Podcast | Folge: 120 | Dauer: 31:17

Mein Sohn ist 16 und treibt sich regelmäßig auf Pornoseiten rum. Was soll ich tun, Ulli Freund?

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Das Interview der Folge 120 als Transkript lesen

[00:00:15.000] - Ulli Freund

Erstmal kann man sich freuen, dass sein Kind so romantisch unterwegs ist und sich verliebt. Das ist ja überhaupt nichts Schlechtes und dass sich Kinder in Erwachsene verlieben oder in irgendwelche Stars oder so, das ist das Normalste auf der Welt. Das dürfen die. Man darf dem Kind dann aber auch mal sagen: „Dir ist schon klar, auch wenn du dir das vielleicht wünschst, deine Lehrerin, dein Lehrer darf darauf niemals eingehen. Das wird eine unerfüllte Schwärmerei bleiben. Das muss dir bitte klar sein. Aber auch unerfüllte Schwärmereien sind richtig toll."

[00:00:31.860] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:00:55.640] - Nadia Kailouli

"Ich glaube, meine Tochter ist in ihren Lehrer verliebt. Was soll ich machen?" Oder: "Mein Sohn trifft sich für sein Hobby mit einem viel älteren Mann. Ist das okay?" Das sind Fragen, die ihr uns stellt und ich bin sehr froh, dass wir die Präventionsexpertin Ulli Freund an unserer Seite haben, denn Ulli arbeitet im Team der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und ist Spezialistin für alles rund um das Thema Erziehung. Und sie beantwortet heute eure Fragen, was euch beschäftigt.

[00:01:22.540] - Nadia Kailouli

Content Note. In dieser Folge gibt es Schilderungen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

[00:01:30.760] - Nadia Kailouli

Es ist mal wieder so ein Montag, wo wir viele Fragen haben für Ulli Freund und sie ist da. Herzlich willkommen.

[00:01:35.480] - Ulli Freund

Hallo.

[00:01:36.160] - Nadia Kailouli

Schön, dass du da bist. Wir haben einige Fragen wieder bekommen.

[00:01:39.230] - Ulli Freund

Ja?

[00:01:39.570] - Nadia Kailouli

Ja. Und wir sortieren das jetzt immer so ein bisschen nach Themenschwerpunkten und wir wollen heute mal anfangen mit so ein bisschen in den Sportverein reingucken. Da haben wir bei einbiszwei auch schon oft darüber gesprochen, Übergriffe im Turnverein und und und. Und das ist ja auch so ein Bereich, wo man ganz oft sagen muss: „Oh, ich weiß gar nicht, war das jetzt übergriffig? War das nicht?" Weil es geht ja viel um Körperkontakt bei manchen Sportarten. Und eine Hörerin, die hat uns folgendes geschrieben: „Meine Tochter ist im Turnverein. Ich gucke da oft zu. Ich habe immer das Gefühl, dass der Trainer die Kinder bei der Hilfestellung mehr berührt als nötig. Aber ich habe auch nicht wirklich Ahnung und ich will den Mann ja auch nicht darauf ansprechen. Wie bekomme ich aber heraus, ob das Hilfestellung ist oder mehr?"

[00:02:23.000] - Ulli Freund

Na ja, Hilfestellung. Hilfestellung muss man erst mal ankündigen. Die Frage ist: Kündigt der Mann an, dass er die Kinder anfassen wird, anfassen muss? Was ist sozusagen das, womit die Kinder rechnen müssen? Gibt es Alternativen? Gibt es auch die Möglichkeit, dass die Kinder untereinander sich diese Hilfestellung geben? Und kann man die eigentlich auch ablehnen? Also diese Fragen würde ich stellen und ehrlich gesagt, die muss man am Ende auch dem Trainer stellen. Wie soll denn da sonst Klarheit reinkommen? Ich verstehe gut, dass die Mutter nicht möchte, dass der Trainer sich da angezählt fühlt und irgendwie unter Verdacht gerät oder so, sondern dass sie einfach sagt im Sinne von Klarheit: „Mir ist manchmal gar nicht klar, was ist denn hier so verabredet, was die Hilfestellung betrifft. Ich selber, ich war ja auch mal eine Schülerin oder ich war ja auch mal in dem Alter. Ich kenne solche Situationen, wo man sich als Kind manchmal ganz unwohl fühlt. Wie habt ihr das denn hier geregelt? Wissen die Kinder, wann Sie anfassen, wie Sie anfassen? Haben Sie mit den Kindern irgendwas vereinbart, dass sie sagen können, wenn ihnen was zu viel wird, dass sie das sagen sollen, dass es auch erwünscht ist?" Also gibt es da sozusagen eine Offenheit für Abgrenzung, Offenheit für Beschwerde, wenn was zu viel war? Also all das ist ja auch zum Schutz des Trainers, denn ein Trainer, der sich deshalb gar nicht über die Schultern in die Karten gucken lässt, der sagt: „Ich mache das einfach, wie ich will", der muss am Ende auch damit rechnen, dass man sagt: „Aber wieso macht er das nur, wie er will? Warum macht er das nicht transparent, was er hier für angemessen hält und was nicht?" Weil dann könnte man darüber sprechen.

[00:04:00.380] - Nadia Kailouli

Also eher schon auch fragend an diesen Trainer gehen, als verurteilend: „Ich habe gesehen so..."

[00:04:05.020] - Ulli Freund

Um Himmels Willen, nicht verurteilen. Nein, es geht ja auch nicht darum, dass man den Mann jetzt hier verdächtigt, dass er den Kindern zu nahe tritt, aber einfach sich darüber informieren, eine Klarheit verschaffen, was ist von ihrer Seite eigentlich erforderlich? Muss jede Hilfestellung sein? Gibt es Alternativen? Und vor allem: Wie gehen wir damit dass die Kinder sich eben auch bemerkbar machen können, wenn was zu viel ist? Ehrlich gesagt, die Mutter, die da auch immer wieder mal zuguckt, ist natürlich auch ein Schutz. Nur, wenn unter den Augen der Mutter oder der Eltern ein nicht angemessenes Verhalten stattfindet und die reagieren nicht, dann kann er auch weitermachen, wenn er was anderes vorhat, als Hilfestellung geben. Wissen Sie, wenn es wirklich ein Täter wäre und Eltern reagieren nicht, dann merkt er: "Ja, okay, die machen hier alles mit, hier sagt ja keiner was", dann kann die Person die Grenzen verschieben und immer mehr Hilfestellung geben, immer mehr und das immer dann alles unter sportlichen Aspekten rechtfertigen, wenn es dann hart auf hart kommt. Also deswegen ist es wichtig für beide Seiten, ihn zu schützen vor falschem Verdacht, aber eben auch die Kinder zu schützen, dass deutlich gemacht wird, was ist hier Hilfestellung, wann ist damit zu rechnen und wie sieht die genau aus?

[00:05:15.260] - Nadia Kailouli

Es gibt auch Fälle, die sind eindeutiger wie folgender eines Hörers: „Bei uns im Turnverein wurde aufgedeckt, dass einer der Kinder- und Jugendtrainer jahrelang übergriffig war. Mein Kind war bis vor zwei Jahren auch in dem Verein. Ich mache mir jetzt Sorgen, was soll ich machen?"

[00:05:31.760] - Ulli Freund

Na ja, er kann ja sein Kind mal fragen, ob er es mitbekommen hat, dass dieser Trainer … Ich hoffe, der ist nicht mehr da.

[00:05:37.550] - Nadia Kailouli

Das weiß ich nicht.

[00:05:39.360] - Ulli Freund

Also wenn rausgekommen ist, dass der übergriffig war über Jahre, wäre die richtige Konsequenz, sich von dem zu trennen. Ich hoffe mal sehr, der Verein hat das getan, dann müsste das dem eigenen Kind auch zu Ohren gekommen sein: „Der ist nicht mehr da. Mal fragen, ob er…" Ist das ein Junge oder ein Mädchen?

[00:05:53.240] - Nadia Kailouli

Weiß ich nicht.

[00:05:53.720] - Ulli Freund

Also ob das Kind eigentlich weiß, warum der nicht mehr da ist und dass es da Vorfälle gab, wo sich Kinder unwohl gefühlt wo er ihn zu nahe getreten ist, wo er sie vielleicht blöd angefasst hat. Also das kann man dem Kind dann schon auch so erzählen. Da muss man keinen Details preisgeben. Aber dass man sagt: „Sag mal, wie ist es dir eigentlich mit dem ergangen? War zwischen euch immer alles okay? Hast du auch mal Situationen erlebt oder war es in Ordnung?" Also nicht einreden: „Du, du hast doch bestimmt auch schlechte Erfahrungen." Um Himmens Willen, das wäre falsch. Aber sozusagen den Raum öffnen, damit das Kind sagen kann: „Ja", oder „Nein, bei mir war immer alles in Ordnung." Kann ja beides sein. Und wenn der Jugendtrainer, wenn der da jahrelang übergriffig war, heißt es ja auch nicht, dass er gegenüber allen Kindern übergriffig war. Vielleicht hat er einfach auch ein spezielles, ich sage mal in Anführungsstrichen, "Beuteschema". Vielleicht bei den Mädchen vor allem oder bei den Jüngeren oder bei den, weiß ich nicht, 10-jährigen Jungs, die ihn besonders ansprechen, was auch immer. Das heißt nicht, dass das eigene Kind betroffen sein muss, aber man muss damit rechnen.

[00:06:51.020] - Nadia Kailouli

Aber man fragt jetzt eben nicht ganz konkret: „Hat dich damals der Trainer angefasst?"

[00:06:55.060] - Ulli Freund

Nein. „Wie ist es dir mit dem gegangen? Du weißt, der ist ja weg, weil er nämlich mit manchen Kindern nicht okay war. Der hat manche Kinder angefasst. Da haben sich zum Glück Eltern beschwert und deswegen…" Oder was auch immer. Er muss halt so ein bisschen erzählen, was da die Geschichte ist und dann den Raum öffnen, damit ein Kind was sagen kann. Eben nichts einreden, also nicht suggestiv werden, aus lauter Angst, aber eben damit rechnen, dass dem eigenen Kind was passiert sein könnte. Und wenn ich den Raum nicht eröffne als Elternteil, dann muss das Kind diesen Schritt machen. Dann würde ich dem Kind diese Last aufbürden, zu sagen: „Ach übrigens, mir ist das auch mal passiert." Und das ist so schwer für Kinder. Deswegen lieber mal nachfragen, nicht einreden, aber den Raum eröffnen, was zu sagen.

[00:07:39.060] - Nadia Kailouli

Jetzt haben wir ja gerade schon von der Hörerin die Frage bekommen, dass sie sich gar nicht so sicher ist: „Ist das jetzt übergriffig? Ist das so eine Hilfestellung?" Also dieses Erkennen: „Oh, da passiert etwas, was nicht okay ist", ist ja oft gar nicht so einfach. Und eine Hörerin schreibt uns dazu: „Ich habe gerade die Folge von einbiszwei mit der Frau gehört, die von ihrem Lehrer Liebesbriefe bekommen hat. Meine Tochter ist 14, hat neulich ein Lehrer auch ein Kompliment gemacht und meinte, dass ihr ein Kleid gut stehe. Ist das okay oder schon übergriffig?"

[00:08:11.040] - Ulli Freund

Es ist unnötig. Ein Kommentar zum Äußeren von Schülerinnen und Schülern sollte von Lehrkräften in der Form nicht erfolgen. Es kann sein, dass der einfach gedankenlos war und ein Kompliment machen wollte, nett sein wollte, ein positives Feedback. Ich weiß ja auch nicht, was es für eine Schülerin ist, ob die vielleicht eher eine Schüchterne ist, wo er dachte: „Mensch, die baue ich ein bisschen auf, da sage ich doch mal was Nettes." Ist aber nicht seine Aufgabe. Günstig ist das nicht.

[00:08:36.160] - Nadia Kailouli

Und sagt man das dem Lehrer dann beim nächsten Gespräch: „Meine Tochter hat mir erzählt, sie haben ihr Komplimente gemacht zu ihrem Kleid. Das finde ich irgendwie nicht in Ordnung," oder so? Sagt man das? Sagt man das nicht?

[00:08:46.440] - Ulli Freund

Na ja, ich finde schon, dass der Lehrer wissen sollte und auch wieder, es geht nicht darum, dass man den sofort bezichtigt, was Übles gewollt zu haben, aber dass man ihm sagt: „Meine Tochter hat mir das erzählt, weil sie das irritiert hat. Das ist sie gar nicht gewohnt aus der Schule. Ich kenne das auch nicht aus meiner Schulzeit. Also ich wollte Ihnen das einfach nur mal sagen, dass das irritiert. Es war sicher nett gemeint von Ihnen", das darf man ihm erst mal zugutehalten, „aber ich würde Sie bitten, machen Sie das nicht. Da weiß meine Tochter nicht, mit umzugehen." Denn wissen Sie, wenn es nämlich dann ein Mensch ist, der gedankenlos ist, dann hat er einen ganz wichtigen Hinweis bekommen für sich, sich anders zu verhalten, dass er das nicht wieder macht, nicht wieder Irritationen auslöst. Ist es aber jemand, der so sich an ein Kind rangroomt, indem er Positives sagt, sich über Äußeres äußert, dann hat er zumindest den Hinweis: „Oh, dieses Kind spricht. Oh, diese Mutter kommt und spricht auch da drüber." Und damit ist im Prinzip das Kind geschützt.

[00:09:46.380] - Nadia Kailouli

Ja, also eigentlich geht es gar nicht darum, war es jetzt nett gemeint oder nicht, sondern ein Kompliment ist ja eigentlich erst mal immer nett gemeint.

[00:09:53.740] - Ulli Freund

Aber nicht in dieser sachlichen Situation. In Schule passt das nicht. Die waren ja nicht im Club.

[00:09:58.920] - Nadia Kailouli

Ja, also eigentlich ist, wie du schon sagtest, das ist eigentlich unnötig, dass der Lehrer einer Schülerin Komplimente macht.

[00:10:05.720] - Ulli Freund

Zum Äußeren.

[00:10:06.340] - Nadia Kailouli

Zum Äußeren, genau.

[00:10:07.220] - Ulli Freund

Wenn sie richtig gut gerechnet hat, darf er ihr das gerne sagen. Aber das ist nicht seine Aufgabe. Und ich finde eben nicht den Vorwurf: „Was fällt Ihnen ein? Was sagen Sie meiner Tochter?" Sondern man darf ihm zugutehalten – das war nur nett gemeint –, aber man darf ihm auch vermitteln, dass man das im Rahmen für unangemessen hält und jedenfalls Irritationen damit ausgelöst werden. Ja, so oder so. Entweder man hat ins Schwarze getroffen und da hat jemand tatsächlich eine tatsächlich absichtliche Grenzverletzung begangen, also eine Überschreitung, dann ist er auch gewarnt.

[00:10:40.460] - Nadia Kailouli

Jetzt gibt es ja Lehrer, die findet man unfassbar scheiße, aber es gibt auch Lehrer, die findet man unfassbar toll. Und auch das verschwimmt dann manchmal und Schüler verlieben sich in ihre Lehrerin oder in den Lehrer. Wie geht man denn damit um als Eltern, wenn man merkt, meine Tochter oder mein Sohn hat da eine Schwärmerei für die Lehrkraft?

[00:10:58.020] - Ulli Freund

Na ja, erst mal kann man sich freuen, dass das eigene Kind so romantisch unterwegs ist und sich verliebt. Das ist ja überhaupt nichts Schlechtes – und dass sich Kinder in Erwachsene verlieben oder in irgendwelche Stars oder so, das ist das Normalste auf der Welt. Das dürfen die. Man darf dem Kind dann aber auch mal sagen: „Dir ist schon klar, auch wenn du dir das vielleicht wünschst, deine Lehrerin, dein Lehrer darf darauf niemals eingehen. Das ist ein Erwachsener, der unterrichtet dich, du bist von dem abhängig. Das wird eine unerfüllte Schwärmerei bleiben. Das muss dir bitte klar sein. Aber auch unerfüllte Schwärmereien richtig toll."

[00:11:32.300] - Nadia Kailouli

Okay. Also erst mal nicht dafür verurteilen, dass das passiert ist?

[00:11:36.800] - Ulli Freund

Nein, nein, nein, nein, nein, Um Himmels Willen. Das wüsste ich auch nicht, warum. Ich meine, so ein Gefühl, das ist ja erst mal ein tolles Gefühl, nur es darf nicht in die Tat umgesetzt werden, und zwar von Seiten des Lehrers oder von der Lehrerin nicht.

[00:11:48.040] - Nadia Kailouli

Sollte man die Lehrer dann informieren: „Hören Sie mal, meine Tochter hat mir erzählt, dass sie verliebt in Sie ist", oder „ich habe einen Tagebuch-Eintrag gesehen, da steht Herr Dr. Irgendwas-schmitz ist mein großer Schwarm", oder so. Informiert man den Lehrer, damit der Lehrer vielleicht nicht mehr so nett ist?

[00:12:03.480] - Ulli Freund

Nein.

[00:12:04.050] - Nadia Kailouli

Nein?

[00:12:04.480] - Ulli Freund

Nein, das fände ich unfair. Also erst mal würde man wahrscheinlich sein Kind darüber nicht informieren und hinter seinem Rücken über seine Gefühle sprechen. Das geht überhaupt nicht. Geht überhaupt nicht, finde ich. Und die Lehrkraft, die da so angeschwärmt wird, was hat die denn von der Information? Soll die jetzt plötzlich nicht mehr freundlich sein? Also das kann es nicht sein. Also ich wüsste überhaupt keinen Vorteil davon.

[00:12:26.920] - Nadia Kailouli

Okay. Also eine Schwärmerei ist eine Schwärmerei und dass man die auch mal für Erwachsene hat, als Jugendlicher oder als Kind...

[00:12:32.960] - Ulli Freund

Ist das Normalste auf der Welt, aber es ist eben nichts, was sich dann in der Gegenseitigkeit am Ende abbilden kann. Und das muss man sagen, so wird es auch sein: "Da darf niemand drauf eingehen. Da bist du vielleicht auch ein bisschen traurig und vielleicht würdest du es ganz gerne anders haben. Auch das ist normal, aber das wird nichts."

[00:12:51.240] - Nadia Kailouli

Ja, und es wird auch wieder besser. Also wenn dann die Tränen kullern, weil man realisiert, das wird nichts, meine ich.

[00:12:57.430] - Nadia Kailouli

„Freue dich über dein Gefühl, aber es wird nichts."

[00:12:59.110] - Nadia Kailouli

Okay. „Sorry, es wird nichts." Mein Gott, und das ist auch ein Satz, den wird man auch noch mal hören, wenn man älter wird, nicht wahr?

[00:13:04.320] - Ulli Freund

Ja, selbst da, wo es erlaubt wäre. Nicht alles wird was.

[00:13:08.500] - Nadia Kailouli

Ich kriege gerade so ein Trauma, wie auch, wo du mir gesagt hast: „Nein, das wird nichts." Also wir haben eine Frage gekriegt, und zwar: „Mein Sohn hatte eigentlich ein sehr gutes Verhältnis zu seinem Gitarrenlehrer. In letzter Zeit will er nicht mehr hingehen. Er hat Bauchschmerzen, sagt er dann immer. Warum er nicht mehr hin will, bekomme ich nicht aus ihm heraus. Ich würde ihn da ja abmelden, aber mein Sohn lernt da echt viel. Ich überlege jetzt, ob ich mal bei anderen Eltern nachfragen soll, wie es ihren Kindern mit dem Gitarrenlehrer geht, oder stelle ich ihn dann automatisch unter Verdacht? Das will ich ja nun auch nicht."

[00:13:42.260] - Ulli Freund

Also der Sohn will da nicht mehr hin?

[00:13:44.280] - Nadia Kailouli

Der sagt, er hat Bauchschmerzen.

[00:13:45.550] - Ulli Freund

Er hat Bauchschmerzen. Das sind ja ziemlich starke Beschwerden. Das heißt, das Kind hat ein absolutes Nein-Gefühl. Abmelden! Also was sonst? Man kann dann im nächsten Schritt noch mal sagen: „Sagt mal, haben eure Kinder auch Probleme?", wenn wenn man da sich dafür interessiert, ob es da möglicherweise Vorfälle gab. Oder man kann den anderen sagen: „Wir haben unseren Sohn abgemeldet, der will da gar nicht mehr hin. Warum wissen wir auch nicht. Ist es bei euch alles okay? Wollen eure Kinder da noch hin?" Also  auch vorsichtig zu fragen: „Na, ist euch mal was komisch vorgekommen?" Ruckzuck hat man da Gerüchte in die Welt gesetzt und die fängst du ja nicht mehr ein. Und es ist dann möglicherweise gegenüber dem Lehrer, der hier Musikunterricht, Gitarre unterrichtet, auch verstößt gegen seine Persönlichkeitsrechte, hinter seinem Rücken Gerüchte zu streuen. Das geht überhaupt nicht. Aber offen zu fragen: „Ist bei euch zwischen den Musikschülern und dem Lehrer, ist da alles in Ordnung? Unser Kind will da einfach nicht mehr hin. Wir wissen nicht genau, warum, aber wir haben ihn jetzt abgemeldet. Das ist für uns der Maßstab, dass er sich nicht wohlfühlt."

[00:14:44.790] - Nadia Kailouli

Und jetzt haben ja Eltern immer das Gefühl: „Aber ich habe doch Verantwortung für mein Kind und mein Kind sieht ja noch gar nicht, was für ein Super-Talent das ist. Und wenn ich den jetzt abmelde und dann geht alles verloren, was er jetzt die letzten zwei Jahre da gelernt hat."

[00:14:56.000] - Ulli Freund

Es wird ja wohl noch einen anderen Gitarre-Lehrer geben. Ja, Und das ist eben dieser Ehrgeiz von Eltern, dass sie eben oft die Leistungen und die Möglichkeiten, die Perspektiven, Entwicklungsperspektiven über das Wohl ihres Kindes stellen. Das haben wir bei diesen Sporteltern häufig, das haben wir bei Musikeltern, die so sehr, sehr ambitioniert sind, wenn es um die Leistungen ihrer Kinder geht. Man darf sich an den Möglichkeiten der Kinder freuen, man sollte sie auch unbedingt fördern, aber nicht gegen das Wohl des Kindes. Ein Kind, was so deutlich zeigt: „Ich will da nicht mehr hin", hat seine Gründe. Und möglicherweise kann es das derzeit auch nicht sagen, was es ist.

[00:15:32.920] - Nadia Kailouli

Und da auch keinen Druck aufbauen und so, oder?

[00:15:36.500] - Ulli Freund

Nein, eher sagen: „Du magst es nicht sagen oder du kannst es nicht sagen. Vielleicht kannst du es zu einem anderen Zeitpunkt. Jetzt machen wir es erst mal so, wie du das willst. Wir melden dich da ab. Du musst da nicht hin. Wollen wir jemand anders suchen? Brauchst du erst mal eine Pause?" So, also ich würde hier keinen Druck aufbauen, auf gar keinen Fall. Das hatten wir ja wirklich häufig genug. Das wissen wir ja aus den Betroffenenberichten, dass Kinder oder Jugendliche, die in Internaten waren, ihren Eltern nicht gesagt haben, was ihnen da widerfährt, weil sie nämlich genau wussten, dass die Eltern heilfroh sind, dass sie diesen Platz ergattert haben und dass sie dieser Bildungseinrichtung so viel zutrauen und überhaupt nicht darauf gehört haben, wie es ihren Kindern eigentlich geht. Und die Kinder wussten auch genau: „Es glaubt mir eh keiner, das ist auch alles nicht wichtig, wie es mir geht. Wichtig ist, dass ich hier in Altgriechisch und Latein spitze bin." Dieser Druck von Eltern führt dazu, dass Kinder sich nicht anvertrauen. Und wenn diese Mutter, dieser Vater, ich weiß nicht mehr, da entspannter wird und sagt: „Am aller wichtigsten ist, dass es dir gut geht. Toll wäre, wenn du weitermachst mit Gitarre, weil du hast da echt Talent, aber nicht um jeden Preis. Das entscheiden wir zusammen."

[00:16:39.200] - Nadia Kailouli

Zu einem ähnlichen Thema gab es noch eine Frage von Thomas. Der hat geschrieben: „Meine zwei Söhne haben einen Lehrer, der von den Schülern häufig als „Pädo" bezeichnet wird. Ich denke nur, weil der irgendwie schon älter ist, er nach Rauch riecht und sie ihn eklig finden. Eine andere Begründung habe ich noch nicht aus ihnen herausbekommen. Ich finde das aber schädlich und nicht in Ordnung, mit so einem Wort so rumzuwerfen. Die Jungs finden, ich übertreibe. Wie seht ihr das? Das würde mich interessieren."

[00:17:09.100] - Ulli Freund

Oh, also wir wissen nicht, ob die Jungen wissen, was ein Pädo ist, ob sie das benutzen, einfach so als Abwertung, einen alten Lehrer, der ihnen vielleicht körperlich unangenehm ist, der ihnen nicht sympathisch rüberkommt, den irgendwie abzuwerten. Die könnten den auch „Arschloch" nennen. Aber „Pädo" ist einfach ein Schimpfwort, aber vielleicht ist auch was dran und das muss man herausfinden. Und das geht am ehesten so, dass man sagt: „Ist euch klar, was ein Pädo ist?" Oder „Weißt du eigentlich, was ein Pädo ist?" Und dann spricht man über Pädosexualität, nämlich darüber, dass es Erwachsene sind, die auf Kinder stehen, auf Kinder stehen und mit Kindern Sex haben wollen. Und ob sie solche Gründe haben, warum sie ihn so bezeichnen, oder ob sie ihn einfach nur eklig finden, blöd finden, nicht mögen, dann müssten sie das anders ausdrücken beziehungsweise noch mal überlegen: Ist es wichtig, ein Lehrer, der älter ist, der nach Rauch riecht? Was? Der roch nach Rauch, oder?

[00:18:01.160] - Nadia Kailouli

Der roch nach Rauch und sieht irgendwie eklig aus, genau. Also in den Augen der Kinder.

[00:18:05.060] - Nadia Kailouli

Ja, der ihnen optisch nicht gefällt. Also ob es Ihnen eigentlich zusteht, den so abzuwerten, kann man schon auch mal fragen: Was bringt das? Also hat der nicht auch ein Recht zu sein, wie er will. Gut, nach Rauch stinken ist natürlich blöd für Kinder. Aber dann sollen sie sagen: „Der stinkt. Der stinkt nach Rauch." Dann sollen sie das auch ausdrücken, dann sollen sie dafür sich ein Wort überlegen, dann ist das angemessener. Aber „Pädo", als allgemeinen Sammelbegriff für „Wir werten dich ab, wir können dich nicht leiden", da habe ich erhebliche Bedenken. Deswegen dem auf den Grund gehen: Gibt es irgendeinen Hintergrund, der diesen Begriff zutreffend erscheinen lässt. Wissen die, was das ist? Haben die den Eindruck, dass der hinter Kindern her ist?

[00:18:48.140] - Nadia Kailouli

Und auch wenn sich dieser Eindruck bestätigt, gibt das ja den Kindern noch nicht die Berechtigung, solange das ja … Also das finde ich so schwierig. Also angenommen, es kommt jetzt raus: Ja, dieser Lehrer … Oder nur von den Erzählungen der Kinder … Dieser Lehrer, der hat immer so ein Heft und da sind Fotos von kleinen Kindern in Badehose zum Beispiel drin. Vielleicht haben die so was gesehen, oder, oder, oder. Aber juristisch ist ja überhaupt nichts belegt, sondern das sind die Aussagen der Kinder. Muss man den Kindern dennoch klar machen, dass ihr diesen Lehrer in der Öffentlichkeit nicht Pädo rufen dürft, auch wenn es Hinweise darauf gibt, von dem, was Sie gesehen haben, dass dieser Mensch eventuell wirklich eine Pädosexuelle Störung hat?

[00:19:26.380] - Ulli Freund

Ich finde, die Frage ist gar nicht so sehr, was dürfen jetzt noch die Kinder, sondern was macht man, wenn man von den Kindern weiß, dass es Hinweise gibt, dass der eine pädosexuelle Präferenzstörung hat? Ist der in seinen Beruf eigentlich richtig? Also da würde ich mal meine Energie reinsetzen, mir zu fragen, dieses Beispiel, was Sie genannt haben, wie kann es eigentlich sein, dass Kindern so ein Heft vor die Augen kommt in der Schule? Das hat er ja offensichtlich so gemacht, dass sie es sehen. Wenn wir so was haben, dann würde ich nicht meine Energie darauf verwenden, den Kindern zu sagen, sie dürfen nicht mehr „Pädo" sagen, sondern würde ich mit dem lieber nachgehen: Was ist da eigentlich los?

[00:20:00.680] - Nadia Kailouli

Ja, verstehe.

[00:20:01.140] - Ulli Freund

Und ich kenne auch Fälle, wo Kinder über sexuelle Übergriffe durch Lehrkräfte oder durch andere Erwachsene nicht sprechen, aber sich zur Wehr setzen, indem sie diesen Begriff aus der Tasche ziehen. Das gibt es ja auch. Also das ist im Prinzip eben doch der Hinweis, hier läuft was schlimm. Und dann muss ich dem nachgehen. Deswegen die Frage: Wissen die, was das ist? Hat es einen realen Hintergrund oder ist es einfach nur ein allgemeines Schimpfwort?

[00:20:27.260] - Nadia Kailouli

Ja, und das ist jetzt die Aufgabe der Eltern, erst mal auf den Grund zu gehen.

[00:20:32.230] - Ulli Freund

Ja, aber nicht gleich verbieten, das zu sagen. Das wäre nicht das Erste, sondern: „Wisst ihr eigentlich, was ihr sagt? Ist euch der Begriff klar?" Und dann aber auch sagen, nicht nur „Weißt du es eigentlich?", sondern „Ich weiß es. Ich sage es dir mal, was diese Leute für ein Problem haben. Die stehen auf Kinder, die stehen überhaupt nicht auf Erwachsene. Die gehen manchmal auch, wenn sie sich nicht beherrschen und nicht kontrollieren, an Kinder ran. Und das ist absolut schlimm für Kinder und das ist auch wirklich verboten. Dafür kann man auch bestraft werden, zum Glück. Aber deswegen lasst uns noch mal überlegen: Warum sagt ihr denn, Pädo, gibt es da irgendwas, was in diese Richtung geht? Habt ihr was mitbekommen? Habt ihr was erlebt? Und wenn nicht, dann ist es ein absolutes No-Go, diesen Begriff zu verwenden."

[00:21:09.960] - Nadia Kailouli

Merve hat uns eine E-Mail geschrieben zu einem ganz anderen Thema: „Ich passe seit einigen Jahren ab und zu auf das kleine Kind meiner Nachbarn auf. Die Nachbarn haben sich jetzt getrennt und die Frau hat mir nach der Trennung erzählt, dass der Mann dem Kind gegenüber manchmal körperliche Gewalt angewendet hat und sie glaubt, dass er vielleicht auch sexuell übergriffig war. Die Familie ist mittlerweile in Therapie, aber ich fühle mich trotzdem komisch damit: Hätte ich das erkennen müssen und was hätte ich dann tun können?"

[00:21:36.940] - Ulli Freund

Sie ist die Babysitterin?

[00:21:38.800] - Nadia Kailouli

Sozusagen. Die hat ab und zu aufgepasst aufs Kind. Nach der Trennung der Nachbarn hat sie erfahren …

[00:21:46.170] - Ulli Freund

Ja, da hat die Mutter das dann gesagt.

[00:21:48.340] - Nadia Kailouli

Da hat die Mutter das gesagt und jetzt macht sie sich sozusagen selber verantwortlich. Hätte sie selbst denn was erkennen können, dass dieses Kind Gewalt oder vielleicht sogar sexuelle Übergriffe vom Vater erlebt hat, weil sie ab und zu auf das Kind aufgepasst hat?

[00:22:00.420] - Ulli Freund

Ja, die Frage ist: Wie alt war das Kind? Hat das Kind ihr was erzählt? Hatte das Kind Verletzungen? Hatte das Kind blaue Flecken? Was bei Gewalt ja der Fall sein kann. Wenn sie da weggeguckt hätte und sich gedacht hätte: „Na ja, wird schon alles seine Richtigkeit haben", das wäre nicht so gut. Da hätte sie durchaus eine Möglichkeit gehabt, sich beraten zu lassen, zum Beispiel im Kinderschutzbund oder beim Kinderschutzzentrum: „Was soll ich jetzt machen als Babysitterin?" Dafür gibt es diese Fachberatungsstellen. Wenn sie keine Hinweise hatte, dass das Kind nichts gesagt hat, körperlich alles in Ordnung war und sexuelle Übergriffe eines Erwachsenen an Kindern sind ja meistens überhaupt nicht durch körperliche Anzeichen erkennbar, was hätte sie denn sehen wollen? Verhaltensauffälligkeiten, das ist für eine Laiin auch schwierig einzuschätzen. Also da müssten wir mehr wissen, aus welchem Grund sie denkt, sie hätte da irgendwas wissen müssen. Sie kann ja nicht hellsehen.

[00:22:59.420] - Nadia Kailouli

Ja.

[00:23:00.000] - Ulli Freund

Also wenn sie aber Hinweise hatte, entweder optische, oder das Kind was gesagt hat und sie dann nichts gemacht hat als Babysitterin, dann hat sie da ihre Verantwortung leider nicht wahrgenommen. Und kann man sich aber trotzdem im Nachhinein beraten lassen zu der Frage: „Das und das habe ich gesehen. Was hätte ich denn eigentlich tun können?" Um so ein bisschen auch seine Möglichkeiten zu verstehen und auch zu wissen: „Okay, das habe ich wohl verpasst, würde ich in der nächsten Babysitter-Situation dann aber auch anders machen."

[00:23:25.280] - Nadia Kailouli

Jetzt gehen wir mal davon aus, ihr hättet was gesehen, ihr wurde was gesagt. Jetzt nicht konkret: „Mein Papa fasst mich an, aber Papa ist manchmal komisch, Papa möchte manchmal mit mir spielen und ich will nicht" oder was auch immer. Was hätte sie machen können? Hätte sie was gesehen, blaue Flecken oder Auffälligkeiten oder sogar Hinweise?

[00:23:43.780] - Ulli Freund

Ja, dann hätte sie zu einer Fachberatungsstelle gehen sollen. Eine Kinderschutzfachberatungsstelle. Gar nicht nur zu sexualisierter Gewalt, wenn es was, also auch um andere Formen von Gewalt geht, dann eher Kinderschutzbund oder so und sich dann beraten lassen: „Soll ich mit dem Kind sprechen? In welcher Form soll ich sprechen? Soll ich was in Erfahrung bringen? Oder geht es darum, eher das Jugendamt zu informieren über meine Beobachtungen?" Also da müssten wir sehr viel mehr wissen, um jetzt ins Detail zu gehen, aber eine Fachberatungsstelle hätte ihr sagen können: „Machen Sie dies, machen Sie das." Und die hätten eben auch die richtigen Fragen gestellt, damit sie auch noch mal ins Nachdenken kommt und möglicherweise auch noch mal anders auf das Kind guckt und vielleicht andere Kommunikationen noch versucht, um mehr zu erfahren.

[00:24:24.460] - Nadia Kailouli

Carlo hat uns eine Mail geschrieben: „Mein bester Freund hat mir vor kurzem erzählt, dass er in seiner Kindheit missbraucht wurde. Wir haben viel darüber gesprochen. Er ist jetzt in Therapie und kümmert sich um sich. Aber auch ich merke, dass mich das Thema sehr belastet und ich nicht weiß, wie ich damit eigentlich umgehen soll. Ich habe irgendwie Angst. Ich habe Angst, nicht das Richtige zu sagen. Ich versuche immer, ansprechbar zu sein, wenn er darüber sprechen will. Aber wenn es mir manchmal zu viel ist, wie kann ich damit als Angehöriger besser umgehen?"

[00:24:51.380] - Ulli Freund

Also offenbar hat er viel richtig gemacht, denn sein Freund hat es ihm erzählt. Er scheint einer zu sein, dem man so was erzählen kann. Also da kann er sich schon mal ja, auf die Schulter klopfen. Hat er gut gemacht, er hört zu und er hat aber auch Grenzen. Er kann nicht immer wahrscheinlich. Manchmal wird es ihm auch zu viel und da hat er auch ein Recht drauf. Also auch Betroffene müssen im Gespräch mit Nichtbetroffenen oder mit den Menschen, denen sie sich anvertrauen, auch so respektvoll umgehen, dass sie deren Grenzen auch wahren. Also wenn ich mal was nicht hören kann, darf ich das auch sagen. Was wir häufig haben, ist, dass Menschen, die sich ins Vertrauen gezogen werden, dass die zu stark in die Verantwortung gehen, dass sie das Gefühl haben, sie müssten jetzt was lösen, sie müssten einen Tipp geben, sie müssten Anweisungen geben: Was ist jetzt zu tun? Das muss man meistens gar nicht. Dafür hat man Fachleute. Und der Mann ist in Beratung, der hat Fachleute, er hat einen Therapeuten oder Therapeutin, Er als Freund hat die Aufgabe, für ihn da zu sein, hin und wieder auch mal ihm zuzuhören, aber nicht ihm die Therapie zu ersetzen, aber ein soziales Umfeld zu funktionieren. Als Mensch, der vermittelt: „Du bist mein Freund, du bleibst mein Freund, du bist für mich immer noch der gleiche, obwohl du diese Erfahrung gemacht hast. Ich weiß jetzt mehr über dich. Ich danke dir für das Vertrauen." Auch das darf man mal sagen. Das heißt ja was, dass der Freund das gewagt hat, ihm das zu erzählen. Und das darf man auch mal spiegeln.

[00:26:12.500] - Nadia Kailouli

Ich würde gerne mit dir über das Thema Machtverhältnisse sprechen. Da ist es ja manchmal so, sei es in Freundschaften oder in Beziehungen, dass das Machtgefälle ganz groß sein kann und manchmal wirkt das zunächst harmlos, aber irgendwie bekommt man vielleicht hier oder da doch ein komisches Gefühl und so ein Gefühl haben wir geschickt bekommen. Und zwar: „Mein Sohn hat ein sehr spezielles Hobby. Er ist Trainspotter und liebt es, Züge zu beobachten, bestimmte Modelle zu erkennen und reist dafür auch manchmal an verschiedene Orte. Seit kurzem trifft er sich mit einem Mann aus dem Internet, der auch Züge spotet. Ich habe ein komisches Gefühl, da der Mann älter ist. Auf der anderen Seite freue ich mich natürlich, dass mein Sohn dieses Hobby mit jemandem teilen kann und sich zugehörig fühlt. Aber was soll ich jetzt tun?"

[00:26:56.660] - Ulli Freund

Ich würde mich mal fragen, warum dieser erwachsene Trainspotter keine erwachsene Trainspotter findet?

[00:27:01.540] - Nadia Kailouli

Ja.

[00:27:03.820] - Ulli Freund

Die Frage- Ich weiß nicht, wie alt der Junge ist?

[00:27:07.280] - Nadia Kailouli

Ja, ich denke, wenn der unseren Podcast hört, ist der jetzt nicht 19, sein Sohn, sondern eher ein Jugendlicher, wenn er schon alleine oder wenn er schon alleine an verschiedene Orte fährt, sagen wir mal irgendwas zwischen 13 und 16 vielleicht, würde ich jetzt mal schätzen, so aus unserer Zielgruppe.

[00:27:24.100] - Ulli Freund

Ja, da wäre ich doch sehr hellhörig als Elternteil und würde mich fragen, nicht warum will mein Kind mit diesem Erwachsenen die Züge da begucken? Das ist ja wohl naheliegend, weil er hat da einen Gleichgesinnten und das ist gut. Aber was motiviert den Erwachsenen? Es gibt genügend Erwachsene, die sich für Züge interessieren. Warum sucht er sich einen, der so viel jünger ist, der jugendlich ist? Also wahrscheinlich, was bringt ihm das?

[00:27:51.320] - Nadia Kailouli

Das soll er jetzt seinen Sohn fragen?

[00:27:53.320] - Ulli Freund

Das kann sein Sohn wahrscheinlich nicht beantworten. Sein Sohn wird sagen: „Wir gucken Züge. Wir sind da einfach wie Freunde." Aber erwachsene Freunde, die auch die Eltern nicht kennen …

[00:28:02.530] - Nadia Kailouli

Eigentlich ist das doch okay. Eltern kontaktieren ja auch mal Freunde oder wollen sie kennenlernen. Und wenn das ein Freund ist und der älter ist, können doch Eltern auch erwarten: „Dann möchte ich diesen Freund doch mal kennenlernen", oder?

[00:28:13.900] - Ulli Freund

Zum Beispiel. Das wäre für mich der nächste Schritt. Also ich würde meinem Sohn sagen: „Mich wundert’s, warum der sich mit dir anfreundet. Nicht, dass du nicht ein toller Kerl wärst, aber es gibt so viele Erwachsene, die dieses Hobby haben. Was interessiert den eigentlich an einem Jugendlichen, der sein Hobby teilt? Du, ich möchte den einfach mal kennenlernen. Lad den bitte ein." Dann würde ich ihm die Frage stellen, warum er das nicht mit Erwachsenen teilt, dieses Hobby?

[00:28:38.940] - Nadia Kailouli

Okay. Jetzt ist ja dieses …

[00:28:41.790] - Ulli Freund

Möglicherweise kommt er nicht.

[00:28:43.320] - Nadia Kailouli

Ja wahrscheinlich nicht.

[00:28:43.980] - Ulli Freund

Möglicherweise wird er sich auch nicht mal mit dem Jugendlichen treffen.

[00:28:46.270] - Nadia Kailouli

Wenn die Eltern sagen: „Kommen Sie mal vorbei?"

[00:28:48.110] - Ulli Freund

Ja.

[00:28:48.360] - Nadia Kailouli

Okay, verstehe.

[00:28:49.700] - Ulli Freund

Also Sie merken, bei mir schrillen die Alarmglocken.

[00:28:52.910] - Nadia Kailouli

Ja, okay, gut. Ich glaube, man darf dann auch … Also ich sage mal so: Diese Frage, die uns hier erreicht hat, „Ich habe ein komisches Gefühl", ist ja absolut berechtigt, oder?

[00:29:03.350] - Ulli Freund

Ich habe auch ein komisches Gefühl, kann ich nur sagen.

[00:29:05.460] - Nadia Kailouli

Okay, gut. Dann können wir dem Vater ja mitgeben...

[00:29:07.480] - Ulli Freund

Ich meine, wenn man über pädosexuelle Strategien weiß, dann kommt natürlich das Gefühl noch mal ein bisschen stark - auch fachlicherseits - ins Spiel. Und ich weiß einfach oder wir wissen einfach, dass Menschen, die sich für Jugendliche oder für Kinder interessieren, sexuell, dass die eben strategisch so vorgehen, dass sie gemeinsame Hobbys pflegen und eben den Kindern vermitteln: „Ich bin wie du. Wir sind da ganz gleich." Ob die wirklich das Hobby haben, ist eine ganz andere Frage. Aber sie biedern sich den Kindern häufig an über die Interessen der Kinder. Deswegen auch gerade, wenn es eben online läuft, also das Ausfragen: „Was machst du eigentlich gerne? Was sind deine Hobbys? Was ist deine Lieblingsmusik?" Das hat oft den Zweck, dann zu sagen: „Du, ist genau die gleiche Gruppe, die ich total toll finde. Wollen wir nicht mal?" Oder „Das Hobby habe ich auch. Wollen wir nicht was austauschen? Wollen wir uns mal dazu treffen?" Also die haben dann plötzlich alle die gleichen Hobbys. Komisch, ne? Also das ist wirklich eine bekannte Strategie und deswegen klingeln bei mir die Alarmglocken. Es kann aber auch sein, dass der völlig harmlos ist, der Typ. Das wissen wir nicht.

[00:30:07.100] - Nadia Kailouli

Okay, aber trotzdem dem Gefühl erst mal folgen und vielleicht fragen: „Ach, dann bring den doch das nächste Mal mit. Dann wollen wir deinen Freund mal kennenlernen."

[00:30:14.760] - Ulli Freund

„Den wollen wir mal kennenlernen." Genau.

[00:30:16.520] - Nadia Kailouli

Ulli, ich danke dir sehr und wir sind gespannt auf die nächsten Fragen mit dir. Vielen Dank.

[00:30:21.010] - Ulli Freund

Ich danke euch auch. Tschüss.

[00:30:24.800] - Nadia Kailouli

Ach Leute, es ist immer wieder schön, dass Ulli Freund bei uns zu Gast ist und mein Highlight-Satz dieser Folge war wirklich: „Freu dich über dein Gefühl, aber es wird nichts." Da finde ich, da können Eltern damit dann zu ihren Kindern gehen und sagen: „Ja, ist es schön, dass du in deinen Lehrer oder deiner Lehrerin verliebt bist, aber das wird nichts." Wir freuen uns auf jeden Fall über weitere Fragen von euch, denn Ulli Freund wird natürlich bald auch wieder bei uns zu Gast sein und diese beantworten.

[00:30:49.520] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: einbiszwei@ubskm.bund.de.

Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle 'Missbrauchsbeauftragte'. Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.

Mehr Infos zur Folge

Ich glaube, meine Tochter ist in ihren Lehrer verliebt, was soll ich machen? Oder: Mein Sohn ist 16 und treibt sich regelmäßig auf Pornoseiten rum. Was soll ich tun? – Das sind Fragen, die ihr uns stellt. Zum Glück haben wir die Präventionsexpertin Ulli Freund an unserer Seite. Ulli arbeitet im Team der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung und ist Spezialistin für alles rund um das Thema Erziehung. Und sie hat Antworten auf das, was euch beschäftigt.

Ulli Freund im Portrait

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Ein Handlungsleitfaden zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Grenzverletzungen, sexualisierter Belästigung und Gewalt im Sport
Safe Sport Publikation

Informationen, wie du mit Kindern über Missbrauch sprechen kannst oder was du bei einem Verdacht tun kannst, gibt es in der #NichtWegschieben-Heftereihe:
Nicht-Wegschieben.de

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

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