PODCAST | Folge 36 | Melanie Büttner
In dieser Episode erklärt Melanie Büttner, was sexuelle Gewalt anrichten kann, welche Folgen sie für die Sexualität von Betroffenen hat und wie man therapeutisch daran arbeiten kann.
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Melanie Büttner [00:00:00] Das heißt, es könnte sein, dass ich bestimmte Gefühle wieder fühle. Ohnmacht, Panik etwa, Hilflosigkeit, vielleicht aber auch Wut, vielleicht Ekel, eine Abscheu, dass das wieder in mir hochsteigt. Gefühle, die ich in der Gewaltsituation, im Trauma damals auch schon empfunden habe.
Nadia Kailouli [00:00:21] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei - damit sich was ändert.
Nadia Kailouli [00:00:47] "Ist das normal?" - so heißt der Podcast, den die Sexual- und Traumatherapeutin Melanie Büttner gemeinsam mit Sven Stockram moderiert und wo wirklich alle Themen rund um Sexualität diskutiert werden. Dr. Melanie Büttner weiß sehr genau, wovon sie redet, sie hat eine eigene Praxis für Sexual-, Trauma- und Psychotherapie. Zu ihr kommen auch Menschen, die durch sexuelle Gewalt traumatisiert sind und die Folgen solcher Übergriffe werden oft massiv unterschätzt, sagt Melanie Büttner. Sie hat nicht nur zum Thema geforscht und mehrere Bücher veröffentlicht, sondern bei ihrer jahrelangen Begleitung traumatischer Menschen die vielfachen Spuren an Körper und Seele auch kennengelernt. Bei einbiszwei erklärt sie, was sexuelle Gewalt anrichten kann, welche Folgen sexueller Gewalt für die Sexualität von Betroffenen hat und wie man therapeutisch daran arbeiten kann. Herzlich willkommen, Frau Dr. Melanie Büttner, bei einbiszwei.
Melanie Büttner [00:01:38] Hallo!
Nadia Kailouli [00:01:38] Hallo! Ich grüße Sie! Frau Büttner, sie sind Sexual- und Psychotherapeutin und wir möchten heute ganz gezielt mit ihnen über Traumata sprechen, die man durch sexualisierte Gewalt erfahren kann und darüber hinaus, wie man, obwohl man eben sexualisierte Gewalt erlebt hat, ein gesundes Sexualleben, eine gesunde Sexualität führen kann. Erst mal die Frage, jeder, der sexuelle Gewalt erlebt, erlebt auch ein Trauma? Oder muss das nicht jeden treffen?
Melanie Büttner [00:02:08] Nein, also sexualisierte Gewalt oder sexuelle Gewalt ist ja sehr, sehr vielfältig. Und es gibt Menschen, die durch so etwas nicht zutiefst erschüttert werden, die sich dadurch nicht massiv bedroht fühlen und die danach gut anschlussfähig sind an ihr bisheriges Leben und weitermachen können, ohne dass es sie so sehr durchschüttelt. Auf der anderen Seite gibt es natürlich Menschen, die dadurch massiv getroffen werden, die dadurch auch wirklich vielleicht einen Knick in ihrer Lebenslinie erfahren, in ihrer Entwicklung einfach total ausgebremst werden und sehr, sehr lange daran zu knabbern haben. Und wir wissen heute, das ist inzwischen wahnsinnig gut untersucht, wie ich finde, dass es bestimmte Risikofaktoren gibt, dass es aber auch Schutzfaktoren gibt, die Menschen helfen können, selbst heftigste Ereignisse unbeschadet zu überstehen und hinterher gut weiterzumachen.
Nadia Kailouli [00:03:10] Was sind diese Faktoren?
Melanie Büttner [00:03:13] Ach, das ist sehr vielfältig. Das fängt schon damit an, was ist das für eine Erfahrung, die ich da gemacht habe? Wie invasiv war die vielleicht, wie heftig war sie in dem Moment? War es vielleicht auch mehr als eine Erfahrung? Ist es eine Reihe an Erfahrungen, sozusagen immer wieder an derselben Stelle erfahre ich eine Erschütterung, vielleicht sogar über Jahre hinweg, vielleicht schon sehr, sehr früh in meiner Lebensgeschichte. Wir wissen, dass gerade sehr junge Menschen, Babys, kleine Kinder, die noch sehr in der Entwicklung sind, die sehr darauf angewiesen sind, Schutz zu erfahren, gute Bindung und Beziehung zu erfahren, dass die besonders vulnerable sind. Also, wenn es mich in dieser Zeit trifft und dann vielleicht auch einfach wiederholt und wenn die Erfahrung selbst sehr heftig war, sehr nahe ging, sehr verletzend war, dann habe ich ein viel, viel höheres Risiko dadurch vielleicht auch wirklich tiefgreifende Spuren in meiner Psyche in Kauf nehmen zu müssen oder auch auf körperlicher Ebene, während es bei Traumatisierungen oder bei Gewalterfahrungen, die eben nicht so tiefgreifend sind oder so umfassend sind, mich vielleicht weniger erschüttert. Und dann kommt es sehr darauf an, habe ich ein vielleicht anhaltendes, liebevolles Umfeld, das mich gut begleiten kann? In dieser Situation habe ich vielleicht woanders schon sehr positive, stärkende Beziehungserfahrungen gemacht, sodass ich so ein Trauma sozusagen besser wegstecken kann, weil ich weiß, die Welt ist eigentlich ein guter Platz, Menschen sind eigentlich was Gutes für mich. Das ist was ganz anderes, als wenn ich immer wieder in engen Beziehungen erlebt habe, oh, ich werde schlecht behandelt, mir wird wehgetan, Beziehung ist gar nicht sicher. Also so, das sind jetzt nur so ein paar Dinge, die ich hier anspreche, darüber könnte man sehr, sehr lange sprechen, was Schutzfaktoren und Risikofaktoren sind. Aber ich erlebe immer wieder, dass genau diese Dinge einfach einen ganz, ganz großen Unterschied machen.
Nadia Kailouli [00:05:21] Vielleicht erläutern wir einmal ganz kurz, was genau ist denn ein Trauma und wie können Traumata eigentlich aussehen?
Melanie Büttner [00:05:29] Da gibt es tatsächlich bis heute keine allgemein gültige und verbindliche Definition. Also es gibt so verschiedene Annäherungen. Was ich zum Beispiel eine ganz gute Unterscheidung finde, ist einmal zu sagen, es gibt so was wie ein Schock-Trauma, das ist meistens etwas sehr plötzliches, was mich aus einem grundlegenden Sicherheitsgefühl herausreißt. Und das ist deshalb ein Trauma, weil die Erfahrung so bedrohlich ist, dass ich psychisch zutiefst erschüttert und einfach auch in meinen Bewältigungs-Kapazitäten total überfordert bin. Und das merken Menschen in dem Moment zum Beispiel indem sie sich ohnmächtig fühlen, hilflos fühlen, Angst und Panik erleben. Dann gibt es auf der anderen Seite aber auch Erfahrungen, die dann vielleicht für sich erst mal nicht so dramatisch erscheinen. Da sprechen wir vielleicht von Entwicklungs-Trauma oder Bindungs-Traumatisierung. Das kann Kinder beispielsweise treffen, wenn ganz, ganz zentrale Entwicklungsbedürfnisse, die Kinder haben - nach Bindung, nach Schutz, nach Mitbestimmung, vielleicht auch nach Wertschätzung, angenommen sein - wenn diese Entwicklungsbedürfnisse immer wieder verletzt werden oder einfach nicht gut versorgt werden, dann kann es sein, dass einfach, wenn es immer wieder solche Erfahrungen gab, das vielleicht auch eine Normalität war, dass ich Beziehungen so erlebt habe, dann kann es sein, dass ich sehr, sehr tiefgreifend auf ganz vielen Ebenen meines Selbst erschüttert werde und dass das tatsächlich mich als Menschen auch sehr, sehr nachhaltig prägt und verändert, weil ich einfach die Welt nicht wahrnehme als einen sicheren Platz, wo ich so etwas wie Liebe und Schutz erfahren kann. Also mit dieser Unterteilung, finde ich, kann man zumindest therapeutisch zumindest ganz gut arbeiten und was ich zuletzt aber auch wahrnehme, und das wird einerseits sehr kritisiert und andererseits sehr willkommen geheißen, ist, dass der Begriff Trauma etwas diffundiert, also dass Menschen den für sich anwenden, auch an Stellen, wo so klassische Psycho-Traumatologen und Traumatologinnen sagen würden, nee, nee, das ist noch gar kein Trauma. Aber natürlich kann auch eine Trennungserfahrung was wahnsinnig verletzendes sein, was mein Vertrauen in zukünftige Beziehungen sehr erschüttert. Trauma fängt da an, wo ich als Mensch einfach merke, da hat mich etwas wahnsinnig verletzt und es lässt mich nicht mehr los. Und in der Therapie, finde ich, ist es unsere Aufgabe, egal was für eine Art von Erschütterung, Verletzung durch andere Menschen beispielsweise das war, dass wir das erst mal ernst nehmen sollten und gar nicht so sehr uns an Definitionen aufhängen sollten und dann jemandem vielleicht rückmelden, nö, also das, was sie erlebt haben oder was du erlebt hast, das war kein Trauma, weil das eine Definiton nicht erfüllt. Ich finde, therapeutisch haben wir da in erster Linie die Chance, menschlich und empathisch zu erscheinen und die Erfahrungen ernst zu nehmen, als Verletzungen.
Nadia Kailouli [00:08:38] Nun ist es ja oft so, dass man irgendwie, weiß ich nicht, Verhaltensmuster an den Tag legt oder bei sich selber feststellt, oha, so wie ich mich da und da verhalten habe, so möchte ich gar nicht sein und irgendwie passiert das und ich kann gar nicht erklären, warum ich mich so oder so verhalten habe. Obwohl die Menschen wissen, dass zum Beispiel eben sexualisierte Gewalt in der Kindheit stattgefunden hat, egal in welchem Schweregrad jetzt, sei es, man wurde angefasst oder man wurde schwerst misshandelt, wie kommt man denn überhaupt an den Punkt mit sich selbst, ohne dass man schon den Weg zum Therapeuten gefunden hat, um für sich festzustellen, hey, das ist gar nicht unnormal, so wie du dich gerade verhältst, weil es darauf zurückzuführen ist, was dir als Kind oder als Jugendliche passiert ist.
Melanie Büttner [00:09:23] Ich finde da immer diesen Gedanken sehr schön und sehr hilfreich zu verstehen, dass Menschen erst einmal gute Gründe haben, zu fühlen, wie sie fühlen, zu denken, wie sie fühlen und sich zu verhalten, wie sie es tun. Und mit gute Gründe meine ich, dass wir alle lebensgeschichtlich geprägt sind, dass wir alle auch lebensgeschichtlich Verletzungen hier und da erlitten haben und dass wir darauf vertrauen können, dass unsere Seele, unser Organismus erst mal auf Überleben ausgerichtet ist. Das heißt, aus der Perspektive der Seele betrachtet ergibt alles Sinn. Jede Verhaltensweise, jede Empfindung, die ich habe, ergibt Sinn und dient, gerade wenn es um das Thema Trauma geht, dem Überleben. Und sexueller Missbrauch in der Kindheit ist für viele Betroffene wirklich eine sehr bedrohliche Erfahrung, eine sehr verstörende, erschütternde Erfahrung, bei der ganz viele Schutzmechanismen angeknipst werden im Körper, in der Seele, die möglicherweise, bis man erwachsen ist, ganz Großartiges geleistet haben, mich überhaupt dahin zu bringen, wo ich heute stehe. Das heißt, ich finde diesen Blick einfach so schön und so hilfreich zu sagen, ich würdige das erst einmal als ein großartiges Überlebensprogramm in mir, als eine großartige Fähigkeit, die ich auch habe, weiterzumachen, weiter gemacht zu haben, um heute hier anzukommen. Und mit diesem einfühlsameren Blick, mit diesem verstädnisvolleren Blick auf mich selbst, finde ich es viel, viel leichter auch in eine Entwicklung zu gehen, wenn ich heute merke, da steht mir diese Fähigkeit, die ich entwickelt habe, um zu überleben, die steht mir heute vielleicht an Stellen auch im Weg, weil ich heute diese Bedrohung nicht mehr habe, weil ich gewachsen bin, weil ich heute andere Fähigkeiten habe, in meinem Leben weiterzukommen an den Punkten, die mir wichtig sind. Aber mit dieser Einfühlsamkeit im ersten Schritt ist das viel, viel leichter, einen nächsten Entwicklungsschritt zu gehen, als wenn ich auf mich selbst streng gucke und sage, hey, ich bin da krank, mit mir stimmt was nicht, ich bin kaputt, ich wurde kaputt gemacht und weil das so ist, kann ich mich ja da gar nicht rausentwickeln. Oder was wäre denn das Ziel, wenn ich mich heute als krank erlebe? Gesund zu werden? Was ist das überhaupt? Und das ist was vielleicht auch wieder eine verletzende Sicht auf mich selbst ist, wenn ich zu mir sage, mit mir stimmt was nicht oder ich bin krank, ich bin irgendwie nicht normal.
Nadia Kailouli [00:12:16] Aber wie geht das andere Gegenüber damit um? Der Partner, die Partnerin, die Mutter, der Vater, die Schwester? Wenn man merkt, okay, da verhält sich ein Mensch auf einmal ja traumatisch irgendwie. Sie hatten ja eben gesagt, es gibt jetzt nicht die Definition, was eine Trauma-Folge sein kann. Wie gehen die nahestehenden Menschen am besten dann in solchen Situationen mit diesen Menschen um?
Melanie Büttner [00:12:46] Die wissen das ja meistens gar nicht. So wie die Betroffenen das meistens erst mal gar nicht verstehen, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt, so weiß auch das Umfeld meistens gar nicht Bescheid, sondern erlebt nur, ah, okay, da verhält die Person sich so oder so oder so und ein einfühlsames Gegenüber würde sich vielleicht wundern und fragen und herausfinden wollen, was beschäftigt da so und wie kann ich helfen? Leider sind Menschen im Umfeld von Betroffenen nicht immer so empathisch. Da kann es dann auch manchmal vielleicht Konflikte geben oder einfach auch Brüche in Beziehungen geben. Was ich hilfreich finde an so einer Stelle, wenn die betroffene Person selbst schon für sich verstanden hat, dass das einen Hintergrund hat, also einen biografischen Hintergrund, dass es mit Gewalterfahrung zu tun hat, dass das vielleicht Schutzreaktion sind, die hier in mir wirksam sind, wenn sie das Wissen teilen kann, wenn sie die Personen, von denen sie merkt, da ist eine Aufgeschlossenheit da, die wollen auch wirklich verstehen, die wollen hinhören, wenn sie denen versucht, das zu vermitteln. Das ist etwas, was natürlich in beide Richtungen geht und wo auch eine betroffene Person, egal wie vielleicht herausfordernd ihre Lebenssituation ist, wie herausfordernd die traumatische Erfahrung war und das Heute ist, was sie erlebt, wo sie aber auch ein Stück weit die Verantwortung dafür trägt, ihr Umfeld vielleicht mitzunehmen oder aufzuklären, soweit das möglich ist. Also das hängt auch immer davon von dem Gegenüber natürlich ab, ob das mitziehen möchte.
Nadia Kailouli [00:14:31] Ja, jetzt sprechen sie die Verantwortung an, dass man sein Gegenüber oder nahestehende Personen da mit einbezieht, wenn man das möchte. Auf der anderen Seite klingt das ja schon fast ein bisschen wie so eine Zumutung, dass man jemanden, der damit überhaupt nichts zu tun hat, es ist ja jetzt egal, wer, ob es familiär oder in der Partnerschaft ist oder so, und man sich denkt, oh, jetzt muss ich ja meinen ganzen Hussle aus meiner Vergangenheit da irgendwie aufklären und irgendwie eine Therapie machen und mich damit auseinandersetzen, dass meine Verhaltensmuster traumatische Folgen sind, die nicht immer schön sind. Und jetzt muss ich auch noch hier so nahestehende Personen dazu bringen, sich mein Elend mit anzutun - das klingt auch nach einer großen Zumutung. Darf man das so verlangen von Menschen, die einem nahestehen?
Melanie Büttner [00:15:14] Nein, verlangen darf man das nicht und da bin ich dankbar, dass sie nachfragen, weil das Wort Verantwortung kann man jetzt natürlich so oder so sehen. Also, wie habe ich es gemeint, als ich sagte Verantwortung? In dem Moment habe ich dran gedacht, dass es manchmal Betroffene gibt, die für sich so ein Verständnis entwickelt haben von mir ist etwas Schlimmes widerfahren und deshalb muss die Welt mir das wiedergutmachen. Und mein Partner oder meine Partnerin, mein Umfeld ist dafür da, mir alles wiedergutzumachen und mich möglichst sozusagen in einen gut gepolsterten Kokon zu packen und dann dreht sich aber alles sozusagen um diese Bedürfnisse und darum, na ja, hier darf nichts Falsches gesagt werden, ich darf auch mir nichts wünschen von dir, ich darf nicht sagen, wie es mir geht, sondern ich muss mich sozusagen deinen Schutzbedürfnis total unterordnen. Und es gibt Beziehungen, die sind so aufgebaut und ich würde immer sagen, wenn es zwei Menschen gut damit geht, dann ist das fein. Aber die Realität ist dann doch oft, das ist das, was mir dann begegnet in der Praxis, dass dein Gegenüber sagt, ja, ich bin ja auch noch da. Also ich habe auch Verletzungen erlebt und ich habe auch Wünsche in dieser Beziehung und ich habe auch Bedürfnisse in dieser Beziehung und ich würde gerne mit dir auf Augenhöhe darüber sprechen, wie es auch mir geht und ich gehe gerne auf dich ein, aber ich brauche da auch was von dir. So ein Setting hatte ich im Kopf, als ich von Verantwortung sprach, im Sinne von es genügt nicht zu sagen, ich bin traumatisiert und deshalb habe ich sozusagen die Erlaubnis, mich nur bekümmern zu lassen, sondern ich habe da auch eine Verantwortung. Ich muss auch etwas tun für diese Beziehung, damit wir beide miteinander zurechtkommen können.
Nadia Kailouli [00:17:13] Wie oft kommt das vor, dass traumatische Erfahrungen aufgrund von sexualisierter Gewalt in der Kindheit dazu führt, dass man eine ungesunde Sexualität mit dem Partner hat und das dann auch für den Partner schwierig ist, damit umzugehen.
Melanie Büttner [00:17:33] Ich spring da gleich an auf den Begriff "ungesund", weil ich mich mit dem so ein bisschen schwer tue. Also ungesund ist eine Art von Kategorisierung, die wir vornehmen über Menschen. Das würde bedeuten, es gebe eine kranke Sexualität und eine gesunde Sexualität und das ist aber gar nicht klar, was das eine oder das andere wäre. Und natürlich, so im Therapeutischen, da gibt es diese ganzen Begriffe, da wird von Störung gesprochen und von Erkrankung und all diese Dinge und manchmal ist das nützlich, wenn es darum geht, zu überlegen, wer zahlt denn eine Therapie beispielsweise, dann muss ich sozusagen belegen, da gibt es eine posttraumatische Belastungsstörung, die in der Sexualität wirksam ist und die Person möchte das überwinden. So, okay. Aber generell für meinen persönlichen Bezug zum Thema Sexualität, ob ich nun traumatisierter Mensch bin oder nicht, finde ich es viel hilfreicher zu überlegen, soll das Thema Sexualität in meinem Leben überhaupt eine Rolle spielen und wenn ja, warum? Und wenn ich mir Sexualität wünsche, wie kann ich die gestalten, so dass ich mich sicher fühle und so dass ich mich wohlfühlen kann? Möchte ich überhaupt ein Mensch sein, der Sexualität lebt? Weil das ist Ausdruck von einer freien Entscheidung. Es gibt nicht so etwas wie, du bist nur normal, wenn du Sex haben kannst oder du bist nur gesund, wenn du Sex haben kannst und wenn deine Sexualität so oder so aussieht. So haben wir früher gedacht, auch in der Wissenschaft, auch in der Therapie, das verlassen wir immer mehr. Sondern du kannst ein vollständiger Mensch sein, auch ein gesunder und zufriedener Mensch, ohne jede Art von Sexualität. Und es gibt Menschen, seien sie traumatisiert oder nicht, die entscheiden sich dazu, Sexualität nicht zu leben. Und das ist okay, wenn ich merke, damit fühle ich mich wohler. Aber jetzt versuche ich noch mal auf ihre Frage zurückzukommen, wenn ich merken sollte, dass ich in meiner Sexualität etwas erlebe, das mich belastet, mit dem ich mich nicht wohl fühle, das mir nicht gut tut, das mich stresst, dann würde ich sagen, unabhängig davon, ob traumatisiert oder nicht, habe ich natürlich die Freiheit und das Recht, mich damit auseinanderzusetzen. Möchte ich das verändern? Ja oder nein? Und was könnte ein Weg sein, um das zu verändern? Und da finde ich, ist Therapie eine Möglichkeit. Es könnte aber auch sein, dass ich mich insgesamt erstmal mit dem Thema beschäftige und Bücher lese, um mich dem anzunähern, es könnte sein, dass ich im Netz, auf bestimmten Seiten - es gibt tolle sexualbildende Seiten inzwischen, wo man guten Anknüpfung finden kann, lilly.ch ist zum Beispiel so eine Seite, die wahnsinnig tolle Inhalte zusammengestellt haben zur Sexualität und Gewaltprävention, wo ich ganz viel Input erst mal bekommen kann, um ein Gefühl für das Thema zu bekommen. Ich könnte Podcasts hören, beispielsweise...
Nadia Kailouli [00:21:07] Da würde ich gerne direkt auf ihren verweisen, sie machen nämlich genau so einen Podcast für die Zeit, der da heißt "Ist das normal? Über Mythen, Fragen und Ängste rund ums Thema Sex". Wie sind sie dazu gekommen, da eben zu sagen, okay, ich biete eben auf der Podcast-Ebene eine Anlauf-Form um Fragen zu klären oder überhaupt um aufzuklären rund um Sexualität im Zusammenhang eben auch mit vielleicht Traumafolgen, Traumastörung.
Melanie Büttner [00:21:40] Das ist so entstanden, tatsächlich. Wir haben 2017 damit begonnen und es gab nicht so richtig einen Plan. Wir haben uns zusammengesetzt und überlegt, was könnte interessant sein für Menschen, die zum Thema Sexualität mehr erfahren wollen? Was könnten Blickwinkel sein, die Menschen helfen können, sich selbst auch weiterzuentwickeln damit? Also es war von Anfang an ein Podcast, der das Anliegen hatte zu informieren, um Impulse für die eigene Weiterentwicklung zu geben. Und ich komme sozusagen aus dem Bereich Sexualität, aber fuße seit vielen Jahren schon im Trauma-Bereich und hatte damals auch schon angefangen mein Buch zu Sexualität und Trauma zu schreiben. Das heißt, ich war sozusagen mitten drin im Thema und habe gemerkt, das ist mir ein ganz großes Anliegen, nicht nur über die "Spaß-Seite" oder die leichte, lockere Seite von Sexualität zu sprechen, also die Ressourcen-Seite, wenn man so möchte, sondern auch auf die andere Seite, auf die Seite, wo es um Verletzungen geht und darum, wie kann ich Verletzungen überwinden? Das war eine unserer ersten Folgen, tatsächlich auch gleich eine über sexuelle Gewalt, auch über die Folgen von sexueller Gewalt auf die Sexualität, da haben wir auch bald angefangen, darüber zu sprechen. Und so begleitet uns das sozusagen, diese beiden Seiten von Sexualität, die ja so ein bisschen wie zwei Seiten derselben Medaille sind, wenn man so möchte, die begleiten uns seit fünf Jahren.
Nadia Kailouli [00:23:19] Jetzt ist natürlich die Frage, wie sieht denn eine sexuelle Störung eigentlich aus? Kann man das so sagen? Also, wenn man angenommen, mit seinem Partner, mit seiner Partnerin, den man liebt und mit dem oder mit der man dann auch eben sexuell aktiv sein möchte, merkt, dass es einem danach nicht gut geht. Man fängt an zu weinen, fühlt sich unwohl, kann nicht in den Arm genommen werden - sind das, zum Beispiel, Störungen?
Melanie Büttner [00:23:46] Also das, was sie schildern, könnte tatsächlich Teil einer posttraumatischen Belastungsstörung sein, die sich in der Sexualität äußert. Was ist das überhaupt? Also durch ein Trauma kann es sein, dass der Organismus so erschüttert wird, dass der eine ganze Weile braucht, um Dinge zu verarbeiten. Manchmal können sie auch gar nicht richtig verarbeitet werden im traumatischen Stress. Und dann kann es passieren, dass ich später, in ähnlichen Situationen, also Situationen, die eine gewisse Ähnlichkeit haben mit dem, was ich im Trauma erlebt habe, dass mein Körper da mit einer Schutzreaktion anspringt. Also wir sprechen da ja oft von Triggern, sogenannten Auslöse-Reizen, und gerade in der Sexualität könnte das sein, dass zum Beispiel die körperliche Nähe oder bestimmte Berührungen, bestimmte Dinge, die ich da tue, bestimmte Stellungen, Techniken, die ich praktiziere, bestimmte Gefühle, die ich in mir erlebe, wenn ich zum Beispiel spüre, da steigt eine Erregung in mir auf oder ich habe bestimmte Gedanken, alles das können Trigger sein, Auslöser, die dann plötzlich so eine Art Wiedererleben zünden. Das heißt, es könnte sein, dass ich bestimmte Gefühle wieder fühle, Ohnmacht, Panik etwa, Hilflosigkeit, vielleicht aber auch Wut, vielleicht Ekel, eine Abscheu, dass das wieder in mir hochsteigt - Gefühle, die ich in der Gewaltsituationen, im Trauma damals auch schon empfunden habe. Und wenn ich merke, so etwas passiert mir, passiert mir vielleicht auch immer wieder, dann könnte es tatsächlich sein, dass das Teil von so einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, die sich jetzt in der Sexualität zeigt und die dann oft dazu führt, dass Menschen sich aus der Sexualität mehr und mehr zurückziehen, weil sie merken, das geht mir so nahe und ich halte das gar nicht aus, ich bin da total überfordert. Lieber gebe ich mich da gar nicht rein in so einer Situation, dann bin ich safe für mich, dann bin ich sicher.
Nadia Kailouli [00:26:02] Wie kann man denn solche posttraumatischen Belastungsstörungen dann aufheben? Also gibt es da Hoffnung, dass man therapeutisch oder auch mit sich selbst so arbeiten kann, dass man sagen kann, okay, ich möchte aber gerne mit meinem Partner Sexualität teilen und mir macht das ja eigentlich auch Spaß. Aber dann erwischt es mich immer wieder, dass es mir dann irgendwie schlecht geht oder man Wut hat oder traurig ist oder wie auch immer - wie kriegt man das hin? Kriegt man das überhaupt hin, dass es aufhört?
Melanie Büttner [00:26:33] Also so, wie sie die Frage eingeleitet haben, da würde ich sagen, wenn das wirklich so ist, dass ich merke, einerseits wünsche ich mir das und spür da auch so eine Art Sehnsucht, das ist eine super Ausgangsvoraussetzung um in einer Therapie dann auch wirklich weiter zu kommen. Und wenn das so ist, dann gibt es viele verschiedene therapeutische Wege, die man gehen kann. Es hängt davon ab, ob es sozusagen so ein isoliertes Thema ist, wie wir es jetzt geschildert haben, eine posttraumatische Belastungsstörung mit Wiedererleben und sozusagen etwas Irritationen in der Sexualität. Manche Betroffene haben noch mehr als das, die haben vielleicht zusätzlich mit Dissoziation zu kämpfen. Es könnte sein, dass ich zusätzlich mit Schmerzen zu tun habe, dass ich merke, wenn ich versuche, einen Penis oder Sexspielzeug in mich aufzunehmen, dann tut das alles weh, dann verkrampft es ganz stark. Es könnte sein, dass ich zusätzlich mir angewöhnt habe, um irgendwie locker zu werden, Alkohol zu trinken oder eine Tavor zu nehmen. Also sozusagen je mehr Themen dazukommen und je länger ich das schon erlebe, je fester gefahren das ist und je mehr ich vielleicht auch zusätzlich im Leben mit Schwierigkeiten zu tun habe - ich habe zusätzlich eine Depression vielleicht, zusätzlich eine Angststörung, ich habe schon an vielen anderen Stellen in meinem Leben zu kämpfen - also je komplexer meine Fragen insgesamt sind, meine Belastungen insgesamt sind, umso mehr Zeit werde ich möglicherweise brauchen, umso eher könnte es auch sein, dass ich gar nicht so schnell da ankomme, wo ich hinkommen will. Und manchmal gibt es auch Situationen, das muss man ehrlich oder muss ich ehrlicherweise sagen, es gibt manchmal Situationen, da kommt man erst mal gar nicht weiter, weil insgesamt so unheimlich viel zu tun ist, vielleicht therapeutisch oder weil das Leben gerade so fordernd ist, dann geht es dann vielleicht jetzt im Moment nicht, aber wir wissen nicht, wie es später sein wird. Dass sozusagen einmal als Antwort auf die Frage, ist es überhaupt möglich - ja, es ist möglich, aber wir müssen gut hingucken, was braucht es insgesamt, ist das Thema jetzt dran? Und wir müssen gut hingucken, wo finde ich eine Therapie, die mir wirklich weiterhilft?
Nadia Kailouli [00:29:12] Jetzt geben sie gerade total Hoffnung für viele Menschen, die eben sich dem öffnen wollen, sich mit sich selbst, mit der Vergangenheit, mit den Belastungen, die sie im Jetzt irgendwie erleben, zu arbeiten, damit umzugehen. Aber sie haben eben auch ein bisschen uns klar gemacht oder uns vor Augen geführt, wie die Welt da draußen ja eben auch ist, dass es gar nicht so leicht ist, eben die passende Therapeutin oder den passenden Therapeuten zu finden. Vor allem ist ja erst mal die Frage, welcher Therapeut ist denn jetzt richtig für das, was ich habe? Wie findet man das heraus? Es ist ja ein wahnsinnig schwieriger Weg.
Melanie Büttner [00:29:51] Ja, es ist ein schwieriger Weg, aus ganz vielen Gründen. Zum einen ist es natürlich mit der kassenärztlichen Versorgung nicht so einfach. Die Plätze sind sowieso sehr limitiert, man muss oft lange warten. Wenn ich mich zum Beispiel auf die Suche begebe nach einer qualifizierten Traumatherapie, dann ist es so, ja, das Feld ist relativ jung, möchte ich sagen. Also Traumatherapie etabliert sich immer mehr, das ist wunderbar. Aber gerade dieses Thema, wo sich Sexualtherapie und Traumatherapie verbinden - was es auch braucht, also es braucht sozusagen Kompetenz auf beiden Seiten, damit wir Betroffenen gut weiterhelfen können - das ist etwas, was sich jetzt so nach und nach erst weiterentwickelt. Ich beobachte, und da bin ich absolut froh drüber, ich beobachte, dass es immer mehr Kolleginnen und Kollegen gibt, die sich dem Thema widmen, aber man muss noch ein bisschen suchen und es gibt jetzt bis heute nicht das Verzeichnis, wo man gucken kann, welche Therapeuten gibt es speziell für diese Fragestellung, was machen die alles? Unglücklicherweise ist es auch so, dass das Thema Sexualtherapie keine Kassenleistung ist. Also die Krankenkassen möchten die Kosten dafür nicht übernehmen. Das heißt, wenn ich merke, ich kann mir das alles überhaupt nicht leisten, dann muss ich sozusagen erstmal gucken, welche Psychotherapeutin oder welcher Trauma-Therapeut kennt sich aus mit dem Thema Sexualität und wagt sich auch da ran, das zu behandeln? Und dann habe ich die relativ langen Wartezeiten. Was ich einen Weg finde, der oft sehr viel leichter gangbar ist, ist der über einen Antrag beim Fond Sexueller Missbrauch. Da werden, das ist meine Erfahrung inzwischen, relativ schnell und unkompliziert Gelder für diese Art von Therapie bewilligt. Und jetzt denke ich, sie kennen sich sehr gut aus mit dem Thema, deshalb weiß ich gar nicht, ob ich das hier nochmal erzählen soll.
Nadia Kailouli [00:32:00] Doch unbedingt, bitte.
Melanie Büttner [00:32:01] Also beim Fond Sexueller Missbrauch werden Gelder oder Entschädigungsleistungen in Höhe von bis zu 10.000€ ausgeschüttet an Betroffene, die in der Kindheit und Jugend sexuellen Missbrauch erfahren haben, im weitesten Sinne, im familiären Umfeld oder auch in Institutionen. Und meine Erfahrung ist, dass es sich wirklich lohnt, da einen Antrag zu stellen. Es gibt in vielen Städten Personen, die dazu beraten. Da kann man auf der Seite des Fonds nachgucken, wer das ist, und die so einen Antrag begleiten. Und diese Gelder sind vorgesehen für Leistungen, die eben nicht von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt werden.
Nadia Kailouli [00:32:45] Jetzt haben sie ja gerade eben auch gesagt, dass das schon auch ein Weg ist, den man da gehen muss. Das ist nicht unbedingt ein einfacher Weg, weil man muss sich erst mal eingestehen, okay, irgendwie ist das mit mir gerade nicht alles so rund, wie ich mir das wünsche und man merkt, da triggern einen Sachen und so - bis man dann eben aber den Therapieplatz findet, kann das ja Wochen, Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern. Gibt es denn aus therapeutischer Sicht von ihnen Ansätze, wie Menschen sich selbst dann, ich will nicht sagen, therapieren können, aber einen guten Weg finden, besser mit ihren Traumata umgehen zu können, irgendwelche Verhaltensansätze, die man sich selbst beibringen kann, dass man eben schon mal aktiv wird, bevor es dann mit der Therapie losgeht, dass man nicht das Gefühl hat, ich sitze hier rum und alles geht weiter wie bisher, weil mir niemand hilft.
Melanie Büttner [00:33:43] Ja, es kommt, würde ich sagen, so ein bisschen darauf an, wie viel Energie mir zur Verfügung steht, um selbst etwas zu machen. Und wie viel Aufwand ich betreiben möchte, nach den Möglichkeiten zu suchen, die mir für mich selbst zur Verfügung stehen. Also es gibt natürlich tolle Bücher, die man lesen kann zum Thema Trauma, auch zum Thema Trauma und Sexualität gibt es wahnsinnig tolle Bücher für Betroffene. Ich könnte jetzt eine ganze Latte runterrasseln, vielleicht, aber im Moment fällt mir jetzt auch gar nicht so der schlagende Titel ein, ich habe ganz viele in meinem Regal stehen, aber wenn das nützlich wäre, kann ich ihnen - ich weiß nicht, ob sie auch Shownotes haben?
Nadia Kailouli [00:34:36] Wir haben auch Shownotes. Vielleicht schicken sie uns dann noch mal ihr Best-Of und dann hinterlassen wir die hier gerne.
Melanie Büttner [00:34:44] Die kann ich sehr gerne schicken. Also, ich finde, es gibt tolle Bücher, es gibt auch tolle Websites, wo man andocken kann. Es gibt auch jetzt, wo immer mehr Onlineangebote entstehen, gibt es auch erste Gruppen-Angebote, wie ich gemerkt habe, wenn man zum Beispiel aufgeschlossen wäre, in einer Gruppe teilzunehmen - ich habe eine Kollegin, mit der ich zusammenarbeite, Judith Gleixner, beispielsweise, die gerade zum Thema Sexualität und Trauma ein Gruppentherapie-Programm evaluiert, also eine wissenschaftliche Studie macht und jetzt demnächst auch online Gruppentherapie anbieten wird, um das zu evaluieren. Es gibt in vielen Orten aber auch Präsenz-Gruppen, also überhaupt Stabilisierungs-Gruppen für traumatisierte Menschen, die man besuchen kann, wo man auch schon ganz viel machen kann, um dann im nächsten Schritt sich dem Thema Sexualität vielleicht anzunähern. Da sind wir leider noch nicht, dass das so flächendeckend da sein werde. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir da irgendwann hinkommen, aber das sehe ich tatsächlich Online-Therapie auch als eine sehr, sehr große Chance für die Menschen, die das ausprobieren möchten. Und ich mache immer wieder die Erfahrung - also ich arbeite jetzt seit Beginn der Corona Krise in der Praxis ausschließlich online - ich mache die Erfahrung, dass das der Präsenz-Therapie in der Wirksamkeit in nichts nachsteht. Es gibt natürlich bestimmte Dinge, die es da zu beachten gilt und online zu arbeiten ist nichts für jede Person, es gibt Menschen, die mögen das einfach nicht. Aber wenn ich mich darauf einlassen kann, das zu versuchen, dann kann das unglaublich lohnenswert sein.
Nadia Kailouli [00:36:29] Jetzt frage ich mich gerade so...das ist eine wahnsinnige Aufgabe, die man dann da hat in seinem Leben und auf der einen Seite denke ich mir, das ist doch so unfair, dass in der Vergangenheit irgendwas passiert ist, wo man als Kind gar nichts dafür konnte und jetzt muss man sich im Erwachsenenalter dieser wahnsinnigen Herausforderung, dieser wahnsinnigen Arbeit stellen, um in seinem Leben irgendwie glücklich zu sein, zufrieden zu sein, mit Sexualität leben zu können, die einen nicht triggert, in Verhaltensmuster nicht abzurutschen und so. Da denke ich mir erstmal, es ist so wahnsinnig unfair, dass man sich damit auseinandersetzen muss, weil man als Kind ja ohne Schuld da reingerutscht ist. Und auf der anderen Seite denke ich mir so, darf man denn in diesem ganzen Prozess, der ein langer Prozess ist, der aber ja auch wichtig ist, überhaupt in eine Partnerschaft gehen, zum Beispiel, wenn man an dem Punkt schon angelangt ist, dass man weiß, ich habe hier Baustellen, an denen ich arbeiten möchte. Aber wenn man vorher in der Partnerschaft ist und durch die Partnerschaft erlebt, alles klar, oha, ich merke, irgendwas triggert mich hier, ich muss mich damit mal auseinandersetzen, frage ich mich gerade, in dem Auseinandersetzungs-Prozess, ist es da einem geraten, eine Partnerschaft einzugehen?
Melanie Büttner [00:37:47] Ich höre da so zwei Fragen in einer, kann das sein?
Nadia Kailouli [00:37:50] Ja, sicher, ich habe ganz viele Fragen, aber ich gucke schon die ganze auf die Uhr und denke mir, oh, ich muss die Frau Büttner auch irgendwann wieder gehen lassen. Aber ich finde das so wahnsinnig toll, was sie erzählen.
Melanie Büttner [00:37:58] Ja, vielen Dank für die Rückmeldung. Ich würde vielleicht, weil ich tatsächlich zwei Fragen gerade im Kopf habe, die bei mir offen sind, ich würde nach und nach darauf eingehen und erst mal das aufgreifen, was sie am Anfang gesagt haben, wie wahnsinnig unfair das ist. Und da würde ich ihnen total zustimmen, das ist hart, das ist ungerecht, und deshalb ganz schön heftig. Auf der anderen Seite - und jetzt bin ich wieder bei dem etwas trockenen Wort der Verantwortung - also auf der anderen Seite habe die Verantwortung für mein Leben ja ich. Und das ist manchmal ein echt harter Brocken, das zu schlucken. Und das ist eine harte Erkenntnis. Gleichzeitig liegt eine große Chance darin und ich habe die Chance, das zu überwinden, was mir passiert ist. Und das ist so eine Haltung, finde ich, mit der man das eigene Leben in die Hände nehmen kann und wo es wieder möglich wird, zu sehen, welche Chancen ich habe. Und das ist auch was Tröstliches und das ist was unheimlich mobilisierendes. Genau, jetzt muss ich selbst kurz schlucken. Ja, aber dann zu der anderen Frage, das spricht ja auch das Thema Verantwortung an, kann ich es verantworten als der Mensch mit den Verletzungen, die ich habe, vielleicht auch mit den Überlebens-Mechanismen, die in mir aktiv sind, mit den Besonderheiten, die ich deshalb habe, kann ich das einem anderen Menschen zumuten, sich auf mich einzulassen. Und auch da würde ich sagen, das ist vielleicht etwas, vielleicht das Ergebnis auch eines Verhandlungsprozesses mit einem Gegenüber, wo es gar nicht alleine darum geht, dass ich eine Entscheidung treffe für die andere Person, sondern die andere Person kann auch für sich entscheiden, ob sie sich auf mich einlassen möchte und ist da in ihrer eigenen Verantwortung gefragt, sich ein Bild zu machen von mir als Mensch, hinzuspüren, kann ich Liebe, kann ich Mitgefühl entwickeln? Möchte ich mit dieser Person sein? Ja, ich muss das nicht alles auf meinen Schultern tragen und entscheiden. Und noch was anderes schwingt für mich da mit, so zwischen den Zeilen: Bin ich zumutbar? Da steckt irgendwie auch so eine Bewertung über mich selbst drin: Ich bin schon viel auszuhalten, ich bin schon schwierig, ich bin auch irgendwie komisch. Bin ich überhaupt zumutbar für einen anderen Menschen? Und da habe ich irgendwie den Impuls, dieses Gegengift wieder in den Raum zu stellen, dieses Gegengift, auf sich selbst zu schauen, mit einem liebevollen Blick. Und mich vielleicht erst mal selbst anzunehmen und zu sagen, ja, ich bin aber auch ein liebenswerter Mensch, weil ich habe sicherlich auch sehr liebenswürdige Seiten und liebesfähige, liebesstarke Seiten, die ich einbringe. Insofern wird es sich sicherlich für ein Gegenüber auch lohnen, bei mir zu sein.
Nadia Kailouli [00:41:27] Frau Büttner, ich gucke auf die Uhr und wir haben fast eine ganze Stunde voll. Ich würde das am liebsten wirklich eins zu eins so senden, aber da muss ich mal in den Regieraum gucken, ob wir das so machen können. Ich sage an dieser Stelle, Melanie Büttner, vielen, vielen Dank, dass dass sie uns da aus ihrer Erfahrung aber auch so ganz viel Inhalt so mitgegeben haben. Und ich hoffe, dass die Zuhörer*innen da ganz, ganz viel mitgenommen haben für sich, für ihr Leben. Und ich glaube, ich muss sie einfach noch mal einladen. Ich weiß nur, sie sind eine gefragte Frau und deswegen verweise ich hier auch noch mal auf ihren Podcast von der Zeit, "Ist das normal?". Vielen, vielen Dank!
Melanie Büttner [00:42:08] Vielen lieben Dank auch an sie.
Nadia Kailouli [00:42:16] Ich fand das, was Frau Büttner jetzt so hinten raus gesagt hat, so schön und vielleicht auch so wichtig. Aber so zusammengefasst, glaube ich, gibt es so ein paar Punkte, die ich nochmal mitgeben möchte. Also, man darf sich selbst und anderen zumuten, sich mit sich auseinanderzusetzen und zu dem zu stehen. Man muss es nicht tun, man muss niemandem erzählen, warum es einem so geht, wie es einem geht, und man darf so ganz frei entscheiden, wie man eben damit umgehen will. Und das Gute ist ja, dass wenn man damit umgehen möchte und Antworten auf ganz viele Fragen finden möchte, dass es eben Therapeutinnen und Therapeuten gibt, die sich damit sehr, sehr gut auskennen, die einem helfen können. Man braucht halt eben leider oft einen langen Atem, bis man da an die richtige Stelle kommt und eben einen Therapeuten findet. Und am Ende, glaube ich, muss man sich wahrscheinlich das zugestehen, dass man eben ein Mensch von ganz, ganz vielen Menschen ist, die Sachen erlebt haben in der Vergangenheit, in der Kindheit, die Auswirkungen haben auf das Jetzt, auf die Zukunft. Und es liegt dann an einem selbst, wenn man ganz bewusst die Entscheidung trifft, so möchte ich aber eigentlich nicht alt werden, jetzt habe ich es erkannt und ich möchte daran etwas ändern. Und eine Frau wie Frau Büttner kann einem da glaube ich sehr, sehr gut helfen. Und ich hoffe, ihr habt ganz viel aus diesem Gespräch mitnehmen können für euch und natürlich werden wir ihre Top Ten Bücher oder Top Five Bücher euch in den Shownotes dazu verlinken. An dieser Stelle möchte ich euch jetzt auch mal Danke sagen, dass ihr uns so treu zuhört und auch bei schwierigen Themen eben nicht abschaltet. Wir freuen uns daher sehr, wenn ihr uns liked, abonniert und teilt und wenn ihr uns Feedback geben wollt, dann schreibt uns doch gerne die Mailadresse ist presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Ist das normal? heißt der Podcast, den die Sexualtherapeutin Melanie Büttner gemeinsam mit Sven Stockrahm moderiert und wo wirklich alle Themen rund um Sexualität diskutiert werden. Melanie Büttner betreut aber auch Menschen, die durch sexuelle Gewalt traumatisiert worden sind.
In ihrer Praxis bietet sie Sexual-, Trauma- und Psychotherapie an. Durch ihre Arbeit und die jahrelange Erfahrung weiß sie, dass die Folgen sexueller Gewalt oft massiv unterschätzt werden. Für manche Betroffene etwa ist es nicht möglich, einen Beruf auszuüben oder eine Familie zu gründen. Sie können schlichtweg kein eigenständiges Leben führen. Sexuelle Gewalt kann ein Leben einer Person zerstören.
Melanie Büttner hat nicht nur zum Thema geforscht und mehrere Bücher veröffentlicht. Sie hat bei ihrer jahrelangen Begleitung traumatisierter Menschen auch die vielfachen Spuren an Körper und Seele kennengelernt.
Bei einbiszwei sprechen wir mit ihr über die Auswirkungen sexueller Gewalt und darüber, dass wir als Gesellschaft zu wenig darüber wissen und sprechen.
WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:
Melanie Büttner bei Instagram:
@melaniebuettner1
Melanie Büttner und ihre Arbeit:
Melanie Büttners Website
Melanie Büttner über Missbrauch:
Web.de | Therapeutin: "Sexueller Missbrauch kann Biografien, kann Leben zerstören"
Melanie Büttner empfiehlt diese Seite zu den Themen Sexualität, Verhütung, Beziehung, Gewalt oder Körperfragen:
Website von Lilli
ZEIT-Online-Sexpodcast mit Melanie Büttner und Sven Stockrahm:
Podcast „Ist das normal?“
Empfohlene Bücher zum Thema
Sexualität
„Ist das normal? — Sprechen wir über Sex“ wie du ihn willst von Melanie Büttner, Sven Stockrahm, Alina Schadwinkel. Ein Buch mit viel sexualtherapeutischem Wissen für Menschen, die ihre Sexualität weiterentwickeln und ihre Selbstbestimmung stärken wollen. Mit vielen Übungen zur Selbstreflexion. Hier gibt es auch ein ausführliches Kapitel, das bei der Suche nach der passenden Sexual-, Trauma- oder Körpertherapie hilft.
Sexualität und Trauma
„Zulassen“ von Wendy Maltz. Ein Selbsthilfe-Buch.
„Ausatmen“ von Staci Haines. Ein Selbsthilfe-Buch.
„Sexualität und Trauma“ von Melanie Büttner. Ein Fachbuch, das auch für Betroffene interessant sein kann.
Paarbeziehung und Trauma
„Traumasensible Paartherapie“ von Katharina Klees. Ein Fachbuch, das auch für Betroffene interessant sein kann.
Trauma und Traumatherapie
„Schatten der Vergangenheit“ von Dunja Voos. Ein Buch für Betroffene.
„Alles gut — Das kleine Überlebensbuch“ von Claudia Croos-Müller. Ein Selbsthilfe-Buch.
„Der Vagus-Nerv als innerer Anker“ von Deb Dana. Ein Buch für Betroffene mit vielen Übungen zur Selbsthilfe.