
Mein Sohn hat eine Mitschülerin als „Schlampe” beschimpft, ich bin entsetzt. Was soll ich machen, Ulli Freund?
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[00:00:01.350] - Ulli Freund
Eltern können sich ihre Kinder schlecht als sexuelle Wesen vorstellen. Das ist ja auch nicht die angenehmste Vorstellung. Und umgekehrt ist es auch so: Auch Kinder mögen es eigentlich nicht, sich Eltern als sexuelle Wesen vorzustellen. Da gibt es ein Tabu auf eine Art. Das heißt, Eltern unterschätzen häufig, wie weit ihre Kinder sind, was die alle schon sich überlegen, worüber die mit ihren Peers reden, was die schon gesehen haben und auch, was sie wirklich schon interessiert.
[00:00:25.200] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:00:43.760] - Nadia Kailouli
Die Frau, die ihr gerade gehört habt, kennt ihr natürlich. Das ist unsere Präventionsexpertin Ulli Freund. Ulli ist Diplompädagogin, Referentin im Team der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und Spezialistin für alles rund um das Thema Erziehung. Sie kommt ab und an hier bei einbiszwei vorbei und beantwortet dann eure Fragen, die ihr uns über Insta oder per Mail geschickt habt. Da geht es sehr oft darum, wie man mit Kindern über sexuelle Gewalt sprechen kann und was man tut damit Kinder von Anfang an ein gutes Körpergefühl haben oder wie man reagiert, wenn Kinder untereinander übergriffig sind. All das wollt ihr von ihr wissen und sie ist heute hier. Herzlich willkommen, Ulli Freund.
[00:01:26.110] - Nadia Kailouli
Ich freue mich so sehr, dass du wieder da bist bei uns. Ulli Freund, grüß dich.
[00:01:29.430] - Ulli Freund
Ich freue mich auch. Hallo.
[00:01:30.980] - Nadia Kailouli
Ulli, wir haben wieder Fragen bekommen, die vor allem in deine Richtung gehen. Und wir haben auch direkt eine Frage bekommen auf die letzte Folge mit dir. Da gab es nämlich eine Rückmeldung, die ist ein bisschen länger. Ich trage das mal vor: "Hallo zusammen. Vielen Dank für euren überaus wertvollen Podcast, der mir sehr viel Hilfestellung zum Umgang im Beratungsbereich mit diesem Thema gibt." Ist ja schon mal gut. "In der letzten Folge mit Ulli Freund ist mir jedoch eine Sache aufgefallen, die mir schon in den Broschüren der UBSKM aufgestoßen ist. Die Aussage 'Jugendliche dürfen und sollen Sex haben.' Während das 'Dürfen' ja durchaus legitim im sachlichen und verantwortungsvollen Umgang mit der tatsächlichen gelebten Sexualität Jugendlicher ist, stört mich das zu gefügte 'Sollen' doch deutlich, denn es klingt geradezu nach einer Aufforderung zur Aktion und lässt alternativen persönlichen Einstellungen, die eher eine Zurückhaltung, wenn nicht gar Enthaltsamkeit vor der Ehe anstreben, aus welchen Gründen auch immer, keinen Raum. Von der Empfindung her wird hier eher ein nicht hilfreicher Druck auf die Jugendlichen ausgeübt, der dem Anliegen des Podcasts meiner Ansicht nach widerspricht. Vielleicht könnt ihr den Grund für diesen expliziten und in meinen Augen unnötigen Aufforderungssatz einmal näher beleuchten." Ulli.
[00:02:43.050] - Ulli Freund
Ja, sehr gerne. Ich finde die Kritik absolut berechtigt. Also ich denke, ich habe da unglücklich formuliert. Dieses "Dürfen und Sollen", das sagt man immer so schnell, aber gerade wenn es um Sexualität geht, ist das Sollen ein ganz schlechter Begriff. Also ich teile die Haltung der Person, die da reagiert hat: Jugendliche dürfen Sexualität leben, und zwar in dem Maß, wie sie es wünschen. Und wer sich erst mal dagegen entscheidet oder kleinere Schritte geht, ist völlig richtig. Also ich bin da absolut dabei und es tut mir eher leid, dass ich das so flapsig oder so, wie man es so dahin sagt, formuliert habe, würde ich auch so nicht mehr tun. Ich nehme das sehr ernst.
[00:03:18.770] - Nadia Kailouli
Das ist ja, siehst du, so einfach kann man hier noch Lösungen finden. Und da muss man jetzt einfach sagen, vielleicht ändert man das dann auch in der Broschüre einfach, nach dieser Aufregung, dass man sagt, dürfen alleine reicht ja. Aber ich glaube, um das jetzt auch noch mal klarzumachen: Die Aussage von dir oder überhaupt auch, wenn man sagt: "Jugendliche sollen ruhig Sex haben", da ist ja gar keine Druckmotivation dahinter. Also man sagt ja damit dann auch nicht, um das mal aus meiner Brille zu sagen: „Also ihr müsst."
[00:03:46.370] - Ulli Freund
Nein, keinesfalls. Also dürfen heißt, du darfst ja sagen, du darfst nein sagen, du darfst für dich entscheiden. Also Selbstbestimmung heißt, eben keinem Druck zu unterliegen, was angemessen ist, was gewollt ist, was gesellschaftlich gewollt ist, was in der Clique gewollt ist, in der Peer-Group, sondern genau darum geht es ja, auf sich zu hören, auf seine eigene Stimme und auf sein eigenes Tempo: Was will ich wirklich? Und was will ich nur, weil alle anderen das angeblich auch tun? Da gibt es ja unglaubliche Vorstellungen, wie viel, wie viel Sex unter Peers schon stattfindet. Die überschätzen das übrigens auch maßlos, weil damit wird auch angegeben. Nein, ich denke auch, wir sollten uns da sehr vorsichtig äußern im Sinne von: Du entscheidest, was du willst. Wichtig ist nur die Rahmung: Ab 14 gibt es so was wie sexuelle Selbstbestimmung und die gestaltest du nach deiner Entwicklung, nach deinem Temperament, nach deinen Überzeugungen, auch vielleicht religiösen Überzeugungen. Das ist alles legitim. Da würde ich eher zu raten.
[00:04:46.190] - Nadia Kailouli
Alles klar. Dann haben wir das doch, glaube ich, ganz gut beantwortet, diese Rückmeldung. Jetzt wollen wir mit dir gerne auf einen Bereich gucken, der auch oft in den Medien thematisiert wird, und zwar der sexuelle Missbrauch von Kindern, wenn es zum Beispiel um Pedo-Netzwerke geht. Da ist ja erst vor kurzem eins ausgehoben worden. Und das löst natürlich in der Gesellschaft viele Emotionen aus, wenn man sich denkt, die müssen einfach nur hinter Gittern und wie soll man denen denn helfen? Und alles, alles schlimm, zu Recht, klar. Und dahingehend kriegen wir natürlich auch immer wieder Fragen. Und eine Frage, die dabei sehr oft aufkommt, ist ganz grundsätzlich die Frage: Kann man Menschen, die Kinder missbrauchen, therapieren? Also wie stehst du dazu?
[00:05:27.770] - Ulli Freund
Man kann Angebote machen und die Frage ist, ob die Tatperson das annimmt, dieses Angebot, ob sie sozusagen sich ehrlich darauf einlässt und anfängt, an ihrem Verhalten zu arbeiten, an ihren Taten zu arbeiten und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Und das ist die Hauptaufgabe in Tätertherapien, Menschen dazu zu bringen, die Taten begangen haben, die nicht mehr kleinzureden, selber zu reflektieren, zu verstehen, was sie da eigentlich angerichtet haben. Menschen kommen ja nicht als Täter oder Täterin auf die Welt, sondern das sind Menschen, die in aller Regel auch erhebliche Defizite aufweisen, viele Belastungen in Kindheit und Jugend oft erlebt haben. Und die sexuelle Gewalt ist dann eben für den einen oder die andere, vor allem für den einen, auch ein Weg, um sozusagen noch mal in die Macht zu kommen. Um selber eben überlegen zu sein, um nicht mehr das kleine Würstchen zu sein. Denn mit Kindern ist man immer überlegen, hat man immer diese Machtposition. Und das zu verstehen, das ist die Möglichkeit der Therapie, zu verstehen und auch an den eigenen biografischen Themen zu arbeiten. Eine gute Therapie hört nicht auf bei der Tat, sondern setzt voraus, hier müssen wir auch die biografische Arbeit in den Mittelpunkt stellen, um dann schließlich in die Verantwortung für die Taten gehen zu können. Man spricht auch von dem sogenannten Verantwortungsabwehrsystem, was Täter und Täterinnen in sich aufgebaut haben. Das ist so ein Gemisch aus kognitiven Verzerrungen und Leugnungen. Die reden sich erst mal ein, sonst könnten sie die Taten ja gar nicht begehen. Wenn man sich einen Spiegel anguckt, man muss ja irgendwie vor sich bestehen. Und damit das klappt, muss jeder Täter, jede Täterin im Vorfeld eigene Hürden abbauen. Und das geht dann so, dass man sagt: „Das war doch gar nicht schlimm", oder „Ich habe das Kind doch nur in der Sexualität begleitet", oder „Die ist doch so klein, die erinnert sich gar nicht", oder "Eure Reaktion darauf ist eigentlich viel schlimmer als meine Taten." Also das, was das Kind im Nachgang erlebt. Also es gibt diesen Versuch, das für sich schönzureden. Und wenn das funktioniert, dann können auch Taten stattfinden. Und Therapie heißt, aufzuhören, sich das schönzureden, sich dem zu stellen, was man eigentlich getan hat. Und ein häufiges Setting ist dafür auch die Gruppentherapie, denn die anderen, die da sitzen, die wissen genau: „Du machst uns hier nichts vor." Also dieses Feedback aus Gleichgesinnten oder Menschen, die ursprünglich die gleichen Dinge getan haben, ist oft für die Täter und Täterinnen viel bewegender und kritischer, als dass wir was Therapeuten und Therapeutinnen können.
[00:08:01.300] - Nadia Kailouli
Daran anschließend hat uns die Frage erreicht, ob Täter auch immer gleich Pädophile sind.
[00:08:08.670] - Ulli Freund
Nein, nein, um Himmels willen. Also wir sprechen immer von pädosexuellen Taten oder pädophilen Taten, Weil ehrlich gesagt, Pädophilie ist ja kein glücklicher Begriff. Philie heißt ja Liebe. Und das ist zwar ein medizinischer Begriff, aber wir in den Sozialwissenschaften, wir sprechen immer von Pädosexualität. Weil hier geht es um Sexualität mit Kindern. Man bezeichnet alle Taten als pädosexuelle Taten, aber die Motivation der einzelnen Person ist entweder eben eine pädosexuelle Präferenzstörung, nämlich: "Ich stehe auf Kinder, ich begehre nur Kinder, ich bin fixiert auf das kindliche Körperschema, je nachdem, welches Alter ich bevorzuge, wo sozusagen meine Prägung liegt." Also das sind die einen, die wirklich auf Kinder gezielt sich orientieren, weil sie nur dann auch wirklich sexuelle Erfüllung finden können. Und die allermeisten sind aber Menschen wie du und ich. Das sind Menschen, die diese Störung nicht haben. Klar, die können irgendwas mit Kindern anfangen, aber die können durchaus auch mit Erwachsenen Sexualität leben. Und was mir sehr wichtig ist, ist es zu betonen: Das Pädosexuellsein sucht man sich nicht aus. Das ist etwas, was einen als Schicksal quasi begleitet. Etwas, was man möglicherweise nicht gut korrigieren kann. Das ist umstritten. Lässt sich da was therapieren an dieser Präferenzstörung oder nicht? Aber jedenfalls, solange es so ist, dass man mit dieser Störung, mit diesem Begehren lebt, hat man eine Entscheidung: Gehe ich dem nach und missbrauche Kinder, werde kriminell, verursache unendliches Leid oder bin ich bereit, mich zu kontrollieren, daran zu arbeiten, dass dieses Begehren in der Tat nicht umgesetzt gesetzt wird?
[00:09:45.920] - Nadia Kailouli
Ich glaube, das ist so der entscheidende Punkt, dass... Wie hast du es eben genannt?
[00:09:50.590] - Ulli Freund
Pädosexuelle Präferenzstörung
[00:09:54.460] - Nadia Kailouli
Genau, die diese Störung haben, dass sie eben nicht zu Tätern werden.
[00:09:57.240] - Ulli Freund
Ja, das erst mal für sich zu akzeptieren: "Ich habe dieses Problem." Und das ist für Menschen, die das merken, oft schon im jugendlichen Alter, eine furchtbare Erkenntnis, weil das heißt, ich kann ja keine gesellschaftlich akzeptierte Form der Sexualität leben. Ich kann ja auch mit niemandem darüber sprechen. Das ist eine so einsame Situation für Menschen mit diesem Hintergrund. Und deswegen ist es so wichtig, dass es für diese Leute auch Angebote gibt, dass sie lernen, sich gut zu kontrollieren, selbst wenn sie vielleicht erste Taten schon begangen haben – das, glaube ich, ist sehr oft der Fall –, dass sie aber dennoch sagen: „Damit geht es mir nicht gut. Ich will dieses Leid nicht auslösen. Ich will dafür nicht verantwortlich sein. Ich will mich verändern. Ich kann aber wahrscheinlich nicht mein Begehren verändern. Ich kann aber versuchen, mich auf Fantasien zu konzentrieren." Da bin ich nicht die Expertin für Tätertherapie, aber in diesem Projekt „Kein Täter werden" wird genau daran gearbeitet und in anderen Fachberatungsstellen, die mit Täterinnen und Täterinnen arbeiten, geht es genau auch darum.
[00:10:55.780] - Nadia Kailouli
Jetzt haben wir eine Frage bekommen, und zwar zu einem Wort. Das auch ich noch nie gehört, und zwar: "Hebephilie. Was ist das?" Ich habe es auch noch nicht gehört.
[00:11:05.830] - Ulli Freund
Hebepilie ist im Prinzip die Erweiterung der Pädophilie. Da geht es darum, dass man Jugendliche begehrt, das jugendliche Körperschema interessant findet, auf keinen Fall den ausgewachsenen, erwachsenen Körper von Mann oder Frau begehrt, sondern eben auf dieses noch nicht ganz Ausgereifte der Jugendlichen eine Fixierung hat. Also es gibt legale Wege, sage ich mal, diese sexuellen Wünsche umzusetzen, aber viele Wege sind eben nicht legal. Wenn ich eben der Lehrer dieses Jugendlichen bin, ist es nicht mehr legal. Wenn ich der Stiefvater bin, eben auch nicht. Oder wenn ich hier die sexuelle Unreife eines, weiß ich nicht, 15-Jährigen ausnutze, dann bin ich auch im Missbrauch. Also es ist schon ein sehr, sehr schmaler Grad der Legalität für Menschen mit dieser Störung. Und auch hier muss es im Endeffekt darum gehen, therapeutisch vor allem zu kontrollieren und möglicherweise zu gucken, wie kann dieses Begehren auf den jugendlichen Körper übertragen werden auf junge Erwachsene, möglicherweise die auch noch jugendlich wirken. Auch das wird versucht in Therapie.
[00:12:12.490] - Nadia Kailouli
Und gleichzeitig muss man ja auch sagen, dass auch wenn es da einen legalen Weg gibt, als viel ältere Person eine Liebesbeziehung zu einer viel jüngeren Person aufzubauen, muss man ja sagen, der Missbrauch liegt ja auch oft in der Manipulation. Das sind dann Jugendliche, es sind keine Kinder mehr, Jugendliche, die hatten oder haben schon sexuelle Erfahrungen und finden das ganz spannend und merken erst viel, viel später: „Oh, mit 15, 16, ich wollte das eigentlich gar nicht, aber der oder die, die war die ganze Zeit so nett." Und dasist ja auch eine Form von Missbrauch, diese Manipulation, um dann eben seine Bedürfnisse zu befriedigen und diesen jungen Menschen da in etwas reinlaufen zu lassen, was man gar nicht will. Also so würde ich das jetzt mal für mich auch ein bisschen verbuchen, oder?
[00:12:58.330] - Ulli Freund
Ja, auf jeden Fall. Also um diese Wünsche umzusetzen, muss die Person natürlich auch sich attraktiv machen für das Gegenüber, muss da auch ein Stück weit manipulieren, weil erst mal sind sehr viel ältere Menschen für Jugendliche nicht die erste Wahl. Und dann ist es eben oft so: „Ich habe ein großes Auto", oder „Ich mache tolle Geschenke. Ich bin eben immer für dich da. Ich bin der tolle erwachsene Freund, mit dem kannst du auch vor deinen Peers angeben und so." Also da wird schon manipuliert, da muss man sich nichts vormachen. Aber mal ehrlich, Auch unter Erwachsenen gibt es Manipulation in Liebesbeziehungen.
[00:13:32.890] - Nadia Kailouli
Absolut.
[00:13:33.820] - Ulli Freund
Ja. Und auch unter Erwachsenen ist es so, nicht alle Menschen begegnen sich in ihren Partnerschaften auf Augenhöhe und da kann der Gesetzgeber auch nicht in jedem Fall reingehen und will es auch nicht. Also ich sehe sehr die Probleme und ich bin ganz froh, dass es eben Missbrauchstatbestände bezüglich Jugendlicher gibt. Das ist eben sexuelle Unreife ausnutzen bei 14 bis 16-Jährigen. Das ist zum Beispiel auch, wenn ich meine, ich könnte meine Wünsche erfüllen, indem ich Geld zahle, also Prostitution betreibe, dann bin ich auch aber so was von im Strafgesetzbuch. Das ist verboten. Also Geld an Jugendliche für Sex oder andere geldwerte Vorteile zu verschaffen, das ist verboten. Zwangslagen auszunutzen, ist verboten. Wenn ich also eine jugendliche Trebegängerin zu mir nach Hause einlade, um ihr ein Bett anzubieten, aber gegen Gegenleistung, dann mache ich mich strafbar. Deswegen sage ich, da ist schon sehr viel rechtlich ausgeschlossen, aber es gibt einen schmalen Grad. Da, wo man jedenfalls nicht nachweisen kann, dass hier Geld bezahlt wurde, geldwerte Vorteile gegeben wurden, Unerfahrenheit ausgenutzt wurden, Zwangslagen nicht vorlagen, da kann es möglicherweise Situationen geben, die nicht strafrechtlich relevant sind. Und trotzdem, aus pädagogischer Sicht, als Mutter und Vater, würde ich alles dafür tun, dass mein jugendliches Kind keine Beziehung zu einem deutlich älteren Erwachsenen hat. Also das ist eher dann auch ein pädagogisches Problem.
[00:14:57.840] - Nadia Kailouli
Ich würde gerne jetzt mit dir zu dem Themenschwerpunkt kommen: Grenzüberschreitungen unter Kindern, also untereinander. Da hatten wir auch schon mal darüber gesprochen. Da hast du das gute Beispiel genannt: Man guckt zum Beispiel im Kindergarten oder in der Kita, wenn eine oder einer auf der Toilette ist, guckt man nicht unten drunter oder oben drüber. Das ist ja schon eine Form der Grenzüberschreitung untereinander. Sonja hat uns geschrieben, und zwar: „An der Grundschule meines Sohnes gab es einen Vorfall, bei dem zwei Jungs ein Mädchen festgehalten und gegen ihren Willen geküsst haben. Wie spreche ich mit ihm darüber, dass er so was nicht noch mal machen darf?"
[00:15:36.170] - Ulli Freund
Erst mal spreche ich gar nicht mit ihm, sondern spreche ich mit ihr. Das Mädchen, was hier diese sexuelle Gewalt erlitten hat durch zwei Jungen, also in einem erheblichen Machtgefälle, die braucht zuerst mal die Zuwendung der erwachsenen Bezugsperson, der Pädagogin oder der Mutter oder wer auch immer hier dabei ist. Die braucht Trost, die muss hören, dass die das nicht durften und dass man auf ihrer Seite steht und dass man heilfroh ist, dass das rausgekommen ist. Und dann muss dieses Kind auch merken: Die Erwachsenen kümmern sich, die machen jetzt was. Also dieses auf deine Seite sich stellen, heißt eben auch: „Ich kümmere mich um deinen Schutz." Und wie funktioniert der Schutz? Indem ich den übergriffigen Kindern, in dem Fall den beiden Jungen, eine sehr, sehr klare Ansage mache, aber übrigens getrennt. Jeder einzeln, damit nicht sozusagen: "zwei Verantwortliche ist nur noch die halbe Verantwortung", damit das nicht funktioniert. Also man spricht mit diesen Kindern, man begegnet ihn aber freundlich. Das ist total wichtig, dass man ihnen nicht den Kopf abbeißt. Sie müssen den Eindruck haben, dass einem an ihnen gelegen ist und dass einem daran gelegen ist, dass sie damit aufhören und dass man ihnen das zutraut. Aber dafür muss man erst mal sagen, dass das nicht geht und warum das nicht geht.
[00:16:49.710] - Nadia Kailouli
Könntest du das konkretisieren? Also wie soll man das sagen? Also mir fehlen gerade so die Worte, wie sage ich dem: "Das geht nicht. Du kannst nicht ein Mädchen küssen, was nicht geküsst werden will." Oder sagt man: "Du kannst ein Mädchen nicht festhalten und es dann küssen."? Also was ist da die richtige… ?
[00:17:07.100] - Ulli Freund
"Du hast dich über Grenzen hinweggesetzt. Sie wollte das nicht und das hast du daran gemerkt, dass du sie festhalten musst, damit das überhaupt klappt. Das ist nicht erlaubt. Jedes Kind bestimmt selbst. Und wenn hier wirklich ein Mädchen dich mal küssen will, dann könnt ihr euch darauf einigen, dann macht er das gerne. Aber wenn die nicht will, dann kannst du das nicht einfach machen. Das ist nicht in Ordnung. Und nicht nur ich finde das nicht in Ordnung, sondern unsere Schulleitung zum Beispiel auch nicht. Hier in unserer Schule ist das nicht erlaubt." Also man muss schon sehr deutlich werden, auch ein bisschen streng, aber gleichzeitig eben auch freundlich. Das ist mir immer so wichtig, weil manchmal hat man so einen Zorn auf diese Kinder, die einem solchen Ärger auch machen. Man hat ja furchtbar Arbeit dann, wenn so ein Übergriff war und dann kriegen die das manchmal ab. Und ich finde, da muss man auch ein bisschen pädagogisch sein und auch seine eigene Erschütterung und Empörung im Griff behalten. Insbesondere, wenn man selber vielleicht als Kind oder Jugendliche solche Sachen erlebt hat, dass man dann nicht diesem Kind, dem heutigen Kind, das hier übergriffig war, die Verantwortung dafür auch noch gibt, unterschwellig. Da sind erhebliche Dynamiken im Spiel. Man muss sich schon im Griff haben und oft ist es auch gut, nicht sofort zu reagieren, sondern noch mal mit einem Kollegen zu sprechen, noch mal durchzuatmen und sich genau zu überlegen: Was will ich eigentlich von diesem Kind? Was will ich rüberbringen? Und wie gelingt es mir, ihr oder ihm, also in dem Fall ihm, zu vermitteln, dass damit aufhören muss und dass er das auch schafft. Was biete ich ihm an dafür? Manchmal ist es auch so, dass durch so eine ernste Ansprache, manche, gerade junge Kinder, ganz erschrocken reagieren und merken: „Hilfe, das war wirklich schlimm." Also allein an der Reaktion und an der Ernsthaftigkeit können die Kinder merken: „Oh..." Und denen ist das dann plötzlich ganz arg und dann sehen sie das ein und dann ist alles gut, weil dann machen sie es auch nicht mehr. Wenn diese erste Ansprache so Eindruck macht, dass die Kinder sich über sich selbst erschrecken und ihnen das auch leidtut am Ende. Das ist doch der beste Schutz für betroffene Kinder. Und wenn ich aber merke: "Ach nein, der gibt es nicht zu, oder der sagt: 'Nein, die hat doch angefangen und ich habe die gar nicht festgehalten, das war der andere.'" Also wenn die sich da rauswinden. Dann ist es eben wichtig zu sagen: „Weißt du was? Ich weiß, was ich gehört habe und das glaube ich auch. Und jetzt überlegen wir beide mal, wie du damit aufhören kannst." Also gar nicht so viel Raum geben für Ausreden und Ausflüchte, sondern sagen: „Nein, ich glaube dem Mädchen und deswegen musst du jetzt was verändern. Wie machst du das? Wie kannst du mich dazu bringen, dass ich dir vertraue, dass du damit aufhörst? Überleg dir mal was." Also man muss die Kinder auch in die Verantwortung nehmen.
[00:19:41.200] - Ulli Freund
Wir haben von einer anderen Hörerin oder einem Hörer – das weiß ich nicht – folgende Frage gestellt bekommen: "Mir wurde neulich mitgeteilt, dass mein Sohn, zwölf eine Mitschülerin in einem Chat beschimpft hat als "Schlampe". Ich bin entsetzt und finde so ein Verhalten absolut nicht in Ordnung. Ich habe das Gefühl, dass diese Schimpfwörter unter seinen Klassenkameraden aber schon fast normal sind. Wie kann ich ihm klar machen, dass sein Verhalten aber nicht okay ist?"
[00:20:10.360] - Ulli Freund
Also die eigene Entrüstung des Vaters – ein Vater war das, ja?
[00:20:16.510] - Ulli Freund
Das weiß ich nich, ein Vater oder Mutter.
[00:20:17.710] - Nadia Kailouli
Achso. Die eigene Entrüstung, die lässt sich meistens nicht so ganz zurückhalten. Und ehrlich gesagt, es ist ja auch zum Entrüsten. Es ist ja auch furchtbar, wenn ich merke, mein eigenes Kind hat so ein Bild von einem Mädchen und wagt es, ihr das zu sagen. Also ich würde versuchen und ich würde dazu raten, die eigene Entrüstung ein bisschen zu reduzieren, aber schon sehr deutlich zu machen, dass ich das ablehne, so ein Bild von Mädchen zu verbreiten. Und ich würde ihn natürlich auch fragen: "Was ist denn für dich eine Schlampe? Was bedeutet das denn? Ist dir eigentlich klar, dass du darüber sprichst, dass sie ehrenlos ist, dass sie wertlos ist?"
[00:20:56.980] - Nadia Kailouli
Also das Wort mal erklären, was das bedeutet.
[00:20:59.180] - Ulli Freund
Also nicht unbedingt: „Sag mir doch mal, was eine Schlampe ist." Das ist dann auch oft so ein bisschen provokant, den Kindern gegenüber. Aber sagen: „Ist es dir eigentlich klar? Ich vermute, du weißt gar nicht wirklich, was du da eigentlich schwerwiegendes gesagt hast." Und dann würde ich eben sagen: „Du musst damit aufhören, das möchte ich nicht mehr erleben." Und ich würde aber auf jeden Fall mit der Schule sprechen, denn wenn in der Klasse das normal ist, dass die zwölfjährigen Jungs so über Mädchen reden, ob nun analog oder digital, ist völlig wurscht, dann hat auch die Klassenleitung eine Aufgabe, mit den Kindern über ihr Sozialverhalten zu sprechen, also mit denen, die da beleidigen. Und es wird am Ende auch darum gehen, die Kinder, die Jungen, für Empathie zu gewinnen, also dass sie sich mal vorstellen, wenn ihre Person so in den Dreck getreten würde, wie es ihnen eigentlich ginge und dass man als Schule, als Klasse, auch immer, also als Schule immer auch dafür sorgen wird, dass ihnen nicht Entsprechendes passiert. Also dass sie auch geschützt würden, wenn sie als beispielsweise Hurensohn beschimpft werden, dass auch das nicht geht. Dass beide Geschlechter oder alle Geschlechter ein Recht darauf haben, nicht gedemütigt zu werden. Da muss man dran arbeiten. Das ist eine richtige pädagogische Aufgabe.
[00:22:08.200] - Nadia Kailouli
Aber da geht es ja im Allgemeinen dann um Schimpfwörter, der Umgang mit Schimpfwörtern. Also unterbindet man die konsequent, dass man sagt: „Hier, weder bei uns noch in der Schule noch mit deinen Mitschülerinnen und Mitschülern, möchte ich, dass du diese Worte in den Mund nimmst, weil die verletzend sind, jemanden runter machen und und und."? Oder wie ist dann der Umgang? Weil wir kennen es alle noch aus unserer Jugend, irgendwie Schimpfwörter kommen spätestens dann in der Schule, in der Grundschule oder so auf den Tisch und man nimmt sie halt leichtfertig den Mund, weiß oft ja gar nicht, was sie bedeuten. Also ich habe lange nicht verstanden, was der Hintergrund von, weiß ich nicht, Schlampe oder Hurensohn eben ist, bis man dann verstanden hat… Also ich kann mich sogar noch erinnern tatsächlich, wie einmal jemand in der Schule zu meinem Bruder gesagt hat: „Du bist der Sohn einer Hure." Also um das selber, das ist ja dann noch mal nur noch ein Schimpfwort, sondern dann wird es ja ganz konkret beleidigend. Wie geht man damit um Jugendliche und Schimpfwörter, wenn man zu Hause merkt: „Ey, was für eine Sprache spricht da mein Kind?"
[00:23:07.280] - Ulli Freund
Na ja, man muss ehrlich bleiben: Schimpfwörter sind keine neuen Entwicklung. Das gab es immer. Die Sexualisierung von Schimpfwörtern, würde ich sagen, die hat durchaus zugenommen. Also es ist eine sexuelle Übergriffigkeit im verbalen Bereich. Und auf jeden Fall würde ich dafür sorgen, dass die Sexualität als Abwertungsbereich ausgeschlossen wird. Also da wäre ich sehr, sehr klar. Über sexuelle Themen darfst du anderen nicht beleidigen. Du darfst eigentlich sowieso niemand beleidigen. Also Thema gewaltfreie Kommunikation: Wie sage ich jemandem, wenn ich mich über ihn ärgere? Oder wenn ich Probleme mit jemand habe? Wie kriege ich das hin? Auch das ist Aufgabe von Pädagogik. Aber ich würde sagen, und bei der Sexualität hört der Spaß definitiv auf. Das ist ein Bereich, der ist dafür da, damit Menschen sich wohlfühlen, damit sie tolle Erfahrungen machen, damit es ihnen gut geht mit sich und ihrem Körper und mit einem Kontakt mit anderen. Und das erlauben wir nicht Herz … Also das dürft ihr nicht nehmen, anderen so eine Demütigung zuzufügen. Das geht nicht. Und es ist ja auch so: Diese Schimpfwörter tun mehr weh, als zu sagen „Du Depp. Es ist einfach viel, viel stärker.
[00:24:14.980] - Nadia Kailouli
Andrea hat geschrieben, und zwar: „Meine Tochter, 13, trifft sich seit ein paar Wochen mit einem 17-Jährigen. Ich weiß, dass sexuelle Handlungen dann nicht erlaubt sind. Ich schätze meine Tochter auch so ein, dass sie da noch nicht so weit ist. Ich will ihr den Kontakt aber auch nicht einfach verbieten. Ich glaube, das bringt nichts. Habt ihr eine Idee, wie ich damit am besten umgehen kann?"
[00:24:36.990] - Ulli Freund
Ja, es ist verboten, aber warum ist es verboten? Das ist ja die Frage: Was steht eigentlich dahinter? Warum gibt es dieses Verbot? Ein Verbot allein muss einen ja nicht wirklich kümmern. Aber es gibt ja einen Grund dafür, dass es verboten ist, weil man nämlich davon ausgeht, dass Jugendliche mit 13 Jahren einfach noch nicht so weit sind, mental, kognitiv, dass sie sexuelle Handlungen aus der Erwachsenenwelt schon so umsetzen könnten, dass es ihnen nicht schadet. Sie können nicht einschätzen, worauf lasse ich mich da ein? Was passiert da mit mir, mit meiner Psyche, mit meinem Körper? Und da hat der Gesetzgeber eben diese Schallgrenze von 14 eingebaut. Das heißt aber nicht, dass man mit 14 unbedingt dafür reif ist. Was kann sie mit ihrer Tochter machen? Sie kann ihr sagen: „Schwärmen und begehren und vielleicht auch schon Küssen, das ist etwas, was vielleicht naheliegend ist. Mach langsam, guck auf dich und dein Tempo. Lass dir nicht von einem der 17 ist, vier Jahre weiter, deutlich weiter entwickelt, auch im sexuellen Bereich, das Tempo vorgeben. Und vor allem: Guck darauf, was du willst. Tu nichts ihm zu liebe." Ich glaube, ich würde eher darum werben, dass das Mädchen ihre Selbstbestimmung ausübt.
[00:25:46.190] - Nadia Kailouli
Ja, ich finde diesen Satz: "Ich schätze meine Tochter auch so ein, dass sie da noch nicht so weit ist." Da musste ich direkt an meine Schulkameradin denken, als sie mit 13 schwanger geworden ist, und es dachte auch niemand wirklich, also wenn man das jetzt mal so sagen darf, niemand dachte, dass ausgerechnet sie so weit istder und da dachte ich, liegt da nicht schon der Fehler, dass man sich denkt: „Bei meiner Tochter, da ist doch nichts", oder ob man da vielleicht schon…
[00:26:11.440] - Ulli Freund
Na ja, das ist ein Elternthema. Eltern können sich ihre Kinder schlecht als sexuelle Wesen vorstellen. Das ist ja auch nicht die angenehmste Vorstellung. Und umgekehrt ist es auch so: Auch Kinder mögen es eigentlich nicht, sich Eltern als sexuelle Wesen vorzustellen. Da gibt es ein Tabu auf eine Art. Das heißt, Eltern unterschätzen häufig, wie weit ihre Kinder sind, was die alle schon sich überlegen, worüber die mit ihren Peers reden, was die schon gesehen haben und auch, was sie wirklich schon interessiert. Da ist man doch noch sehr, sage ich mal, behütend unterwegs als Mutter oder Vater. Die meisten sind da behütend. Und ich finde es wichtig, dass man dranbleibt, dass man nicht sagt: „Okay, dieses Thema ist nichts mehr für mich. Die muss selber wissen, was sie macht." Deswegen finde ich das toll, dass die Mutter sich ihre Gedanken macht. Ich würde nur sagen, ob die Einschätzung so stimmt, das kann eigentlich nur das Mädchen sagen. Und ob sie es ihrer Mama sagt, wie weit sie ist, was sie sich vorstellt, was sie schon machen würde oder macht, das ist sehr zweifelhaft.
[00:27:07.650] - Nadia Kailouli
Also ist dein Rat an Andrea, die uns das ja geschrieben hat, eher offen, mit ihrer Tochter zu reden und ihr einfach nur zu sagen: „Hier, guckt, was dir guttut und bleib bei dir." Also in die Richtung, auf jeden Fall schon mit ihr reden.
[00:27:20.350] - Ulli Freund
"Ja und spür auch mal nach: Wie geht es dir damit? Fühlt sich das schön an oder entsteht eine Drucksituation?" Also das ist, glaube ich, für die allermeisten nicht klar, dass die ersten sexuellen Kontakte eben nicht nach Drehbuch laufen sollten, eben nicht so, wie man es in den Pornos gesehen hat oder wie andere Freundinnen erzählen, wie es eben sein muss. Es muss gar nichts. Das sind wir wieder bei der Anfangsfrage: Es muss gar nichts. Du bestimmst. Und wenn du was entschieden hast, wo du nachher merkst: „Das wollte ich jetzt doch nicht", dann machst du das eben auch nicht mehr und sagst: „Nein, das war jetzt doch nicht gut für mich." Also du kannst auch noch mal einen Schritt zurückgehen. Oder auch so was, dass man sagt: „Ja, vielleicht war eine Situation mal so, dass ich Dinge oder vielleicht mich schon auf etwas eingelassen habe, was in dem Moment okay war, aber ich möchte es nicht wiederholen. Das heißt, ich habe mich nicht dazu verpflichtet, auch in Zukunft das und das und das mit dir zu machen." Also dass es immer wieder eine neue Entscheidung ist.
[00:28:15.330] - Nadia Kailouli
Und würde es auch Sinn machen, sich mit dem Freund mal auszutauschen, der vier Jahre älter ist als die Tochter? Oder ist das ein No-Go, dass deine Mutter oder Vater mal mit dem 17-jährigen Freund, der dann mal zu Besuch kommt, sagt: „Hallo, wir sind ja heute verabredet und so. Ich hole sie jetzt ab", dass man sagt: „Komm, setz dich doch mal." Und ihm das auch so sagt? Macht das Sinn oder ist das… ?
[00:28:40.370] - Ulli Freund
Ich glaube, das Mädchen wird sich bedanken, wenn die Mutter den nur aufs Sofa bittet. Wenn sie natürlich das mit ihr vorher bespricht und sagt, würde es dir helfen, wenn ich mit ihm auch mal darüber rede, über das Thema Tempo und dass er berücksichtigen soll, bitte, dass du jung bist, dass er dich nicht unter Druck setzen möge und dass mir das total wichtig ist und dass ich ansonsten ihrer Verliebtheit überhaupt nicht im Wege stehen will. Also wenn das Mädchen sagt: „Ja, Mama, mach das, das wäre super, das unterstützt mich", dann kann sie es gerne machen. Aber ich finde, das könnte für das Mädchen extrem unangenehm und peinlich werden, von dem Jungen ganz zu schweigen. Der möchte auch nicht mit der fremden Mutter da über Sex reden. Aber das müsste er sich möglicherweise anhören, wenn die Mutter ihm in aller Freundlichkeit sagt: „Dir ist klar, meine Tochter ist 13. Erst mal, es ist tatsächlich nicht erlaubt. Du darfst tatsächlich, du machst dich strafbar. Das ist dir hoffentlich klar. Aber darum geht es mir eigentlich nicht. Mir geht es darum, dass du dein Alter nicht ausnutzt gegen sie, um zu Dingen zu kommen, die dir vielleicht schon sehr wichtig sind und ihr vielleicht noch nicht."
[00:29:40.310] - Nadia Kailouli
Okay. Und dann, du hattest ja eben gesagt, eigentlich ist es ja dann auch egal, ob man dann 14 ist und dass da nicht mehr strafbar ist. Man sollte dann trotzdem aber da offen drüber reden, weil auch eine 14-Jährige oder ein 14-Jähriger vielleicht noch gar nicht so weit ist oder Sachen einfach noch nicht möchte, auch wenn man das sagt, per Gesetz wäre es ab jetzt erlaubt, dass man da…
[00:30:02.710] - Ulli Freund
Es gibt so einen tollen Film aus Österreich zur sexuellen Aufklärung oder zur Sexualpädagogik für Jugendliche. Der heißt „Sex, we can" und in diesem Animationsfilm geht es eben auch darum, was eigentlich Jugendliche denken, was andere schon gemacht haben. Und das sind unglaubliche Zahlen. Ich kann sie leider nicht reproduzieren. Ich kann erst mal sagen, der Altersdurchschnitt für das sogenannte erste Mal liegt über 16. Aber die Jugendlichen denken alle: „Oh, die anderen haben das schon gemacht." Und wenn man sich diesen Film anguckt, dann sieht man mal, was das für ein unglaublicher Unterschied ist zwischen dem, was sie denken und wie es wirklich ist. Also auch darüber kann man mal sprechen. Übrigens diesen Film, den finde ich so cool. Den könnte man als Mutter seiner Tochter auch mal geben und sagen: „Hier, vielleicht ist nicht alles zwischen uns zu besprechen, aber den finde ich einfach total gut. Guck du doch auch mal."
[00:30:48.270] - Nadia Kailouli
Also „Sex, we can" aus Österreich.
[00:30:49.740] - Ulli Freund
"Sex, we can" aus Österreich, ja.
[00:30:51.140] - Nadia Kailouli
Das haben wir uns jetzt gemerkt. Jetzt kommen wir zu dem Thema Prävention im Kleinkindalter. Da haben wir schon öfter hier bei uns, bei einbiszwei, darüber gesprochen, dass man auch wirklich mit kleinen Kindern über das Thema Sexualität reden soll, darüber sprechen soll, was ist okay, was ist nicht okay. Und dazu hat uns auch Oskar eine Frage geschickt, und zwar: „Meine Tochter ist erst zwei. Ich möchte aber, dass sie so früh wie möglich einen Umgang mit ihrem Körper bekommt und auch selbstbewusst wird, anderen Grenzen zu setzen. Sie kommt ja bald in die Kita. Wie bekomme ich das hin?"
[00:31:26.360] - Ulli Freund
Ich stöhne so ein bisschen oder ich lächle auch ein bisschen, weil das sind ganz schön heere Wünsche, was man alles von seinen Kindern will. Jetzt mal ehrlich: Wer zwei Jahre alt ist und in eine altersgemischte Kita-Gruppe kommt, wird sich nicht gegen 5-Jährige zur Wehr setzen können. Punkt. Also das heißt, ich muss eigentlich hoffen, dass in der Kita das pädagogische Konzept so ist, dass die älteren Kinder, die Stärkeren, die, die schon länger da sind, die Grenzen der anderen achten, dass die Kinder das dort lernen, dass dieses Sozialverhalten dort ganz weit oben steht, gerade in altersgemischten Gruppen. Und ansonsten würde ich sagen, diese Selbstbestimmung, dieses sich abgrenzen dürfen, also wehren finde ich ja schon viel zu viel, aber sich abgrenzen dürfen, zu merken, was will ich und was will ich auch nicht, das kann er nur zu Hause üben mit seinem Kind. Also wie ist das denn, wenn er sich abends über das Bettchen beugt und ihr noch einen Kuss gibt? Mag sie das? Fragt er sie vielleicht mal vorher? Reagiert er eigentlich, wenn sie den Kopf wegzieht? Oder sagt er dann zu ihr: „Ich bin doch dein Papa. Ich darf doch." Nein, darf er nicht. Er muss gucken, ob es seinem Kind gefällt. Das muss man nicht immer verbal machen, aber man muss feinfühlig auf diese Reaktion von Kindern achten. Und wenn das für seine Tochter von Anfang an normal ist, dass ihr Papa und ihre Mama oder wer auch immer sie erzieht, dass die sie achten in ihrem Umgang mit ihrem Körper, dass sie eben nicht übergriffig sind – ich meine gar nicht sexuell, sondern körperlich übergriffig –, sondern eben ihre Selbstbestimmung von Anfang an fördern, also als Vorbild auch wirklich taugen, dann hat sie gute Chancen, wenn andere Kinder, dreijährig oder zweijährige, egal, ihr zu nahe kommen, dass sie dann sich auch bemerkbar macht.
[00:33:07.780] - Nadia Kailouli
Und sagt: "Das möchte ich nicht."
[00:33:09.070] - Ulli Freund
Weil sie es nämlich nicht gewohnt ist, dass man ihr zu nahe tritt. Ein Kind, dass es nicht gewohnt ist, dass seine Grenzen überschritten werden, hat es deutlich leichter, wenn es zu Grenzüberschreitungen oder zu viel Annäherung kommt, dann eben auch sich bemerkbar zu machen. Das heißt nicht immer ein klares „Stopp" und „Nein", was wir den Kindern ja immer beibringen, das finde ich fürchterlich.
[00:33:27.040] - Nadia Kailouli
Ja, echt? Ist das so?
[00:33:27.860] - Ulli Freund
Ja, das finde ich furchtbar, weil das sind so Codewörter, auf die reagieren die anderen aber oft gar nicht.
[00:33:33.520] - Nadia Kailouli
Nein, vor allem die eigenen Eltern dann auch nicht, weil sie das Stopp dann nur dann nehmen, wenn es gerade auch für sie okay ist, dass das Kind Stopp sagt.
[00:33:38.760] - Ulli Freund
Ich finde, Kita, Schule, die Aufgabe ist eigentlich eher: Wie können Kinder merken, dass ein anderes Kind was nicht will? Also mehr die Sensibilität beim Gegenüber zu schulen. Das fände ich interessant. Und nicht immer den Jüngeren, Schwächeren beizubringen, stärker zu werden, deutlicher Nein zu sagen, Stopp zu brüllen, die Hand hochzureißen, was da alles geübt wird. Ich denke, der Schwerpunkt muss darauf liegen: Wie merke ich, wo die Grenzen bei dem anderen Kind sind? Da fehlt mir ganz viel.
[00:34:06.660] - Nadia Kailouli
Aber bei dem Vater hört man ja heraus, der hat ja anscheinend wahnsinnige Angst, dass mit dem Weg in die Kita seine Tochter irgendwie was erlebt, was sie gar nicht erleben will und er will sie jetzt so gut es geht, Bootcamp-mäßig darauf vorbereiten: „Du kommst jetzt in die Kita und jetzt musst du hier Grenzen setzen." Da steckt ja auch eine Angst irgendwie dahinter, oder?
[00:34:24.350] - Ulli Freund
Ja und ehrlicherweise, da muss man dem Vater auch sagen: „Das Kind wird erleben, dass man ihm zu nahe tritt. Das wird gehauen werden, das wird vielleicht auch gebissen werden und ihm wird auch Sand in die Augen geworfen werden. Das passiert. Das ist völlig im Programm." Also wir können keine gewaltfreie Kindheit garantieren, auch nicht mit noch so selbstbewussten Kindern, sondern wir müssen den Kindern vermitteln: „Das darf keiner. Wenn jemand das gemacht hat, hat er was falsch gemacht. Du darfst Bescheid sagen und du wirst getröstet." Also es muss einen Raum geben, auch kindliche Gewalterfahrungen gut zu verarbeiten. Das ist das Entscheidende, dass die Gefühle von Kindern Platz haben, damit das, was eben im Alltag Tatsache passiert und was wir nicht alles verhindern können, eben einen Raum findet, sodass es integriert werden kann ins Leben.
[00:35:13.100] - Nadia Kailouli
Da habe ich sofort so ein Bild vom Spielplatz im Kopf. Man ist auf dem Spielplatz, man hat das oft genug mitbekommen, geht da mit den Freunden hin oder so und dann schubst das eine Kind das andere, was natürlich nicht okay war, das tut sich weh, es steht auf und es schubst zurück. Und dann kriegt das Kind, was aber als erstes geschubst worden ist, den Ärger von der Mutter. Und dann ist das Geschrei groß. Jetzt will ich eben fragen, so dieses, wie macht man das dann, diese Erziehung oder ernst nehmen? Lässt man Kinder zurückhauen, zum Beispiel? Lässt man sie reagieren und eine Antwort geben auf das, was denen passiert? "Ich mache das auch mit dir. Du hast mich nass gemacht. Ich mache dich auch nass."
[00:35:53.160] - Ulli Freund
Es kommt auf das Maß der Gewalt an. Also wenn ein Kind ein anderes irgendwie mit einer Spritzpistole anspritzt, dass das andere zurückspritzt, ja, bitte schön, das soll es bitte auch dürfen. Da möchte ich keine Eltern, die das unterbinden. Was mich oft stört, ist, dass Eltern denken, sie müssten ihre Kinder ermutigen, zurückzuschlagen. Also im Prinzip in den Kreislauf zu gehen, immer weiter, immer weiter. Wenn ein Kind sich wehrt, weil ihm so ist, dann sind die offenbar auf Augenhöhe. Also ein Kind wird geschubst, das andere, dann steht das auf und schubst es das andere Kind. Ja, ist von beiden falsch, ehrlich gesagt. Und müsste man beiden auch sagen: „Geht nicht, hört mal auf damit. Okay, du hast angefangen, aber du solltest auch nicht schubsen." Aber was ich wirklich als großes Problem sehe, ist, dass Eltern Kinder ermutigen und unterstützen und anfeuern, selber auch Gewalt auszuüben: "Lass dir nichts gefallen. Das hast du nicht nötig. Hau zurück." So, auf der einen Seite, wie gesagt, befördert das eine Gewaltspirale und geht eben nicht in die Gewaltfreiheit. Und zum anderen ist es so, dass Kinder, die Gewalt erleben durch andere Kinder, eben oft die Schwächeren sind. Und dann ist diese Ermutigung: „Hau zurück." Wo soll denn das Kind die Kraft hernehmen, den Mut hernehmen? Wenn der eine einen halben Kopf größer ist, dann traue ich mich doch nicht. Dann ist doch diese Aufforderung: „Hau zurück", eine Überforderung. Und wenn ich das als Kind dann gar nicht schaffe, dann habe ich das Gefühl, ich habe alles falsch gemacht. Dann bin ich selber schuld, wenn ich gehauen werde, weil ich mich ja nicht wehren kann. Für Schwäche ist man nicht schuld, für Schüchternheit ist man nicht schuld, für jünger sein ist man nicht schuld. Also es geht in die falsche Richtung. Ich finde, man sollte die Kirche im Dorf lassen, wenn Kinder mal zurückschubsen. Das ist dann eben mal so, aber man sollte das nicht befeuern.
[00:37:42.490] - Nadia Kailouli
Eine Hörerin hat uns geschrieben mit einer Frage zur Kita: „Meine Tochter ist gerade drei geworden und sie zieht sich immer wieder gerne aus, wenn wir Besuch haben auf dem Spielplatz, egal wo. Sie macht das auch in der Kita, auch vor anderen Kindern. Ich möchte ihr beibringen, dass es Situationen gibt, in denen das okay ist und andere, in denen das eben nicht okay ist. Wie gehe ich das am besten an, ohne ihr das Gefühl zu geben, dass ihr Körper etwas verbotenes ist?"
[00:38:09.020] - Ulli Freund
Ja, jetzt ist sie drei. Da hat die Mutter noch eine ganze Menge Zeit, um ihr das beizubringen. Das ist erst mal bei Dreijährigen ganz normal, sage ich mal. Manche machen das öfter, manche machen das weniger oft. Und das ist ein Prozess. Die Mutter muss dem Kind vermitteln: „In bestimmten Situation ziehst du die Hose nicht aus." Also wenn sie eben, weiß ich nicht, wenn die Großeltern kommen und sich da an den Kaffeetisch setzen oder aufs Sofa setzen und das Kind fängt schon mal an, sich die Hosen auszupulen, dann würde ich sagen: „Nein, die bleiben jetzt an." Das muss ich einfach ansagen: „Nein, lass die Hosen an. Wir wollen jetzt hier dich nicht nackig sehen. Das passt hier gerade nicht." Und wenn die aber in ihrem Kinderzimmer ist und mit anderen Kindern und die sich alle mal die Hosen ausziehen, kann ich gerade noch mal erinnern, die Regeln kennt ihr: "Hier wird keiner gezwungen. Alles klar. Wenn was ist, sagt mir Bescheid." Dann können die das doch machen. Da spricht doch nichts dagegen. Aber Kinder haben ja kein Schamgefühl. Also das ist nicht angeboren. Es muss man ihn nahebringen, peu a peu. Und das ist dieser Prozess eben, der sich durch die Kindergartenzeit vor allem zieht, dass Kinder irgendwann lernen, das mit dem Nackigsein, das andere angucken oder sich selber irgendwie am Genital anfassen. Das kann ich nicht immer und überall machen. Da muss ich einen geeigneten Ort finden. Und so bis zum Schuleintritt sollte das gelernt worden sein. Und ich hoffe sehr, dass die Mutter mit dieser Bemühung nicht alleine ist. Ich hoffe sehr, dass es da ein pädagogisches Team gibt in der Kita, die ein sexualpädagogisches Konzept haben, wo das genau drin steht. Schamerziehung gehört dazu, aber nicht mit der Brechstange, sondern langsam. Und wir können von den Fünfeinhalbjährigen deutlich mehr erwarten, als von den Dreijährigen.
[00:39:40.900] - Nadia Kailouli
Und das Gefühl, was man vermitteln muss, ist nicht, dass Nacktsein ist das Problem, sondern der Ort, wann bist du nackt? Das ist das Problem.
[00:39:48.450] - Ulli Freund
Ja, man kann ja auch Kindern sagen… Das ist ja häufig so ein Thema: Kann man im Schwimmbad die Kinder nackig herumlaufen lassen oder auf der Plansche dürfen die ohne Hosen gehen? Und wenn man sich dann als Eltern entscheidet: „Nein, das wollen wir nicht, wir wollen nicht, dass dieses Kind hier nackig ist", kann man aber so oder so entscheiden, dann kann man das dem Kind auch sagen: „Wir wollen nicht, dass dich andere blöd anglotzen. Es gibt Leute, die glotzen blöd." Das kann man doch sagen. Da muss man gar nichts von Gaffern erzählen und von Pädosexuellen, die die Kinder betrachten. Das ist nicht das Thema im Kontakt mit dem Kind. Aber ich kann sagen: „Du, ich will nicht, dass du deine Hose ausziehst, dann können welche auf dein Po gucken und manche gucken ganz gemein. Das will ich nicht."
[00:40:29.650] - Nadia Kailouli
Also Nackig sein immer und überall, das geht jetzt nun nicht. Aber das Problem bei ihr ist ja jetzt auch, zum Beispiel die Kita. Da sind ja hauptsächlich nur kleine Kinder.
[00:40:38.130] - Ulli Freund
Ja, na ja, aber gut, es gibt eben auch Hausmeister und es gibt auch technisches Personal und da gibt es auch mal eine Firma, die die Heizung repariert. Also die Kinder müssen wissen, wenn andere dabei sind, Erwachsene, oder wenn die Abholsituation ist, die Eltern kommen, die Großeltern kommen, holen die Kinder ab. Das ist nicht der richtige Moment, um sich nackig zu machen.
[00:40:54.210] - Nadia Kailouli
Und manche wollen das ja auch nicht. Also ich erinnere mich, zum Beispiel meine Eltern fanden das jetzt nicht toll, wenn ich nackig herumgelaufen bin, egal wo. Nackt sein war bei uns jetzt nicht so hoch im Kommen, zum Beispiel.
[00:41:02.830] - Ulli Freund
Ja, und deswegen finde ich es so wichtig, es gibt einen Unterschied, wie machen wir es zu Hause? Da hat jede Familie das Recht, es für sich zu gestalten, wie sie will. Da hat auch die Kita ihnen nicht reinzureden, finde ich. Und man muss auch Respekt haben vor diesen elterlichen Haltungen, aber umgekehrt darf man sich als Kita auch nicht von Eltern, sage ich mal, vorgeben lassen, individuell: "Dieses Kind darf sich ausziehen, jenes Kind darf sich nicht ausziehen. Achten Sie darauf, meiner lässt die Hose an beim Wasserrutschen im Garten." Also ich finde, das geht nicht. Also wenn ich ein Konzept habe, was auf dem Wissen über die frühkindliche Entwicklung basiert, dann weiß ich auch, manche Kinder lieben es, sich auch mal nackig zu zeigen. Und dann bin ich als Kita nicht die Person, also ich als Kitaerzieherin nicht die Person, die diesem Kind das verbietet, im Auftrag der Mutter oder des Vaters. Also die meisten Kinder, die mit diesem Verbot quasi in die Kita gehen: „Du lässt den Badeanzug an.", machen das auch, weil das nämlich sehr stark wirkt. Und das kann man dann auch nicht ändern. So ist es dann eben. Wir können die Kinder nicht zu ihrer Körperlichkeit erzwingen. Also das ist dann eben elterlich vorgegeben. Aber wenn ein Kind im Prinzip nur wartet, dass es in der Kita sich doch mal ausziehen kann, dann sollte die Erzieherin nicht das Verbot, was aus der Familie kommt, in der Kita umsetzen. Das ist meine Haltung. Ich würde immer sagen, das entscheidet das Kind. Das entscheidet das Kind und wenn sich das Kind an das elterliche Verbot halten möchte, dann ermuntere ich es nicht: „Na, zieh dir doch die Hose aus, die anderen machen es doch auch." Sondern ich lasse diese Entscheidung so stehen. Aber ich werde nicht sagen: „Du, du musst, glaube ich, die Hose anziehen. Mama mag das nicht." Das weiß das Kind sehr gut, was Mama nicht mag und wenn es selber riskiert, zu sagen: „Ich will das aber trotzdem ausprobieren", dann ist es sein Recht.
[00:42:51.460] - Nadia Kailouli
Ja, guter Hinweis.
[00:42:52.390] - Ulli Freund
Da habe ich in der Praxis schon die Erfahrung, dass da Kitas viele Sorgen haben, dass die Eltern ihnen aufs Dach steigen. Deswegen denke ich, ist immer wichtig, dass das Thema Selbstbestimmung in den Konzepten drin steht, dass eben nicht die Kinder animiert werden oder gezwungen werden zu irgendwelchen Erkundungspielen: "Jedes Kind entscheidet das selbst und wir geben einen Rahmen vor, der das Ganze sicher macht."
[00:43:14.430] - Nadia Kailouli
Top. Ulli Freund, vielen, vielen Dank. Ich freue mich schon auf die nächste Fragerunde mit dir.
[00:43:18.570] - Ulli Freund
Toll, vielen Dank.
[00:43:22.910] - Nadia Kailouli
Ja, das war doch wieder mal eine spannende Folge mit Ulli Freund, die ja tolle Antworten auf vor allem ja eure Fragen gegeben hat und an dieser Stelle auch mal vielen Dank für eure Fragen. Wenn ihr weitere habt, dann schickt sie uns gerne, denn Ulli Freund ist regelmäßig bei uns bei einbiszwei.
[00:43:37.710] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Mein Sohn hat neulich zu einem anderen Kind „Schlampe” gesagt. Ich finde das entsetzlich. Was soll ich machen? Oder: Meine Tochter ist 13 und trifft sich mit einem 17-Jährigen – das ist doch zu früh, oder? Solche Fragen bekommen wir von euch auf Instagram oder per Mail. Und wir haben eine Frau, die Antworten kennt: Unsere Präventionsexpertin Ulli Freund.
Ulli ist Diplom-Pädagogin, Referentin im Team der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und Spezialistin für alles rund um das Thema Erziehung. Sie kommt ab und an hier bei einbiszwei vorbei und beantwortet dann die Fragen, die ihr uns bei Instagram oder per Mail geschickt habt. Da geht es sehr oft darum, wie man mit Kindern über sexuelle Gewalt sprechen kann, was man tut, damit Kinder von Anfang an ein gutes Körpergefühl haben oder wie man reagiert, wenn Kinder untereinander übergriffig sind. All das wollt ihr von uns wissen – und Ulli kann es beantworten.

LINKSAMMLUNG
Die Filmreihe, die Ulli empfohlen hat: „Sex, we can?!” Die Filme informieren Jugendliche rund ums Thema Beziehung und Sexualität und wurden sexualpädagogisch vom Österreichischen Institut für Sexualpädagogik begleitet.
„Sex, we can?!” – Liebe, Sex, Verhütung und noch viel mehr
Informationen, wie du mit Kindern über Missbrauch sprechen kannst, gibt es in der #NichtWegschieben-Heftreihe:
Heftreihe „Nicht Wegschieben” zum Download
