PODCAST | Folge 48 | Ev von Schönhueb

Viele haben Angst und sagen mir: „Ich weiß, wozu mein Mann in der Lage ist.”

Ev von Schönhueb arbeitet seit zehn Jahren bei der Beratungsstelle „Frauenraum”. Sie erzählt, wie sie Frauen hilft, die häusliche Gewalt erleben und warum sich diese Frauen sehr oft nicht von ihrem Partner trennen.




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Das Interview der Folge 48 als Transkript lesen

[00:00:01.140] - Ev von Schönhueb

Oftmals ist es so, dass viele Frauen denken, die klassische Ohrfeige ist häusliche Gewalt, aber oftmals geht häusliche Gewalt ja schon viel früher los: Beleidigungen, Erniedrigungen, Demütigung vor anderen Menschen, vor den Kindern anschreien, was auch immer.

[00:00:18.560] - Nadia Kailouli

Hi. Herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Einbiszwei? Ja, genau. Ein bis zwei Kinder sind in jeder Schulklasse in Deutschland sexueller Gewalt ausgesetzt. Wieso das so häufig passiert und was man gegen sexuelle Übergriffe tun kann, das erfahrt ihr hier bei einbiszwei. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast spreche ich mit Expert*innen, Journalist*innen und Betroffenen. Wir reden über akute Missstände, Anlaufstellen und persönliche Geschichten. Wenn es euch damit aber nicht so gut gehen sollte, wir haben in den Shownotes Telefonnummern und Hilfeangebote verlinkt, wo ihr Hilfe findet. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:01:02.290] - Nadia Kailouli

Häusliche Gewalt. Das ist die offizielle Bezeichnung dafür, dass vor allem Frauen zu Hause geschlagen, angebrüllt und gedemütigt werden. Gewalt gegen Frauen, das findet zigtausendfach jedes Jahr in Deutschland statt. Allein im letzten Jahr wurden rund 150.000 Gewalttäter angezeigt und das Dunkelfeld ist noch viel höher. Denn der Gang zur Polizei ist gar nicht so einfach für viele Frauen, weil sie Angst haben, Schamgefühle haben, Schuldgefühle haben und das macht es ihnen natürlich schwer, über das Erlebte zu reden. Und damit Frauen nicht hilflos bleiben, wenn sie misshandelt werden, gibt es Beratungsstellen, die gemeinsam mit Frauen nach Auswegen suchen und alle offenen Fragen versuchen zu klären? Ev von Schönhueb arbeitet seit zehn Jahren in der Beratungsstelle "Frauenraum" in Berlin und erzählt mir heute, wie sie Frauen helfen kann, die zu Hause Gewalt erleben. Herzlich willkommen, Ev von Schönhueb bei einbiszwei!

[00:01:50.380] - Ev von Schönhueb

Hallo!

[00:01:50.500] - Nadia Kailouli

Grüß dich Ev. Du arbeitest als Sozialarbeiterin im Frauenraum?

[00:01:55.690] - Ev von Schönhueb

Ja, richtig.

[00:01:56.320] - Nadia Kailouli

In Berlin Mitte. Da muss man sagen, Frauenraum heißt ja nicht gleich Frauenhaus.

[00:02:01.120] - Ev von Schönhueb

Das ist richtig.

[00:02:02.170] - Nadia Kailouli

Dabei kennt man eigentlich eher so das Frauenhaus. Was ist jetzt der Unterschied?

[00:02:05.560] - Ev von Schönhueb

Frauenraum ist eine Fachberatungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt und wir vermitteln auch in die Frauenhäuser natürlich, aber wir sind eine reine Beratungsstelle, das heißt die Frauen leben nicht bei uns.

[00:02:15.580] - Nadia Kailouli

Also man kann nicht nachts zu euch kommen, kriegt einen Platz, wo man bleiben kann?

[00:02:18.880] - Ev von Schönhueb

Nein.

[00:02:19.540] - Nadia Kailouli

Okay, dafür könnt ihr dann aber direkt ein Platz organisieren im Frauenhaus, oder wie ist das?

[00:02:24.430] - Ev von Schönhueb

Ja, wir können die Plätze vermitteln. In Berlin gibt es noch die Berliner Hotline, die BIG-Hotline und da können die Frauen acht bis 23 Uhr täglich anrufen und versuchen ins Frauenhaus zu kommen, falls denn Plätze frei sind.

[00:02:36.490] - Nadia Kailouli

Okay. Jetzt sprechen wir aber erst mal über den Frauenraum. Über diesen Frauenraum, bei dem du arbeitest. Wofür ist dieser Raum da?

[00:02:44.320] - Ev von Schönhueb

Wir sind quasi eine Anlaufstelle für Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, also vom Alter her ab 18 Jahre. Und die älteste Klientin, die ich hatte, war 73. Zu uns kommen Frauen aller möglichen Schichten. Einige Frauen sprechen auch vielleicht Englisch oder eine ganz andere Sprache und die kommen vornehmlich zu uns, um Beratung zu bekommen, weil sie in einer schwierigen Situation zu Hause leben.

[00:03:08.290] - Nadia Kailouli

Was sind denn schwierige Situationen? Was habt ihr so in den Jahren erfahren, warum Frauen den Weg zu euch finden?

[00:03:15.040] - Ev von Schönhueb

Häusliche Gewalt ist ja sehr vielfältig. Also ist natürlich die klassische häusliche Gewalt, die physische Gewalt, aber auch psychische Gewalt, sexuelle Gewalt, ökonomische Gewalt, soziale Gewalt. Die Frauen sind manchmal isoliert, haben überhaupt kein Netzwerk. Es ist total vielfältig, warum Frauen zu uns kommen. Es gibt natürlich auch Frauen, die mit den gepackten Koffern vor der Tür stehen und einfach ins Frauenhaus möchten.

[00:03:36.850] - Nadia Kailouli

Das heißt, wenn man so weit ist, dass man mit gepackten Koffern vor der Tür steht, hat sich die Situation zu Hause wahrscheinlich schon über einen gewissen Zeitraum zugespitzt und ist so eskaliert, dass Frauen sich dort nicht mehr sicher fühlen in ihrem Zuhause. Ist der Grund, warum man kommt, also wenn wir von häuslicher Gewalt sprechen, eben oft davon ausgehend, dass der Partner seiner Partnerin gegenüber gewalttätig wird?

[00:03:58.720] - Ev von Schönhueb

Genau, das ist der Hauptgrund. Genau.

[00:04:01.090] - Nadia Kailouli

Das heißt, die klingeln und sagen Mein Mann hat mich geschlagen, mein Freund hat mich gewürgt oder wie? Wie sind so die Szenarien, wenn man bei euch...

[00:04:08.830] - Ev von Schönhueb

Also die rufen an in der Regel und versuchen einen Termin zu vereinbaren. Es gibt auch Frauen, die sagen, ich möchte erst mal sprechen, um überhaupt rauszufinden, ist das Gewalt was ich da erlebe? Einfach um das einordnen zu können und dann vielleicht auch Unterstützung zu bekommen. Also wir haben halt. Genau, wir bieten nicht nur die psychosoziale Beratung an, sondern vermitteln die Frauenhäuser in die Zufluchtswohnungen, haben eine kostenfreie Rechtsberatung.

[00:04:34.150] - Nadia Kailouli

Wenn wir da mal kurz bleiben, die kommen zu euch, rufen an oder kommen dann vorbei, um einfach erst mal zu klären ist das, was ich erlebe, ist das häusliche Gewalt? Ist das ein Grund für mich zu sagen, ich halte es jetzt hier nicht mehr aus, ich brauche Hilfe? Wie macht ihr das dann fest? Welche Fragen stellt ihr und ab wann definiert ihr: "Ja, das ist häusliche Gewalt, was du erlebst".

[00:04:54.250] - Ev von Schönhueb

Wir stellen natürlich Fragen, wie sieht die Situation aus? Die Frau erzählt erst mal. Und oftmals ist es so, dass viele Frauen denken, es ist die klassische Ohrfeige, ist häusliche Gewalt. Aber oftmals geht häusliche Gewalt ja schon viel früher los: Beleidigungen, Erniedrigungen, Demütigungen vor anderen Menschen, vor den Kindern, anschreien, was auch immer. Und dann findet man quasi zusammen raus, okay, sie lebt schon lange in so einer Situation und klärt auch ab, also, dass sie die Möglichkeit hat, ins Frauenhaus erst mal zu gehen. Viele Frauen denken, sie können nur bei der Hotline anrufen, wenn wirklich schwere Körperverletzung passiert, aber dem ist nicht so. Wenn sie sich nicht sicher fühlt, dann kann sie anrufen.

[00:05:33.770] - Nadia Kailouli

Jetzt würde man denken okay, wenn man sich streitet zu Hause, dann ist das in vielen Fällen der normale Lauf der Dinge, dass man sich beleidigt, dass man angeschrien wird, dass man in Szenarien kommt, wo man sich denkt: "Oh, nie wieder" und, "Ich verlasse diesen Menschen, der war so scheiße zu mir". Das war aber dann, in Anführungsstrichen nur ein Streit. Ist das schon der Auslöser, warum man den Weg zu euch findet? Oder ist es zu seicht ausgedrückt: "Naja, nur ein Streit, dann ist es okay, aber nichtsdestotrotz geht das so nicht", oder wie ist da eure Haltung oder deine persönliche Haltung zu?

[00:06:10.190] - Ev von Schönhueb

Also es ist natürlich so, dass Frauen, also wenn die erste körperliche Gewalt passiert, dann zumeist auch zu uns kommen, weil sie merken: Oh, jetzt ist eine Grenze überschritten bei mir und das ist nicht mehr der normale Streit sozusagen. Aber wir stellen dann im Gespräch auch fest, das ist oft natürlich einseitig, also es gibt den Mann, der die Gewalt ausübt und immer die Frau, die dann gedemütigt oder beleidigt, also es ist immer quasi klar, wer ist Opfer und wer ist Täter. Und wir gucken halt dann schon, wie lange geht das? Hat das vielleicht ein System? Wiederholt sich das? Gibt es da ein Muster? Also das ist ja dieses Häufige, dass danach entschuldigt sich der Mann. Alles ist wieder gut. Die Familie läuft weiter im Alltag und dann kommt es wieder zu einer ähnlichen Situation. Die Frau merkt, es wird immer massiver die Gewalt. Vielleicht ändern sich die Gewaltformen und merkt einfach, dass was nicht stimmt oder was vielleicht auch passiert, was nicht gut ist für die gesamte Familie und kommt dann einfach zu uns, um zu gucken, okay, welche Möglichkeiten habe ich oder kann ich vielleicht auch mit meinem Partner zusammen Hilfe suchen? Gibt es Möglichkeiten, eine spezialisierte Paarberatung vielleicht in Anspruch zu nehmen oder kann ich meinen Partner zum Anti-Gewalt-Kurs schicken? Es gibt ganz verschiedene Möglichkeiten. Die Frauen kommen mit verschiedenen Anliegen zu uns und wir versuchen auch immer, den Weg mitzugehen, den die Frau gehen möchte. Die Frau entscheidet selbst, wohin der Weg geht.

[00:07:32.570] - Nadia Kailouli

Viele Männer würden wahrscheinlich sagen nach solchen Szenarien: "Na ja, sie hat mich provoziert. Ich war betrunken. Mein Gott, das kann doch mal passieren. Ich war verzweifelt. Das wurde mir alles zu viel. Ich bin auch nur ein Mensch" etc.. Wie ist eure Haltung zu solchen Rechtfertigungsansagen?

[00:07:50.330] - Ev von Schönhueb

Grundsätzlich ist es so, wenn der Mann körperliche Gewalt ausübt, ist das eine Straftat, die er begeht, auch wenn die nicht öffentlichen Rahmen passiert und die Frau hat natürlich Rechte das anzuzeigen. Und grundsätzlich muss der Mann Verantwortung dafür übernehmen und das kann er tun, indem er zum Beispiel so einen Kurs besucht oder in dem, wenn es zum Beispiel dann zu einer Trennung kommt, die relativ friedlich abläuft, auch für die Kinder, für die Frau. Diese verschiedenen Möglichkeiten gibt es und der Mann muss Verantwortung übernehmen für das Verhalten, was er dort an den Tag legt.

[00:08:18.590] - Nadia Kailouli

Jetzt haben wir gerade durch dich ja auch erfahren, dass häusliche Gewalt eben nicht erst damit anfängt, dass die Ohrfeige passiert oder darüber hinaus, sondern eben auch psychische Gewalt sein kann, Beleidigungen anschreien, Angst machen nur durch Worte und durch Geschrei. Wie ist denn da dann der richtige Weg? Also gerade für euch, die ja beraten, eine Frau dann dahingehend zu beraten, okay, ist das jetzt eine Ausnahmesituation? Wie viel, also gibt ihr Anleitung, so: "Das kriegen Sie schon wieder hin. Jetzt stellen Sie sich mal nicht so an"? Also wie man das so aus der guten alten Schule von früher kennt, wenn man mal mit Freunden oder mit der Mutter so gesprochen hat: "Mein Gott, jetzt stell dich nicht so an, das kriegt ihr schon wieder hin. Das war jetzt halt mal ein Streit".

[00:09:00.260] - Ev von Schönhueb

Das ist schwierig, weil bei psychischer Gewalt ist die Gesetzgebung nicht so eindeutig wie bei körperlicher Gewalt in Deutschland. Das muss man dazu sagen. Da hat die Frau nicht so viele Optionen. Und es ist natürlich auch die Entscheidung der Frauen: In welcher Beziehung möchte sie leben? Hat sie Kinder? Wie möchte sie das, in welchem Umfeld die Kinder groß werden? Mit viel Streit, viel Lautstärke, viel Beleidigungen, vielleicht auch das Thema Mann Frau und die Entscheidung trifft letztendlich nur die Frau: Ist meine Grenze schon erreicht? Möchte ich mich trennen? Dann gibt es halt bei psychischer Gewalt auch so eine Abwägung, wenn es um Morddrohungen oder so was geht: "Wenn du mich verlässt, dann...", einfach so eine Bedrohung, dass die Frau auch abwägt: Okay, wie sieht es denn aus mit dem Umgangsrecht, mit dem Sorgerecht für die Kinder, wenn ich mich trenne? Dafür kommen die auch sehr oft die Frauen zu uns in die Beratung, um einfach sich vorzubereiten auf verschiedenste Möglichkeiten, die dann passieren können, wenn sie sich denn trennen. Weil die Trennung ja oftmals der gefährlichste Moment ist.

[00:09:55.280] - Nadia Kailouli

Weil damit dann so was Endgültiges dem Partner gegenüber hingelegt wird une eine Konsequenz gezogen wird.

[00:10:00.740] - Ev von Schönhueb

Genau. Und weil vielleicht die Frau sich zum Ersten Mal entscheidet, sehr, sehr klar nein zu sagen und sie dann manchmal nicht weiß, wie wird ihr Partner reagieren?

[00:10:09.380] - Nadia Kailouli

Wie oft trefft ihr die gleichen Frauen immer wieder, die den Weg zu euch finden?

[00:10:12.920] - Ev von Schönhueb

Wir haben Frauen, die längerfristig in der Beratung sind. Also das ist sehr, sehr unterschiedlich. Also wie gesagt, es gibt halt verschiedene Wege für Frauen, sei es die Wohnungssuche oder eine Zuweisung der Wohnung durchs Familiengericht, durch die Polizei etc. und manchmal  - gerade die Wohnungssuche in Berlin - manchmal dauert es sehr, sehr lange und dann sind diese Frauen natürlich sehr lange bei uns in Beratung. Es kommt auch vor, dass eine Frau nur einmal kommt und dann sehe ich die nach einem halben Jahr wieder, erkenn die gar nicht, weil ich so viele Frauen in den Beratungen habe, sie aber sagt: "Okay, ich war schon mal vor einem halben Jahr hier und ich habe gedacht, wir kriegen das hin und jetzt ist es wieder eskaliert und ich merke einfach, es passiert immer wieder ähnlich oder es eskaliert noch mehr". Und das ist ein Prozess. Das wissen wir nie, ob wir die Frau nur einmal sehen oder länger.

[00:10:57.770] - Nadia Kailouli

Aber verzweifelt man manchmal, denkt man sich so: "Mensch, wann lernst du es? Wir haben dir doch gesagt, dass das wird nichts"?

[00:11:02.870] - Ev von Schönhueb

Das ist nicht so einfach. Es gibt ja diesen Zyklus und es hängt halt viel dran. Und man muss einfach auch sagen, die Männer entschuldigen sich danach oft, es ist oft alles wieder gefühlt gut und es hängt für die Frauen viel dran, weil sie oft Kinder haben und es nicht so einfach geht zu gehen. Ja, es geht um Abhängigkeiten, finanzielle Abhängigkeiten vielleicht und dann einfach auch die Sorge: Okay, ich bin dann getrennt und es gibt ein Umgangsrecht und es gibt ein geteiltes Sorgerecht und ich weiß, zu was mein Mann in der Lage ist, wenn jemand vielleicht nicht das macht, was er möchte und ich gebe dann meine Kinder da alleine hin. Das ist ein Riesenthema für die Frauen und auch oft ein Grund, sich nicht zu trennen oder dann erst zu einem späteren Zeitpunkt, weil sie einfach merken, das geht so nicht weiter. Sie sind in Gefahr, das Leben ist in Gefahr vielleicht auch.

[00:11:49.850] - Nadia Kailouli

Das ist jetzt natürlich die extremste Form von häuslicher Gewalt, wenn eine Frau merkt, mein Leben ist hier in Gefahr oder ich bin nicht in der Lage zu gehen, weil ich Angst habe, was bei meinen Kindern oder mir selber passiert. Das ist so sozusagen das Extremste aller Fälle, glaube ich, würde ich jetzt mal sagen, wenn das Leben wirklich in Gefahr ist. Aber nichtsdestotrotz ist es auch ein Fall, der euch ja begegnet: Frauen, die Angst haben, zu Hause zu sein, oder Frauen, die Angst haben, ihr Zuhause zu verlassen, weil sie dann die nächste Eskalationsstufe befürchten. Wie geht ihr da vor? Weil ihr könnt ja die Frauen nicht aufnehmen. Ihr habt keine Schlafplätze, die ihr anbietet sondern ihr könnt nur beraten. Eine Beratung, finde ich, kann manchmal auch sehr natürlich helfen und unterstützen auf jeden Fall, aber kann auch manchmal so ein bisschen, ja so eine Hilflosigkeit noch mal hervorrufen, weil man merkt, okay, ich habe zwar eine Beratung, aber am Ende muss ich es alleine schaffen. Ich muss alleine meine Sachen packen, ich muss mir ein Zuhause suchen, ich muss meine Kinder da rausholen. Ich muss am Ende den Schlüssel auf den Tisch legen. Wie, wie funktioniert das, dass man die Frauen nicht dann trotz Beratung im Stich lässt?

[00:12:56.100] - Ev von Schönhueb

Es geht darum, dass wir den Frauen signalisieren, sie sind nicht alleine. Also sie können zu uns kommen und wir zeigen einfach Wege auf. Es ist oftmals nicht für Frauen von außen ersichtlich, wie das Hilfesystem in Berlin zum Beispiel funktioniert, wie sie ins Frauenhaus kommen, was sie dafür vielleicht für Vorbereitungen treffen sollten. Also zum Beispiel bei einer guten Freundin eine Tasche packen mit Geburtsurkunde, Ausweispapieren etc. und dann einfach versuchen zu gehen. Dann ist auch wichtig, immer wieder die Situation an der Hotline klar zu machen. Wir sitzen einmal in der Woche selber in der BIG-Hotline mit. Klar zu machen, dass es nicht immer genügend Plätze gibt und dass sie dann einfach damit planen muss, sozusagen sie auf die Eventualitäten vorzubereiten. Natürlich ist es oftmals einfacher, die Polizei zu rufen. Die Frau hat dann die Möglichkeit, dass der Mann weggewiesen wird und 14 Tage, also ihm wird dann der Schlüssel weggenommen, sie kann 14 Tage drüber nachdenken, welche Schritte sie geht. Sie kann das verlängern beim Familiengericht. Es gibt alles Optionen, die das Gewaltschutzgesetz auch hergibt, damit die Frau auch in der Wohnung bleibt und damit der Täter weggewiesen wird und der Täter Verantwortung übernehmen muss für das, was er gemacht hat.

[00:13:58.650] - Nadia Kailouli

Aber dafür muss wahrscheinlich erst mal eine Tat vollstreckt worden sein, oder?

[00:14:02.630] - Ev von Schönhueb

Ja, man muss halt die Polizei rufen. Das ist das eine, was viele Frauen sich nicht trauen oder vielleicht auch wegen den Nachbarn nicht möchten. Und das andere ist natürlich, dass dann die Polizei befragt, und zwar beide. Und dann gibt es eine Schilderung, was passiert ist und die Polizei entscheidet dann, ob sie diese Wegweisung machen oder nicht. Und das schaffen nicht nicht alle Frauen.

[00:14:23.240] - Nadia Kailouli

Also ich krieg da sofort so ein Angstgefühl. Ich kriege sofort so ein Angstgefühl bei dieser Schilderung, weil ich mir denke, puh, jetzt stell dir mal vor, du hast zu Hause richtig Alarm. Und dann rufst du die Polizei, weil du merkst so, Alter, der dreht jetzt hier richtig durch, ich brauche Hilfe. Du holst die Polizei, die Polizei kommt und macht sich ein Bild von der Situation und die Polizei entscheidet dann: "Sorry, hier ist alles gut. Wir können irgendwie nicht für uns definieren, dass Ihr Mann eine Grenze überschritten hat. Kriegen Sie das hin, suchen Sie sich Hilfe". Die Polizei geht wieder und dann dreht der Typ ja erst richtig durch.

[00:14:54.440] - Ev von Schönhueb

Genau das kann passieren und dann immer wieder. Wir machen eigentlich in Berlin ganz gute Erfahrungen mit der Polizei. Die sind oft in diesen Situationen und sie schätzen das ein. Die kommen auch nicht allein. Oftmals sind es mehrere Kolleginnen und Kollegen, oftmals auch eine Frau mit dabei, die die Frau dann befragen kann. Das passiert getrennt von dem Mann in einem anderen Zimmer und größtenteils muss ich sagen, sind die Entscheidungen der Polizei gut, was das angeht und dafür ist es ja auch da.

[00:15:19.940] - Nadia Kailouli

Jetzt hattest du mehrmals eben angesprochen, dass ihr beim Anruf, wenn man euch anruft und sich beraten lassen möchte, natürlich auf das Frauenhaus verweist, aber auch gleichzeitig darauf verweist, dass es nicht genügend Betten eventuell gibt. Es gibt ja in Deutschland die sogenannte Istanbulkonvention und da hat Deutschland 2018 unterzeichnet. Unter anderem steht da drin, dass pro 10.000 Einwohner Deutschland einen sogenannten Family Place schaffen will oder es geben soll und das bedeutet ein Familienzimmer für die Zuflucht. Und eigentlich müssten wir 21.400 Betten haben. Es gibt aktuell 6.800. Und du hast es ja eben gesagt: Du musst darauf hinweisen, dass es wahrscheinlich keinen Platz gibt. Was ist deine Antwort darauf?

[00:16:06.090] - Ev von Schönhueb

Zuerst gucken, wie die Situation ist von der Frau. Gibt es die Möglichkeit vielleicht... Ich muss dazu sagen, diese Zahl, die du jetzt gerade genannt hast, bezieht sich auch viel auf den ländlichen Raum. Da ist einfach eine Unterversorgung da. Da muss man sagen, in Berlin sind wir gut aufgestellt. Wir sind leider noch nicht gut genug aufgestellt. Das muss man auch dazu sagen. Und dort ist, wenn alle Plätze belegt sind in den Frauenhäusern, gibt es die Möglichkeit, entweder, dass wir die Frau nach Brandenburg vermitteln, also angrenzend. Das ist nicht mit jeder Frau möglich. Also die Frau muss Deutsch sprechen, muss gut Deutsch sprechen und die muss auch erst mal bereit sein, Berlin zu verlassen. Das ist ja auch ein Punkt. Und allerdings was, was wir natürlich dann auch machen müssen, weil alles ist besser, außer in dieser Tatwohnung zu bleiben mit einem Täter, den man nicht einschätzen kann, wo die Frau davon ausgeht, dass es noch mehr eskaliert, dass wir dann schauen, okay, dass wir sie in eine Unterkunft für obdachlose Frauen unterbringen und dass sie dann am nächsten Tag wieder bei der Hotline anruft. Das ist halt so, die Plätze auf den Frauenhäusern verändern sich täglich, weil immer wieder Frauen ausziehen und da ist immer Bewegung drin in den Plätzen. Das sagen wir den Frauen auch:  "Ruft täglich an und fragt nach, ob es Plätze gibt", oder es gibt halt auch Frauen. Man muss halt sagen, das Frauenhaus ist wirklich die letzte Option für viele Frauen. Viele Frauen versuchen das wirklich das Zuhause der Kinder zu erhalten, sagen dann okay, dann gehe ich über Polizei oder Familiengericht oder dann gehe ich zur Familie, dann gehe ich zu Freunden. Das ist rechtlich nicht so ganz so einfach. Aber viele Frauen ziehen das einfach vor, weil die Frauenhäuser sind große Häuser mit vielen Frauen, vielen Kindern. Und es ist einfach ein anderes Umfeld, was auch für die Kinder auch was ganz Neues.

[00:17:42.600] - Nadia Kailouli

Na ja, da wird einem, ich würde jetzt mal sagen, das Elend bei all der Hilfe wahrscheinlich erst so richtig bewusst, oder?

[00:17:50.310] - Ev von Schönhueb

Genau! Und das verstehen viele nicht, die von außen gucken, die sagen, ja, da gibt es ja die Frauenhäuser. Aber der Schritt, erst mal ins Frauenhaus zu gehen, kostet für die Frauen sehr, sehr viel Überwindung, weil das heißt, sie verlassen das Zuhause und das ist auch das Zuhause für die Kinder ganz oft. Und die Entscheidung machen sie sich nicht leicht. Deswegen, also wir nehmen jeden Anruf, wo es darum geht: "Ich muss jetzt sofort ins Frauenhaus", wir nehmen den sehr ernst, weil die Frauen oftmals schon genau wissen, was das heißt.

[00:18:14.580] - Nadia Kailouli

Wie lange kann man im Frauenhaus bleiben?

[00:18:16.740] - Ev von Schönhueb

Es ist unterschiedlich. Also es ist ja auch so, dass der Berliner Wohnungsmarkt sehr angespannt ist und das es natürlich auch so ein Rückstau dann gibt, weil einfach die Frauen keine Wohnungen finden und deswegen die Plätze länger belegt sind. Das ist alles. Es hängt alles miteinander zusammen.

[00:18:30.120] - Nadia Kailouli

Ich kann mir vorstellen, dass viele, die sich mit dem Thema häusliche Gewalt noch nicht so intensiv auseinandergesetzt haben und uns jetzt so zuhören, so einen Gedanken bekommen von: "Mein Gott, dann soll sie den doch verlassen. Das kann doch nicht so schwer sein, wenn der wirklich so schlimm ist und so ausrastet und die Kinder in Gefahr sind oder wenn es auch nur eine Zweierbeziehung ist, sie in Gefahr ist, dann was soll das? Mach Schluss, pack deine Sachen, hau ab. Warum ist das so schwer?".

[00:18:55.380] - Ev von Schönhueb

Wie gesagt, bei Kindern ist es noch mal so eine andere Denkweise von den Frauen, dass sie einfach dann abwägen müssen okay, gerade bin ich noch dabei. Ich bin immer dabei, wenn er mit den Kindern zusammen ist. Ich habe da irgendwie die Möglichkeit Hilfe zu holen, wenn was passiert oder so und auf der anderen Seite natürlich denken, oh, vielleicht kann ich die Sprache nicht. Vielleicht bin ich isoliert. Ich weiß überhaupt nicht, wie die Rechtslage ist in Deutschland, wie das System ist, sich da einfach dem nicht gewachsen fühlen. Vielleicht hängt da Aufenthaltstitel dran an dem Mann. Das sind alles so Sachen, die die Frauen abwägen müssen und deswegen das manchmal auch länger dauert und auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass sie diesen Mann liebt oder mal geliebt hat und das ist trotzdem dieselbe Person. Es ist oftmals paradox, aber es ist so, es ist Liebe da, auch ganz oft immer noch, egal was passiert ist, Es ist schwer nachzuvollziehen und deswegen fällt es den Frauen immer wieder schwer bzw. durch diese Entschuldigung danach kommen sie dann wieder: Okay, ist ja alles wieder okay. Es war vielleicht auch ein bisschen mein Fehler, dass das so passiert ist. Schreiben Sie Verantwortung zu, die Sie eigentlich gar nicht nehmen müssten. Aber ich glaube, das sind viele, ganz viele Komponenten, die das schwer machen.

[00:20:07.620] - Nadia Kailouli

Du hattest ja auch anfangs gesagt, dass die unterschiedlichsten Frauen kommen, also aus den unterschiedlichsten Schichten: Arm, reich, in Deutschland geboren, nicht in Deutschland geboren, ganz egal. Hast du für dich so ein Muster entdeckt über all die Jahre, wann eine Beziehung scheitert oder an welchen Nuancen man schon erkennen kann, dass man es da mit einem gewaltbereiten Menschen zu tun hat?

[00:20:33.810] - Ev von Schönhueb

Nein, also wir lernen ja auch die Männer nicht kennen, wir sprechen nur mit den Frauen. Wir sind eine reine Frauenberatungsstelle, aber es gibt kein Muster. Es ist jedes Mal individuell und jedes Mal... Wie gesagt, ich habe eigentlich einen sehr abwechslungsreichen Job. Jeden Tag sind die Situationen anders, mit denen die Frauen kommen. Es ist auch nie, nie so, dass ich alles schon weiß. Ich bin seit zehn Jahren dabei und es ist trotzdem immer wieder irgendwas.

[00:20:56.820] - Nadia Kailouli

Aber wiederholt sich das nicht? Ich habe mir gerade nämlich gedacht Mensch, ist es für Ev nicht so, dass sie dann da sitzt und sagt: "Ja, ich weiß, und dann bist du in die Küche und dann hast du gesagt: 'Koch dir doch dein Essen selbst' und dann ist er ausgerastet". Also ich dachte gerade, ob du nicht andauernd eine never ending story hast, die sich immer wieder wiederholt?

[00:21:15.480] - Ev von Schönhueb

Natürlich ist das eine Gefahr, dass man so abstumpft, wie du das sagst. Aber wie gesagt, auf der anderen Seite es gibt immer wieder neue Situationen, neue Persönlichkeiten auch, die zu uns kommen, die man vielleicht irgendwoher kennt und wo man sagt, oh, das hätte ich ja jetzt gar nicht gedacht, aber es spiegelt sich in allen Bereichen der Gesellschaft wider.

[00:21:34.810] - Nadia Kailouli

Gibt es eine Frau und damit eine Geschichte, die dir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist, die dich lange beschäftigt hat?

[00:21:42.090] - Ev von Schönhueb

Ja, gibt es.

[00:21:43.290] - Nadia Kailouli

Kannst du davon erzählen? Ohne natürlich von der Frau zu erzählen.

[00:21:46.090] - Ev von Schönhueb

Ja, na klar. Also, es ist eine ältere Frau über die 50 und die ist aus dem Kriegsgebiet, aus einem Ehemaligen geflohen und sie ist hierhergekommen zu ihrem Mann. Also ist über diesen Familiennachzug nach Deutschland gekommen, sozusagen. Die haben auch erst sehr spät geheiratet und sie konnte kein Deutsch, war hier nicht integriert und hatte aber aus, also in ihrer Heimat hatte sie studiert, hat ein Studienabschluss, war dort sehr unabhängig, ist dann quasi mit diesem Mann zusammengekommen, nach Deutschland gekommen und total isoliert worden. Es gab massive Gewalt, also körperliche Gewalt und sie hat lange sich nicht getraut, nach außen zu gehen, weil sie sich wahnsinnig geschämt hat, was ihr da passiert. Und sie hatte auch Angst, dass sie vielleicht den Aufenthalt in Deutschland verliert und ist dann irgendwann zu Frauenraum gekommen und es war ein langer Prozess und sie hat dann über die Wohnungszuweisung. Sie hat dann sogar sich getraut, eine Anzeige zu erstellen gegen ihn bei der Polizei und es gab sogar ein Gerichtsverfahren. Im Endeffekt musste er Schmerzensgeld zahlen, sie konnte richtig Verletzungen nachweisen, leidet auch heute noch unter diesen Verletzungen zum Teil, weil das so massiv war. Und diese Frau hat viele Sachen geschafft, die sie selbst sich nicht so zugetraut hätte am Anfang. Sie hat ihre ganzen Abschlüsse anerkennen lassen und ist jetzt dran, Deutsch zu lernen, gut Deutsch zu lernen und ich sehe da nichts mehr im Wege, dass sie hier in Deutschland einen guten Job findet und auf beiden Beinen steht. Und sie steht auf diesen beiden Beinen alleine. Also sie hat das wirklich geschafft.

[00:23:17.880] - Nadia Kailouli

Das ist so, weil du das jetzt gerade gesagt hast: Sie steht auf ihren beiden Beinen alleine und man wird immer so ein bisschen erzogen, so eine Partnerschaft ist dafür da, sich gegenseitig zu stützen, sich zu unterstützen und du erzählst halt oder erlebst vor allem Geschichten von Frauen, die aufgrund ihres Partners eben nicht auf beiden Beinen stehen können. Würdest du dir wünschen, manchmal auch mit den Männern ins Gespräch zu kommen, um besser zu verstehen, was da passiert?

[00:23:42.960] - Ev von Schönhueb

Also wir arbeiten bei Frauenraum parteilich, das heißt wir stehen hinter den Frauen und ich glaube, das würde es mir extrem schwer machen, also diese Möglichkeit, überhaupt mit den Männern zu sprechen.

[00:23:51.150] - Nadia Kailouli

Entwickelt man so ein Männerhass?

[00:23:53.020] - Ev von Schönhueb

Nee.

[00:23:53.640] - Nadia Kailouli

Nee?

[00:23:54.120] - Ev von Schönhueb

Das ist so ein Teil der Bevölkerung. Es sind nicht alle Männer und der Mann hat vielleicht auch Themen, auch vielleicht in der Biografie so, aber da muss er sich Hilfe suchen. Das kann er nicht zu Hause ausleben, wenn es um Gewalt geht, Aggressionsprobleme etc. Da muss er dann einfach Hilfe sich suchen.

[00:24:10.680] - Nadia Kailouli

Wie groß ist denn die Erfolgsquote? Ich weiß nicht, ob du das überhaupt weißt, aber ich stelle sie trotzdem die Frage, die Erfolgsquote, dass innerhalb von einer Partnerschaft, wo eben häusliche Gewalt stattfindet, es die Möglichkeit gibt, das aufzudrosseln und eben zu gucken, wir kriegen das wieder hin und in Zukunft gehst du eher boxen, anstatt dass du hier die Teller durch die Gegend peitscht und mir dann im schlimmsten Fall auch noch eine mitgibst?

[00:24:32.730] - Ev von Schönhueb

Also ich glaube, es ist sehr, sehr gering. Also ich arbeite halt auch noch beim Frauenraum in einem Kooperationsprojekt mit dem Berliner Zentrum für Gewaltprävention. Und die bieten die Kurse für die gewalttätigen Männer an und ich berate parallel die Frauen. Und da gab es ein Paar mal, wo ich gedacht habe, die schaffen das. Die sind zusammen zur Paartherapie, Sie ist zu mir gekommen, er hat den Kurs besucht, dann im Anschluss noch eine Therapie sogar gemacht, was auch nicht viele Männer machen. Und sie hat auch selber gedacht, dass sie das schaffen und ich habe sie dann zwei Jahre nicht gesehen. Ich war in Elternzeit und bin dann wieder gekommen. Und dann saß sie wieder da. Das ist einfach. Es kann einfach passieren. Die sind auch beide sehr gebildet, sehr reflektiert über das eigene Verhalten, auch er. Ja, aber das ist einfach, wenn, das sage ich immer, wenn diese Grenze, diese massive Grenze der körperlichen Gewalt einmal überschritten ist, das ist ganz schwierig, glaube ich, diese Mauer wieder in einer Beziehung zwischen einander hochzubauen. Und wenn es dann einfach Situationen gibt, wo der Mann vielleicht auch aus den traumatischen Vorerfahrungen, wo es Klick macht und dann der Schalter ist umgelegt und dann vielleicht gar nicht mehr weiß, was er tut, aber trotzdem gewalttätig wird. Das finde ich extrem schwierig, das miteinander hinzubekommen. Wo dass es schon mal so passiert ist. Also ich glaube, in meiner Beratung, also gut, es ist immer schwierig, manchmal sieht man die Frauen ja nur einmal. Aber bei diesem Beispiel habe ich wirklich gedacht, die schaffen das und die haben es leider nicht geschafft.

[00:25:54.590] - Nadia Kailouli

Also kannst du jetzt hier nicht wirklich von Erfolgsstorys sprechen?

[00:25:57.710] - Ev von Schönhueb

Ich kann von Erfolgsstorys sprechen, dass die Frauen selbstbestimmt und selbstbewusst vielleicht nach vorne gucken und sich gut trennen können mit einem guten Ergebnis auch für die Kinder. Ja, das, das gibt es, aber miteinander? Nein.

[00:26:11.090] - Nadia Kailouli

Das ist halt auch das: Für die Kinder. Das ist ja auch so wichtig, weil wie du eben sagtest: Die traumatische Vorerfahrung, die vielleicht bei dem Mann dann da war, warum er eben zu dem geworden ist, wie er ist, ist ja bei den Kindern dann nichts anderes, wenn sie erleben, wie zu Hause eben der Papa die Mama haut und anschreit und so und man so groß wird, dass das dann eben auch dazu führen kann, dass die Kinder dann die Leidtragenden sind im Erwachsenenalter.

[00:26:38.210] - Ev von Schönhueb

Genau, das versuchen wir auch immer den Frauen wirklich nahezulegen, wenn diese Entscheidungsprozesse so lange dauern, dass die Kinder dann das miterleben und dass sie auch einen Sohn hat oder auch eine Tochter. Und das ist auch oft der Punkt. Die Kinder sind eine hohe Motivation für die Mütter, sich zu trennen, weil sie einfach nicht wollen, dass die Kinder in diesem, na ja, in diesem Umfeld groß werden und diese Situation einfach auch miterleben.

[00:27:01.940] - Nadia Kailouli

Seid ihr auch so eine Art - wie soll ich das sagen - Zeugenstand? So, weil wenn dann was Schlimmeres passiert, das ihr dokumentiert, die war jetzt hier schon dreimal, sie hat schon mal darüber gesprochen, dass ihr Mann gewalttätig geworden ist und dann ist eben irgendwann der Schritt dahin gegangen, dass man eine Anzeige macht oder dass man einen Rechtsstreit hat, dass ihr dann auch dazu dient, dass ihr sagt: "Wir haben das hier dokumentiert, das ist wirklich so uns geschildert worden"?

[00:27:30.900] - Ev von Schönhueb

Also das ist selten, aber das passiert ja, dass nach einem Beratungsverlauf gefragt wird. Aber es ist halt in der Regel der Gesetzgeber guckt halt, ich kenne ja den Mann nicht, ich kenne ja nur die, nur das, was sie mir erzählt. Und das ist. Aber oftmals werden wir da natürlich angefragt von den AnwältInnen, wenn es um Gerichtsverfahren geht, ums Sorgerecht, ganz oft. Dass dieser Vorwurf häusliche Gewalt im Raum steht, es aber keine Anzeigen gibt. Dann wird natürlich angefragt und dann schreibe ich natürlich eine Bestätigung. Es kommt drauf an. Manche Frauen wollen nur, dass ich schreibe, dass sie bei uns war, weil das alleine ist ja schon oftmals, sie kommen, die Frauen kommen ja zu uns, da sind die noch in den Beziehungen. Und alleine, dass sie zu einer Fachberatungsstelle gegangen ist, ist ja quasi schon mal ein Fakt. Aber es gibt auch Frauen, die wollen, dass das detaillierter beschrieben wird und dann, wenn das hilfreich ist für sie.

[00:28:18.060] - Nadia Kailouli

Jetzt hatte ich ja eben schon mal gesagt, es gibt auch viele, die einfach denken mein Gott, zieh da einfach aus, bist auch selber schuld, wenn du dir das so gefallen lässt. So einfach ist es nun nicht, wie wir durch dich jetzt auch erfahren haben. Nichtsdestotrotz, warum findest du bei aller Privatsache, die eine Beziehung mit sich bringt, Warum ist es so wichtig, dass es eben so Räume gibt wie den Frauenraum?

[00:28:38.670] - Ev von Schönhueb

Also erst mal den Frauen klar zu machen, dass sie nicht alleine sind. Das ist ein Problem, was es häufiger gibt in den deutschen Privathaushalten, wenn ich es mal so sagen darf. Und das andere ist natürlich, die Kinder, die es mit betrifft, ja, die vielleicht nicht direkt in dieser Situation sind, wo auch die Frauen oft sagen, na ja, das Kind hat geschlafen oder es hat nichts mitbekommen, es war im anderen Zimmer. Aber oftmals kriegen die Kinder das ja mit, wie die Stimmung zu Hause ist. Sie kriegen mit, wie die Situation zwischen Mama und Papa ist und das versuchen wir schon deutlich zu machen. Also wenn die Frau Kinder hat, dann geht es nicht nur um die Frau, sondern es geht dann auch und vor allem auch um die Kinder. Also wie es den Kindern zu Hause geht, wie die groß werden und dass das schon eine Kindeswohlgefährdung darstellt und dass man da eigentlich für die Kinder entscheiden muss. Vielleicht nicht nur für sich selbst und natürlich auch für sich selbst, aber dann auch für die Kinder.

[00:29:31.500] - Nadia Kailouli

Deswegen finde ich es super, dass du heute bei uns warst bei einbiszwei, weil wir ja hier auch hauptsächlich über Missbrauch an Kindern und Jugendlichen sprechen und mitzubekommen, was zu Hause passiert ist eben auch eine Form von Missbrauch gegenüber den Kindern und eben der Mutter. Und umso wichtiger ist es eben, dass man Frauen hilft, da rauszukommen oder eben auch, dass die Kinder dann da mit der Mama rauskommen.

[00:29:57.090] - Ev von Schönhueb

Genau.

[00:29:59.430] - Nadia Kailouli

Ev, vielen Dank, dass du heute bei einbiszwei warst.

[00:30:01.120] - Ev von Schönhueb

Sehr gerne.

[00:30:05.350] - Nadia Kailouli

Ach Leute, was soll ich sagen? Mich macht so was immer total betroffen, weil ich eben immer versuche, mich hineinzufühlen in diese Beziehung, die da gelebt wird. Ja, da liebt sich jemand oder da lieben sich Menschen, die leben dann zusammen und dann, warum auch immer, tickt der Typ aus. Sei es, dass er dann rumschreit, seine Partnerin niedermacht oder dann eben gewalttätig wird und im schlimmsten Fall eben, ist es ja dann, wenn Kinder mit in dieser Beziehung leben. Gut also, dass es solche Beratungsstellen gibt, dass es Frauen gibt wie von Ev von Schönhueb und ihre Kolleginnen und Kollegen, die sich dann halt um diese Frauen kümmern und denen Auswege versuchen zu zeigen. Und ich musste bei diesem Gespräch die ganze Zeit an Helma Sick denken. Helma Sick hatten wir hier auch schon mal zu Gast bei einbiszwei. Und Helma Sick macht eigentlich ja Finanzberatung und sie ist zu dieser Finanzberatung gekommen, weil sie früher eben selbst Missbrauch erlebt hat und weiß, dass viele Frauen den Ausweg aus einer gewaltvollen Beziehung dann besser schaffen, wenn sie auf eigenen Beinen stehen, wenn sie finanziell unabhängig sind. Und da muss sie heute auch die ganze Zeit dran denken. Also hörte ich auch gerne die Folge hier bei einbiszwei mit Helma Sick an.

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine Email könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de

Mehr Infos zur Folge

Häusliche Gewalt – das ist die offizielle Bezeichnung für Gewalt, die zu Hause und in einer Gemeinschaft vorkommt. Vor allem Frauen sind davon betroffen. Sie werden von ihren Partnern geschlagen, angebrüllt und gedemütigt - zigtausendfach, jedes Jahr in Deutschland. Allein im letzten Jahr wurden rund 150.000 Gewalttäter angezeigt. Und das Dunkelfeld ist noch viel höher. Denn der Gang zur Polizei ist gar nicht so einfach für viele Frauen, weil sie Angst, Schamgefühle oder Schuldgefühle haben. Und das macht es ihnen natürlich schwer, über das Erlebte zu reden.

Wer sich durchringt, über häusliche Gewalt zu sprechen, findet nicht immer gleich Hilfe – es fehlen bspw. fast 14.000 Frauenhausplätze, vor allem auf dem Land. Dabei zeigen Statistiken seit Jahren, wie wichtig Frauenhäuser sind: Fast jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Mehr als einmal in der Stunde wird eine Frau durch ihren Partner gefährlich körperlich verletzt.

Ev von Schönhueb arbeitet bei der Beratungsstelle  „Frauenhaus” – einer Fachberatungs- und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt.  Bei einbiszwei erzählt sie, wie sie Frauen hilft, die Schutz vor häuslicher Gewalt suchen.

WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:

Linksammlung und Quellen:

Die Website von „Frauenraum“:
frauenraum.de

Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe:
Frauen gegen Gewalt e. V.

Der Verein Frauenhauskoordinierung (FHK):
Frauenhauskoordinierung e. V.

Artikel zum Thema:

Ein Artikel zu Plätzen in Frauenhäusern und warum es schwierig ist, welche zu bekommen:
Watson | Gewalt gegen Frauen: Deswegen ist es schwierig, einen Platz im Frauenhaus zu bekommen

Dieser Artikel beschreibt die Arbeit der Beratungsstelle „Frauenraum”:
rbb | "Ich habe Grenzen überschritten, die nicht zu überschreiten sind"

Wenn du Hilfe oder Beratung suchst, kannst du dich an diese Stellen wenden:

Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen”

Hilfetelefon Sexueller Missbrauch (kostenfrei und anonym)

Hilfeportal sexuelle Gewalt

Nummer gegen Kummer
Die Nummer gegen Kummer gibt es für Kinder und Jugendliche unter der Nummer 116111 sowie für Eltern unter der Nummer 0800 111 0550

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

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