PODCAST | Folge 16 | Nina Fuchs

„Totaler Blackout - zwei Stunden, die mir bis heute komplett fehlen.”

Nina Fuchs musste eine der schlimmsten Erfahrungen machen und kann sich an kaum etwas erinnern. Im April vor 9 Jahren wurden ihr in einem Club unbemerkt K.O.-Tropfen (K.O. = Knockout) verabreicht. Anschließend wurde sie vergewaltigt. Als sie wieder wach wurde, war der Täter direkt über ihr. Ein Verfahren gegen den Täter wurde fallen gelassen, obwohl es Beweise gab. Die Begründung: „Da sich die Geschädigte jedoch an längere zeitliche Abschnitte nicht erinnern kann, kann nicht nachgewiesen werden, dass es sich bei dem Beschuldigten tatsächlich um einen der Täter handelt.“ Bei einbiszwei erzählt Nina, warum sie dennoch nicht aufgegeben hat, sich sogar bis vor das Bundesverfassungsgericht gekämpft hat und wie sie mit ihrem Verein “K.O. – Kein Opfer e.V.” anderen Betroffenen hilft.




Wenn Sie diesen bereitgestellten Inhalt aufrufen, kann es sein, dass der Anbieter Nutzungsdaten erfasst und in Serverprotokollen speichert. Auf Art und Umfang der übertragenen bzw. gespeicherten Daten hat die UBSKM keinen Einfluss. Weitere Informationen zu den von FeedPress erhobenen Daten, deren Speicherung und Nutzung finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters.

Folge hier anhören

Das Interview der Folge 16 als Transkript lesen

Nina Fuchs [00:00:00] Da haben wir dann ganz schnell festgestellt, okay, das waren definitiv K.O.-Tropfen und ich habe ihm dann auch erzählt, was da mit den Männern passiert ist. Und dann hat der gesagt, ja, das war eine Vergewaltigung und du musst zur Polizei und dann habe ich halt gesagt: auf gar keinen Fall!

Nadia Kailouli [00:00:16] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei - damit sich was ändert.

Nadia Kailouli [00:00:41] Bei mir war heute Nina Fuchs und als ich ihre Geschichte gehört habe, war ich geschockt. Denn Nina wurde vor neun Jahren mit K.O.-Tropfen betäubt und dann vergewaltigt. Ninas Geschichte ist auch deshalb so schrecklich, weil Nina mir erzählt hat, dass es damals sogar Leute gegeben hat, die das mitbekommen haben, aber nicht eingegriffen haben. Und wer jetzt denkt, ja, schreckliche Geschichte, die Nina da erlebt hat und schrecklicher Einzelfall, dem sei gesagt: Frauen mit K.O.-Tropfen betäuben ist mittlerweile ziemlich weit verbreitet. Die Polizei warnt heute eindringlich davor und Hilfsdienste berichten, dass es kein Festival mehr gibt, bei dem nicht mit K.O.-Tropfen betäubte Frauen ins Erste-Hilfe-Zelt gebracht werden. Nina wollte sich jedenfalls nicht damit abfinden, was ihr passiert ist, und hat den Verein K.O.-Tropfen "Kein Opfer werden" gegründet, der jetzt zum Thema aufklärt. Ich fand Nina wirklich so beeindruckend und für mich ist sie so eine starke Frau, vor allem, weil sie für sich einen Weg gefunden hat, sich aus dem Gefühl der Wehrlosigkeit wieder herauszuarbeiten. Nina Fuchs, grüß dich.

Nina Fuchs [00:01:45] Hallo.

Nadia Kailouli [00:01:46] Hi! Nina, ich sag's dir, wie es ist. Als ich deine Geschichte gelesen habe, war ich einfach nur wütend. Und ich habe mich gefragt, mit was für einem Gefühl gehst du eigentlich die letzten acht Jahre durch die Welt?

Nina Fuchs [00:02:01] Ähm, auch teilweise mit Wut, aber oft noch mit viel größerer Ohnmacht tatsächlich, weil ich ja zwei sehr extrem unterschiedliche Reaktionen quasi erleben musste und das war einmal total viel Rückhalt und Unterstützung aus meinem privaten Kontext, aber auch tatsächlich von ganz vielen fremden Menschen. Und dann aber auf der anderen Seite so dieses komplette im Stich gelassen werden von der Vertretung unseres Staates, von Polizei und Justiz. Und das war schon sehr hart tatsächlich für mich.

Nadia Kailouli [00:02:44] Vor neun Jahren wurdest du vergewaltigt. Kannst du uns diese Geschichte erzählen?

Nina Fuchs [00:02:51] Ja, das war im April 2013 und ich war an dem Abend mit einem Kumpel und seinen Freunden in einem Münchner Club unterwegs. Und diese Gruppe ist schon früher nach Hause, weil die am nächsten Tag arbeiten mussten und ich hatte noch Lust, irgendwie länger zu feiern, weil ich auch frei hatte am nächsten Tag. Und ich habe dann neue Leute kennen gelernt und dann hat irgendjemand mir K.O.-Tropfen ins Getränk getan und ich habe dann einen ziemlich langen Blackout, ungefähr so eineinhalb bis zwei Stunden, die mir komplett fehlen - tatsächlich auch bis heute ist da kein einziges Bild aus dieser Zeit zurückgekommen. Und als ich dann so langsam wieder zu mir komme, war ich in dem Park gegenüber von dem Club mit zwei wildfremden Männern, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe und der eine von den beiden hat mich da quasi gerade vergewaltigt.

Nadia Kailouli [00:03:53] Dass du da in dem Moment K.O.-Tropfen verabreicht bekommen hast, war dir noch gar nicht bewusst. Aber du bist so langsam zu dir gekommen und hast gemerkt, oh Gott, hier passiert jetzt gerade was mit mir.

Nina Fuchs [00:04:02] Also kann man sich ein bisschen so vorstellen, als schläft man und wacht dann auf und ist in der Situation und man ist einfach so komplett überfordert. Und das war auch der Grund, also zusätzlich natürlich auch noch durch die den Einfluss von den K.O.-Tropfen, aber auch einfach...ich konnte eigentlich gar nicht begreifen, was da los ist und wie es überhaupt zu der Situation kam und wer die diese Männer sind und - also mein Körper und mein Gehirn und mein ganzes System war einfach komplett überfordert mit der Situation und deswegen war ich auch überhaupt nicht in der Lage, mich da irgendwie draus zu befreien.

Nadia Kailouli [00:04:53] Du warst in dieser furchtbaren, schlimmen Situation, du wurdest vergewaltigt, Leute sind an dir vorbei gelaufen, du warst aber noch so, ja, wahrscheinlich wegen dieser Substanz, die dir verabreicht wurde, überhaupt nicht in der Lage, um Hilfe zu bitten, um Hilfe zu schreien. Wie ist es dann weiter gegangen?

Nina Fuchs [00:05:11] Ich habe auch jetzt in dieser Situation, wo ich quasi dann wieder zu mir kam, auch keine zusammenhängende Erinnerung. Das sind nur so einzelne Bilder und so Fetzen. Ich kann mich tatsächlich auch an das Ende gar nicht mehr erinnern. Am nächsten Morgen - also ich hab sehr kurz dann auch nur geschlafen, weil ich auch dieses Bedürfnis hatte, irgendwie diesen Abend zu rekonstruieren. Und in dem Gespräch mit meinem Kumpel wurde dann eigentlich ganz, ganz schnell klar, dass es eben K.O.-Tropfen waren, weil das hatte ich bis dahin ja gar nicht auf dem Schirm. Es gibt einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen K.O-Tropfen und einem Alkoholrausch und zwar ist es so, dass bei K.O.-Topfen die eigene Erinnerung und auch die Erinnerung daran, in welchem Zustand man war und wie man sich gefühlt hat, ganz gravierend von der Realität abweicht. Weil K.O.-Tropfen nämlich rückwirkende Erinnerungslücken schaffen können, also rückwirkend im Sinne von bevor man die K.O.-Tropfen überhaupt bekommen hat. Und so was ist halt mit Alkohol überhaupt nicht möglich. Wenn ich mich mit Alkohol in meiner Erinnerung so fühl, als wäre ich kurz vorm Koma, dann liegt es daran, dass ich kurz vor dem Koma war und einfach hackevoll. Aber dass ich eigentlich nur leicht angetrunken war und mich ganz normal unterhalten hab, ganz normal mich bewegen konnte und dann in meiner Erinnerung mich so fühle, als wäre ich kurz vorm Koma und habe lauter Filmrisse, das gibt es nicht mit Alkohol tatsächlich, aber es ist sehr, sehr typisch für K.O.-Tropfen. Das kann man aber nur rausfinden, wenn man eine außenstehende Person hat, die einem das spiegelt. Also die sagt, ja, aber du warst doch in dem und dem Zustand. Und das hat mein Kumpel eben gemacht. Der hat zu mir gesagt, als wir uns verabschiedet haben, warst du leicht angetrunken, du konntest ganz normal reden und ich habe dir noch hinterher geguckt, du bist kerzengerade gegangen. Und ich habe mich aber im ersten Moment an diese Verabschiedung gar nicht mehr erinnert, also das war komplett weg und erst als der mir davon erzählt hat, sind da so verschwommene, einzelne Fetzen zurückgekommen, aber wirklich wie mit so einem Tunnelblick und so ungefähr kurz vorm Umkippen. Und da haben wir dann ganz schnell festgestellt, okay, das waren definitiv K.O.-Tropfen und ich habe ihm dann auch erzählt, was da mit den Männern passiert ist und dann hat der gesagt, ja, das war eine Vergewaltigung und du musst zur Polizei. Und dann habe ich halt gesagt, auf gar keinen Fall, ich gehe auf gar keinen Fall zur Polizei.

Nadia Kailouli [00:07:52] Warum nicht?

Nina Fuchs [00:07:53] Das hatte zwei Gründe. Der eine Grund war, dass ich mich überhaupt nicht in der Lage gefühlt habe, kräftemäßig so was durchzustehen, weil es mir richtig dreckig ging, also sowohl körperlich als auch psychisch. Ich war wirklich wie so ein personifiziertes Häufchen Elend, so habe ich mich gefühlt. Ich dachte, ich habe überhaupt gar nicht die Kraft, mich jetzt so einer Befragung zu stellen. Und das Zweite waren Schuldgefühle. Und zwar habe ich mir gedacht, wenn ich einfach mit der Gruppe nach Hause gegangen wäre, dann wäre das nicht passiert. Also man kann das schon auf rationaler Ebene total gut begreifen, dass irgendwie Verantwortung und Schuld immer auf der Täter*innen Seite liegt. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Emotionen dem halt folgen. Und das ist tatsächlich bis heute für mich einfach ein Thema und äußert sich zum Beispiel dann so, dass ich eigentlich gar keine negativen Gefühle diesen beiden Männern gegenüber habe.

Nadia Kailouli [00:09:05] Hast du bis heute nicht?

Nina Fuchs [00:09:09] Ne, da ist einfach nichts. Das ist so ein Gefühls-Vakuum irgendwie.

Nadia Kailouli [00:09:15] Okay. Ähm, das ist für mich gerade super schwer nachzuempfinden natürlich, weil ich mir denke, du musst doch so einen Hass, so einen Ekel, so eine Wut auf solche Leute haben, die das gemacht haben? Das ist ja das Widerlichste, was einem passieren kann einfach.

Nina Fuchs [00:09:36] Das habe ich auch, wenn andere mir solche Geschichten erzählen. Also deswegen, ich kann das schon jetzt total gut nachvollziehen, was du sagst, weil es mir auch immer so geht, wenn eine Freundin oder andere Betroffene mir ihre Geschichten erzählen, dann empfinde ich ja auch genau das. Aber in dem Fall war das einfach, waren diese Schuldgefühle halt so stark, dass da gar kein Platz mehr war für irgendwie negative Emotionen in diese Richtung.

Nadia Kailouli [00:10:09] Nichtsdestotrotz hattest du dann, obwohl du gesagt hast, nee, auf gar keinen Fall, hast du dann deine Kraft zusammengenommen und bist zur Polizei gegangen. Oder wie war das genau?

Nina Fuchs [00:10:19] So kann man das leider nicht sagen. Also es war eher so: Ich bin dann zu meiner Schwester und die hat dann angefangen sich zu erkundigen, wie sie sich denn jetzt verhalten soll, wenn sie einerseits halt meinen Wunsch respektieren möchte, dass ich gesagt habe, ich möchte nicht zur Polizei, aber andererseits halt auch nicht möchte, dass jetzt die Chance irgendwie verpasst wird. Und dann hat sie halt angefangen rum zu telefonieren und hatte dann irgendwann eine Rechtsmediziner auch am Telefon und die hat dann ganz eindringlich eigentlich gesagt, also wenn es hier um K.O.-Tropfen geht, dann zählt da jede Minute und es muss ganz, ganz schnell eine Blut- und Urinprobe genommen werden.

Nadia Kailouli [00:11:02] Was ist dir da genau passiert, bei der Polizei? Du sagtest ja einmal, die Aussage bei der Polizei war für dich unfassbar traumatisch. Wie ist man da mit dir umgegangen?

Nina Fuchs [00:11:16] Ich hatte halt von Anfang an auch wirklich das Gefühl, dass mir nicht geglaubt wird und das fand ich schon sehr, sehr schlimm, weil mir halt Ehrlichkeit sehr wichtig ist und ich halt auch so ein bisschen aufgewachsen bin mit diesem "Polizei, dein Freund und Helfer"-Ding und auch tatsächlich schon Situationen in meinem Leben hatte, wo die sich genauso verhalten haben. Und dann, als ich aber in der größten Notsituation meines Lebens mich dann an die gewandt habe, an diesen vermeintlichen Freund und Helfer, war halt das, was ich dann bekommen habe, eigentlich schon so ein Schlag ins Gesicht.

Nadia Kailouli [00:11:50] Weil sie dich nicht ernst genommen hatten in dem Moment, oder...?

Nina Fuchs [00:11:53] Ja, weil die mich nicht ernst genommen haben, weil die mir nicht geglaubt haben und weil die mich halt wirklich einfach so behandelt haben, als hätte ich jetzt gerade gesagt, ja, mein Geldbeutel mit 20€ Bargeld wurde mir gestohlen. Und was mich dann auch noch krass geärgert hat, war, dass eben nicht, wie diese Rechtsmediziner gesagt hat, sofort Blut- und Urinproben genommen wurden, sondern die Polizei hat's einfach zusätzlich noch mal um über zwei Stunden verzögert. Und mir war das halt total wichtig, das beweisen zu können, einfach nur um der Polizei zu zeigen, dass ich keine Lügnerin bin. Weil für mich selber habe ich das nicht gebraucht. Nach dem Gespräch mit meinem Kumpel hatte ich nie wieder auch nur eine Sekunde einen Zweifel, ob das K.O-Tropfen waren oder nicht. Aber ich wollte unbedingt der Polizei das beweisen, dass ich nicht gelogen hatte und keiner hat das eigentlich irgendwie wahrgenommen, dass es mir vielleicht irgendwie grad scheiße und auch berechtigt scheiße geht, weil ich halt auch Scheiße erlebt hab. Und die einzige Empathie, die ich dann an dem Tag noch bekommen habe, war dann in der Frauenklinik, wo ich dann noch hin musste wegen AIDS-Test und Pille danach. Da waren zwei Ärztinnen in meinem Alter und denen habe ich es schon in den Augen angesehen, dass sie sich da irgendwie reinfühlen und so.

Nadia Kailouli [00:13:31] Du hast ja dann bei der Gerichtsmedizin, da wurde ja dann, weil man bei der Polizei jetzt diesen Bluttest nicht mehr machen konnte oder den halt den nicht gemacht haben, es konnte nicht nachgewiesen werden, dass dir K.O.-Tropfen verabreicht worden sind, aber es konnte dann durch die Gerichtsmedizin ja nachgewiesen werden, dass Sperma gefunden wurde, richtig?

Nina Fuchs [00:13:51] Genau. Also es ist so bei der Rechtsmedizin, dass man da sehr penibel untersucht wird. Also das ist halt auch noch mal so was, wenn immer so diese ganzen Vergewaltigungs-Mythen verbreitet werden und da auch immer so behauptet wird, dass es ja so unfassbar viele Falschbeschuldigungen gibt - wenn man das mal so miterlebt hat, wie das so ist, so eine Vernehmung bei der Polizei und auch diese Untersuchung bei der Rechtsmedizin - wenn ich sage, das ist unangenehm, dann ist das eine sehr große Untertreibung, weil das einfach...man hat keine Intimsphäre mehr. Erst in dem Gespräch, wo du einfach alle Fragen beantworten musst, egal ob dir das jetzt angenehm ist oder unangenehm, es ist egal. Die Fragen, die dir gestellt werden, und sind sie noch so intim, die hast du zu beantworten. Und dann gehst du zu der Untersuchung und da wird einfach jeder jeder Millimeter von dem Körper, jede Körperöffnung, alles wird untersucht. Wenn irgendwo ein kleiner blauer Fleck, eine Schramme ist, dann wird ein Maßband daneben gehalten, das wird abfotografiert und so und da wird einem irgendwie so diese Intimsphäre und dieser Schutzraum, den man irgendwie so hat, das wird einem alles genommen so, und das ist wirklich extrem unangenehm.

Nadia Kailouli [00:15:25] Und wahrscheinlich muss man dazu sagen, so unangenehm das ist, so wichtig ist es wahrscheinlich auch, so schlimm sich das anfühlen muss, diese Beweise eben zu sichern.

Nina Fuchs [00:15:39] Ja, das ist total wichtig und das weiß ich auch, dass man da nicht drauf verzichten kann. Aber umso wichtiger ist es, dass die die durchführenden Personen das dann mit Empathie machen. Ja, in meinem Fall war das dann, wie du gesagt hast eben so, dass die K.O.-Tropfen nicht mehr nachgewiesen werden konnten, aber in meiner Vagina quasi DNA in den Sperma-Spuren festgestellt werden konnten, zu denen es allerdings keinen Treffer gab.

Nadia Kailouli [00:16:11] Du bist dann mit deinem Fall ja bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegangen. Vielleicht können wir darüber sprechen, warum es bei der deutschen Justiz, obwohl es diese Beweise ja dann gab, wie die Sperma-Spuren, die DNA-Spuren, dass es nie zu einer Anklage gekommen ist.

Nina Fuchs [00:16:31] Da können wir schon drüber sprechen, aber erklären kann ich das nicht, weil das für mich ja nicht nachvollziehbar ist. Deswegen habe ich ja auch da so vehement dagegen gekämpft. Es war nämlich so, dass dann halt fünf Jahre später, also 2018, wurde nämlich dann auf einmal, der mutmaßliche Täter gefunden. Da gab es dann eben den Treffer in der Datenbank. Und dann wurde mein Fall, der eigentlich damals dann nach zehn Monaten eingestellt wurde, der wurde dann wieder eröffnet. Und ich hatte auch mit der zuständigen Staatsanwältin damals telefoniert, ziemlich lange, sogar eine halbe Stunde, und hatte eigentlich das Gefühl, dass die da ja schon irgendwie hinter mir steht und die hat mir da auch versichert, dass da jetzt noch mal total gründlich ermittelt wird und so. Und als sie mich dann am 2. Januar 2019 persönlich angerufen hat, um mir mitzuteilen, dass sie den Fall jetzt eingestellt hat, war das ein ziemlicher Schock. Also ich hatte damit nicht nicht gerechnet. Und sie hat dann auch in dem Telefonat schon gesagt, ja, sie will sich schon mal entschuldigen, sie hätte es schriftlich ein bisschen hart formuliert. Und ein paar Tage später habe ich dann von meinem Anwalt Bescheid bekommen. Der hat das Schreiben gekriegt und der war wirklich stinksauer. Und dann habe ich auch gemerkt, was sie damit gemeint hat. Zum einen hat sie schon mal als Begründung für die Einstellung die Erinnerungslücken angeführt. Als Begründung! Das finde ich schon mal ziemlich fatal. Weil das ist nämlich eine sehr gefährliche Botschaft, die man damit dann nach außen sendet, wenn man sagt, Fälle werden eingestellt, weil das Opfer Erinnerungslücken hat. Das ist eigentlich ein Freifahrtschein für Täterinnen. So, dann sorge ich halt dafür, dass das Opfer Erinnerungslücken hat, weil dann wird der Fall eingestellt. Und da finde ich schon, wollen wir wirklich, dass so eine Message nach draußen geht? Und dann hat sie zusätzlich noch auch noch geschrieben, dass ja nicht auszuschließen sei, dass ich in der Tatnacht nicht noch mit anderen Männern Geschlechtsverkehr hatte. Was ich überhaupt nicht verstehe, was das zur Sache tut. Also die anderen Männer können ja nicht sein Sperma, seine DNA verfälschen. So, und wenn ich irgendwie vor den K.O.-Tropfen einvernehmlichen Sex mit jemand hatte, dann darf ich das. Ja, das ist ja legal bei uns. Und wenn es nach den K.O.-Tropfen war, dann würde das ja eigentlich nur heißen, dass es noch mehr Täter gäbe. Also ich verstehe einfach bis heute die Logik nicht dahinter, was sie damit irgendwie gemeint hat. Und was mich halt auch so krass geärgert hat, also, wir sprechen ja da noch von dem alten Sexualstrafrecht, sprich, es war keine Vergewaltigung, weil damals musste man sich ja körperlich zur Wehr setzen. Das heißt, der Paragraf, um den es bei mir geht, den es mittlerweile auch gar nicht mehr gibt, der heißt sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person. Und diese Widerstands-Unfähigkeit ist halt ein total wichtiger Aspekt in meiner Geschichte. Wenn sie jetzt einstellt mit der Begründung "Erinnerungslücken", dann heißt das ja, sie erkennt diese Widerstands-Unfähigkeit an, weil wenn man zurechnungsfähig und widerstandsfähig ist, dann hat man ja keine Erinnerungslücken. So, und wenn sie dann anerkennt, dass ich widerstandsunfähig war plus wir haben die DNA von dem mutmaßlichen Täter - die jetzt auch nicht an meinem Arm oder meiner Kleidung gefunden wurde, sondern in meinem Körper - dann sollte das doch wenigstens genug sein, um Anklage zu erheben, dass wenigstens mal ein Prozess stattfindet. Ob es dann zur Verurteilung kommt oder nicht, das sieht man dann. Und darum ging es mir auch nie. Ich habe nie, nie rumgeheult wegen einer Verurteilung, sondern ich hatte einfach das Gefühl, mir wird das Recht auf einen fairen Prozess verwehrt. Und ich verstehe bis heute nicht, warum. Und weil sie es halt auch noch so, nett gesagt, ungünstig begründet hat, war ich halt, wie eigentlich damals schon bei der Polizei, wieder in so einer Ohnmachts-Position, habe mich wieder total im Stich gelassen gefühlt und musste eigentlich was tun, um aus dieser Ohnmacht rauszukommen, weil für mich tatsächlich Ohnmacht das schlimmste Gefühl ist, das ich kenne. Und das habe ich dann gemacht, indem ich eine Petition gestartet hab. Und wider Erwarten wurde die wahnsinnig groß. Also die gibt es auch heute noch, die hat jetzt über 110.000 Unterschriften.

Nadia Kailouli [00:21:51] Und die Petition war da für was?

Nina Fuchs [00:21:54] Die Petition war eigentlich mehr so ein bisschen gedacht, um Aufmerksamkeit zu schaffen und auch ein bisschen, um Druck aufzubauen. So, und dann hab ich quasi diese Petition gerichtet an die Generalstaatsanwaltschaft, was quasi die Behörde ist, die über der Staatsanwaltschaft steht, also so die Chefs quasi. Und die können dann theoretisch nämlich auch sagen, nein, die Entscheidung war falsch, also dieser Beschwerde dann stattgegeben und dann wird Anklage erhoben, dann kommt es zum Prozess. Das war mein Ziel. Und das war auch das, was ich quasi in der Petition formuliert habe. Und dann gab es super viel Aufmerksamkeit, auch von Seiten der Medien. Und auch diese Petitions-Übergabe bei der Generalstaatsanwaltschaft, das war 2019 im April, da war unfassbar viel Presse da und es war ziemlich krass auch, das zu mitzuerleben. Also es hat mich auch in Teilen echt ein bisschen überfordert. Und dann hat die Generalstaatsanwaltschaft auf dieser Pressekonferenz oder bei dieser Übergabe dann auch gesagt, dass sie in vier bis sechs Wochen das Ergebnis verkündet. Und nach sieben Wochen habe ich dann aus der Presse erfahren, dass irgendwie die Staatsanwaltschaft noch mal irgendwelchen ergänzenden Hinweisen nachgeht oder so und im Endeffekt haben sie es dann eigentlich nur richtig lange ausgesessen und haben dann im November wieder eingestellt. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass bis dahin halt überhaupt kein Interesse von den Medien mehr da war und, auf blöd, keine alte Sau mehr interessiert hat. Und dann war ich eigentlich im November quasi wieder genau am selben Punkt wie im Januar, nur dass ich jetzt schon wusste, wenn ich jetzt wieder Beschwerde einreicht, dann wird sie definitiv scheitern.

Nadia Kailouli [00:24:07] Wahnsinn. Das Ding ist halt, bis heute ist es nicht zu einer Anklage gekommen. Und wird es jemals dazu kommen? Das ist einfach durch, das Ding.

Nina Fuchs [00:24:20] Ich hatte dann, nachdem quasi die zweite Beschwerde abgelehnt wurde, gab es noch genau eine Möglichkeit und zwar nennt sich das Klage-Erzwingungs-Verfahren. Das ist dann beim Oberlandesgericht und das wäre quasi noch die letzte Möglichkeit gewesen, dass es eventuell noch zu einem Prozess kommen kann. Und nachdem das aber auch gescheitert war, war klar okay, dieser Zug ist abgefahren. Und ich wollte eigentlich - also schon allein das Klage-Erzwingungs-Verfahren habe ich eigentlich nur gemacht, weil ich zu dem Zeitpunkt schon vorhatte, den Verein zu gründen und mir ist es immer voll wichtig, dass man das, was man selber irgendwie sagt und predigt, dass man das auch macht. Weil ich finde, es gibt nichts Unglaubwürdiges als Leute, wo das, was sie sagen und was sie tun, total voneinander abweicht. Und ich bin ja schon immer so, dass ich sage, wenn man die Kraft und die Ressourcen hat, dann immer anzeigen. Ich würde auch trotz dieser echt traumatisierenden Erfahrung, die ich bei der Polizei gemacht habe, ich würde es immer wieder tun, weil wir einfach so ein riesengroßes Dunkelfeld haben und die einzige Chance, die wir haben, dass wir das kleiner kriegen und dass wir auch dieses Tabu irgendwie brechen, ist, indem immer mehr und mehr Leute den Mund aufmachen, immer mehr und mehr anzeigen und auch immer mehr für ihr Recht kämpfen. Und da wollte ich quasi in so eine Art Vorbildfunktion das dann auch machen.

Nadia Kailouli [00:26:09] Wie ist das? Worum kümmert sich euer Verein? Er heißt ja K.O. - Kein Opfer e.V.. Was ist dein Ziel? Wofür ist dieser Verein da?

Nina Fuchs [00:26:19] Was ein Hauptgrund war, weshalb ich auch diesen Verein gründen wollte, ist, dass sexualisierte Gewalt ja ein gesamtgesellschaftliches Problem ist bei uns und zwar kein kleines. Alle die diesen Podcast hören, kennen sich wahrscheinlich mit dem Thema schon ein bisschen aus und wissen, dass es wirklich unfassbar viele Menschen gibt in unserer Gesellschaft, auch in den unterschiedlichsten Gruppen, die davon betroffen sind. Klar, manche mehr, manche weniger, aber alle sind davon betroffen. Und wenn man dann irgendwie guckt, wie viel Raum dieses Thema in der öffentlichen Debatte einnimmt, dann ist da überhaupt nicht die Relation gegeben, weil es einfach immer noch so ein Tabu ist und so schambehaftet. Und das ärgert mich und ich möchte, dass sich das ändert. Ich möchte, dass dieses große Problem, das wir haben, genau in dieser Größe wahrgenommen wird und auch diesen Raum in der öffentlichen Debatte bekommt und so ernst genommen wird, wie es einfach angemessen ist für die Größe des Problems. Und deshalb ist es unsere Aufgabe als Verein, dass wir quasi laut sind und auf das Thema aufmerksam machen, was da alles schiefläuft und halt im Rahmen von Präventionsarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärungsarbeit genau dafür sorgen.

Nadia Kailouli [00:27:48] Wie sind denn die Leute, die dann auf dich zugehen? Also sind da dann Frauen, die sich bei dir melden und genau das gleiche erlebt haben wie du und dann bei dir irgendwie so?ch weiß ja eigentlich immer Rat suchen, weil sie wissen, dass es passiert und wo sollen sie sich hinwenden? Ist es auch so eine Art Anlaufstelle dann?

Nina Fuchs [00:28:09] Ja, das passiert schon regelmäßig. Aber wir sind halt natürlich auch ausdrücklich keine Beratungsstelle. Weil wir das gar nicht leisten können. So. Also wir sind ja keine ausgebildeten Psychologinnen oder Therapeutinnen oder so was. Aber was wir natürlich schon können, ist irgendwie weiter verweisen. Wir haben zum Beispiel auch auf unserer Website haben wir auch Beratungsstellen aufgelistet und wir sind auch gut vernetzt, auch mit Beratungsstellen. Also ich bin zum Beispiel in München oder so, ich habe sehr gute Beziehungen zum Frauennotruf in München oder auch zum Weißen Ring. So. Also das können wir natürlich schon machen, wenn sich da jemand meldet, dass wir sagen können, so wende ich doch mal an die und die, wenn du das Problem hast, die können dir vielleicht weiterhelfen. Oder was wir halt schon auch so ein bisschen machen können, ist Austausch einfach so, weil das. Einfach für Betroffene total wichtig ist. Dieses Gefühl zu haben. Ich bin mit dieser Sache nicht alleine. Es gibt ganz viele, denen das auch passiert ist. Und diese. Diese Vernetzung untereinander und dieses Gemeinschaftsgefühl, das ist wirklich, glaube ich, ein ganz, ganz großer Faktor, auch für für diese Traumabewältigung und für die Heilung. Ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man sich so, so alleine fühlt und denkt So, ich bin die einzige Person, der das passiert ist und gerade dann auch in dem Kontext wieder mit diesen Schuldgefühlen. Also ich war da total erleichtert, als ich das mitbekommen habe, dass das total normal ist, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt ein Thema mit Schuldgefühlen haben, so wie auch zum Beispiel ganz, ganz viele Betroffene von sexualisierter Gewalt ein Thema mit Scham haben. Das habe ich jetzt glücklicherweise nicht, was mir halt auch diese Arbeit total erleichtert. Da bin ich sehr froh. Aber auch das ist was total Normales.

Nadia Kailouli [00:30:16] Hast du jemals von dir aus, also weißt du, wer der Täter ist? Weißt du, wer? Du weißt es. Aber hattest du jemals irgendwie das Bedürfnis? Dadurch, dass du gemerkt hast mit der Justiz, das bringt ja nix. Es wird einfach nicht zu einer Anklage kommen. Selbst das Bedürfnis gehabt, ihn ausfindig zu machen und zu sagen Hey, ich wollte nur sagen, ich habe alles versucht, um dich anzuklagen. Ich bin nur leider gescheitert. Aber eigentlich hätte ich gerne einen Prozess gehabt.

Nina Fuchs [00:30:46] Nee, das hatte ich tatsächlich nie. Aber ich glaube einfach, dass das bei mir die die Polizei und die Justiz so versagt haben. Sind die eigentlich bei mir fast ein bisschen so in so eine Täterrolle geschlüpft. Und da ist halt für mich auch. Wenn ich halt meinen Fokus darauf richte, dann kann ich halt auch tatsächlich noch was verändern, weil wir halt da ganz viele strukturelle Probleme einfach haben und ich halt weiß, wenn wenn da grundlegende Dinge geändert werden, so keine Ahnung. Wenn zum beispiel. Die Fristen verlängert werden, die es teilweise gibt. Also nur als Beispiel. Wenn wenn dein Fall eingestellt wird, dann hast du zwei Wochen für diese Beschwerde, zwei Wochen für eine traumatisierte Person, die erstmal vielleicht komplett unter die Räder kommt von dieser Nachricht, dieser Einstellung. Bis diese Person wieder so einigermaßen stabil ist, um so eine Entscheidung überhaupt treffen zu können, sind die zwei Wochen längst rum und die Tür für immer zu. Und ich kenne richtig viele Betroffene, die wahnsinnig darunter leiden, dass sie es nicht geschafft haben, in diesen zwei Wochen zu reagieren und jetzt für immer die Chance vergeigt haben. So, und das haben sie aber eigentlich nicht vergeigt, sondern das hat das System mal wieder vergeigt, indem es eine Frist von zwei Wochen macht, was einfach vor einem Trauma-Kontext absolut unmöglich ist. Und das sind halt so Sachen, da kann man was tun, da kann man dafür kämpfen, dass sich da was ändert. Und dann, wenn man dann lange genug Atem hat und das so ein bisschen checkt, dass das hier keine Sprints sind, sondern sehr lange Marathons und so steter Tropfen höhlt den Stein mäßig, dann sind wir vielleicht irgendwann in, weiß ich nicht, 20 Jahren oder so, an einer Stelle, wo wir eine andere Gesellschaft haben, wo es weniger sexualisierte Gewalt gibt und die Betroffenen, die es dann trotzdem noch gibt, in einem komplett anderen Klima einfach sich befinden, wo die Gesellschaft anders damit umgeht, aber die auch auf andere Strukturen treffen. So, und das ist halt meine große Hoffnung und das ist tatsächlich auch meine Motivation, die mich antreibt und diese Arbeit machen lässt.

Nadia Kailouli [00:33:21] Was hat dich damals angetrieben, 2021 dann zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen, obwohl da ja schon klar war, es wird nicht zur Anklage kommen.

Nina Fuchs [00:33:32] Also ich war da vorher auch noch am Bundesverfassungsgericht, weil ich das halt musste, sonst hätte ich das mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht machen können. Also die beiden kann man so ein bisschen in ein Paket packen. Ich wollte eigentlich dann nach diesem gescheiterten Klage-Erzwingungs-Verfahren am Oberlandesgericht, das war eigentlich für mich das Ende von meinem juristischen Kampf. Und dann, als das mir dann mitgeteilt wurde - und ich war eigentlich total drauf vorbereitet, also ich wusste, die Chance ist eigentlich gleich null, dass das klappt und dachte so, ja, bin ich darauf vorbereitet - als dann die Nachricht kam, habe ich feststellen müssen, okay, man kann sich gar nicht emotional auf was vorbereiten. Also mir ging es richtig schlecht. Und irgendwann wurde mir bewusst, dass das ja bei uns im Rechtssystem so ist, dass Entscheidungen immer wieder auch als Referenzen für neue Entscheidungen gelten. Und in meinem Kampf gab es so einen kleinen Shift: Am Anfang habe ich das halt gemacht, weil ich in so einer Ohnmacht war. Und je länger das aber ging, desto mehr hat sich das so ein bisschen darauf verlagert, dass ich das nicht mehr nur für mich gemacht habe, sondern eben mit dem Hintergrund, weil ich mir gedacht habe, ich möchte nicht, dass andere Betroffene in der Zukunft auch so was erleben. Und dann stehe ich halt irgendwann da, habe unfassbar viel Kraft und Zeit und Schweiß und Tränen und alles darein investiert und auch gar nicht wenig Kohle - also das Klage-Erzwingungs-Verfahren hat 5.000 € gekostet, wo ich ein Crowdfunding dafür machen musste. Nun stehe ich da nach diesem langen Weg und habe quasi eine Entscheidung, die genau das Gegenteil ist von dem, was ich wollte. Und jetzt diese Vorstellung, dass genau die Entscheidung dann in der Zukunft das Gegenteil bewirkt von dem, was ich bewirken wollte, nämlich dass dann andere sagen können, ja, aber da hat auch die Staatsanwaltschaft so entschieden und das wurde dann sowohl von der Generalstaatsanwaltschaft als auch vom Oberlandesgericht in der Richtigkeit bestätigt. Und diese Vorstellung, dass das nicht nur alles umsonst war, sondern sogar noch Betroffenen in der Zukunft schaden könnte, das war so ein schlimmer Gedanke für mich, dass ich mir gedacht habe, wenn ich jetzt nicht noch weiter kämpfe, alles, was es noch gibt, wo ich noch kämpfen kann - und das war dann nur noch Bundesverfassungsgericht und Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Ich kann nicht mehr in den Spiegel gucken, also diese Vorstellung, die hat mich so fertiggemacht. Und ja, der einzige Grund für mich, das wirklich zu machen, ist gar nicht mehr meine Geschichte, weil, wie wir ja schon festgestellt haben, ist der Zug eh abgefahren, es wird nie ein Prozess geben, aber mir geht es da einfach um dieses große Ganze und auch die Hoffnung, dass, selbst wenn ich dort verliere, was leider die viel größere Wahrscheinlichkeit ist, dass es zumindest Aufmerksamkeit für das Thema schafft. Also es ist wirklich nur dieses auf die Zukunft fokussierte, mit ganz viel Hoffnung verbundene Ziel.

Nadia Kailouli [00:37:00] Nina, ich hoffe, dass wir heute ein bisschen in die Richtung mithelfen konnten, Aufmerksamkeit zu schaffen. Mein Gefühl bleibt: Ich bin wahnsinnig wütend, aber ich hab auch wahnsinnigen Respekt vor dir, vor deiner Stärke, dass du durch all diese Instanzen gegangen bist und am Ende, leider, leider - ich will gar nicht sagen, dass du gescheitert bis, sondern uns eigentlich sehr gut gezeigt, wie an deinem Fall die Justiz komplett gescheitert ist. Vielen Dank, dass du uns heute deine Geschichte erzählt hast.

Nina Fuchs [00:37:31] Danke für die Einladung.

Nadia Kailouli [00:37:36] Also Nina hat einfach eine heftige Geschichte, ich muss es einfach sagen. Und ich finde es so krass, dass sie einfach keinen Prozess bekommen hat. Sie hat es ja erzählt: Es ging ihr gar nicht um eine Verurteilung, sondern einfach darum, dass ihr ein Prozess zusteht. Und den hat sie nicht bekommen, obwohl ja eben durch diese DNA-Prüfung, der mutmaßliche Täter ja herausgefunden wurde und das finde ich wirklich tragisch. Und was ich natürlich auch mir denke ist, wie viele Frauen das genau so erlebt haben, aber eben dann so mit Schamgefühl behaftet sind, dass sie sich einfach gar nicht erst trauen, das zur Anzeige zu bringen, wenn sie Opfer von K.O.-Tropfen werden und dadurch vielleicht auch eine Vergewaltigung erlebt haben. Und ich weiß auch gar nicht, was ich jetzt nach dem Gespräch so für mich mitnehmen soll, weil eigentlich will man ja nicht in einer Gesellschaft leben, wo man die ganze Zeit, gerade dann, wenn man Spaß hat, auf sein Glas aufpassen muss. Aber irgendwie, wenn ich das heute so gehört habe, ist es eigentlich genau das, wenn ich ausgehe auf Festivals oder im Club, ich kann mein Glas einfach nicht mit einem guten Gewissen irgendwo stehen lassen, so traurig es ist.

Mehr Infos zur Folge

Nina wurde vor neun Jahren mit KO-Tropfen betäubt und dann vergewaltigt. Ninas Geschichte ist auch deshalb so schrecklich, weil es damals sogar Leute gegeben hat, die das mitbekommen, aber nicht eingegriffen haben. 

Dabei sind KO-Tropfen schon lange kein schrecklicher Einzelfall mehr. Die Polizei warnt eindringlich davor und Hilfsdienste berichten, dass es kein Festival mehr gibt, bei dem nicht mit K.O. Tropfen betäubte Frauen in das Erste-Hilfe-Zelt gebracht werden. 

Nina wollte sich mit dem, was ihr passiert ist, aber nicht abfinden: Sie kämpfte sich bis vor das Bundesverfassungsgericht – denn, obwohl der Täter ein paar Jahre nach der Vergewaltigung überführt  wurde, wurde das Verfahren eingestellt. Und außerdem hat sie den Verein K. O. – Kein Opfer e. V. gegründet, um anderen Betroffenen zu helfen. Sie kämpft damit auch gegen das Gefühl an, das sie hatte, als sie im April 2013 zur Polizei ging: Das Gefühl, dass ihr nicht geglaubt wurde. 

Unter den Begriff K.O.-Tropfen fallen in Deutschland eine Reihe von Substanzen, die wichtigsten sind GBL und die verwandte Substanz GHB, auch „liquid ecstasy“ genannt. Die rechtliche Situation in Deutschland ist ein wenig paradox: GBL ist als wichtiger Grundstoff für die Chemieindustrie nicht verboten. GHB hingegen ist in Deutschland verboten, es fällt seit 2001 unter das Betäubungsmittelgesetz.

Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:

Nina hat den Verein „K.O.- Kein Opfer e.V.“ gegründet um Betroffenen zu helfen:
https://www.ko-ev.de/

Das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” ist ein bundesweites Beratungsangebot für Frauen, die Gewalt erlebt haben oder noch erleben: https://www.hilfetelefon.de/ 

Die Einrichtungen der Opferhilfe beraten bundesweit Betroffene von Straftaten: https://www.hilfe-info.de/WebS/hilfeinfo/DE/HilfeUndBeratung/AnsprechpartnerUndBeratungsstellen/EinrichtungenOpferhilfe/EinrichtungenDerOpferhilfe_node.html 

Buzz Feed News hat ausgiebig zum Thema K.O. Tropfen recherchiert: https://www.buzzfeed.com/de/marcusengert/gbl-ghb-ko-tropfen-vergewaltigungsdroge-nr1 

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs möchte diese Website fortlaufend verbessern. Dazu wird um Ihre Einwilligung in die statistische Erfassung von Nutzungsinformationen gebeten. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.