PODCAST | Folge 20 | Sandra Norak

„An den ersten Freier erinnere ich mich heute noch.“

“An den ersten Freier erinnere ich mich heute noch. Man will das nicht, das ist schlimm, das zerstört einen.” Was Sandra Norak erleben musste, ist entsetzlich. Sandra geriet mit noch nicht mal 18 Jahren an einen Mann, in den sie sich verliebte. Es war ihre erste große Liebe und irgendwann erzählte er ihr von seinen angeblichen Schulden. Er sagte, dass sie ihm helfen könnte, wenn sie sich für ihn prostituiert. Sandra wollte ihm helfen - und geriet immer tiefer in ein kriminelles Milieu, aus dem sie sich jahrelang nicht befreien konnte.




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Sandra Norak [00:00:00] Da hat ein Mensch mich sexuell missbraucht. Und davon trägt man Schäden davon. Davon trägt man Traumata davon. Man fühlt sich dreckig, man fühlt sich wertlos. Ich hatte das Gefühl, ich kann mit niemandem darüber sprechen, außer mit meinen Tätern.

Nadia Kailouli [00:00:16] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei - damit sich was ändert.

Nadia Kailouli [00:00:42] Ich werde nie wieder der Mensch sein, der ich mal war. Das hat Sandra Norak gesagt, die mir ihre wirklich sehr heftige Geschichte erzählt hat. Sandra geriet mit noch nicht mal 18 Jahren an einen Mann, in den sie sich verliebte. Er war ihre erste große Liebe und irgendwann erzählte er von seinen angeblichen Schulden. Er sagte, dass sie ihm helfen könnte, wenn sie sich für ihn prostituiert. Und Sandra wollte ihm dann irgendwann helfen. An ihren ersten Freier erinnert sie sich noch ganz genau, sagt Sandra. Loverboy-Methode nennt man das, wenn Frauen durch psychische Manipulation in die Prostitution gezwungen werden und fast sechs Jahre war Sandra in einer kriminellen Welt. Ihr ist viel Schlimmes passiert und sie musste mit ansehen, was mit Frauen passiert, die sich wehren und lebte dadurch auch jahrelang in Angst. In dieser Folge gibt es explizite Schilderungen sexualisierter Gewalt. Wenn es euch damit nicht gut geht, hört die Folge lieber nicht alleine. In den Shownotes findet ihr Hilfsangebote, an die ihr euch wenden könnt. Sandra Norak, hallo!

Sandra Norak [00:01:42] Hallo!

Nadia Kailouli [00:01:43] Ich sage es, wie es ist. Wir sitzen nicht zusammen in einem Studio, du konntest uns leider hier nicht in Berlin besuchen, deswegen sind wir uns zugeschaltet. Wir sehen uns, wir hören uns und wir sprechen heute sehr intim über eine Zeit in deinem Leben.

Sandra Norak [00:01:57] Ja, schön bei euch zu sein, auch von der Ferne aus.

Nadia Kailouli [00:02:01] Ja, ich finde es super, dass wir mit dir sprechen können und dass du heute bereit bist, auch mit uns sehr offen darüber zu sprechen. Ich sage es einfach direkt, wie es ist: Es geht um Zwangsprostitution, die du erlebt hast. Wie war das? Wie kam das? Wie alt warst du?

Sandra Norak [00:02:17] Also, ich war von der sogenannten Loverboy-Methode betroffen, dass ist eine Form von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Und ich war damals noch minderjährig, war 16 Jahre alt, als damals der Rekrutierungs-Prozess begonnen hat, das war ein längerer Prozess. Bei mir war es damals so, dass ich sehr schwierige Familienverhältnisse gehabt habe und Menschenhändler suchen sich vor allem auch junge, vulnerable Frauen aus, die sowieso nicht viel Halt haben, die vielleicht auch schon vorgeschädigt sind, was Traumata, was Gewalterfahrungen angeht. Und diese Sachen sind bei mir vorgelegen durch die psychische Erkrankung meiner Mutter und ich habe sehr viel Zeit damals im Internet verbracht, ich habe nicht sehr viel mit Menschen gesprochen über meine Probleme und habe dann sehr viel Zeit im Internet verbracht und bin dann zunächst auf eine Frau gestoßen, die früher für ihn in der Prostitution war, also die quasi auch sexuell ausgebeutet wurde, was ganz oft vorkommt, dass dann Frauen eben quasi, die selber ausgebeutet wurden, für ihren eigenen Zuhälter dann andere Frauen suchen, um der eigenen Ausbeutung zu entkommen.

Nadia Kailouli [00:03:41] Das wollen wir natürlich genau wissen, wie das überhaupt dazu gekommen ist. Ich würde dir gerne ganz offen sagen, wie das gerade auf mich wirkt. Ich habe gerade das Gefühl gehabt, wow, ich spreche mit einer Expertin, weil du gleich so Fachbegriffe genommen hast wie Ausbeutung, vulnerabel und und und - und da dachte ich direkt so, oh, krass, berät sie Menschen, die das erlebt haben, oder hat sie es selber erlebt? Verrstehst du, wie ich meine? Ich hab gleich das Gefühl gehabt, wow, Frau Norak ist im Business, eben nicht der Zwangsprostitution, sondern eben um da im fachlichen Sinne auch aufzuklären. Das fällt mir sofort auf.

Sandra Norak [00:04:18] Ja, das ist mir auch total wichtig und sehr oft ist es ja leider so, dass...Betroffene sind ja die, die es durchlebt haben und die in verschiedener Weise auch ganz viele eigene Fähigkeiten haben und intelligente Menschen sind, die auch nicht nur über ihre eigene Geschichte erzählen können, sondern natürlich auch durch das, was sie erlebt haben, auch anderen helfen können und auch andere Menschen, die in dem Bereich arbeiten, auch beraten können. Denn natürlich kann man verschiedene Sachen studieren, aber ich glaube, man kann so viele Bücher lesen, wie man möchte und so viele - es ist einfach die Erfahrung von Menschen, die das Ganze durchlebt haben. Die sind sehr wichtig, auch wenn man Gesetze berät, auch bei Behörden, dass man einfach, sage ich mal, die Sachen mitgeteilt bekommt, wo Betroffene dann auch denken oder wo ich aus Betroffenen-Sicht auch sagen kann, mit dem und dem und dem könnte man beispielsweise Dinge verbessern in dem Bereich.

Nadia Kailouli [00:05:29] Damit wir gleich besser verstehen, warum du eben nicht nur eine Betroffene bist, sondern eben heute auch berätst, lass uns gerne noch mal in deine Geschichte gehen, die in deiner Jugend angefangen hat. Vorneweg: Du berätst heute auch wirklich im juristischen Sinne, du bist nämlich Rechtsanwältin. Das sei an dieser Stelle schon mal gesagt.

Sandra Norak [00:05:51] Ne, bitte tatsächlich noch nicht. Also ich habe mein Jurastudium beendet und bin gerade im Referendariat.

Nadia Kailouli [00:05:55] Na also, dann ist es doch kurz davor, komm. Also, man kann dich noch nicht buchen, aber bald als Rechtsberatung. Die Leute warten darauf, dass das jetzt losgeht. Aber, genau, um das eben hier schon mal deutlich zu machen, dass du dich damit eben so weit auseinander gesetzt hast als heutige erwachsene Frau, dass du wirklich andere Frauen berätst. Aber wir wollen noch mal besser verstehen, was damals mit dir los war. Dass du eben ins Internet gegangen bist und da eben an diesen Loverboy geraten bist. Da wusstest du ja noch nicht von deiner, ja, ich sage jetzt mal, vulnerablen Seite, wie du es heute weißt.

Sandra Norak [00:06:37] Nein, überhaupt nicht. Und man denkt ja auch als junger Mensch nicht, also vor allem als junger Mensch, aber auch Menschen, denen ich jetzt begegne und die noch nie was von dieser Masche gehört haben, die denken ja auch erst mal nicht, dass es so was gibt, wenn man so was nicht weiß. Und ich war ja damals in einer Situation, wo ich nicht gedacht habe, ich habe da jetzt einen Menschenhändler kennengelernt oder Zwangsprostitution, diese Sachen hat man ja gar nicht im Kopf. Also ich bin in einer niederbayerischen Kleinstadt aufgewachsen und da war Prostitution überhaupt kein Thema. Und wenn man sich dann in einen Menschen verliebt - und es ist ja bei dieser Loverboy-Methode so, dass diese Männer eine emotionale Bindung aufbauen und am Anfang die Prostitution gar kein Thema ist, sondern erst, wenn diese Bindung besteht, dass dann die Männer anfangen, die Frauen in die Prostitution zu drängen und zu zwingen. Und da kommt man als Mensch nicht drauf, dass es einfach so Menschen gibt, die von Anfang an so den Vorsatz haben, so was dann später auch zu tun.

Nadia Kailouli [00:07:41] Wie sah diese Methode bei dir aus? Du hast ja eben erzählt, dir ging es als Jugendliche nicht so gut, deine Mutter hatte Probleme, du hast dich ins Internet geflüchtet. Eigentlich ein ganz normaler Weg, den viele Jugendliche gehen, sich dann irgendwie in Chats reinzubringen oder halt einfach zu gucken, neue Leute kennenzulernen. Und dann bist du auf diesen Mann gestoßen. Wie hat er Kontakt mit dir aufgenommen?

Sandra Norak [00:08:04] Also zunächst, wie ich gesagt habe, durch diese Frau am Anfang, im Internet. Und die hat mich dann irgendwann an ihn vermittelt und hat gesagt, ja, sie hat da einen Freund und dann haben wir so Online-Spiele zusammen gespielt, das war auch so ein Kriegsspiel, also ganz normale Sachen am Anfang. Und von Prostitution war, wie gesagt, überhaupt keine Rede. Und er hat mir dann auch das Gefühl gegeben, er ist für mich da und ich habe dann auch so eine Bindung aufgebaut, auch wenn es nur über das Internet ist, aber wenn man keinen Menschen hat, ansonsten, dann kann man auch so eine Bindung aufbauen. Und dann haben wir uns das erste Mal getroffen, er kam dann in meine Stadt, da war aber von Prostitution auch noch gar nicht die Rede und ich war ja noch Schülerin und bin ihn dann immer am Wochenende, in seiner Stadt, bin ich mit dem Zug hingefahren und habe ihn besucht und irgendwann standen wir dann auf einmal in einem Bordell.

Nadia Kailouli [00:08:53] Und hattet ihr davor schon eine Form von Liebesbeziehung oder wart ihr Freunde?

Sandra Norak [00:09:00] Nein, also wir waren dann schon in einer Beziehung. Also, ich war verliebt in ihn, er hat gesagt, er war verliebt in mich - war er natürlich, sage ich jetzt mal nachblickend, nicht, aber das wusste ich ja früher nicht, dass das alles nur eine Masche ist. Und dann standen wir in diesem Bordell, und ich habe natürlich damit überhaupt nicht gerechnet. Er hatte zu mir gesagt, wir gehen zu seinen Freunden, er nimmt mich zu seinen Freunden mit. Ich meine, wie man das eben so macht, wenn man in einer Beziehung ist, man geht irgendwie zusammen zu Freunden, trifft sich und dann standen wir eben in diesem Bordell. Und, ja, auf meine Frage hin, warum wir jetzt in dem Bordell sind oder warum er irgendwie Freunde in dem Bordell hat, hat er dann gleich sehr aufbrausend reagiert und mir dann gleich über den Mund gefahren und gemeint, ja, ich solle mich halt nicht so anstellen und es ist ja ein ganz normaler Ort wie jeder andere auch. Ob ich jetzt ins Restaurant geht oder ob ich jetzt ins Bordell gehe, ist halt ein ganz normaler Beruf und er hat eben da seine Freunde und das sei ja alles ganz normal. Und da ging es aber noch nicht darum, dass ich mich selber prostituiere, sondern er hat mich da erst mal so eingeführt, also erst mal mitgenommen.

Nadia Kailouli [00:10:17] Dann blieb es dabei aber eben nicht, sondern er hat es geschafft, dass auch du dich prostituiert hast. Wie war das? Wie war dieser Schritt dahin, dass du dann eben Zwangsprostitution machen musstest, ja dann in dem Fall wirklich?

Sandra Norak [00:10:32] Ja, es war dann so, dass wir an einem Tag wieder an dieses Bordell gegangen sind und dann beim Hingehen hat er mich gefragt, ja, möchtest du das nicht auch mal machen? Du hast ja jetzt gesehen, da kann man gut Geld mit verdienen. Ist ja nichts dabei, machen ja alle Frauen hier, willst du das nicht auch mal machen? Ich habe dann zu ihm gesagt, nee. Ich habe mir das immer so gedacht, wenn er seine Freunde hat, ich will ihn nicht verurteilen für seinen Freundeskreis. Ich will auch nicht die Frauen verurteilen oder irgendjemanden, weil ich kenne ja diese Menschen nicht und ich bin nicht jemand, der Menschen für irgendwas verurteilt. Und deswegen habe ich mir immer gedacht, ja, ich kann da ja mitgehen. Und als dann die Frage kam, habe ich gesagt, nee, ich möchte das nicht. Und ja, dann ist es halt in dieses andere Stadium übergegangen, was bei der Loverboy-Methode halt auch üblich ist. Also bei mir war es so, dass er dann angefangen hat mit, ja, er hätte Schulden, ich würde ihm nicht helfen wollen, ich könne ihn ja nicht lieben, wenn ich ihm nicht helfe. Und ich wusste damals natürlich auch dadurch, dass ich schon öfter mit ihm mitgegangen bin, dass er mit sehr unspaßigen Leuten zu tun hatte, also auch beispielsweise diesen Hells Angels, also diesen Rocker-Gruppierungen auch. Und diese Leute, mit denen er da Kaffee getrunken hat, das waren ja keine, sag ich mal, normalen, soliden Leute, die man immer auf der Straße trifft, sondern das waren ja furchteinflößende Leute.

Nadia Kailouli [00:12:08] Dementsprechend hast du ihn ernst genommen, nach dem Motto, ich habe hier Probleme, dass du das auch so gesehen hast, so, okay, mein Freund steckt da in Schwierigkeiten.

Sandra Norak [00:12:16] Ja, und er hat eben auch gesagt, aufgrund dass er kein Geld hat, macht er quasi mit diesen Leuten so gefährliche Aktionen und Geschäfte um eben an Geld zu kommen. Und wenn ich ihm quasi nicht helfe da Schulden abzubezahlen, dann müsse er eben wieder diese Sachen machen, die ja auch eine Gefahr für ihn darstellen. Und ich habe das aber dann trotzdem erstmal nicht gemacht, weil ich meine, ich war schockiert allein von der Frage, dass er jetzt möchte, dass ich das mache und bin dann eben wieder nach Hause gefahren. Und dann war das so ein Distanz-Liebesentzug, so ein ich entziehe mich, sage ich mal. Und dann habe ich ihn angerufen und habe gefragt, was los ist, weil ich das auch nicht verstanden habe, weil ich hatte ja sonst ständig Kontakt mit ihm. Und dann meinte er zu mir am Telefon, ja, er sei jetzt gerade wieder in so einer Aktion und wenn ich ihm nicht helfen würde, dann könne ich ihn ja nicht lieben. Und ja, er hat mich so hingestellt, als wäre ich quasi ein schlechter Mensch und als würde ich ihn hängen lassen und quasi in Kauf nehmen, dass ihm was passiert, nur weil ich diese "Kleinigkeit" - er hat es so verkauft, diese "Kleinigkeit" - nicht tun will, mich zu prostituieren. Also ich bringe dieses kleine Opfer nicht und nehme in Kauf, dass ihm was Schlimmes passiert. So wurde das dargestellt und so habe ich dann letztlich auch angefangen.

Nadia Kailouli [00:13:48] Das heißt, somit hat er dich dazu gebracht, so als Liebesbeweis von deiner Seite dich prostituieren zu lassen. Du hast ja wahrscheinlich, also so wie du das schilderst, ziemlich schnell gemerkt. Oh Gott, ich will das nicht. Als du dann das erste Mal eben Sex hattest, als Prostituierte, da muss ja dein Gefühl gewesen sein, was mache ich hier eigentlich? Das kann ich nicht, das will ich nicht.

Sandra Norak [00:14:14] Ja, aber das ist tatsächlich das Problem an der Sache, dass wenn man erstmal in diese Sachen reinrutscht und erstmal diese Sachen anfängt, dass es dann ganz schwierig ist, da wieder rauszukommen. Also ich sag immer, dass ich mich an den ersten Freier beispielsweise sehr gut erinnern konnte und auch an meine Reaktion, wie du gesagt hast, da hat man eben diese normalen Reaktionen, man man will das nicht, das ist schlimm, das zerstört einen, das tut einem weh, auch ganz große Scham. Also ich habe mich auch total geschämt und dieser Freier, den ich da am Anfang hatte - ich sah immer jünger aus als ich war und der wusste auch, dass das nicht wirklich selbstbestimmt sein kann. Da hat mich eine Frau eingearbeitet, ich wusste nicht, wie man ein Kondom benutzt, nichts, weil ich total unerfahren war und ich hatte vor meinem Zuhälter auch keinen Freund oder irgendwelche sexuellen Erfahrungen. Also ich war komplett unerfahren einfach und das hat er auch gesehen. Und das Problem ist aber - und deswegen machen das Zuhälter auch - dass sie ihre Frauen entweder vergewaltigen lassen oder, wie man das nennt, sie einreiten oder ihnen halt sexuelle Gewalt antun, um ihren Willen auszubrechen.

Nadia Kailouli [00:15:29] Wie meinst du das, ihren Willen zu brechen?

Sandra Norak [00:15:34] Na ja, es ist ja nicht so, wenn ich jetzt den Freier nehmen, mit dem ich zum ersten Mal da auf dem Zimmer war. Das ist ja nicht so, als hätte ich jetzt irgendwie keine Lust gehabt, Rasen zu mähen und hab jetzt aber Rasen gemäht, sondern da hat ein Mensch mich sexuell missbraucht. Und davon trägt man Schäden davon. Davon trägt man Traumata davon. Man fühlt sich dreckig, man fühlt sich wertlos. Ich hatte das Gefühl, ich kann mit niemandem darüber sprechen, außer mit meinen Tätern, die ich damals nicht als Täter bezeichnet habe. Aber ich konnte nicht zu einer Schulfreundin gehen und sagen, mir ist das und das passiert. Und diese Schädigung allein schon durch diesen ersten Freier, also das, was das mit meiner Psyche gemacht hat, das war für mich schon...ich war dann auf einmal in dieser Welt drin und habe auch für mich, das war so ein einschneidendes Erlebnis, dass es einfach so prägend war, dass man mit niemandem sprechen konnte. Und, ja, auch in dem Fall natürlich schon auch wie eine Würde-Verletzung, wie etwas...ich mein, ich habe in meiner ganzen Zeit auch viele Frauen kennengelernt, die dann ewig lang geduscht haben nach diesen Freier-Zimmergang, die versucht haben, wie als ob sie, ja, irgendwie abwaschbaren Dreck an der Haut hätten, das wieder runter zu waschen. Aber das kriegst du halt nicht mehr runter. Und das ist halt auch der Grund, warum viele Frauen dann, sage ich mal, auch noch ohne Zuhälter in der Prostitution bleiben. Weil die sich sagen, ich bin schon das und ich bin nur noch das. Also egal, ob ich jetzt aufhöre oder nicht, ich werde immer diesen Stempel auf mir tragen, dass ich mal eine Prostituierte war. Die sehen das halt so, ich meine, Zwangsprostituierte, sexuelle Ausbeutung. Und das wird sich nie wieder ändern, was da passiert ist und deswegen, das hat mich einfach so geprägt. Und warum soll ich noch aussteigen? Ich werde nie wieder dieser Mensch sein, der ich vorher war.

Nadia Kailouli [00:17:57] Ich glaube, genau das ist das, wo viele sehr viele Fragen haben oder deine Antwort, so wie du sie jetzt gegeben hast, gar nicht nachvollziehen können. Weil man sich natürlich denkt, Moment mal, Sandra ist das passiert. Das hat sie sozusagen als Liebesbeweis an ihren Partner gemacht, dieser Loverboy, der dich komplett manipuliert hat. Und man fragt sich natürlich, wieso konnte sie denn nicht einfach sagen, nee, das ist es nicht? Warum konnte sie nicht erkennen,  Moment mal, das kann ja keine Liebe sein von deinem Zuhälter, sondern das ist pure Ausbeutung. Kannst du uns versuchen zu erklären, was da in dir vorgegangen ist? Dass man sich eben nicht so leicht aus dieser Zwangsprostitution lösen kann.

Sandra Norak [00:18:36] Naja, ich sag mal, Zuhälter suchen sich ja, wie ich gesagt hab, vorher schon Frauen aus, die schon, sage ich mal - bei mir war es damals beispielsweise so, dass ich aufgrund der Situation und der erlebten Gewalt zu Hause schon magersüchtig war, mich selbst verletzt habe, darauf schauen Zuhälter auch. Und ich mein den Satz, den ich immer sage ist - und der auch tatsächlich so ist - wenn ich mich schon selbst verletze, also wenn ich mir schon die Arme aufschneide, wenn ich mich schon halb zu Tode hungere, dann ist der Schritt in die Prostitution, wo andere einen verletzen, ja auch nicht mehr weit. Also wenn ich mir schon selbst weh tue, dann ist es für Zuhälter sehr einfach, die Frauen auch in die Prostitution zu drängen. Und das ganz große Problem ist dieses Trauma und das schon nach einer Erfahrung. Und das ist ja der Grund, wie ich es vorher schon versucht habe zu beschreiben, Zuhälter versuchen den Willen der Frauen zu brechen. Und viele Menschen verstehen nicht, welche Ausmaße sexuelle Gewalt haben kann, also was das mit Menschen machen kann. Und ich habe ganz viel mit Betroffenen zu tun, die sexuelle Ausbeutung durchlebt haben, die Zwangsprostitution erlebt haben, die dann aber, ja, in die freiwillige Prostitution übergehen. Und da fragt man sich als Außenstehender natürlich, wenn das alles so schlimm war, warum gehst du dann nicht? Und das ist aber einfach so, dass diese Sachen, die man da durchlebt hat, dass die so prägend waren. Ich habe mich dann auch so gesellschaftsunwürdig gefühlt und für mich war, ja, ich habe bei meinem Ausstiegsprozess auch ganz oft gedacht, vielleicht sollte ich den Ausstieg einfach lassen, weil ich mich nicht mehr dieser Gesellschaft zugehörig fühle. Man wird ja als Prostituierte auch stigmatisiert und behandelt, als wäre man der Rand der Gesellschaft. 

Nadia Kailouli [00:20:41] Ich will gar nicht zu sehr darüber sprechen, wie diese Zeit als Zwangsprostituierte war. Ich glaube, da haben wir jetzt einen, ich will sagen, guten Eindruck bekommen, dass das eben keine gute Zeit war, dass es eine schlimme Zeit war und dass du dir das so nicht ausgesucht hast, sondern durch absolute psychische Manipulation da reingeraten bist. Aber natürlich wollen wir wissen, wie hast du es denn dann rausgeschafft?

Sandra Norak [00:21:05] Na ja, psychische Manipulation, das war vielleicht die Frage von dir vorher auch noch, ich mein, wenn dir ein Mensch - und bei mir war das die erste Liebe. Und ich war minderjährig. Und die erste Liebe ist glaube ich für jeden was besonderes und ich hatte damals  Angst, dass diesem Menschen was passiert und dass es in meiner Verantwortung liegt, dass diesem Menschen eben nichts passiert. Und natürlich bleibt es nicht nur bei psychischer Manipulation, sondern es kommen dann Angst hinzu, Drohungen hinzu, das ist ja ein kriminelles Milieu. Da laufen lauter Straftäter, also lauter kriminelle Menschen rum. Und man wird da in eine Welt geworfen, die einem komplett fremd einfach ist.

Nadia Kailouli [00:22:13] Und wie bist du rausgekommen aus dieser kriminellen Welt?

Sandra Norak [00:22:18] Der Ausstieg war bei mir ein längerer Prozess und der war auch sehr schwierig. Mein Zuhälter hatte mich dann auch in ein Bordell gebracht, wo ich dann auch zwei Jahre lang im Keller gewohnt habe. Und er kam dort immer hin, um Geld zu kassieren. Und das war aber schon die Zeit - ich meine, natürlich ist man nicht jahrelang verliebt und merkt nicht, was da los ist. Aber, wie gesagt, man hat auch Angst. Man sieht, was mit Frauen passiert, die nicht funktionieren, die sich wehren, die dann geschlagen werden, die auch verschwinden. Und ja, da steht auch die Angst natürlich dann im Vordergrund. Und er hat dann immer sein Geld geholt. Ich habe zu ihm gesagt, ich kann nicht mehr, er soll mich in Ruhe lassen. Und er kam aber halt trotzdem immer wieder und es war ein legales Bordell. Und das ging so lange, bis ich dann einen kompletten psychischen Zusammenbruch hatte. Ich bin dann in die Notaufnahme gekommen, ich hatte massive Panikattacken, konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Also quasi wie's mir gegangen ist, hat sich in meinem Körper auch manifestiert. Und das hat dann letztlich dazu geführt, dass ich nicht mehr so lukrativ für ihn war und mehr Probleme gemacht habe, als dass ich ihm Geld gebracht hätte.

Nadia Kailouli [00:23:51] Ja, ich finde, das klingt so, das klingt so furchtbar, aber genau so furchtbar ist es ja. So wie du das jetzt beschreibst, dass du nicht mehr lukrativ genug warst, weil du eben dadurch krank geworden bist, dein Körper einfach gesagt hat, ich kann nicht mehr. Und dann, wie du das jetzt beschrieben hast, dass so nicht mehr lukrativ genug warst, zeigt eben diese kriminellen Machenschaften, die auch dahinter stecken, die furchtbar klingen, aber das eben die absolute Realität ist, die du so erlebt hast.

Sandra Norak [00:24:21] Ja, und nicht nur ich, sondern viele andere Frauen. Ich habe auch ein Netzwerk von Betroffenen von Menschenhandel und Ausbeutung. Und das ist ja leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel, was in Deutschland da passiert und stattfindet. Und, wie gesagt, man ist sehr schnell drin. Und auch durch die ganze Verharmlosung der Medien sieht man auch, dass Frauen beispielsweise auch freiwillig einsteigen, weil sie eben beispielsweise gesagt bekommen, ja, damit kann man sich einfach sein Studium verdienen, alles kein Problem, und die dann da reinrutschen und halt beispielsweise danach auf einen Zuhälter treffen oder dann eben traumatisiert werden von von diesem Akt mit den Freiern. Nur weil das Geld fließt, bedeutet ja nicht automatisch auch, dass es für dich ertragbar wird, denn du willst es ja trotzdem nicht, was da stattfindet. Und sehr viele Menschen unterschätzen eben, was das mit der Psyche des Menschen macht und dass das die Psyche eines Menschen eben so kaputt machen kann, dass er da auch psychisch nicht mehr rauskommt.

Nadia Kailouli [00:25:29] Wie hast du es aber geschafft, da dann auch psychisch raus zu kommen? Wie wir ja am Anfang gesagt haben, du bist dabei Rechtsanwältin zu werden, du bist jetzt hier nicht physisch vor mir, aber ich sehe dich über über den Computer, du machst auf mich nicht den Eindruck, als wärst du so belastet, dass du nicht drüber sprechen kannst. Du hast also irgendwie einen Weg gefunden, das zu verarbeiten. Ist das so?

Sandra Norak [00:26:00] Also ich versuche dadurch, dass ich eben diese Arbeit mache - also ich arbeite wirklich sehr viel. Und ja, mir ist es auch wichtig, anderen Betroffenen zu helfen und auch präventiv zu arbeiten.

Nadia Kailouli [00:26:12] Wie machst du das genau? Also kommen die auf dich zu, weil du warst ja schon in Talkshows und so, man kann viel von dir sehen, viel von dir lesen. Finden dich so die Frauen, die sich dann bei dir melden?

Sandra Norak [00:26:28] Ja, viele finden mich so durchs Internet, die schon irgendwelche Berichte gesehen haben. Oder wir haben jetzt auch auf unserer Homepage eine Handynummer, wo man sich auch melden kann, wenn man Hilfe braucht, wenn man einfach mal reden möchte. Und ja, es sind wirklich schlimme Schicksale, sage ich mal, und viele denken dann, wenn man ausgestiegen ist, dann ist es vorbei. Aber für die meisten, die das durchlebt haben, fängt dann der eigentliche Kampf erst richtig an, auch der Kampf mit sich selbst eben. Weil das Problem ist, dass man so wenig Selbstwertgefühl dann hat, weil man einfach, ich muss das jetzt mal so sagen, einfach wie der letzte Dreck behandelt wurde. Und das ist ja das Intimste eines Menschen. Es gibt nichts schlimmeres was man den Menschen nehmen kann als das.

Nadia Kailouli [00:27:25] Wie man so schön sagt, die Würde des Menschen ist unantastbar. Aber wir sehen, dass es dann eben nicht so ist oder in diesem Bereich eben definitiv nicht so ist.

Sandra Norak [00:27:34] Nein, und gewisse Sachen kann man auch nicht wieder so einfach gut machen. Also die meisten sind Jahre, Jahrzehnte traumatisiert von dem, was sie durchlebt haben.

Nadia Kailouli [00:27:47] Warum ist dir das so wichtig? Ich mein, du hättest ja auch einfach sagen können, als du es dann da rausgeschafft hast, als du dich wieder aufgebaut hast, zu sagen, okay, cut, das ist jetzt ein Teil meines Lebens, das liegt in der Vergangenheit, ich schaue jetzt nach vorne und am besten soll niemand wissen, was da eigentlich passiert ist.

Sandra Norak [00:28:04] Weil es mir wichtig ist, andere Menschen davor zu bewahren. Auch wenn das Leben anders wirklich einfacher wäre. Weil ich vertrete natürlich eine Position und setze mich auch für Änderungen der Gesetzgebung ein, hin zum sogenannten nordischen Modell, was unter anderem den Sex-Kauf verbiete, den Profit der Prostitution anderer verbietet. Also bedeutet, da werden auch Bordellbetreiber und Zuhälter jeglicher Art unter Strafe gestellt. Bei uns ist ja nur dirigistische und ausbeuterische Zuhälterei strafbar. Und den Leuten gefällt es natürlich nicht, was ich da mache und was andere da machen. Und deswegen werde ich sehr oft auch angefeindet und es ist schon alles ziemlich anstrengend. Aber ich glaube, das ist es einfach wert. Und die Rückmeldungen, die man dann auch bekommt, also vor allem von Betroffenen und für die mache ich das ja. Ja, es ist das Ganze wert. Weil ich meine, die Männer, die zu mir gekommen sind, das waren Männer aus der deutschen Gesellschaft, vor allem. Alle möglichen Berufe, alle möglichen Professionen, die jedes Ehemann sein könnten. Und deswegen betrifft es die ganze Gesellschaft.

Nadia Kailouli [00:29:29] Es gibt so viele Punkte, auf die ich gerne näher eingehen möchte. Fangen wir vielleicht damit an: Du hattest eben gesagt, dass viele sich dann auch nicht trauen, darüber zu sprechen, weil sie so sagen, ach, ich bin sowieso am Rand der Gesellschaft. Wir reden jetzt mit dir sehr offen darüber, wie du eben Zwangsprostitution erlebt hast, wie du dich heute dafür engagierst und aufmerksam machst und auch vor allem Hilfe leisten möchtest an die Frauen, die das auch erleben, die auf dich zukommen können und bei dir so eine Art Beratung auch bekommen. Auf der anderen Seite leben wir ja jetzt gerade auch in der Gesellschaft, wo wir ganz offen darüber reden, ach, Prostitution - also habe erst vor ein paar Tagen eine Reportage gesehen, wo eine Escort-Frau begleitet worden ist in ihrem Job, die ganz klar gesagt hat, es gibt keinen Unterschied zwischen Prostitution und Escort. Alles, was nicht freiwillig ist, ist eben sexueller Missbrauch, so wie du das ja eben auch beschrieben hast. Aber es wird so, ich weiß nicht, ob das das richtige Wort ist, so trendig zu zeigen, so guck mal: Prostitution. Gerade in der Corona Pandemie wurde ja sehr viel über Prostitution gesprochen, weil das ein Berufszweig war, der irgendwie nicht abgesichert worden ist mit Arbeitsausfällen etc.. Wie stehst du dazu, wenn du darauf blickst, wie heute über Prostitution berichtet wird, was man ja, das ist auch ganz wichtig, nicht mit Zwangsprostitution gleichstellen kann.

Sandra Norak [00:30:49] Also ich finde die Debatte ganz schwierig, denn ich bin ja nicht gegen Frauen, die sich prostituieren. Ich meine, ich war ja selbst eine. Und das Problem ist aber, dass man auf die Gesamtzustände schauen muss und dass man jetzt als Gesellschaft nicht sagen kann, so, wir machen jetzt ein Gesetz zu Prostitution und gucken auf die einigen wenigen selbstbestimmten, sage ich mal, die sagen, sie sind selbstbestimmt, die, die du gerade genannt hast, sondern was sitzt denn in den Bordellen? Also wie viel Elend gibt es in diesem Bereich, in diesem Land? Und auf jede Polizeidienststelle, wenn man geht, erfährt man, 80 bis 90 % kommen aus dem Ausland. Die sprechen oftmals nicht mal Deutsch. Die haben irgendwelche Männer im Hintergrund stehen, die nicht in dieser Art und Weise selbstbestimmt sind. Und da muss ich mich natürlich als Gesellschaft und auch als Gesetzgeber habe ich die Verantwortung zu sagen: ich muss die Masse, die sich nicht schützen kann, ich bin dazu verpflichtet, die Masse, die sich nicht schützen kann, zu schützen. Denn die anderen, die können sich ja schützen, die sind ja selbstbestimmt. Und das Problem ist auch Prostitution und Zwangsprostitution. Die Grenzen sind sehr oft so fließend. Also auch wenn du beispielsweise meinen Fall anguckst. Oder wenn man auch sich andere Fälle anschaut oder beispielsweise eine Frau, die zwangsprostituiert wurde, die dann aber so viel schlimme Gewalt erlebt hat und dann weiter, sage ich mal, sich prostituiert, nicht weil sie es will, sondern weil sie da reingezwungen wurde und weil sie so kaputt gemacht wurde, dass sie den Ausstieg nicht mehr schafft. Die meiste Prostitution, die wir in Deutschland haben, ist keine Prostitution, sondern sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel und Zwangsprostitution. Und wenn die Masse nicht in der Prostitution sein möchte, dann muss ich kein Gesetz schaffen, was die Prostitution regelt, sondern dann muss ich ein Gesetz schaffen, was verhindert, dass man diese Menschen als Freier, sag ich mal, sexuell benutzen kann. Und wenn man sich in Freier-Foren mal umsieht, wie menschenverachtend die da schreiben über die Frauen, die sie quasi bewerten, also sie geben dann eine Bewertung ab über ihren Besuch bei diesen Frauen. Die schreiben offen davon, dass sie gewalttätig waren, die schreiben offen davon, dass der Zuhälter daneben stand. Und schreiben dann noch irgendwelche Lach-Smilies daneben. Und das sind dann die Ehemänner, die wieder nach Hause kommen und sich dann neben ihre Frau ins Bett legen und dem Kind noch einen Kuss vorher geben. In dieser Gesellschaft leben wir. Und deswegen regt es mich schon sehr auf, wenn die Medien dann diejenigen wenigen immer noch nach vorne schieben, die sagen Sexarbeit ist meine Berufung. Denn für die aller aller überwiegende Masse ist es der Untergang, der absolute Untergang. Und da ist es einfach eine Abwägung. Und die haben wir ja auch gesetzlich, zum Beispiel im Grundgesetz. Also die Berufsfreiheit kann auch eingeschränkt werden, wenn es zum Schutz von Leben und Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit von sehr vielen dient. Und auch diese Abwägungs-Entscheidungen müssen wir da meines Erachtens ganz einfach treffen.

Nadia Kailouli [00:34:21] Wie bekommen wir da deiner Meinung nach die Zugänge? Also dass wir eine Gesetzgebung so schnell verändern, das wissen wir, das ist eben schwierig. Aber wie kriegen wir Zugänge, um eben besser in diese Milieus reinzukommen, wo eben nicht die freiwillige Prostitution stattfindet, sondern die Zwangsprostitution? Weil gerade diese Räume werden ja so geschützt, weil man will ja den Familienvater, den Vorstandsvorsitzenden, den was weiß ich ja nicht vorführen. Das ist ja genau das Klientel, die geschützt werden sollen. Aber wie schaffen wir es, da rein zu kommen und zu sagen, okay, das ist Menschenhandel, was hier stattfindet, weil das sind ja eben gerade die Bereiche, wo Stahltüren davorstehen.

Sandra Norak [00:35:06] Das ist das ganz große Problem. Also, ich tausche mich sehr viel mit Fachleuten auch aus, aus dem Bereich von Polizei und Staatsanwaltschaft. Und die meisten Frauen, und das habe ich auch wenn sie Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution und sexueller Ausbeutung sind, wenn man auch in ein legales Bordell reingeht und sie damit konfrontiert, die allermeisten sagen, sie machen es freiwillig. Weil sie Angst haben, weil sie bedroht werden, weil sie eine Bindung zum Täter haben. Und das ist das große Problem in diesem Bereich, dass man durch diese Gesetze, die wir haben, da nicht, sage ich mal, in einem Ausmaß dagegen angehen kann, dass man wirklich die Menschenwürde vieler schützen könnte. Denn bei uns spielt sich das alles in einem legalen Umfeld ab und wenn natürlich die Polizei auf Frauen trifft und die sagen, die machen das alle freiwillig - man kann natürlich verdeckte Ermittlungen einleiten, beispielsweise. Aber das Problem ist, das ist so eine große Masse. Wir reden ja davon, dass wir zwischen 200.000 und 400.000 Frauen in der Prostitution haben. Wenn ich mich jetzt mit Leuten aus der Polizei unterhalte, die seit Jahrzehnten in diesem Bereich waren und gearbeitet haben, und die sagen zwischen, ja, bis zu 98 % sind fremdbestimmt in diesem Land, wie viele verdeckte Ermittlungen will man denn machen? Weil es handelt sich ja nicht um 100 oder um 200 oder 300. Und in dem Bundeslagebild Menschenhandel, da findet man ja Zahlen von jährlich 300 bis 400, und das ist ja nicht mal die Spitze des Eisbergs, wenn wir überlegen, wir haben nur 200.000 Menschen in der Prostitution und selbst wenn nur 50 % fremdbestimmt sind, haben wir eine sechsstellige Zahl. Und da kommen wir, da müssen wir mit dem Gesetz nachbessern und müssen da versuchen, andere Zustände auch auch zu schaffen. Denn das Problem ist ja auch, wenn man das als Beruf behandelt, dann kann man ja auch nicht so gut eingreifen, wie wenn man es als Gewalt behandelt. Oder wenn Zuhälterei bei uns - bis zu 50% ungefähr darf der Zuhälter nehmen. Es ist schwierig, diese Sachen nachzuweisen.

Nadia Kailouli [00:37:34] Wenn du dich noch mal zurückerinnert an die Zeit, wo du eben zwangsprostituiert worden bist, welche Hilfsangebote hättest du dir damals gewünscht?

Sandra Norak [00:37:47] Es ist schwierig, weil wenn man in diesem Leben so drin ist...diese Menschen schaffen es auch gut, einem das Gefühl von Familie zu vermitteln, weil man hat dann niemanden mehr. Also das ist auch ein gezielter Isolations-Prozess. Also ich hatte keine Kontakte mehr außerhalb des Milieus, ich war nur noch in diesem Milieu drin. Und auch die Bordellbetreiberin wo ich war, wo mich mein Zuhälter reingebracht hat, die hat ja auch von mir profitiert. Also sie hat 50% genommen und mein Zuhälter hat die anderen 50% genommen. Und es gibt aber ganz, ganz viele Frauen, davon war ich auch eine, die sich eine Familie wünschen, die nicht allein sein wollen. Und viele sagen, lieber werde ich ausgebeutet, bevor ich auf der Straße stehe und komplett allein dastehe. Was die Ausbeutung ja nicht okay macht, nur weil der Mensch sagt, mir ist das sowieso schon alles egal, weil ich bin eh schon kaputt. Und ich glaube, mir hätte damals geholfen, wenn beispielsweise eine gute Sozialarbeiterin da reingekommen wär und die halt drangeblieben wäre. Oder wenn Menschen auch von der Polizei reingekommen wären. Wo man gemerkt hätte, die sind konstant da, man öffnet sich nicht das erste Mal, aber die sind konstant da und versuchen konstant immer wieder Vertrauen aufzubauen.

Nadia Kailouli [00:39:12] Gibt es das heute eigentlich?  Das frage ich mich gerade, weil das macht ja so Sinn, was du sagst, weil du hast ja eben schon gesagt, du warst ja in einem "legalen" Bordell. Und in diesem legalen Bordell wurde, was du erfahren hast, Zwangsprostitution gemacht. Jetzt frage ich mich, gibt es das heute eigentlich, dass in den legalen Bordellen eben regelmäßig Kontrollen stattfinden? Irgendwie, wie in einem ganz normalen Unternehmen, dass es halt so einen Ansprechpartner gibt, wenn es Probleme gibt, wo man sich mit Vertrauen hinwenden kann, gibt es das?

Sandra Norak [00:39:44] Ja, das gibt es schon. Und sehr oft kommen da aber Beratungsstellen rein, die das Bild von Sexarbeit vertreten, also die quasi von Prostitution als Beruf wie jedem anderen sprechen. Und wenn so eine Frau da reingekommen wäre zu mir und erst mal irgendwie den Begriff, ja, willst du, brauchst du Hilfe in der Sexarbeit? Willst du aus der Sexarbeiter aus...also die so eine komplett falsche Haltung, die so völlig fern von diesen Realitäten ist, wo ich drin war, gehabt hätten, dann kann man sich da nicht anvertrauen. Und es gibt natürlich auch gute Menschen in dem Bereich, die da arbeiten und mit denen ich auch in Kontakt bin, um auch anderen Frauen helfen zu können. Aber die sind leider sehr rar. Und diese staatlich geförderten Stellen, die vertreten ganz oft diese Position mit dieser Sexarbeit. Und es ist einfach so absurd, wenn man in so einem Milieu drin ist, wo so viel Kriminalität passiert, wo so viel Gewalt passiert, und dann kommt jemand rein und erzählt irgendwas von Sexarbeit und von das ist ein Beruf - das ist da völlig fehl am Platz. Und bei mir beispielsweise gab es ja auch Polizeikontrollen. Aber das erste, was man im Milieu lernt, eigentlich von Tag eins, ist, du sprichst nicht mit der Polizei. Du sagst nichts. Wir führen dir die Konsequenzen auf, die stattfinden können, wenn du sprichst. Also Schweigen ist das höchste Gebot. Das wird den Frauen eingetrichtert und sehr oft eben auch mit den schlimmsten Mitteln eingetrichtert. Und deswegen sage ich, dass diese Gesetzesänderungen eben so wichtig sind und aufgrund dieser, dass es das bei mir auch nicht gab mit diesen, da kamen keine Sozialarbeiter bei mir rein. Ich wär auch nicht eine Person gewesen, die jetzt irgendwie zum Arbeitsamt gegangen wäre und gesagt hätte...ich habe mich so geschämt, so gesellschaftsunwürdig gefühlt, dass ich auch eine von denen war, die dann gesagt hat, okay, du bleibst jetzt noch in der Prostitution und versuchst, dir dein Ausstieg zu erarbeiten. Weil ich war ja obdachlos, ich habe ja in diesem Bordell im Keller gewohnt. Und wie willst du da...ich hätte auf die Straße rennen können, aber wohin? Und deswegen bin ich dann auch noch eine Zeit lang allein in der Prostitution geblieben, um mir eben diesen Ausstieg zu erarbeiten. Und wenn dann aber auch eine Frau kommt und von Sexarbeit spricht - ich war da ja nicht, weil ich es toll fand, sondern ich war da als Folge dieser Ausbeutungs-Zeit. Und wenn du dann auf Menschen triffst, die dich nicht verstehen, die nicht verstehen, was das mit dir gemacht hat und was du gerade durchmachst. Ich weiß nicht, ich hätte die, glaube ich, damals nicht mal angucken können. Ich wäre wahrscheinlich, keine Ahnung, aufgestanden und gegangen, weil...

Nadia Kailouli [00:42:39] Weil gar nicht das Verständnis dafür war, wie du eigentlich da reingerutscht bist. Sandra, was ist deine Mission? Was nimmst du dir vor oder nimmst du dir was vor? Im Zusammenhang eben mit Aufklärung, Zwangsprostitution und jetzt eben mit deinem Weg hin zur Juristin.

Sandra Norak [00:43:00] Ja, ich nehme mir auf jeden Fall vor, dass Betroffene von Menschenhandel, Zwangsprostitution, sexueller Ausbeutung mehr Gerechtigkeit erfahren. Das ist auch der Grund, warum ich Jura studiert habe, damit die Täter auch in dem Sinne belangt werden können für das, was sie getan haben und das auch das Justizsystem in dem Bereich verbessert wird. Dann ist es ja leider generell so im Bereich sexueller Gewalt, dass sehr oft den Opfern nicht geglaubt wird. Also ich kenne es von Betroffenen, ganz offen auch von mir selbst, die in Strafverfahren schwer retraumatisiert werden. Dieses System zu verbessern, Betroffenen zu helfen, aber auch politisch daran zu arbeiten, dass wir Gesetze bekommen, die darauf ausgerichtet sind, diese große Masse, von der ich vorher gesprochen habe, nicht allein zu lassen, nur weil manche sagen, das ist meine Berufung, ich finde das toll, sondern die Masse findet es nicht toll. Ich möchte, dass Menschen das sehen und dass sie auch diese Betroffenen nicht verstoßen,  sondern dass sie sie auch in diese Gesellschaft aufnehmen. Und das ist auch ein großer Teil, was wir in dieser Betroffenen-Organisation, die ich gegründet habe, auch planen und auch versuchen, versuchen nach so einer Erfahrung wieder ins Leben einzugliedern, weil viele dann keine Träume mehr haben, keine Wünsche mehr haben, sich auch selbst überhaupt nichts mehr zutrauen. Also nicht mal die kleinsten Sachen, weil die einfach so niedergemacht wurden von ihren Zuhältern.

Nadia Kailouli [00:44:43] Wie ist das heute? Hast du eigentlich noch Kontakt zu Frauen aus dem, ja, ich sag mal, aus dem Milieu von damals, die auch, wie du, zwangsprostituiert worden sind, die du da kennengelernt hast?

Sandra Norak [00:44:54] Ähm, also damals sind alle Kontakte abgebrochen und das Problem ist einfach, dass es zwei komplett verschiedene Welten sind. Das ist eine Parallelwelt, da im Milieu und die in der man draußen ist. Aber tatsächlich hat mich vor ein paar Monaten eine Frau angeschrieben, die auch mit mir in einem Bordell war und wir sind jetzt auch tatsächlich regelmäßig im Austausch. Und die hat mich eben auch gefunden durch meine Öffentlichkeitsarbeit und das hat mich sehr gefreut. Also das hat mich tatsächlich sehr gefreut. Das ist was ganz anderes, du erzählst immer so den Leuten, was ist denn so passiert? Und auf einmal ist da wieder jemand von früher, der auch sagt, mein Gott, wir haben so eine scheiß Zeit erlebt. Aber ja, wir wollen uns auch mal bald treffen und da freue ich mich schon sehr drauf.

Nadia Kailouli [00:45:57] Es ist so verrückt, wenn man sich so die ganze Zeit unterhält - also ich, die Zuhörer*innen, die hören uns ja nur, die sehen uns ja nicht. Aber ich sehe ich ja die ganze Zeit, ich schaue ja hier in den Bildschirm und wir sind von Angesicht zu Angesicht uns gegenüber. Und hattest die ganze Zeit einen sehr, sehr ernsten Gesichtsausdruck. Und jetzt gerade hast du von dieser Frau erzählt und du strahlst, es ist verrückt.

Sandra Norak [00:46:18] Ja, das ist wirklich, ne, das war total berührend. Und sie hat auch gesagt, weil natürlich, also, auch andere Betroffene können das natürlich nachvollziehen, was ich sage, aber wenn natürlich jemand genau auch da dabei war und sie hat gesagt, ich kenn besser wie jeder andere hier auf Facebook deine Geschichte und da ist schon wirklich toll.

Nadia Kailouli [00:46:44] Ich danke dir sehr, dass du uns heute so ausführlich darüber erzählt hast und wünsche dir alles, alles Gute. Vielen Dank, Sandra Norak.

Sandra Norak [00:46:51] Gleichfalls. Vielen Dank.

Nadia Kailouli [00:46:54] Ach, ja, ich weiß nicht, ich kann nichts sagen. Nach diesem Gespräch mit Sandra Norak kann ich nichts sagen, außer, dass ich mir ganz viel Gedanken mache. Und ich hoffe, ihr auch. Ich bin so sozialisiert mittlerweile in meinem medialen Umfeld, dass man Prostitution gegenüber immer ganz offen sein soll. Ja, es gibt ganz viele Frauen, die sich dazu äußern. Ja, ich bin eben Prostituierte, Sexarbeiterin, Bordelle, die Kameras reinlassen. Man denkt sich so, ja, das ist doch alles normal und gut und lasst uns doch so offen sein. Und jetzt habe ich mit Sandra gesprochen und erfahre auf einmal den Einblick in eine Zwangsprostitution, in ein legales Bordell. Und erfahre, wie eben Frauen durch, wie jetzt bei ihr Loverboy Methoden und überhaupt durch psychische Manipulation, eben in eine Prostitution gezwungen werden. Und diese eine Botschaft, die sie noch so hatte, nur weil man eine Frau befragt, machen sie das gerne hier und sie dann beim ersten Mal vielleicht sagt, ja, ich mache das freiwillig, bedeutet das nicht, dass der Weg dorthin auch freiwillig passiert ist.

Mehr Infos zur Folge

„Loverboymethode“ nennt man das, wenn Frauen durch psychische Manipulation in die Prostitution gezwungen werden. Fast 6 Jahre war Sandra in einer kriminellen Welt, musste mit ansehen, was mit Frauen passiert, die sich wehren und lebte in Angst. 

Nachdem sie 2014 aus der Prostitution aussteigen konnte, studierte sie Jura - und kämpft heute für die Abschaffung der Prostitution. 

Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:

Sandras Internetpräsenz: Sandranorak.com

Ge-STAC - eine Betroffenenorganisation für Betroffene von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung

Sandra hat 2019 auf dem „Weltkongress gegen sexuelle Ausbeutung“ in Mainz eine viel beachtete Rede gehalten: EMMA

„Rotlicht aus“ heisst eine Kampagne für die Abschaffung der Prostitution.

Sisters e.V. unterstützt Menschen, die aus der Prostitution aussteigen wollen.

Wer Fragen zu sexueller Gewalt hat oder missbraucht wurde, findet beim Hilfetelefon sexuelle Gewalt Unterstützung und Beratung

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

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