
Ist es gefährlich für Frauen, aufs Oktoberfest zu gehen, Manuela Soller?
▷ hier reinhören
Aktuelle Folge jetzt anhören
Das Interview der Folge 122 als Transkript lesen
[00:00:00.460] - Manuela Soller
Ein Motto von uns ist auch „Spaß auf der Wiesn, aber sicher". Wir wollen eigentlich nicht zu Mädchen und Frauen sagen: „Geht da nicht mehr hin, ist gefährlich für euch", weil wir wollen ja, dass Frauen bestärkt werden, dass Frauen machen können, was sie möchten, dass sie feiern können, dass sie auch ein Dirndl anziehen können, wie sie wollen und dass kein Grund ist, sie zu belästigen. Die Realität ist natürlich, dass die Wiesn kein sicherer Ort ist für Mädchen und Frauen, sondern dass eine Entwicklung stattfinden muss, damit sie sicherer wird.
[00:00:31.840] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:00:55.260] - Nadia Kailouli
Gerade jetzt, während ihr diese Folge hört, herrscht in München Ausnahmezustand: das Oktoberfest läuft, das größte Volksfest der Welt. Millionen Menschen strömen in Dirndl und Lederhosen auf die Theresienwiese, feiern im Bierzelten, singen und tanzen. Für viele ist das die schönste Zeit des Jahres, aber nicht für alle. Jedes Jahr erleben nämlich vor allem Frauen und Mädchen auf der Wiesn Belästigungen und Übergriffe. 2024 hat die Polizei 56 sogenannte „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" gezählt, darunter auch zwei Vergewaltigungen. Und das sind nur die offiziellen Zahlen, Leute. Damit Besucherinnen in solchen Situationen nicht alleinbleiben, gibt es seit über 20 Jahren die Initiative „Sichere Wies"n für Mädchen und Frauen. Sie wurde von drei Münchner Fachstellen gegründet, die sich gegen sexualisierte Gewalt engagieren und während der Wiesn betreibt die Initiative einen Safe Space, einen Schutzraum, an dem Fachberaterinnen und Ehrenamtliche unterstützen, egal ob eine Freundin verschwunden ist, der Heimweg unsicher wirkt oder eben ein Übergriff passiert ist. Wie so ein Tag im Safe Space aussieht, welche Situationen dort am häufigsten vorkommen und was die Initiative den Rest des Jahres so macht, darüber spreche ich jetzt mit Manuela Soller von Amyna e.V..
[00:02:11.540] - Nadia Kailouli
Dann sage ich diesmal: Servus, herzlich willkommen, Manuela Soller bei einbiszwei. Grüß dich.
[00:02:17.200] - Manuela Soller
Hallo. Schön, dass ich da sein kann.
[00:02:19.050] - Nadia Kailouli
Ja, wir freuen uns total und ich kann eigentlich sagen: Oans, zwoa, g'suffa, so sagt man es ja, wenn es losgeht, die Wiesn, habe ich das auch einigermaßen authentisch ausgesprochen?
[00:02:27.720] - Manuela Soller
Oans, zwoa, g'suffa, würde man sagen.
[00:02:29.980] - Nadia Kailouli
Oans, zwoa, g'suffa. Und ich würde ja sagen, das Thema, worüber wir heute reden, hat ja eigentlich genau damit irgendwie zu tun, dass damit vielleicht auch das große Problem überhaupt entsteht, und zwar das schöne Gesaufe. Die Wiesn, da wird gesoffen. Ich war noch nie da, obwohl ich mittlerweile in München lebe. Vielleicht kannst du uns einfach mal einen Eindruck geben. Mein Eindruck von der Wiesn ist, da wird einfach nur hardcore gesoffen und jeder benimmt sich daneben. Das ist natürlich jetzt sehr pauschal von mir so ausgesprochen. Du lebst München, du warst schon öfter auf den Wiesn. Wie sind die Wiesn wirklich?
[00:03:03.820] - Manuela Soller
Also das ist ja das größte Volksfest der Welt. Also diese Dimensionen, die kann man sich kaum vorstellen. Ich habe jetzt vorher noch mal nachgeschaut. Es heißt, dass an manchen Tagen bis zu 600.000 Menschen die Wiesn besuchen. Jetzt habe ich mal einen Vergleichswert. Das ist ungefähr wie wenn ganz Stuttgart oder ganz Leipzig auf diesem Gelände wären. Also es ist schon eine wahnsinnig große Dimension, die da ist. Und es gibt ganz große Bierzelte, Zelt ist eigentlich gar nicht die richtige Bezeichnung. Es sind eigentlich große Hallen, wo bis zu 6000 Menschen feiern, trinken, essen, tanzen. Und daneben gibt es natürlich auch ganz viele Fahrgeschäfte und andere Angebote. Aber sehr viele erwachsene Menschen gehen natürlich zum Feiern in die Zelte.
[00:03:49.300] - Nadia Kailouli
Okay. Und zum Feiern heißt halt einfach, und das gehört zu München und zu Bayern dazu, zum Volksfest, dazu gehört eine Menge Bier. Die Zelte sind ja auch so, glaube ich, eingeteilt, welche Brauerei ist in welchem Zelt zu finden. Aber stimmt mein Eindruck, wenn ich sage: Puh, das ist einfach nur ein großes Saufgelage, oder hat man da auch neben dem Gesaufe Spaß? Also ist das etwas Schönes? Wie würdest du das würdest du dich definieren? Was sind die Wiesn für dich?
[00:04:17.700] - Manuela Soller
Kommt natürlich auf den Typ Mensch an, der man ist. Es gibt sehr viele Leute, die kommen jedes Jahr. Da gibt es zum Beispiel einen Österreicher, der seit Jahrzehnten da jedes Jahr kommt und jeden Tag feiert, der da total Kult ist, zum Beispiel. Es gibt auch Münchner:innen, die sich Urlaub nehmen in der Zeit, um jeden Tag dort feiern zu gehen, die das einfach richtig gerne tun und diese ganze Stimmung einfach ihnen total gut gefällt. Und dann gibt es natürlich auch andere, die sagen: „Nein, das ist überhaupt nicht mein Ding und da fühle ich mich nicht wohl, da fühle ich mich nicht sicher, da gehe ich gar nicht hin." Ja, und ich glaube, es kann sowohl schöne Seiten haben, als auch nicht so schöne Seiten. Das ist ganz unterschiedlich.
[00:04:56.580] - Nadia Kailouli
Wir wollen heute, und damit sind wir kein Spielverderber oder so, über die nicht so schönen Seiten unter anderem sprechen, denn da, wo viel Alkohol fließt, da, wo viele Menschen aufeinandertreffen, da kann es eben leider auch passieren, dass es zu Übergriffen kommt. Und genau dafür seid ihr von Amyna e.V. da, auf den Wiesn, mit einer Aktion, einer Initiative, die da lautet „Sichere Wiesn". Was ist das genau?
[00:05:23.740] - Manuela Soller
Also die Aktion „Sichere Wiesn" ist eine gemeinsame Aktion von dem Verein Amyna e.V., wo ich arbeite, und der Imma e.V., also der Initiative Münchner Mädchen, die ganz viele Mädcheneinrichtungen in München betreiben und der Beratungsstelle Frauennotruf München. Das ist eine Aktion, die vor über 20 Jahren gegründet wurde von diesen drei Vereinen zusammen und auch gemeinsam verantwortet wird seitdem. Ein Teil der Arbeit ist Präventionsarbeit, also einfach zu sensibilisieren für das Thema sexualisierte Gewalt an Mädchen und Frauen, die Gesellschaft dafür empfänglicher zu machen, darüber zu sprechen und zu sagen: „Das gibt es und wir müssen da was ändern", Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Und ein anderer Teil ist die Interventionsarbeit vor Ort. Wir haben einen sogenannten Safe Space, wie das Angebot heißt, eine Anlaufstelle für Mädchen und Frauen, die sich in irgendeiner Form unsicher fühlen, die belästigt wurden oder die Hilfe brauchen. Wir vermitteln dann auch Nachsorgeangebote, wenn es tatsächlich zu akuten Gewaltfällen gekommen ist. Das sind so diese drei Teile und die drei Einrichtungen bringen da auch jeweils ihre Qualifikationen und ihre Erfahrungen mit rein.
[00:06:34.080] - Nadia Kailouli
Jetzt war ich persönlich zwar noch nie dort auf den Wiesn, aber man kennt ja die Bilder. Und wenn ich jetzt höre, was ihr anbietet, dann denke ich erst mal: „Oh, wow, super". Auf der anderen Seite denke ich mir so: Ja, wie soll das bitte funktionieren? Weil ich kenne die Bilder aus dem Fernsehen, aus, keine Ahnung, Social Media und Co, wo es einfach wahnsinnig voll ist. Allein der Weg zur Toilette ist manchmal echt ja eine Hürde, weil es eben so voll ist, so eng ist, so viele Menschen. Da frage ich mich: Wie könnt ihr denn das, was ihr anbietet, überhaupt anwenden, wenn das so viele Menschen sind, dass man so eng zusammen ist? Also wie kommt ihr da überhaupt, ich sage jetzt mal in Anführungsstrichen, zum Einsatz?
[00:07:09.540] - Manuela Soller
Also uns ist ganz wichtig, breit zu informieren, dass es das Angebot gibt. Das machen wir über Plakate, die überall hängen auf der Wiese. Das machen wir zum Beispiel auch über digitale Medien, wie jetzt über Social Media. Oder es gibt zum Beispiel in den U-Bahnen und in den Trambahnen gibt es zum Beispiel immer so Anzeigen, wo wir dann auch an eine Anzeige schalten, eine digitale Anzeige, um einfach darauf hinzuweisen, es gibt dieses Angebot und wir versuchen auch alle Akteur:innen auf der Wiesn da gut zu informieren. Also ob das jetzt die Wiesnwirt:innen sind, die Bedienungen, die Securities, dass die einfach Bescheid wissen, es gibt dieses Angebot und da können wir uns hinwenden. Was wir jetzt personell nicht schaffen, ist einfach über die Wiesn zu gehen und da überall präsent zu sein, auch weil das auch gefährlich sein könnte, also auch für unsere Mitarbeiterinnen. Die Polizei sagt zum Beispiel, sie gehen immer nur zu sechst oder zu acht über die Wiesn. Das heißt, wenn wir jetzt da mit ein, zwei Frauen unterwegs wären, das wäre auch nicht sinnvoll. Und deswegen sind wir darauf angewiesen, dass Mädchen und Frauen entweder selbst zu uns kommen oder hingebracht werden, was aber sehr gut funktioniert grundsätzlich.
[00:08:17.470] - Nadia Kailouli
Vielleicht kannst du uns mal ein bisschen so einen Eindruck geben, ein paar Beispiele erzählen. Was ist so, zum Beispiel, jetzt nehmen wir mal das letzte Jahr, passiert? Wer ist zu euch gekommen? Warum ist man zu euch gekommen? Was ist da passiert? Et cetera.
[00:08:30.000] - Manuela Soller
Genau, wir hatten letztes Jahr insgesamt 352 Klientinnen bei uns am Safe Space. Das sind etwa 22 am Tag, könnte man sagen. Und das ist auch was, was wir beobachten, dass wir in jedem Jahr der Aktion eigentlich einen Anstieg hatten an Menschen, die zu uns kommen. Was wir darauf zurückführen, dass einfach immer mehr das Angebot auch kennen und auch immer mehr sensibel sind dafür: „Okay, ich kann mir Hilfe holen. Also das ist einfach nicht okay, was mir passiert ist." Und diese Fälle sind ganz unterschiedlich. Zum Glück sind die meisten Fälle keine Fälle von akuter Gewalt, sondern die größte Gruppe sind Mädchen und Frauen, die zum Beispiel Personen oder Wertgegenstände verloren haben und dadurch verunsichert sind. Also zum Beispiel Touristinnen, die dann einfach die Freundin verloren haben, die die Infos über das Hotel hat, die keine Hotelkarte mehr haben und dann angetrunken sind und auch nicht wissen, „Okay, wo bin ich eigentlich? Wo muss ich hin?" Oder das Handy ist weg und sie können niemanden mehr erreichen. Das sind die häufigsten Fälle, die dann zu uns kommen. Und wir haben aber natürlich auch Fälle von sexueller Gewalt oder körperlicher Gewalt. Das waren jetzt letztes Jahr insgesamt 22. Also man kann sagen, ungefähr ein Fall am Tag, auf jeden Fall. Und auch psychische Krisen sind ein Thema, das größer geworden ist, also gerade seit nach der Pandemie. Wir vermuten, dass Menschen auch immer mehr überfordert sind mit dieser Größe des Festes. Ich habe gesagt, wenn da 6000 Menschen in einem Zelt sind oder vielleicht 600.000 auf dem ganzen Gelände, dann sind das Dimensionen, die man vielleicht auch im Vorfeld gar nicht abschätzen kann. Und da kann es einfach sein, dass man überfordert ist damit. Und natürlich auch das Thema psychische Erkrankungen hat ja auch zugenommen in den letzten Jahren und da ist natürlich auch ein Querschnitt der Gesellschaft unterwegs. Dann kann es zum Beispiel sein, dass es auch eine Wechselwirkung gibt mit Psychopharmaka und Bier, das getrunken wird. Genau, und das sind alles so Fälle, wo wir unterstützen.
[00:10:31.300] - Nadia Kailouli
Okay, jetzt gehen wir mal eben auf diese Fälle von den Frauen, die zu euch gekommen sind, die gesagt haben: „Okay, ich hatte hier einen Übergriff, einen sexuellen Übergriff." Was bietet ihr dann an? Also was könnt ihr machen? Geht ihr dann ins Zelt und guckt: „Wer ist der Typ? Den holen wir jetzt hier raus" und informiert die Polizei, oder was macht ihr dann?
[00:10:49.560] - Manuela Soller
Also ganz grundsätzlich haben die Frauen erst mal die Möglichkeit, da anzukommen, zur Ruhe zu kommen. Also es ist ein sehr ruhiger Raum. Das kann man sich kaum vorstellen in diesem Trubel, aber da ist einfach die Möglichkeit, wirklich mal runterzukommen, kurz was, Wasser zu trinken, vielleicht einen kleinen Snack zu essen und sich zu sammeln und zu sortieren und zu schauen, was braucht die Frau gerade? Also das kann sein, dass wir einen sicheren Heimweg organisieren. Grundsätzlich beraten wir sehr ergebnisoffen. Wir beraten nicht pro Anzeige zum Beispiel, sondern nur, wenn die Frau das möchte. Wenn die Frau sagt: „Ich möchte das jetzt anzeigen", dann haben wir eine gute Kooperation mit der Polizei vor Ort. Das musst du dir so vorstellen, dass das auch quasi gleich nebenan ist. Das heißt, da können wir kurz anrufen, wir können rübergehen, können sagen, wir haben hier eine Frau, die gerne Anzeige erstatten möchte. Und es hat auch schon Fälle gegeben in der Vergangenheit, wo Täter geschnappt werden konnten direkt. Das ist jetzt nicht so häufig, aber dadurch, dass es einfach sehr gute Videoaufzeichnungen überall gibt auf dem Gelände, kann das im Einzelfall möglich sein. Wir erleben aber auch, dass viele Frauen gar nicht dieses Bedürfnis haben in dem Moment mit der Anzeige, sondern dass die erst mal nach Hause wollen und sich sortieren wollen, genau wo wir Angebote der Nachsorge und Beratungsangebote vermitteln können. Und was wir natürlich auch machen würden, ist, wenn eine Frau Spuren sichern lassen möchte, also jetzt wirklich in dem Fall von einer akuten Vergewaltigung, dann würden wir auch eine Frau in die Klinik begleiten. Das sind aber einfach ganz verschiedene Möglichkeiten, je nachdem, was ist das Bedürfnis der Frau?
[00:12:25.780] - Nadia Kailouli
Ist das teilweise für dich erschreckend oder ist das pure Realität? Zu wissen, hier findet eigentlich das größte Volksfest statt. Es wird ja kontinuierlich eigentlich immer auch positiv verkauft. Erst im Nachhinein kommen dann die Negativschlagzeilen, „Das und das ist passiert, so und so viele Übergriffe und und und". Aber das Fest wird ja immer eher positiv angekündigt: „Ja, jetzt ist wieder Wiesn, ja mei und super und schön und schick." Ist es für dich, wenn du aber mit den Frauen… Weil du bist jetzt nicht so lange vielleicht dabei, aber es gibt ja sichere Wiesn schon seit seit 20 Jahren. Das heißt, seit 20 Jahren besteht ja eine Sensibilität dafür: „Hey, so viel Spaß wir hier auch haben, Spaß hat auch immer eine andere Seite, und zwar Übergriffe." Und vor allem sind dann meistens auch Frauen die Betroffenen. Wie ist das so für dich, dieser Realitätscheck. Also macht das für dich noch Spaß? Findest du es noch gut, dass es die Wiesn gibt?
[00:13:19.380] - Manuela Soller
Ein Motto von uns ist auch „Spaß auf der Wiesn, aber sicher. Also wir wollen eigentlich nicht zu Mädchen und Frauen sagen: „Geh da nicht mehr hin, das ist gefährlich für euch." Das begegnet einem manchmal an Schulen, die dann sagen: „Wir sagen denen lieber, geht da lieber gar nicht hin." Weil wir wollen ja, dass Frauen bestärkt werden, dass Frauen machen können, was sie möchten, dass sie feiern können, dass sie auch ein Dirndl anziehen können, wie sie wollen. Und das kein Grund ist, sie zu belästigen. Das ist eigentlich unser Ziel. Die Realität ist natürlich, dass die Wiesn kein sicherer Ort ist für Mädchen und Frauen, sondern dass eine Entwicklung stattfinden muss, damit sie sicherer wird. Für mich hat sich durch diese die Arbeit bei der Aktion schon der Blick auch verändert auf das Fest. Ich war auch als Jugendliche schon, also ich bin in München auch aufgewachsen, war ich schon auch auf der Wiesn. Und es gibt auch Dinge, über die ich mir damals keine Gedanken gemacht habe. Zum Beispiel, dass ich dann gesagt habe, ich möchte jetzt nach Hause gehen und die anderen von meiner Gruppe sind noch geblieben und ich bin alleine nach Hause gefahren. Ich habe mich da nie unsicher gefühlt. Ich hatte da auch immer keine schlechten Erfahrungen, aber da schaue ich heute auch anders drauf, was ich jetzt Mädchen und Frauen empfehlen würde. Genau.
[00:14:30.800] - Nadia Kailouli
Ich habe jetzt gerade so Bilder im Kopf. Also ich war jetzt letztes Jahr in München zur Wiesn und bin dann halt so da vorbei, also zur S-Bahn gelaufen und so und dann habe ich da in der Nähe Schwanthalerhöhe gewohnt. Das ist ja direkt da an der Theresienwiese und dann habe ich mir das mal angeguckt, so tagsüber kurz vor Feierabend, so nach Hause gelaufen. Und dann kamen dann halt irgendwie so, ja, ich sage jetzt mal so die "Alkoholleichen", in Anführungsstrichen, da von diesem Gelände runter und ich war wirklich teilweise schockiert. Also ich war schockiert darüber, wie vulnerable junge Mädchen da saßen, da lagen teilweise, Jungs dabei und ich fand es keinen schönen Anblick, weil ich dachte: „Wow, das ist so- Ihr seid so verloren, aber nicht verloren, weil ihr Frauen seid, sondern verloren, weil ihr so wahnsinnig betrunken seid." Und ich will jetzt nicht so als die große Spielverderberin klingen, weil ich gehe auch gern feiern und so, aber ich fand das keinen schönen Anblick, diese Masse auch zu sehen von jungen Frauen, von Mädchen auch, die einfach so wahnsinnig alkoholisiert sich auf den Schuhchen nicht mehr halten konnten und im Dirndl sozusagen auf dem Boden lagen. Das fand ich nicht schön. Wie geht ihr damit um? Also seid ihr zum Beispiel jetzt „Sichere Wiesn"… Also verlasst ihr das Gelände und guckt, was passiert drumherum? Oder ist das dann: „Ja, ist halt so"? Oder welche Haltung hat man dazu, wenn man für so eine Initiative arbeitet?
[00:15:58.780] - Manuela Soller
Also wir gehen jetzt nicht aus dem Gelände raus und schauen, was passiert drumherum. Aber es gibt auch andere Angebote, die da unterwegs sind, mit denen wir auch kooperieren. Es gibt zum Beispiel von Condrobs e.V. in München, die Wiesn Streetwork und die sprechen auch Mädchen und Frauen, aber auch Männer, an, wenn die irgendwo liegen und sagen: „Brauchst du Hilfe?" Und da kommt es auch durchaus vor, dass die dann zum Safe Space gebracht werden, und wir die dann unterstützen können. Das Thema Alkoholkonsum ist ein großes. Also die meisten, die bei uns landen, haben Alkohol konsumiert. Manchmal ist es auch so, dass Frauen gar nicht in dem Zustand sind, in dem wir sie gerade beraten können. Da kooperieren wir zum Beispiel sehr gut mit der Ambulanz, der Erste-Hilfe-Station, die auch nebenan ist und sagen: „Okay, das muss erst mal medizinisch versorgt werden. Die kann gerade gar nicht beraten werden." Andersherum ist es genauso, dass sich die Ambulanz häufig bei uns meldet und sagt: „Wir haben hier eine Frau, die ist jetzt wieder halbwegs stabil. Könnt ihr schauen, wie die nach Hause kommt?" Und dann machen wir das natürlich. Es ist eine Realität. Wir tun uns immer ein bisschen schwer mit Tipps geben, weil wir eigentlich wollen, dass, egal wie die Frau sich verhält und was sie macht, dass ihr nichts passiert. Aber es kann natürlich auch ein Tipp sein, aber das gilt ja für alle Wiesnbesucher, zu schauen: „Wie viel trinke ich? Esse ich mal eine Breze zwischendurch?" Und ich glaube, was sehr wichtig ist, dass einfach Freundesgruppen aufeinanderschauen, dass man nicht die Freundinnen und Freunde irgendwie alleine zurücklässt oder allein nach Hause fahren lässt und vielleicht da auch mal sagt: „Okay, jetzt reicht es vielleicht mit dem Trinken." Und ich glaube, dass gerade so diese Situation, du hast so einen Maßkrug, wirklich ein Liter Bier, Starkbier, das ist auch noch mal einfach… Es ist eine andere Dimension, als wenn ich jetzt ein normales Bier trinke.
[00:17:48.040] - Nadia Kailouli
Das ist auch immer Starkbier, auf dem Oktoberfest?
[00:17:50.530] - Nadia Kailouli
Genau.
[00:17:50.820] - Nadia Kailouli
Oh Gott, dann darf ich da wirklich nicht hin.
[00:17:52.000] - Manuela Soller
Das ist immer Starkbier. Ja, das ist auch leicht, da kann man sich auch leicht überschätzen, wenn man weiß, wie funktioniert es denn sonst so? Dann hat man vielleicht zu wenig gegessen und das wirkt sich ja alles aus.
[00:18:03.700] - Nadia Kailouli
Absolut. Aber kann man sagen, jetzt mal ganz blöd gesagt: Eigentlich ist das große Problem die Männer? Würden ihr so weit gehen? Dürften wir so weit gehen, zu sagen: „Männer sind das Problem - Alkoholisierte Männer mit Starkbier auf dem Oktoberfest. Ihr seid ein scheiß Problem."
[00:18:19.760] - Manuela Soller
Ja, also vor allem, ich würde sagen, alkoholisierte Männer, die sich dann nicht im Griff haben oder die eigentlich wissen, ich werde aggressiv, wenn ich alkoholisiert bin und ich trinke dann trotzdem, oder die dann die Grenzen nicht mehr erkennen. Weil grundsätzlich ist es ja total in Ordnung, wenn man sagt: „Ich gehe jetzt auf so ein Fest und ich möchte da auch flirten und ich möchte jemanden kennenlernen. Ich möchte vielleicht auch jemanden mit nach Hause nehmen, wenn das jetzt für beide Personen in Ordnung ist." Das ist ja überhaupt kein Problem. Und da entsteht das Problem ja eher, wenn da Grenzen nicht erkannt werden, was betrunken halt noch mal leichter passiert. Und wenn jetzt dann das Mädchen, die Frau, einfach schon total betrunken ist und gar nicht mehr wirklich zustimmen kann und ein Mann nutzt das aus, das ist natürlich ein Problem.
[00:19:02.720] - Nadia Kailouli
Dazu muss ich jetzt auch sagen, wir wollen jetzt hier Männer nicht pauschalisieren. Das war jetzt natürlich sehr überspitzt gesagt und so, aber nichtsdestotrotz muss man einfach sagen, meistens sind es eben Frauen, die Übergriffe erfahren die belästigt werden und die, die dahinterstecken sind, sind nun mal die Männer. Jetzt möchte ich aber auch gerne mal von einem Kollegen von mir erzählen, einem Arbeitskollege von mir, der war vor ein paar Jahren auf der Wiesn und dann hat er in Hamburg dann in der Redaktion erzählt: „Boah, ich war da. Das war echt heftig. Das war echt heftig." Der wurde gar nicht so ernst genommen. Dabei hatte der wirklich eine klare Botschaft und sagte: „Ich als junger Typ, der jetzt nicht so mega outgoing ist, aber total Bock hatte zu feiern, wurde von links"- Ein hübscher Mann auch. Sieht gut aus, attraktiv, kann mir vorstellen, der in der Lederhose oder so. Da kann man sich denken, da ist er nun endlich. Der wurde nämlich dann auch von alkoholisierten Frauen wahnsinnig begrapscht an sich rangezogen. Er meinte, er stand da auf einer Bank, da kam eine, die hat ihn einfach angefangen zu küssen und er fand das alles gar nicht gut. Also ich will nur sagen, solche Fälle gibt es auch. Jungs, wir wollen jetzt hier nicht sagen, Männer erfahren keine Übergriffe auf solchen Volksfesten. Doch, erfahren sie auch. Und das ist genauso scheiße natürlich. Aber die Masse ist umgekehrt, dass es eben Frauen betrifft. Wenn wir jetzt mal auf das letzte Jahr gucken. Da hat die Polizei 2024 56 Sexualdelikte gemeldet, darunter zwei Vergewaltigungen und mehrere Fälle von Upskirting. Also das heißt, unterm Rock fotografieren, haben wir auch jahrelang gehört. Gleichzeitig hat Polizei aber letztes Jahr gesagt: "Es war eine friedliche Wiesn und es war eine sichere Wiesn." Das passt in meinen Augen fast gar nicht zusammen.
[00:20:38.340] - Manuela Soller
Ja, das bezieht sich dann oft darauf, wie die Fälle sich entwickeln. Dass man sagt: „Gut, jetzt sind die Fälle eher zurückgegangen. Es waren weniger Schlägereien, es waren weniger Sexualdelikte. Es ist alles ruhiger." Ich kann mich da auch an die Zwischenpressekonferenz erinnern letztes Jahr, wo der Eindruck war: „Okay, es läuft jetzt alles ein bisschen ruhiger." Und wir haben gesagt, na ja, bei uns ist es jetzt nicht weniger geworden, so an Zulauf. Da hat sich das Bild schon auch verändert. Als die Aktion gegründet wurde Anfang der 2000er Jahre, da wurde dann davon gesprochen, vom Oberbürgermeister in der Abschlusspressekonferenz: „Es war eine sehr sichere Wiesn", und gleichzeitig gab es wahnsinnig viele Übergriffe auf dem Gelände und auch außenherum, was eben zum Beispiel auch eine Kollegin von Amyna damals wirklich mitbekommen hatte, die in der Nähe gewohnt hatte und gesagt hat: „Nein, also so können wir das nicht stehen lassen, da müssen wir was machen." Ja, das ist immer eine Frage: Wie deutet man solche Zahlen? Und das sind natürlich auch nur die Zahlen, die wirklich jetzt angezeigt wurden. Und wenn ich jetzt zum Beispiel als Frau was erlebt habe und ich entscheide mich dann erst ein paar Tage später oder Wochen später dazu, das anzuzeigen, dann wird das auch nicht erfasst in dieser Statistik. Das ist dann eine andere Statistik. Deswegen verzerrt es an der Stelle schon. Und dann gibt es ja eine ganz große Dunkelziffer von Frauen, die sagen: „Ich habe jetzt ein schlimmes Erlebnis gehabt und jetzt möchte ich einfach nur nach Hause und ich möchte zur Ruhe kommen und möchte mich beraten lassen." Aber anzeigen ist gar nicht das Thema, weil es vielleicht auch schwer ist, die Person zu finden, die da übergriffig geworden ist. Und deswegen sind Zahlen auch immer, haben eigentlich eine schlechte Aussagekraft an der Stelle.
[00:22:23.500] - Nadia Kailouli
Ich finde das aber interessant und auch wichtig, dass du das sagst, dass wenn diese Zahlen von der Polizei herausgegeben werden, dass die erstens nur die wirklich offiziell erfassten Zahlen sind und dass das natürlich dann auch irgendwie einen Blick auf die Sache führt, die vielleicht jetzt alles zusammenzählt: Straftaten, Diebstähle, ich weiß nicht was, Gewalt, Schlägereien zwischen Typen und so. Und wenn du aber sagst: „Wir haben das jetzt nicht so unbedingt erlebt, sondern bei uns ist der Zulauf immer noch da." Du sprichst von 322 Fällen, Klientinnen, so sagst du, die zu euch gekommen sind. Gut, von denen hat jetzt nicht jede Frau irgendwie einen Übergriff erlebt, aber das sind auf jeden Fall Frauen, die einfach in diesem Setting der Wiesn sich unsicher gefühlt haben, nicht mehr wussten: „Scheiße, wie komme ich jetzt nach Hause? oh Gott, ich bin jetzt hier alleine." Und da ist ja super, dass es euch gibt, weil das ist ja die erste Stufe der Angriffsfläche, sage ich mal, für jemanden, der es ausnutzen will: „Da ist jemand, die weiß gar nicht, wo sie ist, die ist alleine, die weiß noch nicht mal, wo ihr Hotel ist. Das ist eigentlich jetzt in Anführungsstrichen 'das perfekte Opfer'." Und deswegen finde ich das so gut, dass ihr euch eben so breit aufstellt und sagt: „Egal in welcher Situation du bist, du kannst hierherkommen und wir können dir dann helfen." Also ich glaube, jede Frau, junge Frau, kennt die Situation: „Oh Gott, es war ein bisschen zu viel. Ich wollte eigentlich nach Hause und jetzt, keine Ahnung, meine Freundin ist weg. Eigentlich habe ich mein Handy verloren. Scheiße." Dazu kommen dann Emotionen und so und dann ist man ziemlich schnell lost. Jetzt gibt es ja aber auch, weil wir die ganze Zeit vom Starkbierfest Deutschlands sprechen, damit ist es ja nicht getan, sondern wir erleben ja grundsätzlich in Clubs, auf privaten Feiern, ich weiß nicht was, überall immer wieder Fälle von KO-Tropfen. Welche Erfahrungen habt ihr damit gemacht?
[00:24:06.620] - Manuela Soller
Wir machen die Erfahrung, dass wir jedes Jahr immer wieder Verdachtsfälle haben in der Beratung, wo wir sagen, da könnten KO-Tropfen im Spiel sein, einfach von den Symptomen, die Frauen und Mädchen zeigen oder auch Situationen, wo vielleicht die Person gar keinen Alkohol getrunken hat und trotzdem Ausfallerscheinungen hat oder weggetreten war oder über die Maßen stark betroffen wirkt. Und die Fälle sind auch angestiegen in den letzten Jahren. Also das sind jetzt nicht wahnsinnig viele Verdachtsfälle. Letztes Jahr waren es zwölf Verdachtsfälle, im Jahr davor sieben Verdachtsfälle. Da kann man aber trotzdem sagen, es ist fast eine Verdoppelung. Deswegen haben wir auch gesagt, das ist ein Thema, mit dem wir uns auch beschäftigen, weil es oft schwer ist, die Klientinnen da gut zu beraten, weil es kein einheitliches Vorgehen in München gibt, wie kann man vorgehen? Wie kann man das testen lassen? In der Regel oder sehr häufig ist es so, dass diese Tests im Labor selbst getragen werden müssen, finanziell. Also diese Sicherheit herzustellen, „Ich habe das wirklich bekommen", ist relativ schwierig.
[00:25:13.610] - Nadia Kailouli
Okay, verstehe.
[00:25:14.560] - Manuela Soller
Und da haben wir eben gesagt, wir bringen jetzt dieses Jahr auch einen Flyer raus, die wir vor allem in unseren Pausenhof-Aktionen in Schulen nutzen, da einfach drüber zu informieren, sozusagen: „Was sind KO-Tropfen? Wie können die verabreicht werden? Genau, was kann ich denn tun, wenn ich da Symptome bemerke? Oder wie kann man auch Spurenbeweise sichern?"
[00:25:34.730] - Nadia Kailouli
Jetzt, Manuela, es ist ja so: Man kommt auf die Wiesn, man ist erst mal nüchtern, dann erlebt man die Wiesn, dann feiert man und dann bis dahin ist alles gut gegangen und dann irgendwann ist ja auch Schluss. Dann ist hier Zapfenstreich, wie man so schön sagt, und da muss man ja irgendwie noch mal gut nach Hause kommen. Da hat man aber vielleicht schon zwei, drei Starkbierfässer, Maß oder wie das da heißt, sorry, getrunken. Wie könnt ihr euch kümmern, um den Weg nach Hause, wenn die Zelte sozusagen dann zu sind und das Fest geschlossen hat?
[00:26:02.740] - Manuela Soller
Der sichere Heimweg ist auf jeden Fall ein sehr wichtiges Thema für uns oder eine sehr wichtige Leistung, die wir anbieten. Das kann ganz unterschiedlich sein. Es kann sein, dass wir Mädchen oder Frauen zur S-Bahn oder U-Bahn begleiten, um die da ein bisschen Sicherheit zu geben, wo geht es denn überhaupt lang. Das ist so das Einfachste. Dann kooperieren wir auch mit einem Taxiunternehmen in München, wo wir auch bevorzugt Taxis rufen können und können dann ein Taxi anrufen für die Mädchen und Frauen. Und wenn zum Beispiel das Geld verloren gegangen ist und die sich jetzt kein Taxi mehr leisten können, dann haben wir auch Gutscheine dafür. Also dann können wir auch an der Stelle kostenfrei fahren lassen. Und wenn wir jetzt Situationen haben, in denen Frauen wirklich von Gewalt betroffen sind oder sehr verunsichert sind, sehr instabil sind, haben wir auch ein Auto mit einem Fahrdienst, wo wir die Mädchen und Frauen nach Hause bringen können. Das passiert auch, wenn die Situation zum Beispiel so ist. Wir wissen nicht genau, wie sieht es denn am Ende aus? Kommt die auch sicher an? Kommt die da rein? Und in solchen Fällen ist es dann einfacher, das Mädchen oder die Frau auch nach Hause zu bringen.
[00:27:13.480] - Nadia Kailouli
Okay, gut. Also das ist ja echt mal ein Wahnsinnsangebot, muss ich mal sagen. Ich frage mich gerade, vielleicht seid ihr auch meine erste Wiesn? Ich wohne ja in München. Vielleicht heuer ich einfach bei euch an und erlebe mit euch meine erste Wiesn. Statt dass ich da einfach Party mache, komme ich da hin und engagiere mich und fahr die Mädels nach Hause, wo ich sage: „Hier, bevor du da weiterläufst, bei dem blöden Typen, da fahr ich dich nach Hause."
[00:27:36.670] - Manuela Soller
Also du kannst auf jeden Fall mal vorbeikommen bei uns und dir den Safe Space angucken. Genau, was jetzt so Voraussetzungen sind für die Mitarbeiter, ist in der Regel eine pädagogische oder eine psychologische Ausbildung oder Frauen, die in dem Bereich gerade studieren. Wir haben viele Studentinnen. Wir haben aber auch viele sehr gestandene Sozialarbeiterinnen, die zum Beispiel im Frauenhaus arbeiten seit Jahren und sagen: „Ich habe aber jetzt Lust, mich da zu engagieren." Das sind unsere ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Und wir haben aber auch jeden Tag Fachberaterinnen im Einsatz. Das sind Frauen, die wirklich fachlich da ausgebildet sind, die sonst auch in Bereichen arbeiten, wo sie viel mit Krisen zu tun haben und dann auch die Beratung in den schwierigen Fällen oder in Fällen von Gewalt oder von psychischen Krisen zum Beispiel übernehmen.
[00:28:22.820] - Nadia Kailouli
Also seid ihr da richtig gut ausgestattet mit Vollprofis, sozusagen. Super. Jetzt würde ich gerne mit dir noch mal sozusagen den Blick ins Zelt werfen, weil ich finde das ja, ich glaube, viele finden das ja erst mal super, dass es euch gibt, dass ihr da auf dieser Fläche seid, auf der Theresienwiese seid, dass Securities Bescheid wissen, dass die Wirte Bescheid wissen und und und. Gibt es denn in diesem Zelt, in dem ich ja noch nie war, Plakate von euch? Also gibt es an den Säulen einen Aushang: „Hier, sichere Wiesn. Wenn du unsicher bist, wenn dir was passiert ist, du findest uns im Eingang XY. Komm zu uns." Kann ich mir das so vorstellen?
[00:28:59.340] - Manuela Soller
Genau, also es gibt tatsächlich Plakate von uns, die wir auch jedes Jahr wieder verteilen kurz vor Start in den Zelten. Auf den Toiletten hängen die ganz häufig, was vielleicht auch ein ganz guter Ort ist. Man geht da hin, man zieht sich zurück und sieht: „Ah ja, okay, das gibt’s." Wir haben dieses Jahr auch noch mal größere Plakate drucken lassen, die wir verteilen. Wir haben es natürlich nicht in der Hand, wie das aufgehängt wird. Machen aber die Erfahrung, dass in der Regel die Wirt:innen da schon das machen und das aufhängen und verteilen. Es gibt auch immer eine Versammlung, die kurz vor Wiesnstart ist, wo die ganzen Standlbesitzer:innen oder die Schaussteller:innen alle sind. Da verteilen wir auch Materialien. Und deswegen hat man es auch häufiger, dass an irgendwelchen Buden auch Plakate hängen oder Flyer ausgelegt sind. Genau.
[00:29:46.160] - Nadia Kailouli
Und werdet ihr gut angenommen? Oder gibt es auch Leute, die sagen: „Ey komm, jetzt kommt ihr da mit eurem Quatsch, das ist ein Volksfest und mei, da wird halt mal gegrabscht, das gehört dazu." Erlebt ihr das auch?
[00:29:59.580] - Manuela Soller
Also tatsächlich erleben wir es jetzt nicht mehr, würde ich sagen, dass sich da wirklich wenige trauen, auch was dagegen zu sagen. Also das hat sich verändert ganz am Anfang, als die Aktion gestartet wurde, gab es da schon große Widerstände, weil es sollte ja ein Fest der Freude sein und „Wir haben doch hier alle Spaß und jetzt kommt ihr mit so einem schwierigen Thema daher." Da gab es dann sowohl in der Politik als auch bei den Wirt:innen auch viele Widerstände und das hat sich verändert. Natürlich gibt es da auch heute unterschiedliche Haltungen von Menschen, die da sehr unterstützend sind und fragen: „Wie können wir euch noch mal promoten? Wie können wir euch unterstützen?" Und andere, die sich da vielleicht zurückhalten, aber es würde jetzt niemand mehr sagen, das braucht diese Aktion nicht. Und das ist natürlich schon eine tolle Entwicklung und macht es für uns heute auch einfacher, da zu agieren.
[00:30:50.080] - Nadia Kailouli
Jetzt läuft dieses Oktoberfest, jährlich zwei Wochen. Was macht ihr denn mit der restlichen Zeit im Jahr?
[00:30:58.140] - Manuela Soller
Ja, das ist natürlich die Hochphase, ist natürlich das Fest selber. Da kommt jetzt ein bisschen auch drauf an, wie der Aufgabenzuschnitt ist. Bei mir persönlich kann ich sagen, dass ich das ganze Jahr befasst bin mit der Wiesn. Also ich mache die Öffentlichkeitsarbeit der Aktion und da geht es eben darum, dass wir überhaupt diese Materialien haben, diese Flyer und Plakate und so weiter, und dass die erst mal entstehen und gedruckt werden. Das sind Dinge, die mich schon im Frühjahr beschäftigen. Nach der Wiesn gibt es Auswertungen. Wir müssen Verwendungsnachweise, Rechenschaftsberichte schreiben. Genau, und wir planen eben auch immer sozusagen, was ist dieses Jahr? Was steht an? Was können wir vielleicht neu machen? Was kann man noch weiterdenken? Genau, so ist das Ganze Jahr, was zu tun. Natürlich mal ein bisschen mehr, mal ein bisschen weniger.
[00:31:45.780] - Nadia Kailouli
Und was wünscht ihr euch? Gibt es Bereiche, wo ihr sagt, da müsste eigentlich die Stadt oder die Veranstaltung oder so, da müssten die eigentlich besser hinterher sein, damit, wie gesagt, 56 Sexualdelikte in diesem Jahr weniger werden?
[00:31:59.100] - Manuela Soller
Also die Kapazitäten, die wir haben, die sind schon wirklich am Limit. Wo die Menschen zu uns kommen, die können wir in der Regel beraten. Also es kann ganz selten auch mal passieren, dass der Safe Space mal geschlossen ist, ein, zwei Stunden. Es liegt dann einfach daran, dass zum Beispiel jetzt gerade ein Fall da ist, der einfach sehr viele Ressourcen kostet, wo einfach viel beraten werden muss und dann sozusagen jemand mehr Neues aufgenommen werden kann an der Stelle. Das kommt aber eigentlich wenig vor. Das heißt, was wir im Zulauf haben, können wir schon ganz gut bewältigen, aber viel mehr geht einfach nicht. Wenn wir jetzt mehr Räume hätten und mehr Personal, dann könnten wir natürlich noch mehr machen. Das ist die eine Sache. Und im präventiven Bereich würden wir natürlich auch gern mehr machen. Ich denke jetzt zum Beispiel daran, Fortbildungen, Multiplikator:innenschulungen anzubieten für Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, in der Jugendarbeit zum Beispiel oder in der Schulsozialarbeit. Und die sagen: „Wir machen Angebote zum Thema und wir fordern auch Materialien bei euch an, aber wir haben gar nicht so richtig Zeit, da ein Konzept zu überlegen. Was könnte man denn da machen?" Und das wäre natürlich toll, wenn wir so was mehr machen könnten.
[00:33:11.960] - Nadia Kailouli
Verstehe. Jetzt, während wir gerade diese Sendung aufzeichnen, läuft eigentlich schon das Oktoberfest. Wir strahlen diese Folge aus, während das Oktoberfest läuft. Also das Oktoberfest läuft jetzt gerade. Was ist so dein Tipp für Frauen und Mädchen für die Wiesn? Worauf sollten sie achten, ohne dass ich damit meine, ihr müsst aufpassen, damit euch nichts passiert, weil deine Haltung dazu finde ich super: Ihr sollt eigentlich frei sein und einfach genießen können.
[00:33:40.300] - Manuela Soller
Genau. Also was auf jeden Fall sinnvoll ist, zu überlegen: Wie komme ich denn hin und wie komme ich zurück? Also an dem Tag, auf was muss ich da achten, wie ist mein Weg? Es gibt sehr viele verschiedene Eingänge, U-Bahn-Stationen, S-Bahn-Stationen, die da eine Rolle spielen. Das Handy gut aufladen ist auf jeden Fall ein Tipp, der Akku geht sehr schnell flöten, gerade wenn man jetzt zum Beispiel viel auf Instagram dann postet, was viele machen, vielleicht noch eine Powerbank mitnehmen, um das Handy aufladen zu können. Dann kann es auch Sinn machen, eine Handynummer zum Beispiel extra noch mal zu notieren von einer Freundin, weil die hat man ja häufig nicht im Kopf, wenn das Handy doch verloren geht. Immer ein bisschen Bargeld noch irgendwo in der Dirndl-Tasche zu haben, wenn die Tasche irgendwie verloren gehen sollte, alle Wertgegenstände möglichst nah am Körper zu tragen. Man darf eh keine großen Taschen mitnehmen, sondern nur kleine Handtaschen. Aber diese Tasche dann auch bei sich zu haben und jetzt nicht zum Beispiel das Zelt zu verlassen, die Tasche dazulassen oder wenn man auf die Toilette geht, das auch mitnehmen. Das sind, glaube ich, Dinge, die es schon vereinfachen oder auch einen Treffpunkt zu vereinbaren, wenn man sich verliert, wo treffen wir uns dann wieder? Und auch die Freundinnen und Freunde nicht alleine zu lassen, sondern zusammenzubleiben.
[00:34:54.180] - Nadia Kailouli
Das sind doch schon mal gute Tipps, die man mitnehmen kann auf die Wiesn. Und wie gesagt, ich wiederhole es noch mal, aber ich finde es gut, was du eingangs eben gesagt hast, ihr wollt Frauen nicht vermitteln: „Hey, geht da nicht hin, es ist gefährlich", sondern eher: „Ey, geht hin, passt auf euch auf, weil es gibt leider Idioten, das muss man einfach sagen. Und wenn euch ein Idiot zu nahe kommt, dann gibt es uns und wir helfen euch, dass ihr da gut rauskommt oder das gut verarbeitet oder das melden könnt, anzeigen könnt, was auch immer." In diesem Sinne sage ich vielen, vielen Dank, Manuela, dass du heute unser Gast warst, dass du über die "Sichere Wiesn" gesprochen hast, eure Initiative. Gut, dass es das gibt und wir hoffen mal alle, dass die Wiesn in diesem Jahr besser laufen als im letzten Jahr, was vor allem die Übergriffe an Frauen und Mädchen betrifft. Vielen, vielen Dank, Manuela.
[00:35:40.300] - Manuela Soller
Das hoffe ich auch und vielen Dank, dass ich da sein durfte und erzählen durfte von der Aktion.
[00:35:48.100] - Nadia Kailouli
Ja, mei. Leute, was soll ich sagen? Also die Wiesn für die, die hingehen, die Fans sind, ne, let's go, ne, habt Spaß und alles. Und die, die das erste Mal dorthin gehen und dann blöde Sachen erleben, das wünsche ich niemandem. Aber wenn ihr jetzt gerade auf der Wiese seid und ihr merkt so: „Puh, äh, das war echt nicht korrekt", dann könnt ihr da hingehen oder Freundinnen erzählen: „Ey, geht da hin". Es gibt die „Sicheren Wiesn", die sind genau für euch da, für Frauen, für Mädchen, die sagen: „Ich fühle mich hier unsicher. Mir ist da was passiert" und so weiter und so weiter. Also wie gut, dass es das auf diesem Oktoberfest gibt. Und trotzdem muss ich sagen, alle Typen, die dieses Starkbier nicht vertragen und ihre Grenzen nicht wissen, für euch gilt eigentlich ein Hausverbot, und zwar auf alles, wo gefeiert wird. Ich kann es nicht mehr hören, dass wegen euch Frauen und Mädchen teilweise keinen Spaß mehr haben, auszugehen. Das finde ich wirklich scheiße. In diesem Sinne: Prost.
[00:36:45.140] - Nadia Kailouli
Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund, per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle 'Missbrauchsbeauftragte'. Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.
Mehr Infos zur Folge
München, Ende September – jedes Jahr strömen Millionen Menschen auf die Theresienwiese zum Oktoberfest. Zwei Wochen lang dauert die Wiesn. Doch lustig ist es nicht für alle – 2024 zählte die Polizei 56 sog. Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Meist ging es dabei um sexuelle Belästigungen oder um heimlich gemachte Fotos unter dem Rock (Upskirting). Aber es werden auch Vergewaltigungen angezeigt und die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Täter nutzen die Masse, den Alkohol und die Orientierungslosigkeit. KO-Tropfen sind ein wachsendes Problem. Und auch der Heimweg ist oft mit Unsicherheit verbunden – besonders für Besucherinnen, die sich in der Stadt nicht gut auskennen.
Um Frauen und Mädchen zu unterstützen, die auf der Wiesn Übergriffe oder andere bedrohliche Situationen erleben, gibt es seit mehr als 20 Jahren die Initiative „Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“ – gegründet von AMYNA e. V., IMMA e. V. und den Frauen*notruf München. Während der Wiesn betreiben sie täglich einen Safe Space. Ein Ort, an dem Fachberaterinnen und Ehrenamtliche helfen – egal ob eine Freundin verschwunden ist, der Bus verpasst wurde oder ein Übergriff stattgefunden hat. 2024 haben sie 345 Klientinnen betreut und 888 Hilfeleistungen erbracht. Im Schnitt kamen jeden Abend 22 Betroffene und fast immer war ein Fall sexueller Gewalt dabei.
Unter dem Motto „Spaß auf der Wiesn – aber sicher!“ machen die beteiligten Vereine das ganze Jahr über Präventionsarbeit, sensibilisieren für sexualisierte Gewalt und setzen ein klares Zeichen dagegen. AMYNA e. V. ist auf die Prävention von sexuellem Missbrauch spezialisiert. Hier arbeitet Manuela Soller. Seit 2022 organisiert sie die „Sichere Wiesn“ und was ihrer Meinung nach passieren muss, damit auch Frauen sicher zum Oktoberfest gehen können, erzählt sie bei #einbiszwei.
Tipps für Wiesn-Besucherinnen von Manuela Soller:
- Vorher überlegen: Wie komme ich hin und wie komme ich zurück, auf was muss ich da achten, wie ist mein Weg? Es gibt sehr viele verschiedene Eingänge, U-Bahnstationen, S-Bahnstationen, man sollte sich seinen Weg gut einprägen.
- Das Handy gut aufladen! Der Akku ist sehr schnell verbraucht, gerade wenn man zum Beispiel viel auf Instagram postet, was viele machen. Noch eine Powerbank mitnehmen, um das Handy aufladen zu können.
- Eine Handynummer von einer Freundin extra noch mal auf einem Zettel notieren, falls das Handy verlorengeht. Und den Zettel in einer Dirndl-Tasche aufbewahren.
- Immer ein bisschen Bargeld noch irgendwo in der Dirndl-Tasche haben, für den Fall, dass die Handtasche verloren gehen sollte.
- Alle Wertgegenstände möglichst nah am Körper tragen, auch die Handtasche. Die Tasche dann auch immer bei sich haben und jetzt nicht zum Beispiel das Zelt verlassen und die Tasche dalassen.
- Einen Treffpunkt vereinbaren, für den Fall, dass man sich verliert.
- Freundinnen und Freunde nicht allein lassen, immer zusammenbleiben.

LINKSAMMLUNG
Website von „Sichere Wiesn“
„Sichere Wiesn für Mädchen* und Frauen*“
Zum Instagram-Account von „Sichere Wiesn“
Instagram @sicherewiesn
Artikel auf BR24 (09/24)
„Safe Space” und „SafeNow”: Mehr Sicherheit beim Oktoberfest
Artikel in der Frankfurter Rundschau (09/23)
Sexuelle Übergriffe auf der Wiesn – Opferschutz auf Oktoberfest am Limit
Artikel auf BR24 (09/23)
Sicher auf der Wiesn: „Safe Space” bisher fast 150 Mal genutzt
Artikel in der Süddeutschen Zeitung (09/22)
Oktoberfest: Ein sicherer Ort für Mädchen und Frauen
