PODCAST | Folge 18 | Carola Klein

„Vor Gericht ticken viele Betroffene nur noch im Notfall-Modus.”

Carola Klein macht einen sehr wichtigen Job, den kaum jemand kennt: Sie ist „Psychosoziale Prozessbegleiterin“. Besonders schutzbedürftige Menschen haben nämlich seit ein paar Jahren einen Anspruch auf professionelle Begleitung und Betreuung während eines Strafverfahrens. Vor allem Kinder und Jugendliche, die sexualisierte Gewalt erleben mussten, können von jemandem wie Carola durch ein Gerichtsverfahren begleitet werden. Denn für die meisten ist es natürlich extrem belastend, sexuelle Gewalt, die sie erlebt haben, noch einmal detailliert schildern zu müssen oder Tätern vor Gericht zu begegnen.




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Carola Klein [00:00:00] Mein Fokus ist darin, dass die Frau stabil bleiben kann, dass es für sie nicht noch mal eine zusätzlich schlimme, traumatisierende Erfahrung ist. Denn es gibt ja sehr, sehr viele Menschen, die so etwas durchgemacht haben, die gesagt haben, ja, die Gewalttat war total schlimm, aber was dann gefolgt ist, das war noch viel schlimmer für mich.

Nadia Kailouli [00:00:21] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei - damit sich was ändert.

Nadia Kailouli [00:00:45] Bei mir war heute Carola Klein und sie hat einen, wie ich finde, wirklich sehr wichtigen Job. Sie ist psychosoziale Prozessbegleiterin. Besonders schutzbedürftige Menschen haben nämlich seit ein paar Jahren einen Anspruch auf professionelle Begleitung und Betreuung während eines Strafverfahrens. Vor allem Kinder und Jugendliche, die Gewalt erleben mussten, können von jemandem wie Carola durch ein Gerichtsverfahren begleitet werden. Dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt, wissen aber viel zu wenige. Dabei ist es total sinnvoll. Carola hat mir erklärt, warum die sogenannte Psycho Education dabei so wichtig ist, wie man Klientinnen auf wirklich unangenehme Fragen vorbereitet oder welche Techniken helfen, mit traumatischen Erfahrungen umzugehen. Denn für die meisten ist es natürlich extrem belastend, sexuelle Gewalt, die sie erlebt haben, noch einmal detailliert schildern zu müssen oder Tätern vor Gericht zu begegnen.

Nadia Kailouli [00:01:33] Grüß dich, Carola.

Carola Klein [00:01:34] Ja, hallo.

Nadia Kailouli [00:01:35] Carola, als ich gehört habe, dass du unser Gast bist, habe ich mich natürlich informiert, wie bei allen anderen Gästen auch, und da ist mir aufgefallen, ich habe noch nie von dem gehört, was du machst. Du bist psychosoziale Prozessbegleiterin und das kannte ich vorher noch nicht. Was ist das genau?

Carola Klein [00:01:51] Also, das ist eine Begleitung, die relativ neu ist für Menschen, die Opfer von schweren Straftaten geworden sind, weil es erfahrungsgemäß ein ganz großes Problem ist, verletzte Zeuginnen im Gericht aussagen zu lassen ohne psychosoziale Unterstützung. Die haben unter Umständen eine Nebenklage-Vertreterin, also eine anwaltliche Unterstützung. Aber das ganze persönliche, psychosoziale, Stabilität und so weiter ist leider früher gar nicht beachtet worden. Also eine Zeugin geht ins Gericht, wird dort vorgeladen, muss alles noch einmal erzählen, was ihr passiert ist und eben bei schweren Straftaten, besonders natürlich auch bei sexualisierter Gewalt, aber eben auch Mordversuche und so weiter, ist das unendlich belastend. Und deswegen ist es sehr, sehr wichtig, dass diese Zeuginnen darauf vorbereitet werden und jemanden an der Seite haben, mit der sie die gesamten Probleme, die eben um so ein Ermittlungsverfahren und ein Strafverfahren sich ranken, dass sie da Ansprechpartner haben.

Nadia Kailouli [00:03:04] Ich bin sehr froh, dass du heute hier bist, um uns einen Einblick in dieses Berufsfeld zu geben, was ja total wichtig ist. Du hast jetzt so viele Punkte ja schon angesprochen. Du begleitest die Betroffenen eben nicht als Rechtsberatung, sondern wirklich rein psychosozial. Ich habe mich natürlich vorbereitet und möchte dem Zuhörer und der Zuhörerin natürlich jetzt nicht zu viel vorwegnehmen, weil ich das so spannend fand, was du darfst und was du nicht darfst. Und da würde ich gerne gleich anfangen: Du darfst zum Beispiel gar nicht in die Akte gucken, wenn du in so einen Fall gehst.

Carola Klein [00:03:33] Genau. Ich darf natürlich nicht in die Akte gucken. Ich darf auch mit der Betroffenen oder mit dieser Person, die ich unterstütze, gar nicht über die Inhalte der Straftat sprechen. Ich darf mit ihr über ihren Zustand natürlich sprechen, über die Folgen, es gibt natürlich immer eine Überschrift, ich bekomme vom Gericht ja eine Beiordnung und da steht natürlich der Tatvorwurf drauf. Das übrigens geht schon im Ermittlungsverfahren los und das finde ich auch sehr, sehr wichtig, weil sich die Ermittlungsverfahren hinziehen. Ich spreche nicht darüber, was ihr passiert ist.

Nadia Kailouli [00:04:10] Sondern du begleitet sie nur dabei, dass sie erzählt, was ihr passiert ist. Aber du sagtest jetzt gerade so selbstverständlich: Ich darf natürlich nicht in die Akte gucken. Mein erstes Gefühl war, oh Mann, warum darf sie denn nicht in die Akte gucken? Sie muss doch wissen, was da passiert ist.

Carola Klein [00:04:23] Nee, also das würde sozusagen dann bedeuten, dass ich sie ja beeinflusst haben könnte. Deswegen reden wir gar nicht darüber, was ihr passiert ist. Und das ist wirklich sehr, sehr wichtig, weil sonst die Verteidigung oder eben im Gerichtsverfahren mir vorgeworfen werden könnte, dass ich sie beeinflusst habe.

Nadia Kailouli [00:04:46] Aber ist es nicht sehr, sehr schwierig? Auch weil du sagtest, es ist sehr, sehr wichtig, dass du eben keinen Einblick in die Akte hast. Aber ist es nicht auch sehr schwierig?

Carola Klein [00:04:54] Nee, also ich finde es eigentlich sogar entlastend und erleichternd, dass ich jetzt mit den Inhalten nicht direkt konfrontiert bin. Und ich glaube, das ist auch für meine Klientinnen erleichternd, dass sie mir das nicht erzählen müssen. Mit mir redet sie darüber nicht. Wir reden eher darüber, was hilft ihr, was nutzt ihr? Auch durchaus wie verläuft überhaupt der gesamte Prozess, das Ermittlungsverfahren, Anklage? Also alles das, was Sie vielleicht auch schon von einer Anwältin erfahren könnte. Aber ich gehe da tiefer rein und ich beantworte Fragen, auch dieselben Fragen, auch fünfmal, weil das manchmal gar nicht so einfach ist, da überhaupt durchzublicken.

Nadia Kailouli [00:05:39] Damit wir das besser verstehen, wie du arbeitest und warum deine Arbeit so wichtig ist, haben jetzt bestimmt viele die Frage im Kopf, was ist denn Carola Klein überhaupt? Was hast du gelernt? Wie wird man psychosoziale Prozessebegleiterin?

Carola Klein [00:05:50] Also, ich bin von der Grundausbildung Sozialpädagogin, Sozialarbeiterin, ich habe eine therapeutische Zusatzausbildung, mehrere Trauma-Module habe ich belegt und ich bin auch EMDR-Therapeutin und habe 20 Jahre bei einer Opfer-Organisation, bei Lara e.V., auch hauptberuflich gearbeitet.

Nadia Kailouli [00:06:12] Und warum ist es so wichtig, dass es jetzt eben diese Berufe gibt, den du ja ausübst? Weil so lange gibt es ihn nicht, es gibt ihn glaube ich seit 2017, das sind gerade mal fünf Jahre. Warum ist es wichtig, dass es diesen Job gibt?

Carola Klein [00:06:25] In meiner Arbeit, ich hab ja gesagt, dass ich schon 20 Jahre mit Opfern von sexualisierter Gewalt gearbeitet habe oder arbeite, haben wir natürlich immer wieder dieses Problem, dass Frauen ganz große Angst haben, eine Anzeige zu erstatten - die meisten tun es gar nicht - dass es da wenig Unterstützung gibt. Wir haben diese Unterstützung auch schon bevor das auf rechtlichen Füßen stand gegeben. Aber das ist eine sehr intensive, zeitaufwendige Arbeit, das kann man nicht mal so nebenbei machen und es gibt eben auch wichtige Standards einzuhalten. Und deswegen haben wir auch in den Jahren dafür gekämpft, dass das auch als extra Arbeitsfeld verpflichtend, auch zum Beispiel für Minderjährige, eine Beiordnung gibt, die dann auch extra entlohnt wird und die nicht einfach von den Beratungsstellen mitgemacht werden kann.

Nadia Kailouli [00:07:24] Mir kommt da gleich die Beratungsstelle des Kinderschutzbundes in den Kopf. Die begleiten ja auch oft Frauen oder überhaupt Betroffene, die eben sexualisierte Gewalt gerade aus der Kindheit dann im Erwachsenenalter zur Anklage gebracht haben, und die werden begleitet. Kann ich mir das so ungefähr vorstellen?

Carola Klein [00:07:42] Ja, es ist noch ein bisschen anders. Also, wir beraten erst mal auch zu Anzeige, bevor eine Person vielleicht die Anzeige überhaupt erstattet hat. Und es gibt dann auch eine offizielle Beiordnung durch das Gericht und zwar auch schon im Vorfeld. Das heißt, das ist ein bisschen ähnlich, aber es ist ein anderes Feld, weil erwachsene Menschen haben das Recht gar nicht, wenn nicht eine bestimmte Schwere oder eine besondere Verletzbarkeit vorliegt, eine Prozessbegleitung zu bekommen.

Nadia Kailouli [00:08:19] Okay, das heißt, bis man eben jemanden an seine Seite bekommt wie dich jetzt, das klingt so sehr bürokratisch, bis man an dich rankommt. Ist das so?

Carola Klein [00:08:28] Nee, also es gibt Listen, die sind von der Justiz auch veröffentlicht, das geht über die Opfer-Einrichtungen. Das Problem ist eher, dass viele, ich sag jetzt mal Frauen oder Menschen, die eben betroffen sind, die eigentlich das Recht dazu hätten, das nicht erfahren, dass sie dieses Recht hätten. Wenn sie das wissen, dann können sie eigentlich tätig werden, dann ist das eigentlich relativ einfach. Wir sind viele Prozess Begleiterinnen hier in Berlin. Wir haben übrigens natürlich auch noch eine spezielle Ausbildung durchlaufen, das habe ich vorhin nicht erwähnt. Das ist nicht so schwer. Aber das zu wissen, wenn ich Opfer geworden bin, wenn ich anzeigen möchte, dass es das überhaupt gibt, daran krankt es ein bisschen. Die Polizei muss eigentlich schon bei der Anzeige diese Information weitergeben. Das wird auch gemacht, aber oftmals wird es nicht so richtig wahrgenommen von den Betroffenen. Also da müsste es noch wirksamere Werkzeuge geben, damit sie das erfahren und auch für sich auch erkennen und entscheiden können, dass sie diese Unterstützung gerne möchten.

Nadia Kailouli [00:09:41] Umso toller ist es, dass du heute hier bist, um uns das zu erzählen. Kannst du uns erzählen, wie so dein Berufsalltag aussieht? Also zum Beispiel heute, nachdem wir jetzt hier diesen Podcast aufgenommen haben, wie geht es da für dich weiter? Wie kann ich mir das vorstellen?

Carola Klein [00:09:55] Also, es ist und ich bekomme zum Beispiel vom Gericht eine Beiordnung für eine bestimmte Person, die ich noch gar nicht kenne. Dann würde ich die anschreiben, wenn es eine Telefonnummer gibt natürlich auch anrufen, würde sie einladen und schicke ihr dann schon mal Flyer mit, was das überhaupt bedeutet, was ich tue. Weil oftmals, auch wenn der Antrag gestellt wurde, dann wissen die Frauen doch nicht so ganz genau, was ich überhaupt mache. Dann treffe ich mich mit ihnen und dann erkläre ich ihnen insgesamt, wie läuft überhaupt ein Ermittlungsverfahren ab. Ich begleite sie natürlich auch schon zur polizeilichen Aussage, wenn ich da schon beigeordnet bin und das finde ich enorm wichtig, denn diese Aussagen sind ja die Grundlage für eine eventuelle Anklage und die sind auch sehr, sehr belastend für die Frauen. Dann, wenn es Termine gibt, dann gehe ich halt mit den Frauen zur Polizei. Dann gibt es natürlich Gerichtsverfahren, in denen ich die Frauen begleite. Oftmals gehe ich dann auch mit den Frauen, oder Kinder sind es auch oft, zum Gericht, dann schauen wir uns das alles an, wir reservieren das Zeugen-Zimmer - also hier in Berlin gibt es eben auch beim Amtsgericht oder auch beim Landgericht gibt es eben ein spezielles Zeugen-Zimmer, Zeuginnen-Zimmer, in dem man lange, oftmals sehr lange Wartezeiten überbrücken kann. Das schaue ich mir mit den Klientinnen an, ich erkläre ihnen, was ihre Rolle ist in dem Verfahren, ich nehme Kontakt auf zu den Nebenklage-Vertreterinnen. Wenn sie noch keine hat, vermittele ich zu Anwältinnen, weil es sehr, sehr, sehr wichtig ist für Opfer von Straftaten, dass sie eben auch eine anwaltliche Vertretung beigeordnet bekommen. Das alles ist kostenfrei, auch das wissen viele Leute gar nicht. Also diesen Kontakt kann ich herstellen. Ich kann auch den Kontakt zu Richtern und Richterinnen herstellen, wenn es nötig ist, dass sie vielleicht sogar mit der Richterin mal vorher kurz reden wollen. Wenn es Kinder sind, macht das Sinn. Es gibt auch - vielleicht ist das noch mal ein Extra-Thema - es gibt auch die richterliche Video-Verrnehmung speziell für Kinder. Darauf bereite ich vor, da begleite ich. Vielleicht kann das hier auch noch einmal Thema sein, dann erkläre ich das noch mal, was das ist. Ja, und dann, wenn das fertig ist, treffe ich mich in der Regel noch mehrfach, wenn gewünscht, mit meinen Klientinnen und bereite das nach.

Nadia Kailouli [00:12:37] Du sprichst so von Klientinnen, ich würde das schon fast als einen Freundschaftsdienst bezeichnen. Wenn ich mir überlege, du begleitest die, du bist ja gefühlt an deren Seite, man kann dir alles erzählen, ohne dass man mit irgendeinem Schamgefühl behaftet sein muss - es klingt eigentlich eher wie ein Freundschaftsdienst.

Carola Klein [00:12:57] Nee, ich bleibe da schon in einer bestimmten Distanz. Also ich kümmere mich, aber ich bin eben nicht die ganze Zeit. In der Regel sollten sie auch möglichst Therapeut*innen haben, vielleicht auch Einzelfall-Hilfen, Eltern, wie auch immer. Nene, ich begleite aber in allen Fragen, die mit diesem Verfahren zu tun haben, da bin ich an der Seite. Aber wenn das Verfahren dann auch vorbei ist, dann ist meine Arbeit auch beendet. Also ist eben gerade keine Freundschaft, aber ich bin ansprechbar für alles Mögliche.

Nadia Kailouli [00:13:30] Aber ist dir das denn schon mal passiert, dass man sich dir so anvertraut hat, dass es einem schwer gefallen ist, dich wieder gehen zu lassen, weil du einen halt einfach durch diese wahnsinnig schwierige Zeit begleitest?

Carola Klein [00:13:42] Nee, also ich muss sagen, ich bin Profi und das ist einfach klar. Und ich glaube, es ist den Klientinnen auch klar, dass nach diesem Verfahren, da gibt es auch noch ein Gespräch, gerne auch zwei, aber dass dann unsere Arbeit auch zu Ende ist und da können die das dann auch hinter sich lassen. Es geht eben auch darüber nicht hinaus. Das ist anders als bei einer Einzelfall-Hilfe, bei einer Therapeutin, da geht es dann vielleicht auch über Jahre regelmäßig in die Beziehungsarbeit. Genau das machen wir nicht und das passiert mir nicht.

Nadia Kailouli [00:14:21] Aber musst du das vorher erklären? Weil wenn man, ja, also ich meine, wir reden ja über, wie du schon gesagt hast, über schwere Fälle von Gewalt, von sexuellem Missbrauch. Das sind natürlich auch Sachen, die man nicht einfach mal...es geht ja nicht darum, dass man ein Parkticket mal nicht bezahlt hat und jemanden braucht, der das einem erklärt, sondern es sind wirklich traumatische Erfahrungen aus dem Leben, die man dann mit dir teilt, weil du jemanden ja begleitest, eben nicht, um das zu verarbeiten, sondern um das zur Anklage zu bringen, um vor Gericht irgendwie die Kraft zu behalten und zu wissen, was passiert da eigentlich? Musst du vorher erklären, wo die Grenzen sind?

Carola Klein [00:14:57] Ja, also wie ich ja am Anfang schon gesagt habe, wir reden gar nicht über die Inhalte. Mein Ziel oder das, was ich mache, ist zu versuchen, meine Klientinnen so zu empowern, dass sie da durchgehen können - die Aussage muss sie machen, die mache ich nicht für sie - und dass sie selber in die Position kommen, dass sie dann auch sehen, sie können das machen und dann ist es auch abgeschlossen und deswegen lösen sie sich auch dann von mir, weil das auch sehr, sehr wichtig ist, dass sie mit der Sache dann auch "fertig" sind, zumindest, was den juristischen Teil und den ermittlungstechnischen Teil angeht. Und das gelingt sehr, sehr gut.

Nadia Kailouli [00:15:40] Ist es denn so, dass man dann eher auf dich zurückkommt und sich mit dir wohler fühlt als dann eben, wie ich schon sagte, den Vergleich mit der Freundin, die Freundin oder die Mutter oder irgendjemanden mitzunehmen. Ist das ein Ersatz?

Carola Klein [00:15:52] Also ich empfehle ja auch, dass eben gerade Mütter oder auch enge Freundinnen, das ist toll, wenn die unterstützen. Aber diese Menschen, die einem Opfer so nahe stehen, die sind überfordert damit. Das macht ja was mit einem, besonders als Eltern und so weiter. Deswegen erkläre ich auch, dass ich eben im Rahmen von diesem Gerichtsverfahren die Person bin, die sie da durch bringt. Ich bin natürlich auch ein Mensch, aber ich bin eben professionell dafür ausgebildet, das zu tun. Und dass die Eltern lieber in der Situation ein bisschen auf Distanz bleiben und sich dann vorher, nachher und so weiter dann natürlich um ihre Töchter kümmern. Und das ist eben der große Unterschied und deswegen kommt es da auch eigentlich nicht zu Vermischungen, dass sie jetzt denken, ich bin immer an ihrer Seite. Ich kümmere mich darum, dass sie das schaffen, durch dieses gesamte Verfahren durchzukommen. Wir wissen ja auch nicht, wie das endet. Also auch das ist ja ein wichtiger Teil. Es kann ja auch zu Einstellungen, Freisprüchen und so weiter kommen.

Nadia Kailouli [00:17:03] Du sagtest gerade, du bist dafür da, oder du und deine Kolleginnen sind dafür da, jemanden so zu stärken, dass man da durchkommt, dass man diesen Prozess schafft. Das sind ja oft Wochen, Monate, wenn nicht sogar Jahre, die so Prozesse eben mit sich tragen. Wie machst du das denn? Also was sind denn deine Arbeitsmittel, um den Frauen an der Seite zu stehen? Und zwar eben so, dass diese emotionale Distanz die ganze Zeit gewahrt ist.

Carola Klein [00:17:28] Also, nicht nur die emotionale Distanz, ich konzentriere mich - also ein großes Stichwort ist für mich schon auch das Wort Psychoeducation - dass ich den Frauen erst mal erkläre, dass es sehr lange dauern kann und dass es vorbei ist. Das ist natürlich enorm wichtig. Wir müssen erst mal sozusagen eine gemeinsame Basis finden, wo wir losgehen. Es ist vorbei. Es fühlt sich aber wahrscheinlich nicht immer so an und speziell, wenn Sie aufgefordert werden, darüber ganz, ganz, ganz intensiv zu erzählen und auch mit sehr, sehr unangenehmen Fragen konfrontiert werden, die sehr, sehr in den Intimbereich gehen, die sich auch oft so anfühlen - und das ist eben, was wir verhindern wollen - als ob sie wieder Opfer wird, als ob wieder genau so eine Situation da ist. Diesen Unterschied zu erlernen, zu verstehen, dass sie stoppen kann, dass es jetzt wichtig ist, dass sie ein gutes Leben, wie auch immer, weiterführen kann oder mit Hilfe von Therapie und so weiter erreichen kann. Und dass wir jetzt auf dieser Ebene arbeiten, damit sie lernt, dass sie das sagen kann, dass das für sie auch unter Umständen gut ist - das ist nicht für alle der Fall - aber dass sie sieht, mein Leben kann weitergehen und trotzdem kann ich in diesem Prozess auch aussagen und kann vielleicht sogar gestärkt rausgehen, weil ich den Mund aufgemacht habe.

Nadia Kailouli [00:19:01] Du sagtest gerade, dass du denen erst mal versucht zu vermitteln, okay, es ist vorbei. Aber für viele ist ja wahrscheinlich das Gefühl, oh Gott, jetzt fängt ja alles von vorne an, weil man eben durch die Aussagen ja wirklich sehr, sehr tief zurückgehen muss in den Missbrauch, in die Gewalttaten etc.. Hast du schon Klientinnen - ich benutze das Wort jetzt auch, Klientinnen, weil das so benutzt - hast du schon Klientinnen erlebt, die so eine große Angst hatten, dass sie, obwohl Prozessbeginn waren, sagten okay, ich kann jetzt hier nicht und dann bist du da und stärkst dann, kann ich mir das so vorstellen?

Carola Klein [00:19:35] Ja, also das kann sehr, sehr unterschiedlich sein. Also ich habe alles Mögliche da schon erlebt, ich hatte ja auch schon sehr, sehr viele "Fälle". Also es gibt auch Frauen, die nach der polizeilichen Aussage sagen, sie möchten nicht, dass es zu einer Anklage kommt, weil sie das nicht aushalten. Auch da: Die Entscheidung trifft die Klientin. Es gibt auch Frauen, die sind dann empowert und freuen sich fast ein bisschen, dass sie das jetzt hinter sich gebracht haben. Aber dann muss ich sagen, es kommt unter Umständen noch zu einer Anklage oder auch nicht, es kann auch eingestellt werden. Also, oder dass sie reingehen, dass sie eigentlich noch ganz gut aufgestellt sind und dass sie dann, wenn diese Situation oder die Fragerei losgeht und wenn sie dann erzählen müssen und wenn auch auf eine bestimmte Art und Weise gefragt wird, die sie dann eben gefühlt wieder in eine Opfer-Position bringt, dass sie dann nichts mehr rauskriegen, dass sie dann eigentlich in einem dissoziierten Modus, nur noch in einem Notfall-Modus ticken und dann können die keine Aussage machen. Deswegen ist es auch so wichtig, dass auch Richter und Richterinnen, zum Beispiel, das wissen, dass es dazu kommen kann und dass das nicht bedeutet, dass sie lügt, wenn sie dann nichts mehr sagen kann oder dass sie vorher die Unwahrheit gesagt hat, sondern dass sie einfach in einem Zustand ist, in dem sie das nicht mehr abrufen kann.

Nadia Kailouli [00:21:16] Man kennt das ja immer, dass wenn Mandantinnen sich mit ihren Anwältinnen austauschen vor Gericht, diese Szene kennt man, kann ich mir das auch mit dir so vorstellen, dass man sich dann bei Gericht während des Prozesses dann irgendwie in einer, ich sag's jetzt mal überspitzt, Notsituation oder Situation, wo man nicht weiter weiß - soll ich jetzt noch mal aussagen, soll ich es nicht machen, nehme ich das an was mir da hingelegt wird oder nicht - berät man sich dann in dem gleichen Maße mit dir wie mit der Anwältin?

Carola Klein [00:21:44] Ne, also genau diese juristischen Vorgehensweisen, dazu sage ich nichts, das muss sie genau mit der Anwältin besprechen. Wie geht es weiter, macht sie weiter die Aussage, was ist da überhaupt gerade jetzt passiert? Das ist überhaupt nicht mein Arbeitsfeld. Ich gehe mit ihr in der Pause raus, ich versuche, sie körperlich und psychisch zu stabilisieren. Ich darf sie während des Verfahrens, während ihrer Aussage, nicht ansprechen oder berühren. Und deswegen ist das manchmal gar nicht so einfach, da ein Weg zu finden wenn ich sehe, dass sie eigentlich, nach meiner Erfahrung, jetzt gar nicht mehr wirklich in der Lage ist, eine Aussage fortzuführen. Darauf habe ich aber keinen Einfluss. Ich versuche dann ein bisschen mit ihr so zu atmen, dass sie merkt, dass ich da bin.

Nadia Kailouli [00:22:40] Wer kontrolliert dich denn da? Oder musst du dich selbst kontrollieren, dass das nicht passiert?

Carola Klein [00:22:44] Ich darf das nicht tun, weil das könnte als Beeinflussung ausgelegt werden, besonders natürlich von der Verteidigung. Also der Vorsitzende Richter, die Richterin hat darüber absolut, über das, was da in dem Gerichtssaal passiert, das Bestimmungsrecht und ich darf sie nicht ansprechen.

Nadia Kailouli [00:23:05] Ich bin jetzt sprachlos. Also so gut ich das finde, dass es das gibt, was du machst, so erschreckend finde ich es gleichermaßen, dass es so klare Regeln gibt. Aber wahrscheinlich braucht es die gerade in einem juristischen Verfahren. Aber irgendwie finde ich das dann gerade doch ein bisschen verstörend, darüber nachzudenken, dass du so nah dabei bist und der Klientin auch so nahe stehst in der Unterstützung, aber es so harte Regeln gibt, bis wohin diese Unterstützung gehen darf.

Carola Klein [00:23:28] Also es ist ja sehr unterschiedlich, wie sich auch die vorsitzenden Richter oder Richterinnen da auch verhalten. Manche sind da auch sehr empathisch und einfühlsam und fragen dann selber und sagen, wollen sie jetzt nicht lieber mit ihrer Prozessbegleitung doch mal eine Pause machen, ich sehe, sie können jetzt nicht mehr so gut weiter sprechen, aber das ist nicht die Regel.

Nadia Kailouli [00:23:49] Was ist die Regel?

Carola Klein [00:23:50] Ja, dass sie also da immer weiter gefragt werden und dass vieles, wenn sie dann durcheinander sind, dann komplett angezweifelt wird, weil es auch, in der Tat, vielleicht auch nicht so ganz schlüssig erscheint. Also, dass sie nicht immer, ich sage das mal so, mit Samthandschuhen angefasst werden. Es gibt natürlich dann sowieso das Fragerecht auch der Verteidigung und die Verteidigung versucht natürlich diese Aussage eher zu relativieren oder auch Punkte herauszuarbeiten, an denen die Frau vielleicht als nicht mehr glaubwürdig erscheint.

Nadia Kailouli [00:24:30] Dadurch, dass es dein Berufsfeld ja erst seit 2017 gibt, gibt es ja auch durchaus viele Richterinnen und Richter und Anwältinnen und Anwälte, die dahingehend ja auch noch ein bisschen Erfahrung brauchen, dass du jetzt eben auch dabei bist im Gerichtssaal. Gibt es da irgendwie Austausch? Gibt es Workshops? Kann ich mir das so vorstellen, dass du dich dann auch manchmal mit Richterinnen und Richtern triffst und sagst, sorry, ich bin auch da und vielleicht gucken sie dann auch mal auf mich. Und wenn ich dann irgendwie das Gefühl habe, ich glaube, wir müssen jetzt hier mal ein Päuschen machen, dass du da in deiner Einschätzung ernst genommen wirst oder überhaupt gesehen wirst.

Carola Klein [00:25:01] Also mit jetzt ganz konkret mit Richtern und Richterinnen passiert das in der Form nicht, das wird hoffentlich auch in den Akademien, in der Ausbildung und so weiter auch thematisiert. Es gibt aber natürlich jetzt hier Berlin-weit auf Senats-Ebene durchaus Treffen mit Staatsanwalt, wo eben auch interessierte Richter und Richterinnen dabei sein können, die auch sehr engagiert sein können. Aber das ist individuell sehr unterschiedlich.

Nadia Kailouli [00:25:33] Wie wird das grundsätzlich angenommen oder wie wirst du angenommen von Klientinnen, die dann, wenn sie dann wissen, dass es dich gibt, auf dich zukommen? Nehmen sie dich einmal in Anspruch, nehmen sie dich den ganzen Prozess über einen Anspruch, brechen sie sehr schnell wieder ab, weil sie denken so, oh nee, es reicht mir auch, wenn ich es meiner Anwältin das jetzt erzählt habe - wie ist so deine Erfahrung der letzten fünf Jahre?

Carola Klein [00:25:54] Also noch mal, mir erzählen meine Klienten nicht, was passiert ist. Und wenn sie das wollen, dann stopp ich das.

Nadia Kailouli [00:26:01] Wirklich? Carola, du merkst, ich trete immer ins gleiche Fettnäpfchen hier, weil ich es mir gar nicht vorstellen kann.

Carola Klein [00:26:09] Nein, das ist ehernes Gesetz. Deswegen ist das auch eigentlich für die Klientinnen gar nicht so belastend.

Nadia Kailouli [00:26:14] Aber das heißt, sie kommen zu dir, oder besser gesagt, es wird denen empfohlen oder weitergetragen, es gibt Anspruch auf eine psychosoziale Prozessbegleiterin, Frau Carola Klein wäre das, sie können sie kontaktieren. Dann ruft man dich an und sagt, hallo, Frau Klein, hier ist Nadia Kailouli, ich habe jetzt Prozessbeginn nächste Woche. Ich habe gehört, sie können mich da unterstützen. Dann würde ich glaube ich aus meinem Naturell erst mal alles erzählen, was da eigentlich auf dem Tisch liegt.

Carola Klein [00:26:41] Ne, dann kriegt sie erst mal, entweder hat sie schon einen Flyer, eine Information, dann sage ich ihr, ja, super, wir beide reden jetzt darüber, wie sie das bewältigen können eine "gute" Aussage, also eine Aussage zu machen und dass sie nicht sich wieder als Opfer fühlen, dass sie eben nicht reviktimisiert werden oder auch retraumatisiert, also dass sie stabil da rein und auch wieder rauskommen können. Das ist belastend, das wissen wir und daran arbeiten wir beide jetzt. Ich zeige ihnen, wie das abläuft. Ich habe Schaubilder, wir können auch einen Gerichtssaal besichtigen, damit sie sich ein bisschen sicherer fühlen. Das ist meine Arbeit. Ich sitze da neben ihnen, wir reden gar nicht darüber, was passiert ist. Wenn sie da diesbezüglich Fragen haben, können sie mit ihrer Anwältin sprechen. Auch die Anwältin darf sie in dem Sinne nicht so beeinflussen. Ich mache das ganze Drum und Dran. Und für die meisten Zeuginnen - also sind ja dann auch eben Zeuginnen - ist das auch ziemlich entlastend, dass sie mir das eben nicht erzählen müssen, weil so ein Gegenüber, das ist ja jedes Mal ein großes Risiko, über so eine Tat zu berichten, weil die Reaktion des Gegenübers kann einen doch sehr stark beeinflussen, also in verschiedene Richtungen. Auch dass man denkt, glaubt sie mir, überhaupt guckt sie jetzt und ich lese darin, dass sie denkt, ich habe das jetzt erfunden. Und diese ganze hochexplosive Geschichte, die kann sie sozusagen draußen lassen, im Sinne von, ich frage da nicht nach, ich habe da keine Meinung zu, ob das stimmt, was sie erlebt hat oder ob sie da die Wahrheit sagt oder was da überhaupt abgelaufen ist. Das ist schön. Das ist auch für die Klientinnen gut, dass sie da eben nicht einsteigen. Ich steige mit ihnen da ein, wo ist deine Kraft? Wie kannst du eine gute Aussage machen, mit der du dann auch hinterher rund bist? Und den Rest muss sowieso das Gericht entscheiden. Die einzige Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, ist, dass sie eine Aussage macht, dass sie alles erzählt, was sie jetzt noch weiß und dass das strafrechtlich so relevant ist, dass man a) ihr glaubt, aber auch b) dafür jemanden verurteilen kann. Darum geht es und das soll sie können und deswegen soll sie mir gar nichts erzählen. Also das ist sowieso, das geht nicht. Wenn ich sie zum Beispiel in einer anderen Ebene schon beraten hätte oder wie auch immer als Beraterin, dann kann ich die Prozessbegleitung gar nicht machen.

Nadia Kailouli [00:29:30] Weil du zu sehr involviert dann bist in den Fall. 

Carola Klein [00:29:30] Ja, weil ich dann schon von den Inhalten weiß, weil ich möglicherweise, wie auch immer, da Reaktionen gezeigt habe. Das wird auch im Gericht gefragt: Haben sie der Prozessbegleiterin davon erzählt? Nein. Und da muss sie auch ganz klar Nein sagen können und nicht hmm.

Nadia Kailouli [00:29:49] Das heißt, du unterbrichst sofort, wenn ich anfange und sage, aber dann waren wir das und das und dann war das der und der, dann sagst du direkt, Halt!

Carola Klein [00:29:57] Ich sag dann, ja, okay, darüber reden wir jetzt gar nicht. Also, ich bin ja sehr sanft, natürlich, aber das ist jetzt nicht das Thema. Es gibt auch Techniken, die vermittele ich. Wie kann ich denn mit solchen traumatischen Erfahrungen oder wie auch immer mit solchen schlimmen Erfahrungen umgehen, ohne dass die immer wieder da reinkommen? Wir reden jetzt mal darüber, was tut ihnen gut? Wovor haben sie die meiste Angst? Was wäre denn für sie hilfreich? Also die Frauen sollen sich ja darüber Gedanken machen. Was hilft mir denn eigentlich, wenn ich so eine schwierige Situation bewältigen möchte, ohne komplett meine Stabilität zu verlieren? Also das da rege ich an, in diese Richtung arbeite ich.

Nadia Kailouli [00:30:39] Wir reden gerade die ganze Zeit hauptsächlich von Klientinnen und Frauen. Begleitest du auch Männer? 

Carola Klein [00:30:44] Ja. Also, das ist eher nicht so die Regel, aber das kommt häufiger, ab und zu kommt das vor, ja, natürlich.

Nadia Kailouli [00:30:51] Okay, also mir leuchtet natürlich jetzt gerade viel, viel mehr ein, was du genau machst und ich hoffe unseren Zuhörerinnen und Zuhörern auch, dass es eben ganz eine klare Linie gibt, dass es keine Rechtsberatung ist, dass es auch keine Unterstützung ist, diesen Fall irgendwie besser zu verarbeiten oder so, sondern es geht wirklich rein darum, durch diesen Prozess oder durch diese Anzeige zu kommen, mit den Mitteln, die du dann an die Hand geben kannst. Sind das individuelle Mittel oder gibt es ein Grundkonzept, den du als Prozessbegleiterin gelernt hast, den du so nach einem bestimmten Schema dann an die Klientin oder den Klienten weitergibst?

Carola Klein [00:31:25] Also wir haben das durchaus gelernt, dass in einem Schema auch anzugehen, also sozusagen auch ein bisschen abzuhaken, was ist jetzt wichtig? Aber nach einer Weile, wenn man dann viel Erfahrung hat, ich stelle mich schon eher wirklich auf meine Klientin ein. Aber natürlich spar ich die Sachen, die wichtig sind, nicht aus, sondern ich sage dann übrigens, das ist auch noch wichtig, es kann ja zu einer Einstellung kommen, wie wäre das denn für sie? Also ich arbeite das schon ein bisschen ab, aber ich habe da mein individuelles Konzept und schau einfach auch hin, was braucht sie eigentlich? Es ist schon ein bisschen unterschiedlich, ob ich jetzt mit einem 15-jährigen Mädchen arbeite, die vielleicht in der Hauptschule ist und dass es ein Unterschied ist, wenn ich jetzt mit einer Professorin arbeite, die einen anderen Zugang auch zu bestimmten intellektuellen Texten hätte, da würde ich schon ein bisschen anders arbeiten. Aber. ja, nee, das ist auch ein Teil, den ich da abhake, auf jeden Fall.

Nadia Kailouli [00:32:36] Ich würde mich noch zum Ende kurz dafür interessieren, wie du das für dich sortierst. Also, wie groß ist da deine Kontrolle für dich selbst? Abgesehen davon, dass du weißt, dass es so sein muss, dass du eben keine Details erfahren, dass es auch selbst keine Fragen stellen darfst - was ist da genau passiert, wer war das eigentlich - dass du gar nicht in die Akte schauen darfst. Also ich bin Journalistin und das, was mich am meisten interessiert, ist immer, wenn ich so einen Fall habe, ist die Akte. Zu sehen, was ist da eigentlich genau passiert. Das ist ja etwas, was du komplett außen vor lässt. Interessiert es dich denn manchmal, wenn der Prozess vorbei ist, liest du dann die Berichterstattung dazu?

Carola Klein [00:33:14] Ja, wenn es eine Berichterstattung gibt von der Presse, dann lese ich das natürlich. Das ist sowieso auch wichtig, auch darauf bereite ich vor. Wenn Presse im Saal ist, wenn man angesprochen wird, wie gehe ich denn damit um, wenn plötzlich Journalisten da stehen und Fotos machen wollen und so weiter. Das ist auch ein Teil absolut der Vorbereitung. Klar interessiert mich das. Aber was mich in der Tat viel, viel mehr interessiert ist, wie hat sich meine Klientin aufgestellt? Hat das geklappt? Was für Ungerechtigkeiten unter Umständen auch passieren in so einem Gerichtsverfahren, das interessiert mich natürlich schon und das ist eigentlich das, wofür ich brenne. Deswegen, die ganzen Inhalte, die finde ich ja selber extrem belastend. Im Gericht und auch natürlich bei der polizeilichen Vernehmung höre ich das eh, aber das blende ich aus. Ich blende das aus und ich vergesse das auch schnell, weil das ist nicht der Fokus, den ich habe und ich bin auch froh darüber, dass ich diesen Fokus nicht habe. Ich muss nicht entscheiden, ob da was vorgefallen ist, was strafrechtlich relevant ist und wie das Strafmaß ist. Das ist nicht meine Baustelle. Was ich da vielleicht privat zu denke, ist noch mal eine ganz andere Geschichte. Aber mein Fokus ist darin, dass die Frau stabil bleiben kann, dass es für sie nicht noch mal eine zusätzlich schlimme, traumatisierende Erfahrung ist. Denn es gibt ja sehr, sehr viele Menschen, die so etwas durchgemacht haben, die gesagt haben, ja, die Gewalt war total schlimm, aber was dann gefolgt ist, das war noch viel schlimmer für mich, weil man natürlich in der Situation oftmals auch die Hoffnung hat, dass einem jetzt Gerechtigkeit widerfährt, dass man gut behandelt wird, dass einem geholfen wird, auch von den beteiligten ermittelnden Behörden und so weiter. Das ist aber leider nicht selbstverständlich und das ist mitnichten grundsätzlich der Fall. Das heißt, das ist mein Fokus und davon profitiere ich und dafür brenne ich, dass ich halt die Person bin, die sagt, nee, hier, so kann man damit umgehen, damit man nicht noch mehr Schaden nimmt. Das interessiert mich an der ganzen Sache am allermeisten.

Nadia Kailouli [00:35:29] Carola Klein, ich finde es super, dass du uns heute so einen Einblick gegeben hast in deine Arbeit als psychosoziale Prozessbegleiterin. Vielen Dank, dass du heute bei uns warst, und ich lasse dich jetzt gehen, weil ich weiß, du hast noch ein Termin, sonst könnte ich noch 15.000 Fragen stellen.

Carola Klein [00:35:41] Ich würde gerne eine Sache, die wirklich wichtig ist, noch mal mit einbauen, vielleicht könnt ihr die noch irgendo reinnehmen. Ich finde das enorm wichtig, dass diese Information, dass es schon zum Ermittlungsverfahren, also wenn eine Anzeige passiert ist, dann gibt es hier in Berlin eben, beim Landeskriminalamt gibt es eine große Vernehmung, die wirklich über mehrere Stunden geht. Diese Termine werden auch sehr langfristig angesetzt. Das heißt, wenn die Frau zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht weiß, dass sie ein Recht auf eine Prozessbegleiterin hat und was das überhaupt ist und dass sie das vielleicht brauchen könnte und dorthin geht zu diesem Termin und das eben nicht hat, diese Unterstützung - es gibt auch sehr, sehr viele Opfer von schweren Straftaten, die können das auch alleine hinkriegen, das will ich nicht in Abrede stellen. Aber dass sie dann eigentlich, wenn sie dann schon endlich nach vielen Wochen oder gar Monaten diesen Termin hat und ihr dann gesagt wird, na ja, sie hätten jetzt eigentlich schon das Recht auf eine Prozessbegleiterin, aber da müssen Sie ja wieder noch mal drei, vier fünf Wochen warten, bevor dieser ganze Prozess der Beiordnung angelaufen ist, dann ziehen sie das doch jetzt mal durch. Das passiert. Und ich finde, jede Frau sollte vorab ausreichend diese Information haben, auch jedes Kind und jeder Mann, dass es das gibt und nicht sich sozusagen bequatschen lassen, dass dann doch jetzt schnell mal durchzuziehen, weil in der Regel ist das eine ganz, ganz belastende Situation, in der sie sich da wiederfindet und da hat sie auch schon im Ermittlungsverfahren und schon bei der ersten großen polizeilichen Vernehmung absolut das Recht und gute Gründe, das nicht allein durchzuziehen.

Nadia Kailouli [00:37:38] Und genau das streuen wir ungeschnitten so raus, damit es auch jede und jeder mitbekommt. Carola Klein, vielen Dank.

Carola Klein [00:37:43] Sehr gerne.

Nadia Kailouli [00:37:46] Also wenn mir eins nach diesem Gespräch heute klar geworden ist, dann wie gut ist das bitte, dass es Frauen wie Carola gibt, dass es diesen Beruf der psychosozialen Prozessbegleitung überhaupt gibt, denn wie wir ja heute, glaube ich, wirklich eindringlich gehört haben, ist mir hängen geblieben: Das ist total wichtig und auch total hilfreich. Und vor allem möchte ich jetzt einen Appell von Carola auch noch mal hier im Detail raushauen. Leute, streut das! Es gibt das und die Leute haben Anspruch darauf. Also wenn ihr Leute kennt, die vor einer Anzeige stehen, die vor einem Ermittlungsverfahren stehen, dann gib den Hinweis weiter, es gibt einen Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung. Es ist total hilfreich und jeder, der will, kann das in Anspruch nehmen. Ich finde es super. Und mehr Infos dazu findet ihr natürlich auch in unseren Shownotes.

Mehr Infos zur Folge

Wie kann ich mit traumatischen Erfahrungen umgehen, ohne dass die immer wiederkehren und mich daran hindern, über das Erlebte zu sprechen? Was tut mir gut, wenn ich in einem belastenden Gerichtsverfahren drin bin? Wovor habe ich die meiste Angst? Was hilft mir denn eigentlich, wenn ich so eine schwierige Situation bewältigen möchte, ohne komplett meine Stabilität zu verlieren? All das können Betroffene mit Carola besprechen.

In vielen Fällen – insbesondere bei schwerer Gewalt- und/oder Sexualstraftaten – wird eine solche Begleitung sogar kostenlos zur Verfügung gestellt. Die psychosoziale Prozessbegleitung hilft auch dabei, das Strafverfahren besser zu verstehen. Dadurch kann die ohnehin schon hohe Aufregung und Belastung reduziert werden und Kinder oder Jugendliche werden stabilisiert.

Portrait von Carola Klein

Dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt, wissen viel zu wenige. Dabei ist es total sinnvoll, sich von einem Profi durch ein Gerichtsverfahren begleiten zu lassen, dass ja für die meisten eine undurchsichtige und komplizierte und belastende Angelegenheit ist. Bei einbiszwei erklärt Carola Klein, warum die sogenannte „Psychoedukation“ dabei so wichtig ist, wie man Klient:innen auf wirklich unangenehme Fragen vorbereitet oder welche Techniken helfen, mit traumatischen Erfahrungen umzugehen. Gut also, dass es Menschen wie Carola gibt, die Betroffene professionell durch einen Prozess begleiten.

Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:

Informationen zur psychosozialen Prozessbegleitung und wie man sie bekommt, gibt es hier:
Bundesministerium der Justiz

Der Verein Lara e.V. ist eine Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen in Berlin und hat neben der Prozessbegleitung noch viele andere Angebote:
LARA – Fachstelle gegen Gewalt an Frauen

Informationen gibt es auch beim Bundesverband:
Bundesverband Psychosoziale Prozessbegleitung e.V. (BPP)

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

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