PODCAST | Folge 41 | Julia von Weiler
Seit über 20 Jahren kämpft Julia von Weiler mit der Organisation „Innocence in Danger“ dafür, dass das Internet sicherer für Kinder wird. Bei einbiszwei erzählt sie, was gegen sexuelle Gewalt und Ausbeutung im Netz getan werden muss.
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Julia von Weiler [00:00:00.150] Das hieß immer: "Ach, im Internet werden keine Kinder missbraucht. Ach, ihr und euer Internet. Ach, ihr komischer Verein, was wollt ihr eigentlich?" Dann änderte sich das so ein bisschen, aber selbst vor fünf Jahren hieß es noch: "Wir müssen dich mal mit deinem, mit deinem Digitalen müssen wir dich auch mal einladen." Und ich saß da schon immer und dachte so: "Wo lebt ihr denn?"
Nadia Kailouli [00:00:18.130] Hi. Herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Einbiszwei? Ja genau. Ein bis zwei Kinder sind in jeder Schulklasse in Deutschland sexueller Gewalt ausgesetzt. Wieso das so häufig passiert und was man gegen sexuelle Übergriffe tun kann, das erfahrt ihr hier bei einbiszwei. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast spreche ich mit ExpertInnen, JournalistInnen und Betroffenen. Wir reden über akute Missstände, Anlaufstellen und persönliche Geschichten. Wenn es euch damit aber nicht so gut gehen sollte, wir haben in den Shownotes Telefonnummern und Hilfeangebote verlinkt, wo ihr Hilfe findet. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst!
Nadia Kailouli [00:01:04.180] Jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge im Alter von 9 bis 17 Jahren sind im Internet bereits mit intimen, anzüglichen Fragen konfrontiert worden. Das ist das Ergebnis einer Studie der EU und 17 Millionen Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch im Internet wurden weltweit im Jahr 2019 gemeldet. Das sind erschütternde Zahlen, die zeigen: Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Internet hat ein irres Ausmaß angenommen seit digitale Medien überall verfügbar sind und es technisch so einfach geworden ist, den Missbrauch von Kindern zu filmen. Bei mir ist heute Julia von Weiler, die mit ihrer Organisation Innocence in Danger seit 20 Jahren dafür kämpft, dass das Internet ein sicherer Ort für Kinder wird. Herzlich willkommen, Julia von Weiler bei einbiszwei.
Julia von Weiler [00:01:58.660] Vielen Dank. Ich freue mich sehr, hier zu sein.
Nadia Kailouli [00:02:00.170] Sagen wir du, Julia?
Julia von Weiler [00:02:01.120] Sehr gerne.
Nadia Kailouli [00:02:01.840] Das war jetzt auch gekonnt von mir aufs "Du" geschossen. Julia, du bist Psychologin, aber vor allem wollen wir heute mit dir darüber sprechen, weil du dich seit Jahren zum Thema sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche engagierst, aufklärst und vor allem auch im Bereich des Netzes, des Internets. Und da bist du Vorstand von dem Verein Innocence in Danger. Vielleicht kannst du einmal erzählen, was das genau ist.
Julia von Weiler [00:02:23.980] Innocence in Danger ist ein internationales Netzwerk zunächst einmal gegen die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen. Das war der Ursprungsgedanke, als wir gegründet wurden. Und dann, mit der Weiterentwicklung des Netzes, der digitalen Räume, hat sich unsere Arbeit auch erweitert, also jetzt kümmern wir uns ganz besonders um das Thema sexualisierte Gewalt im digitalen Raum und die sexuelle Ausbeutung, weitere Ausbeutung durch zum Beispiel das Verbreiten von Missbrauchsdarstellungen. Und wir sind am 2. Dezember letzten Jahres 2022 20 Jahre alt geworden, also wir machen das wirklich schon sehr lange.
Julia von Weiler [00:02:57.160] Ihr macht das wirklich schon sehr lange, das stimmt. Und trotzdem oder dennoch ist wahnsinnig viel los im Netz. Da passiert sehr, sehr viel und gefühlt bekommt man so vermittelt, es passiert immer mehr, weil wir uns wahrscheinlich auch immer mehr im Internet, im Internet leben, wir lernen dort Menschen kennen, wir teilen dort unsere Bilder, wir halten übers Internet Freundschaften. Was sind denn so, oder kann man das überhaupt sagen, was ist denn die große Gefahr des Internets?
Julia von Weiler [00:03:25.990] Das wahnsinnig große Risiko für eigentlich alle Menschen, aber natürlich ganz besonders Kinder und Jugendliche, ist, dass in digitalen Räumen sehr schnell auch sehr nahe Beziehungen entstehen können. Der digitale Raum ist unendlich weit und zugleich unendlich nah an mir als Person. Und das bedeutet, ich lade zu mir ins Wohnzimmer oder ins Schlafzimmer oder wo auch immer ich gerade bin mit meinem digitalen Endgerät Menschen ein, die ich vielleicht, wenn ich sie analog sehen würde, nicht zwingend notwendigerweise in diesen höchstpersönlichen privaten Raum einladen würde. Das vermittelt vielleicht auch so ein bisschen falsche Sicherheit, weil ich bin ja zu Hause, ich bin ja vielleicht auch mit Freundinnen und Freunden. Und ich glaube, das Grundproblem ist, dass das Internet erfunden wurde, ja eigentlich für die Wissenschaft und das Militär und es wurde erfunden von Erwachsenen für Erwachsene. Und dann hat sich dieser Raum einfach egalitär geöffnet für alle. Und heute leben wir in einer, finde ich, so ein bisschen paradoxen und auch wirklich sehr eigenartigen Situation, in der behauptet wird, wenn man Kinder nicht schon mit vier ins Internet lässt, dann verwehrt man ihnen digitale Bildung. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, konnte man mir so richtig noch nicht erklären, aber das ist so ein bisschen der Duktus. Und ich glaube, dass wir am Ende uns einfach einkaufen lassen haben von der Industrie, also diese Vernetzung, Social Media, diese Idee, das sind auch alles schöne Ideen. Am Ende sind es Wirtschaftsunternehmen, die mit unseren Daten Geld verdienen wollen und daraus ja ehrlich gesagt auch nie einen Hehl gemacht haben. Das ist das eine und das andere, wenn wir uns jetzt anschauen die Verbreitung von Missbrauchsdarstellung und sexualisierte Gewalt mittels digitaler Medien, also zum Beispiel sowas wie Livestreammissbrauch, dann hat das mit der Weiterentwicklung, rasanten Entwicklung der Technologie zu tun und kriminelle Organisationen waren immer schon gut darin, alles einzusetzen, was sie brauchen, um voranzukommen.
Nadia Kailouli [00:05:18.640] Du hast jetzt schon ganz schön viele Punkte erwähnt, auf die wir versuchen im Detail noch ein bisschen einzugehen. Ich würde gerne bei bei dem oder der Vierjährigen anfangen, der man, wenn man nicht sagt: "Hier ist das Handy, hier ist das Smartphone, hier ist das Tablet, schau mal, was du da für nette, lustige Filme sehen kannst", das man dann, wenn man sich dem verwehrt, dem Kind die digitale Bildung verwehrt. Ist es denn so? Also gibt man dem Kind mit vier, fünf schon ein Mobilfunkgerät in die Hand oder tut man es nicht?
Julia von Weiler [00:05:47.560] Ich glaube es gibt so'ne und solche Eltern und es gibt glaube ich noch nicht so viele Eltern, die ihren vier- oder fünfjährigen Kindern schon ein Smartphone kaufen für den Eigenbedarf. Ich habe tatsächlich angespielt auf ein Interview mit dem Vorsitzenden der Bitkom, der gesagt hat, spätestens in der ersten Klasse sollten sie ein Smartphone besitzen, ansonsten verwehre man ihnen digitale Bildung. Da sind die gerade mal sechs, manche sind eben auch noch fünf. Und digitale Bildung und das Lernen umzugehen mit digitalen Räumen hat ja nix damit zu tun, ob ich ein Smartphone besitze oder nicht. Und da ist eben die große Herausforderung und Frage, was müssen Kinder und Jugendliche eigentlich können, um sich gut und sicher im digitalen Raum bewegen zu können? Und dann müssen wir uns fragen, was können Kinder in welchem Alter können und was eben auch noch nicht? Also ein sechsjähriges Kind ist immer noch ein sechsjähriges Kind und wir verstecken uns wahnsinnig oft hinter dem Begriff "Medienkompetenz". Kinder und Jugendliche müssen medienkompetent werden. Stimmt. Und gleichzeitig sage ich, Kinder und Jugendliche sind aber immer noch Kinder und Jugendliche und die sind erwachsenen, handelnden, strategisch handelnden Tätern und Täterinnen immer unterlegen. Das sind im Übrigen ja auch erwachsene Opfer, zum Beispiel von Betrug und Hochstapelei und Heiratsschwindelei. Die sind denen ja auch unterlegen, weil sie nicht damit rechnen, dass das Gegenüber so strategisch gemein sein könnte. Wir kriegen zum Beispiel grade immer Mails, dass 65 Millionen US Dollar oder 95 Millionen britische Pfund warten, weil irgendjemand ein großes Erbe uns hinterlassen möchte, wenn wir ihnen nur alle unsere Kontodaten geben. Darauf fallen, glaube ich, immer noch viele Menschen rein.
Nadia Kailouli [00:07:32.810] Und das zeigt eben, wie du gesagt hast, selbst wir Erwachsenen werden Opfer von Täterstrukturen im Netz und das ist natürlich bei Kindern nicht anders, dass sie da ganz schnell übers Internet, wenn man den Zugang hat, eben zum Opfer werden können auf verschiedenen Ebenen. Ich würde gerne vielleicht einfach mal bei der Ebene anfangen, dass das Internet eben Möglichkeiten gibt, sich mit Sachen auseinanderzusetzen, die für ein Kind viel zu früh sind, sich damit auseinanderzusetzen, beispielsweise eben Pornografie. Ich bin als erwachsene Frau selbst davon erschrocken, wie schnell ich überall zu jeder Zeit Zugang zu frei verfügbarer Pornografie habe und da aber auch Sachen sehe, die mich als Erwachsene schockieren. Was sind denn die richtigen Mittel, Strukturen, Erziehungsmaßnahmen, ich weiß es nicht, um Kinder davor zu schützen?
Julia von Weiler [00:08:21.050] Ehrlich gesagt fängt es an bei der Verantwortung der Provider und bei uns, bei einer politischen Verantwortung. Also, wie regeln wir das? Wie regeln wir Zugänge? Gibt es eine gesetzliche Verpflichtung zum Beispiel für Pornografieangebote, eine Altersverifizierung? Und zwar nicht nur eine: "Ja, ich bin über 18 Jahre", klick, hier, sondern eine ernsthafte Altersverifizierung einzuleiten. Und auch da, deswegen ist das ein super Beispiel, weil auch da wird sofort gesagt, die Medienkompetenz der Kinder und dann wird gesagt und die Medienkompetenz der Eltern, die Eltern müssen das verhindern. Kann ich aber nicht, wenn ich Herrn Bitkom folge und meinem Kind schon mit sechs Jahren ein digitales Endgerät gekauft habe, das im Internet unterwegs ist. Wie soll ich das kontrollieren? Es sei denn, ich spiele lauter Beobachtungs- also sozusagen Spionagesoftware auf das Gerät meines Kindes. Dann lernt mein Kind fröhlich, dass es total normal ist, immer überwacht zu werden, bei allem was ich tue. Das will ja auch kein Mensch. Also es ist die Aufgabe der Gesellschaft und Politik und es ist die Aufgabe der Provider, Pornografie Kindern nicht zugänglich zu machen. Und im analogen Raum wurde das immer sehr, sehr streng kontrolliert und durchgesetzt und im digitalen Raum schmeißen alle, vor allen Dingen die Politik, ihre Hände in die Luft und sagen: "Ja, ist ja alles global, können wir irgendwie auch nicht". Und ich finde, dass diese Ausrede nach 20 Jahren spätestens nicht mehr gelten darf. Also seit 20 Jahren ist das bekannt, dieses Problem, spätestens. Und die Pornoindustrie ist eine, die am meisten wächst und die natürlich ein großes Interesse daran hat, Kinder und Jugendliche, besonders Jugendliche, früh zu erreichen, damit die gerne immer wieder auf ihre Seiten zurückkommen. Und dieses Geschäftsmodell wird irgendwie gar nicht in Frage gestellt und es wird eher so, wenn wir drüber reden im Alltag, wird eher so gesagt, ja, der ist dann, also zum Beispiel, wenn wir über Pornosucht sprechen, sind ganz viele Geschichten, die ich höre, über junge Männer oder auch mittelalte Männer: Zum ersten Mal hat er dann mit zehn Pornos geguckt und dann mit elf waren die schon so und mit zwölf. Und ich sitze da und sage, man könnte auch sagen, mit zehn wurde er traumatisiert und dann wurde er chronisch traumatisiert, weil er ständig Reizen ausgesetzt war, mit denen er überhaupt nicht umgehen konnte. Aber so wird es gar nicht betrachtet. Und ich finde, dass wir als psychosoziale Versorger da unseren Blick noch mal verändern müssen. Und dann finde ich aber auch und das finde ich wirklich sehr eigenartig, es gibt so eine komische, eigentümliche Diskussion, die sich dann ergibt, zum Beispiel mit der Sexualmedizin, die dann sagt, ja, aber wer sagt denn nicht, dass die das alles schön finden und dass die das alle irgendwie genießen? Kann sein, muss aber nicht sein. Und ich würde immer noch behaupten wollen, dass die kindliche sexuelle Entwicklung mit erwachsener, harter Pornografie und auch nicht so harter Pornografie schlicht überhaupt nichts zu tun hat.
Nadia Kailouli [00:11:10.970] Und da möchte ich noch mal erwähnen, du bist Diplompsychologin. Du erzählst uns das jetzt einfach nicht so, weil du dir denkst, so ist es vielleicht, sondern das ist auch wirklich ein Fachgebiet von dir. Und deswegen möchte ich das an dieser Stelle noch mal sagen, dass wir da auch durchaus einen Wert in deine Worte legen können. Nun hast du eben diesen Verein Innocence in Danger und du sagst ja, dass ihr das seit 20 Jahren schon macht. Wie ist dahingehend die Entwicklung, dass es eben, ich finde dieses Beispiel, was du eben gesagt hast, sehr gut: Früher ging man in die Videothek, da wurde der Ausweis gefordert, da wurde geguckt, ist dieser Mensch volljährig, der sich jetzt hier bestimmtes Videomaterial ausleihen möchte? Das haben wir im Internet nicht. Wie erklärst du dir das?
Julia von Weiler [00:11:51.260] Also das war natürlich lange tatsächlich der Wilde Westen. Also die haben losgelegt, also die Industrien, die Provider, die Digitalprovider haben losgelegt, haben angefangen ihre Dienste zu entwickeln. Die Pornoindustrie hat superschnell verstanden, oh, das ist ja cool. Wir können unsere Kundschaft massiv erweitern, weil damals in dem Video Geschäft sich nicht jeder getraut hat hinter den Vorhang zu treten oder durch die Tür zu gehen sozusagen. Es war ja richtig ein abgeschlossener Raum. Diese Barriere musste man, wenn fünf andere Leute im Laden waren, vielleicht überwinden und hat sich das unter Umständen nicht getraut. Und dann sind lange, lange Zeit die Menschen diesem wirklich sehr eigenartigen Mythos anheimgefallen, das Netz regelt sich schon von alleine. Und damals waren wir schon gegründet und der Grund für unsere Gründung war zum einen der Fall Dutroux in Belgien. Damals wurde dann die französische Mutterorganisation in Paris gegründet und wir folgten dann 2002 und hatten sofort zu tun mit Betroffenen, dann schon erwachsenen Betroffenen, deren altes Missbrauchsmaterial, also aus den 70er, 80er Jahren das noch als VHS Kassette vorhanden war, das war digitalisiert worden und ins Netz geschwemmt worden. Und die Tätergruppierungen haben sich an die Betroffenen gewandt und gesagt, guck mal hier www., da findest du deine Missbrauchsdarstellungen. Das war natürlich noch mal so eine Art die Betroffenen wahnsinnig unter Druck zu setzen und noch mal ihre Macht auszuüben. Und aus meiner Brille kommt, seit 1991 arbeite ich zum Thema sexualisierte Gewalt an Kindern, zu sehen, wozu Menschen in der Lage sind und dass Menschen nicht immer wirklich gute Entscheidungen für sich und auch für andere treffen, habe ich immer schon gedacht, also diese Idee im Netz regelt das sich irgendwie ausversehen von alleine, weil im Netz. Wieso sollten sich Menschen im Netz anders verhalten, als sie es im Analogen tun? Also wieso besser? Und das hat sich leider sehr bewahrheitet. Also am Ende ist der digitale Raum wie so ein gigantisches Mikroskop unter dem wir alle liegen, einerseits und andererseits ist es wie so ein Teilchenbeschleuniger. Also die Dynamik wird immer und immer und immer schneller und größer und weiter und schneller und größer und weiter und... Sie merken schon, ich werde ganz atemlos dabei, weil wir rennen dem alle so hinterher und ich finde, dass Politik wirklich immer wieder, immer wieder, immer wieder sich viel zu lange Zeit lässt und sehr viele Entwicklungen verschläft und sage auch schon seit vielen Jahren, wir lassen Kinder und Jugendliche mit Ansage vor die Wand kacheln. Wir wissen es eigentlich besser und wir trauen uns nicht, aus welchem Grund auch immer, das wirklich in dieser Konsequenz zu sehen und entsprechend zu handeln. Damit sage ich nicht, dass das einfach ist, sich zu entscheiden, aber ich sage wir müssen mal anfangen, uns zu entscheiden.
Julia von Weiler [00:14:46.630] Und dann ist, glaube ich, läuft es auf die große Frage hinaus: Wie sehr spielt der Schutz der Würde von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft eine Rolle? Also wie ernst meinen wir das wirklich? Und wie komplizierte Fragen stellen wir uns wirklich dazu? Und aus meiner Erfahrung 20 Jahre war es einfach so, dass in den ersten fünf Jahren wurden wir total belächelt, also wirklich überhaupt nicht für voll genommen, obwohl damals schon die ersten großen Verfahren auch aus Deutschland ermittelt wurden. Peter Vogt war ein großer Vorreiter, ein Oberstaatsanwalt aus Halle, der wirklich riesige Ermittlungsverfahren, Internationale angeführt hat. Das hieß immer: "Ach, im Internet werden keine Kinder missbraucht, ach ihr und euer Internet auch, ihr komischer Verein, was wollt ihr eigentlich?" Dann änderte sich das so ein bisschen, aber selbst vor fünf Jahren hieß es noch: "Ja, wir müssen dich mal mit deinem Digitalen müssen wir dich auch mal einladen". Und ich saß da schon immer und dachte so, wo lebt ihr denn? Ich lebe in einer Welt, wo das längst alles zusammengehört. Und jetzt, ich würde sagen, so seit zwei, drei Jahren ist es angekommen, auch in unserer Szene. Die hat sich damit auch extrem lange Zeit gelassen, die psychosoziale Versorgerszene und muss jetzt, finde ich, viel lernen, um mit diesen Fällen umzugehen. Und wir müssen begreifen, also ich würde jetzt sagen, in ungefähr 95, 90 bis 95 % aller Fälle sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen spielt das Digitale in irgendeiner Form eine Rolle.
Nadia Kailouli [00:16:21.700] Wir wollen jetzt eben auf verschiedene Bereiche gucken. Du hast jetzt eben schon den extremsten Bereich, sage ich jetzt mal, angesprochen und zwar die Verbreitung von Abbildungen von sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, die übers Internet verbreitet werden. Und was ich auch noch mal sagen wollte ist: Wir sprechen ja auch die ganze Zeit natürlich von einem anonymen Raum und damit auch ein schutzloser Raum, weil man die Täter dann eben nicht so leicht ausfindig machen kann, wenn man laut Gesetz eben auch anonym sich überall bewegen kann im Internet. Und natürlich das Thema Verantwortung. Ich hatte mich mal mit ehemaligen Nachbarskindern unterhalten oder Jugendlichen, die mir erzählt haben, wie die sich diese Videos rumschicken und was das für einen Druck ausgelöst hat in ihrer eigenen Sexualität, sich diese Videos anzugucken und zu wissen, muss ich das jetzt mit meiner Freundin machen? Will ich das überhaupt? Und so und da kann man die Verantwortung, finde ich, dann auch nicht so einfach den Eltern übermitteln, dass sie da nicht genügend aufgepasst haben, dass sich ihre Kinder diese Videos hin und herschicken, weil man weiß ja, wie es so auf dem Schulhof läuft. Da spielt Mama oder Papa jetzt erst mal keine Rolle. Ich möchte gerne noch mal auf das Thema zu sprechen kommen, wie bewegen sich junge Menschen im Internet? Jetzt haben wir eben ein extremes Thema angesproche: Die Pornografie, die frei verfügbar ist. Aber gehen wir noch mal einen Schritt zurück und zwar einfach nur der Kontakt zu Menschen, das Daten, soziale Medien, das Kennenlernen von Menschen. Was ist da so eure Erfahrung, was die Gefahren betrifft?
Julia von Weiler [00:17:51.440] Ehrlich gesagt spielt der digitale Raum in jeglicher Form von Beziehungsgestaltung eine Rolle für junge Menschen. Das beginnt tatsächlich häufig schon in der Grundschule. Auch da hast du schon den WhatsApp-Klassenchat zum Beispiel und da hast du auch schon die ersten, also wir haben so ein Grundschulprojekt und und hören dann immer, wie viele auch schon irgendwie einen TikTok-Kanal haben und selber auch Dinge hochladen, wirklich bis hin zu Drittklässlern. Wo ich so ein bisschen denke, das finde ich aber gefährlich und auch nicht so schön. Gefährlich in zweierlei Hinsicht, weil sie in dem Moment, in dem sie sich präsentieren in diesen digitalen Räumen, machen sie in aller Regel damit erst mal keine schönen Lebenserfahrungen. Der häufigere Kommentar unter irgendwelchen Videos ist irgendwie, wie hässlich, oder du kannst ja gar nichts oder irgendwie so. Also es wird ja oft irre herabgewürdigt und das ist ganz schön schwer auszuhalten für uns Erwachsene schon, für Kinder noch fünfmal mehr. Und das heißt also, der digitale Raum spielt sowieso für sie im Pflegen Ihrer Freundschaften eine große Rolle, also man geht aus der Schule nach Hause, man schickt sich irgendwelche Geschichten hin und her über irgendwelche Messenger, man ist auf Social Media unterwegs. Der Like-Faktor sozusagen, also wie viele Likes kriege ich für irgendwas, was ich da hochgeladen habe oder irgendeine, wie man so schön sagt "Story", die ich geteilt habe. Das spielt natürlich auch eine große Rolle. Und um viele Likes zu bekommen, muss ich meine Profile zumindest zum Teil öffentlich machen und damit lade ich Leute ein, die sehr nett sein können, ohne Frage. Ich kenne viele Menschen, die auch ganz tolle Freundschaften entwickelt haben, zum Beispiel über Gaming. Aber ich lade eben auch Leute ein, die vielleicht nicht so toll sind für mich. Das passiert uns im analogen Leben ja genauso. Also wenn wir irgendwo in eine Gruppe gehen, wenn wir in Sportverein gehen oder so, dann treffen wir dort auf tolle Menschen und auch auf Vollidioten und auch auf übergriffige Vollidioten. Analog kriege ich das vielleicht ein bisschen früher und anders mit, weil ich merke, es verändert sich ein Gesichtsausdruck, eine Atmosphäre wird anders, die Sprache wird anders, ich werde irgendwie angefasst. Immer noch ganz schön schwer, mich daraus zu lösen, will ich nur mal sagen, es ist auch im analogen Raum schon nicht leicht. Und darüber reden wir ja auch ständig in Sportvereinen und anderen Freizeitangeboten und in der Schule und so weiter. Wenn das so leicht wäre, dann wären wir schon wahnsinnig weit vorangeschritten. Im digitalen Raum merke ich es halt oft erst sehr spät. Vielleicht erst dann, wenn die Unterhaltung ganz explizit sexualisiert geworden ist und ich aber vielleicht schon ganz viel von mir preisgegeben habe, was das Gegenüber dann wiederum nutzen kann, um mich unter Druck zu setzen und zu erpressen. Und das ist das Problem. Und dann haben wir noch so eine Vermischung digitaler und analoger Raum. Das ist dann eben zum Beispiel die Verbreitung intimer Abbildungen untereinander. Das heißt, ich schicke dir ein Foto, weil ich verliebt bin oder vielleicht auch, weil wir befreundet sind. Zwei Freundinnen, die nur mal so lustig das ausprobieren wollen, als so eine Form Experimentierraum. Und dann findest du es vielleicht eine nette Idee, dass noch einer anderen Freundin zu schicken und die findet eine super Idee, dass irgendwie an alle ihre Freunde zu schicken und zack ist so ein Ding draußen. Oder sie schickt es weiter und sagt, oh Gott, ich mache mir Sorgen um die beiden, was ist denn da los? Und dann ist es trotzdem draußen.
Julia von Weiler [00:21:12.420] Also der digitale Raum, nochmal, der ist wirklich so ein gigantisches Weltraummikroskop und ein Teilchenbeschleuniger zugleich. Die Dynamik verändert sich einfach. Täter und Täterinnen, auch übergriffige Jugendliche, nutzen immer alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, analoge wie digitale. Und digital haben sie einen ganz, ganz entscheidenden Vorteil Sobald sie die Mobilnummer haben oder irgendeinen Messengerkontakt haben zum Gegenüber, haben sie zu jeder Zeit den direkten, unbeobachteten Kontakt zum Kind oder Jugendlichen und das ist einfach krass, also auch nachts, tagsüber, in der Schule. Die ganze Zeit werden die bombardiert und dann hören die betroffenen Kinder, du musst mal dein Endgerät abschalten, als wäre das so einfach. Weil dann ist ja die große Frage, was wird hinter meinem Rücken jetzt die ganze Zeit, was macht der jetzt? Und die Betroffenen versuchen ja auf irgendeine verzweifelte Art und Weise Kontrolle über dieses Geschehen zu gewinnen und zu sagen, okay, jetzt gehe ich diesen, jetzt schick ich dir noch einmal dieses Nacktbild von mir, aber hör dann bitte auf. Funktioniert halt blöderweise überhaupt nicht. Und diejenigen, die Macht ausüben und das sind ja durchaus auch Jugendliche, die sich darin jetzt ausprobieren, genießen das natürlich, genießen diese Verzweiflung, genießen, dass sie so mächtig sind über dieses Gegenüber und dass sie es quasi zu jeder Zeit dazu bringen können durch einen brennenden Reifen zu springen, ohne Wasser in der Nähe zu haben.
Nadia Kailouli [00:22:53.660] Du hast gerade eine Situation beschrieben, die ich in einer Recherche von mir auch genauso erlebt habe. Ein Turntrainer, der die Schülerinnen missbraucht hatte und im analogen Raum sich eben kennengelernt hat, beim Turnen, aber dann im digitalen Raum. Ich habe einen Chat gelesen, der eben bis in die Nacht ging und es ist schon abstrus, wie manipulierend und gekonnt diese Nähe aufgebaut wird, dieses Kind zu manipulieren: "Jetzt sag mir doch, worauf stehst du jetzt? Jetzt Schick mir doch ein Bild etc.". Deswegen habe ich direkt diese Bilder noch mal hochbekommen, wie du das jetzt geschildert hast.
Julia von Weiler [00:23:27.890] Und ich grätsche da noch mal kurz rein, weil es ist mir wirklich wichtig: Es gibt immer noch diese sehr unkluge Unterscheidung zwischen analogen und digitalen Räumen und analogen und digitalen Kontakten. Es gibt Täter oder Täterinnen, die lernen ihre Opfer digital kennen und arbeiten dann entweder darauf hin, sie analog zu treffen oder aber auch durchaus ihnen digital sexualisierte Gewalt anzutun. Das ist ja eine große Veränderung, auf die wir noch kurz eingehen müssen. Und dann gibt es die Täter und Täterinnen, die ganz analoge Kontakte haben zu diesen Kindern und Jugendlichen und die das einfach ausnutzen, diese Form der Kommunikation. Das heißt, wir müssen das sowieso immer zusammen denken, immer, immer. Jedes Schutzkonzept, jedes Aufklärungsangebot, jede Intervention, alles was wir tun in diesem Bereich muss diese Möglichkeit des Digitalen, der digitalen Kommunikation und der digitalen Manipulation im Hinterkopf haben. Wenn wir das nicht tun, wenn wir das nicht mit abchecken, dann vergessen wir einen ganz großen Raum. Und wir wissen, dass die Betroffenen das von sich aus quasi nicht erzählen, weil sie sich so schämen vor dem, was man dann sieht. Wenn man nämlich so einen Chat sich dann durchliest, dann schämen sie sich. Und es bedeutet für die Betroffenen, habe ich gerade ja schon mal gesagt, sie versuchen in irgendeiner Form irgendein Stückchen Kontrolle zurückzugewinnen, über das, was da passiert. Das letzte, was sie kontrollieren können, ist zu entscheiden, wem erzähle ich was, wann und wie? Und was erzähle ich einfach gar nie jemandem, weil ich das mit mir in irgendeiner Form ausmache und weil ich überhaupt nicht will, dass das woanders noch Raum findet. Das ist in der Sekunde verloren, in der es Chatverläufe gibt, die vorgelesen werden vor Gericht, in der es Livestream Missbrauchsabbildungen gibt, in denen es Missbrauchsdarstellungen gibt. Das heißt, die Betroffenen haben überhaupt keine Kontrolle mehr darüber, dass du oder ich über sie erfahren, über das, was ihnen widerfahren ist, erfahren und sie wissen aus leidvoller Erfahrung, dass sich unser Blick auf sie, wenn wir diese Dinge gesehen haben, verändert. Und das möchten sie nicht. Verständlicherweise. Das heißt also, es ist Ihnen ganz viel genommen. Das möchte ich auch noch mal sagen, um zu erklären, wieso es gerade Betroffenen, wo Abbildungen entstanden sind oder wo es Chatverläufe gibt, so besonders schwer fällt, darüber zu sprechen. Man könnte ja denken, ist doch super, da haben sie doch einen Beweis und dann muss ihnen das doch jeder glauben. Und in diesen Chatverläufen sind die Täter und Täterinnen oft so hoch manipulativ, dass dann und so einen Fall hatte ich, zum Beispiel eine Staatsanwaltschaft von einer Mitschuld spricht bei einer 13-jährigen und ich so denke, oh, interessant, die ist ja noch nicht mal schuldfähig, aber irgendwie mitschuldig? Das ist ja mal eine sehr interessante Form der Schuldumkehr.
Nadia Kailouli [00:26:20.130] Und ist das die größte Angst wahrscheinlich, die viele haben, weil man dann eben diesen Chat hat, man hat Fragen beantwortet, man hat dann vielleicht mal ein Bild geschickt, nicht unbedingt ausgezogen, aber einfach: "Zeig mir mal dein schönstes Kleid!", dann zieht man das Kleid an, stellt sich vor den Spiegel, schickt ein Foto. Und ist das dann eben die größte Angst, dass man Angst davor hat, scheiße, ich könnte mitschuld sein und deswegen erzähl ich es niemandem?
Julia von Weiler [00:26:40.770] Ja, ich habe ja mitgemacht. Vielleicht habe ich irgendwann auch selber sexualisierte Sprache benutzt. Vielleicht habe ich mich doch irgendwann im Oberteil hingestellt oder der Junge in der Badehose oder vielleicht habe ich auch Nacktbilder geschickt. Vielleicht habe ich mich auf all das eingelassen, weil ich einfach auch geschmeichelt war. Vielleicht war es mir unangenehm. Also da gibt es ja wahnsinnig viele ambivalente Gefühle. Und Täter und Täterinnen sind Meister und Meisterinnen der Manipulation und die sind Meister in der Schuldumkehr. Ich will ein kurzes Beispiel geben aus einem Chatverlauf zwischen einem fast 30-jährigen Täter und einer 12-jährigen Betroffenen. Er arbeitet darauf hin, dass sie sich treffen und sie sagt ganz explizit: "Aber beim ersten Mal kein Sex", beim ersten Kennenlernen kein Sex. Darauf antwortet er: "Ich würde aber auch nicht schlecht von dir denken, wenn du es dir anders überlegst" und ab dann fängt er an genau daran zu arbeiten. Und das Ganze endet mit schwerem sexualisierten Missbrauch an diesem Mädchen beim ersten Treffen und dem Einreden: "Du wolltest das aber ja selber, du hast es dir anders überlegt". Das kann man dann in den darauf folgenden Chatverläufen sehen. Und daraus macht dann eine Staatsanwalt: "Ja, aber irgendwie hat die ja auch mitgemacht" und ich denke so: "Ja, die ist aber einfach auch erst zwölf gewesen und mitgemacht hat sie gar nicht".
Nadia Kailouli [00:28:08.580] Und man muss da jetzt auch noch mal sagen, das sind jetzt keine Einzelbeispiele. Das sind Sachen, die tatsächlich so tagtäglich im Internet passieren und man fragt sich jetzt dennoch: Wie schützt man Kinder und Jugendliche davor, vor dieser Art manipuliert zu werden? Vor dem eigenen Gefühl? Es ist ja, wie du sagtest, man kann ja auch wirklich Freundschaften übers Internet kennenlernen, aber wie schützt man Kinder oder wie sensibilisiert man in diesem Thema überhaupt, dass es so weit nicht kommt oder, dass es weniger wird?
Julia von Weiler [00:28:41.220] Ich glaube, wir müssen lernen, selbstverständlicher über diese Themen zu sprechen - sowieso. Wir müssen anfangen, schon im Kindergartenalter, eigentlich, sobald ein Kind auf die Welt kommt, es zu respektieren in seinen Grenzen auch, ihm beizubringen, dass es auch Grenzen setzen darf, auch einer Mutter oder einem Vater gegenüber, dass es Nein sagen darf, dass es eine Würde hat, dass es entscheiden kann. Und das verändert sich natürlich mit dem Älterwerden. Also wenn die noch sehr klein sind, sind sie wahnsinnig angewiesen und dann wird eine Windel gewechselt, weil es tatsächlich richtig ist, auch wenn das Baby es vielleicht gerade gar nicht so schön findet. Und wir als Erwachsene müssen sie da gut hin begleiten und auch durch begleiten und auch aushalten, wenn sie uns dann selber Grenzen setzen und dann vielleicht mit unseren verletzten Gefühlen klarkommen und sagen: "Ach Mist, ich wollte dich doch nur umarmen und jetzt willst du das gar nicht". Das fängt da an und gute Aufklärung beginnt so früh wie möglich, spätestens im Kindergarten und soll sich dann bitte altersadäquat so ein bisschen fortsetzen. Ich fände es schön, wenn es nicht immer so Sonderprojekte sind. Wir haben jetzt zum Teil mit Jugendlichen zu tun, die schon mit den Augen rollen und wenn ich sie dann frage: "Wie viele Internetsicherheitskurse oder so hattet ihr denn schon oder Kurse zu sexuellem Missbrauch?", dann sagen die so "zwölf". Versteh ich schon auch, dass sie irgendwann kein Bock mehr darauf haben. Also das irgendwie mehr in unseren Alltag zu integrieren, auch so in kleinen Dosen, das finde ich wichtig. Und wenn es um den digitalen Raum geht, dann muss ich mir sehr genau überlegen als Eltern erst mal, ab wann finde ich, ist der digitale Raum ein Raum, in denen ich mein Kind begleite? In welchen Raum begleite ich es erst mal überhaupt? Ab wann, finde ich, kann ich so ein bisschen wie auch, wenn die groß werden, auch im analogen Raum, in welchem Radius lasse ich die ab wann so ein bisschen alleine laufen und wo müssen sie aber noch an der Hand gehen? Und dann, je älter sie werden, wie verhandeln wir das? Und dazu gehört natürlich auch, ihnen immer wieder zu sagen, wenn dich Dinge verstören, wenn, wenn dir was unangenehm wird, wenn du das Gefühl hast, du hast vielleicht einen Fehler gemacht, zum Beispiel eine Adresse rausgegeben oder so und du kriegst jetzt Schiss. Ich bin da, dein Vater ist da, deine Patenonkel, wer auch immer, die Schulsozialarbeiterin ist da. Also mit ihnen zu besprechen: Wer sind deine Leute? An wen kannst du dich auch neben den Eltern wenden? Das ist ganz besonders wichtig. Und wir sprechen ja in unseren Workshops von digitaler Beziehungskompetenz, gar nicht so sehr von Medienkompetenz, weil wir sagen, das ist so kompliziert irgendwie auszuhandeln. Wie funktioniert denn das mit so einer Beziehung, mit so einer Freundschaft und so weiter? Also da wirklich ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Und dann ist es aber auch Aufgabe von Politik und Gesellschaft zu sagen, es gibt gewisse Räume im Netz zum Beispiel, die sind erst ab 18 oder ab 16. Das haben wir ja, wenn es um Alkohol geht und um Rauchen geht und so weiter, da haben wir alle diese Abstufungen. Und im digitalen Raum sagen wir immer, die sind irgendwie nicht einzuhalten. Ich finde, da sollten wir uns noch mal mehr trauen. Ich habe neulich mit sehr, sehr, sehr, sehr coolen, 17 bis 19 jährigen jugendlichen Jungs und Mädchen zu tun gehabt. Und die habe ich gefragt: "Was findet ihr, ab wann sollte denn jemand ein Smartphone bekommen? Was ein gutes Alter eurer Meinung nach?" und dann sagten die so: "Ja, also frühestens 14 ganz frühestens 14, besser noch 16". Und dann habe ich so gesagt: "Ja, aber ihr hatte die doch schon viel früher" und dann sagte so ein ganz großartiger, smarter junger Mann: "Stimmt, war auch scheiße, hat uns nicht gut getan". Und ich finde, dass man darüber nachdenken muss. Und sofort wird man in so eine Ecke gestellt von: Du willst Kindern das Netz verwehren, du willst Zensur ausüben, du willst dieses und jenes. Ich finde das ganz problematisch, dass es uns nicht gelingt konstruktiv, kritisch um diese Dinge wirklich zu ringen. und dass es uns nicht gelingt und das nehme ich übel, dass aus dem entwicklungspsychologischen Standpunkt für Kinder und Jugendliche zu betrachten, sondern wir betrachten es eigentlich immer durch die Brille der Angebote der Industrie. Das heißt, wir gehen hin und sagen jedes Kind will bei Instagram sein, weil es da so toll ist. Was für ein Quatsch! Wer sagt das denn? Das ist doch totaler Unsinn! Wir sagen, die wollen alle WhatsApp. Auch totaler Unsinn, weil wir es so gerne benutzen. Weil es uns das Leben leichter macht, benutzen wir diese Messenger. Also da sich selber auch nochmal zu hinterfragen. Und ich glaube, das ist eins der großen Hindernisse, weil es bedeuten würde, wir müssten uns auch ein bisschen selbstkritisch beleuchten und das wollen wir ja so ganz ungerne. Und Politik scheut sich halt, sich mit den Großen anzulegen.
Julia von Weiler [00:33:32.740] Kurzer Exkurs und dann ganz kurz und das macht mir Hoffnung: In den Vereinigten Staaten verklagen gerade 1200 Familien Meta, Snapchat und TikTok, weil sie sagen, diese großen Anbieter gefährden die mentale Gesundheit unserer Kinder. Ich finde es sensationell spannend und in diesem Zusammenhang habe ich dann auch Berichterstattung gefunden über eine Jugendlichenbewegung in den Vereinigten Staaten, die jetzt gerade im letzten Jahr einen Brief an alle großen CEOs geschrieben hat und gesagt hat, ihr tragt dazu bei, dass wir tatsächlich unsere mentale Gesundheit leidet, ihr verdient an unserem Leid Geld und so. Ganz toll. Und das gibt mir so eine Hoffnung, dass gerade diese junge Generation jetzt auch hoffentlich selbstbewusst sagt: Leute, Provider, Politik, ihr müsst da anders ran und ihr müsst Kinder und Jugendliche anders schützen. Bei uns hat es schon nicht so gut geklappt.
Nadia Kailouli [00:34:28.270] Dass man vielleicht mal so einen Erfahrungswert mitnimmt und sich, wenn man auf die Zahlen guckt und die Entwicklung auch, was die psychische Entwicklung eben betrifft, dann glaube ich, spricht das für sich, was der digitale Raum betrifft und ich finde es interessant, weil du eben sagtest, Altersbegrenzung gibt es auf verschiedenen Ebenen für verschiedene Sachen, aber der Zugang dahin, der ist for free, ohne Altersbeschränkung jederzeit möglich.
Julia von Weiler [00:34:53.140] Ja, das ist doch auch speziell, oder? Also ich habe vor vielen Jahren mal in einem Interview auf eine Frage geantwortet und habe gesagt: "Wenn es uns nicht gelingt, zum Beispiel Smartphones, Kinder sicherer zu gestalten, technologisch sicherer zu machen, müssten wir darüber nachdenken, ob wir sie für Kinder unter 14 Jahren verbieten". Interessanter Aufschrei der Politik. Sofort überall Gegenwind, Familie, Bundesfamilienministerin. Bla bla bla. Aus allen Landtagen und so weiter, von der Bitkom sowieso, aber Zuspruch von Eltern und Medienpädagogen und Lehrern und Lehrerinnen, das fand ich total interessant. Also Lehrkräfte, die sich kümmern und eine vierte Klasse, die mir einen handgeschriebenen Brief geschrieben hat, dass sie das doch gemein fände. Aber ich finde, dass wir uns da frei machen müssen, auch nicht so ängstlich sein müssen. Und nochmal ich war bei so vielen Sitzungen auch mit Internet Service Providern und dann stellen die irgendwie das neue Ding vor für Kinder ab sechs und erzählen, dass das aber alle wollen. Auf diesen ganzen Gremien sitzt kein einziger Entwicklungspsychologe, sitzt keine Kinderärztin oder oder vielleicht auch eine jugendliche oder junge erwachsene Person, die erzählen kann, was für sehr anstrengende Lebenserfahrungen sie auch gemacht haben in diesen Räumen. Sondern es ist wie so eine Werbeveranstaltung. Alle lassen sich einkaufen.
Nadia Kailouli [00:36:12.840] Ja, ich finde es einfach so. Ich habe gerade so ein ganz komisches Bild im Kopf oder irgendwie so ein Gefühl, dass ich immer mehr Menschen kenne, die sagen: "Nee, einen Fernseher haben wir nicht, bei uns wird kein Fernsehen geguckt", aber alle laufen mit dem Handy rum. Da dachte ich gerade auch so, wir sind einfach auch ein bisschen manipuliert von dem System Netz und Smartphone und so.
Julia von Weiler [00:36:31.470] So ein bisschen schon. Und was man aber sagen muss ehrlicherweise ist, dass die Industrie also die Provider haben haben von ihrer Absicht, die haben sie nie verborgen. Es war immer klar, was die wollen. Die wollen, dass wir so viel wie möglich uns auf ihren Plattformen bewegen, egal mit was. Und das ist das Problem. Also eine Frage, die sich mir immer wieder stellt, ist: Wir alle wissen nicht, wie funktionieren diese Algorithmen? Was wir wissen, ist, dass diese Algorithmen anfangen, uns so zu lesen in unserem individuellen Verhalten, dass sie das verstärken, zumindest das Verhalten verstärken, das uns auf ihrer Plattform hält. Wie genau das funktioniert, wissen vielleicht die Menschen, die das programmiert haben. Du und ich verstehen das nicht. Das heißt aber, wenn ich das konsequent weiterdenke, bedeutet das, wenn der Algorithmus das Verhalten, dass ich auf der Plattform viel zeige, verstärkt, damit ich mich mehr auf dieser Plattform bewege, dann heißt das, der Algorithmus verstärkt risikoreiches Verhalten von Kindern und Jugendlichen, wenn es dazu führt, dass sie dann noch mehr auf wo auch immer sind. Und er verstärkt auch strategisches, übergriffiges, grenzverletzendes Täterinnen- und Täterverhalten, wenn es dazu führt, dass ich mich mehr auf diesem Plattform bewege. Das ist erst mal die steile These, die ich aufstelle. Und dann ist die Frage: Wie? Transparent sind denn diese Algorithmen? Wie genau wissen denn die Provider überhaupt noch, wie ihre Algorithmen funktionieren? Und haben sie ein Interesse daran, das zu verändern? Nach dem Ausstieg von Frances Haugen, Whistleblower von Facebook damals ist auf jeden Fall klar, dass es Meta nicht wichtig genug ist, Depression zu bekämpfen, sondern dass sie eher davon leben, dass depressive Menschen sich noch mehr auf ihren Plattformen bewegen. Und das hat mich eben zu dieser inneren Frage bewegt zu sagen, ach so, aber wenn das für dieses Verhalten gilt, dann gilt es wahrscheinlich für anderes Verhalten genauso. Und dann stellt sich eben die ganz große Frage: Wie groß ist die Verantwortung der Provider eben doch auch für das konkret individuelle Verhalten des Nutzers und der Nutzerinnen? Wir tun immer noch so, als wären wir als Nutzer oder Nutzerin ein Gegenüber auf Augenhöhe. Sind wir nicht, weil wir die Mechanismen überhaupt nicht kapieren, die da auf uns einwirken. Und eine bewusste Entscheidung kann ich nur dann treffen, wenn ich informiert bin. Aber den Algorithmus legt ja keiner offen. Ist ja klar.
Nadia Kailouli [00:38:57.210] Lass uns noch mal ganz kurz darüber sprechen. Aus deiner Sicht und aus deiner Erfahrung, wo fängt denn sexualisierte Gewalt im Netz an?
Julia von Weiler [00:39:08.280] Das wäre so schön, darauf eine ganz einfache Antwort zu haben. Also das eine ist sexualisierte Gewalt im Netz ist bereits, wenn ein Kind ungewollt oder auch gewollt pornografischen Inhalten begegnen kann. Das ist eine Straftat. Ich möchte das noch mal ganz klar sagen. Das ist verboten. Der Gesetzgeber verbietet das aus gutem Grund.
Nadia Kailouli [00:39:29.050] Vielleicht können wir noch mal ganz klar sagen, dass das auch einfach nur was heißt einfach nur, dass ist eben auch ein Foto eines Penis, das einem über WhatsApp oder Instagram oder sonst wo geschickt wird. Das ist pornografischer Inhalt. Einfach um das noch mal klarzustellen.
Julia von Weiler [00:39:42.250] Genau, auch das ist pornografischer Inhalt. Also das eine ist aber, da spreche jetzt von den von den Pornoplattformen also dass das so leicht möglich ist, das ist bereits sexualisierte Gewalt. Dann habe ich die sexualisierte Gewalt in der direkten zwischenmenschlichen Kommunikation. Die muss nicht immer eins zu eins sein, die kann eben auch über so ein WhatsApp-Klassenchat sein. Das ist, wenn ich ungewollt intime Bilder zugesandt bekomme, dann werden meine Grenzen hart überschritten. Aber auch wenn ich intime Bilder von anderen weiterleite, dann überschreite ich hart Grenzen und begehe eine Sexualstraftat. Also das Weiterverbreiten intimer Abbildungen ist ja verboten und ist auch eine eine sexuelle Gewalthandlung. Es beginnt damit, dass jemand Kontakt mit mir aufnimmt. Am Ende des Tages, wenn ich es jetzt aus Sicht des Täters oder der Täterin betrachte, wenn ich dir Hallo sage in der Absicht, ich möchte dich gerne besser kennenlernen, um dich zu missbrauchen, begehe ich bereits eine Straftat. Es weiß nur kein Mensch außer mir. Spätestens dann aber, wenn ich anfange, sexualisiert mit dir zu kommunizieren, also dich, wenn du, sagen wir mal zwölf bist zu fragen: "Hast du schon Brüste und sind denn auch schon Schamhaare gewachsen? Oder hast du schon mal geknutscht und schon mal einen Porno geguckt?" Da fängt es auf jeden Fall an. Es wird doller dann, wenn ich zum Beispiel um intime Bilder bitte oder dir selber intime Bilder schicke, dass ist eine Sexualstraftat. Und dann ist natürlich der Livestream Missbrauch, also wenn ich dich vor der Webcam so manipuliere, dass du sexualisierte Handlungen an dir vornimmst nach meinen Regieanweisungen, da sprechen wir von schwerem sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen. Und wenn ich mich verabrede im analogen Raum und dann physisch sexualisierte Gewalt ausübe. Das ist die nächste Möglichkeit. Aber es ist so ein schleichender Übergang. Und es gibt ja sehr unterschiedliche Täterinnen und Täter. Es gibt die Täter, von denen reden wir am allermeisten, das sind wirklich die, die sagen: "Hallo, hallo, zieh dich aus!". So bumm! Und das funktioniert für die einfach über die schiere Masse. Von 1000 funktioniert es halt einmal, wenn ich das aber oft genug mache am Tag, kriege ich da schon auch meine Zugänge. Und es gibt aber auch die Täter und Täterinnen, die bereits diesen manipulativen Prozess sehr genießen, wenn du so willst. Weil sie sich machtvoll fühlen, weil es ihnen Spaß macht, dich zu manipulieren, zu wissen, oh, die wissen gar nicht, was ich eigentlich wirklich von ihnen will. Die sich also sehr, sehr lange Zeit lassen und die sind wirklich wahnsinnig schwer zu durchschauen. Das sind sie im Übrigen auch im analogen Raum, sind sie im digitalen Raum noch mal ein bisschen schwieriger.
Nadia Kailouli [00:42:27.280] Was würdest du dir wünschen mit dem Wissen, dass das eigentlich leicht umzusetzen wäre, damit der digitale Raum ein sicherer Raum für Kinder und Jugendliche wird?
Julia von Weiler [00:42:37.300] Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass die Provider gesetzlich verpflichtet werden, Standards und ich will jetzt gar nicht eingehen welche alle, aber klare und gute Kinder- und Jugendschutz Standards umzusetzen. Das sie da auch in die Verantwortung genommen werden und dass sie mit einer empfindlichen Strafe belegt werden können, wenn sie dieser Verantwortung versuchen sich zu entziehen. Dazu gehört zum Beispiel so was wie ausgebildete und bezahlte Moderatorinnen und Moderatoren. Ich wünsche mir, dass Politik die Kraft und den Mut findet, das tatsächlich umzusetzen. Ich wünsche mir, dass das EU Gesetzesvorhaben zum digitalen Kinder- und Jugendschutz vor sexualisierter Gewalt nicht nur als Chatkontrolle und Massenüberwachung diskutiert wird, sondern in seiner Gänze gesehen wird und auch umgesetzt wird. Und ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft lernen, selbstverständlicher auch über diese Risiken zu sprechen, ohne erst mal fünf Stunden vorher zu sagen, wie toll das Netz eigentlich ist oder uns dafür zu rechtfertigen. Und dass wir, wenn wir neue Technologien entwickeln, das, was wir so kompliziert, die Technikfolgenabschätzung, also sich zu überlegen, was heißt es eigentlich, wenn wir diese Technologie entwickeln? Was bedeutet das für die weitere Entwicklung von Kindern und Jugendlichen? Dass das mehr Raum bekommt und am Ende mit dem Wunsch nach und das ist eigentlich ganz einfach, das ist der Ausdruck "Safety by Design". Das heißt, der Kinderschutz ist schon im Design enthalten. Und das ist, was mir Hoffnung gibt. Diese jugendlichen Bewegung in den USA hat maßgeblich dazu beigetragen, dass dort ein ein Gesetz erlassen wurde, das Provider verpflichtet, ihre Angebote altersadäquat zu entwickeln. Und das ist schon mal ein großer Schritt.
Nadia Kailouli [00:44:19.840] Das sind ganz schön viele Wünsche und ich wünsche mir, dass wenn ein Mensch in der Lage ist, seine Wünsche so konkret auszusprechen und auch eine Umsetzung direkt mitliefert, dass diese Wünsche auch irgendwie in Erfüllung gehen. Julia von Weiler Ich wünsche mir auch, dass du wiederkommst, weil ich glaube, wir haben noch ganz viele Punkte, über die wir reden könnten. Aber an dieser Stelle sage ich vielen, vielen Dank für deine Einblicke hier bei einbiszwei.
Julia von Weiler [00:44:39.670] Dankeschön. Ich komme gerne wieder.
Nadia Kailouli [00:45:01.490] Oh Mann, irgendwie werde ich nach diesem Gespräch jetzt mit Julia von Weiler irgendwie ein bisschen sauer und zwar auf genau diese großen Internetgiganten, die sich ihrer Verantwortung entziehen. Ich finde, sie hat ganz schön konkret gesagt, was man umsetzen müsste und auch könnte, um Kinder vor sexualisierter Gewalt im Netz zu schützen und es wird nicht getan. Und irgendwie macht mich das gerade sauer. Es macht mich so sauer, dass ich mir denke, ich kündige überall meine Konten bei Insta, bei Facebook, überall, um zu zeigen, ich spiele da nicht mehr mit. Aber so einfach ist es ja dann auch nicht, liegt bei einem selbst. Aber ja, ich finde es gut, dass sie so konkrete Wünsche ausgesprochen hat, auch in Richtung Politik. Ich hoffe, dass ihr diese Folge hört und sie teilt, weil man sollte sich das anhören, was Julia von Weiler da gesagt hat.
Nadia Kailouli [00:45:47.430] An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine Email könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de
Mehr Infos zur Folge
Julia von Weiler arbeitet seit 1991 zum Thema „Sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen”. Sie ist Autorin diverser Fachartikel sowie des Elternratgebers „Im Netz – Kinder vor sexueller Gewalt schützen”.
Seit 1991 leitet sie „Innocence in Danger“, ein internationales Netzwerk, das gegründet wurde, um etwas gegen die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen zu tun. Mittlerweile kümmert sich Innocence in Danger ganz besonders um die Themen sexualisierte Gewalt im digitalen Raum und sexuelle Ausbeutung.
Der digitale Raum wird immer mehr von internationalen, kriminellen Netzwerken genutzt. Plattformen wie TikTok, Instagram und Co. werden genutzt, um dort Kinder und Jugendliche anzusprechen und sie zu sexuellen Handlungen zu bewegen (sogenanntes Cybergrooming). Und Missbrauchsdarstellungen werden von prädokriminellen Banden im Darknet getauscht oder verkauft.
Laut einer Hochrechnung aus der MIKADO-Studie (2015) und der ARD/ZDF Online-Studie (2015) haben in Deutschland 728.000 Erwachsene sexualisierte Kontakte zu Kindern. Digitale Medien verändern die Dimension sexueller Gewalt gegen Kinder nachhaltig. Das beweisen die jüngsten Fälle aus Staufen (2017), Lügde (2018), Bergisch Gladbach (2019) und Münster (2020).
Eine Untersuchung (2018) der Internet Watch Foundation zu Livestream-Missbrauch (sexuelle Gewalt via Webcam) ergab: 98 % der Opfer sind Kinder unter 13 Jahren und 96 % der Fälle von Livestream-Missbrauch geschehen zu Hause oder im Kinderzimmer der Opfer. Das bedeutet, die Täter und Täterinnen gelangen digital direkt in den sicheren Hafen der heimischen Wohnung.
Jedes dritte Mädchen und jeder vierte Junge im Alter von 9 bis 17 Jahren sind im Internet bereits mit intimen, anzüglichen Fragen konfrontiert worden. Das ist das Ergebnis einer Studie der EU. 1 von 20 Schulkindern wird beim Livestreamen aufgefordert, sich zu entkleiden, das hat eine britische Kinderschutzorganisation herausgefunden.
Das sind erschütternde Zahlen, die zeigen: Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Internet hat ein irres Ausmaß angenommen, seit digitale Medien überall verfügbar sind und es technisch so einfach geworden ist, den Missbrauch von Kindern zu filmen.
Workshops, Info-Material, Ausstellungen, Studien, Initiativen und Kampagnen von Innocence in Danger:
Starkmachen gegen sexualisierte Gewalt unter Jugendlichen. Das will die Kampagne #UNDDU? von Innocence in Danger. Das erste Onlineportal und die App #UNDDU? Fachkräfte (Android / iOS) klären Jugendliche, Eltern und Profis umfassend über das Thema auf – und bieten Hilfe an.
Instagram, TikTok, Online-Games und Co. sind die digitalen „Spielplätze“ unserer Kinder. Das Internet wird aber häufig auch von Täter:innen dazu benutzt, Kinder gezielt anzusprechen, um ihr Vertrauen zu gewinnen und schließlich sexualisierte Gewalt an ihnen auszuüben. Die interaktive Ausstellung „KLICK CLEVER. WEHR DICH. Gegen Cybergrooming“ klärt über diese Gefahren auf. Dabei geht es um Wissen, Gefühle, Freundschaft, Grenzen und einiges mehr.
Die von Aktion Mensch geförderte Studie von Innocence in Danger e. V. zur „Versorgung kindlicher und jugendlicher Opfer von Kinderpornografie in Deutschland“ (2004–2007) war weltweit die erste ihrer Art
Smart Fox Internetkurs für Kinder
Der „Smart Fox“-Internetkurs möchte Fachkräfte in der Arbeit mit Kindern der Grundschule (Klasse 3/4) darin unterstützen, Schüler:innen auf altersangemessene und spielerische Art bei ihren ersten bzw. weiteren Schritten in der digitalen Welt zu begleiten. Dabei werden aktuelle digitale Medientrends mit einbezogen sowie Hintergrundwissen zum Umgang mit dem „magischen Magnet Smartphone“ auf spielerische Weise integriert.
WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:
Innocence in Danger:
Website
Eine stationäre Facheinrichtung für gewaltgeschädigte Kinder:
Kind in Düsseldorf (KiD)
Ein Artikel über Julia von Weiler:
Emma | Missbrauch: Reichen die Gesetze?