
Du warst 12, er 27 – wie hat dich der Täter manipuliert, Jonathan Drefs?
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[00:00:02.140] - Jonathan Drefs
Das ging ganz seltsam los mit Themen wie: „Was würdest du auf eine einsame Insel mitbringen? Hast du Geschwister?" Und so hat sich dann langsam aufgebaut, ganz, ganz offen von sich aus viel, viel erzählt, dass er sich gerne einen kleinen Bruder gewünscht hätte und hat sich dann über mehrere Wochen einfach ein bisschen in diese Position gestellt, von wegen „Ich bin dein Ansprechpartner", große Bruderrolle und dabei auch wirklich noch gar nicht irgendwie sexuell, sondern komplett dieses Emotionale und wirklich zu 100% auf das Emotionale einzugehen, wo man aber im Nachhinein sagen muss, was natürlich komplett Strategie war und was er zu dem Zeitpunkt schon seit über fünf Jahren regelmäßig gemacht hatte, der davor schon ganz, ganz viele Kinder misshandelt und vergewaltigt hat.
[00:00:39.530] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:01:03.090] - Nadia Kailouli
Als er zwölf Jahre alt ist, lernt Jonathan Drefs auf einer Spieleplattform im Internet einen angeblich 16-Jährigen kennen. Hinter dem Profil steckt aber ein 27-Jähriger. Die beiden chatten und irgendwann kommt es zu einem Treffen und zu sexueller Gewalt. Obwohl Jonathan es eigentlich nicht will, bleibt er weiter im Kontakt mit dem Täter, schreibt sich mit ihm, es gibt weitere Treffen und weitere Übergriffe. Der zwölfjährige Jonathan wird von dem Täter vollkommen manipuliert. Als Jonathan seiner Mutter dann davon erzählte, erstattete sie Anzeige und dann wurde auch Jonathan klar: Das war Missbrauch. Für Jonathan ist die Geschichte damit jedoch nicht zu Ende. Er will, dass Betroffene wie er sichtbar werden und das Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder mehr Aufmerksamkeit bekommt. Er hat deshalb die Initiative „End the Silence" gegründet. Was das genau ist, das erzählt er am besten heute selbst.
[00:01:54.040] - Nadia Kailouli
Content Note: In dieser Folge gibt es Schilderungen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.
[00:01:59.760] - Nadia Kailouli
Herzlich willkommen bei einbiszwei, Jonathan Drefs. Grüß dich.
[00:02:02.190] - Jonathan Drefs
Danke, danke.
[00:02:03.220] - Nadia Kailouli
Schön, dass du da bist. Ich kann noch sagen, herzlichen Glückwunsch nachträglich, ne?
[00:02:06.120] - Jonathan Drefs
Ja, ich hatte Geburtstag.
[00:02:07.180] - Nadia Kailouli
Du bist volljährig geworden.
[00:02:08.710] - Jonathan Drefs
Jetzt bin ich endlich volljährig, ja.
[00:02:09.760] - Nadia Kailouli
Wie fühlt sich das an?
[00:02:10.800] - Jonathan Drefs
Kein einziger Unterschied.
[00:02:11.500] - Nadia Kailouli
Das sagen manche, wenn sie heiraten.
[00:02:15.830] - Jonathan Drefs
Komplett normal wie vorher.
[00:02:18.850] - Nadia Kailouli
Sehr schön. Das kommt noch, das kommt noch. Aber Jonathan, ich freue mich, dass wir jetzt mit dir, erwachsenem jungen Mann, heute ganz offen über etwas reden, was in deiner Kindheit passiert ist. Du möchtest das auch selber. Es ist jetzt nicht so, dass wir dich überredet haben zu sagen: „Oh Mann, wir haben da was gehört. Jetzt komm mal her, jetzt bist du volljährig. Jetzt können wir mal drüber reden." Nein, du selbst bist damit sehr offen umgegangen und möchtest das auch. Deswegen übergebe ich das Wort an dich, dass du selbst sagen darfst, was du als Kind erlebt hast.
[00:02:48.090] - Jonathan Drefs
Mit zwölf Jahren, kurz nachdem ich gerade komplett in eine neue Schule und in ein neues Umfeld kam, hatte ich Kontakt zu einem vermeintlich 16-Jährigen, der sich am Ende als 27 herausgestellt hatte, der davor schon ganz, ganz viele Kinder misshandelt und vergewaltigt hat, wo ich persönlich das Glück hatte, dass es niemals zu der großen Vergewaltigung kam, aber trotzdem bin ich Opfer von sexuellem Kindesmissbrauch. Und genau darüber spreche ich mittlerweile ganz offen auf Social Media, in den Medien, um einfach so ein bisschen versuchen, anderen Betroffenen damit vielleicht eine Stimme zu geben dabei.
[00:03:21.840] - Nadia Kailouli
Und vor allem dir selber ja auch, weil…
[00:03:24.290] - Jonathan Drefs
Ja, absolut.
[00:03:25.110] - Nadia Kailouli
Klar, ich weiß so ein bisschen, was dir passiert ist, aber vor allem weiß ich auch, dass man ja oft auch so stillgemacht wird, dass man darüber eben nicht redet in dem Moment, als es passiert ist. Vielleicht gehen wir das einfach mal durch, weil du warst zwölf Jahre alt und wir würden gerne wissen, weil das nämlich so eine wahnsinnig krasse Täterstrategie ist, eben wie dieser Mensch dich überhaupt gefunden hat.
[00:03:48.600] - Jonathan Drefs
Absolut. Das ist, glaube ich, so eine große Täterstrategie, über die wir viel mehr reden möchten oder auch so viel eher sollten. Es war so, dass ich einfach gerade so ein bisschen in meiner eigenen Findungsphase war, dass ich vielleicht doch nicht jetzt vielleicht irgendwann mal eine Frau heirate, sondern doch eher einen Mann. Und dabei war ich einfach so ein bisschen unsicher, weil ich nie Berührungspunkte irgendwie zu Homosexualität oder generell der ganzen Community dabei hatte und habe das dann wo im Endeffekt gefunden. Ich finde, online findest du mittlerweile alles. Das war damals auch so. Und es ging dann über die Plattform Discord, wo ich dort einem Server beigetreten bin, der einfach nur darum ging, nicht mal, um irgendwie in Austausch zu geben, weil logischerweise, ich finde auch von den Eltern bekommst du immer gesagt: "Schreib nicht mit Fremden." Und das will man ja auch aufrechterhalten dabei. Aber es einfach für mich wichtig war zu sehen, okay, es gibt andere Menschen, die so fühlen und vor allem ich bin nicht alleine damit. Ich kam gerade aus dem Dorf mit 500 Leuten, die da maximal wohnten, jetzt eine Stadt mit 20.000 und wollte mich einfach so ein bisschen dabei finden. Und da hat der Täter ganz, ganz schlau angesetzt, wo ich bis heute nicht genau weiß, wieso mich, weil ich mich nie irgendwie vorgestellt hatte, nie mit einem Bild oder Ähnliches, weil im Endeffekt war ich zwölf Jahre und das kommt, glaube ich, den wenigsten zwölfjährigen dann irgendwann in den Kopf, zu sagen: „Ich postet einfach mal alles über mich." Der hatte mich dann ganz normal eigentlich angeschrieben. Ich finde, aus meinem jetzigen 18-jährigen-Ich würde ich beinahe schon sagen, dass das mit Tinder beinahe zu vergleichen könnte. Also es war dieses ganz normale „Hey, wie geht’s dir?" Und so hat sich das dann langsam aufgebaut über eine große Bruderrolle, in die er sich gestellt hat, wo viel erzählt worden ist, aber viel ein Ansprechpartner auch gegeben worden ist.
[00:05:31.710] - Nadia Kailouli
Vielleicht kannst du uns einmal ganz kurz diese Plattform erläutern. Was genau war das für eine Plattform? Das war jetzt kein Tinder, zum Beispiel.
[00:05:37.270] - Jonathan Drefs
Discord ist eigentlich komplett, wenn es um das Thema Gaming geht. Also das ist komplett das Thema von Discord. Das hat sich in den letzten Jahren noch mal positiv sowie negativ entwickelt, aber auch für ganz viele Communities, wie beispielsweise die LGBTQI+. Ich hatte Discord damals, weil ich mit Schulfreunden gezockt habe, was auch tatsächlich meine Mutter komplett wusste. Aber ich dann auch gesagt habe, okay, es gibt ja die Möglichkeit, sich hier auch noch anders auszutauschen. Und das war einfach der Gedanke dahinter.
[00:06:03.360] - Nadia Kailouli
Okay, also sozusagen eigentlich ein Ort, wo man sagt, man trifft sich, um zu gamen, ja, Onlinespiele zu spielen, aber es sind vor allem auch eben homosexuelle, transsexuelle, bisexuelle…
[00:06:14.290] - Jonathan Drefs
Genau, das gibt es alles.
[00:06:16.130] - Nadia Kailouli
Können da auch als junge Menschen irgendwie so sich austauschen und das eine mit dem anderen verbinden, ohne dass man jetzt gezielt nur auf eine Plattform geht, wo man Aufklärung sucht.
[00:06:25.020] - Jonathan Drefs
Richtig.
[00:06:25.260] - Nadia Kailouli
Und genau da wurdest du von diesem Menschen angeschrieben. Du hast es jetzt gerade gesagt, er hatte sich ausgegeben als 16-Jähriger. Da denkt man sich ja erst mal: "Cool, wir sind irgendwie auf Augenhöhe." Wie kam diese Verbindung dann zustande? Weil du hast gerade gesagt, es war irgendwie so brüderlich. Ihr habt euch ausgetauscht. Was können wir da drunter verstehen, wenn man sagt, man tauscht sich online aus und man baut irgendwie eine Freundschaft oder eine emotionale Bindung auf?
[00:06:51.330] - Jonathan Drefs
Ich denke, generell ist es immer sehr schwer, sich da rein zu versetzen. Es ist so, dass er am Anfang immer sehr die Gesprächsführung übernommen hat, weil selbstverständlich, was soll man dann auch schreiben? Es ist ja auch irgendwo eine fremde Person. Aber das ging ganz seltsam los mit Themen wie: "Was würdest du auf eine einsame Insel mitbringen? Hast du Geschwister? Was sind deine Interessen?" Was bei mir beispielsweise ganz klar die Luftfahrt war, wo er später ganz groß daran angesetzt hat. Und so hat es sich dann langsam aufgebaut, ganz, ganz offen von sich aus viel, viel erzählt, dass er sich gerne einen kleinen Bruder gewünscht hätte und hat sich dann über mehrere Wochen einfach ein bisschen in diese Position gestellt, von wegen „Ich bin dein Ansprechpartner", große Bruderrolle. Und dabei auch wirklich noch gar nicht irgendwie sexuell, sondern komplett dieses Emotionale und wirklich zu 100% auf das Emotionale einzugehen von mir dann und so einfach irgendwo dann eine Freundschaft im Endeffekt aufzubauen, wo man aber im Nachhinein sagen muss, was natürlich komplett eine Strategie war und was er zu dem Zeitpunkt schon seit über fünf Jahren regelmäßig gemacht hatte.
[00:07:49.460] - Nadia Kailouli
Da kommen wir später zu der Strategie und dass du, ich sage jetzt mal, nicht der einzige Betroffene bist, der mit ihm geschrieben hat. Jetzt kann man sagen, okay, das Schreiben ist ja das eine. Man ist zwölf Jahre alt, da ist einer, noch hat man diesen Menschen noch nicht gesehen, der ist 16 oder verkauft sich als 16-Jähriger. Aber dann kam es ja irgendwann zu einem Treffen.
[00:08:10.900] - Jonathan Drefs
Ja.
[00:08:11.550] - Nadia Kailouli
Wie kommt es dann dazu, dass man einen Online-Freund dann trifft? Wer hat da die Einladung ausgesprochen, die Initiative ergriffen?
[00:08:19.360] - Jonathan Drefs
Also die Einladung garantiert durch ihn, aber man muss dazu sagen, in einer Taktik, die einfach wirklich bemerkenswert vielleicht schon irgendwo ist, weil wir ja Wochen davor Kontakt hatten und dann auch irgendwann das Thema kam: „Okay, wir können ja auch was mit deinen Freunden beispielsweise machen." Dann logischerweise komplett digital. Ich, der gerade seine neuen Freunde in der Schule gefunden hatte, auch alle in meinem Alter. Und er hatte mit all diesen Leuten auch Kontakt und er war da einfach "der Nette aus Stuttgart", sage ich mal, der sich einfach als Ansprechpartner dann für alle irgendwo dargestellt hat.
[00:08:50.030] - Nadia Kailouli
Online jetzt, oder? Alles online noch.
[00:08:50.760] - Nadia Kailouli
Genau, das war komplett online. Bis irgendwann der Tag kam, okay, wir verstehen uns ja gut, kann man sich auch einfach mal treffen. Und da ist natürlich dann der Punkt: "Okay, du wohnt zu Hause, ich wohne zu Hause, wir sind beide minderjährig. Wie soll man das jetzt anstellen?" Und dann hatten wir ja nach vier, fünf Wochen ganz intensivem Schreiben, wo es wirklich heißt, dass man auch gefacetimed hat, dass man einen Kontakt hatte, der wirklich durchgängig war, vor allem da ja dann noch der Lockdown irgendwann kam, dass dann es ja glücklicherweise so wahr, dass er ja nicht 16 ist, sondern im Endeffekt dann 27 und ich das Problem hatte, dann irgendwie nicht von zu Hause wegzukommen, wo ich natürlich erst mal den Ansprechpartner meiner Freunde gesucht habe, aber meine Freunde ja genauso in dem Thema drin waren wie ich und das ja genauso als richtig im Endeffekt dann angesehen haben, weil: "Er ist ja nett. Was soll sein Alter da jetzt am Ende ändern?"
[00:09:37.850] - Nadia Kailouli
Also nach dem Motto: "Ist doch egal, ob er jetzt 16 ist oder 27. Ihr kennt euch doch jetzt schon."
[00:09:42.000] - Jonathan Drefs
Richtig, genau. Und was dann noch ganz, ganz groß dazukommt. In unserem Gespräch war ja natürlich das ganz riesige Thema Akzeptanz von Schwulen generell. Und als dann dieses Thema Alter aufkam, wurde das genau verglichen. Im Sinne von: "Homosexualität wurde vor Jahren ganz, ganz massiv eingeschränkt. Und das Gleiche ist auch bei so einem Altersunterschied beispielsweise."
[00:10:05.230] - Nadia Kailouli
Das war seine Taktik so.
[00:10:07.020] - Jonathan Drefs
Richtig, genau. Das war ein kompletter Vergleich dabei, einfach: „Okay, ich habe mich da gerade eingefunden. Die Gesellschaft braucht einfach Zeit, gesellschaftlicher Wandel. Das wird jetzt auch so sein. Ist ja nicht unser Fehler, wenn die Gesellschaft einfach noch nicht bereit dazu ist."
[00:10:19.640] - Nadia Kailouli
Okay. Das heißt, in diesem Chat hattet ihr dann eben auch schon über Sexualität dann schon geschrieben. Und war es dann auch schon so, dass so eine Anbahnung stattfand, dass du dir gedacht „Mh, den finde ich irgendwie gut."?
[00:10:32.000] - Jonathan Drefs
Ich muss sagen, absolut nicht im Sexuellen, im Emotionalen logischerweise, weil er sich einfach so dargestellt hat. Aber ich denke, dass die wenigstens zwölfjährigen irgendwo einen sexuellen Reis mit sich selber oder mit anderen empfinden. Und das hatte ich halt auch nicht.
[00:10:43.800] - Nadia Kailouli
Ja, stimmt. Ich guck dich nämlich gerade an und denke mir ja, klar, kann ich mit Jonathan darüber reden, wen er gut fand, aber ja, du warst ja zwölf.
[00:10:50.370] - Jonathan Drefs
Richtig. Man hatte gar keine sexuelle Intention, logischerweise. Das entwickelt sich ja erst mit den Jahren und das war halt wirklich einfach nur was Emotionales dabei, was dann irgendwann zum Sexuellen einfach wurde.
[00:11:03.090] - Nadia Kailouli
Gut, das heißt, irgendwann wurde aus dem Chat klar: "Alles klar, der ist nicht 16, der ist 27." Aber das kam erst dann raus, als du dich mit ihm schon auf so einer Ebene verstanden hast, dass du sagtest: „Das ist jetzt ein Kumpel von mir. Ich kann dem jetzt nur nicht wegen seinem Alter sagen: 'Nein, lass mich in Ruhe.'"
[00:11:19.680] - Jonathan Drefs
Ja, vor allem, weil er auch einfach mit mein einziger Ansprechpartner war, weil wir ja durchgängig Kontakt hatten und dadurch einfach so eine wichtige Person war, in die er sich selber gerückt hat, dass man dann natürlich so eine Person nicht verlieren möchte.
[00:11:31.520] - Nadia Kailouli
Wie ging es dann weiter? Ihr habt euch ja dann getroffen.
[00:11:35.730] - Jonathan Drefs
Genau, wir haben uns dann getroffen und dann war erst mal das Thema: „Okay, was machen wir? Was wird dir gefallen?" Was macht man halt? Man geht ins Schwimmbad. So war jetzt die erste Intention, macht man eben: "Denk aber daran, ich brauche drei, vier Stunden zu dir. So, dann bekomme ich ja vielleicht auch was." Okay, ich denke, die wenigsten zwölfjährigen können sich darunter erst mal was vorstellen. War bei mir jetzt nicht anders. Und im Endeffekt kam es dann dazu, dass ich in dieser Umkleide meine allerersten sexuellen Erfahrungen hatte, da dieser darauf gedrängt hat, dass wir gemeinsam in eine Familienumkleide gehen. Was wieder mit einer wirklich teilweise kreativen Rechtfertigung kam. weil: "Schwimmunterricht in der Schule, ihr wart auch alle in einer Umkleide. Was ist am Endeffekt dabei? Was ist daran negativ? Kennst du ja aus der Schule." Und hier hat er dann einfach angesetzt, hat mich an sich rangezogen, meine Hand auf sein Glied gelegt und im Endeffekt Masturbation selber ausgeführt, aber mit meiner Hand, sodass ich im Grunde nicht mal selber was gemacht habe, sondern eher er sich an mir so bedient hat, dass ich Handlungen an ihm ausführe, was für mich natürlich weder erregend war noch irgendwie interessant, sondern einfach nur etwas: „Okay, du bist jetzt hier hingefahren. Das ist wohl jetzt meine Pflicht, sagst du ja auch so." Und dann, als es vorbei war: „Ey, ich bin der Erste von meinen Freunden, ist doch super. Der irgendwie seinen ersten Kuss hatte, seine ersten sexuellen Erfahrungen", hat das von meinen Freunden positiv dargestellt, "ist ja jetzt nichts Negatives daran."
[00:12:59.470] - Nadia Kailouli
Achso, er hat das auch direkt so erzählt, dann auch so: „Hey, super, ihr könnt stolz auf ihn sein."
[00:13:03.760] - Jonathan Drefs
Ja, logisch. Wurde halt so eine Errungenschaft, so: "Das erste Mal und dann noch so früh. Ist doch super."
[00:13:10.490] - Nadia Kailouli
Nichtsdestotrotz hast du ja als zwölfjähriger erst mal gedacht: „Okay, was passiert hier gerade?" Aber du bist ja mit ihm in Verbindung geblieben. Vielleicht erzählst du uns einmal jetzt aus heutiger Sicht, wie das als zwölfjähriger war. Also das ist ja jetzt nicht so lange her, irgendwie. Aber trotzdem ist das ja die Phase, wo man sich wahnsinnig entwickelt als junger Mensch. Was ging da in dir vor, was du heute besser einordnen kannst?
[00:13:35.760] - Jonathan Drefs
Ich muss ganz doll sagen, ich denke, ich kann meine Gefühle viel, viel besser einordnen, weil ich nicht mal so richtig rückblickend sagen würde, ob ich weiß, was meine Gefühle damals waren, ob in Bezug auf ihn oder in Bezug auf mich selber, weil es, glaube ich, so kontrolliert von jemand anderem war, dass ich das nicht, glaube ich, als etwas, was ich empfunden habe, definieren kann. Ich sage rückblickend ganz klar, was auch meine einzige Unsicherheit bei dem ganzen Thema ist, dass ich mich frage, wieso ich in Anführungszeichen "so dumm war", das zuzulassen. Allerdings, als es dann in der Manipulation war, wo ich sage: „Du kommst da als zwölfjähriger nicht raus." Das ist, glaube ich, so mein Gedanke, wenn ich da rückblickend drauf gucke.
[00:14:15.720] - Nadia Kailouli
Weil dir jemand so überzeugt davon war oder dir vermittelt hat, dass das alles okay so ist?
[00:14:20.500] - Jonathan Drefs
Die persönliche Realität, finde ich, ist da ein ganz, ganz großes Stichwort, weil dir was vorgelebt wird, was du als real ansiehst und einfach für dich zu etwas wird, was im Endeffekt dann einfach richtig ist, wo nicht du das Problem bist und nicht die Person, sondern "wir gegen den Rest der Welt"-Mentalität, dir da einfach so sehr auferlegt wird, dass du es wirklich anfängst zu glauben nach ein paar Wochen, vor allem da man die ganze Zeit Kontakt hatte und er im Grunde, vor allem dann, als der Lockdown dann irgendwann kam, meine einzige Ansprechperson war.
[00:14:50.490] - Nadia Kailouli
Also diese Warnung, die man von der Mutter gehört hat, so: „Du schreibst nicht mit Fremden, du vertraust dich nicht jedem an", und so war natürlich dann für die Katz…
[00:15:00.640] - Jonathan Drefs
Ja, richtig.
[00:15:01.590] - Nadia Kailouli
Weil du hattest das Gefühl: „Wieso? Der ist doch nett, der ist in Ordnung."
[00:15:05.620] - Jonathan Drefs
Richtig.
[00:15:07.020] - Nadia Kailouli
Es blieb nicht bei diesem ersten Treffen. Es ging dann weiter. Wie ging es dann weiter?
[00:15:12.120] - Jonathan Drefs
Es kam zum zweiten Treffen, wo ich allerdings dann nach Frankfurt kommen sollte. Das war ungefähr damals eineinhalb Stunden von mir entfernt. Ich, der noch nie in Frankfurt war - und setzt mal einen zwölfjährigen in den Zug nach Frankfurt - also fremde Stadt. Ich wurde am Bahnhof abgeholt, habe ein bisschen was von Frankfurt gezeigt bekommen. Wir waren essen. Dort natürlich immer großer-kleiner-Bruder-Rolle, damit die Gesellschaft uns ja ja nicht ertappt, dass wir was machen, was sie nicht gut heißen würde. Und dann in dieses Hotelzimmer. Ganz wichtig: "Wir dürfen ja nicht zusammen reingehen, weil es soll ja niemand irgendwie Fragen stellen oder ein bisschen misstrauisch sein. Also warte hier, ich schreibe dir dann die Zimmernummer, damit du dann nachkommen kannst." Also bin ich dann alleine als zwölfjähriger in dieser riesigen fremden Stadt in dieses Zimmer gegangen, wo die Rollos schon unten war, wo seine Sachen schon ausgepackt waren und ich halt nicht wusste, wo ich bin. Ich weiß noch, an diesem Morgen dann danach war es einfach so, dass die Rollos hochgingen und ich an irgendeinem Hafen war, wo ich zu dem Zeitpunkt nicht mal wusste, dass Frankfurt jetzt irgendeinen Hafen hatte. Also das war für mich ganz überfordernd, wo ich aber, während ich realisiert habe, wo ich überhaupt bin, einfach diese Gedanken hatte: „Okay, Jonathan, in dieser letzten Nacht sind Dinge passiert, die du nicht möchtest, die du vorher kommuniziert hast." Und hier kommt einfach Stichwort Oralverkehr. Ich bin unheimlich glücklich darüber, dass es nie zum Analverkehr kam, muss aber auch ganz klar sagen, dass ich vielleicht da ein bisschen unsicher war, weil es nie so schlimm wurde, weil ich teilweise das Gefühl hatte: "Okay, dich trifft es ja nicht so sehr wie andere. Dir geht es ja nicht so schlimm, wie anderen, was passiert ist." Und generell, vor allem dabei diese Gedanken hatte: "Okay, es ist ja nicht schlimm, was passiert ist. Es war halt deine Pflicht. Und er hat sich einfach das genommen, was du nicht wolltest, weil du deiner Pflicht im Endeffekt nicht nachgekommen bist."
[00:16:55.760] - Nadia Kailouli
Wie hat er das geschafft, dass du so denkst oder gedacht hast?
[00:17:00.140] - Jonathan Drefs
Ich denke, dadurch, dass man tausendmal durchgekaut hat, dass nicht wir das Problem sind, sondern die Gesellschaft, dass er mir Aufmerksamkeit geschenkt hat, dass er mir meine Fragen beantwortet hat, sich als Ansprechpartner ganz stark dargestellt hat, aber vor allem, dass wir auch über Themen gesprochen haben, wie beispielsweise Polizei, wo ich heute weiß, dass das wohl ganz, ganz stark ist im generell Thema Missbrauch, dass besprochen wurde: "Wenn jemand fragt, dann sagst du das und das, weil wir wollen beim Beischlaf bleiben, weil sonst kriege ich ganz, ganz großen Ärger und du im Endeffekt auch." Für mich hieß ex Stichwort „Jugendamt: Was machen die, wenn die erfahren, dass deine Eltern nicht richtig aufgepasst haben?" Und dann bist du einfach so da drin, dass du Geheimnisse hüten musst, dass du nicht realisiert was richtig oder was falsch ist und vor allem für dich selber, glaube ich, nicht mehr weißt, was du im Endeffekt möchtest. Ich bekomme auch ganz oft die Nachfrage: „Okay, wieso bist du nicht aus diesem Hotelzimmer gegangen?" Aber als zwölfjähriger wirst du nicht nachts um zwei in irgendeine fremde Stadt gehen, sondern du wirst da weiter mitmachen. Und diese Zeit nutzt der Täter dann logischerweise, um dich so mit seiner Ansicht dann einfach zu manipulieren, damit du dann irgendwann wieder auch glaubst: „Ey, war jetzt alles gut. Und mal ein bisschen zögerlich sein, ist ja normal."
[00:18:14.900] - Nadia Kailouli
Na ja, und das Ding ist halt, du sagst es, als zwölfjähriger in der Fremden… Also wovon hat man mehr Angst, in der Situation zu bleiben, mit jemandem, der sich vermeintlich als sehr guten Freund und Vertrauten rein manipuliert hat in dein Leben oder zu sagen: „Ich gehe jetzt raus in eine Stadt, wo meine Mutter wahrscheinlich…" Wusste deine Mutter, dass du da bist?
[00:18:34.220] - Jonathan Drefs
Nein, tatsächlich nicht. Und das war wieder dieses gute Thema, was auch immer gefragt wird. Aber ich hatte am Ende einen 27-jährigen Akademiker dabei, der mir genau gesagt hat: „Okay, das und das musst du mit deinen Freunden absprechen." Beim dritten Treffen hat meine Mutter mich zu einer Freundin gefahren, wo er mich am Endeffekt abgeholt hat. Es wurden Busverbindungen rausgesucht, es wurden vorher Audios aufgenommen, vorher Bilder. Es war im Endeffekt dann einfach alles komplett sicher, dass meine Mama immer dachte, ich sei jetzt gerade bei Freunden. Und ich war ja auch genau zur Ankunftszeit des Busses dann wieder beispielsweise am Bahnhof, wo sie mich abgeholt hatte. Es war also komplett alles geplant, eben weil er ja auch meine Freunde einfach in seinem "Petto" in Anführungszeichen dabei hatte.
[00:19:10.990] - Nadia Kailouli
Wussten deine Freunde, dass du und er – ja, wie sage ich das jetzt? Ich wollte jetzt sagen, eine sexuelle Beziehung hattet, aber das hattet ihr nun nicht so, weil eigentlich hat er dich missbraucht. Nicht eigentlich, er hat dich missbraucht. Hat er das deinen Freunden gegenüber so kommuniziert, so: „Ey, der Jonathan und ich, wir verstehen uns und wir verstehen uns eben mehr als nur Brüder, wir haben was miteinander?" Wurde das so kommuniziert?
[00:19:32.460] - Jonathan Drefs
Würde ich schon sagen, aber wenn dann halt einfach mit diesem Positiven, von wegen „Er ist ja schon so weit und reif." Und es wurde einfach so dargestellt, dass es was unheimlich Positives ist, was jetzt passiert ist.
[00:19:42.100] - Nadia Kailouli
Also auch eine Manipulation an dein Umfeld, das gar nicht erst als was zu sehen, was nicht korrekt ist.
[00:19:48.150] - Jonathan Drefs
Richtig, genau. Wo man zu sagen muss, mein Umfeld waren am Ende Kinder, die genauso alt waren wie ich und die ja genauso manipuliert worden sind, wie ich im Endeffekt dann.
[00:19:55.800] - Nadia Kailouli
Jetzt hat es deine Mutter aber irgendwann erfahren.
[00:19:59.310] - Jonathan Drefs
Ja.
[00:19:59.670] - Nadia Kailouli
Wie kam es dazu?
[00:20:00.530] - Jonathan Drefs
Ein bisschen, glaube ich, eine ungewöhnliche Situation im ganzen Thema, da der Täter meinte: „Sag es doch mal deiner Mutter, dann müssen wir uns nicht mehr so heimlich treffen. Was für mich natürlich super positiv war, weil okay, du sagst jetzt die ganzen Monate, dass ich das niemals sagen darf, aber jetzt darf ich es auf einmal. Also mache ich das natürlich. Meine Eltern sind getrennt und zu dem Zeitpunkt war ich dann bei meinem Vater. Ich habe meiner Mutter das tatsächlich per WhatsApp geschrieben. Am nächsten Tag wäre ich dann wieder zu ihr gekommen, was auch am Ende so war, aber sie hat erst mal komplett positiv reagiert: „Ist doch schön, dass du jemanden kennengelernt hast. Wer ist er denn?" Ich habe ihr das Alter auch ehrlich kommuniziert, sein Instagram-Account beispielsweise, habe ihr Bilder geschickt. Und okay, es war erst mal so, was ihn auch verwundert hat, dass sie es komplett akzeptiert hat, was mir natürlich ein so sicheres Gefühl gegeben hat.
[00:20:45.580] - Nadia Kailouli
Hast du erzählt: "Ich habe da jemanden kennengelernt, einen Kumpel, mit dem verstehe ich mich gut", oder: „Ich habe da jemanden kennengelernt, den mag ich. Ich möchte vielleicht, dass das mein Freund ist."?
[00:20:54.040] - Jonathan Drefs
Eher das zweite. Ich glaube, eher Richtung Beziehung kommuniziert absolut. Weil ich mich auch wenige Wochen vorher dann als schwul bei ihr geoutet habe. Da war ich einfach super happy. Sie hat jetzt alles akzeptiert, dass ich schwul bin. Sie hat toleriert, dass ich jemanden habe, der etwas älter ist. Und sie gehört einfach nicht zu den Menschen, die uns verurteilen für das, was wir sind, wie es einfach dargestellt worden ist. Und als ich dann nach Hause kam, ging es: Handy weg, alles gesichert, nächster Morgen Polizei, mein Vater ist zu uns gekommen. Polizeiliche Aussage. Alle Geräte weg, alles per Screenshot gesichert. Und ich dachte mir natürlich so: „Danke, dass du mich jetzt gerade komplett belogen hast und mein Vertrauen in einfach so sehr missbraucht hast, was im Nachhinein aber, denke ich, die allerbeste Entscheidung von ihr war, die sie dabei getroffen hat. Weil wenn wir jetzt auf den Gerichtsprozess gucken, war es einfach so, die meisten Eltern reagieren natürlich komplett negativ dabei. Und dann kann diese Mentalität "Wir gegen den Rest der Welt", einfach noch so sehr verstärkt werden, dass er vielleicht anbietet, dich abzuholen, dass du dann zu ihm flüchten kannst und wo es dann noch zu viel, viel schlimmeren sexuellen Handlungen kommt, als sowieso schon.
[00:21:58.030] - Nadia Kailouli
Aber okay, warte, da müssen wir jetzt mal kurz weitermachen. Du hast dich deiner Mutter anvertraut auf Aufforderung des Täters, weil er dachte, dann habt ihr noch mehr Freifläche, weil dann ist es ja bekannt, dass du jemanden triffst und dann hast du es sozusagen offiziell kommuniziert, dass du Teil davon bist, nach dem Motto: Das ist ja deine freie Entscheidung, dich mit diesem Menschen zu treffen und auch mit ihm intim zu werden. Nun hat deine Mutter aber, wie du sagtest, dein Vertrauen nicht missbraucht, sondern gesagt: „Okay, komm erst mal nach Hause."
[00:22:32.280] - Jonathan Drefs
Sie hat mir ein sicheres Gefühl gegeben, ja.
[00:22:32.630] - Nadia Kailouli
Sie hat dir erst mal gesagt: „Alles gut, komm mal nach Hause, Junge", und zack, bum, hat sie gesagt: „Her mit allem!" Was war das für dich für ein Gefühl? Wurde dir da schon klar: "Wenn meine Mutter jetzt hier meine ganzen Geräte haben will und die das doch nicht so cool findet", war dir klar: „Okay, das ist doch nicht alles okay, was hier gerade passiert"? Oder dachtest du: "Diese blöde Kuh", jetzt mal drüber gesagt, "der sagt ich nie wieder was."?
[00:22:58.340] - Jonathan Drefs
Ich habe mich kein bisschen gewehrt dagegen. Und das finde ich so unheimlich spannend, was auch in meiner Therapie ganz oft Thema war, was einfach noch mal diese Manipulation so sehr zeigt, weil meine Mutter hat mir einen Ausweg geboten. Absolut nicht den besten, aber ich wusste ja genau, okay, dadurch, dass sie ja gerade so negativ reagiert, wird sie das ja logischerweise beenden. Und ich habe ihr alle meine Pincodes gegeben, hätte ich mich logischerweise weigern können. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, ihr die Fragen beantwortet, die sie hatte. Ihr dann auch gestanden, als sie dann Bilder von mir und dem Täter im Endeffekt gesehen hat, dass es Treffen gab. Und das hätte ich ja alles nicht machen müssen. Und das finde ich einfach dieses unheimlich Spannende: Wenn du Kindern einen Ausweg bietest aus so einer Manipulation, dann nehmen sie ihn ja meistens immer an. Und ich finde, das zeigt einfach noch mal so sehr, dass vor allem dieser sexuelle Übergriff, diese sexuelle Misshandlung, die es dabei gab, immer noch unterbewusst bei dir drin bleibt und du, auch wenn du es vielleicht gerade nicht aktiv fühlen kannst, weißt, es war nicht richtig und das möchte ich nicht. Nur weil diese Gefühle einfach unterdrückt werden durch einen Täter und durch diese Manipulation, kommst du da halt auch einfach nicht selber raus. Was auch viele, viele Menschen, die erwachsen sind, niemals schaffen – Stichwort toxische Beziehungen – und Kinder dann erst recht nicht.
[00:24:11.000] - Nadia Kailouli
Absolut. Mensch, Jonathan, ich hänge ja voll an deinen Lippen, weil du das so gut reflektiert wiedergeben kannst. Da ist ja was dran. Man spürt irgendwie, mit zwölf, das ist jetzt hier auch nicht okay. Also nicht, weil man weiß, das ist nicht okay, sondern weil man mit zwölf vielleicht Sachen einfach gar nicht will. Man hat eben da noch nicht die sexuelle Erfahrung, was auch okay ist und merkt: „Okay, aber irgendwie muss ich das jetzt machen, weil das ist ja irgendwie mein bester Freund jetzt, zwar neuer bester Freund, aber bester Freund. Aber irgendwie können wir nicht vielleicht einfach nur zocken und reden und den Rest lassen wir sein?" Das ist natürlich eine Strategie, um dich da an der Stange zu halten, von dem Täter aus gesehen. Jetzt hat deine Mutter das alles gelesen und jetzt hast du deiner Mutter dann auch alles erzählt, so nach dem Motto: „Ich habe mich auch mit dem getroffen." Und dann?
[00:25:03.080] - Jonathan Drefs
Also alles habe ich ihr nicht erzählt, sondern die Sache, die man vorher mit dem Täter besprochen hat. Weil es gab ja genau diese Sache. Es gab bei mir insgesamt zwei polizeiliche Aussagen, weil meine Mutter am nächsten Morgen meinen Vater angerufen hat und das auch am Ende mein Coming out bei meinem Vater dann tatsächlich war: „Dein Sohn wurde misshandelt." Das war der Satz, der mich dann im Endeffekt geoutet hat bei meinem Vater. Er sofort zu uns gekommen ist, wir dann gemeinsam zur Polizei gefahren sind, ich dort meine erste Aussage hatte. Das war damals eine Videoaussage mit zwei Beamten, wo ich wirklich kurz ein Lob geben muss an dieses System, wo es ja ganz viele negative Erfahrungen gibt, wobei ich wirklich dankbar bin, wie es gelaufen ist. Dazu aber gleich mehr.
[00:25:39.270] - Nadia Kailouli
Ja, da muss ich erst mal sagen, dann hat sich auch das entwickelt, weil wir hatten hier natürlich schon Gäste. Ich will ja nicht über das Alter reden, aber die sind eben älter als du. Die hatten nicht so tolle Erfahrungen und es ist ja schön zu sehen, dass wenn heute jemand mit 18 oder wie alt warst du dann, 13? Irgendwann hingegangen bist, dass sich das auch eben in den letzten Jahren entwickelt hat, dass auch mittlerweile Polizistinnen und Polizisten besser wissen, wie man mit Menschen und vor allem Kindern und Jugendlichen umgehen sollte, wenn sie sexuelle Gewalt, sexuellen Missbrauch anzeigen. Das ist ja schon mal gut.
[00:26:13.670] - Jonathan Drefs
Ja, und das war komplett gegeben auf jeden Fall. Ich habe da alle meine Geräte abgegeben, also Handy, Laptop, alles einmal komplett an die Polizei und habe dann meine Aussage tätigt. Meine Aussage war im Grunde: „Ja, man hat sich mal gesehen, man lag gemeinsam in einem Bett. Nacktbilder, was ist das? Habe ich noch nie was von gehört. Und wie, was bedeutet jetzt Sex?" Also es war ganz klar besprochen, was ich sagen darf und was nicht, weil wir das ja vorher ganz, ganz oft durchgekaut hatten, dass ich auch wusste, wenn ich jetzt irgendwas sage, dann tue ich ihm riesige Probleme einbringen und mir ja sowieso, weil was soll dann mit mir passieren, wenn ich jetzt sage, okay, ich habe alle belogen und ich habe ja im Grunde eine Straftat begangen und habe dann im Grunde in dieser polizeilichen Aussage alles gesagt, außer die Wahrheit, habe vielleicht schon vieles gesagt, aber immer die Details rausgelassen, die es am Ende zu einer richtigen Straftat machen. Im Endeffekt war es dann maximal vielleicht mal Kinderpornografie, aber nie irgendwie sexueller Missbrauch. Das kam erst viel, viel später dann.
[00:27:11.240] - Nadia Kailouli
Und wie kam das dann? Wenn du jetzt sagst, du hast die angelogen, wie haben sie es herausgefunden?
[00:27:15.360] - Jonathan Drefs
Tatsächlich wieder durch mich, weil dadurch, dass das wirklich sehr, sehr gut funktioniert hat, hatte ich direkt am nächsten Tag einen Familienhelfer an meiner Seite. Das Jugendamt hat direkt Unterstützung angeboten. Die Beamten waren komplett offen und das ist halt einfach dieses Thema, wo ich sage, wenn Institutionen wie Behörden da einfach richtig mit umgehen, dann ändert das ganz, ganz viel auch im persönlichen Heilungsprozess. Meine Mutter selber hatte nie nachgefragt, weil sie mir diesen Raum gegeben hat, bis ich dann gesagt habe, das war knapp vier, fünf Monate später: „Ich möchte jetzt eine zweite Aussage machen." Hatte davor einmal die Woche einen Familienhelfer, mit dem ich geredet habe. Nicht mal darüber, sondern einfach über meinen Alltag generell, wo man ja dazu sagen muss, ich in diesen vier, fünf Monaten sehr wenig geschlafen habe. Teilweise echt viel zu wenig duschen gegangen bin, weil Dusche für mich eine Situation mit ihm war, wir mein komplettes Zimmer neu gemacht haben, alle Klamotten neu gekauft haben, was natürlich auch ein Kostenaufwand war, der immens war, und meine Mutter sich dann teilweise Dinge nicht erklären konnte, weil sie nicht wusste, wieso ist das jetzt belastend oder wieso ist das belastend? Bis ich dann gesagt habe: "Wir brauchen einen zweiten Termin bei der Polizei!" wo ich dann beim gleichen Beamten tatsächlich war und dann einmal komplett reinen Tisch gemacht und gesagt habe: "Ich war absolut nicht ehrlich", wo ich erst mal Angst hatte, dafür dann wieder bestraft zu werden. Und nachdem ich dann gesagt habe, dass es sexuelle Handlungen gab, diese ohne Kondomen waren, was ganz, ganz relevant dabei war, dann kam es sofort zu einer Hausdurchsuchung. Es gab sofort das Thema: „Okay, begib dich doch in eine Traumatherapie." Und so wurde das dann alles polizeilich aufgearbeitet und dann gingen die polizeilichen Ermittlungen erst richtig los, weil bis dahin auch noch nichts ausgewertet war, logischerweise.
[00:28:51.870] - Nadia Kailouli
Aber was hat sich bei dir getan, dass du für dich selbst… Also erst mal, was ist in der Zeit mit dieser Täterbeziehung gewesen? Also deine Mutter hat alles, also die Polizei hat deine Geräte, die haben die Chats gelesen, die Fotos gesehen. Du hast ja eine Aussage gemacht, die nicht alles erzählt hat, aber schon erzählt hat: „Hey, ich als zwölf, 13-Jähriger habe längeren Kontakt gehabt mit einem viel älteren Mann, der eigentlich ein Freund von mir ist. Also entspannt euch alle mal." Und dann kommst du nach Hause. Erst mal, was ist mit dem Kontakt zu dem Typen gewesen und was hat sich in der Zeit in dir getan, dass du dann selbst noch mal gesagt hast: „Nein, Ich muss jetzt doch noch mal was erzählen?"
[00:29:32.650] - Jonathan Drefs
Ich hatte tatsächlich keinerlei technischen Geräte mehr, hatte keinen Kontakt zur Außenwelt mehr. Wir hatten Homeschooling. Mehr oder minder lief ja jetzt nicht so gut, Homeschooling.
[00:29:39.740] - Nadia Kailouli
Also wegen Corona, aber jetzt nicht als Bestrafung oder so?
[00:29:43.170] - Jonathan Drefs
Genau, wegen Corona, durch den Lockdown. Ich durfte nicht alleine raus. Das heißt, ich war komplett meine Mom und ich, Familienleben so ein bisschen weiterführen. Hatte gar keinen Kontakt zu dem Täter, wie auch, ich hatte, ja, gar nichts. Also ich habe dann irgendwann einen Receiver bekommen, damit ich irgendwas zu tun habe, was für mich erst mal ein Fremdwort war. Und dann hat einfach so eine Entwicklung angefangen. Während ich die ersten Tage wirklich vielleicht eine Art Liebeskummer hatte, würde ich beinahe schon sagen, also wirklich geweint bis zum Gehtnichtmehr, mich ganz, ganz oft eingeschlossen hatte, bis meine Mama dann alle Schlüssel weggetan hatte aus dem Haus, damit ich mich einfach nirgendwo einschließe oder ähnliches. Dann habe ich Schritt für Schritt Sachen, die mich an ihn erinnern, in eine Kiste getan, die immer unter meinem Bett stand, hab teilweise angefangen, Tagebuch zu schreiben darüber und habe mich immer, immer mehr davon gelöst. Das waren Kleidungsstücke, das waren kleine Geschenke. Habe mich von Möbeln teilweise auch gelöst, dadurch dass meine Mom da so unterstützend war. Und ich glaube, dieser Prozess war da einfach ganz, ganz relevant, der so viel da vielleicht verändert hat, dass ich a) die Unterstützung hatte, b) mit meiner Mutter nicht darüber reden musste. Es gab jetzt nicht so: „Wir setzen uns jetzt mal an den Küchentisch und dann erzählst du mir mal, was da war." Nein, mir wurde die Zeit gegeben, bis ich selber sage, was passiert ist. Und auch nach meiner zweiten polizeilichen Aussage wusste sie noch nicht richtig, was passiert ist durch mich, bis der Beamte mir dann gesagt hat: „Okay, Jonathan, deine Mutter malt sich gerade ganz, ganz viel aus. Sie hat gerade Kopfkino, die macht sich riesige Sorgen. Wenn du mir das erlaubst, würde ich ihr gerne sagen, dass es nie zu Analverkehr gekommen ist, einfach, damit sie nicht daran erstickt im Endeffekt an diesen Gedanken." Und das war das Einzige, was sie wusste. Nicht durch mich sondern durch den Beamten. Sie hat mir diesen kompletten Freiraum gelassen, mich immer unterstützt, war immer da, auch teilweise nachts, weil ich gar nicht schlafen konnte und hat einfach zur Seite gestanden, aber ohne körperliche Nähe, weil die für mich beispielsweise auch gar nicht möglich war. Da ist teilweise erst ein bis anderthalb Jahre später dabei. Und das hat sie dann einfach, ich glaube, gelöst hat sich das.
[00:31:50.750] - Nadia Kailouli
Wie meinst du das, die körperliche Nähe? Jetzt in Bezug auf was?
[00:31:52.860] - Jonathan Drefs
Generell, ich hatte die letzte Umarmung kurz vor meinem ersten polizeilichen Aussage von meiner Mutter und danach gar nicht mehr. Und das findet meine Mutter ganz, ganz belastend, weil sie immer sagt: „Wenn deinem Kind was Schreckliches passiert ist, dann möchtest du dein Kind einfach in den Arm nehmen und diese Liebe und Sicherheit geben." Und das konnte sie einfach nie, weil für mich Berührungen einfach ganz widerlich waren, so wie mein eigener Körper für mich ganz, ganz widerlich war, weil ich das Gefühl hatte, dass das nicht mein Körper ist, sondern im Endeffekt dann seiner irgendwo.
[00:32:23.510] - Nadia Kailouli
Ja, das sind dann immer so Sachen, die… Man redet zum Glück öfter jetzt über dieses Thema, aber ich finde das so eindrücklich, zu noch mal verstehen, was das mit einem macht.
[00:32:38.160] - Jonathan Drefs
Absolut.
[00:32:38.620] - Nadia Kailouli
Dieses als 13-Jähriger, sich erst mal von der Mutter nicht mehr umarmen lassen zu können, weil man weiß, das fühlt sich einfach blöd an und komisch und ich muss da jetzt erst mal irgendwie durch, ohne… Das kannst du jetzt eben fünf Jahre später erzählen, aber in dem Moment war es dir wahrscheinlich noch nicht so möglich, das in Worte zu fassen wie heute. Jetzt hast du Du hast gesagt: „Okay, dann habe ich meine Aussage noch mal gemacht und und und", und und dann gingen erst die Ermittlungen los.
[00:33:05.610] - Jonathan Drefs
Richtig.
[00:33:06.140] - Nadia Kailouli
Heißt das damit auch, dass du dadurch wieder Kontakt zu ihm bekommen hast oder bekommen musstest? Oder warst du da frei raus aus der ganzen Ermittlungs...
[00:33:15.030] - Jonathan Drefs
Ich war da komplett raus. Also ich wusste tatsächlich nie, was richtig passiert ist. Ich habe irgendwann mal meine Sachen wiederbekommen, also Handy und Laptop, aber davor kam gar nichts, bis dann irgendwann dann vier Jahre später ein Brief vom Gericht war. Aber in dem Ermittlungsprozess war ich komplett außen vor. Meine Eltern haben natürlich manchmal nachgehakt, weil man sich ja so dachte: „Was ist denn da jetzt?" Mittlerweile weiß man, Zuständigkeit war ein ganz, ganz großes Thema. Es gab im Endeffekt dann auch einen Ermittlungsfehler, der ganz viele andere Fälle betroffen hat. Aber bei mir lief das zum Glück alles recht positiv ab im Endeffekt. Und ich konnte dann im November, also im gleichen Jahr noch, wie die Tat war, eine Traumatherapie beginnen, musste logischerweise eine längere Zeit auf den Therapieplatz warten, hatte aber mein Diagnosegespräch, habe dort die Diagnose PTBS, also postraumatische Belastungsstörung, anteilige Depression und Selbstwertproblematik diagnostiziert bekommen. Wo dann aber erst mal gesagt worden ist: „Okay, stopp, bis hierhin und nicht weiter. Wir brauchen jetzt erst mal eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft, dass wir hier überhaupt in Therapie gehen dürfen, weil wenn wir ganz viel Pech haben, heißt es: 'Du warst in Therapie. Vor Gericht gilt deine Aussage jetzt nicht mehr."
[00:34:17.850] - Nadia Kailouli
Ja, genau. Das ist das.
[00:34:19.150] - Jonathan Drefs
Und dann war jetzt erst mal „Wir müssen jetzt erst mal warten", wo meine Eltern aber gesagt haben, wenn wir diese Zustimmung nicht bekommen, ist uns das egal, weil wir wollen diesen Zustand nicht weiterhalten. Wenn wir jetzt warten zwei, drei, vier, fünf Jahre, wer weiß, was mit Jonathan dann passiert? Wo es einfach so ist, wenn du dich nicht damit auseinandersetzt, wird es irgendwann immer schlimmer und immer größer. Einfach diese Probleme, die du mit dir selber dann logischerweise bekommst. Deswegen habe ich dann recht zeitnah meine Therapie machen können, glücklicherweise mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und habe die dann im Jahr 2023 beendet.
[00:34:53.180] - Nadia Kailouli
Sehr gut. und was man ja sagen muss, weil wir jetzt über die Staatsanwaltschaft gesprochen haben, der Mann wurde ja verurteilt. Ihr habt ihn angezeigt, er wurde zu neun Jahren verurteilt, richtig?
[00:35:05.830] - Jonathan Drefs
Genau, ja.
[00:35:06.230] - Nadia Kailouli
Neun Jahre Haft?
[00:35:07.160] - Jonathan Drefs
Ja.
[00:35:08.050] - Nadia Kailouli
Also wenn man sich nur so ein bisschen auskennt im deutschen Justizsystem und was führt zur Inhaftierung oder nicht, da muss man sagen, da lag schon ganz schön was da, weil zu neun Jahre Haft verurteilt zu werden, da hat man schon einiges mitgebracht, dass da ein Richter das so entscheidet.
[00:35:26.120] - Jonathan Drefs
Und genau das hat er tatsächlich. Es gab davor drei Fälle, im Jahr 2015 und einmal im Jahr 2021, die dadurch ermittelt worden sind, welche dann im Grunde dazu geführt haben, dass wir über neun Jahre Freiheitstrafe reden. Für meine Tat am Ende waren es drei, die angerechnet worden sind, was ja wirklich schon eine gigantische Zahl ist in dem Sinne, was Täter im Vergleich teilweise bekommen. Wo ich auch sagen muss, dass das Gericht, die Kammer, wirklich unheimlich gut waren und ich mich auch wirklich so wohlgefühlt habe, wie es im Endeffekt geht vor Gericht. Aber man dann in eine Situation kam, dass während einer Aussage eines Polizisten es klar wurde, okay, wir haben zwischen 2015 und 2020 ganz viele Bilder von irgendwelchen Kindern, aber niemand kann sagen, wer das ist, weil Datenträger nicht ausgewertet worden sind und weil sich dieser Beamte, wo es einen Zuständigkeitswechsel gab, also nicht der, der mich am Ende verhört hat, sondern ein anderer, hier einfach nicht ermittelt hat und nicht herausgefunden hat, wer diese Kinder im Endeffekt sind, dass der Richter vier, fünf Kinder abgefragt hat und immer wusste: "Weiß ich nicht, keine Ahnung, haben wir nicht gemacht." Und wir jetzt fünf Jahre hier unermittelt bei diesem Fall haben, wo das Gericht am Ende im Urteil gesagt hat: „Wenn es hier eine bundesweite Ermittlung geben hätte, dann wären wir jetzt beim Thema Sicherheitsverwahrung, weil es ja anscheinend so unheimlich viele Fälle hier gibt, teilweise zwei, drei pro Jahr und das auf fünf Jahre gesehen."
[00:36:44.110] - Nadia Kailouli
Also Jonathan, ich finde, du solltest irgendwann mal zum BKA gehen. Ich weiß ja nicht, was du noch machen möchtest in deinem Leben, aber beim BKA braucht man genau die Leute, die sich damit so auseinander… Man merkt das ja. Das eine ist ja, das zu sagen: „Okay, ich habe das erlebt. Tschüss, ich möchte jetzt hier auch den Schrank zumachen und fertig", was vollkommen okay ist. Aber wenn du das jetzt so erzählst, dann merkt man dir an, dass du dich damit ja auch ein bisschen auseinandergesetzt hast, auch über deinen eigenen Fall hinaus. Deswegen dachte ich gerade: Ah, beim BKA, die brauchen auch immer Hilfe zur Unterstützung zur Ermittlung von sexueller Gewalt, gerade übers Netz eben. Jetzt ist es so, jetzt haben wir hier innerhalb von – ich weiß nicht, wie lang wir reden – 20, 30 Minuten hier einmal die letzten fünf Jahre runtergebrochen. Und es ist jetzt nicht so, dass du hier bei uns dein Outing hast mit dieser Geschichte, sondern du bist schon viel früher damit auch an die Öffentlichkeit gegangen. Du hast das Projekt gegründet „End the Silence", wo auch andere Menschen über Videos erzählen können, was ihnen passiert ist. Und auch du hast das gemacht. Du bist sozusagen der Erste, der mit so einem Video rausgegangen ist. Warum hat man sich dann als junger Mensch, oder gerade du, dann gesagt: „Ich bin damit jetzt in Anführungsstrichen gut durchgekommen. Therapie, mit meiner Mutter ist wieder alles soweit gut." Wer weiß, was da in der Zukunft es noch kommt. Du hast ja selber gesagt, Traumatherapie gemacht. Da kommt vielleicht dann auch noch mal was. Das ist dir bewusst. Und trotzdem sagst du, damit ist das jetzt hier nicht vorbei, sondern das mache ich jetzt öffentlich. Warum?
[00:38:13.010] - Jonathan Drefs
Kurz für den Kontext: Meine erste Aussage war im April, Mai. Und meine Schwester, die hatte damals schon immer so ein bisschen Social Media gemacht, aber hatte im gleichen Jahr, dann ungefähr im August, ihren großen Durchbruch auf Social Media, gerade ihre eine Million Follower auf TikTok erreicht. Das heißt, ich habe Öffentlichkeit kennengelernt, in Form von meiner Schwester. Und dann gab es ab und an mal Creator, sind leider bei weitem nicht alle, die einen Mehrwert irgendwie in Social Media reinbinden und ich gesagt habe: "Okay, ich bin jetzt hier gerade so überprivilegiert, dass ich eine Schwester mit Reichweite habe. Dann möchte ich das irgendwann auch mal nutzen. Bin aber gerade Schüler. Ich habe kein gerichtliches Urteil, was hier sagt, ich darf das überhaupt öffentlich kommunizieren, was passiert ist. Und vor allem bin ich weder zeitlich noch psychisch hier in der Lage, darüber zu sprechen." Habe dann meine Traumatherapie gemacht, habe meine Schule fertig gemacht und habe dann gesagt: „Okay, ich habe das Privileg, dass mir Menschen zuhören, weil ich diesen Standpunkt öffentlich schon habe." Habe das angefangen dann im Jahr 2022, tatsächlich Ende 2022, ne '23, um dann im November 2024 zu sagen: „Okay, wir beginnen jetzt mit "End the Silence", ganz öffentlich, weil es mir einfach wichtig war: Okay, klar kann ich jetzt einen TikTok oder ein Insta-Reel machen, wo ich sage, das und das ist passiert. Aber das war für mich so ein Gedanke, wo es ein bisschen weggeworfen ist das Potenzial, weil ich habe das Privileg, dass ich es aufarbeiten konnte, dass mir nicht das Allerschlimmste passiert ist. Und vor allem habe ich dieses Privileg, vielleicht überprivilegiert schon beinahe, dass ich direkte Connections beispielsweise in ein Management habe für Influencer, dass ich direkte Connections an Medienpartner habe und einfach kürzere Wege habe als vielleicht andere. Dann möchte ich daraus etwas Nachhaltiges machen, was jetzt nicht nur ein Video ist im Sinne von „Wow, dem ist das und das passiert", sondern etwas, was vielleicht auch andere Menschen einfach nicht diese Möglichkeit hatten, wie ich eine Stimme zu geben. Da haben wir gesagt: „Okay, dann machen wir es aber auch richtig." Also habe ich gesagt: „Mit End the Silence beginne ich, erzähle meine Geschichte gemeinsam mit meiner Schwester und meiner Mutter, aber möchte dann nachhaltig Menschen eine Stimme geben", also haben wir geguckt, dass wir gemeinsam mit Medien teilweise daran gehen, aber auch, dass wir sagen: „Okay, wir holen uns Menschen aus psychologischen Bereichen, die diese Menschen richtig begleiten können in diesem Prozess, ihre Geschichte zu teilen. Aber auch Menschen, die sich mit Social Media auskennen." Und jetzt haben wir in diesem Jahr bereits sechs Leuten eine Stimme gegeben mit insgesamt Impressionen, also Aufrufen von knapp über 500.000 allein auf YouTube. Und das ist einfach dieses Ziel hinter "End the Silence", Menschen dabei die Möglichkeit zu geben, darüber zu sprechen, was ihnen passiert ist und einfach etwas Nachhaltiges im Endeffekt aufzubauen.
[00:40:49.920] - Nadia Kailouli
Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass du auch noch mal erwähnt hast, dass ihr das jetzt auch in Begleitung mit Therapeuten macht, die ihr an der Seite habt, die das irgendwie auch ein bisschen begleiten und dass man da eben Menschen nicht einfach nur so raushaut über Social Media und dann denkt man sich zwei Tage später: „Um Gottes Willen, nein, wollte ich das?" Also das habt ihr im Blick, ja?
[00:41:09.310] - Jonathan Drefs
Ja, absolut.
[00:41:10.140] - Nadia Kailouli
Okay, das finde ich gut. Jetzt eine ganz andere Frage dazu. Wir reden ja hier bei einem bis zwei schon sehr, sehr oft und intensiv über, ich sage jetzt mal überspitzt gesagt, das böse Internet, was Missbrauch auch noch mal auf einer ganz anderen Ebene so viel möglicher gemacht hat, weil man Kontakte bekommt, weil man die Leute anschreiben kann, weil man verbreiten kann und so weiter und so weiter. Jetzt bist du ja genau einer dieser Betroffenen, die einfach aus Neugier ins Netz gegangen sind und dann auf einmal Opfer von sexuellem Missbrauch wurden. Ist für dich als junger Mensch das Netz ein Problem der Generation, die uns nicht ausreichend davor schützt oder zu viel Möglichkeiten bietet, dass wir ungeschützt da rein laufen? Weil du ja sagtest, dann wurde dir alles so weggenommen und dann war erst mal nur Familienleben. Das kann man mal eine Phase machen, aber so tickt ja unser Leben nicht mehr.
[00:42:01.480] - Jonathan Drefs
Ja, es funktioniert mittlerweile nicht mehr.
[00:42:02.820] - Nadia Kailouli
Wie blickst du als junger Erwachsener, der auch jetzt mit einer Influencerin verwandt ist, ja, als Schwester hat und selber jetzt so einen Kanal macht aber genau ja diese Plattformen, ja auch für dich, überhaupt der Ort erst war, wo dir Böses angetan wurde?
[00:42:18.450] - Jonathan Drefs
Ich glaube, ich würde sagen, Internet ist nicht böse, sondern Internet ist eine Chance. Weil ich glaube weniger, dass das Problem vielleicht beim Internet liegt, weil wir können, glaube ich, niemals Anonymität aus dem Internet wegbringen. Das wird niemals funktionieren. Das hat seine Vor- und Nachteile, absolut. Aber ich denke, dadurch, wenn wir im Internet oder generell unsere digitale Welt nutzen, um einfach über relevante Themen zu sprechen, so, ja, deine Make-up-Routine ist vielleicht wichtig und interessiert Leute, dann will Ich kann jetzt noch gar nichts gegen sagen, aber vielleicht können wir Social Media noch mal nutzen, um uns ein bisschen mit der Realität in dieser Welt auseinanderzusetzen. Ich denke, wenn wir mehr darüber sprechen, wenn wir diese Gefahr sehen und Menschen, die diese Gefahr in den Kopf setzen, dann schützt das a) logischerweise bei dir selber im Umfeld, aber auch in der digitalen Welt. Ich denke also, dass wir mehr bei den Menschen ansetzen können und präventiv sagen können, das kann passieren, als dass wir sagen, das Internet ist böse, weil das ist, glaube ich, ein Kampf, der beinahe schon aussichtslos ist, da irgendwie anzusetzen, weil unsere Welt ist vernetzt, unsere Welt ist digital. Ich persönlich finde das auch echt gut so, wenn es nicht zu viel logischerweise am Ende ist.
[00:43:28.820] - Nadia Kailouli
Jetzt ist es so, dass du das Internet eben jetzt auch nutzt für "End the Silence", ja, dass du Betroffenen eine Stimme geben möchtest über diese Plattform, dass du selbst dort gesprochen hast und und und. Und dafür hast du auch einen Preis gewonnen, richtig?
[00:43:41.750] - Jonathan Drefs
Ja.
[00:43:42.190] - Nadia Kailouli
Bis ich jetzt hier runterscrolle, sag mal schnell, wie heißt der noch mal?
[00:43:45.210] - Jonathan Drefs
Das war tatsächlich der Ideenpreis von Spotlight Jugend. Das war vom Familienministerium.
[00:43:48.230] - Nadia Kailouli
Na, siehst du mal.
[00:43:49.550] - Jonathan Drefs
Ja, da hatten wir uns für beworben, weil wir gesagt haben, okay, kann man ja mal versuchen, und tatsächlich den Preis dann gewonnen und hatten im März, nein, im Dezember dann die Veranstaltung hier auch in Berlin.
[00:44:00.260] - Nadia Kailouli
Okay, ja. Also dafür erst mal noch mal herzlichen Glückwunsch. Und jetzt ist es aber so, wenn wir uns im Netz bewegen, auch mit "End the Silence", und das hast du auch selber erlebt, ist es jetzt nicht so, dass man nur Applaus bekommt. Man bekommt nicht nur: "Herzlichen Glückwunsch zum Preis und toll, dass du es machst", sondern es gibt ja durchaus auch Leute, die da ganz böse dann drauf reagieren und Kommentare setzen, die nicht so schön sind. Wie gehst du damit um?
[00:44:21.820] - Jonathan Drefs
Ich denke, für mich ist das noch recht einfach, würde ich beinahe schon sagen, aber nur, weil ich es ja im Grunde schon als 13-Jähriger im Endeffekt wusste, weil ich hatte ja meine Schwester dabei, die genau das erlebt hat, die dann ihre Skandale im Endeffekt hatte, ihre Hate-Wellen dann am Ende. Und dann habe ich einfach gesagt: „Okay, ich weiß ja, was passiert. Ich habe meine Schwester, die mir ganz klar gesagt hat: 'Das kann passieren.' Ich hatte ihr Management, was mir gesagt hat: 'Das sind die Risiken dabei.' Aber ich persönlich kann, glaube ich, darüberstehen." Meine aller größte Sorge war mehr, dass es meine Mutter mehr trifft als mich, was im Endeffekt gar nicht so war, weil sie da noch mehr darübersteht, glaube ich, als ich im Endeffekt. Aber wenn wir jetzt mit anderen Betroffenen dabei zusammenarbeiten, finde ich diese Kommentare noch viel extremer, einfach weil sie nicht mich betreffen, sondern jemand anderen. Da gibt es beispielsweise dann eine Betroffene, die jetzt ihre Geschichte bei "End the Silence" geteilt hat, wo es am Ende in Gewalt ging, wirklich in der Erziehung, wo am Ende Kommentare kamen, wie: "So muss ja eine gute Session ablaufen." Und das wirklich vermehrt, wo ich mich dann frage, okay...
[00:45:23.070] - Nadia Kailouli
Wie, was heißt das?
[00:45:24.450] - Jonathan Drefs
Tatsächlich in eine BDSM-Richtung: "Die Jugend hält ja nichts mehr aus. So wollen das Frauen doch." Und so wurde es dann einfach ganz extrem.
[00:45:32.770] - Nadia Kailouli
Ach Gott, okay, jetzt verstehe ich.
[00:45:33.970] - Jonathan Drefs
Ja, und das sind dann so Kommentare, wo ich mir denke: „Stellt euch mal bitte vor, das liest gerade eine Person, die genau in dieser Sache ist." Das denke ich mir auch bei Kommentaren, die ich erhalte: „Stell dir vor, das liest gerade dein 13-jähriges Ich, was aus der Situation kommt, dann wird es sich noch weniger öffnen, wenn es merkt, dass er sogar digital komplett Gegenwind bekommt." Und das finde ich immer dieses, dass wir uns da vielleicht ein bisschen nachdenken könnten. Kritik ist immer wichtig und Kritik ist auch gut. Wir sollten auch Debatten führen, aber respektvoll und am Ende grundlegend erst mal Glauben schenken, bevor wir irgendwas ganz negativ hinterfragen.
[00:46:08.510] - Nadia Kailouli
Jonathan, du sprichst besser als mancher Politiker. Ich muss das mal sagen. Also du kannst es sehr, sehr gut zusammenfassen. Ich wünsche dir sehr, dass du so bleibst, einfach, dass dich das… Jetzt komme ich mir selber gerade vor wie so eine alte, weite Frau, die so was nicht sagen sollte, aber man kennt es ja, so ganz junge Menschen, die dann rausgehen, in die Öffentlichkeit gehen und das Interesse bekommen von ganz vielen und so gehyped werden und irgendwann fallen sie um. Ich hoffe nicht, dass du umfällst, sondern dass du…
[00:46:36.040] - Jonathan Drefs
Ich habe es nicht vor.
[00:46:36.210] - Nadia Kailouli
Und dich vor allem von der Medienlandschaft da draußen auch nicht so hochpeitschen lässt, nach dem Motto: "Noch mal, noch mal, noch mehr." Wir sind auch Teil davon. Wir haben dich auch hierhin eingeladen, aber auch als Medienschaffende möchte ich dir das so mitgeben, dass wenn es zu viel wird, dass du auch einfach mal sagen kannst: „Stopp."
[00:46:52.890] - Jonathan Drefs
„Stopp."
[00:46:53.310] - Nadia Kailouli
Genau. Aber danke trotzdem, dass du heute bei uns gesprochen hast und so offen gesprochen hast.
[00:46:57.450] - Jonathan Drefs
Danke, dass ich hier sein durfte.
[00:46:57.450] - Nadia Kailouli
Vielen Dank, Jonathan.
[00:46:59.730] - Nadia Kailouli
So, was soll man dazu noch sagen? Vielleicht kann man noch mal wirklich den Hinweis darauf geben: Jonathan ist gerade erst 18 geworden und der kann das so reflektiert und gut erzählen. Mit Sicherheit hat die Therapie da auch geholfen, aber ich finde das so bemerkenswert und bewundernswert, dass da so ein junger Mensch steht, seine Geschichte erzählt, die für sich steht und schlimm ist, aber er vor allem auch sagt: „Hey, ich weiß ganz genau, ich bin damit ja nicht alleine. Da draußen gibt es noch so viele junge Menschen, die genau das Gleiche erlebt haben, Schlimmes erlebt haben, Übergriffe erlebt haben, sexuelle Gewalt erlebt haben." Und dass er jetzt eben diese Initiative gegründet hat, zu sagen: „Hey, ich möchte, dass wir den Mut haben, wer will, das Schweigen zu brechen und darüber offen zu reden, denn nicht die Betroffenen sind das Problem, sondern die Täter."
[00:47:46.360] - Nadia Kailouli
Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handel 'Missbrauchsbeauftragte'. Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.
Mehr Infos zur Folge
Als er zwölf Jahre alt ist, lernt Jonathan Drefs auf einer sozialen Plattform im Internet einen angeblich 16-Jährigen kennen. Hinter dem Profil steckt aber ein 27-Jähriger. Die beiden chatten und irgendwann kommt es zu einem Treffen – und zu sexueller Gewalt. Obwohl Jonathan es eigentlich nicht will, bleibt er weiter im Kontakt mit dem Täter, schreibt mit ihm. Es gibt weitere Treffen und weitere Übergriffe. Der 12-jährige Jonathan wird von dem Täter vollkommen manipuliert.
Erst als er seiner Mutter davon erzählt und diese Anzeige erstattet, wird auch Jonathan klar: Das war Missbrauch.
Für Jonathan ist die Geschichte damit jedoch nicht zu Ende: Er will, dass Betroffene wie er sichtbar werden und das Thema „sexuelle Gewalt gegen Kinder“ mehr Aufmerksamkeit bekommt. Er hat deshalb die Initiative „EndTheSilence“ gegründet. Was es damit auf sich hat, erzählt er bei einbiszwei.

LINKSAMMLUNG
Jonathans Initiative „EndTheSilence“: Zur Website
Jonathans eigene Geschichte auf dem YouTube-Kanal von „EndTheSilence“: Jonathan: Das ist meine Geschichte | Survivors & Supporters | EndTheSilence
Jonathan bei „deep und deutlich” im NDR [03/25]: Missbrauch: Ich war 12, er 27 | Jonathan und seine Mutter im Talk
