Podcast | Folge: 128 | Dauer: 35:26

Wie fahndet ihr nach Sexualstraftätern im Internet, Marcus Liebrandt?

hier reinhören
Bild des Titelgebers

Aktuelle Folge jetzt anhören

Wenn Sie diesen bereitgestellten Inhalt aufrufen, kann es sein, dass der Anbieter Nutzungsdaten erfasst und in Serverprotokollen speichert. Auf Art und Umfang der übertragenen bzw. gespeicherten Daten hat die UBSKM keinen Einfluss. Weitere Informationen zu den von FeedPress erhobenen Daten, deren Speicherung und Nutzung finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters.

Folge hier anhören

Das Interview der Folge 128 als Transkript lesen

[00:00:02.020] - Marcus Liebrandt

Ich habe selber eine zweijährige Tochter und einen kleinen Sohn, der jetzt drei, vier Monate alt ist. Und wenn man dann natürlich Videos sieht, wo solche Personen sexuell missbraucht werden, dann nagt das natürlich schon am einen, weil man dann halt auch denkt: „Wie ist das später so weitergegangen?" Das ist zum Beispiel auch was, was wir oft dann hören, wenn wir bei Leuten durchsuchen: „Ich schaue ja nur die Bilder an" und so was. Oder: „Ich mache ja nichts selber. Ich bin kein Hands-on-Täter, wie man sagt, sondern ich schaue mir nur so Bilder an." Den Leuten sagen wir dann aber auch immer: „Hey, pass auf, es gibt eine Nachfrage, es gibt ein Angebot, es gibt einen Bedarf und wenn du solche Sachen anschaust, dann sorgst du auch dafür, dass solche Sachen hergestellt werden." Man muss da vielmehr mit Prävention und so was reingehen, aber es gibt so manche Sachen, da denkt man sich: „Puh."

[00:00:45.740] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:01:09.060] - Nadia Kailouli

Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, das haben inzwischen hoffentlich alle verstanden, gibt es am häufigsten innerhalb der Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis. Der unbekannte Fremde, der am Spielplatz lauert, das ist sehr, sehr selten. Jedenfalls im wirklichen Leben, denn auf den digitalen Spielplätzen, in Chats, in Games, überall im Netz, gibt es jede Menge Erwachsene, die sich beispielsweise als Gleichaltrige ausgeben und versuchen, Kinder zu Nackfotos oder realen Treffen zu überreden. Cybergrooming heißt das. Jedes vierte Kind in Deutschland hat das schon einmal erlebt. Aber wie findet man diese Täter? Eine Antwort heißt NCMEC. Das ist das National Center for Missing & Exploited Children in den USA. NCMEC betreibt eine Meldestelle, wo jeder Kinderpornografie, cybergrooming und anderes melden kann. Bei vielen Delikten führt die Spur tatsächlich nach Deutschland. Mehr als 100.000 Verdachtsfälle meldete das NCMEC 2022 dem Bundeskriminalamt. Dann wird beispielsweise das K17 in München tätig. Das ist ein Kommissariat, das sich nur mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche befasst. Marcus Liebrandt, ist dort Kriminalhauptkommissar und erzählt mir gleich, wie diese Ermittlungen funktionieren, welche Bilder und Videos er sehen muss und warum NCMEC für seine Arbeit unverzichtbar geworden ist. Herzlich willkommen oder einfach Servus, Marcus Liebrandt. Hallo.

[00:02:30.000] - Marcus Liebrandt

Hallo, Servus und Grüße aus München.

[00:02:31.700] - Nadia Kailouli

Hallo. Genau, Servus, weil du bist in München, ich bin in Berlin. Wir sind uns zugeschaltet. Wir sprechen heute über das Thema sexuelle Gewalt im Internet und du als Polizist, du kann man sagen, du kämpfst gegen sexuelle Gewalt im Internet. Das ist so dein Bereich. Und da denkt man sich natürlich: „Boah, das ist doch bestimmt ein krasser, sehr harter Job", weil man sieht doch da Sachen, die man ja eigentlich nicht sehen möchte, oder?

[00:02:54.680] - Marcus Liebrandt

Ja, also das ist auf jeden Fall richtig, was du sagst, wobei man mal ein bisschen unterscheiden muss: Es ist jetzt nicht so, dass man die ganze Zeit nur mit diesen krassen Sachen zu tun hat. Also da gibt es auch einfach gelagerte Fälle und auch andere Sachen. Also es ist nicht so, wie viele immer denken im Bekannten- oder Freundeskreis, dass ich die ganze Zeit nur vor dem Bildschirm sitze und die ganze Zeit nur so Sachen anschaue, weil das wäre jetzt auch nicht so meins.

[00:03:17.200] - Nadia Kailouli

Das heißt, was machst du genau? Wie kannst du als Polizist, da wo du bist, gegen sexuelle Gewalt im Internet arbeiten, als Polizist?

[00:03:26.400] - Marcus Liebrandt

Genau. Ich bin hier praktisch Mitglied bei diesem K17 in München. Das ist wie so eine Art Pilotdienststelle in Bayern. Wir sind damals praktisch mal gegründet worden und extra nur für diesen Bereich. Man nennt es auch immer so Kinderschutzkommissariat. Und bei uns werden mehr oder weniger alle Fälle mit Kindern und Jugendlichen behandelt, wo man wirklich sagt, das geht von einem verdächtigen Ansprechen, von irgendwelchen verdächtigen Chatgruppen, aber auch von wirklich schweren Missbrauchstaten.

[00:03:52.840] - Nadia Kailouli

Und wie geht man da genau vor? Wie können wir uns dieses Kommissariat vorstellen? Was macht ihr da? Wie macht ihr das? Das ist ja ein riesen Feld und leider ein Feld, was gar nicht so leicht zu durchdringen ist, weil sonst hättet ihr ja schon hunderttausende Täter:innen irgendwie schnappen können.

[00:04:09.840] - Marcus Liebrandt

Ja, genau. Wir sind aufgeteilt in verschiedene Sachbereiche. Ich persönlich mache diesen Sachbereich mit diesen ganzen NCMEC-Meldungen. Also NCMEC, so als kurze Umschreibung, ist so eine Organisation aus den USA, die sich mehr oder weniger dem Kinderschutz verschrieben hat und die haben mehr oder weniger es geschafft, dass alle amerikanischen Provider oder alle Dienste, die in den USA Dienste anbieten, dass die ihre ganzen Sachen durchfiltern müssen. Also alles, was gechattet wird, was verschickt wird, das wird alles gefiltert. Die schauen dann nach Texten, nach Bildern oder auch, wenn die irgendwie den Anhaltspunkt haben, dass da irgendwie was Verdächtiges ist und dann erstellen die weltweit so Meldungen. Die verschicken die praktisch dann über das FBI an die ganzen Länder weltweit und da bin ich für den Bereich München zuständig und da kriegen wir diese ganzen Meldungen. Das sind so pro Jahr ungefähr tatsächlich so um die 1.000. 1.000 Meldungen, die wir hier allein in München haben. Ich habe jetzt mal nachgeschaut, nachdem es unser Kommissariat gibt. So seit drei, dreieinhalb Jahren sind es jetzt so um die 3.200 Meldungen und tatsächlich dann auch Ermittlungsverfahren, die eigentlich so losgingen. Also das ist ein großer Part, dass wir da sehr viele Meldungen aus den USA bekommen.

[00:05:15.330] - Nadia Kailouli

Jetzt, das noch mal besser zu verstehen: Das Kommissariat K17, das sitzt eben in Bayern und die Meldung, die ihr zum Beispiel bekommt von NCMEC – da gehen wir noch mal später genauer drauf ein, was das genau ist –, das sind Meldungen nur von Fällen in Bayern oder deutschlandweit, bundesweit?

[00:05:31.600] - Marcus Liebrandt

Nein, das sind tatsächlich Fälle sogar nur für München.

[00:05:34.340] - Nadia Kailouli

Ach Gott.

[00:05:34.960] - Marcus Liebrandt

Das sind wirklich nur die Fälle jetzt für München. Die deutschlandweiten Zahlen sind da viel höher. Das BKA verschickt jeden Monat deutschlandweit in alle Bundesländer sehr viele von diesen Meldungen. Da reden wir von hunderten, tausenden Fällen, die dar auf ganz Deutschland verschickt werden. Man muss auch immer sagen, da sind natürlich auch manchmal Kleinigkeiten dabei oder Sachen, die sich später dann nicht so krass rausstellen. Das können auch mal irgendwelche Spaßbilder sein oder Sachen, wo man sagt, Jugendliche untereinander verschicken, irgendwelche Tanzvideos oder so. Man muss da ein bisschen langsam machen. Das heißt jetzt nicht, 1.000 schwere Strafanzeigen, aber die melden lieber ein bisschen zu viel als zu wenig. Die haben sich da grundsätzlich, die haben ja ein bisschen ein anderes Rechtssystem, die Amerikaner. Da ist ja zum Beispiel alles unter 21 auch ein Jugendlicher oder so was. Bei denen ist das alles ein bisschen anders.

[00:06:21.260] - Nadia Kailouli

Okay, aber nichtsdestotrotz, hast du ja gerade gesagt, gibt es sehr, sehr viele Fälle, die dann wirklich zu einer Fahndung laufen und dann kann man ja davon ausgehen, dass es nicht einfach ein Video war, wo sich zwei Freunde übers Netz ein Video geschickt haben.

[00:06:32.530] - Marcus Liebrandt

Genau. Also das Spektrum ist da wirklich sehr breit gefächert und da ist wirklich alles mit dabei.

[00:06:37.800] - Nadia Kailouli

Jetzt hast du gesagt, das sind die Fälle, die ihr bekommt, im Kommissariat 17, eben Fälle aus München. Gibt es denn in anderen Bundesländern, in anderen Regionen Deutschlands ein ähnliches Kommissariat wie ihres, also ein K16, K14, ich weiß nicht was, oder seid ihr sozusagen allein mit dem Schwerpunkt, so wie ihr denn jetzt habt?

[00:06:57.600] - Marcus Liebrandt

Nein, also grundsätzlich, jedes Bundesland ist ja ein ist ein bisschen anders, aber grundsätzlich ist es schon so, dass jede Polizei in Deutschland speziell für diesen Sexualbereich, Sexualdelikte, ein Fachkommissariat hat, wo dann auch die Sexualdelikte zum Nachteil zum Beispiel von Frauen sind. Und normalerweise wird das alles ein bisschen zusammengefasst und jede Polizei schaut immer ein bisschen an einen eigenen Weg und wir mussten da einfach ein bisschen einen anderen Weg gehen, weil die Zahlen einfach zu hoch waren. Deswegen haben wir uns praktisch mehr oder weniger ausgegliedert. Aber das ist in Bayern ein bisschen unterschiedlich und in den anderen Bundesländern auch. Aber grundsätzlich gibt es das überall. Also da gibt es überall Sachbearbeitung und Fachpolizeidienststellen, die sich damit befassen.

[00:07:33.800] - Nadia Kailouli

Jetzt hast du NCMEC eben angesprochen. Also grob zusammengefasst: Die USA melden Fälle, die sie im Netzbetrieb so sehen und sagen: „Hey, die Spur, die führt nach Deutschland, die Spur, die führt nach München. Da ist irgendwas, was wir hier sehen. Videos, Fotos, ich weiß nicht was. Das schicken wir denen jetzt mal und die gucken sich das jetzt an." Also zum Beispiel ihr. Habe ich das so grob richtig zusammengefasst?

[00:07:56.620] - Marcus Liebrandt

Das hast du komplett richtig erfasst. Also die schicken diese Meldung an die Länder und die Polizei in den Ländern und jetzt zum Beispiel wir, wir schauen dann, was steckt dahinter. Dann wird ermittelt. Die Amerikaner geben praktisch die Richtung vor, diese Organisation und sagt dann: „Hier, Deutschland in München über zum Beispiel diesen Facebook-Account, der in München sitzt, anhand der IP-Adresse wurde das und das verschickt." So teilen die uns das mit und dann laufen bei uns die Ermittlungen.

[00:08:19.790] - Nadia Kailouli

Kannst du mal erklären, wie so eine Zusammenarbeit überhaupt zustande kommt? Also warum braucht ihr die USA für diesen Ermittlungsprozess?

[00:08:29.320] - Marcus Liebrandt

Also grundsätzlich ist es so, dass die Amerikaner diese Organisation NCMEC, das ist so eine teilstaatliche Organisation, die sich mehr oder weniger dem Kinderschutz verschrieben hat. Wenn man mal ein bisschen in die Historie schaut, die ist teilweise sogar von Eltern mitgegründet worden. Die hatten damals auch das Problem, da sind Kinder in den USA entführt und umgebracht worden und die ganzen staatlichen Strukturen waren im Endeffekt auch, wie bei uns, ein bisschen über den Föderalismus so verteilt und so unterschiedliche Behörden, dass da oft die Kommunikationen nicht so gut waren. Dann war das tatsächlich so, dass diese Organisation NCMEC in den USA ins Leben gerufen wurde und die sich mehr oder weniger gesagt haben: „Wir wollen die Kinder schützen." Also die ziehen das dort ganz groß auf. Da kann man auch Meldungen machen, die machen sehr viele Schulungen. Das ist so wie der Kinderschutzbund, ist eine allumfassende Organisation und die haben das mehr oder weniger irgendwie geschafft, dass diese ganzen Konzerne da mitmachen müssen. Also die Konzerne wollen das immer gar nicht so hundertprozentig, weil das ist natürlich viel Aufwand, viel Kosten. Man muss alles durchschauen, man muss alles melden und die NCMEC-Organisation hat das geschafft, dass da mehr oder weniger alle Konzerne mitmachen müssen. Die EU macht ja so was auch ein bisschen in die Richtung, hört man ja öfters, dass Apple oder so wegen Datenschutzverstößen und jetzt hat man ja auch diese ganzen Meldepflichten mit Hatespeach und so was eingeführt. Das kommt da ein bisschen peu à peu und die Organisation NCMEC hat da praktisch so eine richtig harte Linie. Also die Unternehmen müssen alle melden, die müssen auch weltweit melden. Also diese Reports gehen auch wirklich nach Nigeria, auf die Philippinen, die gehen überall hin. Also die schicken das weltweit.

[00:09:55.200] - Nadia Kailouli

Okay. Und das heißt, du hast gesagt, da wird so eine IP-Adresse ermittelt und daran wird dann erkannt, alles klar, von wo kommt diese Person, wo wir nach unserer Analyse jetzt sagen würden: „Hey, da muss man mal hingucken, ob das nicht Kinderschutzverletzungen oder sogar Gewaltanwendungen an Kindern stattfindet." Wenn ihr das jetzt bekommt, was bekommt ihr denn da genau? Bekommt ihr da den Namen, die Adresse, die Bilder, die Videos? Oder was wird euch dazu geschickt?

[00:10:23.680] - Marcus Liebrandt

Also die Organisation NCMEC schickt uns mehr oder weniger alle Informationen zu dem Account, den sie haben. Also jeder, der sich irgendwie einen Account erstellt bei irgendeinem Dienst oder bei einem Messenger, der muss sich ja irgendwie dort anmelden, registrieren, sei es über eine Telefonnummer, eine E-Mail-Adresse mit Personalien, mit Geburtsdaten. Und im Endeffekt liefern die uns die Informationen, die praktisch in dem Account hinterlegt sind mit und liefern dann noch weitere Informationen mit dazu. Da möchte ich jetzt nicht so ganz ins Detail gehen, was da noch mit angeliefert wird, aber die liefern schon sehr viel Informationen mit dazu. Und du weißt es ja selber, alle Dienste sind ein bisschen unterschiedlich. Manchmal muss man eine Telefonnummer, eine E-Mail-Adresse… Das ist ja auch das, was immer ein bisschen probiert wird, mit dieser Altersverifizierung, dass man da ein bisschen mehr macht, weil heutzutage kann sich auch ein 8-Jähriger einen Instagram-Account anlegen, rein theoretisch und so was. Und streng genommen ist es eigentlich ab gewissen Alter erst erlaubt. Also die liefern da schon sehr viel Information mit, anhand der wir dann auch arbeiten können.

[00:11:20.560] - Nadia Kailouli

Und wie sieht diese Arbeit aus? Was macht ihr dann, wenn ihr diese Meldung bekommt und diese ganzen Informationen habt?

[00:11:26.000] - Marcus Liebrandt

Genau, es wird grundsätzlich erst mal geschaut: Um was handelt es sich jetzt hier? Ist das irgendwie was, sage ich mal, ist da ein strafbares Handeln dabei, wo ich wirklich sage, okay, das ist jetzt irgendwelche verbotenen Inhalte oder zum Beispiel verbotene Wortformen, dann ist es so, dass tatsächlich eine Strafanzeige gefertigt wird, die dann im Endeffekt hier in Bayern zentral von der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg bearbeitet wird. Wir machen dann im Endeffekt alle Ermittlungen, schauen, was wir herausbekommen und dann am Ende der Ermittlungen gibt es dann die polizeilichen Maßnahmen. Es kann einen Hausbesuch geben, es kann Vorladungen, es kann Briefe geben. Da wird dann immer geschaut, was es für ein Fall ist. Man hört es ja dann immer öfters, dass Massendurchsuchungen oder so was stattfindet oder so Action-Days, wo man dann sagt, okay, da wird jetzt mal ein bisschen geschaut, weil oft ist es ja so, das sind dann manchmal zum Beispiel Chatgruppen oder Facebook-Accounts, wo 10, 11 Empfänger dabei sind oder so. Und das sind dann die ganzen weiteren polizeilichen Maßnahmen, wo dann geschaut wird, wer hat irgendwelche Straftaten begangen und wer hat zum Beispiel auch nichts gemacht oder wer kann nichts dafür oder so. Also da wird dann ein bisschen geschaut.

[00:12:28.780] - Nadia Kailouli

Wie hoch ist denn die Trefferquote, wenn man das so nennen darf? Also inwieweit könnt ihr mit den Daten, die euch zur Verfügung gestellt werden, von NCMEC auch wirklich was anfangen und einen Täter ausfindig machen?

[00:12:40.680] - Marcus Liebrandt

Also die Trefferwahrscheinlichkeit ist tatsächlich sehr hoch. Also diese Daten, die dort mitgeliefert werden. Man muss ja dazu auch ein bisschen sagen, so kleiner Schwenk so auf die Vorratsdatenspeichung: In Deutschland ist es ja so, dass so IP-Adressen ungefähr zwei Wochen gespeichert werden müssen von den Unternehmen. Bei den Amerikanern ist das ein bisschen anders. Also da werden die Unternehmen mehr oder weniger gezwungen beziehungsweise geben sehr viele Daten von sich raus, auch gerade mit den IP-Adressen. Also da kriegt man sehr viele Informationen. Also von den ganzen Fällen, wo ich jetzt mehr oder weniger dabei war, ist die Trefferquote wirklich sehr hoch. Also ist Das ist nicht so, dass man da komplett beim falschen irgendwo landet.

[00:13:18.260] - Nadia Kailouli

Aber wenn ich das so höre, wenn du sagst, okay, die Trefferquote ist relativ hoch und dass man diese IP-Adressen zugeliefert bekommt durch das System, was die USA da anwenden und so, bekommt man eben Zugang zu den Tätern. Dann frage ich mich, wie kann es denn dann sein, dass dennoch so viel Missbrauch im Netz stattfindet, wenn man doch eigentlich viele so ausfindig machen kann?

[00:13:41.540] - Marcus Liebrandt

Ja, das ist tatsächlich eine gute Anmerkung, aber nan hat da schon auch ein bisschen gemerkt, durch die Corona-Zeit hat das auch einen ziemlichen Push alles gegeben. Das heißt, die ganze technische Weiterentwicklung der ganzen Homeoffice-Bereich und das ganze Verbreiten vom Handy, das hat extra noch mal sehr hohen Push gegeben. Und man muss auch sagen, dass mittlerweile die ganzen gängigen Programme, dass eigentlich jedes Programm mehr oder weniger so eine Art Möglichkeit bietet, zu kommunizieren und Bilder zu schicken und Texte zu schicken. Früher hatte man seine drei, vier Programme, vielleicht Facebook, Instagram, Snapchat. Jetzt ist es heutzutage, wenn die Kinder zum Beispiel zocken über Discord, über das Programm, kann man auch wieder chatten und Bilder verschicken. Also jedes Programm, da ist einfach die Auswahl viel größer geworden. Und Snapchat, TikTok und so was brauchen wir gar nicht ansprechen. Das nutzt gefühlt auch jeder heutzutage. Da gehen auch sehr viele Meldungen ein und viele nutzen. Und dann gibt es natürlich auch viele Sachen, die nicht okay sind.

[00:14:40.380] - Nadia Kailouli

Ja, aber kannst du uns eine Antwort darauf geben, warum es solche NCMEC-Stellen dann nicht einfach zu Hause gibt und auch nicht in Deutschland? Also so eine Stelle gibt es ja nicht in Deutschland, oder?

[00:14:52.020] - Marcus Liebrandt

Nein, so eine Stelle in Deutschland aktiv gibt es im Endeffekt nicht. Es ist schon so, dass man … Es gibt über die EU diesen Child Protection Act und diesen Digital Services Act, dass man mehr oder weniger auch diese Provider ein bisschen mehr in die Pflicht nimmt, aber man hat das jetzt ein bisschen mitbekommen. Es ist jetzt immer mehr dieses Hate Speech und so. Also es wurden jetzt viel mehr Möglichkeiten geschaffen, dass man auch in dem Programm aktiv was melden kann: „Ich habe jetzt hier festgestellt, der Inhalt ist, es geht jetzt nicht nur um Sex, sondern auch Gewaltaufrufe oder Mordaufrufe", oder so was. Da haben sich jetzt die Unternehmen schon bewegt und man muss halt natürlich in der EU, hat man ein bisschen den Nachteil, dass man natürlich sehr viele Mitgliedstaaten hat und jetzt zum Beispiel Apple und so was, die sitzen wieder in Irland und da muss man wieder schauen, dass man eine EU-einheitliche Regelung findet und man ist da dran. Also das wird auch besser, aber dauert halt einfach seine Zeit lang und bei den USA ist das mehr oder weniger zentralisiert und lief dadurch ein bisschen besser. Aber es ist jetzt nicht so, dass hier in der EU nichts gemacht wird oder so was. Wir bekommen auch Meldungen von Providern aus Deutschland und aus anderen Ländern oder so was. Also das ist man auf dem richtigen Weg.

[00:15:53.560] - Nadia Kailouli

Das ist ja schon irgendwie interessant, dass ihr eine Stelle habt mit NCMEC, die nach Deutschland liefert, also sagt: „Hier, die und die IP-Adresse haben wir herausgefunden. Über den und den Kanal ist da irgendwas los, was nicht okay ist." Aber wir hier in Europa sitzen und dann gerade die Provider, also Meta zum Beispiel, nicht an die Kette bekommen, weil die eben nicht melden, weil sie keine Provider, Anbieter sind oder so, oder? Also ich bin jetzt kein Techie oder so, aber irgendwie ist das… Ich finde das gerade so ein bisschen absurd.

[00:16:20.820] - Marcus Liebrandt

Ich würde mir auch wünschen, dass die ganzen Messengerdienste, zum Beispiel, einfach so eine alte Verifikation würde schon reichen. Wir haben wirklich Fälle, wo 8-Jährige sich Accounts anlegen, weil du weißt das selber, wenn du heutzutage in der U-Bahn oder S-Bahn unterwegs bist, da hängt jeder gefühlt am Handy und auch die kleinen Kinder schon teilweise. Also ich finde es dann auch immer befremdlich, wenn ich sehe, dass irgendwie elfjährige schon eine E-Mail-Adresse haben, dass die schon einen Account haben bei Instagram, bei TikTok, bei Snapchat und wenn man dann mal oft in die Bestimmungen reinschaut, dann sind diese Programme ja erst ab 14, 16 oder was weiß ich. Also die Eltern wissen das oft und ich muss halt immer sagen, man kann das natürlich alles nutzen, das ist klar, aber man muss sich halt auch über die Gefahren bewusst sein. Und die Unternehmen, wie gesagt, das ist ein sehr hoher Aufwand technisch für die Unternehmen, personell und auch finanziell. Und das ist jetzt nicht so wahrscheinlich, dass die … Das ist jetzt rein hypothetisch, nicht, dass hier Meta mich verklagt, oder so, aber die einen Unternehmen, die einen Unternehmen sind halt richtig dahinter und andere Unternehmen eher weniger. Ja, Kunde ist Kunde. Werbung, Daten, Informationen. So könnte man es jetzt negativ ausdrücken, wenn man es möchte.

[00:17:28.820] - Nadia Kailouli

Ja, absolut. Absolut. Wie ist das denn aber, wenn ihr jetzt eine Meldung bekommt und ihr geht in die Fahndung als Kommissariat und dann habt ihr jemandem dingfest gemacht? Inwieweit gilt denn diese NCMEC-Meldungen, also diese Beweise oder diese Hinweise, wer das was gemacht hat, als Beweisstück vor Gericht. Weißt du das?

[00:17:50.700] - Marcus Liebrandt

Ja, das ist schon so, dass das mehr oder weniger nur eine Art Anhalt ist. In Deutschland wird jetzt da niemand verurteilt, nur weil da irgendwo in den USA eine Meldung gemacht wurde, wo man gar nicht weiß, wer die gemacht hat und ob die hundertprozentig korrekt ist. Das muss man schon sagen. Es ist wirklich ein Anhaltspunkt und dann laufen ja die weiteren polizeilichen Maßnahmen, wo man dann wirklich sagen kann, es gibt entweder eine Durchsuchung oder es gibt eine Überprüfung. Deswegen, wir machen das schon wirklich auch korrekt, dass man jetzt nichts sagt- Da hätten wir ja selber auch ein schlechtes Gefühl, wenn man jetzt einfach nur so eine Meldung bekommt und man weiß gar nicht, ist das jetzt wirklich alles hundertprozentig? Aber wir wissen, die Daten sind ziemlich genau, die IP-Adressen sind genau. Wir bekommen die Textnachrichten, die Bilder und so was mitgeliefert. Das ist ja das, anhand wir dann ermitteln können. Also entweder finden wir die Sachen dann wirklich auf den Computern, zum Beispiel, wenn es zu einer Durchsuchung kommt, wären ja Speichermedien, Handy, ein USB-Stick, Computer und so was sichergestellt, ausgewertet, gesichtet. Und dann ist es manchmal so, dass wir natürlich genau diese Sachen finden. Wir finden die Accounts, wir finden die Bilder, wir finden die Videos. Und oft ist es so, dass wir dann natürlich auch andere Sachen finden. Es kann auch sein, dass wir gar nichts finden und dann hat derjenige das wahrscheinlich rechtzeitig gelöscht oder Glück gehabt, weil NCMEC macht das zum Beispiel auch so, dass das die Accounts normalerweise auch sperrt und versucht, die Verbreitung zu verhindern. Also denen geht es nicht primär um die Strafverfolgung, sondern die wollen wirklich den Schutz der Kinder. Wenn die jetzt merken, zum Beispiel, da chattet eine zwölfjährige mit einem und die denken, der könnte ein Erwachsener sein, dann kann es auch manchmal sein, dass NCMEC oder der Provider einfach die Konten sperrt.

[00:19:18.680] - Nadia Kailouli

Das geht?

[00:19:19.320] - Marcus Liebrandt

Das machen die, genau. Das ist relativ unterschiedlich, aber die arbeiten jetzt nicht weltweit für die Polizei, sondern die haben wirklich gesagt, Kinderschutz. Wenn die merken, okay, da chattet jetzt jemand, der sich mit einem Älteren chattet praktisch oder als Älterer ausgibt, dann stoppen die auch manchmal einfach die Chats, sperren die Accounts. Man kriegt dann immer so eine Meldung: „Sie haben gegen die Datenschutzrichtlinien des Unternehmens verstoßen, blablabla." Also da kriegt man, viele Sachen kriegen wir dann auch gar nicht mit.

[00:19:44.330] - Nadia Kailouli

Wie viele Leute sitzen denn da? Weißt du das?

[00:19:46.740] - Marcus Liebrandt

Also diese NCMEC-Organisation ist riesengroß. Die haben selber so eigene Investigators und dann ist es natürlich so, dass die verschiedenen Unternehmen, zum Beispiel Snapchat, haben dann auch eigene Ermittler, aber das sind alles so Zahlen, da rückt keiner was raus. Also das…

[00:20:01.060] - Nadia Kailouli

Okay. Aber jetzt hast du ja gerade gesagt, ihr kriegt dann die IP-Adresse geschickt, die Chats, die Fotos. Alles klar. Jetzt ist die IP-Adresse ja aber nur sozusagen der Anschluss. Und unter einem Anschluss können ja mehrere Haushalte, mehrere Personen und so laufen. Wie findet man denn dann den Täter?

[00:20:15.680] - Marcus Liebrandt

Ja, genau. Also diese Strafanzeige ist ja mehr oder weniger schon so zusammengetragen, dass die polizeilichen Ermittlungen laufen. Oft ist es ja so, dass es ein Familienanschluss ist und dann wird natürlich erst mal geschaut: Wer wohnt denn da? Und dann ist es so, wenn wir jetzt zum Beispiel eine Meldung von Snapchat hat, schaut man auch, wie heißt der Account, wie ist der Accountname? Man geht dann wirklich allen Spuren ein bisschen nach und dann ist es ja auch so, okay, wenn da jetzt einer wohnt, der 70, 80 Jahre alt ist, ob das jetzt der ist, der Snapchat nutzt oder vielleicht der zwölf, 13-jährige Sohn. Also wir ermitteln in vielen Fällen auch oft, weil man dann auch weiß, okay, das sind auch oft die Kinder oder so was. Ich sage auch bei diesen NCMEC, da sind auch wirklich, ich sage mal ganz banal, viele so Selfievideos dabei. Also Jungs ziehen manchmal auf so Videos die Hose runter, Mädels ziehen die Röcke ein bisschen hoch und tanzen. Das hat man relativ oft bei YouTube, bei Instagram und so was. Und dann ist es auch oft so, dass man dann einfach gar nicht im Sinne der Strafverfolgung in die Familie reingeht, sondern dass man zum Beispiel… Ich habe auch viele Fälle, wo ich dann den Internetbesitzer, die Mutter oder Vater, anrufe und sage: „Ich glaube, ich habe hier von Ihrer Tochter ein Video gesehen." Und: „Ja, stimmt. Ich habe mir schon was gedacht, die ist da irgendwie gesperrt worden bei dem Account." Und dann geht es auch primär darum, dass man sagt: „Pass auf, ich schicke ein bisschen Infomaterial. Passen Sie auf, was Ihre Tochter da macht."

[00:21:27.260] - Nadia Kailouli

Okay, das macht ihr dann?

[00:21:28.960] - Marcus Liebrandt

Das machen wir auch, genau.

[00:21:30.620] - Nadia Kailouli

Also wenn ihr schon seht, da hat jetzt kein Missbrauch stattgefunden, aber da haben Kinder, Jugendliche selbst eben Fotos, Videos hochgeladen, die für andere, die halt Missbrauch ausüben oder die sich diese Bilder dann ziehen oder sich anschauen, dass sie damit vielleicht auf Plattformen geraten können, wo sie gar nicht sein möchten. Und dann kontaktiert ihr diese Familie und sagt: „Hier, kurze Info, Infomaterial. Passen Sie auf, was ihr Kind da hochlädt."

[00:21:57.180] - Marcus Liebrandt

Ja, genau. Also das ist auch nicht so, wir Diese NCMEC-Meldungen laufen jetzt nicht nur auf Täterbasis, sage ich mal, sondern auch wirklich auf … Da ist dann das Child Victim aufgeführt. Also wenn wir jetzt zum Beispiel Fälle haben, was man öfters hat, dass Jungs oder Mädels mit irgendjemandem im Internet chatten, wo sie denken, es ist ein Mädchen oder Junge im gleichen Alter. Dabei ist es aber ein erwachsener Mann, der zum Beispiel in Nigeria sitzt. Das hatten wir öfters. Und dann kriegen wir zum Beispiel auch eine Meldung und dann teilt uns die USA mit: „Pass mal auf, hier das zwölfjährige Mädel chattet mit jemandem, der gibt sich als Junge aus. Die IP-Adresse führt aber nach Nigeria und anhand von der Schreibweise und so was ist es eher nicht ein zwölfjähriger. "Und dann ist es so, dass wir dann an die zwölfjährige Junge oder Mädchen rangehen oder an die Eltern sagen: „Pass auf, mit wem chattet du da?" Stichwort Sextortion, was jetzt immer mehr kommt, auch so Erpressung übers Internet oder Bilder herstellen oder Geld. Das sind ja auch alles so Phänomene, die momentan so sind. Und da schauen wir dann natürlich primär, dass wir auch jetzt so Präventivmaßnahmen treffen. Also da wollen wir dann auch bei den Kindern rechtzeitig, sage ich mal, den Riegel reinhauen, dass da nicht mehr gemacht wird. Die sind ja leider oft sehr leichtsinnig, sage ich mal, mit den Daten oder mit Bildern und sowas, was man so von sich gibt. Und da versuchen wir rechtzeitig auch, reinzugehen.

[00:23:10.600] - Nadia Kailouli

Okay, verstehe. Jetzt ist es ja so auf der Masse der Bilder und Daten, die da im Internet so kursieren. Bei NCMEC sitzen jetzt natürlich jetzt nicht 100.000 Leute am Computer die ganze Zeit, sondern ist natürlich auch KI-unterstützt. Und alles, was KI-unterstützt ist, hat zwar eine gute Trefferquote, aber ja nun auch immer wieder eine gewisse Fehlerquote. Wie geht ihr denn jetzt zum Beispiel damit Ich würde jetzt gar nicht sagen, dass das eine Fehlerquote ist, euch ein Video zu schicken von einem Mädchen oder Jungen, die leicht bekleidet Videos hochlädt und tanzt oder so, sondern das ist ja dann auch eine gute Prävention, zu sagen: „Hey, einfach hochladen im Netz, das ist eigentlich keine gute Idee. Da sind Leute unterwegs, die haben damit anderes vor mit solchen Videos." Aber zum Beispiel kann es ja wirklich sein, dass einfach, keine Ahnung, Teenies, die befreundet sind, sich Urlaubsfotos schicken und dann sagt NCMEC: „Achtung, Achtung." Dann ist das ja zum Beispiel kein Missbrauch, sondern einfach wirklich ein Chat zwischen Freunden. Wie geht ihr damit um, wenn ihr so eine Meldung bekommt?

[00:24:07.760] - Marcus Liebrandt

Ja, also wenn wir jetzt eine Meldung bekommen, wo wirklich kein strafbares Handeln bei uns in Deutschland daraus gegeben ist, dann ist es auch so, dann verfolgen wir diese Meldung gar nicht weiter oder so was. Also die Gesetze sind ja in allen Ländern ein bisschen unterschiedlich. Bei uns ist das ja wirklich so geregelt, dass alles, was unter 18 ist, ist entweder Jugend- oder Kinderpornografie unter 14. Und dann sagt man im Endeffekt, bei uns ist es ja so, entweder ist irgendwie der Fokus auf nackte Genitalien oder so eine sexualisierte Darstellung, sagt man. Es gibt zum Beispiel auch viele Bilder bei Pinterest, da haben wir jetzt auch ein bisschen so ein Phänomen, wenn ich da jetzt eingebe „Mädchen Taufkleider". Du weißt ja selber, was im Internet manchmal auch für Bilder angeboten werden und wenn das jetzt ganz normale Bilder sind oder wenn die Leute sich Bilder voneinander herschicken und die sind ganz normal, auch rein theoretisch jetzt auch im Bikini oder so was, dann ist das kein strafbarer Inhalt. Man soll dann überlegen: Macht man das? Ist ja klar, weil was einmal im Internet ist, ist immer schwer, wieder herauszubekommen, aber das ist dann auch kein strafbarer Inhalt und dann gehen wir da den Sachen auch nicht nach. Also das wird dann zur Kenntnis genommen und geprüft und dann okay.

[00:25:10.220] - Nadia Kailouli

Jetzt die Menschen, die uns zuhören und total dafür sind, Kinder, egal wie, zu schützen, die finden das jetzt wahrscheinlich alles total toll und sagen: „Ach, zum Glück gibt es das und es muss viel mehr geben und es muss auch in Deutschland geben." Jetzt sind wir in Deutschland davon aber auch weit entfernt, dass es so was wie NCMEC im speziellen Falle gibt, weil die andere Seite, die uns vielleicht auch zuhört, die sagt: „Ey, Moment mal, das kann ja wohl nicht wahr sein, dass da eine KI und auch eine Organisation und auch Menschen und dann am Ende auch der Marcus sitzen und irgendwelche Chats liest. Das ist doch eine totale Privatsache." Überschrift „Datenschutz". Wie ist deine Haltung zu diesem Dilemma oder zu dieser Ambivalenz? Kinderschutz versus Datenschutz versus in Chats passiert aber der Missbrauch oder auf Social-Media-Kanälen, aber eigentlich sollte doch da keiner mitlesen, weil das ist doch ein privater Raum. Wie ist deine Haltung dazu?

[00:25:58.860] - Marcus Liebrandt

Ja, also meine Haltung ist da wirklich auch gespalten. Also ich möchte natürlich auch nicht, dass all meine Informationen irgendwie gelesen und getriggert werden und dass das alles überprüft wird und so. Ich würde mir wünschen, dass es einfach gewisse rechtliche Rahmen gibt, zum Beispiel bei den Social-Media-Anbietern, sodass man wirklich ein bisschen so eine Art Altersverifikation macht, dass sich nicht jeder einfach als Kind ausgeben kann oder so was. Ich könnte mir jetzt ein Profil anlegen mit einem Profilbild und dann bin ich ein zwölfjähriges Mädel. Das könnte ich jetzt machen ohne Probleme. Es gibt manche Anbieter, wo ich nicht mal mich irgendwie verifizieren muss. Da reicht eine E-Mail-Adresse oder eine Telefonnummer und dann kann ich mit anderen schon chatten. Das ist, glaube ich, eine Frage, die man nicht abschließend beantworten kann. Einerseits zu viel regeln, ist klar, dann hätte man viel mehr Erfolge, könnte viel mehr durchschauen, aber natürlich würden die Leute sich unwohl fühlen, weil man will jetzt im Endeffekt auch keine Überwachung starten. Das wollen ja wir auch von der Polizei oder so was nicht. Wir sind in der Hinsicht schon- Es ist schon gut, dass die Amerikaner da relativ viel überwachen, weil die melden auch viele Sachen, die wir sonst tatsächlich, muss man jetzt so knallhart sagen, auch gar nicht mitbekommen kommen würden.

[00:27:00.440] - Marcus Liebrandt

Und auch wir haben in Deutschland wirklich das Problem mit der IP, mit der Vorratsdatenspeicherung. Zwei Wochen, das wäre jetzt was, wo man sagen könnte, man könnte den Ermittlungsbehörden wirklich ein bisschen mehr Spielraum geben. Wenn man jetzt zum Beispiel sagt, dass diese IP-Adresse ein bisschen länger gespeichert ist, dann könnte man auch ermitteln. Und es ist ja nicht so, dass wir einfach jede IP-Adresse abfragen oder irgendwas. Wir brauchen ja auch Rechtsgrundlagen, wir brauchen ein Ermittlungsverfahren, wir haben die Staatsanwälte und Richter. Es ist ja nicht so, dass wir das von der Polizei in Deutschland einfach so alleine entscheiden und so was. Aber man muss sich natürlich schon immer klar sein, je lascher das von den ganzen Vorschriften ist, desto mehr wird es natürlich auch ausgenutzt, sage ich mal. Und da muss man, glaube ich, so ein bisschen einen Mittelweg finden. Ich habe es ja schon mal gesagt, so Altersverifizierung mit Ausweis wäre zum Beispiel auch schon mal was. Das ist ja wie früher. Zigaretten, Alkohol durfte nicht jeder überall kaufen und dann muss man ein paar Hürden machen, dann ist es zumindest schwieriger. Und so könnte man das so auch ein bisschen machen. Aber ja, gute Frage. Wird schwierig.

[00:27:57.040] - Nadia Kailouli

Schwierig. Hoffen wir, dass der Kontakt mit den USA in diesem Sinne, was NCMEC betrifft, gut bleibt, dass wenigstens von dort dann die Daten kommen und ihr die Ermittlungen, wenn notwendig, einleiten könnt. Noch mal ein anderes Thema dazu, Marcus. Es gibt ja viele Leute, die sind selbst betroffen, zum Beispiel. Oder sagen wir noch nicht mal, sie sind betroffen, was ganz schlimme Abbildungen von Missbrauchsbildern betrifft, aber die wissen: „Oh Mann, ich habe meinem Typen damals dieses Foto geschickt oder meiner Ex oder so und hey, und jetzt ist das da im Netz und Scheiße." Und wie geht man denn damit habt ihr da auch irgendwelche Tipps, Infos, wie man damit umgehen kann?

[00:28:37.420] - Marcus Liebrandt

Ja, genau. Also generell empfiehlt sich es natürlich immer, ein bisschen aufzupassen, was man für Bilder oder für Sachen von sich preisgibt. Es gibt ja die Möglichkeit, bei WhatsApp zum Beispiel Bilder zum einmaligen anschauen, bei Snapchat werden die Bilder wieder gelöscht und man sollte immer schauen, sage ich mal. Das Wichtigste, was ich den Kindern und Jugendlichen bei uns immer sage: Schaut immer, dass euer Gesicht nicht drauf ist, weil ich sage mal, Gesichter kann man immer wieder zuordnen. Das ist schwierig. Alles, was jetzt Brüste, Intimbereiche und so was angeht, das kann man später nicht zuordnen euch. Es gibt immer noch die Möglichkeit, wenn man mal was verschickt hat, dann kann man auch der Organisation NCMEC diese Bilder selber melden. Es ist leider so, was einmal im Internet ist, das kann man nicht mehr heraussaugen oder rausnehmen. Das kann auch die Polizei nicht löschen lassen weltweit, aber man kann zum Beispiel Bilder oder Videos, die man gemacht hat, wo man nicht so stolz drauf ist, sage ich mal, die kann man der Organisation NCMEC melden und dann werden die in diesen Katalog aufgenommen und dann läuft das praktisch durch diesen Filter und es wird praktisch verhindert, dass die verschickt werden. Also das nennt sich so „Take it down". Das kann man relativ einfach googeln und dann kommt man bei NCMEC auf „Take it down" und da können dann Mütter, Väter, Kinder selber Bilder oder Videos, die sie noch haben, von sich hochladen und dann kann man es zumindest erschweren und fast verhindern, dass die verschickt werden.

[00:29:49.560] - Nadia Kailouli

Okay, das heißt aber, man muss erst das Foto, worum es geht, noch mal dort auf dieser Plattform…

[00:29:54.450] - Marcus Liebrandt

Man müsste es noch haben auf dem Handy. Na ja, so oft ist ja so, dass gelöscht wird, aber manchmal hat man es noch im Speicher oder im Papierkorb und so was. Da kann man das auf dieser Seite hochladen. Das ist auch straffrei. Also man verschickt dort nichts oder das wird jetzt nicht direkt- Es wird praktisch in dieser Datei aufgenommen. Also das kann man eigenständig machen. Das kann man auch machen, ohne das der Polizei mitzuteilen.

[00:30:13.060] - Nadia Kailouli

Okay, also das ist doch mal ein guter Tipp, dass man auch selber noch mal gucken kann: „Ich weiß, dieses Bild existiert von mir da irgendwo draußen. Das möchte ich nicht." Und dann über „Take it down" von NCMEC kann man dann sagen: „Okay, weg damit."

[00:30:25.700] - Marcus Liebrandt

Genau.

[00:30:26.000] - Nadia Kailouli

Das ist doch gut.

[00:30:26.700] - Marcus Liebrandt

Dann kann man es erschweren.

[00:30:27.600] - Nadia Kailouli

Das ist doch mal ein Tipp. Marcus, jetzt machst du schon ein paar Jahre. Gibt es irgendwelche Fälle, wo du sagst: „Boah, die sind mir bis heute in Erinnerung geblieben. Das war schon echt krass?"

[00:30:36.760] - Marcus Liebrandt

Ja, also es gibt natürlich schon Fälle, wo man dann sagt, okay, das ist schwierig, oder gerade so vom Material natürlich. Ich habe selber eine zweijährige Tochter und einen kleinen Sohn, der jetzt drei, vier Monate alt ist. Und wenn man dann natürlich Videos sieht, wo solche Personen sexuell missbraucht werden, dann nagt das natürlich schon am einen, weil man dann halt auch denkt: „Wie ist das später so weitergegangen?" Das ist zum Beispiel auch was, was wir oft dann hören, wenn wir bei Leuten durchsuchen: „Ich schaue ja nur die Bilder an" und so was, oder: „Ich mache ja nichts selber. Also ich bin kein Hands-on-Täter", wie man sagt, sondern: „Ich schaue mir nur so Bilder an." Den Leuten sagen wir dann aber auch immer: „Hey, pass auf, es gibt eine Nachfrage, es gibt ein Angebot, es gibt einen Bedarf und wenn du solche Sachen anschaust, dann sorgst du auch dafür, dass solche Sachen hergestellt werden und dass es irgendwo gemacht wird oder so." Das ist ganz schwierig. Deswegen man muss da vielmehr mit Prävention und so was reingehen, aber es gibt so manche Sachen, da denkt man sich: „Puh, hart." Auch wenn es so oft, ich kann jetzt natürlich keine verfahrensrelevanten Sachen sprechen, aber in Familien gibt es ja auch manchmal Sachen, wo dann in der Familie passieren oder im Verein oder in irgendwelchen Einrichtungen, wo man dann sagt: „Schwierig." Da hat man dann schon ein paar Tage zu knabbern, aber gehört auch dazu und muss gemacht werden. Und wenn man dann die Täter mehr oder weniger dingfest machen kann, das ist dann so meine Motivation, wo ich sage: Okay, Ich kann es leider nicht rückgängig machen, aber ich kann vielleicht verhindern, dass der Täter das noch mal macht oder weitermacht oder so.

[00:32:06.440] - Nadia Kailouli

Jetzt bist du kein Jurist, das ist mir klar, aber inwieweit ist denn da eine Anzeige möglich? Also wenn ihr jemanden jetzt habt, wie du gerade geschildert hast, wo ihr wisst, dieser Mensch konsumiert den Inhalt von Bildern, von Abbildungen, von sexueller Gewalt, dann ist das doch jemand, den man anzeigen kann.

[00:32:24.840] - Marcus Liebrandt

Ja, also streng genommen der Besitz oder generell die Verbreitung oder der Erwerb oder das Herstellen von solchen Dateien, ich sage jetzt mal, von kinder- oder jugendpornografischen Bildern, Videos, Schriften, früher waren es Zeitschriften, ist verboten. Es ist auch verboten, dass man zum Beispiel so eine Art Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild hat. Das ist verboten. Das kann man der Polizei melden, wenn die Polizei von so was Kenntnis hat, ist sie verpflichtet, ein Strafverfahren einzuleiten und der Sache nachzugehen. Also man ist da jetzt nicht abhängig davon, dass man von NCMEC kommt. Wir bekommen Anzeigen aus Fußballvereinen, wir bekommen Anzeigen aus Kindertageseinrichtungen, aus Schulen und so was. Und jeder, der so was mitbekommt. Da habe ich auch schon relativ viele Fälle gehabt, wo die Leute dann auch gesagt haben: „Gut, dass ich es gemeldet habe, weil wenn ich so was nicht gemeldet hätte, hätte ich mich wahrscheinlich jahrelang damit befasst: Was ist passiert? Hätte ich was gemacht?" Also ich kann es nur empfehlen, weil dann tut man sich auch selber ein bisschen den Ballast abwerfen, wenn man so was … Und es ist ja nicht so, nur weil man das jetzt meldet, dass derjenige dann … Also es gibt ja trotzdem noch die Ermittlungen und alles. Also wenn da jemand was mitbekommt und was sieht, dann soll der das mit seinem Gewissen vereinbaren und ruhig melden.

[00:33:29.400] - Nadia Kailouli

Also das Finde ich auch noch mal echt einen guten Punkt. Lieber einmal zu viel melden und sagen: „Ich habe da was gesehen", oder „bei dem Handy von dem habe ich da was gesehen." Lieber einmal zu viel melden und dann gehen die Ermittlungen los und dann kann man sagen: „Nein, ist alles gut, das war nichts", als dass man nichts macht. Das haben wir hoffentlich heute alle verstanden. Marcus, das ist ein toller Einblick gewesen, wenn ich das so sagen darf, mal zu wissen, woher bekommt ihr Ermittlungsdaten, wenn es darum geht, zu gucken, wie können wir als Kommissariat 17 vor sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Netz vorgehen. Und daher sage ich vielen, vielen Dank, dass du heute unser Gast warst und dass wir da so einen Einblick durch dich bekommen haben. Dankeschön und Servus.

[00:34:12.860] - Marcus Liebrandt

Jawohl, danke. Ciao.

[00:34:17.980] - Nadia Kailouli

Also ich fand, das war jetzt wirklich super spannend. Das muss man sich mal vorstellen, dass es diese Meldestellen in den USA gibt und da jemand in München sitzt, im Kommissariat und dann so Daten bekommt und sagt: „Und jetzt geht die Verhandlung los. Also meine ganz persönliche Meinung ist einfach: Kinderschutz steht vor Datenschutz. Und ja, keiner will, dass private Chats gelesen werden, aber wir sollten vielleicht irgendwie das Vertrauen darin bekommen, dass Menschen, also Kommissariatsstellen wie das K17, natürlich danach fahnden müssen nach Täterinnen und Täter die Kinder missbrauchen. Und da ist mir doch persönlich total egal, ob die mal einen Chat lesen, wo ich meinem Freund schreibe: „Wann kommst du zum Essen nach Hause?"

[00:34:58.540] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an einbiszwei@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gibt es am häufigsten innerhalb der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis. Der unbekannte Fremde, der am Spielplatz lauert – das ist sehr sehr selten. Jedenfalls im wirklichen Leben. Denn auf den digitalen Spielplätzen, in Chats, in Games, überall im Netz gibt es jede Menge Erwachsene, die sich bspw. als Gleichaltrige ausgeben und versuchen, Kinder zu Nacktfotos oder realen Treffen zu überreden. „Cybergrooming“ heißt das, jedes vierte Kind in Deutschland hat das schon einmal erlebt. Aber wie findet man die Täter?

Eine Antwort heißt: NCMEC. Das ist das „National Center for Missing & Exploited Children“ in den USA. NCMEC betreibt eine Meldestelle, wo jeder Kinderpornografie, Cybergrooming und anderes melden kann. Bei vielen Delikten führt die Spur nach Deutschland. Mehr als 100.000 Verdachtsfälle meldete das NCMEC 2022 dem Bundeskriminalamt. Dann wird bspw. das K17 in München tätig, das ist ein Kommissariat, dass sich nur mit sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche befasst. Marcus Liebrandt ist dort Kriminalhauptkommissar und erzählt bei einbiszwei, wie diese Ermittlungen funktionieren, welche Bilder und Videos er sehen muss – und warum NCMEC für seine Arbeit unverzichtbar ist.

LINKSAMMLUNG

Die Bayerische Polizei – Kriminalfachdezernat 1 München
Zur Webseite der Polizei Bayern

Mehr über das National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC)
Zur Webseite

Razzia wegen Kinderpornografie in und um München: Polizei ermittelt gegen 15 Männer
Bericht über die Razzia in München (03/25)

Zahlen sexualisierter Gewalt an Kindern
BMI – Sexueller Missbrauch von Kindern: Fallzahlen bleiben 2024 auf hohem Niveau

Meldung von Bildern und Videos an NCMEC, um die weitere Verbreitung zu verhindern 
Wer etwas melden möchte
Wer eigene Bilder aus dem Netz löschen möchte

Mehr Informationen dazu

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

einbiszwei@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung