PODCAST | Folge 11 | Wolf Ortiz-Müller

„Stalker halten sich selbst oft für die wahren Opfer.”

„Ich hab den mal auf Instagram gestalkt.” Das ist als Begriff heutzutage so sehr in die Alltagssprache eingegangen, dass viele gar nicht mehr so genau wissen, worum es eigentlich geht. Denn “Stalking” kann für Betroffene wirklich unangenehm werden. Wo genau fängt Stalking an? Wieso machen Menschen das? Und wie gefährlich ist das im schlimmsten Fall? Wolf Ortiz-Müller ist Psychotherapeut und Stalking-Experte. Er hat 2008 die Beratungsstelle “Stop Stalking” in Berlin gegründet und erklärt in dieser Folge, warum Menschen stalken und wie man sich gegen hartnäckige Stalker wehren kann.




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Wolf Ortiz Müller [00:00:00] Das macht Angst. Das ist gruselig. Das ist unheimlich. Und ich guck morgens schon ängstlich auf das Smartphone. Sind schon wieder da neue WhatsApps oder Signals eingegangen? Ich guck vor der Haustür links und rechts, steht der da irgendwo?

Nadia Kailouli [00:00:16] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei. Damit sich was ändert. Bei mir war heute Wolf Ortiz Müller, er ist ein Stalkingexperte und hat mir sehr anschaulich erzählt, warum Menschen stalken, was man dagegen tun kann oder wie man richtig reagiert. Wolf kennt sich so gut aus, weil er Psychotherapeut ist und schon 2008 die Beratungsstelle Stop Stalking Berlin gegründet hat. Da berät er nämlich Betroffene, aber auch Täter. Denn Wolf sagt, dass Stalking mitunter echt krank sein kann und behandelt werden muss. Ich habe da heute wirklich viel gelernt. Beispielsweise, dass es nichts bringt, wenn man dem Stalker schreibt: Hör auf, du Idiot! Ja, das ist eine verzwickte Sache. Aber in der Sendung hat Wolf mir richtig gute Strategien erzählt, wie man damit umgeht, wenn man gestalkt wird. Egal ob jetzt im Netz oder im realen Leben. Und eine Geschichte lässt Wolf bis heute nicht mehr los. Okay, dann fangen wir an. Wolf Ortiz Müller, grüß dich.

Wolf Ortiz Müller [00:01:32] Ja grüß dich, Nadia.

Nadia Kailouli [00:01:33] Wir sind beim Du, oder Wolf?

Wolf Ortiz Müller [00:01:35] Von mir aus sind wir gerne beim Du.

Nadia Kailouli [00:01:37] Perfekt. Ich finde Du auch super. Wolf, wir sprechen heute über das Thema Stalking.

Wolf Ortiz Müller [00:01:41] Ja.

Nadia Kailouli [00:01:42] Und da fange ich eigentlich mit der schwierigsten Frage an. Was ist Stalking in deiner Definition überhaupt?

Wolf Ortiz Müller [00:01:48] Ja, Stalking ist schon schwierig zu definieren. Ich versuch's mal ganz einfach runterzubrechen. Das ist das unbefugte Nachstellen einer anderen Person gegen deren Willen. Das ist so die Kernaussage. Da liegt schon drin, die andere Person muss klar gemacht haben, sie will das nicht. Sonst kann man jemandem so viel nachstellen, wie man will. Und dieses Nachstellen, also dieses Ausspähen, dieses Auschecken, das eben dann Verfolgen oder Beballern mit Nachrichten, das ist etwas, was dann im Stalking bei der anderen Person Unbehagen oder eben auch Angst auslöst, weil sie merkt, da überschreitet jemand eine Grenze, die nicht überschritten werden soll.

Nadia Kailouli [00:02:31] So, wenn du das jetzt so erklärst, spürt man sofort, alles klar, da ist eine ernste Relevanz dahinter, warum wir überhaupt darüber sprechen. Wenn ich aber an meinen alltäglichen Sprachgebrauch denke, dann bin ich damit eher, ich will schon fast sagen positiv konfrontiert statt negativ, weil man kennt es: Oh lass ihn doch mal schnell bei Insta oder Facebook oder Co. stalken. Hast du den schon gestalkt? Man will Bilder sehen, man will wissen was macht der so im Urlaub oder die? Ist dir das im Laufe der Zeit auch aufgefallen, dass Stalking eine positive Begrifflichkeit bekommen hat?

Wolf Ortiz Müller [00:03:02] Ich sage mal so, gerade bei euch Journalist:innen, da ist es irgendwie so, gehört ja zum Berufshandwerk quasi dazu, oder? Da hat sich das so in die Alltagssprache eingeflossen, das Stalken, was ursprünglich aus der Jägersprache kommt. Und wir alle sind natürlich geprägt auch von den medialen Darstellungen von Stalking und dann hat sich das so ein eingebürgert, kann man sagen, dass jede Recherche, jede Internetrecherche gerade mal eben als Stalking bezeichnet wird. Und darin liegt natürlich einerseits die Qualität, dass man denkt, ja, das gibt es, das verbreitet sich als eine Idee. Und auf der anderen Seite fällt gerade diese Problematik heraus, die es für Betroffene dann hat, dass es etwas ist, was ihnen gegen ihren Willen passiert und wo sie auch alles dransetzen, damit das endlich aufhört.

Nadia Kailouli [00:03:54] Jetzt kennen wir den Begriff Stalker und eben Stalking. Wenn ich an Stalking denke, denke ich an was anderes als an den Stalker. Ist dir im Laufe der Zeit aufgefallen, dass es eben den digitalen Stalking Weg gibt, den es so früher nicht gab? Früher standen Menschen vor Leuten vor der Tür und man wusste, das ist der Stalker, den habe ich in der Kneipe das erste Mal gesehen. Auf einmal ist er/sie fast jeden Tag bei mir vor der Tür, weil er/sie weiß, wo ich wohne. Im Internet weiß man nicht, wer gestalkt wird oder wer der Stalker ist.

Wolf Ortiz Müller [00:04:24] Ja, und man muss ja da auch im Internet unterscheiden, was ist das ganz Normale und auch Erlaubte? Ich kann natürlich eine Internetrecherche anstellen, wo ich einen Namen eingebe und mal gucke, was mir die Suchmaschine ausspuckt. An Bildern, an Artikeln, an News dazu. Und das ist nicht Stalking. Und Stalking im Internet, das ist noch eine ganz eigene Qualität. Das ist eben dieses Cyberstalking. Und da kommt man fast schon auf die letzte Gesetzesänderung, die das Stalking erfahren hat, nämlich erst im Herbst 2021, wo der Gesetzgeber quasi zum Dritten Mal innerhalb von 14 Jahren oder 13 Jahren dieses Gesetz neu fasst, weil es immer wieder neue Verhaltensweisen gibt, die wir dann auch als Stalking definieren, die eben als Straftatbestand angesehen werden.

Nadia Kailouli [00:05:23] Über den juristischen Weg, wie man das dann beweist und vor allem, ob man das überhaupt beweisen kann, darüber sprechen wir gleich. Wir wollen aber mal ganz von vorne anfangen. Wir haben gerade über diesen Weg gesprochen. Wie kann man eigentlich stalken oder dieses recherchieren, wenn ich jetzt zum Beispiel an mich denke, ich gebe es offen zu, ich bin auch schon auf Insta gegangen, fand jemanden toll, der fand mich halt nicht so toll und ich dachte, vielleicht wird er mich mit der Zeit toller finden, wenn ich mehr über ihn weiß und habe mir alles angeschaut. Wem folgt der, wem folgt er nicht? Wo war er das letzte Mal im Urlaub? Habe mir sämtliche Bilder angeguckt. Habe sehr oft geguckt ist er online, ist er nicht online. Ist das schon eine Form von Stalking?

Wolf Ortiz Müller [00:06:00] Das ist vielleicht dieser softe Übergang in ein Stalking hinein. Also das ist ja die Frage, was macht es mit dir im Kopf? Also bist du dann dauernd geflasht davon, was er jetzt Neues postet und was du rausgefunden hast? Kriegt das für dich in deinem Erleben so was suchtartiges, dass du morgens schon denkst: Oh ja, muss mal gucken, gibt es irgendeine neue Nachricht, schmeißt mir die Suchmaschine oder irgendwas Neues aus über den? Und wenn ich das dann den Tag über begleitet und du dann schon beim Moderieren eigentlich gar nicht mehr ans Moderieren denken kannst, sondern nur noch an den coolen Typen, dann kriegst du vielleicht ein Gespür dafür, wie Menschen erleben, die in so einen suchtartiges Stalking reinrutschen. Und vielleicht hast du's geschafft, vielleicht auch nicht, irgendwann zu sagen, hey, wenn der dann doch nichts von mir wissen will, dann gibt es vielleicht auch noch andere Väter, die schöne Söhne haben. Und hattest das Selbstbewusstsein zu denken, ach, rutsch mir den Buckel runter!

Nadia Kailouli [00:07:10] Ja, also damit unsere Zuschauerinnen, Zuhörer:innen sorry, wir sind hier nicht beim Fernsehen, jetzt nicht irgendwie uns gar nicht mehr zuhören, weil sie nur noch die Frage beantwortet haben wollen, hat Nadja jetzt eigentlich den Typen noch auf ihrer Timeline und stalkt den die ganze Zeit? Nein, tut sie nicht. Aber nichtsdestotrotz, viele fühlen sich wahrscheinlich jetzt auch ein bisschen ertappt und denken sich, hm, das habe ich auch schon gemacht. Gut, dann hat man den Absprung geschafft, man hat sich dann für diese Person nicht mehr interessiert. Jetzt gehen wir aber mal einen Schritt weiter, weil es ist tatsächlich wirklich ein ernstes Thema, wenn es darüber hinaus geht, dass man sich nicht nur Bilder anschaut von jemandem, sondern wenn es dahin geht, dass Menschen tagtäglich im Stundentakt angeschrieben werden, belästigt werden. Wie sieht also Stalking, worüber wir heute ja sprechen wollen, im Detail aus?

Wolf Ortiz Müller [00:07:55] Was du beschreibst, ist ja das beziehungssuchende Stalking. Also da bist du diejenige, die gern mehr Kontakt haben will oder in eine Beziehung eintreten will mit jemandem, der eigentlich von dir gar nicht viel weiß womöglich. Und das Gros des Stalking, das sind die Expartner:innen-Stalker:innen, also Männer wie Frauen, Frauen stalken Frauen, Männer stalken Männer. Und natürlich stalken auch Frauen Männer in nicht zu knapper Anzahl. Und davon sprechen wir immer dann, wenn es eben irgendeine Form von Intimbeziehung gegeben hat. Das kann ein One Night Stand gewesen sein oder irgendeine kurze Affäre, irgendein Flirt, wo es zu romantischer Nähe gekommen ist, zu Sex gekommen ist. Dann entsteht eben häufig dieses Missverständnis: Wer will was von mir? Also war es einfach für beide okay, eine nette Nacht miteinander verbracht zu haben? Oder ist bei der einen Person dann doch viel mehr entstanden an Zuneigung, an Sehnsucht, an romantischen Gefühlen als bei der anderen? Der dann ganz abgeklärt ist zu sagen, wir waren eigentlich nur auf einem One Night Stand verabredet, war von vornherein klar. Also aus dieser Diskrepanz von Erwartungen und Wünschen und Sehnsüchten entsteht dann dieses Expartner-Stalking, wo sich dann eine Person eben zurückgewiesen fühlt, wo ja schon Nähe entstanden war und wo dann eine Kränkung einsetzt. Und dann vielleicht dieses Typische: Ich hab da aber noch ein Koffer bei dir in der Wohnung. Ich habe da noch ein Recht drauf. Ich will noch etwas wissen. Und Sie ringen darum, zunächst mal die Person wieder doch zurückzugewinnen, also sagen, hey, das kann doch nicht alles gewesen sein. Oder aber es kippt dann um in Ärger.

Nadia Kailouli [00:09:54] Jetzt beschreibst du ja eine Situation, die wahrscheinlich viele auch kennen. Ja, man hatte ein beziehungsähnliches Verhältnis, oder überhaupt ein Verhältnis mit einem Menschen und das, was man für jemanden gefühlt hat, wird nicht erwidert. Und man geht dann eben in diese Mechanismen rein, dass man viel schreibt, dass man anruft. Aber das hat ja in der Extreme fast keine Grenzen. Was ist dir im Laufe der Zeit deiner Arbeit so widerfahren? Woran kann man festmachen, okay, da überschreiten Menschen dann die Grenze und werden zum Stalker oder zur Stalkerin.

Wolf Ortiz Müller [00:10:27] Das hat natürlich was zu tun mit der Zeitdimension. Wie lang gibt es ein bestimmtes Verhalten und in welcher Intensität gibt es ein bestimmtes Verhalten? Und überhaupt, was für ein Verhalten ist es? Also ich glaube, es ist relativ normal nach einer Trennung, einer Beziehung, die vielleicht Monate oder Jahre gedauert hat, dass man nicht nach zwei Wochen sagt: Okay, ich wünsche dir alles Gute für dein weiteres Leben, gehab dich wohl. So. Sondern dass man da noch drum ringt und dass man da noch irgendwie dran bleiben will und dass man da noch Fragen hat und das verstehen will. So. Das ist diese zeitliche Dimension, wo ich sagen würde, wenn das aber etliche Wochen anhält und wenn die andere Person schon ein klares Stoppzeichen gesetzt hat, dann wird eine Grenze zum Stalking überschritten. Die wird natürlich auch schon überschritten, wenn ich praktisch die andere Person belagere, also Tag und Nacht vor der Tür steh oder jeden Tag hunderte von Nachrichten absondere, um in irgendeiner Art und Weise auf mich aufmerksam zu machen. Dann kann das schon sehr schnell ein Stalking-Charakter haben.

Nadia Kailouli [00:11:29] Bleiben wir mal kurz bei beim Stalker, bei der Stalkerin. Kann man so ein Verhalten psychologisch erklären? Also jeder hat es vielleicht ja oder viele haben das wahrscheinlich schon erlebt, ich habe das auch schon erlebt, dass mir dann jemand nicht aufgehört hat, ewig lange Nachrichten zu schreiben, wo ich mich angefangen habe, eben schlecht zu fühlen. So nach dem Motto: Oh, hätte ich mich vielleicht noch mal mit dem getroffen. Mein Gott, er wollte eigentlich nur Kaffeetrinken. Und dann fühlt man sich selber so schlecht. Ist das psychologisch zu erklären, welche Mechanismen dann dieser Mensch eingeht, damit der Gestalkte sich so fühlt?

Wolf Ortiz Müller [00:12:01] Ich glaube, das ist so diese Ebene, man erträumt sich was. Dann entsprichst du vielleicht irgendeinem Wunschbild, und der projiziert in dich alles Schöne hinein. Sein ganzes Leben, was vielleicht sonst sehr bescheiden verläuft, würde an Glanz gewinnen, wenn es ihm gelingen würde, mit Nadia zusammen zu sein oder den Austausch zu haben, in dem Maß, wie du dann vielleicht sogar ein Promi bist, kriegt das noch mal einen eigenen Charakter, als wenn du jemand wärst, wie auch immer, die Blumenverkäuferin an der Ecke. Und dann kann man und da wird es jetzt richtig psychologisch und das weiß ich immer nicht, ob das gut nachvollziehbar ist. Im Grunde genommen erlebt der Stalker, als würde er selbst gestalkt, weil er hat dann das Bild von Nadia im Kopf und kriegt das Bild von Nadia nicht mehr raus. Also er wacht auf, subjektiv, und hat morgens schon Nadia im Kopf. Oder Fritzi oder Gerlinde natürlich, um das so zu sagen. Und dann ist er dauernd innerlich damit beschäftigt. Was macht sie? Was denkt sie über das letzte Date? Warum ist sie jetzt so spröde? Warum weist sie mich zurück? Wieso liegt das an mir? Habe ich was falsch gemacht?

Nadia Kailouli [00:13:26] Also entwickelt sich eine Art Besessenheit?

Wolf Ortiz Müller [00:13:28] Ja, eine Obsession. Eine Idée Fixe, wie Idefix bei Asterix und Obelix. Also ein inneres sozusagen Zwangsgefühls-Gemengelage. Ich muss unbedingt da ran, darüber was rauskriegen und ich brauch den den Kontakt. Als wäre sozusagen der Kontakt das Lebenselixier, was die Person dann nur noch lebendig und aktiv hält.

Nadia Kailouli [00:13:56] Jetzt sprechen wir gerade aus der Sicht des Stalkers der Stalkerin. Aber wir müssen natürlich auf jeden Fall oder in erster Linie auf die Menschen schauen, die betroffen sind, die gestalkt werden. Was macht das mit Menschen, wenn sie oder – fangen wir mal ganz woanders an – wie verhalte ich mich denn? Man weiß ja gar nicht wie. Antworte ich? Antworte ich nicht? Gehe ich ran? Gehe ich nicht ran? Öffne ich die Tür? Treffe ich mich noch mal? Was ist das richtige Verhalten, wenn man merkt, da ist ein Mensch, der lässt mich nicht mehr in Ruhe?

Wolf Ortiz Müller [00:14:26] Das richtige Verhalten ist einerseits eine klare Grenze zu setzen und das fällt vielen nicht leicht. Und das kennen wir alle, dass man sich nach Beziehungen vielleicht doch noch mal denkt, ja, man trinkt noch mal einen Kaffee, man beantwortet nochmal eine Frage oder auch noch mal ein Rest eigener Zuneigungsgefühle aufploppt und man dann doch irgendwie wieder nicht so ganz eindeutig sein kann. Deswegen ist das Arbeiten auch an der Eindeutigkeit zu sagen: Jetzt ist wirklich Schluss. Und egal was du sagst, egal was du wissen willst, ich geb dir zu verstehen, ich werde auf keine Kontaktversuche mehr irgendwie eingehen. Das ist eine wichtige, klare Botschaft, die, die stalkende Person erfahren muss. Und dann muss man dabei bleiben. Und das ist so schwer, weil wenn man dann quengelnde, jammernde oder auch bösartige Nachrichten kriegt und die ja auch etwas mit einem machen, dass man dann nicht in Mitleid verfällt oder nicht wütend wird und schreibt, du Idiot, jetzt hör endlich auf und gib mal Ruhe.

Nadia Kailouli [00:15:32] Das ist super schwierig. Also, ich versuche mir vorzustellen, man möchte ja dann, man möchte ja irgendwie Chef seines selbst bleiben und dann Grenzen aufweisen. Ich möchte jetzt nicht antworten oder hör auf mir das zu schreiben oder sich auch wehren. Da kommen ja bestimmt dann auch Sätze, die einen treffen, die einen beleidigen und man möchte ja das Recht für sich behalten zu sagen, So, bis hierhin und nicht weiter. Und das kommuniziere ich jetzt auch. Ist das in so einem Fall angebracht?

Wolf Ortiz Müller [00:15:57] Im Grunde genommen sollte man nach dieser einen klaren Ansage aufhören, weil alles was dann noch kommt, das ist wie ein Andocken können an dir an der anderen Person. Das ist wie, ich vergleich das manchmal wie eine Tentakel, die jemand irgendwie so ausschickt, und wenn er irgendwie wieder irgendwas zu fassen kriegt, dann fühlt er sich ermutigt, weiterzumachen. Wenn er fünfzigmal frustriert Nachrichten schreibt und beim 51. Mal kommt: Jetzt hör auf, Idiot! Dann denkt er: Hey! Sie hat geantwortet. Ah, sie nimmt mich doch noch wahr. Die große Angst der Stalker ist ja, dass sie quasi in die Bedeutungslosigkeit zurück versinken. Und dann ist es schon auch oft so, dass sie irgendwann merken, hey, da ist kein Blumentopf mehr zu gewinnen, ich muss mich doch anders umgucken. Aber wenn, dann immer wieder doch tröpfchenweise was kommt, die Psychologen nennen das intermittierende Verstärkung, also nicht, wenn man jedes Mal auf eine Aktion eine Reaktion kriegt, sondern nur ganz selten eine Reaktion, dann macht einen das im psychischen Erleben, bindet einen das viel stärker an den anderen.

Nadia Kailouli [00:17:15] Also wenn wir das jetzt noch mal so ganz grob zusammenfassen können oder in einem Satz: Eigentlich muss man ziemlich, ziemlich stark sein, ja, und nicht schwach werden, weil dieser Mensch hat ja einem wahrscheinlich auch mal was bedeutet, sei es nur für diese eine Nacht oder längerfristig. Aber am besten ist einem dann geholfen, wenn wir jetzt Zuhörerinnen und Zuhörer haben, die das vielleicht gerade so erleben, dass man tatsächlich dann stark sein muss und sich selber sagen muss, ich antworte jetzt nicht, so schwer es mir fällt. Das ist am besten, das ist dein Rat?

Wolf Ortiz Müller [00:17:48] Das ist genau mein Rat, dann nicht mehr zu antworten und dann aber auch gerne natürlich eine Stalking-Beratungsstelle aufzusuchen, wo man sich darüber austauschen kann, wo man dann auch gucken kann, ist das vielleicht gefährlich? Habe ich Schutzmöglichkeiten? Worauf muss ich achten? Worauf muss ich achten in meinem Auftritt im Internet, damit ich nicht unwissentlich und unwillentlich dem immer noch mehr Material zur Verfügung stelle, um weiter um mich herum kreiseln zu können wie ein Satellit um einen Fixstern?

Nadia Kailouli [00:18:22] Wenn sich jetzt unsere Zuhörer:innen fragen, warum soll ich denn auf den Rat von Wolf hören? Das können wir ganz gut erklären, denn 2008 hast du Stopp Stalking Berlin gegründet. Wie bist du dazu gekommen?

Wolf Ortiz Müller [00:18:35] Also ich hatte tatsächlich mal vorher im Berliner Krisen Dienst gearbeitet und da haben sich manchmal Menschen in Krisen an uns gewandt und ein Stalkingverhalten beschrieben, was damals noch gar nicht den Namen Stalking hatte. Ende der 90er Jahre gab es den Begriff noch gar nicht. Und die haben beschrieben, wie sie sich ungerecht behandelt fühlten von einem Lehrer an ihrer Schule im zweiten Bildungsweg und wie sie in einem inneren Rachefeldzug sozusagen gegen diesen Lehrer unterwegs waren. Und das ist so gemein, was der gemacht hat, der hat mein ganzes Leben versaut und das soll er büßen. So, und damit haben Sie angerufen, da haben wir gedacht: Was ist denn das? Ja, also was für eine Krise beschreiben da die Menschen? Wie ist jemand, der eigentlich verletzt ist oder ein Unrecht erlebt, subjektiv? Wie kann der so obsessiv zwanghaft über Monate dann diese Schule terrorisieren, wo dieser Lehrer war? Und da dachten wir, es gibt immer wieder neue Phänomene. Und das war die Zeit, wo dann viel über Gewaltschutzgesetz diskutiert wurde, wo neue Gesetze geschaffen wurden, wo man eigentlich die Privatsphäre noch mal ausgeweitet hat, also das, wo Menschen recht haben zu sagen, das ist meins und da hat niemand anderes einen Zutritt. Ja, und dann war das Gewaltschutzgesetz, was ein Annäherungsverbot festgelegt hat 2002, das war schon ein wichtiger Schritt. Und dann kam 2007 das Stalking-Gesetz. Und dann haben wir gesagt, da müssen wir jetzt ein zusätzliches Angebot machen, um in Kombination mit Polizei und Gerichten und Amtsanwaltschaft ein Angebot zu schaffen, um diese Menschen da denen zu helfen, aufzuhören.

Nadia Kailouli [00:20:31] Jetzt wissen wahrscheinlich viele nicht die, die sowohl betroffen sind oder auch selber Verhaltensweisen an sich erkennen, die stalkinggleich sind oder überhaupt wirklich Stalking sind, dass es so eine Anlaufstelle gibt. Können wir kurz übers Zahlen reden? Also mit wie viel Menschen hattet ihr oder habt ihr so im Schnitt zu tun?

Wolf Ortiz Müller [00:20:52] Wir hatten und wir haben jedes Jahr ungefähr 150 Menschen, die mit einer Stalking Problematik sich an uns wenden. Es gibt jedes Jahr knapp 2000 Strafanzeigen wegen Stalking in Berlin, in der Bundesrepublik ungefähr 20.000 aber längst nicht alle Betroffenen zeigen auch den Täter oder die Täterin an, weil die ihnen ja auch noch leidtun und so weiter. Es gibt viel mehr Menschen als diejenigen, die in der polizeilichen Kriminalstatistik auffällig werden. Nennen wir 150 Stalkende. Manche, die als Selbstmelder, so nennen wir sie, zu uns kommen, weil sie selber merken: Ich kenne mich gar nicht mehr. So was habe ich noch nie gemacht, das ist mir selber nicht geheuer. Ich brauche Unterstützung. Und andere, die werden geschickt von ihren Rechtsanwälten oder die Polizei gibt ihnen Flyer von uns mit. Oder Freunde machen Sie darauf aufmerksam, ey das ist Stalking, was du machst. Ja. Und dann sind wir so ein bisschen so eine Clearingstelle, so ein Check-up. Ist das schon Stalking, was ich mache oder nicht?

Nadia Kailouli [00:21:58] Jetzt sprichst du die an, die sich selber melden. Das ist ja fast wie sich selber anzeigen. Ist es eine Straftat oder ist das eine psychische Störung? Was ist Stalking?

Wolf Ortiz Müller [00:22:09] Die alte Frage mad or bad. Also Stalking ist im Zwischenbereich. Ich sag immer, es ist ein Straftatbestand und jeder Stalker, jede Stalkerin ist selber dafür verantwortlich, das zu tun oder das zu lassen. Und es gibt nur eine winzige Minderheit von Menschen, die unter einem wirklichen psychopathologischen Wahn leiden. Die vielleicht im Zuge ihres Wahns, da könnte, Gott hat uns füreinander bestimmt und deswegen muss ich diesem Menschen nahekommen. Wenn es in die Richtung geht, hat jemand vielleicht so viel Realitätsbezug verloren, dass er auch für sein Verhalten nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann? 99 % dessen, was uns begegnet in der Beratungsstelle, sind Menschen, die leiden ja auch als Stalker subjektiv, aber sie sind trotzdem in die Verantwortung zu nehmen und können sich nicht darauf zurückziehen, ich leide unter diesem Stalking-Syndrom und da kann ich gar nichts für.

Nadia Kailouli [00:23:17] Jetzt würde ich gerne da anknüpfen, weil du eben gesagt hast, es gibt die Menschen, die sich bei dir melden, die sagen, ich erkenne mich nicht wieder. Was sagt man dem denn dann?

Wolf Ortiz Müller [00:23:25] Ja, das ist total spannend zu gucken, wie kommt es, dass gerade die Person so etwas in ihm auslöst? Warum konnten Sie früher in anderen Beziehungen sich gut trennen oder auch nicht? Oder sind Sie ein serieller Stalker? Geht es ihnen eigentlich immer wieder so, dass Sie dann nicht los kommen? Und dann steigt man in die Biografie ein Stückweit ein, versucht zu verstehen, welche Ängste das sind. Ganz häufig sind die Menschen sehr kränkbar, ganz häufig sind die Menschen, haben große Bindungsproblematiken, auch zu vertrauen, dass eine andere Person sie wirklich aus freien Stücken liebt oder aus freien Stücken mit ihnen zusammenbleiben will. Und dann fangen sie an, die zu kontrollieren. Und dieses kontrollieren, das löst ganz häufig dann eine Distanzierung bei der kontrollierten Person aus. Und das macht natürlich mehr Angst der stalkenden, kontrollierenden Person. Und dann entsteht ein fataler Kreislauf. Ja, und solche Themen, wenn man das mit den Menschen erörtert und darauf kommt eigentlich, dass es da vielleicht auch manchmal frühe Verlusterfahrungen, Trennungssituationen für sie gab und dass sie deswegen immer zum Klammern neigen, dann verstehen Sie schon ein bisschen mehr von sich selbst.

Nadia Kailouli [00:24:45] Wie groß ist die Gefahr, dass man das nicht los bekommt, dass man sich immer wieder in seinen Verhaltensmustern wiederholt? Oder. kriegt man das aufgedröselt, wenn man einmal den Weg geschafft hat, sich damit wirklich auseinanderzusetzen und sich dann auch, ich sage jetzt mal,zu outen?

Wolf Ortiz Müller [00:25:01] Wenn man nicht dran arbeitet, ist die Gefahr groß, dass man immer wieder in alte Verhaltensmuster reinfällt. Wenn man sich mal dem gestellt hat und in sich selber einen Zugang zu dem Anteil kriegt, zu dem stalkenden Anteil. Das ist ja nicht der ganze Mensch, der ist vielleicht ein netter Kollege, ein guter Freund und so weiter. Aber ein Anteil der sucht so dringend diesen Kontakt oder der will unbedingt Rache nehmen. Wenn man da verstehen kann, was das ist, worum man da eigentlich ringt. Ist es um Würde und Anerkennung? Oder ist es, dass einem endlich mal jemand sagt: Ja, ich finde ich auch genauso toll oder was auch immer. Dann kann man viel eher auch schauen, wie kann ich das einschränken, wie kann ich das kontrollieren? Wie kann ich auch dahin kommen, eine Beziehung einzugehen, wo ich merkt, die ist auf Augenhöhe und die beruht auf Gegenseitigkeit?

Nadia Kailouli [00:26:03] Jetzt haben wir uns sehr auf den Täter oder die Täterin konzentriert. Aber vor allem wollen wir jetzt auf die Betroffenen schauen. Was macht das mit jemandem, wenn man es für sich selber feststellt, und das ist ja auch so fast schwarz auf weiß hat in seinen Verläufen, vor der Haustür etc.. Oh Gott, ich werde gestalkt. Da ist jemand, der ist besessen von mir. Was macht das mit einem?

Wolf Ortiz Müller [00:26:22] Das macht Angst. Das ist gruselig. Das ist unheimlich. Das löst natürlich auch ganz schnell ein starkes Kontrollverhalten aus. Das innere Alarmsystem springt an und ich guck morgens schon ängstlich auf das Smartphone. Sind schon wieder da neue WhatsApps oder Signals eingegangen? Ich guck vor der Haustür, links und rechts. Steht der da irgendwo? Ich fang an, mich dauernd in einem Alarmzustand zu befinden. Und das führt dann ganz häufig zu Schlaflosigkeit oder Schlafproblemen. Das führt zu einer Ängstlichkeit. Das führt auch zu Depressionen, dass man irgendwie seines Lebens nicht mehr froh wird, dass man nichts mehr wirklich genießen kann und dass man dann auch diese stalkende Person nicht mehr aus dem eigenen Kopf rauskriegt. Dass die, auch wenn der vielleicht in Anführungszeichen "nur" zehn Minuten am Tag tatsächlich mit irgendwelchen Nachrichten oder Aktionen bespielt oder drangsaliert, dann hat man den trotzdem von morgens bis abends immer wieder im Kopf. Und das ist furchtbar.

Nadia Kailouli [00:27:30] Ja. Was rätst du Menschen, die das erfahren? Also die uns jetzt vielleicht auch zuhören und sagen, da gibt es tatsächlich den oder diejenige, die schreibt mir seit Wochen und jetzt erst durch unser Gespräch erkennt, oh Gott, ja, ich werde gestalkt. Wie geht man damit am besten um? Viele denken ja wahrscheinlich, hört schon irgendwann wieder auf. Aber man hat genau diese Gefühle, die du beschreibst. Man steht morgens auf, man guckt erst mal, ist er vor meiner Tür oder ist sie vor meiner Tür? Entschuldigt bitte, ich bin immer bei ihm, aber ich meine natürlich beide Geschlechter. Es kann natürlich auf beiden Seiten passieren. Aber was ist da der richtige Umgang? Ab wann muss man handeln?

Wolf Ortiz Müller [00:28:05] Ja, es ist ja wie gesagt. Als erstes gut, diese Klarheit der Abgrenzung und dann ist es gut auch es zu dokumentieren. Also ein, sage ich mal, Stalking-Tagebuch zu führen, aufzuschreiben, wann kreuzt der oder die wo auf? Was ist die Aktion? Am besten auch, was löst das in mir aus? Mir wird mulmig. Ich habe Angst. Ich muss mich schützen. Wer hat es vielleicht gesehen? Wer kann es bezeugen? Kann ich ein Foto davon machen? Also wie kann ich es dokumentieren, dass ich möglichst genau belegen kann, für eine vielleicht notwendige Strafanzeige. Zu sagen, das sind die Beweise. Und dann ist es gut, eine Stalking-Beratungsstelle aufzusuchen und sich beraten zu lassen. Ist das schon ausreichend Material für eine Strafanzeige oder ist das vielleicht ein Stalker, den kratzen Strafanzeigen gar nicht? Oder geht es dann erst recht an die Decke? Oder legt noch eine Schippe drauf oder wird ganz richtig unangenehm? Das kann man schon mit der Erfahrung in unserer Beratungsstelle auch ein Stück weit profilieren, um was für ein Stalkingtypus handelt es sich und was sind die geeigneten Schutzmaßnahmen für eine betroffene Person?

Nadia Kailouli [00:29:23] Jetzt hattest du ja gerade schon beschrieben, was man machen soll. Viele hätten da überhaupt gar nicht dran gedacht, ein Tagebuch zu führen oder aufzuschreiben, wann wer wo war. Weil man will sich ja eigentlich damit überhaupt nicht beschäftigen. Das, was du ja gerade beschreibst, ist ja, sich sehr, sehr intensiv damit auseinanderzusetzen und damit zu beschäftigen. Was ist, wenn ich das alles nicht gemacht habe und dann gehe ich aber trotzdem zur Polizei und zeige eine Person an und kann es nicht beweisen?

Wolf Ortiz Müller [00:29:47] Dann hat man schlechte Karten juristisch, weil natürlich jemand, und darauf beruht unser Rechtssystem, kann nur verurteilt werden, wenn man Beweise hat für dessen Tun. Und das ist für viele Opfer tatsächlich, was du sagst, total schwer und unangenehm, das zu dokumentieren. Aber es ist auch für viele eigentlich etwas, wo sie aus der Ohnmacht herauskommen. Als sozusagen: So, jetzt sammel ich und wenn ich genug habe, dann bring ich den zur Anzeige. Und dann kann ich Anstrengungen darauf verwenden, dass er entweder nach dem Gewaltschutzgesetz ein Annäherungsverbot erhält, oder dass er nach dem Nachstellungsgesetz eine Strafe kriegt. Und da sind die Betroffenen, dann fühlen sie nicht mehr so ausgeliefert, weil sie wissen, wenn ich sammel und gut dokumentiere, nützt es mir. Und der Ärger, den ich vielleicht auf den Stalker empfinde, den äußere ich dann nicht in irgendeiner Aktion, dass ich bei dem selber den gegenstalke oder ihn anbrüllen, sondern dann greifen, wenn es gut läuft, die juristischen Instanzen und legen überhaupt erst mal fest, dass ich ein Opfer einer Straftat bin und dass der andere, der Täter, ein Beschuldigter, auch dann ein Täter einer Straftat ist.

Nadia Kailouli [00:31:11] Du beschäftigst dich jetzt seit 14 Jahren mit Stalkingfällen. Gibt es eine Geschichte, die dir bis heute in gleicher Kraft immer wieder ins Gedächtnis kommt?

Wolf Ortiz Müller [00:31:22] Eine Geschichte, an die ich immer wieder denk, ist die von einem Berliner Taxifahrer, der die Fußball WM 2006 mit dieser geliebten Frau in vollen Zügen genossen hat auf der Fanmeile unterm großen Stern. Und immer, wenn er in sein Taxi stieg, hatte er praktisch wieder die Bilder vor Augen, wie es damals doch so wunderbar und schön war. Und er konnte kaum durch die Stadt fahren, ohne an Flecken zu kommen, die er mit ihr in Verbindung brachte. Und er kam zu uns und war irgendwie zerknirscht, weil er wollte aufhören, er hatte das Gefühl, er kann es gar nicht. Und er hat dann selber sozusagen ein Stalkingtagebuch geschrieben. Wann hat er wie viel Stalkingduck? Hat sich beobachtet, hat rausgefunden, was besonders kritische Momente für ihn sind und hat dann im Verlauf von sechs, acht Wochen es ziemlich gut hingekriegt zu merken, ich gewinne sozusagen Kontrolle über mich und über meine Impulse zurück. Weil immer wenn er am großen Stern vorbeifuhr, dachte er, muss er wieder eine SMS schreiben. Ja, das war so wie ein, ich lass den Druck ab oder ich halt es ja nicht aus, so allein zu sein, ich muss dir noch mal sagen, so toll war es. Und der war auch besessen davon. Und es war sehr schön ihn dadrin zu begleiten, dass er gemerkt hat, er wird ruhiger, er kommt runter und er kriegt sein Leben wieder ganz gut auf die Reihe.

Nadia Kailouli [00:33:05] Was ich an unserem Gespräch heute toll finde, ist, dass wir zeigen, es gibt eine Anlaufstelle, aber für beide Seiten, also dass es eben diejenigen gibt, die sagen, okay, ich will so gar nicht sein, die können zu euch kommen. Und diejenigen, die sagen, ich habe das erlebt und das tut mir nicht gut und ich brauche Hilfe. Wolf Ortiz Müller, vielen Dank für das Gespräch.

Wolf Ortiz Müller [00:33:24] Ja, gerne Nadia.

Nadia Kailouli [00:33:28] Wieder ein super spannendes Gespräch, fand ich. Und eine Sache muss ich aber sagen beschäftigt mich noch, ist dieser Blick von Wolf auf die Betroffenen, die meinen, ach, der stalkt mich vielleicht gerade nicht aktiv. Aber wenn ich jetzt Fotos teile auf meinem Account, der jetzt zum Beispiel nicht privat eingestellt ist, das Restaurant, der Urlaub etc., dass Täter dann dieses Stalking weitermachen, indem sie ihn natürlich weiter verfolgen und sozusagen ein bisschen Futter bekommen, das fand ich so ein bisschen erschreckend, diesen Blick darauf noch mal zu bekommen. Aber was ich vor allem toll finde, ist, dass Stopp Stalking Berlin sich an beide Seiten wendet, an die Betroffenen und an die Täter. Also sie sind für beide Seiten da und beiden wird dort geholfen. An dieser Stelle möchte ich euch jetzt auch noch Danke sagen, dass ihr uns so treu zuhört und auch bei schwierigen Themen eben nicht abschaltet. Wir freuen uns daher sehr, wenn ihr uns abonniert und teilt. Und wenn ihr uns Feedback geben wollt, dann schreibt uns doch gerne. Die Mailadresse ist presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Stalking - das klingt für die meisten erstmal harmlos. Und die Anfänge von Stalking sind vielen von uns sicher sogar vertraut: Eine Person geht einem nicht mehr aus dem Kopf und man checkt vielleicht ein paar Mal zu oft, ob diese Person gerade online ist, etwas Neues gepostet hat oder ob irgendwo im Netz neue Fotos von ihr zu sehen sind. Und dann macht man das auf einmal häufiger. “Einen soften Übergang ins Stalking” nennt Wolf Ortiz-Müller das. Unangenehm für alle Beteiligten wird es, wenn man den Absprung nicht mehr schafft - und zum Stalker wird. 

Wolf Ortiz-Müller hat 2008 die Beratungsstelle “Stop Stalking” in Berlin gegründet. Dort berät er Stalking-Opfer - aber auch Täter*innen. 

In dieser Folge geht es deshalb um beide Seiten. Wir erfahren, was Stalking mit den Betroffenen macht und wie sie sich davor schützen können, aber auch, welche Folgen Stalking für den Stalker oder die Stalker*in haben kann. Ortiz-Müller erklärt, warum es nicht hilfreich ist, wenn man 50 Nachrichten seines Stalkers ignoriert, um dann auf die 51. mit einer wütenden Antwort zu reagieren, warum es sinnvoll ist, ein Stalking-Tagebuch zu führen und warum sich der Stalker oder die Stalkerin häufig selbst als Opfer fühlt. 

Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:

Wolf Ortiz-Müller leitet die Berliner Beratungsstelle Stop Stalking: https://www.stop-stalking-berlin.de/de/home/ 

Das Hilfetelefon ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben: https://www.hilfetelefon.de/ 

Die Einrichtungen der Opferhilfe beraten bundesweit Betroffene von Straftaten: https://www.hilfe-info.de/WebS/hilfeinfo/DE/HilfeUndBeratung/AnsprechpartnerUndBeratungsstellen/EinrichtungenOpferhilfe/EinrichtungenDerOpferhilfe_node.html 

Der Berliner Krisendienst bietet Hilfe in akuten Krisensituationen: https://www.berliner-krisendienst.de/ 

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung

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