PODCAST | Folge 21 | Katharina Masoud
Spätestens seit den Gräueltaten in Butscha in der Ukraine häufen sich Berichte über Vergewaltigungen, die als Kriegswaffe eingesetzt werden – Krieg wird auf den Körpern von Frauen ausgetragen. Über dieses Thema sprechen wir mit Katharina Masoud.
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Katharina Masoud [00:00:01] Die sexualisierte Gewalt, die sie erleben, ist eben nur ein Teil so vieler weiterer Kriegsverbrechen, die sie überstehen, dass es für sie dann teilweise wichtiger ist, zum Beispiel, das Überleben der eigenen Kinder zu sichern.
Nadia Kailouli [00:00:16] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadja Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei. Damit sich was ändert.
Nadia Kailouli [00:00:41] Spätestens seit den Greueltaten in Butscha in der Ukraine häufen sich ja die Berichte über sogenannte geschlechtsspezifische Gewalt. So heißt das, wenn Vergewaltigung im Krieg als Waffe eingesetzt wird. Wir haben uns gefragt, warum machen Soldaten das und wie lässt sich das beweisen, damit es als Kriegsverbrechen angeklagt werden kann? Wir haben deshalb Katharina Masoud eingeladen. Sie ist Frauenrechtsexpertin bei Amnesty International und sie hat mir erklärt, warum Vergewaltigungen als gezielte Strategie in Kriegen eingesetzt wird, wie Organisationen wie Amnesty International versuchen, dagegen vorzugehen und warum die sexualisierte Gewalt mit dem Ende des Krieges eben nicht einfach aufhört. Ich freue mich, dass Katharina Masoud heute hier ist, Frauenrechtsexpertin von Amnesty International.
Katharina Masoud [00:01:24] Ja, herzlichen Dank für die Einladung.
Nadia Kailouli [00:01:26] Schön, dass du da bist. Wir haben auch gesagt, wir duzen uns, das finde ich super. Katharina, wir sprechen heute über ein Thema, das uns seit Wochen ja wirklich schockiert, und zwar über den Angriffskrieg in der Ukraine, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Und wir reden über das Thema Vergewaltigung. Was kannst du von Amnesty International Seite aus sagen dazu?
Katharina Masoud [00:01:47] Also generell ist es tatsächlich so, dass geschlechtsspezifische Gewalt und inklusive auch sexualisierter Gewalt, generell in bewaffneten Konflikten zunimmt und das Risiko steigt. Und jetzt aktuell im Fall der Ukraine ist es so, dass wir auch verschiedene Kriegsverbrechen dokumentiert haben. Und was insbesondere jetzt den Fall von sexualisierter Gewalt angeht, da ist es so, dass wir einen Fall dokumentiert haben, bei dem eine ukrainische Frau mit vorgehaltener Waffe von russischen Soldaten vergewaltigt wurde, mehrfach auch. Und das, nachdem ihr Mann außergerichtlich hingerichtet wurde. Das heißt, das ist auf jeden Fall ein Fall, den wir dokumentiert haben. Das ist eindeutig ein Kriegsverbrechen. Es ist allerdings so, dass wir keine Kenntnisse haben von weiteren Fällen. Uns ist aber bewusst, dass es Berichte gibt. Wir finden auch ganz wichtig, dass das weiter recherchiert werden muss. Wir als Organisationen, die unabhängig recherchiert und verifiziert, können aber jetzt bisher noch nicht von einem weit verbreiteten Muster der sexualisierter Gewalt in diesem Konflikt sprechen.
Nadia Kailouli [00:02:51] Wir wollen heute Schritt für Schritt ein bisschen da durchgehen, was du uns so von deiner Seite von Amnesty International sagen kannst. Aber wir wollen natürlich auch auf andere Regionen schauen, wo Krieg auch noch anhält, wo auch eben sexualisierte Gewalt als Kriegsverbrechen stattfindet. Jetzt bleiben wir aber mal bei dem Fall, den du gerade geschildert hast. Was bedeutet das genau, wenn du schilderst, das konnten wir dokumentieren, wie können wir uns das vorstellen?
Katharina Masoud [00:03:18] Wir haben ein Kriseninterventionsteam, das ist vor Ort in der Ukraine und spricht mit betroffenen Menschen, also führt Interviews. Und zusätzlich gibt es ja noch weitere Möglichkeiten, also Kriegsverbrechen generell zu dokumentieren. Also sei es mit Satellitenaufnahmen oder dass Waffenexpert:innen von Amnesty sich da auch Hülsen und so weiter anschauen und können dann sozusagen unabhängig auch verschiedene Berichte miteinander abgleichen, Beweismaterialien sichten und gucken, sozusagen wie kohärent das ist. Und in diesem Fall haben wir eben mit der betroffenen Person gesprochen und konnten das auch verifizieren. Manchmal gibt es eben auch Augenzeug:innenberichte. Das heißt, auf diese Art und Weise recherchieren wir.
Nadia Kailouli [00:03:59] Jetzt kann man sich das wahrscheinlich ganz schwer vorstellen. Wenn irgendwo eine Bombe einschlägt, dann sehe ich noch den, ja, die Dokumentation, dass da eine Bombe eingeschlagen ist, dass eine Explosion stattgefunden hat, weil die Beweise zeigen, was passiert ist. Bei einer Vergewaltigung ist es glaube ich sehr schwer, das zu dokumentieren. Worauf muss man da achten, dass man das beweisen kann, dass hier eben ein Kriegsverbrechen stattgefunden hat durch eine Vergewaltigung?
Katharina Masoud [00:04:26] Also ganz wichtig ist natürlich, mit den Betroffenen selbst zu sprechen, wenn sie das möchten. Man darf natürlich auf jeden Fall niemanden dazu drängen. Es gibt ja eine ganz große Stigmatisierung. Deswegen haben viele Menschen auch Angst davor zu sprechen, wollen auch nicht retraumatisiert werden dadurch, dass sie diese Geschichten noch mal erzählen. Anderen ist es aber sehr wichtig, ihre Geschichten zu teilen und Aufmerksamkeit dafür zu erregen. Das heißt also, Gespräche mit den Betroffenen selbst sind ganz wichtig, eben wie gesagt auch mit Augenzeug:innen, aber eben auch teilweise mit medizinischem Personal. Also die können ja durch Untersuchungen auch feststellen, dass es nachweislich zu sexualisierter Gewalt gekommen ist, dass Verletzungen entstanden sind. Teilweise sind auch sexuell übertragbare Krankheiten nachweisbar, wie zum Beispiel HIV oder andere Verletzungen, die dann auch zu gesundheitlichen Problemen führen können, wie zum Beispiel auch Inkontinenz. Und so weiter und so fort. Das heißt, es ist auch möglich, das nachzuweisen, über die Berichte hinaus mit den Betroffenen, also die eigenen Erzählungen.
Nadia Kailouli [00:05:27] Wir sprechen die ganze Zeit von Kriegsverbrechen. Es ist auch ganz wichtig, dass wir das so nennen und eben nicht Vergewaltigung als Kriegswaffe benennen. Warum ist das so?
Katharina Masoud [00:05:36] Also es sind zwei verschiedene Themen. Also einmal würde ich sagen, wir sind als Menschenrechtsorganisation vor allem auch mit den juristischen Begriffen betraut und verwenden die sozusagen auch. Und Vergewaltigung als Kriegswaffe gibt es als rechtlichen Begriff nicht. Und zusätzlich ist das auch ein Begriff, der so einen Diskurs nährt, dass es eine Waffe ist, die eingesetzt wird und die wieder weggenommen werden kann. Also etwas, das so spontan entsteht und was auch ganz leicht kontrollierbar ist. Und das weckt auch so eine falsche Assoziation, dass eine Vergewaltigung im Krieg sozusagen mit dem Eintritt des Krieges vielleicht beginnt und dann einfach die Waffe den Soldat:innen weggenommen werden kann und danach hört es sozusagen auf.
Nadia Kailouli [00:06:24] Jetzt haben wir darüber gesprochen, wie ihr das dokumentiert, also dass ihr mit Betroffenen spricht, dass ihr Augenzeugen habt, medizinische Befunde etc. Aber was macht ihr denn dann damit? Also können solche Taten, ich sage jetzt mal bei jeder einzelnen, zur Anklage gebracht werden als Kriegsverbrechen?
Katharina Masoud [00:06:42] Also erst mal ist es ganz wichtig, Kriegsverbrechen zu dokumentieren, damit es im Nachhinein überhaupt möglich wird, die Täter:innen zur Rechenschaft zu ziehen, gerichtlich und ein Verfahren einzuleiten. Deswegen ist Beweissicherung total wichtig und eben auch die Möglichkeit, so eine Anklage zu schaffen. Es ist leider allerdings nicht so, dass es immer zu Anklagen kommt. Theoretisch ist das möglich. Aber dadurch, dass viele Vergewaltigte auch nicht von diesen Taten berichten, es nicht zur Anzeige kommt, ist es eben auch nicht möglich immer diese Taten zu verfolgen. Und selbst wenn sie angezeigt werden, ist die Aufklärungsrate leider relativ gering.
Nadia Kailouli [00:07:20] Wer wird denn angezeigt? Sind das die Täter, also die direkten Täter, die Soldaten? Oder sind das die Einsatzleiter? Wer wird denn da angezeigt, angeklagt?
Katharina Masoud [00:07:33] Also das ist unterschiedlich. Wenn wir strafgerichtlich vorgehen, dann geht es um individuelle Verantwortung und deswegen geht es darum, auch eine wirkliche Person zur Rechenschaft zu ziehen. Natürlich ist es aber auch so, dass die Einsatzleiter:innen usw. Verantwortung tragen und auch die Verantwortung haben, Kriegsverbrechen zu verhindern und den Soldat:innen zu sagen, dass sie solche Verbrechen nicht begehen dürfen. Das heißt, die haben natürlich auch eine gewisse Verantwortung. Darüber hinaus gibt es eben auch auf internationaler Ebene die Möglichkeit, ganze Staaten zur Verantwortung zu ziehen. Das heißt, es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, Konsequenzen zu ziehen.
Nadia Kailouli [00:08:11] Wir beide reden jetzt fast schon sehr sachlich darüber, über Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen. Ich finde es aber auch ganz wichtig, dass wir das können und auch tun. So schlimm das ist aber dass wir ein bisschen mehr verstehen, warum es eben überhaupt so weit kommt und wie schwer es eben auch ist, dass solche Verbrechen eben dann angeklagt werden. Nun fragt man sich ja natürlich, als ich von den ersten Fällen natürlich auch gehört habe, von den ersten Augenzeug:innen oder Betroffenen, die darüber berichtet haben, dass sie eben durch russische Soldaten vergewaltigt worden sind im Krieg in der Ukraine, da stellen sich viele die Frage: Warum? Warum ist die Vergewaltigung im Krieg so ein, ja, so eine Waffe, die so extrem eingesetzt wird?
Katharina Masoud [00:08:58] Also zuerst muss man sagen, dass es natürlich eine ganz unterschiedliche, also unterschiedliche Formen von Gewalt und unterschiedliche Formen von Konflikten auch gibt. Das heißt, Vergewaltigungen und generell sexualisierte Gewalt wird nicht immer überall gleich eingesetzt. Aber wir konnten nachweisen und können das auch feststellen, dass es sich bei Vergewaltigung und generell sexualisierter Gewalt ganz klar um eine Machtdemonstration handelt, die entmenschlichend ist. Das heißt, das ist sozusagen eine ganz große Konsequenz daraus, dass sexualisierte Gewalt in Konflikten angewendet wird. Und dabei hat das dann auch unterschiedliche Ziele und Zwecke. Also es kann zum Beispiel eingesetzt werden, um die Menschen zu erniedrigen, auch um sie einzuschüchtern, um die Menschen zum Reden zu bringen, weil davon ausgegangen wird, dass sie Erkenntnisse haben über die gegnerische Konfliktpartei und deren Strategien. Es kann auch eingesetzt werden, um sie zu terrorisieren, die Menschen, eben noch weiter Angst einzuflößen. Also es gibt unterschiedliche Aspekte und das ist nicht überall immer gleich. Was wir aber sehen können ist, dass es meistens über die Tat an der Person direkt, die von diesem schrecklichen Verbrechen betroffen sind, hinausgeht und das ist sozusagen eine Signalwirkung an die Gruppe haben soll, zu der sie gehört.
Nadia Kailouli [00:10:17] Was für eine Signalwirkung soll das sein?
Katharina Masoud [00:10:18] Also eben diese ganzen Sachen, also Einschüchterung, Erniedrigung, Diskriminierung der Gruppe. Also das heißt, es geht meistens über das individuelle Opfer hinaus und soll sozusagen eben auch eine Nachricht senden. Zum Beispiel ist es auch so, dass in sehr ethnisch geprägten Konflikten es dazu verwendet wird, damit dann auch sich die ethnische Zusammensetzung der Konfliktsgruppe sozusagen ändert. Also es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sozusagen warum das eingesetzt wird. Was aber ganz klar ist es ist auf jeden Fall immer ein Kriegsverbrechen und das kann auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Und das ist sozusagen aus unserer rechtlichen, menschenrechtlichen Perspektive das Allerwichtigste.
Nadia Kailouli [00:11:01] Du hattest eben die Begrifflichkeit genommen 'Verbrechen gegen die Menschlichkeit'. Und das ist ja von der UN erst seit 2008 so definiert worden, dass eben sexuelle Gewalt Kriegsverbrechen ist und eben Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Vergewaltigungen im Krieg gab es schon lange vor 2008. Warum wurde das erst so spät so definiert?
Katharina Masoud [00:11:23] Man muss da tatsächlich ein bisschen vorher ansetzen. Also dass es international Aufmerksamkeit gebracht hat, hat schon in den 1990er Jahren angesetzt, als es zu massenhaften Vergewaltigungen in Bosnien und in Ruanda gekommen ist. Und da gab es dann im Zuge dessen Strafgerichtshöfe, die diese Verbrechen untersucht haben, und die Statute, also deren Grundlagen, auf denen da die Verbrechen verfolgt wurden, haben schon von Vergewaltigungen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesprochen. Und das explizit zu Ruanda hat zusätzlich auch noch sexuelle Sklaverei mit hinzugenommen als Tatbestand und auch sogenannte unsittliche Berührungen und damit aufgeführt. Das heißt sozusagen international gab es schon sozusagen Vorschritte. Und dann ist es auch so gewesen, dass der Internationale Strafgerichtshof, also der jetzt nicht nur für Ruanda und für Bosnien zuständig ist, sondern im Laufe dessen entstanden ist, damit das auch die ganze Welt da vor Gericht gebracht werden kann, hat dann 1998 in ihrem eigenen Statut, also deren Grundlage, eben ganz klar definiert, dass sexualisierte Gewalt in Konflikten ein Verbrechen, ein Kriegsverbrechen darstellt. Und das ist total wichtig, weil zum Ersten Mal steht da ganz explizit drin, dass Vergewaltigung ein Kriegsverbrechen ist und zusätzlich werden da auch noch andere Bestände aufgezählt, also zum Beispiel sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution, erzwungene Schwangerschaften und Zwangssterilisation und weitere schwere sexualisierte Gewalt wird explizit als Kriegsverbrechen benannt. Und dieses Statut ist 2002 in Kraft getreten und auf Grundlage dessen kann mittlerweile, können Kriegsverbrechen sexualisierter Art eben auch verfolgt werden. Und dann einen Schritt weiter. 2008 war es dann so, dass beim UN-Sicherheitsrat die Staaten miteinander diskutiert haben und hatten so einer Debatte 'Frauen Frieden Sicherheit' nannte sich das und haben dann eine Resolution verabschiedet, die Resolution 18-20. Und da wird eben ganz klar gesagt, dass sexualisierte Gewalt ein Sicherheitsproblem darstellt. Das ist schon mal was Wichtiges, dass es eben nicht nur als individuelles Problem angesehen wird und eben auch anerkannt, dass sexualisierte Gewalt ein Kriegsverbrechen darstellt und eben auch ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen kann. Und im Zuge dessen hat dann auch 2008, also im selben Jahr, das UN-Komitee gegen Folter anerkannt, dass Vergewaltigung eben aufgrund der psychischen und physischen Folgen eben auch Folter darstellen kann. Und das ist total wichtig, weil so haben wir jetzt eine Möglichkeit, auch juristisch dagegen vorzugehen.
Nadia Kailouli [00:14:19] Wie ist es denn in der Prävention, sage ich mal, wenn man ja, wie wir jetzt wissen, beim Angriffskrieg auf die Ukraine sind hunderttausende junge Frauen und Kinder geflüchtet und haben sich in Sicherheit bringen können. Nichtsdestotrotz sind immer noch Hunderttausende in der Ukraine und wir haben ja schon die ersten Berichte von Frauen, die von Vergewaltigung berichtet haben. Wie kann man den Frauen helfen vor Ort, wenn man ja weiß, dass die Vergewaltigung als Kriegsverbrechen so eingesetzt wird? Gibt es irgendwelche Hilfsorganisationen, die vor Ort Frauen in Sicherheit bringen können? Gibt es so was?
Katharina Masoud [00:14:58] Also es gibt ja Hilfsorganisationen, die vor Ort sind, die versuchen, den Frauen zu helfen. Allerdings ist es natürlich immer schwierig in so einer akuten Konfliktsituation, weil die Leute sich ja natürlich damit auch selbst in Gefahr bringen. Das heißt, man muss sagen, dass Personen, da besonders vulnerable, dafür sind, in einer Kriegssituation, in einer Konfliktsituation Opfer sexualisierter Gewalt zu werden. Und man muss dazu sagen, das betrifft leider eben auch nicht nur Frauen und Mädchen, sondern sexualisierte Gewalt betrifft, kann alle Geschlechter betreffen. Und es gibt auch dokumentierte Fälle in anderen Kriegsregionen, wo wir wissen, dass auch Männer und Jungs davon Opfer wurden. Das heißt, es ist klar, es ist eine in dem Fall geschlechtsspezifische Gewalttat, weil überwiegend, und das ist die Definition auch von geschlechtsspezifisch. Also entweder betrifft das eine Frau, weil sie eine Frau ist, oder sind überproportional davon betroffen. Das heißt, es ist auf jeden Fall etwas, was vor allem Frauen und Mädchen und weiblich gelesene Menschen betrifft. Aber man darf auch nicht vergessen, dass auch andere Geschlechter davon Opfer werden könnten.
Nadia Kailouli [00:16:13] Gibt es bei Amnesty International auch schon Fälle von Vergewaltigungen an Männern, an Jungs aus der Ukraine?
Katharina Masoud [00:16:21] In der Ukraine, also in dem akuten Krieg, haben wir im Moment keine Beweise dafür. Wir wissen aber tatsächlich auch, zum Beispiel in Bosnien, da waren nach offiziellen Schätzungen mindestens 3000 Jungs und Männer davon betroffen und zum Beispiel, also im Vergleich sind die offiziellen Zahlen für Mädchen und Frauen, liegen da bei 20.000. Also um mal so eine Dimension davon zu bekommen. Das heißt, genau das wollte ich noch mal sagen, dass einfach auch wirklich alle betroffen sein können. Es ist aber so, dass natürlich manche Menschen besonders schutzbedürftig sind, weil sie in unterschiedlichen Situationen sind. Und da sind besonders junge Menschen, Kinder natürlich besonders schutzbedürftig und auch besonders alte Menschen. Wir haben auch Berichte aus unterschiedlichen Konflikten, wo schwangere Personen vergewaltigt wurden und die dadurch eine Fehlgeburt erlitten haben. Das heißt ja, es ist auf jeden Fall noch mal spezifisch, wie ja da irgendwie auch ja Schutzbedürfnisse entstehen.
Nadia Kailouli [00:17:25] Weißt du darüber Bescheid oder weiß Amnesty International darüber Bescheid, ob Soldatinnen und Soldaten dahingehend, ich nenne jetzt mal das Wort ausgebildet werden, eben sexuelle Gewalt als, und jetzt sage ich das bewusst, Waffe auch einzusetzen?
Katharina Masoud [00:17:43] Wir haben keine Kenntnisse darüber, dass das tatsächlich passiert. Es ist manchmal so, dass wir in bestimmten Konflikten schon so sehr sehen können, dass es ein systematisches Verbrechen ist. Dann wird das dann auch zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und das muss dann zumindest unter Duldung passieren, weil das ein so weit verbreitetes System ist. Das ist auch ein ganz generell großes Problem, das ja staatlich geförderte Gewalt, was ja Kriege sind, eben auch dieses Gewaltpotenzial, sehr erhöht. Und das passiert dann eben häufig durch die Menschen, die dann an der Front sind. Und man muss dazu aber auch sagen, dass sich diese Gewalt nicht unbedingt nur auf die Menschen der gegnerischen Konfliktpartei beschränkt, sondern man kann auch nachweisen, das hat auch Amnesty in verschiedenen Berichten gemacht, dass auch die das Gewaltpotenzial gegenüber, zum Beispiel den eigenen Frauen und anderen Menschen, die in der unmittelbaren Umgebung ist, steigt und das auch in Hinblick auf sexualisierter Gewalt. Also das heißt ja, da gibt es schon einen sehr toxischen Cocktail auch, der dazu führt, dass sowohl sexualisierte Gewalt in Konflikten steigt, aber auch generell andere Formen von Gewalt erhöht werden.
Nadia Kailouli [00:18:58] Kann man erklären, warum das so ist?
Katharina Masoud [00:19:02] Also es ist natürlich schwierig, das zu erklären. Gleichzeitig ist es so, dass der Krieg per se, ja, dass es darum geht, so staatlich geförderte Gewalt auszuleben. Und häufig werden da die Grenzen dann auch überschritten. Das heißt, dass dann die Gewalt, die begangen wird, in einem legitimen Rahmen sozusagen nicht mehr eingehalten wird und dass das sich dann ausbreitet. Also die Militarisierung an sich ist natürlich ein großes Problem, wenn es um sexualisierte Gewalt geht, weil es ja auch auch viel mehr Waffen zur Verfügung stehen. Also es ist da nicht so leicht, das zu erklären, aber es ist auf jeden Fall ein Problem, dass dieses Gewaltpotenzial generell so hoch ist.
Nadia Kailouli [00:19:51] Jetzt will ich noch mal kurz auf die Täter zu sprechen kommen. Stehen die im Schutz des Militärs? Also dass man die Fahndung der Täter, dass man es da so schwer hat, weil sie halt einfach den Schutz des Militärs im Rücken haben und dementsprechend diese Kriegsverbrechen, die dort stattfinden, schwer geahndet werden können?
Katharina Masoud [00:20:15] Ja, natürlich werden die Auslieferungsgebote dann häufig nicht erfüllt. Das ist ein Problem, dass es sozusagen Rückhalt gibt. Wenn ein Staat es sich auf die Fahnen geschrieben hat, zur Aufklärung zu sorgen, dann werden auch die höherrängigen Menschen zur Verantwortung gezogen. Aber es ist tatsächlich ein großes Problem. Und wenn wir von Täter:innen sprechen, müssen wir auch sagen, dass das natürlich größtenteils auch Männer sind, die das machen. Aber wir haben also auch, es gibt ja auch Fälle, in denen auch tatsächlich Frauen sexualisierte Gewalt ausüben. Und jetzt nicht in Bezug auf diesen spezifischen Konflikt, da habe ich keine Erkenntnisse darüber. Aber genau das wollte ich auch noch mal sagen, dass das wichtig ist, dass, wenn wir über Täter und Opfer sprechen, nicht ein beschränktes Bild davon haben, dass es immer Männer sind, die Frauen vergewaltigen, sondern dass eben sexualisierte Gewalt ja eben so eine Machtdemonstration darstellt. Und die kann von unterschiedlicher Seite aus passieren. Und genau, es handelt sich ja auch nicht immer bei den Täter:innen um staatliche Akteur:innen, sondern es können manchmal auch nicht-staatliche Akteure sein, so wie Paramilitärs-Milizen usw., die da mitmachen. Und manchmal ist es tatsächlich auch so, dass gerade in so Postkonfliktsituationen Menschen, die eigentlich dazu da sind, die Staaten wieder aufzubauen sozusagen, also die zu den sogenannten Friedensmissionen da sind, sexualisierte Gewalt ausüben. Und es gibt natürlich auch Zivilist:innen, die das machen. Und das heißt, dass es das natürlich noch mal besonders komplex macht und es nicht einfach nur darum geht, dass staatlich, also dass Soldaten Frauen vergewaltigen, sondern dass es einfach auch noch mehr Menschen gibt, die davon betroffen sind.
Nadia Kailouli [00:22:05] Wir haben jetzt ganz explizit jetzt mal nur auf den Angriffskrieg in der Ukraine gesprochen. Welche Regionen siehst du gerade als Frauenrechtsexpertin von Amnesty International sehr mit großer Sorge entgegen? Weil es gibt ja noch andere Regionen auf der Welt, wo eben Konflikte gerade stattfinden. Kannst du uns da ein bisschen Einblick geben, wo es gerade besorgniserregend ist?
Katharina Masoud [00:22:32] Ja, also die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt in Konflikten selbst hat Amnesty auch in anderen Regionen dokumentiert. Gerade im letzten Jahr haben wir ein Bericht zu sexualisierter Gewalt in Tigray veröffentlicht. Das ist eine Region in Äthiopien. Da haben wir auch ganz brutale Formen sexualisierter Gewalt dokumentieren müssen. Kürzlich haben wir auch einen Bericht darüber rausgebracht, wie sexualisierte Gewalt im Südsudan angewendet wird und dort spezifisch, aber auch generell, können wir sagen, dass Frauen und Mädchen und generell alle Geschlechter sehr stark von sexualisierter Gewalt betroffen sind. Und das auch noch mal interessant ist, dass es nicht unbedingt nur an bestimmten Orten ist, sondern das kann überall sein, also in den eigenen Häusern, auf der Straße, wenn Sie auf dem Weg zur Schule, zur Arbeit sind oder Feuerholz sammeln oder wie auch immer, können Menschen vergewaltigt werden und Opfer sexualisierter Gewalt werden. Aber auch wenn sie in geflüchteten Unterkünften sind, wenn sie Binnenvertriebene sind und Zuflucht woanders gesucht haben, kann auch das dort stattfinden. Es gibt auch Fälle von massenhafter Vergewaltigung in Camps, wo die Frauen und Mädchen, mit denen wir gesprochen haben, teilweise Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre drinnen waren und da nacheinander vergewaltigt wurden. Das heißt, das ist überall, das können wir überall dokumentieren. Und bei den Vergewaltigungen handelt es sich dann auch nicht unbedingt nur bzw. bei den Vergewaltigungen handelt es sich dann auch um verschiedene Arten. Also das heißt alle Körperöffnungen sind betroffen, es kann auch mit Gegenständen vergewaltigt werden. Das heißt es ist so, dass es unterschiedlichste Ausprägungen hat.
Nadia Kailouli [00:24:19] Weil du gerade die Camps angesprochen hast. Was wisst ihr denn darüber Bescheid, dass die Täter:innen eben nicht nur eben Militärangehörige sind und Milizen sind oder sind das sind das Menschen auch aus der Zivilbevölkerung, die dann zu diesem, zu dieser Waffe sage ich jetzt noch mal ganz bewusst greifen?
Katharina Masoud [00:24:40] Also in verschiedenen Konflikten jetzt vielleicht nicht direkt an die zwei, die ich genannt habe, da kann man das auf jeden Fall nachweisen, dass auch einfach dieses Umfeld der Straflosigkeit dazu führt, dass auch Nicht-Militärangehörige vergewaltigen. Das vielleicht nicht in so einem organisierten Ausmaß. Aber dass das auf jeden Fall kommt und dass das vorkommt, und das kann auf jeden Fall immer wieder auch nachgewiesen werden, dass es sich nicht nur um militärisches Personal handelt, sondern eben auch nichtstaatliche Akteure das machen und manchmal eben auch nicht so ganz organisierten Charakter, wie sich das sonst vielleicht vorgestellt werden kann. Ja.
Nadia Kailouli [00:25:25] Du gibst uns gerade einen sehr, sehr extremen Eindruck natürlich davon, was ihr dokumentiert habt von sexualisierter Gewalt in Konfliktregionen. Was macht ihr dann? Wie kümmert ihr euch oder wie könnt ihr euch kümmern von Amnesty International?
Katharina Masoud [00:25:40] Ja, als Menschenrechtsorganisation liegt unser Fokus darauf, dass wir Menschenrechtsverbrechen dokumentieren und in Berichten veröffentlichen und dafür dann auch für Aufmerksamkeit sorgen. Dann auch mit Kampagnen an die große, breite Öffentlichkeit zu bringen, aber eben auch vor allem die Entscheidungsträger:innen politischer Natur adressieren und von ihnen einfordern, dass sie sich gegen jedwede Menschenrechtsverletzung wenden und auch andere Staaten dazu aufrufen, sie nicht zu begehen. Das ist sozusagen unser Hauptfokus. Das heißt, wir als Organisation leisten keine humanitäre Hilfe, verweisen aber natürlich, wenn wir mit Menschen sprechen, die betroffen sind von sexualisierter Gewalt, auf die verschiedenen Hilfsangebote. Und genau am Ende hofft man dann natürlich, dass ihnen dann auf diese Art und Weise geholfen wird.
Nadia Kailouli [00:26:35] Was muss sich in der Außenpolitik ändern, damit sexualisierte Gewalt nicht in dieser extremen Art oder am besten gar nicht, aber wir sind nicht naiv, wir wissen, dass das so schnell nicht passieren wird, vorkommt. Also was müssen wir da, welchen Appell müssen wir da raus schicken?
Katharina Masoud [00:26:52] Also zum einen ist es natürlich gut, dass die internationale Gemeinschaft schon das Problem erkannt hat, dass sexualisierte Gewalt ein Verbrechen darstellt und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen kann und dass das geahndet werden kann. Was aber noch nicht ausreichend vorhanden ist, ist ein richtiges Verständnis von diesem Problem. Es wird ja häufig von sexualisierter Gewalt oder Vergewaltigung als Kriegswaffe gesprochen und das erweckt die Assoziation, dass es etwas ist, was mit Kriegsbeginn eintritt und dann nach Kriegsende aufhört und dass das so eine Waffe ist, die man einfach auch wieder wegnehmen kann. Und das ist aber einfach viel komplizierter und viel komplexer das System. Und es ist viel wichtiger, dass dann auch die Ursachen mitgedacht werden und auch klar wird, dass sexualisierte Gewalt in Friedenszeiten beginnt. Über die Kriegssituation hinweggeht und auch in diesen Postkonfliktsituationen da ist. Und deswegen ist es besonders wichtig, wenn es um feministische Außenpolitik gibt, dass wirklich diese Ursachen angegangen werden. Und dazu gehört natürlich insbesondere, gehören die patriarchalischen Strukturen dazu, die überhaupt ermöglichen, dass es zur Unterdrückung der Geschlechter kommt, dass es eine Hierarchisierung gibt, dass Männer und Männlichkeit Privilegien zugesprochen bekommen, andere Geschlechter, weiblich gelesene Menschen insbesondere eben ja unterdrückt werden, diskriminiert werden und auch so eine. Ja, es gibt ja auch so eine Anspruchshaltung, dieses Entitelment, dass man einfach auf weibliche Körper zugreifen kann. Und das gibt es ja bereits in Friedenszeiten. Und das heißt, wenn man versuchen will, das nur in Konfliktsituationen zu bekämpfen, reicht es eigentlich nicht aus, sondern man muss tatsächlich in den Ursachen die Strukturen angehen, sonst kann man das nicht bekämpfen. Und dann wird man immer nur versuchen, irgendwelche Symptome zu beheben, aber es wird sich nichts ändern.
Nadia Kailouli [00:28:59] Nun hätten wir natürlich alle nicht gedacht, dass wir in Europa noch mal so einen Krieg erleben, wie wir ihn gerade erleben, eben in der Ukraine. Wir wissen davon, dass eben Hunderttausende Frauen geflüchtet sind und auch Kinder. Wir sprechen jetzt die ganze Zeit von sexualisierter Gewalt im Krieg. Wenn du aber schon mal hier bei uns ist, würde ich gerne auch noch mal den Punkt ansprechen: Sexualisierte Gewalt auf der Flucht. Wir haben viel von oder immer mal wieder von Frauen gehört, die auch zum Beispiel hier in Berlin angekommen sind, die vom Hauptbahnhof irgendwie mitgenommen worden sind, dachten, da ist ein Helfer, der mir eine Unterkunft zur Verfügung stellt und dort sexualisierte Gewalt erlebt haben und von dort auch wieder geflüchtet sind. Könnt ihr dazu schon was sagen, wie sich diese Fluchtbewegung und sexualisierte Gewalt in den letzten Monaten dargestellt hat?
Katharina Masoud [00:29:56] Also generell können wir auf jeden Fall sagen, dass wir in bewaffneten Konflikten, aber auch alles, was sozusagen damit zu tun hat, wie eben Fluchtbewegungen, die sexualisierte Gewalt eben ansteigt und das Risiko zumindest ansteigt. Wir können das jetzt in diesem Fall jetzt nicht unabhängig verifizieren, ob also in welchem Ausmaß das da ist. Aber dieses Risiko besteht auf jeden Fall immer. Und man muss dazu auch sagen, dass dann auch besonders wichtig wird, wie damit umgegangen wird. Und gerade wenn Personen auf der Flucht sind, haben sie ja teilweise auch gar nicht die Möglichkeit, sich zum Beispiel an medizinisches Personal zu wenden, wenn sie vergewaltigt wurden. Und dann wäre es natürlich total wichtig, dass auch Tests gemacht werden, nicht nur Schwangerschaftstests, sondern eben auch auf sexuell übertragbare Krankheiten. Und da direkt angesetzt werden kann, und das passiert häufig nicht. Es ist auch ganz wichtig, dass die Menschen, die eben diese ungewollten Schwangerschaften nicht austragen wollen, dass sie die Möglichkeit haben, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Und das ist teilweise in den angrenzenden Ländern um die Ukraine herum auch rechtlich ganz schwierig, zum Beispiel in Polen. Da sind ja ganz scharfe Gesetze, die das fast unmöglich machen. Das heißt, wir sehen schon, dass es sehr, sehr wichtig ist, da auf jeden Fall mehr Unterstützung zu bieten und die Hilfeleistungen auch nicht nur sozusagen auf sexuelle, also auf Schwangerschaftsprävention zu beschränken, sondern auch generell sexuelle und reproduktive Rechte einzuhalten. Es gibt ja auch Schwangere, die auf der Flucht sind und die Hilfe brauchen oder auch Menschen, die Medikamente brauchen, Transpersonen, die Hormonbehandlung brauchen. Und so weiter und so fort. Das heißt, das ist auf jeden Fall total wichtig, dass da mehr getan wird. Und ich glaube, es gibt auch ganz viele Informationen zurzeit, damit eben diese Personen, die sich in der üblen Situation befinden, weil sie auf der Flucht sind, nicht missbraucht werden. Und das ist ganz wichtig, dass denen diese Information auch zuteil wird.
Nadia Kailouli [00:32:07] Ich habe vor einigen Jahren eine Berichterstattung zur Seenotrettung gemacht und hatte mich da auch mit einigen Frauen in intensiven Gesprächen über ihre Zeit in Libyen zum Beispiel unterhalten. Und ich erinnere mich, dass mir eine Frau eben erzählt hat, dass man sich, ich sage das jetzt mal ganz extrem, vergewaltigen lässt zum Schutz der anderen. Welche Kenntnisse hast du darüber, dass das Frauen eben, ja diese Gewalt, sexualisierte Gewalt erleben, um ein Menschenleben zu schützen?
Katharina Masoud [00:32:41] Also in Gesprächen, die Amnesty mit verschiedenen Betroffenen geführt haben, ist ganz klar, dass es viele gibt, insbesondere Frauen, die sagen, die sexualisierte Gewalt, die sie erleben, ist eben nur ein Teil so vieler weiterer Kriegsverbrechen, die sie überstehen, dass es für sie dann teilweise wichtiger ist, zum Beispiel, das Überleben der eigenen Kinder zu sichern, also dass sie sagen, es ist wichtig, dass es ja, dass Essen auf den Tisch kommt und dass sozusagen da überlebt werden muss. Und aus diesem Grund sozusagen, ist das nur sozusagen, also die sexualisierte Gewalt ist eine weitere Form von Gewalt, die sie erleben. Und wenn Sie das sozusagen ausdrücken, dass Sie das zum Schutz anderer machen, dann kann ich mir das gut vorstellen.
Nadia Kailouli [00:33:31] Jetzt komme ich, springe ich noch mal zu einem ganz anderen Punkt. Und zwar fanden ja vor kurzem die Filmfestspiele von Cannes statt, und dort ist eine Frau über den Teppich gelaufen, nur mit einem Slip bekleidet, und auf ihrem Körper war die ukrainische Flagge gemalt und der Aufdruck, die Aufschrift, wenn ich mich nicht ganz täusche: Don't rape us. Wie groß ist das öffentliche Wissen über sexualisierte Gewalt in Kriegen überhaupt?
Katharina Masoud [00:34:04] Also dadurch, dass es international auch mit diesen ganzen Veränderungen 2008 im UN-Sicherheitsrat einhergegangen ist, gibt es immer mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Und das ist auch total wichtig, weil es ein Thema ist, was ganz lange vergessen wurde. Allerdings gibt es auch eben einige Mythen, die sozusagen immer noch nicht ganz behoben wurden. Zum Beispiel wird oft geglaubt, dass es sich um ein eigenständiges Phänomen handelt, das mit einem Fingerschnips beginnt, wenn ein Krieg anfängt und auch mit einem Kriegsende oder Unterzeichnung eines Friedensvertrages direkt aufhört. Und dem ist eben nicht so, das ist ein größeres Problem. Aber der öffentliche Diskurs geht eben nur um dieses Thema. Und das stellt ein Problem dar, was auch dann dazu führt, wenn wir jetzt so skandalisieren, dass wir dann häufig auch nur noch über die Ausmaße sprechen und nicht jeden einzelnen individuellen Fall sexualisierter Gewalt im Krieg auch als Kriegsverbrechen ansehen und das auch so kenntlich machen. Das heißt, dass wir es schon fast so normalisiert haben in der öffentlichen Debatte, dass es zu sexualisierter Gewalt in Konflikten kommt und dann nur noch danach gesucht wird, wer kann größere Zahlen produzieren und welche schlimmeren Geschichten können erzählt werden? Und das ist natürlich ein Problem, weil es auch gar nicht das Kernproblem angeht, sondern einfach eher so skandalisiert und dann mit so Schlagworten wie Vergewaltigung als Kriegswaffe suggeriert, dass es eine Waffe ist, die man einfach wieder wegnehmen kann. Und dann ist das Problem beendet.
Nadia Kailouli [00:35:52] Und dabei geht es weit darüber hinaus. Und ich finde, dass du uns da heute wirklich einen ganz tollen, wenn auch sehr extremen Einblick geben konntest. Ich danke dir sehr, dass du heute bei einbiszwei bist.
Katharina Masoud [00:36:04] Ja, vielen Dank für das Gespräch.
Nadia Kailouli [00:36:07] Ja, das waren wirklich sehr extreme Schilderungen, die wir von Katharina Masoud heute gehört haben. Aber eben finde ich auch sehr wichtig, dass wir darüber Kenntnis bekommen. Und ein Punkt, den sie auch gesagt hat, der sehr wichtig ist, ist, dass wenn Konflikte, Kriege vorbei sind, bedeutet das nicht, dass eben für die Opfer sexualisierte Gewalt vorbei ist, sondern die Opfer immer noch in dieser Situation weiterleben. Und dass man das eben nicht vergessen darf.
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Vergewaltigungen werden in allen Kriegen systematisch als Kriegswaffe eingesetzt. Das Ziel dabei ist, Frauen wie Männer zu erniedrigen und ganze Gemeinschaften zu zerstören. Seit Armeen in den Kampf ziehen, ist sexuelle Gewalt ein Teil dieser Strategie und eine gezielte Waffe zur Erniedrigung des Feindes. Den Vergewaltigern geht es nicht in erster Linie um das Ausleben sexueller Begierden, es geht vor allem um eine Machtdemonstration. „Die Taten haben große psychische und körperliche Auswirkungen für die Betroffenen, die Schmerzen und Leiden sind so groß, dass wir von Folter sprechen können”, sagt Katharina Masoud.
Im Gespräch erklärt sie auch, wie Organisationen wie Amnesty International versuchen, Beweise zu sichern und diese Menschenrechtsverbrechen zur Anklage zu bringen und warum Soldaten so etwas Verbrecherisches und Unmenschliches tun.
Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:
Ein langes Interview mit Katharina zum Thema gibt es hier:
Gedemütigt und eingeschüchtert: Vergewaltigung als systematische Kriegswaffe
Die Recherchen von Amnesty International gibt es hier:
Ukraine: Amnesty-Recherchen belegen weitere Verbrechen durch russische Truppen
Die Schwierigkeiten bei der Verfolgung sexualisierter Kriegsgewalt werden hier beschrieben:
Frankfurter Rundschau – Vergewaltigung als Kriegswaffe: Warten auf Gerechtigkeit
Seit vielen Jahren reist die britische Journalistin Christina Lamb in Kriegs- und Krisengebiete und spricht vor Ort mit Frauen über ihre leidvollen Erfahrungen. „Unsere Körper sind euer Schlachtfeld“ heisst ihr Buch, es kann hier bestellt werden:
Bundeszentrale für politische Bildung – Unsere Körper sind euer Schlachtfeld
Ein Interview mit Christina Lamb gibt es hier:
Deutschlandfunk Kultur – „Ich verstehe nicht, warum niemand etwas dagegen tut“
Die Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad kämpft gegen sexuelle Gewalt in Kriegen. Hier spricht sie über die Situation für Frauen im Ukraine-Krieg:
WELT – „Vergewaltigung sollte als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesehen werden“
Laut der polnischen Zeitung Gazeta Wyborcza haben sich 120 Frauen aus Butscha, die angaben von russischen Soldaten vergewaltigt worden zu sein, bei der Evakuierung geweigert, nach Polen gebracht zu werden. Der Grund dafür: Sie befürchten, von den Vergewaltigungen schwanger zu sein. Und fürchten sich vor den restriktiven Abtreibungsgesetzen in Polen. Mehr dazu hier:
Volksverpetzter – Bitte nicht nach Polen
„In den letzten Jahren haben laut Berichten der Vereinten Nationen Vergewaltigungen besonders durch extremistische Gruppen zugenommen. Während früher sexualisierte Gewalt eher geduldet worden sei, werde sie jetzt immer mehr als gezielte Strategie verwendet und auch angeordnet”, steht in diesem Artikel:
nd – Der Körper als Schlachtfeld