Podcast | Folge: 121 | Dauer: 39:36

Ein Kind klagt an – warum habt ihr die Geschichte von Karla verfilmt, Yvonne Görlach und Christina Tournatzés?

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Das Interview der Folge 121 als Transkript lesen

[00:00:01.340] - Christina Tournatzés

Ich fand eben an dieser Geschichte, an Karla, das Besondere, dass Karla so eine starke Figur ist. Sie ist eine Kämpferin. Sie ist für mich eigentlich eine Heldin, die eben so sehr an ihre Freiheit, an ihre Selbstbestimmung glaubt und der das so wichtig ist, dass sie diesen Weg vor Gericht geht, der sehr, sehr schwierig ist, gerade für Kinder und gerade dann, wenn man eben aus der eigenen Familie oder aus dem eigenen Umfeld gar keine Unterstützung hat.

[00:00:26.980] - Yvonne Görlach

Die reale Karla, die hat zu mir immer gesagt, sie wollte nicht das erzählen, was genau passiert ist, sondern sie wollte zeigen, was es ausgelöst hat bei ihr, also was das verursacht hat, dass es ihr nicht gut geht damit.

[00:00:43.140] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:01:05.940] - Nadia Kailouli

Wer sexuelle Gewalt erlebt hat und den Mut findet, darüber zu sprechen und dann Anzeige zu erstatten, steht vor enormen Herausforderungen. Immer wieder muss man über das Erlebte sprechen, mit fremden Menschen der Polizei, vor der Staatsanwaltschaft und schließlich vor Gericht. Was aber, wenn die Betroffenen Kinder sind und nicht darüber sprechen können, hat ein Verfahren dann überhaupt eine Chance? Der Film Karla, der am 2. Oktober in Deutschland in die Kinos kommt, widmet sich genau diesen Fragen. Er erzählt die wahre Geschichte von Karla Ebel, die von ihrem Vater missbraucht wurde und 1962 aus eigener Kraft vor Gericht zieht. An ihrer Seite ist der Richter Lamy, der ihr glaubt und einen Weg findet, mit ihr zu arbeiten, ohne dass sie das, was sie erlebt hat, aussprechen muss.

[00:01:51.160] - O-Ton Film - Richter Lamy

Weißt du, was das ist?

[00:01:53.800] - O-Ton Film - Karla Ebel

Eine Stimmgabel.

[00:01:56.150] - O-Ton Film - Richter Lamy

Ja. Das wird ab jetzt unser Geheimzeichen. Wann immer du etwas nicht aussprechen kannst, was dein Vater dir …, dann bedeutet das unzüchtige Handlung. Ich verstehe dann, was du nicht sagen kannst.

[00:02:17.820] - Nadia Kailouli

Und über diesen Film sprechen wir jetzt mit der Drehbuchautorin Yvonne Görlach und der Regisseurin Christina Tournatzés.

[00:02:24.200] - Nadia Kailouli

Herzlich willkommen bei einbiszwei Yvonne Görlach und Christina Tournatzés. Schön, dass ihr da seid, zugeschaltet.

[00:02:32.100] - Yvonne Görlach

Schön, dass wir da sein dürfen. Ganz toller Podcast.

[00:02:35.880] - Christina Tournatzés

Danke für die Einladung.

[00:02:37.480] - Nadia Kailouli

Ich freue mich total, weil ich durfte den Film ja schon sehen, der Film "Karla", der von euch ist. Und wir würden diese Folge eigentlich direkt gerne damit anfangen, dass wir Karla direkt mal aus eurem Film hören.

[00:02:52.420] - O-Ton Film - Karla Ebel

Ich bin Karla Ebel, zwölf Jahre alt und möchte Anzeige erstatten.

[00:02:57.860] - O-Ton Film - Polizist

Und wen oder was genau magst du anzeigen?

[00:03:05.220] - O-Ton Film - Karla Ebel

Karl Ebel.

[00:03:07.600] - Nadia Kailouli

Karl Ebel möchte Karla anzeigen. Wer von euch möchte sagen, wer Karl Ebel ist und warum Karla ihren Karl Ebel anzeigen möchte?

[00:03:16.760] - Yvonne Görlach

Vielleicht fange ich mal an. Ich bin die Drehbuchautorin gewesen und kenne Karla persönlich sehr gut, sehr lange. Und Karlas Vater wurde in dem Fall angezeigt. Karl Ebel ist Karlas Vater.

[00:03:33.620] - Nadia Kailouli

Du hast gerade gesagt, du kennst Karla persönlich. Jetzt müssen wir sagen, du kennst nicht die Karla persönlich, die wir gerade gehört haben. Die wir gerade gehört haben, ist die Schauspielerin, die Karla spielt. Aber das Drehbuch basiert sozusagen auf einer wahren Geschichte, richtig?

[00:03:48.360] - Yvonne Görlach

Genau. Natürlich ist Karla in der Form im Film eine Kunstfigur, aber es gibt eine Vorlage, eine reale Person, die ich gut kenne.

[00:04:00.840] - Nadia Kailouli

Was ist dieser Person passiert, dass du gesagt hast: „Okay, darüber schreibe ich ein Drehbuch"?

[00:04:07.000] - Yvonne Görlach

Mich hat besonders interessiert das Dilemma, in dem Kinder sind, die mit solchen fürchterlichen Erlebnissen konfrontiert sind. Das Dilemma zwischen den Schuldgefühlen, dass sie etwas tun, was ihre Familie zerstört und dem eigenen Überlebensdrang. Und dieses Kind hat das auf sich genommen, diesen Spagat zu machen und das hat mich sehr, sehr berührt. Deswegen wollte ich darüber ein Buch schreiben.

[00:04:41.160] - Nadia Kailouli

Dieses Buch hast du, Christina, dann als Regisseurin dann gemeinsam mit Yvonne sozusagen auf die Kinoleinwand gebracht. Was fandest du denn… Ich sage das jetzt mal. Ich versuche jetzt mal, erst mal in diesem Film-Talk zu bleiben, was ja eigentlich gar nicht so unser Metier ist, hier bei einbiszwei. Aber was fandest du an diesem Buch so gut, faszinierend und so, dass du gesagt hast: „Alles klar, ja, ich sehe da einen Film. Ich will den Film dazu machen."?

[00:05:06.660] - Christina Tournatzés

Die Hoffnung tatsächlich, die am Ende dieses Films steht oder dieser Geschichte. Mir fällt auf, dass immer, wenn irgendwie das Thema Kindesmissbrauch aufkommt oder sexuelle Gewalt, natürlich im Allgemeinen Sinn, aber dann auch vor allem bei Kindern, dass eben die Gesichter der Menschen meistens total versteinern und man so ein ganz, eigentlich sich alles zusammenzieht und man so ein richtiges Ih-Gefühl bekommt, so eine Machtlosigkeit, so ein Gefühl, das eigentlich ganz, ganz furchtbar ist. Und das ist auch so und deswegen ist es sehr schwierig, darüber Filme zu drehen, Geschichten zu machen, weil es eben ein Thema ist, was einen total hoffnungslos zurücklässt und total machtlos. Und ich fand eben an dieser Geschichte, an Karla, das Besondere, dass Karla so eine starke Figur trotzdem ist. Also was heißt trotzdem? Sie ist eine starke Figur, sie ist eine Kämpferin, sie ist für mich eigentlich eine Heldin, die am Ende … Ich will jetzt auch irgendwie nicht zu viel spoilern, weil ich natürlich hoffe, dass möglichst viele Menschen in diesen Film gehen, aber die eben so sehr an ihre Freiheit, an ihre Selbstbestimmung glaubt und der das so wichtig ist, dass sie diesen Weg vor Gericht geht, der sehr, sehr schwierig ist, gerade für Kinder und gerade dann, wenn man eben aus der eigenen Familie oder aus dem eigenen Umfeld gar keine Unterstützung hat, also wenn man praktisch ganz alleine ist. Und das alles schafft Karla oder will es, glaubt daran, dass sie das schaffen kann und das fand ich eben unglaublich berührend und so stark und deswegen wollte ich diesen Film dann machen.

[00:06:35.560] - Yvonne Görlach

Und vielleicht ist noch wichtig nachzufügen, dass es auch um Sprache geht, weil Karla über etwas sprechen muss, worüber sie überhaupt nicht sprechen will. Und das ist auch ein sehr, sehr wichtiger Punkt, auch zwischen uns gewesen, Christina, immer dieses: Wie kann man etwas sagen, was man nicht sagen will? Und die reale Karla, die hat zu mir immer gesagt, sie wollte das erzählen, nicht das erzählen, was genau passiert ist, sondern sie wollte zeigen, was es ausgelöst hat bei ihr, also was das verursacht hat, dass es ihr nicht gut geht damit und eben nicht drüber sprechen.

[00:07:15.020] - Nadia Kailouli

Jetzt muss man ja sagen, der Film basiert eben auf einer wahren Geschichte, auf einer Karla, die du Yvonne kennst. Und der spielt ja nicht in der heutigen Zeit, sondern er spielt ja in den 60ern. Und da zeigt ihr eben eine sehr, ich sage das jetzt mal so, sehr mutige Karla, die sich traut, zur Polizei zu rennen – das war die Szene, die wir zum Anfang eben gehört haben – und sagt: „Hier, ich will meinen Vater anzeigen." Wie realistisch ist, also wie wahr ist das? Weil man sich denkt: „Das kann doch gar nicht sein, da kann doch nicht so ein kleines Mädchen einfach zur Polizei gehen und sagen: 'Ich will meinen Vater anzeigen.'" Ist das jetzt Fiktion, dass es ein guter Film wird, oder ist das etwas, was Karla genauso gemacht hat?

[00:07:54.360] - Christina Tournatzés

Doch, das war so.

[00:07:55.500] - Yvonne Görlach

Ich habe auch die Prozessunterlagen studieren und dieses Kind hat das gemacht und sie ist als erstes zur Polizei und sie wollte bei der Polizei erreichen, dass ihr zugehört wird und dass ein Richter ihr zuhört. Auch das ist original so passiert.

[00:08:16.020] - Nadia Kailouli

Was ich daran so spannend finde, ist, das war irgendwie so mein persönlicher Eindruck. Ich rede hier in diesem Podcast schon seit mehr als zwei Jahren jetzt mit Menschen, die entweder präventiv was sexualisierte Gewalt machen oder die selber sexuelle Gewalt erlebt haben, die auch eben schon die Erfahrung gemacht haben, wie es ist, von der Polizei befragt zu werden. Und da habe ich ganz oft gehört, dass das oft überhaupt nicht gut gelaufen ist. Im Gegenteil, auch dieser Prozess dann, wenn man zum Beispiel vor Gericht war, wie belastend und schrecklich das war, diese Gespräche zu führen mit Anwälten, mit Polizisten etc. Und in dem Fall, wenn ich jetzt den Film eben gesehen habe, dachte ich: Puh, ey. Also puh, ey, da hört endlich mal jemand zu. So ist es doch eigentlich gar nicht.

[00:09:07.480] - Yvonne Görlach

Ein Mensch muss dir zuhören. Einer reicht.

[00:09:11.840] - Nadia Kailouli

Ja. Hattet ihr kurz, Christina, überlegt: „Wir müssen hier ein bisschen mehr Drama reinbringen?" War das so ein Gefühl für dich oder eine Idee von euch oder habt ihr euch ganz klar daran orientiert, zu sagen: „Nein, das machen wir nicht. Wir übertreiben das jetzt hier nicht so", oder so?

[00:09:29.320] - Christina Tournatzés

Minimal. Genau. Wir haben tatsächlich uns ziemlich sehr daran gehalten, wie diese Geschichte ist, also dieses Grundsätzliche, was du auch gerade erwähnt hast. Da geht jetzt ein Mädchen zur Polizei und klopft da an und sagt, sie will mit einem Richter sprechen. Das war alles so. Und auch, dass sie dann eben das Glück tatsächlich hatte, einen Menschen zu finden, eben diesen Richter Lamy. Wir haben ihn dann Richter Lamy genannt, der sich diesem Fall annimmt und der wirklich Besonderes leistet, also herausragend eigentlich diesem Kind dann zuhört und wirklich genau hinguckt. Das war tatsächlich so. Wir haben an einer Stelle so ein bisschen was dazu erfunden. Wir haben zum Beispiel die Sekretärin, die haben wir dazu erfunden. Also die gab es in dem Originalfall, zumindest wissen wir nicht von ihr. Und wir haben einen Staatsanwalt dazu erfunden beziehungsweise haben wir dieses ganze System der Staatsanwaltschaft, weil diese Hintergrundgeschichte gab es schon, dass der Richter tatsächlich auch seiner eigene Karriere geschadet hat, diesem Mädchen zu helfen. Und diese ganze Backstory haben wir quasi in einer Figur verknüpft. Und das ist eben der Staatsanwalt Fries, der dann eben die Staatsanwaltschaft repräsentiert und da eben dem Richter so ein bisschen auch Schwierigkeiten macht beziehungsweise einfach sagt: „So geht das eigentlich nicht und eigentlich dürftest du gar nicht dieses Mädchen im Vorhinein so lange befragen" und so weiter. Also der hat eben teilweise schon, sage ich mal, sehr unwahrscheinlich gehandelt. Also nichts, was er gemacht hat, ist falsch beziehungsweise illegal, aber es ist unwahrscheinlich, dass ein Richter so handelt. Und da war aber auch so ein bisschen die Schwierigkeit, das muss man auch dazu sagen, dass eben, wie du schon gesagt hast, der Film 1962 spielt und sich unser juristisches System seitdem verändert hat. Und da mussten wir schon auch viel recherchieren: So, wie war das denn damals überhaupt? Wie viel hat ein Richter gemacht? Und so weiter. Und damals, muss man aber auch sagen, gab es sehr wenige Fälle vor Gericht und erst recht weniger, die man irgendwie findet, die sich eben mit dieser Thematik befassen, also sexuelle Gewalt an Kindern.

[00:11:36.880] - Nadia Kailouli

Du hattest die Sekretärin angesprochen und wir würden da gerne noch mal einen Ausschnitt aus dem Film zeigen, wo genau diese Sekretärin, die ihr sozusagen in eurer Fiktion dazu gebracht habt, in den Film reingepackt habt, obwohl es die so gar nicht gab. Wollen wir mal kurz hören, was es da für Gespräche gab:

[00:11:54.780] - O-Ton Film - Frau Steinberg

Die Kleine braucht ihre Hilfe.

[00:11:56.180] - O-Ton Film - Richter Lamy

Ach, Sie wissen doch, wie das läuft. Solche Fälle, die fallen doch schon vor dem Prozess in sich zusammen.

[00:12:01.360] - O-Ton Film - Frau Steinberg

Solche Fälle? Wann gab es je ein Kind, das alleine gekommen ist?

[00:12:06.480] - O-Ton Film - Richter Lamy

Aussage gegen Aussage. Mehr wird das nicht. Ich habe mich doch jetzt schon zum Affen gemacht.

[00:12:13.360] - O-Ton Film - Frau Steinberg

Es gibt Schlimmeres.

[00:12:16.360] - Nadia Kailouli

Genau, das war die Sekretärin und das Gespräch halt eben mit dem Richter Lamy. Wie war für euch diese Arbeit dahingehend zu sagen: „Okay, es gibt jetzt ein Mädchen, die Karla, die zeigt ihren Vater an, die möchte mit einem Richter sprechen, sie möchte vor Gericht ziehen. Und Karla kann es teilweise irgendwie in Worte fassen, was da passiert ist – auch sehr juristisch, ja, wie sie sich ausdrückt und teilweise eben nicht –, aber ihr habt euch ja dazu entschieden, nichts irgendwie abzubilden. Also es gibt hin und wieder so Flashbacks, also visuell, dass man irgendwie zurückfällt in die Zeit, wo Karla bei ihrer Familie ist und da Übergriffe vorkommen, aber ihr zeigt sie nicht. Ihr zeigt keine Übergriffshandlungen, keine Vergewaltigungsszenen, keine Missbrauchsszenen. Warum habt ihr euch entschieden, diesen Film davon komplett freizuhalten?

[00:13:10.940] - Christina Tournatzés

Weil man so was nicht zeigen kann, finde ich. Also geht einfach nicht. Und es war eigentlich von Anfang an klar, dass es solche Szenen nicht geben wird. Und letztendlich ist es ja Karlas Prämisse. Also ihre Prämisse ist, gehört zu werden, ohne über das Unsagbare sprechen zu müssen. Und letztendlich gilt das auch für die Kamerasprache. Also gilt dann, quasi gesehen zu werden, ohne das Unzeigbare zu zeigen. Das kann man letztendlich auch auf die Bildsprache dann legen, dieses Muster. Also ich finde einfach, man kann so was nicht zeigen. Wir wollten eben auf keinen Fall, dass irgendwer eine Assoziation bekommt von Bildern, die auf irgendeine Art und Weise missbrauchsnah sind. Und wir sind sogar eben so weit gegangen, dass wir nicht mal mit der Schauspielerin in diesem Raum gedreht haben. Also die Flashbacks, die du gerade erwähnt hast, das sind in dem Sinne nicht Film-Flashbacks, das sage ich immer dazu, sondern das sind psychologische Flashbacks. Also es sind sozusagen Erinnerungsfetzen dieses Traumas, was eben ein traumatisierter Mensch in dem Fall hat, also dass man dann einfach das noch mal durchlebt und es kommt dann plötzlich, durchlebt man das noch mal und das nennt man eben Flashbacks in der Psychologie.

[00:14:31.500] - Christina Tournatzés

Ja, sag gerne was dazu, Yvonne.

[00:14:33.300] - Yvonne Görlach

Ja, ich fand das so toll, wie sie das umgesetzt haben, dass im Grunde die Kamera immer quasi die Perspektive des Kindes einnimmt. Also man guckt mit dem Kind und dadurch guckt man nicht auf das Kind. Und das war, Christina, von Anfang an super wichtig, dass dieser Blick sehr, sehr klar niemals das Kind verrät, weil das passiert oft genug. Es ist nämlich natürlich auch ein bisschen so was wie eine Parabel oder eine Metapher für diese Gerichtsprozesse. Uns ist es sehr bewusst, dass es oft ganz, ganz anders läuft. Deswegen haben wir versucht, von diesen unangenehmen Texten auch ein bisschen was in den Prozess hineinzunehmen, um zu zeigen, wie fies das normalerweise läuft. Aber es gibt eben diese Möglichkeiten. Jeder Richter hat Möglichkeiten, anders zu handeln. Und so ist es auch mit der Kamera. Die Kamera hat die Möglichkeit, anders zu gucken und nicht eine Person, die betroffen ist, noch mal zu verraten. Und das finde ich unglaublich gut gelungen.

[00:15:40.380] - Christina Tournatzés

Genau, darauf wollte ich gerade noch mal eingehen, eben auf diese Flashbacks, die psychologischen Flashbacks. Yvonne, du hast es ja schon angedeutet. Es ist letztendlich so, wenn Karla in diesem Raum sitzt mit dem Richter und ja wirklich darüber sprechen muss, weil sonst gibt es keinen Fall. Das ist ihr Dilemma. Sie möchte ihren Vater vor Gericht bringen, kann aber letztendlich nicht über die Übergriffe sprechen oder weigert sich das zu tun, weil sie sich unglaublich schämt und weil es für sie entwürdigend ist und weil sie auch irgendwie zum einen wirklich ihr die Worte fehlen, zum anderen sie aber auch sagt: „Ich will das nicht, weil mir geht es eben unglaublich schlecht, wenn ich darüber spreche und ich will dieses Gefühl nicht mehr haben." Dann haben wir eben eine Bildsprache entwickelt, diese Flashbacks, die aber dann eben nur aus ihrer POV erzählt werden. Das heißt, die Kamera ist sie und wir sehen eben diesen Ausschnitt nur von dem, was sie sieht. Und dadurch findet zum einen ihr Körper niemals in dem Raum statt, wo der Übergriff passiert ist, einfach um dieses Bild gar nicht erst zu schaffen. Und zum anderen war es eben auch der Vorteil, dass wir nicht mit der Schauspielerin, weil das muss man eben auch mitdenken, die Schauspielerin war ja auch zwölf Jahre alt, als wir es gedreht haben. Die wurde nie in eine Situation gebracht, wo sie irgendwas nachspielen muss. Also wir konnten diese Szene komplett ohne sie drehen, weil nur der Kameramann mit seiner Kamera an der Stelle lag, wo sie lag und dann eben sie sozusagen … Also die Kamera ist sie und sie sieht das, aber sie musste das nicht spielen oder die Schauspielerin war eben nicht im Raum. Und das war der große Vorteil. Genau, das sind die Flashbacks. Das sind aber nur ganz kurze Bildfetzen und das sind auch letztendlich letztendlich in diesen Flashbacks vermischen sich auch zwei Welten. Jetzt wird es ein bisschen kompliziert, aber ich mache es ganz kurz. Wir haben es immer genannt Traumebene und Traumaebene. Karla hat sich immer in ihrem Kopf in ihre Traumwelt geflüchtet, wenn es eben schlimm wurde für sie. Und dann war es ihre Fluchtwelt. Und deswegen vermischt sich das auch in den Flashbacks. Also teilweise sind es dann wirklich Traumafetzen oder Erinnerungsfetzen und teilweise ist es aber ihre Fantasie, die sich da irgendwie mit einfädelt, um eben nicht dahin zu gehen an den Ort in ihrem Gehirn, wo es eben ganz schlimm ist. Und das vermischt sich auch in der Bildsprache. Und auch das war zum einen natürlich unglaublich wichtig, also überlebenswichtig für die echte Karla und für die Person selbst. Und zum anderen war es aber auch für uns als Filmemacher ein Geschenk, weil wir damit auch einfach dann geflüchtet sind teilweise, wenn wir gesagt haben: „Nein, das geht nicht, das kann man nicht sagen, das ist zu krass", oder „das wollen wir gar nicht zeigen, dann waren wir in der Fluchtwelt und das versteht der Zuschauer dann recht schnell und, denke ich mal, kann das auch mit nachvollziehen. Und auch der Zuschauer hat dann in dem Moment eigentlich kurz Pause, vielleicht auch um durchzuatmen, weil das ist auch wichtig, denke ich, dass auch der Zuschauer da auch mit durch muss, mit Karla, in dieser Emotionalität und durch diesen Film. Und auch da ist es, glaube ich, gut, wenn man so einen kurzen Moment hat, wo man mal auf eine Blumenwiese guckt und obwohl man natürlich das ganz Schlimme auch befürchtet, aber trotzdem ist es so ein kurzer Moment der Entlastung emotional.

[00:18:54.640] - Yvonne Görlach

Was ja auch wichtig ist, ist, dass in dieser Traumwelt wieder ein Dilemma steckt, weil Karla hat sich in diese Geschichten geflüchtet und gleichzeitig hat sie auch immer Geschichten erzählt. Und das hat dann was mit dem Thema Glaubwürdigkeit von Zeugen zu tun. Und das ist etwas, was mir auch so wichtig war, das zu zeigen, dass das nicht gleich jemand ist, der chronisch lügt, nur weil er Geschichten über sich erzählt, damit er sich nicht so schämen muss. Und das tun viele Betroffene sehr, sehr regelmäßig, dass sie Geschichten erfinden und erzählen. Und da braucht es halt jemanden, der das unterscheiden kann. Und deswegen haben wir da in der Bildsprache, glaube ich, das auch gut trennen können, damit das nicht auf sie zurückfällt, weil das ihr ja im Prozess auch vorgeworfen wird, dass sie lügt.

[00:19:50.060] - Christina Tournatzés

Die Fantasie schützt einen ja auch in dem Moment, wenn man es einfach nicht mehr erträgt. Es gibt ja auch dafür einen psychologischen Begriff, ich glaube, Dissoziation, dass man eben dann einfach diese Erinnerung quasi wegblendet und gar nicht eben hat, sondern eben stattdessen vielleicht was ganz anderes. Und da muss eben der Richter ganz genau hingucken und sehr genau sich mit Karla auseinandersetzen, der ja am Anfang in diese Falle tappt und eben das noch nicht natürlich kapiert, dass es ihr wirklich schlecht geht, wenn sie sagt: „Ich will nicht mehr reden", und dann eben erst mal zu weit geht. Und dann finden die aber letztendlich diesen Weg, dass es dann doch klappt am Ende.

[00:20:32.580] - Nadia Kailouli

Der Prozess, der fängt ja relativ früh auch an, dass Karla ziemlich klar ist: „Okay, ich muss den Richter überzeugen. Ich will, dass er mir glaubt." Und da hören wir auch mal kurz rein in diese Szene, wo Karla mit dem Richter spricht.

[00:20:46.980] - O-Ton Film - Karla Ebel

Ich will, dass Sie mir glauben.

[00:20:48.640] - O-Ton Film - Richter Lamy

Aber, Kind, darum geht’s doch.

[00:20:50.100] - O-Ton Film - Karla Ebel

Wenn mir niemand glaubt, kann mir niemand helfen. Deswegen muss ich beweisen, dass ich die Wahrheit sage. Da ich das alleine nicht kann, müssen sie mir glauben, damit die anderen mir auch glauben.

[00:21:00.140] - O-Ton Film - Richter Lamy

Aber was soll ich dir denn glauben?

[00:21:03.180] - Nadia Kailouli

Ja, das ist ein krasser Satz: „Wenn mir niemand glaubt, kann mir niemand helfen." Und der gilt damals, in den 60er Jahren, als Karla das so ausgesprochen hat, aber der gilt ja genauso heute. Also viele, die von sexueller Gewalt betroffen sind und das ansprechend zur Anzeige bringen wollen oder überhaupt gehört werden wollen, dieser Satz: „Wenn mir niemand glaubt, kann mir niemand helfen." Der ist so existenziell, finde ich.

[00:21:30.340] - Yvonne Görlach

Ja.

[00:21:30.780] - Christina Tournatzés

Ja. Und das ist total wahnsinnig schlimm, finde ich, wenn man sich vorstellt, dass es eben oft gar keinen gibt, der wirklich Zeuge sein kann, weil es ganz oft in diesen Fällen eben nur diese zwei Zeugen gibt und dann immer Aussage gegen Aussage steht. Und dann muss man jemanden überzeugen und dann muss man jemanden finden, der einem glaubt. Und wenn man eben ein Kind ist und man aber mit Erwachsenen nur spricht, dann ist es natürlich umso schwieriger, weil man ja noch nicht diese … Ja, oder oft vielleicht … Also Karla war ein total spezielles, besonderes Kind. Aber erst mal diese Willenskraft zu haben und diesen langen Atem und so sehr daran zu glauben, dass man das schafft, jemanden zu überzeugen, das ist schon heftig. Also ganz schlimm.

[00:22:17.420] - Nadia Kailouli

Yvonne: „Wenn mir niemand glaubt, kann mir niemand helfen." Ist das etwas, was du innerhalb dieser Recherche sozusagen für dich definiert hast, dass es eigentlich genau darum geht? Oder ist es etwas, was die Karla tatsächlich, also die Karla, die du kennst, tatsächlich mal so gesagt hat?

[00:22:32.260] - Yvonne Görlach

Das ist eine Mischung, also beides. In der Recherche ist mir das immer wieder begegnet. Das ist die Grundvoraussetzung bei Aussage gegen Aussage, dass man jemanden findet, der einem glaubt. Und da ist unser Rechtssystem bis heute nicht besonders gut, weil es ja so funktioniert, dass es die sogenannte Nullhypothese gibt. Und das bedeutet, dass eigentlich der Kläger beweisen muss, dass der Angeklagte was falsch gemacht hat. Und bei Aussage gegen Aussage: Wie soll das gehen? Das heißt, da muss es jemanden geben, der glaubt, sonst geht es immer schief. Und da habe ich mich sehr viel mit beschäftigt, weil mich interessiert hat, wie es so weit gekommen ist, dass dieser Richter ja geglaubt hat. Es gibt Spielräume, es gab immer Spielräume und die werden selten genutzt. Ich denke, in solchen speziellen Fällen müsste vielleicht mehr darauf geachtet werden, dass diese Spielräume genutzt werden können.

[00:23:37.140] - Nadia Kailouli

Wir wollen jetzt natürlich auch nicht das Ende hervornehmen. Wir wünschen euch ja, dass eben viele Leute sich den Film anschauen, auch die Leute, die uns gerade zuhören. Deswegen würde ich sagen, machen wir jetzt hier auch einen Punkt, wer hat wem jetzt geglaubt und wie und was und was? Damit man natürlich auch ein bisschen noch den Überraschungseffekt haben möchte, wie der Film dann am Ende ausgeht. Aber ich würde gerne mit euch noch mal gezielter darüber sprechen, das, was euren Film ja so ausmacht und weswegen ihr heute auch unsere Gästinnen seid, ist ja, dass ihr einen wahnsinnig respektvollen Umgang mit diesem Thema gefunden habt, den eben auch in der Fiktion, im Film irgendwie abzubilden. Also dieser komplette, respektvolle Fokus auf Karla. Klar, das ist auch die Geschichte, aber man kennt es halt: Viele Filme, viele Geschichten, die sich rund um das Thema sexualisierte Gewalt handeln, denn die legen wahnsinnig den Fokus auf die Täter. Ein Beispiel jetzt kommt nicht aus der Fiktion, Realität. Heute Morgen schaue ich die Nachrichten irgendwo und zappe dann so rum. Ich bin bei irgendeinem Frühstücksdings hängen geblieben und da ging es um den Sohn von Mette-Marit aus Norwegen, der jetzt vor Gericht steht wegen Vergewaltigungen, Übergriffen et cetera. Und es wurde in keinster Weise einmal über die Betroffenen gesprochen, sondern einfach nur die arme Mutter: „Mensch, was die jetzt durchmachen muss mit dem Sohn? Und mal gucken, wann das alles vorbeigeht. Und der war ja auch in Berlin." Und es war so wahnsinnig täterfokussiert. Und in einem Wort kamen irgendwie die Betroffenen, die Opfer, irgendwie zur Geltung, dass sie überhaupt erwähnt worden sind. Und da dachte ich dann direkt an euren Film und dachte: Dieser Film, der ist so wahnsinnig fokussiert eben auf die Betroffene und nicht auf den Täter. Man hätte ja dem Vater noch viel größeren Raum geben können in dem Film. War das absichtlich so auch gewählt von euch?

[00:25:30.000] - Yvonne Görlach

Da muss ich vielleicht noch anfangen. Als ich mit der Geschichte losgezogen bin, vor 13 Jahren, war es immer diese Person, die im Mittelpunkt stehen sollte. Und ich habe so lange gebraucht, wahrscheinlich auch, bis die Zeit reif war, dass man die Geschichte so erzählen konnte. Ich wollte sie nicht anders erzählen. Also die Geschichte an sich hat einen guten Kern. Das kriegt man so leicht nicht kaputt, aber man kann sie aus so vielen Blickwinkeln erzählen. Und mir war genau das so wichtig, dass es Karlas Perspektive wird. Und damit hat Christina voll angedockt und dadurch ist das, finde ich, so gelungen, auch genau mal den Blick weg davon zu lenken, sondern das, womit Karla selber auch losgezogen ist, zu sagen: „Ihr sollt nicht drauf gucken, was genau mir passiert ist, sondern was das mit mir macht, was das mir antut."

[00:26:31.060] - Nadia Kailouli

Aber interessant. Das heißt, dass auch du die Erfahrung gemacht hast, als du diese Geschichte, die du zu einem Drehbuch gemacht hast, aus wahrer Begebenheit, sozusagen, selbst die Erfahrung gemacht hast, dass Leute die Geschichte dann gut fanden, aber sie anders erzählt haben wollten, sozusagen, also: „Da müssen wir den Vater größer machen, dann muss man das sehen", keine Ahnung was. Aber das hast du in den letzten Jahren auch erlebt. Das heißt, es hat sich auch so ein gesellschaftlicher Wandel dann irgendwie entwickelt, oder?

[00:26:59.020] - Yvonne Görlach

Der ist wirklich zu spüren gewesen. Sagen wir, die letzten fünf, sechs Jahre ist wirklich viel passiert und am meisten passiert ist vielleicht im letzten Jahr-War das letztes Jahr als Gisèle Pelicot den Satz gesagt hat: „Die Scham muss die Seiten wechseln", der für uns auch so wichtig ist. Christina?

[00:27:20.340] - Christina Tournatzés

Uns ganz selten die Perspektive einer Betroffenen oder eines Betroffenen erzählt wird. Und in dem Fall weiß eigentlich jeder, also die ganze Welt kennt eigentlich den Namen Gisèle Pelicot und fast keiner weiß wirklich, wie der Täter heißt in dem Fall. Und deswegen finde ich diesen Fall total bemerkenswert, weil es eben diese Frau wirklich als Heldin zeigt und irgendwie diese Frau geschafft hat, als ganz starke Person jetzt eigentlich wahrgenommen zu werden und eben nicht als Opfer. Und deswegen war uns das auch so wichtig in dem Film, in Karla, dass wir eine Kamerasprache entwickeln, die eben niemals Karla als Opfer zeigt und irgendwie schwach oder schamvoll oder entwürdigend zeigt, sondern immer versucht, sie als starke Person darzustellen, als Kämpferin und eben jemand, den man bewundert und jemand, zu dem man aufgucken kann, jemand, der einem Hoffnung gibt, weil ich finde, sowieso, da muss die Gesellschaft schon immer noch sehr viel an sich arbeiten, weil eben ganz oft diese Sätze fallen: „Diese armen Menschen, die können nie wieder glücklich sein." Also die werden sehr, sehr viel dem Narrativ immer als Opfer dargestellt und als geschändete Menschen oder dadurch auch stigmatisiert. Ich denke, möglicherweise ist das so, dass man… Natürlich, ich möchte das auf gar keinen Fall verharmlosen. Das ist mir ganz wichtig und das, hoffe ich, haben wir auch in Karla geschafft, dass wir trotzdem nichts verharmlosen oder trotzdem ganz klar in der Emotionalität zeigen, wie unglaublich schlimm das ist bestimmt oder empfunden wird. Aber trotzdem ist mir eben wichtig, an der Stelle zu betonen, dass uns überhaupt nicht zusteht, so eine Bewertung abzugeben, wie:  „Derjenige kann niemals glücklich sein." Ich glaube, das muss jede oder jeder… Es sollte jedem einfach gegeben sein, sein eigenes Narrativ irgendwie zu finden oder zu haben, nachdem man so was erlebt hat und nicht, dass irgendwie eine ganze Gesellschaft auf einen blickt und irgendwie sagt: „Das arme Opfer und jetzt ist das ganze Leben kaputt." Ich finde, dass diese Bewertungen, das ist ein großes Stigma, das dann irgendwie auf einem haftet und ich glaube, damit haben auch ganz viele Betroffenen dann eben zu kämpfen.

[00:29:25.700] - Yvonne Görlach

Also ich wollte das Thema Hoffnung noch mal aufgreifen. Auch wenn das jetzt teilweise vielleicht fast ein bisschen romantisch ist, dieser Film, hat das mit der Idee zu tun, dass wir Hoffnung geben wollen, dass Menschen sich nicht den Mund verbieten lassen durch Scham, durch Schuldgefühle, sondern dass sie sprechen. Ich glaube, das ist das, warum das vielleicht manchmal ein bisschen so wirken könnte. Aber das ist der Plan, diese Hoffnung weiterzugeben.

[00:29:59.620] - Nadia Kailouli

Was viele natürlich interessiert, wenn die hören, das ist eine wahre Geschichte: Wie blickt denn die echte Karla auf den Film  „Karla"?

[00:30:06.860] - Yvonne Görlach

Sie hat ihn noch nicht gesehen.

[00:30:09.620] - Nadia Kailouli

Und will sie ihn sehen? Will sie ihn nicht sehen? Wie waren die Gespräche? Christina, hast du auch mit ihr gesprochen? Oder vor allem, weil ja am Ende des Films, das kann man ja vielleicht auch sagen… Obwohl, nein, ich sage nichts. Nein, nein, ich sage nichts. Das war ein guter Cliffhänger. Ihr müsst euch den Film angucken. Dann wisst ihr, was ich sagen wollte. Okay.

[00:30:26.020] - Christina Tournatzés

Ja, bitte. Geht in diesen Film rein. Ich habe sie kennengelernt und ich habe auch das Gefühl, ich kenne sie sehr gut, weil ich eben mit Yvonne jetzt jahrelang sehr eng zusammengearbeitet habe und Yvonne ja eine sehr persönliche Beziehung zu ihr hat und dadurch habe ich das Gefühl, dass ich sie eben durch diese ganze Zeit eben sehr, sehr gut kenne und ich hoffe eben total, und das wäre mir unglaublich wichtig, dass eben Karla, und ich weiß, dass sie sich schämt, dass sie deswegen auch nicht an die Öffentlichkeit kommt und das ist auch total ihr Recht. Ich kann das natürlich total verstehen, aber ich hoffe, dass sie diesen Film, wenn sie den guckt, dass sie sich verstanden fühlt. Da habe ich sowieso die Hoffnung, dass eben Menschen, die Ähnliches erlebt haben, sich davon verstanden fühlen und irgendwie das Gefühl haben, endlich hat es vielleicht mal jemand irgendwie kapiert oder endlich ist es irgendwie mal, keine Ahnung, geht es in die richtige Richtung. Weil ich glaube, dass sich ganz, ganz viele damit total alleine fühlen, die so eine Geschichte haben.

[00:31:27.360] - Yvonne Görlach

Ja, also ich glaube, das ist genau der Punkt. Sie hat den Trailer gesehen, den fand sie unglaublich gut. Da hat sie gleich geweint und sie traut sich noch nicht so richtig. Und ich will sehen, ob wir sie ins Kino locken können.

[00:31:45.700] - Nadia Kailouli

Ich finde das schön, dass ihr das so offen erzählt, weil es dann eben auch wieder zeigt, also egal, wie alt man wird, egal wie alt man ist, wer als Kind sexuell Missbrauch erlebt hat, das kann manche Menschen eben über Jahre, Jahrzehnte hin begleiten. Das bedeutet nicht, wie du eben gesagt hast, Christina, was ich auch wichtig finde, dass man dann denkt: „Ach, das arme Opfer, das kommt überhaupt nicht mehr klar im Leben", überhaupt nicht, sondern dass das halt einfach etwas ist, was einem angetan wird, was man mitträgt. Und das kann man nicht einfach, auch nicht mit einem Richterspruch einfach von sich weisen. Das ist dann einfach passiert und jeder findet dann seinen Umgang damit, wie man auch später dann damit eben umgehen will. Und man sieht, das heißt nicht nur, weil es ein Film über Karla ist, dass Karla sich den Film auch anschauen muss. Jetzt gibt es ja aber natürlich nicht nur super schöne, sage ich jetzt mal, respektvolle Szenen, wo man sagt: „Ach, da ist jetzt endlich mal ein Film, den kann man sich so anschauen. Und dann geht es einem gut damit, obwohl das Thema so schwer ist." Nichtsdestotrotz gibt es natürlich auch Szenen, die sind, finde ich, sehr schwer zu ertragen, vor allem wenn der Anwalt der Gegenseite mit Karla spricht, was da für Worte genutzt werden, in was für eine Ecke so ein Kind gedrängt wird und so. Also das fand ich schon teilweise auch echt so, puh, schwere Kost dann. Man sieht einfach, wie so ein Kind dann einfach wirklich mit keinen schönen Worten von einem Richter nicht gut behandelt wird. Das muss man natürlich auch erzählen, dass diese Szenen natürlich auch im Film sind.

[00:33:18.440] - Christina Tournatzés

Absolut. Und da spielen natürlich auch die 60er-Jahre mit rein. Und deswegen sage ich hier noch mal, es war mir ja auch sehr wichtig oder war uns allen sehr wichtig, dass wir eben auf keinen Fall irgendwas verharmlosen wollen. Das wollen wir nicht. Wir haben an gewissen Stellen ganz entschieden Sachen ausgeblendet oder Sachen nicht gezeigt, aber auf der anderen Seite haben wir auch nicht verharmlost. Und ja, das war damals in den 60er Jahren so.

[00:33:42.900] - Yvonne Görlach

Wobei auch bis heute diese Art von technischer Sprache verletzend ist. Also das sind ja bis heute Dinge, die vor Gericht ein Thema sind: Wie oft ist das passiert? Und dieses „Wie oft ist schlimm?" Das ist so eine wichtige Frage vor Gericht, die vor Gericht eine große Rolle spielt, aber die natürlich super verletzend für die Betroffenen ist. Und es ist auch mehr oder weniger unmöglich, wenn man das psychologisch betrachtet, weil dieses Zählen, das macht kein Opfer. Ich finde das sehr männlich, ehrlich gesagt. Einen sehr männlichen Blick mit diesen Zahlen und Fakten. Es muss alles nachvollziehbar zählbar sein.

[00:34:31.800] - Christina Tournatzés

Also die Sprache, die der Strafverteidiger vor Gericht am Ende hat, die haben wir jetzt zum Glück heute nicht mehr vor Gericht. Aber gesellschaftlich gesehen ist es trotzdem noch das Erste, was viele fragen: „Ja, was hatte die denn an?" Oder „Wie kam es denn überhaupt dazu?" Und so weiter. Deswegen würde ich sagen, in dieser Person ist ganz viel auch irgendwie simuliert, was eben diese verschiedenen Perspektiven und verschiedenen Facetten der Gesellschaft angeht in dieser Person des Strafverteidigers.

[00:35:06.920] - Nadia Kailouli

Jetzt kommt euer Film ja erst noch in die Kinos. Das heißt, ihr habt jetzt wahrscheinlich noch nicht so großes Feedback, was ihr teilen könnt, aber ihr seid schon gelaufen auf dem Filmfest München, glaube ich?

[00:35:16.700] - Christina Tournatzés

Korrekt.

[00:35:17.360] - Nadia Kailouli

Was habt ihr so für Feedback bekommen bisher? Was könnt ihr jetzt schon sagen, wie dieser Film ankommt beim Publikum?

[00:35:25.480] - Yvonne Görlach

Es war sehr berührend. Ja, das war unglaublich berührend, weil so eine Sprachlosigkeit erst mal war bei der Premiere und viele Tränen geflossen sind und unglaublich das verstanden wurde und Menschen uns angesprochen haben, ältere Menschen, jüngere Menschen, die das selbst erlebt haben und die sich damit auseinandersetzen, die zum Beispiel auch sagen: „Wenn ihr drüber redet, benutzt nicht das Wort Missbrauch. Man kann nicht jemanden gebrauchen." Also kann man ihn auch, sollte man dieses Wort Missbrauch gar nicht erst benutzen. Solche Sachen, da ist eine massive Auseinandersetzung damit passiert, die mich wirklich sehr berührt hat.

[00:36:15.140] - Christina Tournatzés

Ja, das Wertvollste für mich war tatsächlich auch, dass wirklich Menschen zu mir gekommen sind nach Vorführungen und mir teilweise ihre Geschichte, oder nicht ihre ganze Geschichte, aber zumindest dann mit mir geteilt haben, dass ihnen das auch passiert ist und dass sie auch Betroffene sind und mir gedankt haben für den Film. Und das war für mich das Wertvollste, weil ich wirklich das Gefühl hatte, dass die sich davon verstanden fühlen. Und insgesamt fand ich sehr positiv, wie der Film angekommen ist und hoffe dann jetzt auch, dass es so weitergeht. Also wie gesagt, Filmfest München hatten wir Premiere, aber wir werden jetzt ab 1. Oktober in die Kinos kommen und da würde ich mich sehr freuen, wenn noch einige Zuschauer dazukommen würden.

[00:37:02.440] - Yvonne Görlach

Und eine Sache vielleicht noch zum Ergänzen: Wir hatten immer auch das Motto: Wir wollten wahnsinnig gerne erreichen, dass den Film auch Kinder gucken können. Das hat jetzt insofern ganz gut geklappt, dass wir eine FSK 12 bekommen haben, immerhin. Und ich habe viel Werbung gemacht, dass wir auch an Schulen gehen können. Und da gibt es ganz offene Türen dafür und als Diskussionsanregen, damit vielleicht mehr Kinder oder junge Menschen sich trauen, den Mund aufzumachen.

[00:37:39.020] - Nadia Kailouli

Verstehe. Ich freue mich total, dass ihr heute bei uns wart und über so ein bisschen die Entstehungsgeschichte zu dem Film Karla gesprochen habt. Und ich finde eben auch, was den Film so auszeichnet und ich kann mir vorstellen, warum dann eben Leute zu euch kommen und so dankbar sind, ist, dass man endlich mal einen Film hat, wo eben eine Betroffene im Mittelpunkt steht, die ihren Weg für ihr Recht geht, der überhaupt nicht einfach ist, aber den sie nun mal gegangen ist und dass man da einfach mit ganz viel Ruhe und eben Gewissenhaftigkeit und vor allem Respekt sich diesen Film anschauen kann. Ich sage vielen, vielen Dank euch beiden, Yvonne und Christina, und ich wünsche euch einen sehr erfolgreichen Kinostart und vielen Dank.

[00:38:22.940] - Christina Tournatzés

Vielen lieben Dank.

[00:38:24.120] - Yvonne Görlach

Vielen Dank auch.

[00:38:28.860] - Nadia Kailouli

Also Leute, ich will gar nicht mehr so viel sagen, außer: Ich habe den Film gesehen und ich finde den wirklich sehr gut und ihr solltet ins Kino gehen. „Karla": Ja, toller Film, wichtige Geschichte, auch noch eine wahre Geschichte, also nach wahren Begebenheiten in den 60ern und so weiter und so weiter. Also mein Aufruf, mein persönlicher Kinotipp sozusagen für euch: Ab 1. Oktober läuft „Karla" im Kino und geht da bitte rein.

[00:38:58.320] - Nadia Kailouli

Zum Abschluss hier noch eine wichtige Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an, Ulli Freund, per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle 'Missbrauchsbeauftragte'. Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.

Mehr Infos zur Folge

1962 geht die 12-jährige Karla (gespielt von Elise Krieps) zur Polizei und zeigt ihren Vater an. Sie will, dass seine jahrelangen sexuellen Übergriffe enden und nimmt dafür auch die Trennung von der Mutter in Kauf. Richter Lamy (gespielt von Rainer Bock) glaubt ihr und findet einen Weg, mit ihr über das Erlebte zu sprechen, ohne dass sie Details der Übergriffe nennen muss.

Der Film Karla erzählt die wahre Geschichte eines Kindes, das Gehör findet in einer Zeit, in der kaum über sexualisierte Gewalt gesprochen wurde. Der Film bleibt bei Karlas Perspektive und kommt dabei ganz ohne Gewaltdarstellungen aus. Im Fokus stehen Karlas Mut, ihr Durchhaltevermögen und der Kampf um Glaubwürdigkeit.

Drehbuchautorin Yvonne Görlach und Regisseurin Christina Tournatzés haben für die authentische Umsetzung mit der „echten“ Karla gesprochen, Gerichtsakten gesichtet und recherchiert, wie das Verfahren in den 1960er Jahren ablief.

Mit dem Film, der am 02. Oktober in die Kinos kommt, wollen sie Betroffenen Mut machen, über Erlebtes zu sprechen und Gerechtigkeit einzufordern.

Über Karla sprechen Yvonne Görlach und Christina Tournatzés bei einbiszwei.

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Infos zur Regisseurin Christina Tournatzés
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Zur Kritik

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

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