen und dass es eben nichts mehr Festes gibt, woran sich Menschen über Jahrzehnte binden, sondern dass wir die Räume einfach bereithalten für Menschen, die sich engagieren möchten für Andere. Und das ist natürlich in einer Gesellschaft, wie wir sie jetzt erleben, die absolut verunsichert ist, die Angst hat, die vor immensen Herausforderungen stehen, auch junge Menschen, also ich habe einen 19-jährigen Sohn, ich weiß, ich bin da viel in Gesprächen mit ihm, auch wie viel Verunsicherung da ist und diese Räume zu bieten, das finde ich schon eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.

[00:18:47.450] - Nadia Kailouli

Welche Rolle spielt in dieser Aufgabe die Frau? Du hast jetzt mehrmals eben diese Geschlechterdiskriminierung der katholischen Kirche angesprochen. Wo steht die Frau im Zusammenhang mit der katholischen Kirche im Jahr 2023?

[00:19:02.570] - Maria Mesrian

Also die Frau, wenn du fragst, wo sie in der Institution steht, natürlich an Platz Nummer, also ganz am Ende. Aber wenn du fragst, wo sie in dem Ausführen von dem, was wir unter Engagement verstehen, dann sind natürlich die Frauen das Backbone dieser, dieser Kirche, die alle Arbeit machen, die ehrenamtlich tätig sind in all den Bereichen, die ich genannt habe. Also die Frauen sind jetzt, was ich interessant finde, aber auch viele, die ich kenne, auf einem guten Weg, sich da zu emanzipieren. Und da ist tatsächlich am Ende ein ganz radikaler Bruch auch mit dieser Kirche zu sehen. Also ich würde zum Beispiel meinen Töchtern niemals raten, in irgendeiner Form sich da in der Kirche zu engagieren, weil es eben diese extrem diskriminierenden Strukturen gibt. Und das wird ein Bruch sein, den  dieses System, dass das System auch über kurz oder lang vor die Wand fahren lässt.

[00:20:02.060] - Nadia Kailouli

Ihr hattet ja in Münster im Frühjahr 2019 mal eben Frauen in der katholischen Kirche dazu aufgefordert, ihre Ehrenämter für eine Woche niederzulegen. Was wolltet ihr damit zeigen und wie haben die Frauen reagiert? Wie also ist das gut angekommen? War da gleich "Okay, wir machen mit?" Oder waren das dann auch die Frauen, die gesagt haben, "Nein, wir stehen hinter dieser Institution und wir wollen so weitermachen wie bisher." Wie war das?

[00:20:30.830] - Maria Mesrian

Nein, das war natürlich die Geburtsstunde von Maria 2.0. Es ging ja wie ein Feuer durchs Land. Und daran hat man einfach gesehen, dass die Frauen die Nase voll haben. Die haben sich sofort engagiert. Und das war ja auch für die Organisatoren, die Initiatorinnen ein ziemlicher Flash, zu sehen, dass wir alle sofort dabei waren und gesagt haben: "Wir streiken für eine Woche und zeigen damit, dass wir in dieser Kirche alle Arbeit tun, aber überhaupt keine Rechte haben." Und das ist ja die Geburtsstunde von Maria 2.0. Also die Mehrheit der Frauen in der katholischen Kirche sind entweder gegangen, weil sie es einfach nicht mehr einsehen, oder sie sind auf dem auf dem radikalen Weg. Die, die jetzt so ganz eng und religiös fundamentalistisch in meinen Augen sind, das ist eine Minderheit. Allerdings, wie in allen, wie wir es auch in der Politik beobachten können, die radikalen rechten, reaktionären Minderheiten sind meistens sehr, sehr gut organisiert, gut vernetzt, verfügen über deutlich mehr finanzielle Mittel und die Liberalen sind oft zu leise oder nehmen auch dieses liberale Leben ja einfach für selbstverständlich. Und das ist es nicht. Wir müssen dafür kämpfen, dass wir diese Gesellschaft auf einem Kurs halten, in dem alle Menschen ihren Platz haben und in dem wir nicht exklusiv sind, so wie es die rechten, reaktionären Kräfte gerne möchten.

[00:21:57.230] - Nadia Kailouli

Aber wie schafft man das denn jetzt zum Beispiel? Wie schafft man wenigstens Teile eurer Revolutionsidee wirklich umzusetzen? Ich glaube, viele Leute fühlen das, was du sagst und empfinden das auch genau so! Aber was ist die Aussicht, was ist die Perspektive? Wenn du schon sagst, ich würde meinen Töchtern heute nicht empfehlen, sich ehrenamtlich für die katholische Kirche einzusetzen oder damit zu arbeiten wegen eben diesen diskriminierenden Strukturen.

[00:22:26.620] - Maria Mesrian

Also was ich für mich gefunden habe, ich kann da immer nur für mich sprechen, ist jetzt tatsächlich dieser Verein, den wir "UMSTEUERN! ROBIN SISTERHOOD" genannt haben und in dem sich jetzt auch ziemlich viele engagieren, die schon aus der Kirche ausgetreten sind, weil die wollen ihre christlichen Ideen und Werte nicht einfach aufgeben und ihr Engagement auch nicht aufgeben. Aber sie wollen es nicht mehr in dem Rahmen der Kirche tun, sondern sie tun das jetzt bei uns zum Beispiel. Und ich bin im Gespräch mit Priestern, die sich engagieren möchten, denen diese Enge auch auf die Nerven geht oder nicht nur auf die Nerven, sondern an die Gesundheit geht, dieses hierarchische System, die eben auch solche Räume eröffnen wollen, weil sie in Kontakt sind, zum Beispiel mit Jugendlichen, und sehen, dass diese Arbeit so wertvoll und wichtig ist, sie aber sie mit diesem, mit dieser Diktatur und diesem Regime, in dem sie oft leben müssen, mit der Kontrolle nicht vereinbar ist. Wir stehen da schon an einem spannenden Punkt, wo ich sage: "Wo führt das hin?" Das kann ich heute noch nicht sagen, aber ich sehe unfassbar viel Potenzial in den Menschen, die ich treffe, die sich weiterhin engagieren möchten, aber nicht mehr unbedingt in dem klassischen Rahmen und dem, was wir dann jetzt da an Infrastruktur schon mit unserem Verein zum Beispiel bieten können. Also das muss letztlich jeder für sich entscheiden. Wenn jemand das Bedürfnis nach gesellschaftlichem Engagement oder auch geprägt durch sein christliches hat, muss er suchen, wo er da seinen Platz findet. Ich habe meinen gefunden.

[00:24:01.870] - Nadia Kailouli

Finden Missbrauchsopfer den Weg zu euch? Also, habt ihr Kontakt zu Missbrauchsopfern?

[00:24:07.480] - Maria Mesrian

Ja, natürlich. Der Verein wurde ja deshalb gegründet. Also der Verein wurde ja für Betroffene gegründet, um eine Anlaufstelle zu gründen, außerhalb der katholischen Kirche, weil bis dahin konnten sich Missbrauchsbetroffene durch Kleriker nur an die katholische Kirche wenden. Also, da sind so viele Retraumatisierung passiert und der Anstoß für uns, uns zu gründen, war,  der, der bei mir den Ausschlag für mein Engagement gegeben hat, Karl Hauke, der auch im Betroffenen Rat ist, der hat gesagt: "Ja, wir teilen uns vom eckigen Tisch, wir teilen uns das auf in Nord, Süd, West und Ost. Und jeder von uns betreut da in der Woche oder im Monat 10 bis 12 Betroffene." Und dann haben wir gesagt: "Es kann ja wohl nicht sein. Es muss doch eine  Stelle geben, an die sich diese Menschen auch wenden können, auch als Entlastung für die ja selbst Betroffenen, wo professionell mit diesen Menschen umgegangen wird, wo sie einen Ort finden, wo sie sich erst mal aussprechen können, wo sie wissen, da stehen auch Nichtbetroffene an unserer Seite und halten da Hilfe vor. Und das, was wir jetzt tun mit "Leuchtzeichen", ist genau das. Nämlich erst mal abklären, was braucht ihr für Hilfe? Wir haben Psychologen, wir haben Anwälte, die uns pro bono auch beraten und die auch dann die Betroffenen beraten und somit, dass sie nicht mehr alleine sind. Wir haben Leute, die Expertise in den Verfahren haben, die es innerhalb der katholischen Kirche zur Anerkennung des Leids gibt. Und was wir ganz klar auch machen, ist viel politische Arbeit. Die Politik eben darauf aufmerksam machen, dass es so wie es läuft, wie die katholischen Bischöfe sich zum Beispiel bei den Entschädigungszahlungen verhalten, dass es nicht sein kann, dass es skandalös ist und wie sie sich im Bereich der Aufarbeitung verhalten. Dass diese Gutachten und wenn wir noch 100 lesen, werden sie nichts Neues an den Tag bringen. Die Gutachten verschwinden, die Täter bleiben oft im Dienst. Ich kenne Fälle aus Köln, in dem ein Täter immer noch im Dienst ist, obwohl seine Taten in zwei Gutachten dokumentiert sind. Und genau diese Fälle sind die Fälle, derer wir uns annehmen und die wir versuchen, an die Öffentlichkeit zu bringen und das da Konsequenzen endlich folgen.

[00:26:22.210] - Nadia Kailouli

Wie reagiert die Kirche denn darauf, dass ihr euch gegründet habt und ganz klar gezeigt habt: "Okay, ihr könnt zu uns kommen, wir kümmern uns um das, was mit euch passiert ist." Gab es da Reaktionen von der Kirche an euch?

[00:26:36.040] - Maria Mesrian

Nein. Ich merke nur, dass wir auch als eine Art Macht wahrgenommen werden, wenn plötzlich aus diesem losen Informellen eine Struktur erwächst, die auch letztlich dadurch auch an Macht gewinnt. Macht an sich ist ja nichts Schlechtes, wenn ich was Gutes, wenn sie gut supervidiert wird und transparent ist. Aber ich empfinde uns schon als eine Gegenmacht, die zeigt: Die Betroffenen sind euch nicht mehr alleine ausgeliefert, sondern wir stehen an deren Seite und wir stehen, wenn möglich, finanziell auch möglich mit den Besten Anwälten. Weil das ist das, was in der katholischen Kirche wirklich für mich inzwischen das einzige Mittel ist, die besten Anwälte zu finden, die auf der Seite der Betroffenen stehen. Weil die Gegenseite verfügt über immense finanzielle Mittel, um sich auch die besten Anwälte zu leisten. Was wir da erleben, also ich bin tatsächlich jetzt mehr im Gespräch mit Juristen als mit Theologen. Ja, es ist nötig und ist natürlich auch unglaublich bestärkend zu sehen, wie viel Solidarität wir auch von dieser juristischen Seite erfahren.

[00:27:46.680] - Nadia Kailouli

Wie viel Erfolge erfahrt ihr denn dort? Du hast gerade eben gesagt, du kennst Fälle aus Köln, wo die Täter immer noch im Amt sind. Hast du auch Beispiele von Fällen, wo ihr erfolgreich dagegen vorgehen konntet?

[00:27:58.170] - Maria Mesrian

Also wir sind ja nicht im Bereich der Ermittlungen tätig, dass wir Fälle aufdecken. Die meisten sind ja schon dokumentiert. Für mich ist ein Erfolg zum Beispiel: Letztes Jahr gab es in Köln erstmals einen ganz großen Prozess, der, weil er noch nicht verjährt war, wo drei Nichten ihren Onkel, der auch Priester war, angezeigt haben. Und in dem Verfahren kamen dann noch ganz viele andere Betroffene, auch sehr junge Betroffene dazu, weil die Kirche unterlassen hat, gegen diesen Täter rechtzeitig vorzugehen. Und für mich ist es ein Erfolg, dass eine der Nichten sich bei uns jetzt im Verein engagiert und mit einer unglaublichen Kenntnis, mit einer unglaublichen Klarheit andere Betroffene berät. Das ist für mich ein ganz, ganz großes Glück, das mich auch sehr bereichert, weil von dieser Expertise leben wir.  Ich glaube, dass es auch für sie ein großer Schritt hin zu einem Empowerment und zu einem aktiv werden ist. Weil natürlich so eine Biografie vor allem davon geprägt ist, sich als Opfer wahrgenommen zu haben und mit dieser Schuld umzugehen, die ja viele Betroffene spüren. Und da rauszukommen ein Stück, natürlich begleitet das ein Leben lang, aber ich empfinde das als unfassbar bereichernd, dass so was möglich ist.

[00:29:20.220] - Maria Mesrian

Und natürlich ist es für mich auch ein Erfolg zu sehen, dass aufgrund unserer Aktionen, unserer politischen Arbeit, die jetzt mehr und mehr Gehör in der Politik auch findet, natürlich noch zusammen mit ganz vielen anderen betroffenen Initiativen, die das schon viel länger tun. Aber auch das ist für mich ein Erfolg. Und das in Köln eben, dass Köln weit über Köln hinaus bekannt geworden ist, das führe ich schon darauf zurück, dass wir von Anfang an das Auge darauf gelegt haben und unsere Aktionen so pressewirksam waren, dass die Leute hingucken und genau wissen, was hier in Köln passiert ist.

[00:29:57.450] - Nadia Kailouli

Nun ist ja vor wenigen Wochen Joseph Ratzinger, der ehemalige Papst Benedikt, gestorben. Wenn man dich gebeten hätte, einen Nachruf zu schreiben, was hätte darin gestanden?

[00:30:09.040] - Maria Mesrian

Also ich weiß nicht, ob du den Film von Christoph Röhl kennst, "Benedikt, Verteidiger des Glaubens"? Der ist sehr aufschlussreich, dieser Film, weil er offenbart, dass dieses System, wie es Ratzinger letztlich auch gestaltet hat, dazu geführt hat, dass nicht, wie es oft jetzt beschrieben wird, der Missbrauch besser angegangen wurde, sondern er hat einfach nur die Fälle in Rom gebündelt. Und was aus diesen Tätern geworden ist, wissen wir überhaupt nicht. Er ist ein Verhinderer gewesen, einerseits in dem, wie er Kirche verstanden hat. Er hat diese Kirche letztlich in eine Starre geführt und in der Versteinerung zusammen mit Johannes Paul II. Und das auch, weil er die Theologie derart gegängelt hat mit seiner, er war ja viele Jahre Präfekt der Glaubenskongregation, die darüber entscheidet, was wahr und wahrer und falscher Glaube ist. Was an sich für mich schon anmaßend ist, so was überhaupt zu tun und hat da viele Theologen ausgeschaltet, die unglaublich interessant und spannend waren. Die zum Beispiel die ganze Theologie der Befreiung, die die Befreiungstheologen in Südamerika, die klar auf der Seite der Armen waren, aber die ihm nicht gepasst haben. Und dadurch hat er die Kirche nachhaltig und auf, wer weiß, wie lange es sie noch gibt mit ihren Mechanismen, sicherlich noch lange, auf Jahrhunderte geschädigt und letztlich auch ganz viel zerstört.

[00:31:38.540] - Nadia Kailouli

Ich möchte an der Stelle noch mal ganz kurz zurückkommen auf Kardinal Woelki in Köln, der noch im Amt ist. Forderst du seinen Rücktritt?

[00:31:47.390] - Maria Mesrian

Ja, natürlich, den fordern wir schon lange. Wir haben sogar Brief an den Papst vor zwei Jahren geschrieben, dass er den jetzt endlich abtreten lassen muss. Aber wir fordern nicht nur seinen Rücktritt, sondern in seinem Windschatten agiert ja auch noch Dominik Schwaderlapp, dem viele Pflichtverletzung nachgewiesen wurden, der dann ein halbes Jahr in Afrika verschwunden ist und sich da als Bischof geriert hat. Also diese ganzen Männer haben so viel Schuld auf sich geladen, so viel vertuscht, dass sie letztlich es nicht mehr, nicht mehr würdig sind, überhaupt ein Amt da auszuüben.

[00:32:18.650] - Nadia Kailouli

Nimmt man dich denn dann ernst? Also wenn ihr so einen Brief schreibt an den Papst und fordert: "Hier, holt den da raus!" Nehmen die euch ernst? Oder sagen die "Ach, da sind jetzt wieder so Aktivisten, die uns hier irgendwie zeigen wollen, was wir alles falsch gemacht haben, sollen sie machen, ist uns egal."

[00:32:36.200] - Maria Mesrian

Ich weiß es nicht. Ich musste nur lachen, weil mir plötzlich eine Anzeige bei der Glaubenskongregation hatten aus Köln. Die haben uns angezeigt, Maria 2.0.. Also die Glaubenskongregation ist ja die Nachfolge der Inquisition. Und dann wurde ich von einem FAZ-Journalisten angesprochen, ob wir da jetzt schon Konsequenzen spüren würden? Und da meinte ich: "Nein, ich habe noch keinen Schweizergardisten vor meinem Haus gesehen." Aber es ist natürlich, das ist die etwas humorige Seite. Ob die uns ernst nehmen oder nicht, weiß ich nicht. Sollten sie mal. Aber es ist mir eigentlich auch egal, ob sie uns ernst nehmen oder nicht. Aber die andere Seite ist halt, dass die Macht der Opus-Dei-Kreise auch nicht zu unterschätzen ist, in dieser Kirche und auch in dieser Gesellschaft. Die agieren sehr diskret, aber sie sitzen an Schlüsselpositionen, auch in der Politik, auch in der Justiz und da kann es einem schon mal flau werden, weil man nicht weiß, wie sie agieren. Die sind nicht laut, die sind leise, aber haben ihre Mittel. Und da bin ich manchmal doch besorgt, dass mir oder meinen Mitstreiterinnen irgendwie Knüppel zwischen die Beine gelegt werden können.

[00:33:49.430] - Nadia Kailouli

Also habt ihr eher Angst vor denen oder haben die Angst vor euch und eurem Aktivismus?

[00:33:55.520] - Maria Mesrian

Nein, die haben keine Angst vor uns und unserem Aktivismus, weil sie wissen, dass sie am längeren Hebel sitzen und dass sie die Macht in der Kirche haben, die Mittel verfügen. Also ich definiere tatsächlich die Macht der Kirche auch über die Mittel, über diese immensen Mittel, die sie verfügen, die dazu führen, dass Kardinal Woelki in Köln eine Hochschule implementiert, die ganz klar als Opus-Dei-Kaderschmiede fungiert, mit einem zweifelhaften akademischen Publikum, was da verkehrt. Also eine rechts-reaktionäre Kaderschmiede. Die wissen, wir haben das Geld, wir haben die Mittel, dagegen haben wir ja nichts aufzubieten. Ich verfüge jetzt leider nicht über oder zum Glück nicht über 3,4 Milliarden in Anlagen und Wertpapieren.

[00:34:38.720] - Nadia Kailouli

Hast du Kardinal Woelki zum Beispiel schon mal getroffen oder andere und mit denen gesprochen? Face to face?

[00:34:44.900] - Maria Mesrian

Nein, das würden wir auch nicht machen. Doch, ich habe mit seinem jetzigen Generalvikar mal ein Radiointerview gehabt. Ja, die sind da. Priester sind ja, wenn sie in diesen Leitungsebenen sind, auch eher schlicht unterwegs. Weil man muss ja auch sagen, man erlebt ja in der katholischen Theologie, und ich habe ja Theologie studiert, einen Braindrain, der jetzt über Jahrzehnte auch schon anhält. Und theologisch sind die eher schlicht, weil alle Diskurse, die man mit ihnen führen kann, also man kann mit ihnen keine Diskurse führen, weil am Ende ist das Argument immer: "Ja, aber es ist ja Gottes Wille, dass Jesus Mann war und Jesus nur Männer berufen hat und gegen Gottes Willen." Also ich weigere mich inzwischen, da überhaupt auch in den Diskurs zu gehen.

[00:35:35.360] - Nadia Kailouli

Maria Mesrian, vielen, vielen Dank. Wir könnten jetzt noch Stunden weitersprechen, aber an dieser Stelle sage ich erst mal, herzlichen Dank, dass du so offen hier bei einbiszwei gesprochen hast. Und ich muss sagen, ich bewundere euren und deinen Aktivismus.

[00:35:46.940] - Maria Mesrian

Vielen Dank, dass ich hier sein durfte. Danke für das schöne Gespräch.

[00:35:52.480] - Nadia Kailouli

Ja, Maria Mesrian, da hat sie ein paar Sachen wirklich auf den Punkt gebracht und ich muss noch mal auf dieses Thema Geld zu sprechen kommen. Das hat sie ja ein paar Mal erwähnt, dass Geld eben auch Macht ist. Und davon hat die Kirche einfach ganz schön viel. An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine Email könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Zum ersten Mal in der Geschichte gibt es in Deutschland mehr Nichtmitglieder als Mitglieder in den Kirchen, der Anteil der Kirchenmitglieder ist auf unter 50 % gefallen.

Das hat auch damit zu tun, dass der sogenannte Missbrauchsskandal, der vor über zwölf Jahren bekannt wurde, nach Meinung vieler Kritiker nicht zu grundlegenden Reformen geführt hat. Die Kirche verspricht zwar Aufklärung, tiefgreifende Veränderungen lassen
jedoch auf sich warten.

Auch innerhalb der Kirche rumort es. Grundlegende Strukturveränderungen werden von Reformbewegungen gefordert und die unabhängige und
vollumfängliche Aufklärung aller Fälle sexualisierter Gewalt. 2019 gründete sich die Bewegung „ Maria 2.0”, die sich für Gleichberechtigung und eine umfassende Aufklärung des Missbrauchs in der katholischen Kirche einsetzt.

Aus dieser Bewegung ist auch der Verein „UMSTEUERN - Robin Sisterhood e.V.” entstanden, der Betroffene berät und Hilfsprojekte für Menschen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, unterstützt.

Maria Mesrian ist Vorstandsmitglied von „UMSTEUERN - ROBIN SISTERHOOD e.V.”, katholische Theologin und Aktivistin bei Maria 2.0.

WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:

Maria Mesrian bei Twitter: @maria2_punkt0
UMSTEUERN! ROBIN SISTERHOOD e. V. macht auf Missstände aufmerksam, betreibt gesellschaftliche und politische Arbeit und unterstützt Betroffene von Diskriminierung und Missbrauch in der katholischen Kirche

Die Website von Maria 2.0: mariazweipunktnull

Bücher von Maria Mesrian

„Entmachtet diese Kirche und gebt sie den Menschen zurück”
(gemeinsam mit Lisa Kötter, Mai 2022)

„Entmachtet diese Kirche – Warum die katholische Kirche ein Umdenken braucht”
(Artikel zum Buch, Sinn und Gesellschaft, 05/2022)

Interviews und Artikel

Maria Mesrian bei Jung & Naiv zur Kirchenreform: YouTube | jung&naiv Folge 518
Ein Artikel über das Verhältnis der katholischen Kirche zu Frauen, das Dilemma und mehr staatliche Kontrolle:
SPIEGEL+ | Völlig gestörtes Verhältnis zu Frauen

Maria 2.0 wurde auch schon in der Carolin Kebekus Show thematisiert:
YouTube | Maria 2.0 | Die Carolin Kebekus Show

Wie Maria 2.0 mehr Gleichstellung und Transparenz von der katholischen Kirche fordert:
ZEIT | Maria 2.0 will männliche Macht nicht länger hinnehmen

Wie sich Katholikinnen gegen die männliche Vormachtstellung wehren:
Deutsche Welle | Maria 2.0: Der Streik der frommen Frauen

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung

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