PODCAST | Folge 28 | Veronika Kracher
Die Autorin und Journalistin Veronika Kracher hat jahrelang im frauenfeindlichen Umfeld recherchiert und versucht, mehr über „Incels“ herauszubekommen. Incels – das sind „unfreiwillig im Zölibat Lebende“ und davon gibt es gar nicht mal so wenige.
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Veronika Kracher [00:00:00] Dieses Gefühl der Kränkung. Frauen entziehen mir Sex, weil ich unattraktiv bin. Das ist der große Faktor innerhalb der Incel-Ideologie. Und dass Frauen deswegen einfach dafür verantwortlich gemacht werden, dass der Incel sich in seinem Leben furchtbar fühlt.
Nadia Kailouli [00:00:16] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei - damit sich was ändert.
Nadia Kailouli [00:00:41] Wie ist es, als Frau in einem echt frauenfeindlichen Umfeld zu recherchieren? Die Autorin und Journalistin Veronika Kracher hat das jahrelang getan und versucht, mehr über die sogenannten Einzeller herauszubekommen. Incels, das sind übersetzt unfreiwillig im Zölibat lebende Männer. Und davon gibt es gar nicht mal so wenige. Veronica sagt, dass Incels der Meinung sind, Frauen würden nur mit den ganz hotten Typen schlafen, sie selbst würden also nie zum Zuge kommen. Und deshalb hassen sie alle Frauen. Veronica hat mir erzählt, dass es mittlerweile eine ganze Incel-Bewegung gibt, die ziemlich extrem unterwegs ist und sich an Frauen rächen will. Und der Held dieser Bewegung ist ein Mann, der Frauen so sehr hasst, dass er bei einem Amoklauf in den USA sechs Menschen tötete und 14 verletzte. In einem Manifest hatte er das so begründet: "Ich werde alle Frauen dafür bestrafen, dass sie mir Sex entzogen haben." Grund genug also, heute intensiv mit Veronika Kracher über diese Bewegung zu sprechen. Und ich sage hallo, Veronika Kracher, Autorin und Publizistin, ist jetzt hier bei einbiszwei. Grüß dich!
Veronika Kracher [00:01:43] Hallo! Vielen Dank, dass ich hier sein kann.
Nadia Kailouli [00:01:46] Ja, wir freuen uns. Wir freuen uns vor allem, weil du uns ein bisschen, ich will nicht sagen Licht ins Dunkle gibst, sondern uns sehr intensiv aufklären wirst über das Thema Incels. Ich übersetze das als Frauenhasser. Ist es so?
Veronika Kracher [00:02:00] Jein, ja, also doch, durchaus. Das Witzige ist ja, dass der Begriff Incel ja eigentlich Anfang der 90er Jahre von einer queeren Frau entwickelt wurde und schlicht für eine Support-Gruppe stand von Menschen, die Probleme damit hatten, eine Partnerin oder einen Partner zu finden und die auch Personen jeden Geschlechts oder jeder sexuellen Orientierung offen stand. Alana, so heißt die Frau, hatte den Begriff Involuntary Celibate quasi auch als Gegenpol zu dem ja doch sehr stigmatisierten Begriff der Virgin, also der Jungfrau, etabliert. Weil bei Virgin man dann automatisch und irgendwie so einen Neckbeard denkt, der so ungeduscht im Keller seiner Eltern sitzt und nicht rausgeht. Und eben auch durch den Begriff des Involuntary Celibates das Stigma der Sexlosigkeit genommen werden sollte, das ja auch nach wie vor sehr stark ist gesellschaftlich.
Nadia Kailouli [00:02:59] Und wir sprechen heute über Incels, also über Männer, die eine absolute Ablehnung Frauen gegenüber haben für, aus ihrer Sicht, so wie ich mich da reingelesen habe, mit Begründungen, die da zum Beispiel wären - womit rechtfertigen die ihren Frauenhass?
Veronika Kracher [00:03:16] Incels begründen ihren Frauenhass quasi damit, dass sie sagen hier, Frauen sind alles oberflächliche hypergame Schlampen, die nicht mit mir als Durchschnittsmann schlafen, sondern nur mit sogenannten Chads, die quasi so die top 20 Prozent aller Männer ausmachen. Für Incels ist Sex jedoch der integrale Bestandteil eines guten Lebens und indem Frauen nicht mit ihnen schlafen, halten sie, so die Incel-Ideologie, ihnen quasi das gute Leben vor und so können sie dann ihren Frauenhass legitimieren.
Nadia Kailouli [00:03:48] Das heißt, ich übersetze das mal wieder in meine Sprache, das sind Männer, die sich selbst nicht so hot finden und denken, okay, ihr Frauen, ihr steht ja nur auf die super hotten Typen, die alle einem, ich nenne es mal Insta-Schema angepasst sind, und ich unsichtbarer, vielleicht nicht super hotte in der Medienwelt definierte Typ krieg euch nicht ab.
Veronika Kracher [00:04:09] Genau. Also ist nicht nur ein "Ich bekomme euch nicht ab", sondern, wie du bereits angedeutet hast, Incels haben so eine krasse Obsession mit ihrem eigenen Äußeren und projizieren die dann auf Frauen und sagen dann so etwas wie: "Frauen können mir als unattraktiven Mann nur Hass entgegen bringen". Ich habe mal so ein Incel-Podcast gehört, wo dann die Incels beschreiben: "Ich laufe die Straße entlang und spüre schon die unbewusste Ablehnung, die Frauen mir gegenüber empfinden". Also, es ist irgendwie, man kann es fast schon als Paranoia bezeichnen. Das sind Leute, die davon ausgehen, Frauen hassen mich, weil ich unattraktiv bin. Was jedoch nichts anderes ist, als dass sie ihre eigene Misogynie, ihren eigenen Frauenhass auf eben Frauen projizieren und somit dann halt auch ihren Hass auf Frauen legitimieren.
Nadia Kailouli [00:05:06] Weil sie eigentlich ja ihren Hass auch sich selbst gegenüber haben. Kann man das so sagen?
Veronika Kracher [00:05:11] Das trifft es eigentlich ziemlich gut. Weil, ich meine, wenn wir über Incels sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, dass es junge Männer sind, die depressiv sind, die suizidal sind, die ganz offen darüber sprechen, sich permanent ungenügend zu fühlen. Aber daraus leiten sie irgendwie nicht eine progressive Gesellschaftskritik ab oder sagen, hier, wir müssen lernen, uns selbst zu lieben, sondern sie versteifen sich in so einen krassen Fatalismus und Nihilismus und sagen: "Wir sind unattraktiv und deswegen ist für uns eigentlich der Zug zu allem schon abgefahren".
Nadia Kailouli [00:05:53] Erst mal finde ich, es war ein Gefühl dazu, wow, das macht mich irgendwie, ich will nicht sagen traurig, aber ich habe Mitleid. So. Jetzt müssen wir sagen, darüber würde ich gerne reden, aber Achtung, Cliffhanger: wir reden heute darüber, weil von Incels eben auch eine ganz große Gefahr ausgeht. Nichtsdestotrotz würde ich gerne an dem Punkt sitzen bleiben, weil ich habe so gemerkt, bei der Recherche dachte ich so, oh man, die armen Typen. Weil weil ich da irgendwie dachte so ja, weil da draußen sind die ganzen super hotten Boys, die sich dann halt irgendwie ihre 15 Stunden im Fitnessstudio abtrainieren. Ja, irgendwie, was weiß ich, wahnsinnig viel Aufmerksamkeit auf ihr Äußeres legen. Dann halt jede Frau irgendwie auf einen Drink einladen und dann kommt ein, ich nenne es jetzt mal ein Incel, obwohl das ja nicht nur eine optische Bezeichnung ist, sondern vor allem auch eine Beschreibung einer Haltung, fühlt sich da komplett außen vor. Ist mein Gefühl von Mitleid berechtigt?
Veronika Kracher [00:06:46] Sagen wir es so: Es gibt unglaublich viele Männer, genauso wie Frauen, die Ablehnung erfahren, die schlechte Erfahrungen machen. Und die ronnten sich auch nicht im Internet zusammen und schreiben Threads in denen steht: "Haha, eine Frau, die ich kenne, wurde vergewaltigt, freut euch mit mir drüber". Weil das sind die Sachen, die man regelmäßig in diesen Foren liest. Und da, finde ich, hat man irgendwie so ein bisschen das Mitleid verwirkt. Ich meine, ich habe doch auch kein Mitleid mit einem Neonazi, der irgendwie einen Anschlag plant, weil er sich vom großen Austausch bedroht fühlt. Das sind ja Personen, die, ganz konkret anderen Menschen Leid zufügen wollen, um ihr Elend, das eigentlich aus so einer selbstverschuldeten Unmündigkeit heraus stammt, leichter zu machen. Und das sind, sobald es Männer sind, die sagen, hier, Gewalt gegen Frauen ist etwas Legitimes - warum sollte ich dann mit diesen Männern Mitleid haben und nicht mit ihren potenziellen Opfern?
Nadia Kailouli [00:07:51] Und jetzt sind wir eigentlich schon am Punkt, dass eben von der Community der Incels eben Gefahren ausgehen. Meine erste Frage: Ist es eine Community oder können wir hier schon sagen, es ist eine sich neu bildende Terrororganisation zum Beispiel?
Veronika Kracher [00:08:05] Da würde ich sagen, die Grenzen sind fließend. Nur ein Bruchteil der Incels die auf diesen Foren ihre Zeit verbringen, würde ich als zum Terroranschlag bereit einstufen. Dennoch ist die Community unter dem Begriff des stochastischen Terrorismus einzuordnen. Dieser Begriff aus der Terror-Forschung besagt im Großen und Ganzen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass eben aus einer bestimmten Szene oder Community Anschläge begangen werden, größer ist als aus anderen Communities. Und wenn man sich eben mehrere Stunden am Tag in virtuellen Echokammern wie Online-Foren oder Discord-Servern aufhält, in denen Gewalt gegen Frauen verharmlost, legitimiert oder gar glorifiziert wird, dann ist es ja natürlich auch wahrscheinlicher, dass sich potenzielle einzelne Männer, die jedoch nicht als Einzeltäter einzustufen sind, sondern eben als Teil dieses Online-Kollektivs, dieser Szene, sich denken, okay, hier, jetzt will auch ich zur Waffe greifen und mich gegen diese narzisstische Kränkung nich flachgelegt worden zu sein, zur Wehr setzen. Der Incel-Attentäter Elliot Rodger, der in der Szene als Held und Heiliger verehrt wird, nannte den Tag seines Anschlags den Tag der Wiedergutmachung. Und zwar Wiedergutmachung von der Kränkung, dass Frauen ihm den Sex und die Liebe entzogen hätten, wie er es in seinem Manifest schreibt. Und das ist also dieses Gefühl der Kränkung: Frauen entziehen mir Sex, weil ich unattraktiv bin. Das ist eben so der große Faktor innerhalb der Incel-Ideologie. Und dass Frauen deswegen einfach dafür verantwortlich gemacht werden, dass der Incel sich in seinem Leben furchtbar fühlt. Und das, was mich hier so ärgert, ist, dass Incels ja nicht darunter leiden, dass Frauen ihnen den Sex verweigern, sondern dass sie an internalisierten Vorstellungen von Männlichkeit, die du bereits angedeutet hast, scheitern. Dieser sexuelle Erfolg, das ist ja so ein integraler Bestandteil von einer erfolgreichen Männlichkeits-Performance. Und, das gehört ja auch noch dazu, dass sich Jungen gegenseitig von klein auf in diesem - und das ist das Elend der cis-männlichen Sozialisation, sag ich jetzt mal, dass eben die cis-männliche Sozialisation von klein auf auf so Sachen wie Stärke, Kräftemessen, Wettkampf und gegenseitiger Demütigung und Entmännlichung und eben diesem Beweis von, hier, ich bin männlicher als du, aufgebaut ist. Und dann machen eben Jungs, die diesen Männlichkeit-Vorstellung nicht entsprechen, diese demütigende Erfahrung: Okay, ich habe keinen Sex, das heißt meine Geschlechtsgenossen lachen mich deswegen aus, Mädchen lachen mich deswegen vermutlich auch aus. Und das sorgt dann für eine Frustration. Und da wir aber auch uns, und das ist ja ein wichtiger Punkt, uns in einer patriarchalen Gesellschaft befinden, in der Jungen und Männern von kleinauf ein patriarchales Anspruchsdenken vermittelt wird, nämlich: Aufgrund deines Phallus hast du eigentlich das Anrecht auf eine Frau oder eine Partnerin oder eine Freundin und Frauen haben die Aufgabe, deine Bedürfnisse zu erfüllen - das wird eben nicht kritisiert, dass eben die männliche Sozialisation so eine unglaubliche Barbarei ist, sondern Incels leiten eben daraus ab, hier, ich habe einen Anspruch auf eine Partnerin und die verweigert mir das. Und das bringt eben diese Incels in eine richtig, richtig beschissene Situation, sag ich mal, weil sie eben einerseits von einer weiblichen, von quasi einer Bestätigung durch Frauen, von der abhängig sind und sagen, hier, in meiner Konstitution der Männlichkeit brauche ich eben weibliche Anerkennung. Gleichzeitig aber unglaublich wütend auf Frauen sind, da sie ihnen, also, nicht nur da diese Frauen ihnen diese Anerkennung verweigern, sondern dass Incels sagen: Frauen können mir diese Anerkennung, die ich brauche, um adäquat Männlichkeit performen zu können, die wollen die mir gar nicht geben, weil ich mich selber für zu unattraktiv halte. Also es ist so eine krasse Sackgasse, in die sie sich selbst reinmanövriert haben.
Nadia Kailouli [00:12:35] Okay, jetzt mal ganz kurz die Frage: Warum besteht denn - nicht, dass ich das für gutheißen würde, das ist genauso scheiße - aber warum besteht der Hass Frauen gegenüber und nicht den Männern gegenüber?
Veronika Kracher [00:12:45] Meine These ist, dass Incels, auch wenn sie quasi in der Männlichkeits-Pyramide sich selbst am unteren Rand herumkrebsen sehen, nach wie vor quasi ihre Zugehörigkeit zu ihrem Geschlechter-Kollektiv beweisen, indem sie eben auch Frauen hassen und durch diesen Frauenhass quasi sich selbst auch noch ihrer Männlichkeit vergewissern können. Ich habe keinen Sex, ich bin nicht dieser Chad, der ich eigentlich sein will, aber ich hasse Frauen, weil das zu meiner männlichen Identitätsstiftung beiträgt. Ich hasse mich, aber immerhin bin ich keine von diesen Frauen, weil die sind das schlechteste der Welt. Ich bin zwar ein räudiger Incel, aber hey, ich bin immerhin keine Frau.
Nadia Kailouli [00:13:31] Hm, okay, du zitierst oder bringst gerade das zusammen, das ist nicht deine Einstellung, sondern du hast uns hier gerade versucht, die Gedanken eines Incels näher zu bringen. Wir sprechen heute so ausführlich mit dir gerade, Veronika, weil du eben darüber auch ein Buch geschrieben hast. Du bist wirklich sehr, sehr tief eingetaucht in diese Szene, Community, what ever. Aber meine Frage ist jetzt wie - vielleicht kannst du es beantworten, vielleicht aber auch nicht - aber wie kommt man da überhaupt rein? Also, die Jungs oder jungen Männer, die gehen ja wahrscheinlich nicht auf google.com ein, ich will ein Incel werden, sondern landen dann irgendwann auf irgendwelchen Plattformen im Netz, wo sie ja dazu ein bisschen vielleicht angestachelt, überredet, manipuliert werden, was auch immer - oder?
Veronika Kracher [00:14:18] Also, ich selber habe angefangen, mich mit dem Thema zu befassen, weil ich way to online bin und irgendwann ab 2015 angefangen habe, mich mit der Alt-Right und vor allem eben der Geschlechter-Ideologie der Alt-Right zu beschäftigen und dann darüber bei den Incels gelandet bin. Aber ja, bei mir war das natürlich ein komplett anderer Zugang, weil ich quasi über pro-feministische oder kritische Ecken des Internets auf diese Community aufmerksam geworden bin. Also, ich habe für mein Buch mit Ex-Incels gesprochen und eben auch Recherchen in den Foren angestellt. Was ein Aspekt war, der immer wieder aufgetaucht ist, ist die Radikalisierung über YouTube. Und auch hier müssen wir eben uns vor Augen halten, wir leben in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft, die, sage ich mal, patriarchale Antworten auf Fragen gibt. Dass, wenn man jetzt bei YouTube eingibt: "Wieso finde ich keine Freundin?, was vermutlich eine Frage ist, die sich viele 15-Jährige Jungs stellen, es gezielt antifeministische Kräfte gibt, wie Pick-up-Artists, wie Men's Rights Activists, die dann Content auf YouTube hochladen, der dir erklärt, du findest keine Freundin, weil der Feminismus alle Frauen degeneriert hat. Und nach ein paar von diesen Videos besteht ja dein Algorithmus nur noch aus solchem Content. Die Journalistin Julia Ebner hat in ihrem Buch "Radikalisierungsmaschinen" herausgearbeitet, dass YouTube auch eine Plattform ist, die quasi radikaleren Content vor gemäßigteren Content stellt, einfach weil es mehr Interaktion und Klicks bringt. Also hier spielt auch ein monetärer Aspekt eine nicht zu unterschätzende Rolle. Man hat also quasi eine Mischung aus gezielter Propaganda durch antifeministische Kräfte und einfach den Algorithmus einer Plattform in einer patriarchalen Gesellschaft.
Nadia Kailouli [00:16:30] Wie groß ist denn die Gefahr, dass eben durch diese einfache Suche bei Google, "Warum bekomme ich keine Freundin" oder "Wie bekomme ich eigentlich eine Freundin?", man sich dann auf Plattformen wiedertrifft, wo die Incels eben angeheizt werden, wirklich extremistischen Hass gegenüber Frauen zu entwickeln.
Veronika Kracher [00:16:48] Tatsächlich, das ist super interessant: Ich hatte vor ein paar Tagen ein Meeting zu genau dem Thema, wo es darum ging, wie können wir als große Plattformen - Twitter, YouTube, Google etc. - Menschenfeindliche Inhalte zurückdrängen. Vor einigen Jahren war es beispielsweise noch so, dass wenn man Feminismus bei Google eingegeben hat, dann diese Vorschläge kam: "Sind Feministinnen hässlich?" "Ist Feminismus männerfeindlich?" All so etwas. Und sich das eben auch aufgrund der permanenten Arbeit durch NGOs und Aktivist*innen sich das auch ändert. Dennoch ist es so, und das ist ein Problem, dass sobald Menschenfeindlichkeit genug Klicks generiert, es kein Deplatforming von menschenfeindlichen Inhalten geben wird. Wenn wir uns jemanden wie Martin Sellner, den Frontmann der Identitären Bewegung, ansehen, dessen Social Media Profile regelmäßig gelöscht worden sind, der ist vergleichsweise irrelevant. Allerdings haben wir zum Beispiel jemanden wie einen Joe Rogan, also den einen US amerikanischen Podcast- und Talk-Podcast-Host, der regelmäßig mit der moralischen Transgression und mit Alt-Right-Positionen nicht nur kokettiert, sondern diese auch relativ öffentlich macht und dann vor einem Drei-Millionen-Publikum darüber jammert, dass weiße Männer nichts mehr sagen dürfen. Dieser Mensch hat so viele Follower und bringt so viele Klicks und damit so viel Geld, dass dessen Inhalte halt auch nicht gelöscht werden. Das liegt einfach auch darin verwurzelt, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft niemals radikal gegen wirkliche faschistische Inhalte vorgegangen wird, solange sie halt Klicks bringen. Weswegen auch einfach feministische oder antirassistische oder antifaschistische Auseinandersetzung auch immer die Systemfrage stellen muss. Und das ist so der Punkt, auf den ich hinauswill: Antifeministische Inhalte, das sind keine Sache von irgendwelchen Weirdos im Internet. Die sind in einem gesellschaftlichen Mainstream ganz fest verankert. Und deswegen ist es so leicht von "Warum finde ich keine Freundin" zu Pick-Up-Artists bis hin zu einer Incel-Community zu rutschen.
Nadia Kailouli [00:19:07] Jetzt würde ich auch gerne noch mal auf diese Pick-Up-Artist zu sprechen kommen. Das ist ja eine Bewegung, wir kennen vielleicht alle den Film "Hitch, der Date Doctor", damit setze ich das immer gleich, damit fing für mich fast schon alles an. Der super Will Smith in diesem Film erklärt einem drolligen Typen, der eben auch nicht so erfolgreich bei Frauen ist, wie er sich eigentlich verändern muss, damit er auch Erfolg bei Frauen bekommt. Und zwar bei den Top-Frauen, bei denen, wo sich viele Männer denken: Bei der habe ich keine Chance. So, und jetzt kommen diese Pick-Up-Artist, man kennt sie vielleicht, die stehen oft irgendwie in den Innenstädten oder an Bahnhöfen und geben Tipps und Tricks im Kollektiv, wie man denn eine Frau anzusprechen hat. Und das geht aber sehr, sehr viel weiter. Es ist eine perfide Art, auch ein Bild der Frau darzustellen und es gibt Bücher, die Anleitung geben, dass wenn man doch im Club ist und die Frau, die als letztes da noch steht, die will eigentlich, ich zitiere aus einem Buch abgeschleppt werden. Wie gefährlich ist diese Community gerade im Hinblick eben auf Incels, wo wir gleich noch mal näher draufkommen, dass die wirklich gefährlich sein können?
Veronika Kracher [00:20:09] Interessanterweise entsprang die Incel-Community, wie wir sie heute kennen, zu einem nicht unbeträchtlichen Teil aus jungen Männern, die in Pick-Up-Artist-Seminaren waren. Eines der frühen radikalen Incel-Foren, in dem sich beispielsweise auch der Attentäter Elliott Rodger radikalisiert hat, nannte sich "Pick-Up-Artist-Hate". Und zwar nicht in dem Sinne von Pick-Up-Artists sind misogyne Widerlinge, die sich eine Karriere daraus machen, Frauen zu belästigen, sondern im Sinne von "Ich bin in dieses Pick-Up-Artist Seminar gegangen, habe ein paar 100 Dollar oder Euro dagelassen und habe trotzdem immer noch kein Erfolg bei Frauen. Und anstatt irgendwie zu dem wesentlich naheliegenderen Schluss zu kommen, dass eben diese Pick-Up-Artist Flirt-Tipps, wie sie sie nennen, einfach nur übergriffig und creepy und manipulativ sind, kamen dann eben auf dem Gedanken, oh mein Gott, ich bin so unattraktiv, dass selbst mit diesen Flirt-Tricks ich keine Frau erobern kann. Das erst mal dazu. Also ich kenne kaum eine Frau oder weiblich gelesene Person, die noch keinen Kontakt zu diesen Pick-Up-Artists hatte. Ich bin ja Frankfurterin und wir hatten letztes Jahr diesen Fall von einem Gerichtsprozess gegen einen Pick-Up-Artist, der über Monate hinweg Frauen, stellenweise auch Minderjährige bedroht und belästigt und gestalkt hat. Und da kann man jetzt sagen, ja, das ist doch alles nicht so schlimm, weil der hat Ihnen ja keine Gewalt angetan. Erstens: Für mich sind Bedrohung und Stalking und Belästigung, das ist Gewalt und das ist nichts, womit Frauen sich halt einfach abfinden müssen. Wir müssen das benennen, dass das einfach eine Form von patriarchaler, frauenfeindlicher Gewalt ist. Und das Ding ist eben auch, dass Pick-Up-Artists ja ihren Jüngern, ihren Anhängern schlicht und ergreifend auch einfach beibringen, Frauen zu manipulieren und zu nötigen. Also dieses ganze Game, von dem sie sprechen, wird ja begriffen als etwas, wo es darum geht, Frauen zu brechen. Und das ist ja auch Gewalt.
Nadia Kailouli [00:22:33] Ich finde das sehr wichtig, dass du das ansprichst, dass Gewalt eben nicht erst da anfängt, dass man eben ein Attentat ausübt oder jemanden körperlich zu nahe kommt, sondern Gewalt-Strukturen oder Gewalt an sich fängt eben auch allein im Gedankengut schon an. Jetzt wollen wir aber noch mal darauf eingehen, du hast jetzt des Öfteren Elliot Rodger angesprochen, der 2014 in Kalifornien ein Attentat begangen hat und dabei Menschen getötet und verletzt hat. In den USA werden Incels als Gefahr für die innere Sicherheit gesehen. Wie sieht das hier bei uns in Deutschland aus?
Veronika Kracher [00:23:11] Hahahahaha, ah.
Nadia Kailouli [00:23:17] Okay, das ist eigentlich die Antwort, mit der kann jeder was anfangen.
Veronika Kracher [00:23:21] Also, vor ein paar Monaten hat die Linkspartei im Bundestag eine kleine Anfrage gestellt, ob überhaupt mal jemand Incels auf dem Schirm hat. Ich hatte mit einer Politikerin der Grünen in Bayern Kontakt, die dazu auch mal im Bundesland angefragt hat. Aber natürlich gibt da irgendwie niemand, also ich sage es jetzt mal ein bisschen flapsig, gibt niemand einen Fick. Das liegt an mehreren Aspekten, meiner Ansicht nach. Erstens, dass Deutschland ein Land ist, in dem Online-Radikalisierung in einem politischen Kontext nicht betrachtet wird. Das wird von NGOs und Journalist*innen analysiert. Wir haben einige von mir sehr geschätzte Expert*innen in der Politik zu dem Thema, wie zum Beispiel Genossin Martina Renner von der Linkspartei, die zu Rechtsterrorismus arbeitet und eine unangefochtene Koryphäe auf dem Gebiet ist und meinen größten, größten, größten Respekt genießt. Aber das sind eben in der politischen Landschaft die Ausnahmen. Beispiele dafür sind zum Beispiel das rechtsterroristische Attentat in München von 2015 oder 2016. Obwohl es am gleichen Tag begangen worden ist wie der Anschlag von Utoya und obwohl eben Dokumente von dem Täter aufgetaucht sind, die explizit rassistische und antiziganistische Inhalte hatten - das ist jahrelang nicht als rechtsterroristischer Anschlag eingestuft worden. Oder dass auch beispielsweise bei dem Attentat von Halle, das ja eindeutig in Tradition der Leaderless-Resistance-Anschläge ist und in dessen Manifest zahlreiche Referenzen auf Online-Kultur und Videospiel-Culture zu finden war und das sich auch mit dem Livestream sehr explizit auf den Anschlag in Christchurch bezogen hat - also, dass die Gutachter*innen nicht wussten, was die Videospiel-Plattform Steam ist, also, da sitze ich so als Person die sich mit Rechtsterrorismus und Online-Radikalisierung beschäftigt und möchte meinen Rechner anschreien. Also genau, es gibt einfach kaum ein Wissen über Online-Radikalisierung bei den Behörden, geschweige denn ein Interesse sich damit zu beschäftigen. Zweitens ist der Fall des - ich meine, ich bin Frankfurterin und wir in Frankfurt haben ja, also alle paar Wochen sage ich mal, kriegen wir dann immer wieder Nachrichten, hier, neue Nazi-Chat-Gruppe bei der Polizei entdeckt. Der Verfassungsschutz ist eine Institution die in ihren Berichten von Antifa-Gruppen abschreibt um diese dann zu kriminalisieren. Ich sag immer, die die Polizisten, die sich halt mit diesen ganzen Nazi-Foren auskennen, das liegt daran, dass sie da selber draufhängen. Also da sehe ich irgendwie in den Sicherheitsbehörden einfach auch das strukturelle Problem, dass es halt weiße männliche Strukturen in der post-nazistischen Gesellschaft sind, in der eine Entnazifizierung nie stattgefunden hat und deren Aufgabe es halt auch ist, die Interessen der herrschenden Klasse zu beschützen und die eben primär ihre Zeit damit verbringen, People of Colour racially zu profilen oder Antifaschist*innen zu nerven. Und dann ist auch noch der Aspekt, dass wir in Deutschland in einer patriarchalen Gesellschaft leben, wie bereits gesagt, und Gewalt gegen Frauen generell nicht größere Aufmerksamkeit erfährt. Und jede Frau, die bei einer Polizeiwache war und einen sexuellen Übergriff angezeigt hat, kann darüber sprechen, wie erniedrigend und retraumatisierend dieses Erlebnis war. Die Polizisten sind nicht geschult, um sich mit häuslicher Gewalt zu befassen. Es gibt kein kritisches Bewusstsein zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Und ja, deswegen kein Wunder, dass sich in Deutschland nicht mit dieser Community beschäftigt wird.
Nadia Kailouli [00:27:39] Wenn man auf diesen Foren unterwegs ist, dann sieht man Fotos von getöteten Frauen zum Beispiel. Da gibt es Beschreibungen von "Die sollte vergewaltigt werden", da gibt es sehr, sehr explizite Schilderungen von "Frauen müssen getötet werden" etc.. Wovon geht die Gefahr wirklich aus? Oder gibt es schon Beispiele, wo man sagen kann, die Zusammenhänge zwischen Antisemitismus, Terror und Incels haben wir eigentlich in dem und dem Attentat schon gesehen?
Veronika Kracher [00:28:11] Also, was eine ziemlich bittere Sache ist, ist, wenn ich in einer Zeitung von Angriffen auf Frauen lese, dann gehen bei mir so die Incel-Warnglocken an. Es gab beispielsweise letztes Jahr in Wien diesen Fall, wo ein Mann mehrere Frauen versucht hat anzuflirten, die ihm gesagt haben, ey, Junge, ist nicht, und er dann anschließend Frauen zu Boden geschlagen hat. Wo bei mir die Incel-Warnglocken angehen und ich mich dann hinsetze und versuche zu recherchieren, ob ich dazu etwas finde. Oder in Hamburg vor zwei oder drei Monaten den Fall, wo es Säure-Angriffe auf Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln gab und das aber dann auch Sicherheitsbehörden nicht nachforschen, ob es da eine explizit misogyne Komponente dabei gibt, weil ihnen diese misogyne Komponente gar nicht bewusst ist, als Personen, für die Misogynie jetzt irgendwie nichts ist, worüber man nachdenken muss. Also das ist erstens ein Problem. Ich glaube, es gibt einfach sehr viele Attentate aus einem explizit misogynen Spektrum, die gar nicht als solche klassifiziert werden, weil eben keine geschlechtsspezifische Komponente dabei beleuchtet wird. Was ich auf Incel-Foren relativ häufig lese - und es ist irgendwie traurig - sind Incels, die darüber prahlen, kleinere Gemeinheiten begangen zu haben. Wie: "Ich habe diese zwei Mädchen an der Bushaltestelle gesehen, die haben die ganze Zeit so gekichert und dann bin ich wütend geworden, weil die haben sicher über mich geredet und hab ihnen meinen Orangensaft ins Gesicht geschüttet". Wow. Cool. Also, so etwas...was ich letztens gelesen habe, ist, dass jemand sehr offen darüber geschrieben hat, eine Frau vergewaltigt zu haben, wo jetzt Personen, die des Teufels Advokat spielen wollten, sagen, ja, aber was, wenn diese Person nur Shit-Posting macht? Was, wenn sie das nur ins Internet schreibt, um Leute zu schockieren? Wo ich an der Stelle antworten würde: In diesem Forum schockiert man keine Leute damit, erstens das. Und zweitens, selbst wenn ich irgendwie schon, keine Ahnung, eine dreiviertel Seite darüber schreibe, wie ich eine Frau vergewaltigt habe, das, also....
Nadia Kailouli [00:30:49] Ich frage mich gerade so, was ist so, also, um noch mal zu meinem Anfangs-Gefühl zurückzukommen, dieses Mitleid. Klar, du erzählst uns das wirklich so gut, dass man das Gefühl von Mitleid ziemlich schnell verlieren kann, weil man einfach nur auch eine Art von Wut und Hass entwickelt diesen Menschen gegenüber, die aufgrund von was auch immer sie für ein Problem mit sich selbst haben, eben vergewaltigen oder dazu anleiten. Oder überhaupt die Frau an sich als Hassobjekt nicht nur darstellen, sondern es tatsächlich auch so fühlen. Ich frage mich gerade, kann man die irgendwie therapeutisch erreichen?
Veronika Kracher [00:31:26] Vielen Dank, Nadia, für die Frage, das ist eine sehr gute Frage. Hier gibt es tatsächlich bereits mehrere Ansätze. Alana, die eben diesen Begriff Incel ins Leben gerufen hat, ihr aktuelles Projekt trägt den Namen "Love Not Anger" und richtet sich explizit an eben junge Männer, die drohen in die Incel-Community abzurutschen und bietet Alternativen. Dann gibt es ein Ausstiegs-Projekt, das von ehemaligen Incels betrieben wird, auf Reddit. Für alle, die jetzt nicht so permanent im Internet sind: Reddit ist ein großes Forum mit zehntausenden Unter-Foren zu allen erdenklichen Themen. Inzwischen gibt es das Sub-Reddit Incel-Exit, das gibt es seit Oktober 2019, glaube ich, und verzeichnet inzwischen auch mehrere 10.000 User. Wo eben Incels, die merken, dass die Community auch ihnen schadet - und das ist ja der Fall, Incel-Community ist ja ein unglaublich toxischer, selbstzerstörerischer Sumpf, der den eigenen Mitgliedern ja nur vermittelt, hier, niemand wird dich je lieben, du bist super unattraktiv, für dich ist alles vorbei. Oder wenn du irgendwann überhaupt erst mal eine Frau haben möchtest, musst du zuerst mehrere 10.000 Dollar in plastische Chirurgie investieren. Also das ist ja eine Community, die auch den eigenen Mitgliedern gegenüber immens schädlich ist. Und Incel-Exit ist quasi eine Anlaufstelle für diejenigen, die versuchen, da rauszukommen, die realisiert haben, dass sie eben nicht mehr dieses Bild von sich selbst und dieses Bild von Frauen und der Welt haben wollen und sagen, hier, also die quasi den Zeh aus diesem Sumpf rausstrecken. Und dort gibt es dann eben Ex-Incels - ich habe auch mit einem von den Moderatoren dieser Community für mein Buch gesprochen - die aus ihren eigenen Erfahrungen heraus auch Tipps geben, wie man diese Ideologie verlassen kann. Dass dann gesagt wird, hier, das Wichtigste ist, aufzuhören zu glauben, dass Frauen Sexobjekte sind, die dir halt einen Fick Schulden. Und dass man aufhören muss, Frauen eben bloß als Sexobjekte zu betrachten, die es auf dich abgesehen haben und dir schaden wollen. An der Stelle muss jedoch auch gesagt werden, dass es durchaus Fälle von Incels gab, die eben therapeutische Hilfe bekommen haben, aber das dann auch mehr zu einer Frustration geführt hat. Und man kann jetzt auch nicht von jeder Therapeutin erwarten, den nächsten Elliot Rodger zu verhindern. Also, das ist ja auch eine riesige Aufgabe, die man auf Therapeut*innen verlagert. Und ich denke, dass wir stattdessen vielmehr darüber reden müssten, was wir als Gesellschaft tun können, um das Problem Incels gar nicht erst aufkommen zu lassen, um halt präventiv Arbeit zu leisten.
Nadia Kailouli [00:34:37] Und was wäre das zum Beispiel? Also wer hat diesen Job?
Veronika Kracher [00:34:44] Das sind, würde ich sagen - wir müssen uns quasi drei Ziele stecken, über die wir hier reden müssen. Das erste, was ich für notwendig betrachte, ist die Deplatforming, also das Löschen von Foren. Alleine schon, weil, ich meine, das sind ja Echokammern, in denen sich die User radikalisieren, in denen die User einfach widerlich menschenfeindliches Material konsumieren und natürlich auch Orte, die schlecht für die eigene Psyche sind. Weil, es gibt dann zum Beispiel so dieses Ding, dass Incels so Fotos von sich hochladen, um sich gegenseitig zu bewerten - sehen halt auch aus wie ganz normale junge Männer - und dass dann andere User der Community sagen, welche optischen Makel sie haben und was sie da tun müssten. Also, was dann auch dazu führt, dass man ein komplett verzerrtes Bild von der eigenen Person hat. Und natürlich steht das irgendwie so einer Entwicklung von Selbstliebe, die man ja auch braucht, um andere lieben zu können, diametral entgegen. Also, genau, diese Foren zu löschen wäre der erste Schritt. Der zweite Schritt wäre...würde ich auf einer pädagogischen Ebene sehen. Also, ich meine, diese ganze Incel-Ideologie ist ja auf diesem patriarchalen Anspruchsdenken und auf internalisierten Männlichkeits-Vorstellungen und dergleichen aufgebaut. Und deswegen denke ich, dass wir Jungen von klein auf vermitteln müssen, dass sie eben auch eine eigene Identität entwickeln können, die eben nicht auf dieser Abwertung des nicht-männlichen aufgebaut ist. Und diese Rolle haben Kindertagesstätten, diese Rolle haben Schulen, diese Rolle haben Jugend-Clubs, diese Rolle haben Universitäten, diese Rollen haben Eltern. Diese Rolle hat letztendlich auch eine parlamentarische Politik, die eine feministische Politik sein muss, weil Frauen - und das ist das muss ich jetzt mal so platt sagen - weil die Unterdrückung von Frauen einfach noch kulturell, popkulturell, parlamentarisch, im Feuilleton, auf der Straße, in Beziehungen einfach noch etwas komplett Normales ist. Und das ist halt auch noch so was. Ich glaube, jede Frau oder nicht-binäre Person, die sich öffentlich feministisch äußert, wird dafür mit erschreckender Regelmäßigkeit angegriffen. Einzelne Frauen erfahren massive Shitstorms und das alles hat ja auch das Ziel, diese Frauen und nicht-binären Menschen und eben auch andere, die sich potenziell auch feministisch äußern wollen, davon abzuhalten, das Maul so weit aufzureißen. Und das ist halt nicht nur was, was von jetzt gezielten Anti-Feministen ausgeht, sondern wo einfach richtig viele Menschen, Männer wie Frauen, mitmischen.
Nadia Kailouli [00:37:31] Veronika Kracher, an dieser Stelle sage ich vielen Dank, dass du uns hier so gut aufgeklärt hast.
Veronika Kracher [00:37:35] Nadia, vielen Dank für die Möglichkeit, dass ich euch aufklären konnte. Es hat mir wahnsinnig viel Spaß gemacht.
Nadia Kailouli [00:37:43] Also, ich glaube, Teil zwei ist mit dir auf jeden Fall drin.
Nadia Kailouli [00:37:47] Wow, was für ein intensives Gespräch. Ich hoffe, ihr konnte dem ganzen folgen, weil wir schon auch sehr gesprungen sind. Aber das zeigt ja, dieses Thema ist doch sehr komplex, weil es halt eben tiefe Recherchen braucht, um da überhaupt reinzukommen in diese Community, um die dann, wenn man will, besser zu verstehen. Obwohl es für mich sehr schwierig ist, das zu verstehen, warum Männer im Kollektiv sich zusammenfinden im Internet und einen richtigen Frauenhass schüren. Mir ist an dieser Stelle nochmal wichtig zu sagen, dass es jetzt hier nicht einfach nur um eine Community geht, die sich da tummelt und dann eine Hatespeech vor sich hintippt, sondern, dass hier wirklich eine Gefahr ausgehen könnte. Und Veronika hatte ja noch mal darauf hingewiesen, dass die Incels zu wenig auf der Agenda der deutschen Sicherheitsbehörden stehen. Und das muss sich schnell ändern.
Mehr Infos zur Folge
„Incels“ ist eine Selbstbezeichnung einer Gruppierung von Männern, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Sie verbreiten ihren Frauenhass in Internetforen und in diesen Echokammern teilen sie toxische Ansichten und Gewaltfantasien. Die Männer befeuern sich gegenseitig.
Die Autorin und Journalistin Veronika Kracher sagt, dass Incels der Meinung sind, Frauen würden nur mit den ganz hotten Typen schlafen. Sie selbst würden also nie zum Zuge kommen. Und deshalb hassen sie alle Frauen.
Bei einbiszwei berichtet sie, dass es mittlerweile eine ganze Incel-Bewegung gibt, die ziemlich extrem unterwegs ist und sich an Frauen rächen will. Der Held dieser Bewegung ist ein Mann, der Frauen so sehr hasst, dass er bei einem Amoklauf in den USA sechs Menschen tötete und 14 verletzte.
In einem Manifest hatte er das so begründet: „Ich werde alle Frauen dafür bestrafen, dass sie mir Sex entzogen haben.“
Wie gefährlich Incels sind, wie man sie erkennt und wie die Verbindungen in die rechte Szene aussehen, erzählt Veronika Kracher bei einbiszwei.
Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:
Veronika Kracher hat ein Buch über die Incel-Bewegung geschrieben:
„Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“
Einen guten Überblick zur Incel-Bewegung gibt es hier:
Deutschlandfunk Kultur
Auch der Bundestag hat sich mit Incels befasst:
Bundestag Kurzmeldungen
Die von Veronika genannte Seite mit viel Hintergrundinformationen zu Incels:
love, not anger – beyond involuntary celibacy
Ein Forum für Incels, die aussteigen wollen:
r/IncelExit