
Warum lässt euch keine Ruhe, was damals im Internat in Mindelheim geschehen ist, Christian Fröhler und Andreas Ernstberger?
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[00:00:01.800] - Andreas Ernstberger
Bei mir war es auch ein Testritual, wo er mich aufs Zimmer geholt hat und gemeint hat: „Ich gebe dir jetzt eine Markt, wenn du dich ausziehst." Und ich habe dann erst bejaht: „Klar mache ich", weil ich dachte, das ist jetzt ein Witz.
[00:00:15.500] - Christian Fröhler
Die Aufklärung ging los im Jahr 2006. Da war der Täter noch Internatsleiter und da hat ein Erzieher, der eben mitbekommen hat, was da läuft - Und das waren Fälle, das ging dann eher Richtung Vergewaltigung -, der hat dann dafür gesorgt, dass sich einer von den Betroffenen dann an die Polizei wendet.
[00:00:34.560] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:00:57.580] - Nadia Kailouli
Schon in den 90er Jahren gibt es erste Hinweise auf konkrete Vorwürfe gegen den Leiter eines katholischen Internats in Mindelheim. Nach der Nachtruhe soll er Jungen in sein Zimmer gerufen, ihn in den Intimbereich gefasst und Alkohol gegeben haben. Alles, um zu testen, wie weit er gehen kann. Als sich die Vorwürfe dann 2007 bestätigen, passiert nichts. Der Mann wird einfach still und heimlich an eine andere Stelle versetzt. Es folgen drei Prozesse, jedes Mal Bewährungsstrafen. Um den Missbrauch nach mehr als 20 Jahren endlich aufzuarbeiten, gründen Betroffene schließlich einen Verein. Andreas und Christian, ehemalige Schüler am Internat und auch von sexuellen Übergriffen betroffen, sind heute Vorsitzende von „Wir sind Viele!" und erzählen, wieso das, was im Internat im Mindelheim geschah, endlich aufgearbeitet werden muss.
[00:01:42.950] - Nadia Kailouli
Und ich sage herzlich willkommen bei einbiszwei Andreas Ernstberger und Christian Fröhler. Herzlich willkommen. Schön, dass ihr da seid.
[00:01:50.820] - Christian Fröhler
Vielen Dank, dass wir eingeladen sind.
[00:01:52.380] - Andreas Ernstberger
Hallo. Danke.
[00:01:53.480] - Nadia Kailouli
Wir sprechen mit euch über das Maristen-Internat in Mindelheim. Dort wart ihr nämlich beide Schüler und dieses Internat ist bekannt geworden, nicht aufgrund von positiven Vorfällen, sondern im Gegenteil. Dort fand sehr, sehr schwerer sexueller Missbrauch statt. Vielleicht könnt ihr einmal aus eurer Sicht erzählen, wie die Schulzeit, wie diese Internatszeit dort für euch war.
[00:02:17.580] - Christian Fröhler
Genau. Ich war von 1986 bis 1990 dort im Internat und es gibt einen Haupttäter, der dort aktiv war und der ist Anfang 1987 dort hingekommen. Und war dann auch eigentlich über drei oder vier Jahre lang war er mein Haupterzieher und der kam ins Internat. Und das ist ja immer so eine schwierige Situation, wo sich alle irgendwie unsicher sind und so und dann so soziale Dynamiken einfach sind bei den Kindern. Und ich war damals sehr, sehr froh, ich kam aus einer sehr schwierigen Situation in der Familie und mich hat das Internat erst mal wieder auf die Füße gestellt. Die Strukturen, die da waren, waren super streng und man hatte irgendwie vier oder fünf Stunden Studium jeden Tag neben der Schule noch dazu. Und das hat mir wirklich geholfen, mein Leben dann wieder in Ordnung zu bringen und auf die Spur zu kommen. Und der Internatserzieher, der dann eben kam, der war erst mal Abteilungsleiter, also sozusagen von dieser Lerngruppe der Leiter und hat da einen ganz neuen Spirit, einen ganz neuen Geist reingebracht, war also eine sehr charismatische Person. Und da war ich halt wirklich dann vorne mit dabei. Es gab da auch so einen Inner Circle, könnte man ein bisschen sagen. Da gab es dann Bibelgruppen und wie so einen geschlossenen Kreis, was dann relativ schnell aufgebaut wurde. Erst mal war das war das sehr, sehr gut. Wir haben dann auch Ferienfahrten gemacht und so weiter. Also das war schon wirklich …
[00:03:34.780] - Nadia Kailouli
Dazu muss man vielleicht auch mal sagen, dass der damalige Erzieher und dann Internatsleiter auch ein sehr junger Mann war. Das war ja nicht so ein alter Knochen, sage ich mal, sondern ein junger Mann, der natürlich auch wahrscheinlich einen ganz anderen Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen dort aufgenommen hat, oder?
[00:03:50.940] - Andreas Ernstberger
Ja, der war auch eine Art Hoffnungsträger für den Orden, weil er eben sehr jung war, wie du sagst, und da frischen Wind reingebracht hat. Es gab ja dann auch so, ich erinnere mich an so Aufkleber oder Karikaturen oder ja, Comics eigentlich, „Be cool, be a Frater". Also wo auch so eine gewisse Coolness da kommuniziert wurde und auch mehr oder weniger auch versucht wurde, da unter den Schülern zu rekrutieren und da Begeisterung für dieses …
[00:04:19.600] - Nadia Kailouli
Also „Be Cool, be a Frater", so nach dem Motto: „Ey, ich baue hier eine Beziehung zu euch auf, wir sind alle auf Augenhöhe. Ich verstehe euch, ihr versteht mich." So ein bisschen in dem Sinne?
[00:04:29.140] - Andreas Ernstberger
Ja, ja, schon so eine Vertrauensperson, so kumpelmäßig, also schon auch eine, wie sagen, Nähe und Vertrautheit, die man vielleicht sonst in dem Umfeld vielleicht nicht hat. Also ich glaube, normalerweise schaut man schon, dass man da auch mehr Distanz hat. Und es gab dann, wie Christian schon gesagt hat, dann eben auch so innere Kreise oder Leute, die da nicht in die inneren Kreise reingekommen sind oder da gar kein Interesse hatten, weil die das irgendwie merkwürdig fanden, weil sie das eben nicht sich damit connecten konnten. Mir ging es zum Beispiel so: Ich war da nicht in diesen Kreisen drin.
[00:05:03.680] - Nadia Kailouli
Okay, also sozusagen der ausgeschlossene Jugendliche, der nicht beim coolen Frater dabei war?
[00:05:09.240] - Andreas Ernstberger
So habe ich es nicht empfunden.
[00:05:10.230] - Nadia Kailouli
Okay, sondern?
[00:05:11.620] - Andreas Ernstberger
Ich hatte da einfach kein Interesse. Das war ja schon so, dass dort diejenigen hingegangen sind, die auch auf der Suche da waren nach so mehr Zugehörigkeit, glaube ich. Und er hat dann auch schon gezielt auch rekrutiert. Und Christian hat es auch gerade angesprochen: Das sind alles Schüler aus nicht einfachen Familienverhältnissen. Und das war so wie eine Art Rettungsring. Und gerade die Struktur, die dann sehr geholfen hat. Und das war dann schon ein sehr bewusstes Vorgehen, auch zu gucken, wo sind Jungs, die empfänglich sind? Und das war ja auch so ein Ausprobieren. Der musste sich auch was ausprobieren und das Ganze ging ja fast 20 Jahre lang. Wir erkennen ja auch so die Anfänge und wie sich das Ganze dann auch entwickelt hat.
[00:06:06.960] - Nadia Kailouli
Da müssen wir vielleicht noch mal drauf gucken: Wann habt ihr denn gemerkt: „Okay, so cool ist der gar nicht, so kumpelig ist der gar nicht. Hier passiert gerade was anderes."
[00:06:17.200] - Christian Fröhler
Viel, viel später erst. Also das war tatsächlich so: Ich war selbst auch betroffen. Da gab es dann so Testrituale, mit Schlafanzughose runterziehen und so. Und das ist das, was passiert ist. Es gab auch so Berührungen, die wirklich unangemessen waren. Und für mich damals mit 15, 16 konnte ich es einfach null einordnen, was da eigentlich passiert. Ich habe gemerkt, gespürt, gefühlt, dass da irgendwas nicht in Ordnung ist, aber mir hat vollkommen dieser Einordnungsrahmen einfach gefehlt. Und das, was da eben auch jetzt mit reinschlägt, ist, es gab keine Vertrauenspersonen in meinem sozialen Umfeld, wo ich mich hätte anvertrauen können. Und das ist genau die Situation. Natürlich, die Kinder kommen aus schwierigen Verhältnissen. Da fehlt dann eben genau diese Struktur. Jemand, an den sie sich wenden können und sagen: „Hey, da ist irgendwas. Ich komme da überhaupt nicht mit klar. Was ist denn das? Was passiert denn da? Ich verstehe es nicht." Und was dann tatsächlich passiert ist, ist mir wirklich erst sehr, sehr viel später klar geworden. Im Grunde genommen dann erst so 2010, also wirklich 20 Jahre, nachdem ich aus dem Internat raus war, als dann in der Presse stand, dass der Internatsleiter, was er dann später geworden ist, von seinem Posten entfernt wurde und rausgeschmissen wurde und dass dann Prozess läuft und dass anderen Leuten genau das Gleiche passiert ist wie mir.
[00:07:31.880] - Nadia Kailouli
Das heißt, während eurer Internatszeit… Also jetzt wissen wir eben, dass es sehr, sehr viele Fälle gab. Du bist nicht der Einzige, sondern es war ein strukturelles Missbrauchssystem, was da stattgefunden hat. Das heißt, während der Zeit, als ihr im Internat wart, wurde auch untereinander mit anderen Jugendlichen und Kindern gar nicht darüber gesprochen, was dieser Vater macht?
[00:07:55.180] - Christian Fröhler
Also es gab immer so Andeutungen, dass man gesagt hat: „Boah, jetzt war ich…" Also das Ritual war im Grunde genommen immer so: Es gab diese Schlafräume, da waren immer vier bis sechs Kinder eben in einem Schlafraum und es wurden immer Einzelne rausgerufen, die dann halt mit dem abends sprechen sollten in seinem Raum. Der hatte also den Raum auch ganz nahe bei den Schlafräumen von den Kindern oder von den Jugendlichen. Und da sind dann eben die meisten oder viele Übergriffe eben haben da stattgefunden. Und man hat dann schon gesagt: „Boah, irgendwie, da war jetzt irgendwas", aber so richtig explizit hat man das nicht erzählt. Und man wusste irgendwie, das geht den anderen wohl wahrscheinlich genauso, aber das war halt nie so Thema. Da gab es keine Wörter, um richtig darüber zu sprechen.
[00:08:39.240] - Nadia Kailouli
Aber während dieser Zeit habt ihr nie darüber gesprochen, was der zum Beispiel mit die ihr gemacht hat?
[00:08:45.670] - Christian Fröhler
Nein.
[00:08:46.200] - Nadia Kailouli
Nein.
[00:08:46.500] - Andreas Ernstberger
Nein. Und ja, es gab Andeutungen oder bei mir war es auch ein Testritual, wo er mich aufs Zimmer geholt hat und gemeint hat: „Ich gebe dir jetzt eine Mark, wenn du dich ausziehst." Und ich habe dann erst so bejaht: „Ja, klar mache ich", weil ich dachte, das ist irgendwie jetzt ein Witz. Und dann nach dem dritten Mal habe ich gefragt: „Stopp, um was geht es hier jetzt eigentlich?" „Ja, er hätte das gehört, dass ich das machen würde." Dann sage ich: „Nein, mache ich nicht." Und wo er das dann her hätte: „Ja, das wäre ihm zugetragen worden und er wollte das überprüfen." „Ja, wer behauptet so was?" „Das kann ich dir nicht sagen. Wir sind fertig." Und das habe ich schon geteilt auch. Aber es ging immer nur um: Wer hat denn das behauptet? Wer kann denn so was über dich erzählen? Und nicht: „Was steckt denn eigentlich dahinter?" Das war ja völlig nicht in unserer Vorstellungskraft, dass es halt so was sein könnte. Also die Sprache, das Gefühl für so was, dass das sicherlich heute anders ist, dass man das auch einordnen kann. Ich konnte zum Beispiel das, was da passiert ist, mir erst viel später einordnen, als ich über Ettal und Testrituale erfahren habe. Und da ist mir kalt den Rücken runtergelaufen, dass das dann so ein Scheideweg sein kann: geht man darauf ein? Wie reagiert man darauf? Grenzt man sich ab? Oder fällt es einem schwer, sich abzugrenzen? Und er hat sich sicherlich auch seine Methodiken, wie er da vorgegangen ist, über die Zeit viel mehr verfeinert und ausprobiert.
[00:10:13.160] - Nadia Kailouli
Jetzt könnt ihr natürlich heute als erwachsene Männer darüber ganz anders reden, natürlich als vor 20 Jahren. Ihr seid aber auch einen Schritt weitergegangen, dass ihr nicht gesagt habt: „Okay, wir sprechen da jetzt offen drüber", sondern ihr habt einen Verein gegründet, der da heißt „Wir sind Viele!" Wie kam es dazu, dass ihr diese Vereinsgründung vorgenommen habt?
[00:10:30.380] - Christian Fröhler
Wir haben uns erst mal wieder getroffen, wir beide und noch ein paar andere, bei einem Gerichtsprozess gegen den Täter, der 2021 stattgefunden hat, also jetzt noch nicht vor so langer Zeit. Und das war eigentlich ein wirklich schönes Treffen, weil wir hatten uns da ja 30 Jahre lang, über 30 Jahre lang einfach nicht gesehen. Es gab auch keinen Kontakt. Und wir haben uns da wieder getroffen und das war eher vom Gefühl her so, als ob man da aus dem Pfingstferien zurückkommt. Also die Vertrautheit war komplett sofort wieder da und wir haben dann darüber gesprochen, eben mit dem großen Abstand, was damals tatsächlich passiert ist, auch mit den anderen ehemaligen Mitschülern und haben dann erst mal aus der persönlichen Betroffenheit heraus gesagt: „Irgendwie müssen wir da weitermachen. Da muss noch was passieren, auch für uns selber." Und letzten Endes hat sich dann so ein kleinerer Kreis herauskristallisiert, die gesagt haben – da gehören wir beide dazu und noch einige andere –, die gesagt haben: „Wir wollen uns da einfach weiter engagieren und auch das ganz systematisch weiter voranbringen", weil was wir sehen, ist, die auf Aufarbeitung durch die Organisation des Ordens ist, sage ich mal, sehr lückenhaft. Und auch die staatliche Aufarbeitung ist riesig problematisch, weil es so unglaublich schwierig ist, weil so viel Wert auf Täterschutz einfach gelegt wird und die Betroffenen da natürlich als Zeugen aussagen, aber in einem Setting, was wirklich sehr problematisch ist. Und da haben wir gesehen, wir müssen und wollen da was machen.
[00:11:54.990] - Nadia Kailouli
Könnt ihr noch mal genauer erklären, was so das Problematische ist? Weil für den Außenstehenden sieht das ja so aus: „Alles klar, da gab es jemanden, der hat Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht und der steht jetzt vor Gericht. Wo ist jetzt hier das Problem?" Und der stand ja nicht nur für einen Fall vor Gericht, sondern für mehrere Fälle. Warum oder wo ist die Problematik der Aufarbeitung, wenn doch schon Gerichtsverfahren stattfinden?
[00:12:17.480] - Christian Fröhler
Vielleicht wollen wir es mal ein bisschen zeitlich einordnen, wie da die Abfolge war. Das Ganze, die Aufklärung, ging los im Jahr 2006. Da war der Täter noch Internatsleiter Und da hat ein Erzieher, der eben mitbekommen hat, was da läuft – und das waren Fälle, die gingen dann eher Richtung Vergewaltigung –, der hat dann dafür gesorgt, dass sich einer von den Betroffenen dann an die Polizei wendet. Und da gab es ein Ermittlungsverfahren und es gab auch einen Strafprozess, der aber so hinter verschlossenen Türen nach Aktenlage dann entschieden wurde. Da ist er das erste Mal zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Das war dann 2007 und wurde dann auch von seinem Posten entfernt. Das Ganze ging aber noch gar nicht an die Öffentlichkeit, sondern der Orden hat gesagt: „Ja, dieser Mann hat so eine bedeutende Stellung, dass er jetzt innerhalb des Ordens befördert wurde. Man habe sich das schon lange gedacht, dass der mal eine verantwortlichere Position bekommen soll." Und drei Jahre lang wurde die Öffentlichkeit einfach angelogen. Und erst drei Jahre später, 2010 – das war in dem Rahmen, dass dann auch in Berlin diese am Canisius-Kolleg, die die ehemaligen Schüler dann an die Öffentlichkeit gegangen sind –, da kam das dann raus. Da gab es einen großen Artikel in der Süddeutschen Zeitung: „Die Lügen der Fratres" und da stand dann einfach drin, was wirklich passiert ist, warum der da weggekommen ist. 2010 gab es einen zweiten Prozess, hat wieder mit einer Bewährungsstrafe geendet und dann war rechtlich lange nichts und erst 2020, 2021, so was, war dann wiederum ein weiterer Prozess am Amtsgericht in Memmingen. Und im Rahmen von diesem Prozess haben wir uns dann entsprechend wieder getroffen. Ich habe selber dort als Zeuge ausgesagt und meine Geschichte, da bin ich wirklich sehr reflektiert inzwischen und kann einfach erzählen, was damals passiert ist, ohne dass mich das jetzt wirklich noch mal so groß aus der Ruhe bringt. Aber die Situation, die man da hat, dass man im Gerichtssaal sitzt und der Täter mit zwei Anwälten sitzt drei, vier Meter von einem entfernt und dann ist da vorne das Gericht. Das ist unglaublich einschüchternd und man braucht da wirklich starke Nerven, das überhaupt durchzustehen. Und vor allem bei einem Strafprozess hat man ja selber als Zeuge nichts davon. Also das Strafgericht, der Strafprozess sagt ja, da geht es ja um die Strafe für den Täter, aber es geht überhaupt nicht um irgendwie Entschädigung oder Wiedergutmachung oder Aufarbeitung. Und nur das ist das Interesse in einem Strafprozess, dass man praktisch jetzt beurteilt, welche Schuld hat der Täter auf sich geladen und welche Strafe soll er dafür bekommen. Es geht nicht um die Betroffenen.
[00:14:38.300] - Nadia Kailouli
Das heißt, ihr habt sozusagen zwar ausgesagt, aber ihr wurdet als Betroffene gar nicht irgendwie, ich sage jetzt mal, anerkannt, dass es da eine Aufarbeitung auch braucht, auch außerhalb gerichtlich, sondern einfach nur von dem Orden, von dem Internat, wo ihr wart. Wie seid ihr denn damit umgegangen, als dann klar wurde: „Okay, wir haben jetzt hier ausgesagt, wir sind also nicht die einzigen, die hier Missbrauch erfahren haben." Ich finde, wir müssen jetzt auch gar nicht einstufen, welche Form. So Missbrauch ist Missbrauch jetzt erst mal, also weg von dem Justiziaren. Dann habt ihr euch gedacht: „Okay, dann gründen wir jetzt den Verein und geben denen, die hier einfach nur aussagen, eine Stimme", oder wie war das?
[00:15:13.440] - Andreas Ernstberger
Wir haben den Verein gegründet, um es formeller mal auf andere Beine zu stellen. Das ist ja noch mal ein anderes Standing, wenn du wirklich sagst, du gründest einen Verein und hast auch die Möglichkeit, hier eben Mitglieder zu haben. Und es ist halt ein anderes Commitment und auch eine andere Außenwirkung. Und diese Zeugenaussagen, die wir getroffen haben, beziehungsweise es waren eigentlich Statements von unseren Erfahrungen. Das ging ja um andere Fälle. Das ging ja nicht um unsere Fälle, sondern um andere Fälle. Und da werden ja ganz isoliert diese Fälle betrachtet. Und da geht es auch gar nicht um die Frage: Was machen wir denn jetzt mit der Person? Wie geht es der denn eigentlich? Was bräuchte die Person? Da bist du ja als Betroffener erst ganz alleine. Also dann musst du dir selber irgendwie Hilfe holen. Und manche haben das ja schon probiert oder haben auch ausgesagt bei der Polizei oder sich bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, aber haben da keine Rückmeldung gekriegt. Also wie fühlt sich denn das an, wenn du diese Energie aufbringst, diesen Schritt zu machen, aber du bekommst irgendwie gespiegelt: „So richtig interessiert es uns nicht und wir greifen da jetzt nicht mit aller Härte durch und ziehen es jetzt wirklich durch." Das fehlt halt und das haben wir eben gespürt und haben jetzt auch so viele, hat das auch von so vielen auch bestätigt bekommen, dass wir sagen, da braucht es mehr Unterstützung, diese Menschen. Es gibt ja unterschiedliche Arten von, würde ich sagen, Beeinflussung auch des Lebens von Menschen. Es gibt Menschen, die jetzt von Sozialhilfe leben, die nie wirklich einen Job erlangt haben. Manche haben Familie, die sind erfolgreich im Job, die es aber dann plötzlich einholt mit 50 oder später, die sagen: „Hoppla, da ist irgendwas. Und was ist denn da mit mir? Ich verstehe die Welt nicht mehr." Das ist ja auch so ein Thema Verjährung. Das ist ja auch so eine Sache, weil das Dinge sind, die plötzlich aufbrechen. Das ist ja nicht so: „Ich bin hingefallen, ich habe einen gebrochenen Arm Ich lege mir eine Schiene an und dann ist es wieder gut und merke nichts mehr", sondern das sind Dinge, die viel, viel tiefer liegen und die auch erst mal weggedrückt werden. Und das sind auch natürliche Mechanismen, um den Menschen erst mal zu schützen, aber es funktioniert nur eine gewisse Zeit lang.
[00:17:14.280] - Nadia Kailouli
Seid ihr denn jemals proaktiv sozusagen auf den Orden zugegangen und habt gesagt: „Wir wollen, dass hier eine Aufarbeitung stattfindet"?
[00:17:21.720] - Christian Fröhler
Wir sind ja nicht alleine.
[00:17:23.500] - Nadia Kailouli
„Wir sind Viele!", so wie der Verein auch heißt.
[00:17:25.560] - Christian Fröhler
Wir sind viele, genau. Wir sind aber ein Verein und so wie uns gibt es ganz, ganz viele Initiativen, die auf unterschiedlichen Ebenen auch unterstützen. Und wir haben auch, als wir den Verein gründeten, hatten wir auch Kontakt mit jemanden, der uns da ein bisschen Ratschlag gegeben hat, der auch schon so einen Verein hatte. Und diese Person hat dann so eine Vermittlerrolle eingenommen tatsächlich. Also der ist auch im Rahmen von so einer Initiative von den deutschen Ordensoberen, ist er als Betroffenenvertreter eben mit dabei und der hat dann so eine Vermittlerrolle eingenommen zwischen uns und den Maristen, weil wir hatten echt große … Also die Ansprechpartner von den Maristen sehen wir sehr problematisch und wir haben dann praktisch über diesen Mittelsmann mit denen kommuniziert, haben Forderungen geäußert, was wir gerne hätten. Eine Forderung war zum Beispiel: Es gibt ja von der Kirche, von den Bistümern, von den Orden, diese unabhängige Kommission zur Anerkennung des Leids, die eben relativ, sagen sie, unkompliziert dann auch Entschädigungen bezahlt, was aber aus unterschiedlichen Gründen sehr problematisch ist. Es gibt ein riesen Regelwerk und so weiter. Und da haben wir gesagt: Okay, gute Sache, aber wir wollen, dass ihr uns einen Anwalt unserer Wahl bezahlt, dass sozusagen der Orden das Geld bezahlt für den Anwalt, den der Betroffene sich selber auswählt. Und darauf sind sie zum Beispiel halt nicht eingegangen. Und andere Bistümer zum Beispiel machen so was. Und das ist halt ein Zeichen, wo ich mir denke: Boah, also so groß kann der Wille zur Aufarbeitung gar nicht sein.
[00:18:48.640] - Nadia Kailouli
Wie erklärt ihr euch, dass das so lange hinter diesem Internatsleiter gestanden worden ist? Weil die Fälle kamen ja mehr und mehr immer ans Licht, aber es dauerte ja dann doch eine Zeit, bis man sich von ihm – ich will nicht sagen, distanziert hat, das hat man sich, glaube ich, gar nie – aber ihn dann sozusagen aus der Internatsleitung herausgenommen hat.
[00:19:08.220] - Christian Fröhler
Also distanziert hat man sich schon. Man hat ihn inzwischen, also man hat ihn damals, 2010, dann von der Internatsleitung entfernt. Inzwischen ist er auch aus dem Orden rausgeschmissen worden. Was aber auch passiert ist, dass der Orden weiterhin für ihn eine Eigentumswohnung gekauft hat, in der der offensichtlich mietfrei wohnen kann. Also das passiert immer noch.
[00:19:24.380] - Nadia Kailouli
Ja, na ja, das ist dann nicht richtig distanzieren, oder?
[00:19:27.040] - Christian Fröhler
Das ist nicht richtig distanzieren, ja.
[00:19:29.080] - Nadia Kailouli
Jetzt muss man natürlich auch sagen, wir reden jetzt hier nicht von einem Täter, der bereits verstorben ist, was ja sehr, sehr oft in Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche so war, dass die Täter gar nicht mehr leben. Jetzt reden wir hier von einem Mann, der Anfang 60 ist, glaube ich, und den man ja durchaus noch strafrechtlich irgendwie rankriegen könnte. Aber bisher ist er ja einfach immer auf Bewährung verurteilt worden. Also er wurde nie, meiner Meinung nach, wirklich für die Straftaten, die er getätigt hat, entsprechend verurteilt. Da muss man jetzt sagen, okay, wir sind halt nun mal in einem Rechtssystem und wenn die Justiz da anhand von Beweislagen oder so was kein Urteil spricht, was eine Haftstrafe angeht. Aber was macht das mit euch, zu wissen, da sind so viele Betroffene und der lebt einfach irgendwie weiter. Klar, der Orden hat ihn rausgeschmissen, aber am Ende des Tages lebt da ein 60-jähriger Mann in einer Wohnung, der einfach über 30 Jahre lang Kinder und Jugendliche missbraucht hat.
[00:20:28.020] - Andreas Ernstberger
Ja, fast 20.
[00:20:29.430] - Nadia Kailouli
Fast 20, ja.
[00:20:30.420] - Andreas Ernstberger
Genau, 20. Ja, Gerechtigkeit fühlt sich anders an. Man muss sich immer überlegen, was diese Taten für Auswirkungen haben, und zwar auf so viele Menschen und so tiefgreifend. Und das Gegenüber gestellt, kann sich gar nicht gerecht anfühlen. Also Menschen, die nie wirklich bisher das Leben führen konnten, das sie vielleicht hätten führen können. Und gerade auch von einem Ordensmitglied von einem Orden, der sehr hohe Werte hat. Es gibt ja die maristischen Werte und wenn man sich das mal anschaut, für andere Dasein, Brüderlichkeit, das sind ganz, ganz hohe Werte. Und wenn man das mal gegenüberstellt den Handlungen des Täters und auch wie sich der Orden verhält, ist es völlig unglaubwürdig und wo ich das Gefühl habe, ihr müsstet eigentlich den Laden schließen, oder, wenn ihr die wirklich umsetzen wollt, dann müsstet ihr sagen: „Okay, wir verzichten auf die Einrede der Verjährung. Wir öffnen alle Bücher. Ihr könnt auf alles zugreifen", um das wirklich ein für allemal lückenlos aufzuklären. Das wäre glaubwürdig. Und das fehlt eben. Und wenn wir dann nach so vielen Urteilen immer noch Bewährungsstrafen, wenn es immer noch Bewährungsstrafen gibt, die dann mit einer Auflage verbunden sind, eine Therapie zu machen, Therapiesitzungen zu machen und andere, die betroffen sind und wirklich starke Auswirkungen haben und denen aber die alleine gelassen werden. Also Gerechtigkeit fühlt sich anders an.
[00:22:05.970] - Nadia Kailouli
Habt ihr ein Wissen darüber, inwieweit ehemalige Kläger entschädigt worden sind? Sind die überhaupt jemals entschädigt worden, die, die wirklich dann mit ihren Fällen vor Gericht waren?
[00:22:16.260] - Christian Fröhler
Also das waren ja erst mal Strafprozesse, um die es ging. Das heißt, da ging es gar nicht um Entschädigungen. Im Rahmen von dieser unabhängigen Kommission wurde Geld bezahlt, aber unserer Meinung nach bei weitem nicht in ausreichendem Umfang. Und viele Leute schrecken auch davor zurück, diese dunabhängige Kommission sozusagen, dort einen Antrag einzureichen, weil es einfach ein unglaubliches Regelwerk ist. Das hat so ein freundliches Gesicht, aber wenn man da hinter die Kulisse, hinter den Vorhang schaut, dann ist es ultra kompliziert. Man kann eigentlich nur wirklich mit anwaltlicher Hilfe da wirklich was bewirken und das ist selber auch wieder sehr problematisch. Aber was noch nicht passiert ist, sind Zivilprozesse gegen den Orden oder gegen das Bistum Augsburg. Und das ist was, was durchaus noch kommen kann.
[00:23:01.140] - Nadia Kailouli
Was die Zivilprozesse betrifft, da unterstützt ihr eine Petition, die die Kirche sozusagen auffordert, an dieser Verjährungsfrist irgendwie so zurückzugreifen. Kann man damit was erreichen oder was ist so das Ziel dieser Petition, die ihr unterstützt?
[00:23:16.100] - Christian Fröhler
Vielleicht muss man kurz einen Satz sagen, was diese Verjährung bedeutet und der Unterschied zwischen Strafrecht und Zivilrecht ist da wichtig. Beim Strafrecht gilt, wenn ein Tatbestand verjährt ist, dann muss der Staatsanwalt, muss der Richter den Stift fallen lassen und darf nicht weitermachen. Ganz anders ist es im Zivilrecht. Da gibt es auch Verjährung, aber der Beklagte, also in dem Fall wäre das dann eben der Maristenorden zum Beispiel, der muss diese Verjährung selbst geltend machen. Der Staat selbst oder der Richter selbst wird das nicht prüfen, sondern nur auf Antrag des Beklagten. Wenn der Beklagte diesen Antrag stellt, dann ist es vielleicht verjährt und dann muss der Prozess eingestellt werden. Wenn der das aber nicht tut, und das ist genau der Verzicht der Einrede der Verjährung, dann geht der Prozess weiter, egal ob die Tat 1952 oder 2024 stattgefunden hat.
[00:24:02.690] - Nadia Kailouli
Und wenn die Kirche dem zustimmen würde, würde die Kirche sich mehr dazu bekennen, dass sie daran interessiert ist, dass Betroffene einen Prozess bekommen, dass sie eine Aufklärung bekommen.
[00:24:12.080] - Andreas Ernstberger
Und es gibt ja Beispiele, wo das auch schon getan wird. Und im Fall der Maristen ist es halt nicht erfolgt. Und das ist eben eine Forderung, die wir auch gestellt haben, der nicht nachgekommen wurde, die aber konsequent wäre.
[00:24:24.740] - Nadia Kailouli
Aber ihr gebt nicht auf, oder? Also was sind eure Wünsche an den Orden? Was erwartet ihr?
[00:24:30.200] - Christian Fröhler
Also wir wollen erstens, dass der Orden auf die Einrede der Verjährung verzichtet, und zwar grundsätzlich in allen Fällen. Das ist uns ganz wichtig. Dann wollen wir weiterhin, dass so eine anwaltliche Unterstützung für Betroffene stattfindet.
[00:24:44.840] - Andreas Ernstberger
Dass sie auch selbst mal auf Ihrer Seite mal Aufklärungsarbeit betreiben. Es gibt ja jetzt auch diese Studie, die jetzt gestartet wurde. Es wird ja auch der Begriff „Aufarbeitungsprojekt" oder „Kommission" genutzt. Also ich sehe es eher als eine Aufklärung. Also Aufarbeitung noch nicht, wobei es ja unterschiedliche Arten der Aufarbeitung gibt. Aber dass sie in diesem Zuge einfach mal auf Ihrer Seite auch zeigen, dass sie den Willen haben und mit gutem Beispiel selbst vorangehen und sagen, wir sind völlig transparent. Wir geben euch alles, was ihr braucht, um da zu recherchieren und das transparent zu machen, aber vor allen Dingen auch Verantwortung zu übernehmen. Also gerade bei dieser „Aufarbeitung", in Anführungszeichen, Wenn man da anschaut, die Ziele, die sind nach vorne gerichtet zur Prävention. Die betreuen jetzt keine Kinder mehr, die haben kein Internat mehr. Was soll das jetzt auch den Betroffenen bringen, wenn es jetzt hier die Erkenntnis über Prävention gibt? Das gibt es alles schon. Das wurde schon umfangreich untersucht. Es gibt auch Empfehlungen. Das Thema ist durch, aber wichtig ist ja, was passiert ist und wo ist die Übernahme der Verantwortung und die Anerkennung, dass hier wirklich Leid passiert ist und auch Hilfe für diese Personen. Und das ist eben nicht erfolgt und das müsste erfolgen. Und wir reden hier jetzt nicht von einem profitgetriebenen Unternehmen. Wir sprechen hier von einer Institution, die ganz, ganz hohe Werte hat.
[00:26:13.740] - Nadia Kailouli
Aber wahrscheinlich liegt genau… Was heißt wahrscheinlich? Man kennt das ja in der Aufarbeitung in der katholischen Kirche. Also es war ja nie sehr, sehr einfach, sage ich mal, die Sachen darzulegen. Und wenn man jetzt natürlich das, was ihr fordert, zurecht sagt: „Legt doch einfach alles mal offen, was da steht, was da alles passiert ist", dann macht man sich natürlich auch sehr, sehr transparent dahingehend, was eigentlich ja schon allen bewusst ist, dass es hier wirklich ein Missbrauch innerhalb einer Institution war und wirklich sehr, sehr, sehr viele Menschen betroffen hat. Und da fragt man sich natürlich … Man weiß es ja schon irgendwie, aber man möchte es ja auch schwarz auf weiß haben, weil es ist ja irgendwo niedergeschrieben, was passiert ist.
[00:26:56.470] - Andreas Ernstberger
Ich glaube, was sie sich fragen müssen: Warum sind wir eigentlich ein Orden geworden? Was war die initiale Idee des Ordensgründers? Was ist die Idee hinter der katholischen Kirche? Für was steht die eigentlich? Das sind dann, letztlich begründen die sich aus der Botschaft von Jesus von damals. Und man müsste mal überlegen: Was würde eigentlich Jesus sagen, wenn der das jetzt hören würde? Was würde er uns denn jetzt empfehlen, was wir tun sollten? Wäre das genauso, wie ihr euch verhaltet? Oder sollte das anders laufen? Ihr müsst ja wieder eine Glaubwürdigkeit herstellen und ihr müsst zurück zu den ursprünglichen Werten. Ansonsten hat das alles keinen Zweck, ist die Basis nicht da.
[00:27:36.300] - Nadia Kailouli
Was glaubst du? Warum funktioniert das nicht? Ich meine, eigentlich schlägt man ja jetzt gerade mit den eigenen Waffen: "Wir haben unsere Werte und wir haben unseren Glauben und ihr haltet euch da eigentlich nicht dran, obwohl ihr den ganzen Tag predigt, wie wichtig das ist."
[00:27:46.960] - Andreas Ernstberger
Ja, und das wäre aber der Weg nach vorne. Also wirklich mit dieser Transparenz, das ist natürlich ein schmerzhafter Weg, keine Frage. Und es geht um viel Verantwortung, es geht um Versagen, um institutionelles Versagen. Aber das wird auch vorbeigehen. Aber das wäre eine Möglichkeit, auch eine Zukunftsfähigkeit und eine Glaubwürdigkeit zu haben in der Zukunft. Und man sieht es ja auch an, wie die Gesellschaft darauf reagiert, dass sie sagen: „Ich trete da jetzt aus" oder „Ich übe meinen Glauben aus. Ich bin ja immer noch gläubig, aber nicht im Rahmen einer Institution, sondern ich mache das für mich aus. Und ich brauche auch gar nicht in die Kirche gehen. Ich brauche auch diesen Prunk nicht. Ich setze mich hin, nehme vielleicht eine Meditationspose ein und dann bete ich. Fertig. Mehr brauche ich eigentlich gar nicht. Die brauche ich nicht." Und ja, wieder zurück zu den ursprünglichen Werten. Und die Kirche hat ja Geld. Geld ist ja da. Wenn man sich mal die Zahlen anguckt, ist ja Wahnsinn. Und es gibt ja auch eine jährliche Zahlung.
[00:28:49.000] - Christian Fröhler
Ja, genau.
[00:28:49.820] - Andreas Ernstberger
Das kannst du vielleicht kurz ausführen?
[00:28:51.600] - Christian Fröhler
Ja, zum Thema Verjährung noch. Also die Kirche bekommt jedes Jahr, beide Kirchen, katholisch und evangelisch, pro Jahr ungefähr 600 Millionen, eine Dreiviertel-Milliarde Euro, aufgrund von Enteignungen, die 1803 stattgefunden haben, über 200 Jahre her. Und das sind so Transferzahlungen, da kennt die Kirche keine Verjährung. Da hält sie gerne die Hand auf. Und wenn aber jetzt Betroffene kommen und sagen, mir ist 1982 oder 1986 oder '90 was passiert, dann wird auf einmal auf Verjährung plädiert und das ist, finde ich, wirklich sehr, sehr problematisch.
[00:29:20.320] - Nadia Kailouli
Andreas, du hast jetzt mehrmals eben dich auf die Werte bezogen. Warum ist euch das so wichtig, einfach diesen Orden damit zu konfrontieren, dass ihr als Menschen oder das, was euch beigebracht worden ist, so wertebasiert ist?
[00:29:34.000] - Andreas Ernstberger
Also das ist ja so der Maßstab. Also die Werte bieten ja einen Rahmen: Was ist uns wichtig? Woran glauben wir? Und das ist ein wahnsinniges Spannungsfeld. Diese Taten und auch das Verhalten gegenüber den Betroffenen, das ist eigentlich auch das zweite Verbrechen, dass die Betroffenen alleine gelassen werden. Das ist das zweite Verbrechen. Und dann haben wir auch noch unser Grundgesetz, in dem ganz am Anfang steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und diese Taten sind ein massiver Angriff der Würde. Und es geht darum, diese Würde herzustellen. Also wenn uns das hier in der Gesellschaft, in Deutschland, so wichtig ist, dass die Würde unantastbar ist und wenn sie angetastet wird, dass sie wiederhergestellt wird, dann müssen wir anders damit umgehen. Dann müssen wir als Gesellschaft anders damit umgehen und wir müssen juristisch damit anders umgehen. Da gibt es einige Dinge an denen wir arbeiten müssen, gemeinsam auch auf unterschiedlichen Ebenen.
[00:30:34.680] - Nadia Kailouli
Also eigentlich hält sich sozusagen dieser Orden weder an das Grundgesetz noch an die Bibel.
[00:30:40.320] - Andreas Ernstberger
Würde ich auch so sagen, ja. Das ist auch mein Empfinden.
[00:30:43.520] - Nadia Kailouli
Nun haben wir hier bei einbiszwei Wir haben ja schon des Öfteren über eben Missbrauch in der katholischen Kirche gesprochen und immer wieder war eigentlich klar: „Na ja, das ist irgendwie bekannt, aber man hat trotzdem nichts gemacht." Bei euch in einem Internat ist es ja jetzt nicht so gewesen, dass auf einmal mit dem neuen Internatsleiter und Erzieher damals das Thema überhaupt hochgeploppt ist, oder?
[00:31:03.880] - Christian Fröhler
Tatsächlich gibt es auch noch andere Fälle. Es gab ein paar Jahre vorher, also Anfang der 80er-Jahre, die Maristen sagen immer, einen „weltlichen Erzieher", also keinen Frater, keinen Ordensmann, sondern jemand, der dort angestellt war, der auch sexuelle Übergriffe begangen hat, der dann auch entfernt wurde. Und was aber damals nicht so richtig bekannt war oder gar nicht bekannt war, man hat vielleicht mal getuschelt. Und das hätte eigentlich auch schon so eine große Warnglocke für den Maristenordens sein können, was sie aber da einfach nicht genutzt haben. Und danach kam eben dieser Frater, der dann Erzieher war und dann später Internatsleiter, fast 20 Jahre lang. Während dieser Zeit, als der dort war, gab es auch noch einen Priester, der hat auch in dem Gebäude gewohnt und der war später dann in einer anderen Stadt, war er dann Stadtpfarrer und wurde von seinem Stadtpfarrerposten dann geschasst, eben wegen Vorgängen, die auch während seiner Zeit am Maristenkolleg in Mindelheim stattgefunden hatten. Also das war nicht nur ein Täter, der da 20 Jahre lang was gemacht hat, sondern es waren mehrere. Und das zeigt auch die die, sage ich mal, die Strukturen, die da stattgefunden haben, die haben ganz einfach sexuellen Missbrauch und Machtmissbrauch stark begünstigt.
[00:32:08.060] - Nadia Kailouli
Und deswegen ist es, glaube ich, umso wichtiger, dass diese Orden sich bereit dazu erklärt, zu sagen: „Wir legen jetzt hier die Bücher offen", damit das einfach sichtbarer wird, dass das einfach systematisch über Jahrzehnte lang stattgefunden hat.
[00:32:20.360] - Andreas Ernstberger
Und eben Verantwortung übernehmen, also nicht mehr transparent machen, sondern „Okay, das ist passiert", aber was machen wir denn jetztwirklich, um jetzt wirklich den Betroffenen zu helfen. Nur dann ist ja dann auch den Leuten geholfen, nicht zu sagen: „Ja, das ist jetzt passiert, aber wir schauen jetzt nach vorne. Wie können wir das in Zukunft vermeiden?" Nein, das ist nicht der Weg, sondern ein Weg natürlich, aber jetzt nicht hier bei uns, muss ja dem Betroffenen geholfen werden. Und Betroffene sind natürlich auch die Familien. Das hat ja einen ganz, ganz großen Impact auf die Familien auch, auf die Partner dieser Personen. Das ist ja nicht nur auf diese Menschen begrenzt, sondern es geht jetzt noch viel weiter auch. Und Betroffene sind dann auch die Familienmitglieder und eben auch Partner oder auch die Kinder dieser Betroffenen.
[00:33:03.140] - Nadia Kailouli
Ja, ich glaube auch. Ich meine, das Ding ist ja … Ich weiß ja nicht, wie es bei euch ist, aber alleine ich, wenn ich das immer so höre, ich denke mir dann auch, so wie viel Sorge hat man heute, sein Kind in die Hände einer Institution zu geben und denen zu vertrauen? Also ich meine, es gibt ja immer noch sehr, sehr viele Angebote der Kirche, was ja irgendwie auch schön ist. Man kümmert sich, man fährt auf eine Freizeit, ich weiß nicht, was man alles macht. Und da denke ich mir manchmal immer so: „Puh, bei allem, was ich jetzt schon gehört habe, kann ich da gut und gewissens ein Kind abgeben? Ich weiß nicht, wie es euch mit dem gefühlt wird.
[00:33:34.030] - Christian Fröhler
Wir reden ja gerade über ein superschwieriges Thema und ich gehe damit auch in meinem privaten Umwelt nicht so viel hausieren. Aber ich sage mal, mehr als die Hälfte von den Leuten, denen ich erzählt habe, was ich da mache, Verein und Kirche und Maristeninternat, von denen kommt so ein Feedback: „Ja, super, dass du das machst. Wichtig, sich darum zu kümmern. Und ich war in irgendeiner Form auch betroffen." Nicht unbedingt im kirchlichen Umfeld, nicht unbedingt mit sexuellem Missbrauch, aber mit Machtmissbrauch, mit Gewalt in der Familie. Und ganz viele Leute haben ganz viele traumatische Erfahrungen gemacht und das geht weit über die Kirche auch hinaus. Unser Fokus ist Maristenkolleg Kirche, aber es ist wirklich ein gesellschaftliches Thema. Und ich glaube, es muss möglich sein, dass man, wenn man sein Kind irgendwo hinschickt, sei es auf eine Freizeit mit der Schule oder mit Pfadfindern oder mit irgendwelchen anderen Organisationen, es muss immer erlaubt sein, dass man die Frage stellt: „Was habt ihr für ein Konzept, Machtmissbrauch und sexuellen Missbrauch zu verhindern?" Und das ist immer noch ein riesengroßes Tabu-Thema.
[00:34:31.820] - Nadia Kailouli
Ich finde das ganz gut, dass du das noch mal so ansprichst, weil wir hatten hier natürlich auch Leute sitzen, die im Turnverein missbraucht worden sind. Auch eine Institution, wo man sagt, da ist mein Kind gut aufgehoben, da ist es in Kontakt mit anderen Kindern. Der Trainer ist so nett. Ja, Pustekuchen. Da waren auch wieder andere Machtspielchen eben auf der Trainingsfläche.
[00:34:50.670] - Andreas Ernstberger
Ja, und das ist schon so eine Art Absicherung, die man vornehmen kann, wenn man den vor Ort zeigt: Aha, da sind Eltern die beschäftigen sich mit dem Thema, die sind kritisch, die fragen nach, die schauen genau hin. Das ist schon mal ein Schutzschild, den man um seine Kinder legen kann, wenn man das tut. Und man sollte sich da auch nicht schämen oder Scham empfinden, diese Frage zu stellen. Die ist äußerst legitim und können wir nur empfehlen. Und du hast ja auch ein Beispiel. Ich weiß nicht, ob du es teilen willst?
[00:35:25.410] - Christian Fröhler
Ja, kann ich gerne erzählen. Meine Tochter ist auf eine Schulfreizeit gefahren und ich habe zu meiner Frau damals gesagt, sie war damals, glaube ich, 13 oder so: „Eigentlich müsste man doch jetzt mal nachfragen: „Hey, was habt ihr da für Konzepte? Was passiert denn da? Wie geht denn ihr mit den Kindern um? Oder wenn es Konflikte gibt?" Und tatsächlich meine Frau hat gesagt: „Nein, das kannst du nicht machen. Das kannst du nicht fragen. Das geht nicht. Das wäre furchtbar." Und ich habe es dann tatsächlich nicht gemacht. Aber da merkt man schon, da ist so ein richtig großer Widerstand. Ich glaube, die Frage ist legitim und eigentlich müsste es ja umgekehrt sein, dass Organisationen, die Kinder betreuen, von sich aus schon so was machen und dann einfach kommunizieren und dann ein paar Sätze einfach auf die Einladung mit draufschreiben: „So und so machen wir das."
[00:36:06.540] - Nadia Kailouli
Ja, aber auch ein guter Punkt, weil diese Scheu ist halt immer noch da und man möchte, dann denkt man wahrscheinlich auch an sein Kind, man möchte nicht die Eltern sein, wo das Kind sagt: „Meine Mama hat da so eine unangenehme Frage gestellt, na super." Es wäre so viel einfacher, wenn die Institution, der Verein von sich aus einfach schon kommt und sagt: „Übrigens, wir haben hier ein Konzept, machen Sie sich keine Sorgen."
[00:36:25.730] - Andreas Ernstberger
Und die Kinder müssen ja nicht dabei sein, wenn man diese Frage stellt. Das kann man off the record dann …
[00:36:31.210] - Nadia Kailouli
„Und machen Sie sich keine Sorgen", das muss ich eigentlich fast zurückziehen, weil nur weil man ein Schutzkonzept hat, das ist schon mal gut, heißt das aber nicht, dass da nicht trotzdem Leute sind, die das ausnutzen. Ich finde das fast schon schmerzhaft, vor allem, wenn ich eure Geschichte vom Anfang eben nehme, wie ihr beide gesagt habt, die, die da auf diesem Internat waren, die kamen aus schwierigen Familienverhältnissen. Und du hast es so schön beschrieben: Du warst eigentlich ja so glücklich. Du hast gemerkt: „Oh, ich kriege hier wieder Boden unter den Füßen. Ja, ich werde wieder stabiler, als Jugendlicher." Und das wird dann so ausgenutzt. Also dieses Grundvertrauen ins Leben wird einem ja dann so was von genommen. Man kommt aus einer schwierigen Situation, wird hingebracht, man wird irgendwie stabilisiert, man hat wieder Lebensmut und dann wird man aber missbraucht und es werden Sachen mit einem gemacht, die man als junger Mensch noch gar nicht verstehen kann. Und da frage ich mich: Wie bekommt man dann überhaupt noch das Vertrauen in so eine Institution oder überhaupt das Vertrauen, das einem geholfen wird?
[00:37:28.160] - Christian Fröhler
Also Vertrauen in die Institution, die ist jetzt erst mal nicht wiedergekommen.
[00:37:33.660] - Nadia Kailouli
Nein, okay. Ja, gut.
[00:37:35.400] - Christian Fröhler
Aber es gibt natürlich Wege, wie man damit umgeht. Also was bei mir persönlich unglaublich wichtig war: Ich habe dann irgendwann mal, also 2010, 20 Jahre, nachdem ich aus dem Internat raus war, meine Geschichte aufgeschrieben und die ist dann auch … Ich glaube, da gibt es so eine staatliche Stelle, unabhängige Kommission, die, glaube ich, wirklich unabhängig von der Kirche auch ist, die dann so Jahrbücher veröffentlicht haben. Und meine Geschichte steht in einem von diesen Jahrbüchern drin. Und dieses Jahrbuch, das ist für mich super wichtig. Also das steht bei mir auch ganz prominent im Arbeitszimmer. Das ist immer so im Sichtfeld und das ist so diese persönliche Aufarbeitung. Da ist meine Geschichte drin, da steht drin, das ist wirklich passiert, so ist es geschehen. Und das ist wirklich wie so ein Anker, der einen dann auch psychisch ein bisschen hält. Und diese Geschichte zu erzählen und in einem richtigen Rahmen und dann auch in einem Rahmen, wo auch andere Leute das lesen können und damit transparent umzugehen, das war für mich persönlich der Weg einfach der Aufarbeitung. Und das ist auch das, ein Rahmen, den wir auch den anderen Betroffenen gerne geben, dass sie die Möglichkeit haben, ihre Geschichte zu erzählen. Erst mal hören wir zu. Wir stellen nicht so Fragen wie: „Boah, warum hast du denn nichts gesagt?" Und „Es war doch alles gar nicht so schlimm", sondern wir wissen, was da passiert ist und wie schwierig das ist. Und das ist eine Unterstützung, die wir den Leuten gerne geben, die auch angenommen wird, dass wir einfach zuhören und auch ein Forum haben auf unserer Webseite, wo man diese Geschichten in anonymisierter Form, wenn die Leute das wollen und freigeben, auch veröffentlichen kann. Und für viele Betroffene war das auch wirklich ein Riesenschritt, wo sie ihren Freunden, ihren Verwandten sagen können: „Hey, da steht zwar jetzt nicht mein Name drin, aber das ist das, was mir passiert ist."
[00:39:10.720] - Andreas Ernstberger
Wir haben ja auch Fälle, wo sich Leute bei uns melden, die mit uns genau dann dieses Gespräch haben. Und wir gehen ja auch gar nicht auf die Details ein. Wir wissen ja teilweise gar nicht voneinander, was da wirklich passiert ist. Das ist auch gar nicht wichtig. Aber wo uns dann erzählt wird, „Ihr seid jetzt, glaube ich, die einzigen Personen, die das jetzt über mich wissen." Die können sich gar nicht innerhalb der Familie, also ihrem Partner, öffnen oder ihren Eltern oder Geschwistern, weil sie wissen: „Ich überfordere die damit" oder „das geht nicht", oder … Aber selbst wenn man es dann teilen würde, hat man das Gefühl: „Hups, die helfen mir jetzt nicht", oder „Die können damit gar nicht umgehen." Und das fühlt sich ja auch nicht gut an, wenn man dann so was teilt und dann wird es aber abgeblockt oder passiert nichts oder es wird nicht zugehört. Oder gerade wenn man vielleicht dann mit Eltern spricht, ist es ja auch eigentlich in der Verantwortung der Eltern ja auch vielleicht, seinem Kind dann da Unterstützung zu geben oder Unterstützung hätte geben können, ist aber nicht erfolgt. Und das ist eine ganz komplizierte Dynamik auch, wo auch viel Schuld mit reinfließt. Also das ist nicht einfach. Und von daher ist es, glaube ich, schon ein tolles Angebot. Und da haben wir auch gefragt: „Was sind denn Dinge, die euch wirklich weiterbringen?" Und das sind eben auch solche Gespräche dann einfach auch. Und dann sich dort auf den eigenen Weg der Aufarbeitung zu machen. Und der ist für einige unterschiedlich. Manche stellen sich dem ja auch, dass sie sagen: „Hey, ich mache jetzt erst mal einen Drogenentzug, ich mache eine Psychotherapie." Manche sind da weiter, manche weniger. Das ist ganz, ganz unterschiedlich und jeder geht seinen eigenen Weg und wir unterstützen halt dabei oder zeigen auch vielleicht dann Möglichkeiten auf.
[00:41:01.060] - Nadia Kailouli
Ich finde es auf jeden Fall toll, dass ihr uns heute darüber erzählt habt, über das, was passiert ist, aber vor allem über die Möglichkeiten, die ihr mit „Wir sind Viele!" Mit eurem Verein anbietet. Und es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Orden irgendwann dann doch öffnet, zu sagen: „Wir legen offen, was damals passiert ist und wir sind bereit, mit euch gemeinsam in die Aufarbeitung zu gehen." Ich sage vielen Dank, dass ihr heute bei uns bei einbiszwei wart. Danke schön.
[00:41:26.430] - Christian Fröhler
Vielen Dank.
[00:41:26.990] - Andreas Ernstberger
Vielen Dank.
[00:41:58.620] - Nadia Kailouli
Ich finde, nach dieser Folge wird mal wieder klar, dass sexuelle Übergriffe, sexueller Missbrauch eben so, so, so, so lange eine Rolle im Leben spielt, auch wenn man erwachsen ist und meint man steht stabil im Leben, man hat eine eigene Familie gegründet. Es holt einen immer wieder ein. Und umso deutlicher, muss man einfach sagen, müssen Institutionen wie die Kirche, wie zum Beispiel so ein Orden, bereit dafür sein und offen dafür sein, zu sagen: „Wir klären auf, wir unterstützen euch als Betroffene und wir verschließen hier nicht weiter die Bücher."
[00:42:04.020] - Nadia Kailouli
Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle „Missbrauchsbeauftragte". Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.
Mehr Infos zur Folge
Mindelheim, eine kleine Stadt in Bayern. Hier befindet sich viele Jahre lang ein katholisches Internat der Maristen-Brüder. Von 1986 bis 2007 arbeitet dort ein Klosterbruder, ein sogenannter Frater, des Ordens, zuerst als Erzieher, später als Internatsleiter. Schon früh gibt es Hinweise, Gerüchte, auch konkrete Vorwürfe sexueller Übergriffe. Doch der Orden greift nicht ein. Nach der Nachtruhe ruft der Frater Jungen in sein Zimmer. Leicht bekleidet müssen sie antreten. Er fasst ihnen in den Intimbereich, gibt ihnen Alkohol und testet, wie weit er gehen kann. Auch Vorwürfe der Vergewaltigung werden später bekannt. Als einige der Anschuldigungen 2007 den Maristen gemeldet werden, informieren sie weder die Kinder noch deren Eltern, stattdessen wird der Frater still und heimlich an eine andere Stelle versetzt.
Die erste Verurteilung auf Bewährung im Jahr 2008 bleibt innerhalb der Ordensgemeinschaft ein Geheimnis. Erst als der Spiegel 2010 über den Fall berichtet, wird die Öffentlichkeit informiert. Innerhalb von nur zwei Wochen melden sich zwei Dutzend weitere Betroffene bei der Zeitung. Im Lauf der Jahre werden es mehr. „70 Kinder und Jugendliche bei einem mutmaßlichen Täter. Wenn das zutrifft, wäre das einer der großen Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche in Deutschland", schreibt Spiegel-Journalist Jonah Lemm. Zwei weitere Verurteilungen folgen 2010 und 2024 – wieder Bewährungsstrafen. Die Maristen kennen die Fälle seit Jahren und dennoch schließen sie den Mann erst kurz vor dem jüngsten Verfahren offiziell aus dem Orden aus – seine Wohnung zahlen sie weiterhin.
Um den Missbrauch nach mehr als zwanzig Jahren endlich aufzuarbeiten, gründen Betroffene den gemeinnützigen Verein "Wir sind Viele!". Der Verein geht von einer dreistelligen Zahl von Betroffenen aus. Andreas Ernstberger und Christian Fröhler, selbst in den 1980ern Schüler am Internat und von sexuellen Übergriffen durch den Frater betroffen, sind heute Vorsitzende des Vereins.

LINKSAMMLUNG
Website des Vereins
„Wir sind Viele”
Petition „Keine Einrede der Verjährung in Schmerzensgeldprozessen!”
Zur Petition
BR-Beitrag mit Christian und Andreas (11/24)
Missbrauch am Maristen-Internat: Verein hilft Betroffenen
Artikel zu dem Prozess 2023/ 2024:
Beitrag im Bayerischen Rundfunk (09/24)
Sexuelle Gewalt am Maristenkolleg: Mutmaßliches Opfer sagt aus
Artikel in der Süddeutschen Zeitung (02/24)
Freispruch für Frater, der Schüler vergewaltigt haben soll
Pressemitteilung des Landgerichts Memmingen (03/25)
Urteil rechtskräftig: Strafverfahren gegen ehemaligen Leiter des Maristeninternats
Artikel in Der Spiegel (09/24)
Missbrauchsprozess in Bayern: „Mama, hilf mir!”
Artikel zu weiteren Fällen und Aufarbeitung:
Artikel in Der Spiegel (02/10)
Kirche: Traumatische Vergangenheit
Artikel in Süddeutschen Zeitung (03/10)
Maristenkolleg Mindelheim: Die Lüge der Fratres
Artikel in Süddeutschen Zeitung (03/25)
Missbrauchsgutachten über Maristenbrüder in Auftrag gegeben
Beitrag im Bayrischen Rundfunk (03/25)
Missbrauch in Ordens-Internat: Opfer sehen sich übergangen
