PODCAST | Folge 42 | Marco Krause

„Bei manchen Bildern und Videos ist man schockiert. Aber verzweifelt ist man nicht. Wir wollen Kinder da rausholen. Das ist unser Antrieb.“

Marco Krause ist Leiter des Kommissariats Cybercrime in Münster. Mit ihm reden wir über die Missbrauchskomplexe Lügde, Bergisch-Gladbach, Münster – und wie es der Polizei gelingt, sogenannte Kinderporno-Ringe auszuheben.




Wenn Sie diesen bereitgestellten Inhalt aufrufen, kann es sein, dass der Anbieter Nutzungsdaten erfasst und in Serverprotokollen speichert. Auf Art und Umfang der übertragenen bzw. gespeicherten Daten hat die UBSKM keinen Einfluss. Weitere Informationen zu den von FeedPress erhobenen Daten, deren Speicherung und Nutzung finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters.

Folge hier anhören

Das Interview der Folge 42 als Transkript lesen

Marco Krause [00:00:00.090] Sollten wir ein Bild finden, worauf der sexuelle, schwere sexuelle Missbrauch nachweisbar ist, haben wir einen sogenannten Gefahrenüberhang und dann klingelt auch mal nachts das Telefon, damit wir sofort dieser Person habhaft werden können, um zu verhindern, dass es dieser Gefahrenüberhang, den wir dann haben, um zu verhindern, dass er auch weiterhin schwer sexuell missbraucht, denn wir wissen ja nicht, was jetzt gerade in diesem Moment passiert.

Nadia Kailouli [00:00:22.230] Hi! Herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Einbiszwei? Ja, genau,ein bis zwei Kinder sind in jeder Schulklasse in Deutschland sexueller Gewalt ausgesetzt. Wieso das so häufig passiert und was man gegen sexuelle Übergriffe tun kann, das erfahrt ihr hier bei einbiszwei. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast spreche ich mit ExpertInnen, JournalistInnen und Betroffenen. Wir reden über akute Missstände, Anlaufstellen und persönliche Geschichten. Wenn es euch damit aber nicht so gut gehen sollte: Wir haben in den Shownotes Telefonnummern und Hilfeangebote verlinkt, wo ihr Hilfe findet. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst!

Nadia Kailouli [00:01:05.630] Triggerwarnung. In dieser Folge gibt es explizite Schilderungen sexueller Gewalt, wenn es dir damit nicht gut geht, dann hört diese Folge besser nicht.

Nadia Kailouli [00:01:16.330] Bergisch Gladbach oder Münster. Das sind Orte, die für Kindesmissbrauch stehen und zwar dann, wenn es der Polizei gelingt, dort einen sogenannten Kinderpornoring auszuheben. Vor den Ortsnamen kommt dann schnell das Wort Missbrauchskomplex, was das riesige Ausmaß der sexuellen Gewalt klarmacht. Missbrauchskomplex, das heißt, Bilder und Videos, die den Missbrauch von Kindern zeigen, werden im großen Stil getauscht, meist auch Gigabyte von Daten, tausende Bilder und Videos, die angeschaut und ausgewertet werden müssen. Es heißt Kinder, die vor laufender Kamera missbraucht wurden, oft stundenlang. Und es gibt einen ganzen Tauschring mit vielen Mitgliedern, die sich solche Missbrauchsdarstellungen ansehen. Missbrauchskomplex, das heißt aber auch akribische Ermittlungsarbeit. Wie man es schafft, den Tätern auf die Spur zu kommen, kann ich heute mit dem Mann besprechen, der die Ermittlungskommission Rose geleitet hat. Das sind die Polizistinnen und Polizisten, die den Missbrauchskomplex Münster aufgedeckt haben. Und ich sage Herzlich Willkommen bei einbiszwei, Marco Krause, grüß Sie

Marco Krause [00:02:17.080] Hallo.

Nadia Kailouli [00:02:17.080] Herr Krause, wir haben ja immer, bevor die Aufzeichnung losgeht, so ein paar Minuten, wo wir uns auch noch mal kennenlernen und da haben wir gesagt, wir sagen einfach Du, ich bin Nadia. 

Marco Krause [00:02:25.890] Ich bin der Marco.

Nadia Kailouli [00:02:26.620] Marco. Und ich habe mir gedacht, wann habe ich denn das letzte Mal einen Polizisten geduzt? Ich glaube noch nie.

Marco Krause [00:02:31.600] Schockschwerenot, aber jetzt ist es soweit. 

Nadia Kailouli [00:02:33.280] Jetzt ist es soweit und wir machen das so und ich finde das auch gut so. Marco, du bist Polizist. Ich habe es gerade schon gesagt. Gab es einen Moment in deinem Leben, wo du bereut hast, diesen Beruf gewählt zu haben?

Marco Krause [00:02:47.860] Zurückblickend auf meine jetzige Laufbahn würde ich sagen nein. Ich war immer mit Leib und Seele Polizeibeamter und ich weiß nicht, ob ich es meinen Kindern empfehlen würde, in der heutigen Zeit diesen Beruf zu ergreifen, aber ich selber habe es nicht bereut, nein.

Nadia Kailouli [00:03:01.570] Ich frage dich das, weil ich weiß, dass du sehr viele Sachen gesehen hast, die sehr, sehr schrecklich sind, sehr, sehr schlimm sind. Wir sprechen nämlich mit dir über den Missbrauchskomplex in Münster und da leitest du eben, seit drei Jahren bist du dort der Leiter der Kriminalinspektion 3 in Münster und beschäftigst dich mit Cybercrime und das eben auch im Bereich der sexuellen Gewalt. Und da hast du eben schon sehr, sehr Schlimmes gesehen.

Marco Krause [00:03:32.590] Ja, das ist unter anderem ein Bereich, den ich hier leite. Also ich habe mehrere Kriminalkommissariate, unter anderem auch den Bereich Cybercrime, bin ich also zum Leiter der EK Rose ernannt worden und habe dann diesen Ermittlungskomplex begonnen zu leiten, vor gut zwei Jahren, vor zweieinhalb Jahren sogar, es war schon länger her. Und ja, und dort hat man natürlich das eine oder andere Bild schon gesehen, ja.

Nadia Kailouli [00:03:58.630] Wie bist du dann dahin gekommen? Also kann man sich das dann so vorstellen, dass man erst mal gefragt wird: „Herr Krause, können Sie sich das vorstellen, in dem Bereich eben zu arbeiten und diese Delikte aufzudecken?“ Wird man das vorher gefragt? Muss man da eine Prüfung machen, eine psychologische oder so, um herauszufinden, schaffe ich das überhaupt? Kann ich das überhaupt? Du sagtest es ja selbst, deinen Kindern würdest du den Beruf jetzt nicht empfehlen. Das heißt, du bist auch Vater. Wie war das?

Marco Krause [00:04:26.950] Ja, also es ist ja so, dass wir hier im Bereich der höheren Dienste nicht so rar gesät sind. Also wir haben, ich habe eine Mitarbeiterschaft von knapp 130 Leuten und im Zuge dessen kommen natürlich ad hoc auch Einsatzlagen herein. Diese Einsatzlage ist auch ziemlich ad hoc reingekommen und zwar durch die Entschlüsselung eines Laptops, der schon ein Jahr lang bei der Polizei war und immer wieder versucht wurde zu entschlüsseln und dann übernimmt das die sogenannte Kriminalhauptstelle. Das ist Münster für einen Bereich mit einem Einzugsbereich von Landratsbehörden hier um uns herum. Als dieses Verfahren merklich größer wurde und wir festgestellt haben, hoppla, da ist ja doch deutlich mehr hinter als wir bisher vermutet haben, mussten wir uns überlegen, wie wir diesen Einsatz, diese vornehmliche Einsatzlage bearbeiten wollen. Und da ist es tatsächlich so gewesen, dass ich mit einer der einzigen war, die überhaupt hier verfügbar waren für diese Leitung und ich hatte natürlich zunächst Bedenken, wobei es jetzt nicht eher um den Teilbereich der sexuellen Übergriffe an Kindern ging, sondern eher tatsächlich, wie groß wird denn jetzt diese Einsatzlage? Und bin ich überhaupt schon, sag ich jetzt mal, karrieremäßig so weit, diesen großen Einsatz überhaupt zu stemmen? Das waren so meine ersten Bedenken. Und dann ist ja daraus das geworden, was letztendlich die EK Rose ausmacht, von der Größe her. Das war aber vorher nicht abzusehen. Und nein, wir werden dafür natürlich, für den Bereich des höheren Dienstes werden wir geschult, aber für solche speziellen Einsatzbereich oder Einsatzlagen werden wir nicht speziell ausgesucht oder geschult. Das ist ja eher eine organisatorische Aufgabe, die wir als höhere Dienste haben oder als Leiter einer Ermittlungskommission. Wir sind jetzt nicht diejenigen, die regelmäßig dort diese kinderpornografischen Bilder und Videos ansehen müssen oder diese Chats lesen von den Tatverdächtigen. Aber mitunter kommt das natürlich auch vor, wenn es um eine Diskussion geht mit Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern, aber ich bin speziell deswegen nicht ausgebildet worden oder speziell ausgesucht worden. Ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort und habe dadurch die Einsatzleitung der EK Rose übernommen.

Nadia Kailouli [00:06:38.230] Damit wir besser verstehen können, was eure Aufgabe ist und was du da genau leitest, müssen wir einmal vielleicht kurz erklären, was dieser Missbrauchskomplex in Münster war oder auch ist. Kannst du einmal kurz zusammenfassen, was damals in Münster passiert ist?

Marco Krause [00:06:55.180] Knapp zusammengefasst haben wir einen Tatverdächtigen ermittelt,  nachdem kinderpornografische Bilder über einen Tauschnetzwerk getauscht wurden. Wir kamen dann auf eine Biogasanlage in einem unserer Landkreise hier und sind dort dann hingefahren, weil wir die IP Adresse ermitteln konnten und haben festgestellt, dass der Landwirt, der diese Biogasanlage betreibt und auch sein Sohn nichts mit der Sache zu tun haben, aber zufällig war tatsächlich der Administrator der Biogasanlage vor Ort. Also das ist ein doch sehr technisches Werk und der war einschlägig vorbestraft und auch bekannt in diesem Bereich und aufgrund dieser Umstände hat man sich entschlossen, eine Wohnungsdurchsuchung bei ihm durchzuführen und hat diverse technische Asservate sichergestellt, also Beweismittel sichergestellt, darunter auch ein Laptop und Teilsektionen des Laptops waren gesperrt. Wir kamen also an diese Daten nicht heran. Und wir hatten eine Kollegin, die sich wirklich über ein Jahr ständig damit beschäftigt hat, versucht dieses Laptop aufzuknacken und irgendwann war es so weit und wir haben Einblick in diese Bilddateien bekommen und sofort festgestellt, dass es sich bei den sexuellen Missbrauchsbildern, die wir dort gefunden haben, um den Tatverdächtigen und um seinen Stiefsohn handelte. Damit ist sofort an uns herangetreten worden als Kriminalhauptstelle, die wir hier sind, also als größerer Bereich für die Landratsbehörden, der solche größeren und schweren Einsatzlagen übernimmt und es ist sofort eine Fahndung ausgelöst worden nach dem Tatverdächtigen, der sich auch kurze Zeit später gestellt hatte.

Nadia Kailouli [00:08:42.810] Jetzt gehen bei mir natürlich ganz viele Fragen hoch. Zum einen die Frage: Wie kann es sein, dass bei der Polizei ein Laptop liegt, man so einen Tatverdächtigen hat und aber man nicht an diese Daten kommt? Man denkt sich doch, die schwere Aufgabe ist, den Laptop zu bekommen und dann ist es aber so, dass dieser Laptop bei euch liegt und ihr kommt nicht ran und der Typ läuft da weiter draußen rum. Wie kann das sein? Das kann man so schwer verstehen, finde ich.

Marco Krause [00:09:05.670] Ja, in der Tat. Das ist mit Sicherheit für den einen oder anderen nicht so einfach zu verstehen, aber jetzt schauen wir mal auf eine Bankdatei, die wir haben. Wir haben alle ein Smartphone mit einem Onlinebanking, dort liegt eine 256 Bit Verschlüsselung vor. Und die Verschlüsselungssoftware gibt es auf dem freien Markt zu kaufen oder sogar als Freeware zu downloaden und diese Systeme werden genutzt. Und ich sage mal hier so ein normales, ich will jetzt keine groß Werbung machen, aber normales iPhone hat einen so hohen Sicherheitsstandard, dass wir erhebliche Probleme haben, solche Sicherheitsstandards mal eben zu umgehen. Das geht, aber es dauert halt.

Nadia Kailouli [00:09:42.720] Und es dauerte über ein Jahr oder, bei euch?

Marco Krause [00:09:45.630] Über ein Jahr. Und ich sage mal, häufig helfen dann Daten, die wir sonst noch bei den Tatverdächtigen finden. Und aufgrund dieser Daten können wir dann es schaffen, gegebenenfalls mit anderen Kombinationen oder tatsächlich, wenn wir so was haben, eine Passwortliste, können wir es schaffen, ein Laptop zu knacken. Mitunter wissen die Tatverdächtigen selber nicht, was die für einen Key eingegeben haben. Die hämmern einfach auf der Tastatur rum, bis sie ein 80 Zeichen langes Passwort generiert haben, mit Sonderzeichen, mit Buchstaben groß, klein, Zahlen, völlig in wirrer Reihenfolge. Und die wissen, die speichern das ab und die wissen es selber nicht. Die haben dann aber irgendwo mit einem Passwort gesichert eine Passwortliste, wo sie sich dann selber ihre eigenen Passwörter wieder herausziehen können. Wenn wir sowas finden, dann ist das Gold wert, aber nicht immer funktioniert das, dass wir so etwas finden, weil mitunter ist das dann doch schon, ich sage jetzt mal ganz plump, auf dem Zettel im Toilettenspülkasten unter den Deckel geklebt, als Beispiel. Es ist jetzt natürlich so der Fall nicht gewesen, aber das wäre einer der Beispiele, warum wir so schwer an diese Daten rankommen. Diese Datensicherheit ist schon sehr, sehr hoch, auch im Freeware und im freien kaufbaren Bereich.

Nadia Kailouli [00:10:59.190] Jetzt hattest du gerade dieses Beispiel genannt, wo man vielleicht diesen Zettel versteckt mit den Zugangsdaten, um an diese Daten zu kommen. Wie kann ich mir die Ermittlung von vor Ort vorstellen? Der Tatverdächtige, wo sich ja später herausgestellt hat, er ist auch tatsächlich der Täter, der läuft dann einfach draußen frei rum, wird der verhört, wird die Wohnung auf den Kopf gestellt, wird da wirklich in jede Schublade geguckt, um zu gucken, finden wir irgendwelche Hinweise, um an diese Daten zu kommen oder wie geht man mit dem Tatverdächtigen dann um?

Marco Krause [00:11:28.140] Es kommt immer auf den Tatvorwurf an. Also Besitz und Verbreitung Kinderpornografie zieht eine Wohnungsdurchsuchung mit sich, die aber jetzt nicht so abläuft, dass ich hinter jede Holzpalisade schaue, die an die Wand geklebt ist. Das haben wir hinterher gemacht, nachdem wir festgestellt haben, wie und wo alles versteckt wurde, dann sind wir deutlich anders vorgegangen, aber dann haben wir auch eine andere Handhabe. Dann haben wir einen schweren sexuellen Missbrauch, den wir vorwerfen können. Und das ist halt in Deutschland, wir haben ein Rechtssystem und wir haben auch nur gewisse Rahmenbedingungen, die uns die Staatsanwaltschaft frei gibt für gewisse Delikte. Und Besitz und Verbreitung KiPo, also Kinderpornographie, ist jetzt nicht so hoch im Deliktaufbau wie ein schwerer sexueller Missbrauch natürlich. Und entsprechend haben wir da auch gewisse Hürden, wie wir an an gewisse Wohnungen herangehen dürfen und was letztendlich sichergestellt werden soll und darf.

Nadia Kailouli [00:12:21.780] Ist man da als Kriminalbeamter manchmal ein bisschen verzweifelt, weil man sich denkt, Justiz, bitte Leute, er ist schon vorher aufgefallen, er ist vorbestraft. Wir quälen uns hier ein Jahr, um an diese scheiß Daten ranzukommen, um das Ding hier dingfest zu machen und die Justiz lässt den da draußen einfach rumlaufen, obwohl bekannt ist, der ist schon aufgefallen?

Marco Krause [00:12:40.740] Ja, das ist tatsächlich manchmal ein bisschen schwierig auch für die Kräfte einzeln nachzuvollziehen, wenn wir einen Tatverdächtigen haben, der wirklich mehrfach aufgefallen ist, allerdings immer nur im Deliktsbereich Besitz und Verbreitung von Kinderpornografie. Und der hat auch zu der Zeit, wo wir ihn festgenommen haben, sogar eine Therapie durchgeführt. Also er war eigentlich noch unter anderen institutioneller Aufsicht und auch dieses System scheint bei ihm nicht gegriffen zu haben, weil er entweder so schlau war, die Leute zu täuschen oder er vielleicht einfach, ich sag mal, durch die Maschen geschlüpft ist. Das sollte natürlich nicht sein. Nichtsdestotrotz ärgern wir uns natürlich, wenn wir Personen haben, wo wir genau dran fühlen können, die haben eine gewisse kriminelle Energie und haben auch gewisse Taten begangen, wir können aber nichts dran machen, weil uns einfach da entweder eine gewisse Beweislast fehlt oder aber die rechtlichen Handhabungen so klar uns eingrenzen, dass wir ja, dass wir einfach nur das machen können, was wir dann machen. Wir versuchen immer alles, nicht alles gelingt uns leider, weil auch dann Anträge nicht stattgegeben werden, aber deswegen haben wir eine Gewaltenteilung, eine Exekutive und Judikative und das ist die Demokratie, die wir haben in Deutschland. Und das gehört dazu, dass wir das dann auch mal aushalten müssen, auch als Polizeibeamte.

Nadia Kailouli [00:14:03.280] Kann ich, also ich würde jetzt so gerade gern wissen, ob du ganz persönlich auch mit dem Tatverdächtigen gesprochen hast, also ihn gefragt hast, also fragt man dann so eine simple Frage: „Können Sie uns Zugang zu diesem Laptop zu den Daten verschaffen?“ Stellt man diese Frage dann?

Marco Krause [00:14:19.450] Ja, natürlich stellt man diese Frage natürlich in Verbindung, jeder Tatverdächtige hat natürlich auch einen Rechtsanwalt und die haben alle ein Zeugnisverweigerungsrecht, ein Auskunftsverweigerungsrecht und häufig machen die davon Gebrauch, aber man stellt diese Frage nicht nur einmal. Ich sage mal, wenn der erst mal so einen Monat im Gefängnis saß oder in U-Haft saß, dann stellt man diese Frage noch mal und man stellt diese Frage nochmal und nochmal und irgendwann merkt der ein oder andere Tatverdächtige: Der Kumpel oder wo ich vermeinte, der Kumpel hat mich in die Pfanne gehauen, der hat das und das ausgesagt, dadurch ist mir das und das jetzt vorwerfbar geworden, jetzt sage ich auch aus. Und so arbeiten wir natürlich. Also wir fragen ihn natürlich. Ich persönlich habe nie mit ihm gesprochen, das haben meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemacht.

Nadia Kailouli [00:15:05.170] Jetzt bleiben wir doch einmal bei diesem einen Beispiel eben, dass ihr da über ein Jahr lang versucht habt, an diese Daten zu kommen. Der Laptop liegt bei euch, deine Leute kümmern sich drum und versuchen alles, um eben an diese Daten zu kommen, um eine Beweislage zu schaffen, zu sagen, okay, dieser Tatverdächtige ist eben ein Täter von schwerem sexuellem Missbrauch an Kindern. Wie ist das dann? Reicht es dann ein Bild zu sehen und dann klingelt bei dir das Telefon und alle rennen los und sagen, okay, jetzt haben wir es oder wie läuft das dann ab, wenn man eben an diese Daten gekommen ist und was sieht man dann als erstes? Gibt es dann wieder verschlüsselte Bilder oder sieht man dann sofort das eine Bild, wo man sagt, alles klar, jetzt haben wir ihn!

Marco Krause [00:15:49.500] Die Datenstruktur von dem ein oder anderen ist natürlich unterschiedlich. Häufig ist es so, wenn man einmal diesen Masterbereich geöffnet hat, denn die Täterinnen und Täter wollen sich es ja auch nicht schwerer machen, als es auch für sie schon ohnehin ist, sobald es einmal geöffnet ist, dann kann man eigentlich so ganz normal mit den Daten arbeiten, als wenn es der eigene Laptop wäre. Man sieht also Bilddateien, Videodateien, gegebenenfalls Sicherungsdateien von irgendwelchen Chats oder WhatsApp-Chats. Mitunter ist das gegebenenfalls nochmal verschlüsselt, ist aber eigentlich nicht häufig der Fall. Aber sollten wir ein Bild finden, worauf der sexuelle, schwere sexuelle Missbrauch nachweisbar ist, haben wir einen sogenannten Gefahrenüberhang und dann klingelt auch mal nachts das Telefon, damit wir sofort dieser Person habhaft werden können, um zu verhindern, dass ist dieser Gefahrenüberhang, den wir dann haben, um zu verhindern, dass er auch weiterhin schwer sexuell missbraucht. Denn wir wissen ja nicht, was jetzt gerade in diesem Moment passiert und deswegen würden wir alles dafür tun, damit wir sofort dieser Person habhaft werden können ad hoc.

Nadia Kailouli [00:16:50.410] Wie war das jetzt konkret in diesem Fall? Wie habt ihr da dann oder wie seid ihr dann da vorgegangen, als ihr dann die Daten entschlüsselt habt?

Marco Krause [00:16:58.540] Wir haben sofort eine Fahndung herausgegeben. Wir wussten ja, wo diese Person wohnt, weil wir haben auch schon eine Wohnungsdurchsuchung gemacht und der war ja auch schon polizeilich und auch gerichtlich bekannt. Er war zu dieser Zeit nicht anzutreffen, sondern er war unterwegs. Aber wir haben seinen Verwandten und Bekannten gesagt, passt auf, wir suchen den, wir brauchen sofort, ihr habt mit Sicherheit Kontakt zu dem, kontaktiert den, sagt ihm, der soll sich sofort hierhin bewegen, ohne Umwege, geh nicht über Los, sondern geht direkt ins Gefängnis. Und das haben, also ich weiß jetzt nicht genau, wer ihn da letztendlich kontaktiert hat, er ist auf jeden Fall der Nachricht habhaft geworden, dass wir ihn dringend tatverdächtig suchen und er hat sich dann auch hier gestellt mit einem Anwalt.

Nadia Kailouli [00:17:44.220] Wir wollen ja hier in diesem Podcast bei einbiszwei aufklären und auch enttabuisieren. Wir wollen nicht schockieren, aber wir wollen ja hörbar machen, was da draußen eigentlich wirklich los ist und was passiert. Kannst du uns sagen, was ihr dort gesehen habt, als ihr die Daten entschlüsselt habt?

Marco Krause [00:18:07.860] Ja, jetzt ist die Frage, inwiefern ich da tatsächlich ins Eingemachte gehen kann, sage ich jetzt einfach mal. Wir haben den schweren sexuellen Missbrauch an Kindern im Alter von Acht bis Zehn gesehen und zwar mit einer Penetration der Körper, also es wurde penetriert, oral befriedigt, gegenseitig oral befriedigt. Und das sind so die Bilder, die man da tatsächlich sieht und zwar nicht nur mit Einzelpersonen. Wir haben hinterher ja noch Videos geöffnet, wo wir über 36 Stunden lang, ein langes Video hatten, das was in der Gartenlaube dort aufgefunden wurde. Und dort haben sich halt drei erwachsene Männer regelmäßig über die 36 Stunden an zwei Jungen im Alter von fünf und zehn Jahren vergangen und zwar schwer sexuell missbraucht. Teilweise waren die Kinder betäubt, teilweise waren die Kinder wach und im wachen Zustand auch im geistig wachen Zustand.

Nadia Kailouli [00:19:11.460] Wenn man das dann herausgefunden hat und die Beweislage sichtbar wird im wahrsten Sinne des Wortes, ist man da als Polizist nicht komplett am Rande seiner Kräfte, weil man ja, man wusste ja irgendwie schon ein bisschen, was einen erwartet, wenn man die Daten entschlüsselt hat. Ich sage mal, es ist jetzt keine große Überraschung gewesen, als man dann die Daten hat. Die Daten lagen ja eigentlich nur dafür da, dass man eben wirklich den Beweis hat, um diesen Menschen eben hinter Schloss und Riegel zu bringen. Ist man dann nicht so ein bisschen verzweifelt, dass es so schwierig ist, daran zu kommen, dass das über ein Jahr dauert, bis man eben diese Beweise hat, dass es dann auch noch so ist, dass dieser Mensch schon aufgefallen ist und da draußen frei rumläuft, ist man dann nicht komplett verzweifelt?

Marco Krause [00:19:57.330] Nein, verzweifelt würde ich nicht sagen. Wir sind da sehr professionell und unser Engagement und unsere Kraft ziehen wir daraus, Tatverdächtige zu überführen und der gerechten Strafe zuzuführen und Kinder aus dieser Situation herauszuholen. Das ist der Antrieb, den wir haben und deswegen gehen wir da sehr stringent und sehr engagiert vor. Man ist mit Sicherheit bei dem einen oder anderen Bild und Video schockiert, auch bei einigen Nachrichten und Sprachnachrichten denkt man, es kann eigentlich nicht mehr schlimmer kommen. Und doch, man findet dann noch was, was noch dem Ganzen noch mal so eine Krone aufsetzt, aber verzweifelt selber ist man nicht. Man versucht einfach die Rückschläge, die man immer wieder erlebt, sei es durch durch eine nicht, eine fehlende Möglichkeit des Knacken des Laptops oder von mobilen Endgeräten, oder sei es durch eine justizielle Barriere, die wir leider dann manchmal auch haben, wir versuchen dann andere Wege zu gehen und versuchen sehr, sehr schnell uns der Situation anzupassen, situativ flexibel kann man sagen, dass wir letztendlich unser Ziel erreichen, das polizeiliche Ziel erreichen: Gefahrenabwehr für das Kind und Strafverfolgung für den Täter.

Nadia Kailouli [00:21:10.650] Nun fragt man sich ja doch, was bräuchte es, damit man schneller an diese Daten kommt? Also um jetzt mal ein bisschen auf diesem technischen Bereich zu bleiben. Gibt es denn etwas, was du aus deiner Erfahrung aus deinem Team sagen kannst, wenn du sagst, wenn wir das und das hätten, bessere künstliche Intelligenz vielleicht oder eine andere Justiz in der Datenspeicherung oder so, dann würde unsere Arbeit viel schneller und viel leichter gehen. Gibt es da was, was du sagen kannst?

Marco Krause [00:21:37.150] Ja, das ist ja kein Geheimnis. Das fordern die Polizeigewerkschaften ja auch schon lange, dass wir diese Datenspeicherung, die wir jetzt haben, dass die sich vielleicht in einer anderen Richtung bewegen würde, wieder. Wir haben sehr viel Datenschutz, sehr, sehr, sehr hohes Gut ist der Datenschutz und das ist auch gut und richtig. Mir kommt es manchmal so vor, als würde der Polizei unterstellt, dass wir mit den Daten, die wir zur Verfügung haben, nicht richtig und korrekt umgehen und deswegen halt auch häufig hohe Hürden einziehen. Für die Strafverfolgung ist aber wichtig, dass wir nicht eine Daten, Vorratsdatenspeicherung von maximal zehn Tagen haben, sondern wir hatten ja mal ein halbes Jahr und jetzt ist es so, wir haben ein Jahr lang das Laptop liegen gehabt und da sind selbst von einem halben Jahr Vorratsdaten ja weg. Wenn wir aber, ich sage mal, nach drei Monaten an das Gerät kommen, hätten wir zumindest noch eine Möglichkeit, auf andere Daten zuzugreifen: Verkehrsdaten, GPS-Daten, die vielleicht, wenn wir das Endgerät nicht haben, sondern wenn man die retrograd über die Masten der Telefongesellschaften nachverfolgen könnten, hätte man zumindest Anhaltspunkte: Wo können wir jetzt hier suchen? Das ist momentan nicht gegeben. Ja, plus wir haben Möglichkeiten bei der Polizei auch viele, viele Daten zu verknüpfen und abzufragen und da wird halt auch immer mal wieder sukzessive ein Riegel vorgeschoben: Nein, aufgrund von Datenschutzrichtlinien dürfen wir jetzt irgendein Datum, was erhoben wurde, nicht für einen anderen Zweck benutzen. Ich mach mal ein anderes Beispiel: Wir hatten mal einen Mörder, der sich im Bereich der Autobahn bewegt hat und wir durften noch nicht mal, also wir durften nicht auf die Daten von Toll Collect zugreifen, was uns das natürlich erleichtert hätte. Wir durften aber noch nicht mal eigene Geräte aufhängen, um zu schauen, fährt hier einer durch oder ist hier einer auf den gleichen Masten wie die Toll Collect Daten. Wir mussten also selber eigene Masten aufstellen, um Geräte aufzubauen, um selber Daten zu erheben für diesen Zweck. Das ist manchmal nicht so einfach, aber wie ich schon gerade sagte: Situativ flexibel. Wir finden vielleicht mal eine andere Lösung, leichter wäre es aber tatsächlich, wenn wir so ein paar, also wenn, ich sage mal, in einigen Bereichen nicht so ein Ressentiments gegen die Datennutzung der Polizei gebe.

Nadia Kailouli [00:23:52.440] Okay.

Marco Krause [00:23:53.710] Das ist jetzt natürlich sehr politisch und ich möchte mich da auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen oder in die Nesseln setzen, aber ja, das ist schon ein Bereich, der uns das manchmal ein bisschen schwerer macht.

Nadia Kailouli [00:24:04.380] Eben, du sagst es, das ist ein politisches Thema. Wir könnten jetzt allein darüber ewig lange reden, aber es ist eben nicht in deiner Verantwortung, das zu verändern, sondern du musst auch als Leiter dieser Kommission eben das umsetzen, was dir auch in eurem Fall die Justiz eben an Möglichkeiten gibt. Nun will ich noch mal zurückkommen auf dein Team. Du hast eben geschildert, was ihr da euch anschauen müsst, damit ihr eine Beweislage habt. Alleine die Schilderung davon ist für viele Menschen schockierend, traumatisierend und nicht vorstellbar und gleichzeitig kommt die Frage auf: Wie haltet ihr das aus? Und deswegen ganz klar gefragt: Wie hält man das aus, in diesem Bereich zu arbeiten, sich das anzuschauen und dann den klaren Kopf zu bewahren, eben zu sagen, okay, wir handeln jetzt eben nach Recht und Ordnung, wie wir jetzt hier auch weiter vorgehen müssen in unserem Job?

Marco Krause [00:25:01.580] Ja, das ist ein Stück weit professionelles Handeln. Nicht, dass wir jetzt als Polizeibeamte alle abgestumpft sind. Es ist durchaus auch so, dass der eine oder andere das eben nicht aushält. Die Motivation steckt darin, Kinder aus dieser Situation herauszuholen. Und wenn ich es da weiter greife, es gibt ja nicht nur Kinder, die sexuell missbraucht werden, sondern auch erwachsene Personen. Und ich sag mal Opfer aus einem Bereich, wo sie ein Martyrium erleiden, herauszuholen und den Tätern die gerechte Strafe zuzuführen. Das ist eine Motivation, die viele, viele Kolleginnen und Kollegen antreibt, das Bild an sich auszublenden, sondern nur die Fakten dort zu sehen: Was passiert dort? Ich sage mal, sich ein Stück weit hinter eine Mauer zu stellen und nur rüber zu schauen. Gleichwohl haben wir aber viele, viele Dinge gelernt in der Vergangenheit. Es gab auch andere Einsatzlagen, die mit solchen Themen befasst waren und uns war es ganz wichtig, direkt zu Anfang auch für die Kolleginnen und Kollegen psychosoziale Unterstützung anzubieten. Wir haben ein Seminar aufgelegt mit der International Police Association. Die sitzen hier im Bereich Schloss Gimborn. Dort haben sie ein Tagungshotel. Dort haben wir ein Seminar aufgelegt, ein Resilienzseminar, das hieß „Unter Druck und trotzdem stark“ und haben sowohl Coaches eingeladen als auch ein gewisses Freizeitangebot, damit für drei Tage vielleicht mal was anderes in den Kopf kommt und man sich untereinander sozial reinigen konnte. Wir haben aber auch regelmäßig Supervisionen. Wir fragen regelmäßig, alle sind ermutigt, auch zu sagen, mir geht es nicht gut. Hier wird keiner als schwach dann dargestellt, sondern wir gucken natürlich, dass unsere Kolleginnen und Kollegen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort eine sehr, sehr hohe Belastung über sich ergehen lassen müssen, die sie auch größtenteils sehr gut schultern können, aber wir ziehen natürlich Sicherheitsnetze und Hilfestellungen dort ein. Der Landespolizeiverein ist damit bei. Wir haben den psychosozialen Dienst der Polizei. Wir haben dieses Seminar. Wir haben Gesprächsmöglichkeiten. Wir haben Sportmöglichkeiten. Natürlich ist das auch, ganz zu Anfang wurde ich mal gefragt, ob Sport gemacht werden darf innerhalb dieser, dieser Arbeitszei und dann habe ich gesagt, Leute, wenn ihr acht Stunden vom Monitor sitzt und euch diese Bilder anseht, das will ich nicht. Macht weniger. Reinigt euch, indem ihr immer ein bisschen Sport macht, ein bisschen Ausgleich macht und dann habt ihr den Kopf wieder frei, entweder für die Familie zu Hause, weil auch die Stabilität kommt auch größtenteils aus der Familie oder halt für euch selber, für eure eigene Seele. Und das ist ganz, ganz, ganz wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen, die eine solche dienstliche Belastung erfahren, dass sie dann auch mal eine Möglichkeit haben, im Sport einen Ausgleich zu suchen, auch innerhalb der Dienstzeit.

Nadia Kailouli [00:27:53.510] Vielleicht kannst du uns an dieser Stelle noch mal erklären, warum es denn so wichtig ist, sich diese Bilder dann eben über acht Stunden anzuschauen. Was sucht ihr dann in diesen Bildern, außer dass ihr eben dann festgestellt habt, okay, wir haben hier einen Tatverdächtigen und wir sehen anhand der Bilder hier findet sexueller Missbrauch statt. Warum müssen sich dann deine MitarbeiterInnen diese Bilder dennoch weiterhin anschauen und analysieren?

Marco Krause [00:28:16.940] Wenn wir jetzt auf jedem Bild sicher sagen könnten, wir haben das gleiche Opfer und den gleichen Tatverdächtigen, müssen wir zumindest gerichtlich festhalten: Sind das immer die gleichen Zeiträume oder über welchen Zeitraum reden wir? Sind das verschiedene Tage und sind das verschiedene Taten? Darüber hinaus müssen wir natürlich auf jedem Bild schauen, haben wir immer das gleiche Opfer und haben wir immer den gleichen Täter? Deswegen müssen wir jedes einzelne Bild uns ansehen. Wir schauen nach Tatorten, wir schauen nach Tatverdächtigen. Wir schauen nach Möglichkeiten, vielleicht einen Tatort zu identifizieren. Vielleicht in einer anderen Wohnung ist plötzlich die Tat durchgeführt worden und eventuell können wir aufgrund der Bilder, die wir dann sehen, einem anderen Täter diese Wohnung zuordnen und sagen, hör mal, in deiner Wohnung ist diese Tat begangen worden und deswegen haben wir dich mindestens als Mittäter mit im Boot. Also wir versuchen auf jedem Bild weitere Tatverdächtige, weitere Tatorte und weitere Opfer zu identifizieren.

Nadia Kailouli [00:29:19.070] Jetzt weiß ich gar nicht, wie viel du dann verraten darfst auf die Fragen, die ich dir jetzt stelle. Aber, wenn man jetzt eben eine Wohnung sieht, wo dieser Missbrauch stattfindet und ihr guckt euch die Vorhänge an, die Möbel an, vielleicht sieht man was aus dem Fenster oder so. Wie findet man denn dann diese Wohnung?

Marco Krause [00:29:36.000] Es ist jetzt nicht einfach, eine Wohnung herauszusuchen, wenn ich keine Referenzmöglichkeit habe und auch aus dem Fenster heraus sieht man ja meistens nur verschwommen, wenn ich sage mal im Vordergrund das Objekt scharf gestellt ist, da ist der Hintergrund ja meistens eher unscharf. Nichtsdestotrotz können wir aber, wenn wir einen einen Verdächtigen, vielleicht noch gar keinen Täter, aber einen Verdächtigen in seiner Wohnung besuchen, feststellen: Das ist genau die Wohnung, die wir auf den Bildern schon gesehen haben. Das sind die gleichen Lichtschalter, die sind gleich verschmutzt, wir haben die gleichen Schränke in der gleichen Stellung. Wir haben hier irgendwelchen Nippes rumstehen, der genau identifiziert werden kann und den Bildern zugeordnet werden kann. Also wir können natürlich jetzt nicht den Tatort aufgrund eines Bildes komplett finden, aber wir können, wenn wir einen Tatverdächtigen haben, diesen Tatort identifizieren als Tatort auf dem Bild.

Nadia Kailouli [00:30:28.200] Würdest du sagen, dass die Ermittlungen. Ich meine, wir haben ja in den letzten Jahren, ich sage jetzt mal, zum Glück immer mehr Fälle erfahren von Cyberkriminalität, wo sexueller Missbrauch stattgefunden hat und man anhand der Datenanalyse eben Täter und Opfer ausfindig machen konnte. Würdest du sagen, aus eurer Erfahrung, dass die Ermittlungen dahingehend einfacher geworden sind, oder sind sie schwieriger geworden?

Marco Krause [00:30:53.010] Ich glaube, das hält sich die Waage. Sobald wir eine Möglichkeit haben, technisch einen gewissen Vorsprung zu erlangen, zieht entweder die Gegenseite nach oder wir müssen nachziehen. Also das ist ein technisches Wettrüsten, sage ich jetzt mal. Wenn wir es jetzt schaffen, das iPhone 11 zu knacken mit der und der entsprechenden iOS-Software, dann wird gegebenenfalls die nächste Software oder ein Jailbreak genutzt, um halt dieses diese Möglichkeit zu konterkarieren. Es ist tatsächlich ein Hin und Her. Wir schauen was gibt es Neues auf dem Markt? Wo müssen wir gegebenenfalls antizipieren, was als Tatmittel missbraucht werden könnte? Und genauso schaut die Täterschaft, wo hat die Polizei denn jetzt Möglichkeiten geschaffen, technische Barrieren zu überwinden? Wo müssen wir nachlegen und nacharbeiten? Deswegen haben wir ja immer diese Cyberangriffe oder neue Viren. Das ist ja genau der Grund, dass gegebenenfalls Virenscanner ausgehebelt werden, indem man ein neues Virus schafft und dann zieht der Virenscanner wieder nach, er hat dieses Virus erkannt und dann legt der Täter wieder nach. Und so ist es ein Hin und Her der technischen Möglichkeiten von Täter und Polizei.

Nadia Kailouli [00:32:05.550] Jetzt reden wir so wahnsinnig technisch darüber, was ja auch eben euer Job ist, da wahnsinnig technisch auch ausgebildet zu sein und drauf zu gucken, wie ihr eben an Beweise rankommt. Jetzt wollen wir aber natürlich vor allem wissen, was können wir denn tun, damit es erst gar nicht so weit kommt? Damit eben Kinder überhaupt gar nicht in die Hände von kriminellen Menschen kommen, die missbrauchen, dass man vielleicht weiß, okay, wie muss ich sensibler in meinem Umfeld sein und gucken, was findet da bei meinen Nachbarn statt oder so? Gibt es irgendwas, was du in der Erfahrung sagen kannst, was du dir wünschen würdest von der Zivilgesellschaft, wie man sich diesen, ich will nicht sagen sich diesem Thema nähert, aber sich diesem Thema öffnet, damit auch eure Arbeit eben eine andere ist?

Marco Krause [00:32:49.650] Ich glaube, hinschauen und sprechen ist ein großes Thema. Man darf sich das nicht vorstellen, dass Kinder in die Fänge von Kriminellen geraten, sondern häufig ist es das soziale Umfeld, was als Täter fungiert. Und da helfen tatsächlich, da hilft das Umfeld, das private Umfeld des Opfers, Freunde, Lehrerinnen, Lehrer, Kindergärtnerinnen, Kindergärtner. Und die Beobachtungen mehr zu schildern. Nicht das abzutun, ja, das Kind hat sich wohl einfach nur gestoßen, deswegen hat es einen blauen Fleck im Schambereich. Sondern gegebenenfalls mal zu hinterfragen, sag mal, was ist dir denn da passiert? Könntest du, wenn das Kind das schon verbalisieren kann. Man kann vielleicht an der Reaktion erkennen, blockt das Kind oder ist es frei heraus: „Ich habe mich da gestoßen“ oder wird erst eine Ausrede erfunden? Und wenn wir da genauer hinschauen und das merken wir in den letzten, in den letzten ein, zwei Jahren ganz massiv, weil auch die Landesregierung, auch der Innenminister, sich sehr dafür engagiert hat, dass genau dieses Thema aus der Tabuzone herausgeholt wird und je mehr wir darüber sprechen und je offener das kommuniziert wird auch innerhalb der Gesellschaft, dass es so was gibt. Es ist nicht, es ist kein Tabuthema, es ist, es ist real, es ist da und sobald wir darüber sprechen, holen wir es aus der Dunkelheit heraus. Wir merken einfach die Anzahl der der Anzeigen steigt deutlich. Das bedeutet oder das ist ein Indiz dafür, dass mehr hingeschaut wird. Und selbst wenn davon 30 % oder 50 % der Anzeigen erstattet werden, obwohl kein Hintergrund dahinter ist, sind immer noch 50 % oder vielleicht noch ein bisschen weniger da, die durchaus Hand und Fuß haben. Und das ist das Wichtige, dass wir einfach schauen, dass die Gesellschaft nicht wegschaut, dass wir als Mitbürgerinnen Mitbürger nicht wegschauen, dass wir aufmerksam bleiben und uns vor allen Dingen nicht durch ja, das ist des Nachbarn Sache, was der da macht. Ich möchte damit nichts zu tun haben. Das wir hinschauen und handeln. Das ist, glaube ich, ganz wichtig.

Nadia Kailouli [00:34:53.580] Jetzt, Marco, hast du uns eingangs erzählt, dass du Vater bist. Wenn man diesen Beruf macht, was gibt man seinen Kindern dahingehend dann weiter?

Marco Krause [00:35:06.170] Ich sag mal, als Polizeibeamter ist man wahrscheinlich so ein bisschen paranoid, insbesondere auch mit meinem Hintergrund. Und ich versuche, also ich habe schon immer versucht denen zu vermitteln: Also auf gar keinen Fall mit irgendwelchen Fremden sprechen, dich nicht locker lassen, auch wenn er deinen Namen kennt. Auf gar keinen Fall irgendwo mit hingehen und solche solche üblichen Verhaltensweisen. Und ich mache das wahrscheinlich etwas vehementer und auch plastischer als der ein oder andere bei seinem Kinde, so dass meine Frau mich manchmal auch strafend ansieht. Aber mir ist es wichtig, lieber einmal einen Schockmoment zu erzeugen und ein Bild vielleicht auch zu erzeugen, was das Kind als Alarmsignal hat, als hinterher dazustehen und zu sagen: „Hätte ich mal“.

Nadia Kailouli [00:35:50.360] Da bleibt mir schon fast die Stimme weg, weil ich mich daran erinnere, dass man ja dass viele Menschen davor Angst haben, gerade wenn sie Kinder haben, dass man eben ihre Kinder verängstigt, wenn man sie dahingehend irgendwie versucht aufzuklären, weil man diese Gratwanderung so schlecht hinbekommt zwischen: „Pass auf, geh nicht mit Fremden mit“, oder wenn Onkel Heinz sagt: „Komm mit, ich zeig dir mal, was in der Scheune ist“, dass man das dann nicht macht, weil man seine Kinder ja eher selbstbewusst und stärkend erziehen will und nicht mit mit Angstfaktoren irgendwie auf die Straße schicken möchte.

Marco Krause [00:36:22.330] Ja, das ist, ja das eine schließt das andere nicht aus. Ich kann durchaus sagen: „Hör mal“. Natürlich nicht ganz so plastisch und ich stell natürlich nicht dar, was es da so gibt. Aber ich bin vielleicht schon ein bisschen deutlich, indem ich sage: „Hör mal, wenn man dich anfasst, akzeptiere das nicht, schreie laut, sei laut, wehre dich“. Also, dass ich das auch explizit verbalisiere: Anfassen, berühren, da, wo du nicht willst, Privatzone haben wir das genannt im Privatbereich. Also für uns ist es der Intimbereich, für die Kinder ist es die Privatzone. So und das ganz deutlich sagen: „Wenn dich da einer anfasst, dann hast du bitte was zu sagen und habe keine Angst, du machst dabei nichts falsch, egal wer es macht“.

Nadia Kailouli [00:37:04.920] Und ich finde, dass sich das viele Eltern so jetzt von dir eigentlich mitnehmen können, weil davor haben ganz viele Angst, aber man sieht, es ist eigentlich ganz einfach, wenn man das so einfach mal benennt und damit seine Kinder ja wahrscheinlich auch eher stärkt als verängstigt. Vielen Dank, Marco Krause, dass du uns heute aus deinem Arbeitsalltag, der Ermittlungskommission Rose erzählt hast, aber dass du uns auch ein bisschen was Privates mitgegeben hast, wie du damit als Vater umgehst. Und ich sage Vielen Dank, dass du heute bei einbiszwei warst.

Marco Krause [00:37:32.630] Ich bedanke mich für die Möglichkeit, dass ich auch das da loswerden konnte und auch dazu beitragen kann vielleicht, dass der eine oder andere mehr hinschaut.

Nadia Kailouli [00:37:39.650] Vielen Dank. Ja, das war Marco Krause. Und ich muss sagen, ich fand es schon sehr gut, dass man mal so einen intensiven Einblick bekommen hat, wie eigentlich so Ermittlungsarbeit aussieht. Gleichzeitig muss ich sagen, in mir tut sich so was auf, wo ich mir denke, wie kann es denn sein, dass die Justiz einem dann doch irgendwie Steine in den Weg legt, wegen eben der ganzen Datensicherheit und Datenspeicherung, dass man das dann nicht so schnell machen kann? Also mir tut sich dann trotzdem, irgendwie stellt sich mir irgendwas quer, wenn ich mir überlege, da sitzt man ein Jahr an so einem Laptop und kommt nicht an die Daten ran, obwohl man weiß, dahinter verbirgt sich wirklich der Beweis dafür, dass dieser Mensch hinter Schloss und Riegel gehört. Zum Missbrauchskomplex Münster übrigens gab es 50 Täter, gegen die ermittelt worden ist und 30 davon wurden dann zu einer Haftstrafe verurteilt. Und der Haupttäter, der wurde dann zu elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. 

Nadia Kailouli [00:38:37.400] An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine Email könnt ihr einfach schreiben an presse@usbkm.bund.de. 

Mehr Infos zur Folge

Marco Krause ist seit über 20 Jahren bei der Polizei, seit 3 Jahren Leiter der Kriminalinspektion 3 in Münster und damit auch Leiter des Kommissariats Cybercrime, in dessen Bereich der Missbrauchskomplex Münster (Ermittlungskommission „Rose“) fällt.

89 Frauen und Männer gehören zu seinem Team, das in diesem Fall 1.400 Datenträger nach Tätern und vor allem nach Opfern akribisch durchforstet – darunter Festplatten, USB-Sticks und sogar althergebrachte CDs.Die Datenmenge beträgt unfassbare 1,2 Petabyte. Für deren Speicherung würden 24.000 Computer benötigt.

Marco Krause klärt auch an Polizei-Berufsschulen in dem Wahlpflichtfach „Sexueller Missbrauch von Kindern“ auf. Seine Motivation und sein Verständnis als Polizist: „Wir sind als Polizisten den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet und dazu da, die Schwächeren der Gesellschaft zu schützen. Und das sind natürlich vor allem die Kinder. Meine Motivation ist es, Kindern und Familien zu helfen, die Opfer geworden sind.“

WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:

Ein Artikel der Süddeutschen Zeitung zum Missbrauchskomplex in Münster:
Süddeutsche | „Das übersteigt alles, was dieser Kammer bislang vorgelegt wurde”

Hier berichtete das Redaktionsnetzwerk Deutschland zum selben Fall:
Redaktionsnetzwerk Deutschland | Der Missbrauchsfall Münster – eine Chronologie

In diesem Artikel geht es um die Festnahme der Täter:
​​​​​​​Redaktionsnetzwerk Deutschland | „Sie können es sich nicht vorstellen”: Elf Festnahmen wegen Kindesmissbrauch

Hier geht es um die Verbreitung und die Dimension von Missbrauchsdarstellungen im Internet:
SWR Wissen | Kinderpornografie im Netz – Neue Dimension des sexuellen Missbrauchs

Marco Krause im Schulunterricht:
​​​​​​​Sätze wie Nadelstiche

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs möchte diese Website fortlaufend verbessern. Dazu wird um Ihre Einwilligung in die statistische Erfassung von Nutzungsinformationen gebeten. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.