PODCAST | Folge 55 | Agota Lavoyer

„Die Angst vor dem Thema ist in den Köpfen von Erwachsenen. Wenn man versucht, mit Kindern zu reden, merkt man, dass das für sie gar nicht verunsichernd ist.”




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Das Interview der Folge 55 als Transkript lesen

[00:00:00.000] - Agota Lavoyer

Ich finde tatsächlich, dass man damit Kinder völlig im Stich lässt. Wenn man sie nicht aufklärt darüber, was denn genau sexualisierte Gewalt ist, haben sie nicht einen Hauch einer Chance, das überhaupt zu erkennen.

[00:00:15.360] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst. Kinder aufzuklären ist wichtig. Aber noch wichtiger ist es, dass Erwachsene Bescheid wissen, wie sie mit Kindern auch über schwierige Themen wie sexuelle Gewalt reden können. Denn egal wie aufgeklärt Kinder sind gegenüber Tätern und Täterinnen, die sie manipulieren, sind sie nahezu machtlos. Kinder und Eltern dürfen mit dem Thema nicht alleine bleiben, hat sich Agota Lavoyer gesagt. Und das tolle Buch "Ist das okay?" geschrieben. Wie es Eltern, Freundinnen und Fachleuten gelingen kann, Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen, ohne sie einzuschränken und Angst zu verbreiten, das erklärt Agota Lavoyer in ihrem Buch. Und jetzt ist sie bei uns bei einbiszwei. Ich sage: "Herzlich willkommen bei einbiszwei Agota Lavoyer, herzlich willkommen!"

[00:01:16.800] - Agota Lavoyer

Danke. Hallo.

[00:01:17.770] - Nadia Kailouli

Schön, dass du da bist. Du bist angereist aus der Schweiz.

[00:01:19.980] - Agota Lavoyer

Genau. Und freue mich sehr, hier zu sein.

[00:01:21.790] - Nadia Kailouli

Ich freue mich erst, dass du da bist, weil du ein Buch geschrieben hast, wo ich nach all den Podcastfolgen hier bei einbiszwei eigentlich dachte: "Wir müssten eigentlich auch mal darüber reden." Und zwar hast du ein Buch geschrieben, das heißt "Ist das okay?". Und da gibst du nämlich Eltern eine Anleitung darüber, wie sie mit ihren Kindern eigentlich über das Thema sexualisierte Gewalt sprechen können.

[00:01:40.630] - Agota Lavoyer

Genau.

[00:01:41.110] - Nadia Kailouli

Wie bist du darauf gekommen, darüber ein Buch zu schreiben?

[00:01:43.870] - Agota Lavoyer

Mit der Thematik sexualisierter Gewalt an Kindern beschäftige ich mich schon einige Jahre. Einerseits bei der Opferhilfe, in der Intervention, also ich habe sehr viele betroffene Kinder, deren Eltern oder dann auch in der Kindheit betroffene Erwachsene, beraten. Und gleichzeitig beschäftige ich mich schon seit Jahren mit der Prävention und habe unzählige Elternveranstaltungen gehalten in den letzten Jahren eben zu der Thematik: Wie können Eltern zum Schutz beitragen oder ihre Kinder schützen vor sexualisierter Gewalt? Und bei diesen Elternabenden wurde ich dann immer gefragt: "Ja gut, aber Frau Lavoyer, haben Sie uns eine Buchempfehlung? Immer so dieses: "Können Sie uns irgendeinen Tipp geben? Welches Buch hilft uns?" Weil ich habe wirklich gemerkt, die Überforderung mit dem Thema ist riesig. Und ich habe den Eltern dann immer gesagt: "Klärt eure Kinder auf über sexualisierte Gewalt." Und am Schluss waren sie dann doch etwas ratlos. "Wie machen wir das? Haben sie uns einen Einstiegssatz? Und was machen wir nach dem Einstiegssatz?" Und ich habe wirklich gemerkt, ich glaube, es braucht wirklich so eine Anleitung. Oder ich musste die Eltern an der Hand nehmen und konnte kein Buch empfehlen, wo ich das Gefühl hatte, das behandelt genau dieses Thema: Wie spreche ich mit meinem Kind über sexualisierte Gewalt? Und habe dann tatsächlich entschieden, eins zu schreiben.

[00:02:55.200] - Nadia Kailouli

Und ich glaube, dass ganz viele Eltern, eben nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Österreich und in Deutschland, ganz happy darüber sind. Weil ich habe auch gemerkt, wenn ich mit Eltern darüber spreche über das Thema sexualisierte Gewalt und denen Sachen erzähle von eben dem Podcast hier, dass viele sich so darauf verschließen und sagen: "Ja, ich weiß aber nicht." Und ja, ich will mein Kind nicht verunsichern und ich will gar nicht, dass mein Kind dann irgendwie denkt:" Oh, ich muss Angst haben vor dem Turnverein, weil da könnte ja ein Trainer sein, der einen anfasst oder so." Deswegen glaube ich, hilft das total. Aber nichtsdestotrotz ist ja die Scheu immer noch da, sich damit auseinanderzusetzen. Kannst du ganz konkret einfach mal benennen, wie man als Eltern mit seinen Kindern sprechen muss, um sie zu sensibilisieren? Gibt es da einfach so einen Rundumschlag, eine Zusammenfassung oder?

[00:03:41.130] - Agota Lavoyer

Ich möchte vielleicht vorab schicken. Es ist gar nicht so schwer, wie man denkt. Und das ist eigentlich die Hauptbotschaft meines Buches. Ich möchte aufzeigen, liebe Eltern oder auch pädagogische Fachkräfte, es ist gar nicht so schwer und ich möchte es gar nicht so Angst haben vor der Thematik. Ich glaube, die Angst ist riesig bei den Eltern und deshalb versuchen sie es gar nicht oder versuchen es gar nicht. Und ich finde wirklich, diese Gespräche gelingen am besten, wenn man sie völlig unaufgeregt in den Alltag eingebettet umsetzt oder eben diese Gespräche führt und nicht einmal im Jahr so ein ernstes Gespräch am Küchentisch:  "Jetzt lieber Sohn oder liebe Tochter, jetzt reden wir." Sondern einfach immer mal wieder. Vielleicht ein Satz, vielleicht mal fünf Minuten, vielleicht mal zehn Minuten, mal eine Minute. Und schlussendlich denke ich, war es ja sehr lange jetzt auch in der Prävention so, dass man gesagt hat, man muss Kinder schützen. Das ist vielleicht traumatisierend, wenn man ihnen zu viel sagt über sexualisierte Gewalt. Und ich finde tatsächlich, dass man damit Kinder völlig im Stich lässt. Also wenn man sie nicht aufklärt darüber, was denn genau sexualisierte Gewalt ist, haben sie nicht einen Hauch einer Chance, das überhaupt zu erkennen. Und erkennen heißt natürlich nicht, dass sie sich selber schützen können, heißt auch nicht, dass sie es selber schaffen, aus der Situation rauszukommen. Aber immerhin heißt erkennen: "Okay, ich sollze das jemandem erzählen oder ich soll das offenlegen. Ich soll das meinen Eltern oder einer Lehrerin erzählen." Und deshalb finde ich, ist das enorm wichtig.

[00:05:07.360] - Nadia Kailouli

Ich glaube, vielen ist das im Erwachsenenalter erst bewusst geworden, dass man als Kind vielleicht oder als Jugendlicher Sachen erlebt hat, wo man heute als Erwachsener sagen würde: "Das war nicht korrekt, das war eigentlich nicht okay." Aber das weiß man heute erst, weil man erwachsen ist und darüber gesprochen hat. Kann man denn aufgrund von Aufklärung das überhaupt als Jugendlicher oder als Kind realisieren, wenn Sachen nicht okay sind?

[00:05:30.590] - Agota Lavoyer

Ich glaube schon. Und da finde ich gerade, wenn es um sexualisierte Grenzverletzungen oder Übergriffe geht, hat man so einen ganz widersprüchlichen Umgang. Einerseits überschätzt man Kinder. Man hat so das Gefühl, ja, ich muss einfach meinem Kind lehren oder beibringen, dein Körper gehört dir. Und wenn dir jemand zu nahe kommt, wenn dir ein Kuss der Großmutter nicht passt, dann geh zur Großmama und sag ihr, dass du den Kuss nicht willst, was ja eigentlich eine totale Überforderung ist für fast jedes Kind, würde ich behaupten. Und andererseits unterschätzen wir Kinder und haben das Gefühl, wir müssen sie schonen. Wir dürfen ihnen gar nicht zu viel sagen über was genau sexualisierte Gewalt ist, weil das verängstigt sie. Und ich finde, das geht wie nicht auf oder macht keinen Sinn. Und was war deine Frage? Jetzt habe Ich zu lange geredet.

[00:06:15.060] - Nadia Kailouli

Ob man das überhaupt erkennen kann als Kind?

[00:06:17.380] - Agota Lavoyer

Also ich denke definitiv. Also ich meine, wenn ich gelernt habe, zum Beispiel eine erwachsene Person darf sich nicht an der Vulva oder am Penis reiben vor mir und mich da involvieren, dann erkenne ich das, wenn das passiert. "Oh, das ist das, was ich gelernt habe. Das ist nicht okay."

[00:06:34.990] - Nadia Kailouli

Und wahrscheinlich ist genau das, wovor dann die Eltern Angst haben. Weil oh mein Gott, ich muss dann also meinem Kind, meiner elfjährigen Tochter meinetwegen oder meinem 13 jährigen Sohn sagen: "Wenn sich jemand den Penis vor dir reibt, ist es nicht okay." Und ich glaube, da fängt es schon an, dass viele sagen: "Oh nein, das spreche ich hier gar nicht an. Damit trigger ich mein Kind ja überhaupt erst, dass es das gibt, dass jemand sich am Penis reiben könnte."

[00:06:56.430] - Agota Lavoyer

Genau. Was dann dazu führt, dass das Kind vielleicht oder dann als Jugendlicher das vielleicht doch mal erfährt oder erlebt, dass jemand sich zum Beispiel selber befriedigt vor ihm und das eben nicht als übergriffig erkennt, vielleicht als komisch erkennt, als unangenehm und es vielleicht eben sehr viele Jahre dauert, bis man dann versteht, wie du vorhin gesagt hast, vielleicht dann erst als erwachsene Person, dass das überhaupt nicht okay war. Und ich glaube, du sprichst was ganz, ganz Wichtiges an. Schlussendlich, glaube ich, ist die große Schwierigkeit in dieser Prävention die Sprachlosigkeit von uns Erwachsenen. Ich behaupte, und ich inklusive, ich bin 42 Jahre alt, ich habe keine Kultur des Redens beigebracht bekommen bei mir zu Hause. Ich habe nicht mal meinen Intimbereich je benannt. Das war so da unten rum. Vielleicht bei meinem Bruder, da hatte man vielleicht noch so verniedlichende Begriffe für ihren Intimbereich. Der von meiner Schwester und mir hatte gar keinen Namen. Dort fängt es ja an. Meine Eltern hätten nie das Wort Vulva oder Penis in den Mund genommen oder andere Wörter. Und ich glaube, das müssen wir überwinden. Also jetzt die Generation, die wir jetzt sind, Eltern mit Kindern oder Erwachsene, die mit Kindern arbeiten. Wir müssen eine Sprache finden und das ist schwierig. Und das sage ich oft auch oder schreibe ich auch im Buch. Ich weiß, dass das schwierig ist. Es braucht Überwindung. Aber für die Kinder wird es normal. Also, vielleicht nur so ein kleines Beispiel, ich fand das so schön. Letztens habe ich eine Lesung gehalten zu meinem Buch und da hat eine Frau im Publikum gesagt, sie sei Mutter einer fünfjährigen Tochter. Und ihre Tochter hat ihr vor kurzem gesagt: "Wenn sie mal eine Tochter haben werde, dann werde sie die Tochter Vulva nennen, weil sie einfach Vulva so ein schönes Wort findet." Und ich fand das so ein wunderbares Beispiel dafür, dass für Kinder, denn in der heutigen Generation, wenn die mit diesen Begriffen aufwachsen, dann sind die einfach normal. Nicht so wie für uns, wo es eben schon schwierig ist, das in den Mund zu nehmen. Aber natürlich ist es nicht gemacht, allein mit den Wörtern, aber dort fängt es an. Also wenn wir wirklich möchten, dass ein Kind oder eine jugendliche Person vielleicht auch mal über einen Übergriff, der den Intimbereich betrifft, reden kann, braucht man ja Wörter, sonst. Sonst geht es nicht.

[00:09:02.660] - Nadia Kailouli

Also das uns wirklich so eine gewisse Wortlosigkeit begleiten. Wie benenne ich jetzt Sachen, die obvious sind, weil die Angst so groß ist, zu sagen, damit benenne ich ja den untenrum Bereich ganz konkret und den untenrum Bereich will man ja eigentlich gar nicht erst thematisieren mit seinen Kindern in irgendeiner Art und Weise. Warum glaubst du aber ist das so? Warum haben wir so eine Angst davor?

[00:09:24.770] - Agota Lavoyer

Also ich glaube schon, einerseits kennen wir es nicht. Es ist einfach unheimlich schwierig, über was zu reden, über das mit uns wahrscheinlich nie gesprochen wurde. Weder in der Schule noch zu Hause. Ich glaube in den allermeisten Fällen, einerseits. Also wenn wir Wissen haben, dann haben wir uns das angeeignet, jetzt so als erwachsene Person, vielleicht durch Bücher, durch Veranstaltungen. Das ist das eine und das andere, ich glaube halt schon, weil das Thema immer noch ein Tabu ist. "Es kann nicht sein, was nicht sein darf", finde ich, ist ein Zitat von Christian Morgenstein, das sehr gut zu sexualisierter Gewalt an Kindern passt. Ich glaube, es ist für viele Menschen so unvorstellbar, dass es das gibt, dass man sich wie gar nicht damit beschäftigen möchte. Und ich sage dort immer, ich verstehe es, wenn jemand sagt, das ist unvorstellbar, dass eine erwachsene Person ein Kind sexuell ausbeutet. Aber wir müssen das Thema in den Bereich des Vorstellbaren rücken. Weil solange wir etwas unvorstellbar finden, haben wir auch das Gefühl, wir können nichts dagegen tun. Man ist ja völlig hilflos oder ohnmächtig gegenüber etwas, das man sich gar nicht mal vorstellen kann. Und ich finde, wir müssen es uns vorstellen können. Wir müssen es uns vorstellen können, dass eben auch Tatpersonen in unserem Umfeld sind. Das ist so unweigerlich, wenn wir die Statistiken anschauen, ist das höchstwahrscheinlich so. Und erst wenn wir uns vorstellen können, dass es eben auch uns oder unser Umfeld betreffen könnte, werden wir handlungsfähig. Und ich glaube, schlussendlich, was ich Eltern auch sehr häufig sage, wir klären ja Kinder über so viele Sachen auf, die auch nicht erfreulich sind. Wir klären sie auf über die Gefahren im Straßenverkehr. Wir klären sie auf darüber, wie sie mit einem Zündholz oder mit Feuer umgehen sollen. Je nach Alter reden wir mit ihnen über den Krieg. Also es gibt so viele Sachen, dass wir trotzdem machen, weil wir wissen, es ist wichtig, weil wir Kinder aufklären wollen. Und genauso müssen wir halt auch über Gewalt, häusliche Gewalt, sexualisierte Gewalt reden.

[00:11:16.510] - Nadia Kailouli

Wie gelingt einem das, diese Angst zu verlieren, ein Kind zu verängstigen?

[00:11:20.810] - Agota Lavoyer

Ich glaube wirklich, die Angst ist viel mehr in den Köpfen von Erwachsenen oder von Eltern, als dass es wirklich so wäre, dass Kinder verängstigt sind. Ich würde sagen, am besten versucht man es und dann merkt man relativ schnell, dass das nicht verunsichernd ist. Und das ist genau das, was ich dann wirklich an ganz, ganz vielen konkreten Beispielen oder eben auch Fragen in meinem Buch aufzuzeigen versuche, wie viele alltägliche Situationen es gibt, in denen Grenzen, Grenzverletzungen, Nähe, Distanz ein Thema sind. Und dort fängt ja Aufklärung über sexualisierte Gewalt an. Also ein Beispiel: Mein Kind zieht sich vor mir um, zieht das Pyjama an am Abend. Dann kann ich zum Beispiel fragen: "Du, wie wäre das, wenn ich dich jetzt fotografieren würde? Dürfte ich das?" Ich habe vier Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf. Ich habe alle mal gefragt und die meisten haben gesagt: „Ja, du darfst mich schon fotografieren, wenn du möchtest. Und da habe ich gesagt: „Nein, das darf ich nicht, auch wenn ich deine Mama bin. Und übrigens andere Erwachsene dürfen das auch nicht. Punkt." Und da hat man eigentlich eine wahnsinnig wichtige Botschaft der Prävention mitgegeben. Total unaufgeregt. Es war vielleicht ein zwei Minuten Gespräch. Je nachdem hat ein Kind noch was nachgefragt, dann kann man am Thema dranbleiben oder das Thema war schon wieder vorbei und wir haben über was ganz anderes gesprochen. Aber das ist nicht verängstigend. Meine Erfahrung ist wirklich und das, was ich auch sehr viel höre, jetzt von Eltern, von Fachpersonen, die mit dem Buch auch arbeiten, dass die Kinder neugierig sind, das entgegennehmen, vielleicht noch Nachfragen haben. Aber eigentlich habe ich noch nie gehört, dass ein Kind dann auch völlig verängstigt war.

[00:12:56.370] - Nadia Kailouli

Das ist eigentlich ein total interessanter Punkt, den du ansprichst, gerade was das Fotografieren betrifft. Gerade durch die ganzen Plattformen, auf denen wir uns bewegen und ja auch Kinder und Jugendliche bewegen von Instagram, TikTok und so weiter, dass eben das Thema Fotografien da ganz, ganz schnell natürlich in Hände geraten können, die dann auf Plattformen geraten von Pädokriminellen, wo sie nicht hingehören. Das ist natürlich total sensibel irgendwie das Thema, weil Eltern wissen okay, mein Kind geht mit der Zeit irgendwie, ist bei TikTok, macht da Tanzvideos, macht da keine Ahnung was für Videos. Wo ist da der richtige Weg zu sagen, ich kläre dich auf, ohne dir etwas zu verbieten, aber dich zu sensibilisieren, dass da, wo du dich bewegst, auch viel Unfug passiert?

[00:13:36.740] - Agota Lavoyer

Ja, ich denke, so wie du sagst, dort finde ich es ganz, ganz wichtig, dass man all diese Plattformen nicht verteufelt. Einerseits ist es nicht ganz glaubwürdig, weil ich behaupten würde, dass sehr viele Eltern diese Plattformen auch sehr rege nutzen oder vielleicht noch mehr als jetzt ihre Kinder oder je nach Alter der Kinder. Und dort finde ich es viel, viel wichtiger, dass man eben statt zu verteufeln oder zu sagen: "Früher war alles besser und anders und einfacher." Dass man wirklich aufklärt über die Chancen oder vielleicht auch Verständnis zeigt dafür, dass es interessant ist, dass man dort ganz viele tolle Sachen machen kann oder erfahren kann, aber gleichzeitig eben auch über die Risiken, also sei es Chatten mit Fremden, das ist etwas, was man weiß, die allermeisten Jugendlichen haben schon mit Fremden gechattet. In der Schweiz gibt es eine Studie, die jährlich herauskommt. Letztes Jahr kam heraus, dass 30% der Jugendlichen unter 14 Jahren schon Menschen getroffen haben, die sie also Fremde, die sie aus dem Internet kannten. Also ich glaube, das ist einfach eine Realität.

[00:14:36.730] - Agota Lavoyer

Das ist eine erschreckende Zahl.

[00:14:38.620] - Nadia Kailouli

Das ist eine erschreckende Zahl. Und gleichzeitig eben, wenn man schaut, wie Beziehungen auch bei Erwachsenen, wie man sich kennenlernt, ja meistens oder sehr häufig online, ist es eigentlich auch nicht erstaunlich, dass Jugendliche das anfangen nachzumachen oder halt auch so ihre Plattform haben. Und dort finde ich es eben ganz, ganz wichtig, dass man die Jugendlichen nicht alleine lässt und sie wirklich darüber aufklärt, vielleicht auch begleitet natürlich zu so einem Treffen, wenn es zu einem Treffen kommt oder eben sie darauf aufmerksam macht: Wer könnte hinter diesen fremden Profilen stecken? Und so weiter. Oder auch das ganze Thema mit der Pornografie finde ich auch ganz, ganz wichtig, dass man dort die Kinder damit nicht alleine lässt, es nicht einfach verteufelt, sondern ihnen wirklich sagt, was sie darüber wissen müssen, dass das Wort Nein nicht vorkommt in der Pornografie, dass Pornografie von Erwachsenen oder meistens von Männern für Männer gemacht wird, zumindest das, was sie Mainstream gratis im Internet finden und so weiter. Also ich finde dort einfach ganz, ganz wichtig, dass man den Kindern darüber spricht und ihr Vertrauen gewinnt, dass sie sich eben wirklich anvertrauen würden, wenn sie was problematisches erfahren. Und ich glaube, dieses Vertrauen verliert man sehr schnell, wenn man mit Verboten arbeitet.

[00:15:48.680] - Nadia Kailouli

Wir wollen mit dir auch gerne den Blick in die Schweiz lenken. Du lebst in der Schweiz und wie geht man denn dort eigentlich mit dem Thema Aufarbeitung oder überhaupt Aufklärung auch von sexualisierter Gewalt um? Wie ist das in der Schweiz?

[00:16:04.330] - Agota Lavoyer

Ja, ich blicke immer wieder mal neidisch zu euch rüber nach Deutschland. Gerade was diese Aufarbeitungskommission anbelangt, habe ich das Gefühl, dass ihr einen riesengroßen oder einige Schritte uns im Voraus seid. In der Schweiz gibt es eigentlich keine so große Aufarbeitungskommission. Es gab es im Bereich der fürsorglichen Zwangsmaßnahmen, aber ausschließlich für diesen Bereich. Und da muss noch sehr, sehr viel geschehen, denke ich. Und was die Prävention anbelangt, wir haben auch Schulprojekte, auch aus Deutschland eingekauft, unter anderem "Mein Körper gehört mir" vom Betzold- Verlag ursprünglich. Aber das wird immer noch nicht flächendeckend durchgeführt. Und wenn es durchgeführt wird in Schulen, dann sind das alle drei Jahre zwei Lektionen, die die Kinder besuchen. Und da sage ich immer: "Das ist toll, dass ihr das macht, macht das unbedingt. Aber das reicht niemals." Also ich finde wirklich, das muss wirklich integraler Bestandteil der Schule sein, dass Kinder über Gewalt aufgeklärt werden. Psychische Gewalt, physische Gewalt, sexualisierte Gewalt. Weil sonst haben wir tatsächlich die Situation, dass wenn man normalerweise ein Kind fragt: "Was ist sexualisierte Gewalt oder was ist sexuelle Belästigung?" Dann kommt ein Schulterzucken. Die wissen es schlicht nicht. Und wenn man Jugendliche fragt oder wenn ich einen Jugendlichen in der Schweiz frage: "Was ist sexuelle Belästigung oder sag mal was darüber?" Dann kommt einfach so: "Ja normal, Ist halt so und was willst du?" Und ich finde, das darf nicht sein. Und in all diesen Jahren, ich habe keine Ahnung, was das ist, wird es plötzlich schon einfach normal. Ich kenne so viele Jugendliche, vor allem weibliche Jugendliche, die schon völlig resigniert sind, weil sie halt sagen: "Ist halt so." Und dann kriegst du halt diese Bilder zugeschickt oder wirst sexuell bedrängt im Ausgang oder wenn du unterwegs bist. Und da finde ich, da müsste man wirklich ganz viel investieren in die Prävention. Und der Ort, an dem halt alle Kinder mal sind, ist die Schule. Also wir können nie garantieren, dass alle Eltern das anschauen, das Thema mit ihren Kindern. In der Schule könnte man das wirklich machen. Und ich finde, wenn man die Zahlen anschaut, die sind in der Schweiz genauso verheerend hoch. Also das Ausmaß an Gewalt wie in Deutschland, dann müsste man wirklich sagen, das Thema muss Priorität haben. Also da finde ich, gibt es noch sehr viel Luft nach oben, auch in der Schweiz.

[00:18:22.150] - Nadia Kailouli

Warum glaubst du, ist es dann aber so, dass es da so wenig Bewegung gibt? Weil eigentlich wäre das ja wahnsinnig einfach umzusetzen, dass man einfach sagt: "Okay, es muss Pflichtprogramme an Schulen geben, es muss Aufklärungskampagnen geben und so weiter." Warum glaubst du, dauert das immer noch so lange an, dass man das in den Schulen etabliert?

[00:18:42.210] - Agota Lavoyer

Ja, ich meine, es ist eine gute, also eigentlich die Frage. Ich habe tatsächlich das Gefühl, es fehlt immer noch der politische Wille anzuerkennen, wie riesengroß die Problematik ist oder wie groß das Ausmaß sexualisierter Gewalt an Kindern ist und dort wirklich entsprechend Ressourcen einzusetzen. Ich meine, schlussendlich scheitert es bei den Schulen oft daran, dass sie die Ressourcen nicht haben, zum Beispiel sich das Wissen anzueignen, Material zu holen oder Expert*innen einzuladen, die mit den Kindern darüber reden. Und das müsste wirklich, wir haben auch keine verpflichtende Schutzkonzepte in Institutionen, ich glaube, das habt ihr hier oder zum Teil. Und wieso das so ist oder ob es eben doch immer noch ein Tabuthema ist, ich glaube, das ist es heutzutage wirklich nicht mehr. Aber zum Beispiel in der Schweiz erscheint jedes Jahr die Opferhilfestatistik. Und jedes Jahr denke ich, und das ist ja schon mal eine realistischere Zahl als die Kriminalstatistik, also wie viele Menschen gehen wegen sexueller Ausbeutung in der Kindheit zur Opferhilfe jährlich und das waren letztes Jahr um die 5.000. Und ich denke immer, diese Zahlen werden publiziert. Die Journalist*innen berichten darüber und es gibt keinen Aufschrei. Und ich denke immer, und 5.000 ist ja nichts, ist jetzt für die Schweiz schon mehr als jetzt in Deutschland, aber schon, wenn das nicht nur die Spitze des Eisbergs wäre, die Zahl ist so hoch und es passiert wie nichts. Also ich habe schon das Gefühl, viele wissen nicht, wie sie sich mit der Thematik beschäftigen oder haben das Gefühl: "Ja, das passiert schon, aber das weit weg von meiner eigenen Realität. Und in meinem Umfeld gibt es das nicht."

[00:20:15.360] - Nadia Kailouli

Ja, also das klassische Denken da immer noch. Aber glaubst du, dass die Medien da auch eine Verantwortung haben und eine Rolle spielen, dass sie den Aufschrei eben größer publiker machen müssten, in Beiträgen, Reportagen, Berichterstattung mehr etablieren müssten?

[00:20:29.520] - Agota Lavoyer

Also ich glaube, sicherlich schon. Und da würde ich mir schon wünschen, dass man nicht nur über die diese großen, meistens institutionellen Fälle berichtet, sondern auch über Einzelfälle und die aber dann auch kontextualisiert und eben die strukturelle Ebene aufzeigt. Also dann nicht einfach ein Einzelfall von einem Großvater, der verurteilt wird, sondern dann finde ich, wäre es ganz wichtig, dass man dann dazu schreibt und das braucht nur einige Zeilen, dass man vermerkt, wie viele Kinder zum Beispiel in der Schweiz oder auch hier in Deutschland sexualisierte Gewalt erfahren, wie häufig das ist, wie häufig das eben die Tatpersonen aus dem familiären Umfeld kommen, also dass man dort wirklich auch den Hinweis für die Leser*innen macht. Das ist nicht einfach jetzt ein Einzelfall, sondern das ist sehr, sehr häufig. Und ich glaube, da gibt es auch noch Luft nach oben, das besser zu machen.

[00:21:20.980] - Nadia Kailouli

Wie war das dann bei dir, als du dann dieses Buch veröffentlicht hast zum Beispiel? Also wie war da der Aufschrei in der Schweiz? Wie hat man darauf reagiert, dass du gesagt hast: "Okay, ich komme jetzt mit einem Buch raus, das ganz klar das Thema sexualisierte Gewalt thematisiert, und zwar ein Lehrbuch, ein Handbuch für Eltern und Kinder ist."?

[00:21:38.340] - Agota Lavoyer

Also ich hatte unglaublich Freude, wie interessiert man war am Buch. Also in der Schweiz waren wir ja wochenlang auf Platz eins der Bestsellerliste, was natürlich überhaupt als Autorin natürlich eine riesen Freude ist. Aber mich berührt das vor allem deswegen so sehr, weil ich tatsächlich sehe, gerade in der Schweiz ist das Thema noch nicht wirklich angekommen als wichtiges Thema, dass man als Eltern unbedingt, wo man sich unbedingt Wissen aneignen muss und dass offenbar so viele Menschen doch das Gefühl hatten, doch dieses Buch kaufe ich mir. Das finde ich auch heute, wenn ich darüber nachdenke, wahnsinnig berührend und macht mich sehr zuversichtlich auch, dass da doch etwas geht. Ein Aufschrei in dem Sinn, also mit den Zahlen, die ja auch Teil des Buchs sind. Also ich finde auch, wieso nicht auch mit den Kindern über Statistiken reden? Ich finde, man kann durchaus ein Kind auch darüber aufklären, wie häufig sexualisierte Gewalt an Kindern ist, dass eben ein Kind, das betroffen ist, nicht das Gefühl hat, ich bin die einzige, das einzige Kind auf der Welt und sich ganz alleine fühlt, weil ja nie darüber gesprochen wird, sondern eben auch weiß, okay, es gibt auch andere, das kann auch dazu ermutigen, sich Hilfe zu holen. Über diese Zahlen wurde jetzt nicht berichtet. Die sind ja auch nicht neu und es ist ja auch nicht Sinn und Zweck meines Buches, jetzt Statistiken zu publizieren. Aber mich hat es sehr gefreut, wie es, ja, wie das Buch wirklich, also das Thema Prävention und Gespräche mit Kindern über sexualisierte Gewalt wirklich aufgegriffen wurde. Und ich glaube, in Deutschland wird das Buch auch sehr rege gekauft und es freut mich auch, dass das wirklich so ist, weil es hat sehr viel Mut gebraucht, auch das Buch zu schreiben. Ich war zwar sehr überzeugt vom Konzept. Ich arbeite ja sehr, sehr viel mit Fragen. Also was kann man mit den Kindern alles für Fragen stellen, wie das mit dem Fotografieren zum Beispiel, das ich vorhin genannt habe. Und ich wusste, das ist relativ neu. Bisher arbeitet man eher mit dem Ja-Gefühl, dem Nein-Gefühl, mit mein Körper gehört dir. Bisher gibt es kein Buch, das Kinder direkt wirklich explizit aufklärt und dass das offenbar nicht nur in meinem Kopf funktioniert, sondern mir auch so viele Eltern oder Lehrpersonen, Sozialarbeiter*innen rückmelden, dass das funktioniert und dass sie das Buch gerne mit Kindern anschauen, macht mich sehr, sehr glücklich.

[00:23:57.800] - Nadia Kailouli

Ja, ich glaube wirklich, dass du, also ich habe selber keine Kinder, aber für mich war klar, wenn ich dann mal Kinder kriegen sollte, dann werde ich mir dein Buch auf jeden Fall auch zur Hand nehmen. Ich habe mich aber auch gefragt: "Kann es auch sein, dass durch dieses Buch, eben durch das ganz konkrete Ansprechen von, was ist sexualisierte Gewalt und wie kläre ich dich dahingehend auf, dass das oder das oder jenes Grenzüberschreitungen sind, dass dadurch erst ans Licht kommt, dass man sexualisierte Gewalt erfahren hat, weil ein Kind dann dadurch sensibilisiert wird?" "Oh, aber das ist mir schon passiert", Mama oder Papa.

[00:24:28.040] - Agota Lavoyer

Das kann selbstverständlich auch sein. Ich glaube, das ist jetzt nicht der Hauptzweck des Buches. Ich habe es nicht geschrieben, um Fälle aufzudecken, aber schlussendlich kann es durchaus natürlich sein. Also, in welchem Alter auch immer. Aber es ist ja meistens so, wenn man lange nicht wusste, dass das, was man erfahren hat, übergriffig ist und man das dann liest und erfährt, ob schon als Kind oder dann später eben als jugendliche oder erwachsene Person, dann kann das durchaus auch den Effekt haben, dass man merkt: "Oh, okay, das, was ich erfahre oder erfahren habe, das war definitiv nicht okay oder war übergriffig.

[00:25:01.140] - Nadia Kailouli

Ich würde gerne noch mit dir über diesen Punkt sprechen. Wir haben die Bilder wahrscheinlich alle noch im Kopf von dem Dalai Lama, der sich von einem kleinen Jungen die Zunge hat lecken lassen. Dieses Bild hat sehr, sehr viele Menschen verstört. Und natürlich hat dieses Bild die Kreise so weit gezogen, dass es natürlich auch Kinder und Jugendliche erreicht hat über soziale Medien zum Beispiel. Wäre das ein gutes Beispiel, um Kinder dahingehend aufzuklären, dass das eine Grenzüberschreitung ist?

[00:25:31.470] - Agota Lavoyer

Ja, ich empfehle immer sehr, dass man aktuelle Beispiele nimmt und die aufgreift mit den Kindern. Gerade wenn man weiß, das Kind hat das Video auch gesehen oder man sitzt vielleicht zusammen vor dem Fernseher oder Computer oder vor der Zeitung und sieht es, dann kann man das wunderbar aufgreifen. Und ja, ich finde, wie du gesagt hast, dass man sieht ja an der Gestik, an der Mimik, an der Körperhaltung des Kindes ja sehr gut an, dass es sich sehr unwohl fühlt. Und ich habe mit zwei meiner Kinder darüber gesprochen und die haben auch gesagt, also ich finde, es eignet sich eigentlich wunderbar, so ein Beispiel, dann wirklich zu sagen: „Wie findest du das? Und zu sehen, was denkt das Kind darüber? Und dort wirklich auch wichtige Botschaften, wie zum Beispiel es darf niemand von dir verlangen, dass du sie küssen musst oder an der Zunge lecken musst, auch ein Dalai Lama nicht, auch wenn das ein ganz lieber Mensch ist, der darf das nicht. Das finde ich, ist eine der wichtigsten Botschaften auch in der Prävention.

[00:26:30.040] - Nadia Kailouli

Inwieweit thematisiert du auch das Thema Manipulation? Weil viele wissen ja, oder viele Kinder oder Jugendliche erzählen ja, wenn sie dann Jahre später von Missbrauchserfahrung berichten, dass sie damals schon gespürt haben, ich habe schon das Gefühl gehabt, es fühlte sich irgendwie nicht richtig an, da war irgendwie was komisch. Aber durch eben eine manipulative Strategie hat man ja das Kind dann dazu bekommen, eben nichts zu sagen, in Anführungsstrichen mitzumachen, sich nicht zu wehren. Wie kann man das am besten thematisieren, dass man manipuliert wird oder werden kann?

[00:27:04.210] - Agota Lavoyer

Ich finde das auch ganz ein wichtiges Thema in der Aufklärung. Ich meine, schlussendlich geht es ja dort auch nicht nur um sexualisierte Gewalt, aber gerade auch in dieser Thematik im Buch. Es sind das die roten Seiten. Die Seiten haben ja unterschiedliche Farben und ich nenne diese Täterstrategien "Tricks der Täter und Täterinnen" und habe da einige wichtige herausgepickt. Zum Beispiel, dass es sehr typisch ist, das sage ich dann wirklich in einer Sprache an die Kinder gerichtet, dass viele Täter*innen sagen: "Das, was wir hier machen, das ist normal, das machen alle zu Hause. Man spricht einfach nicht darüber." Und dass das eben nicht stimmt und dass das eben nur ein Trick ist der Täter*innen, um ein Kind zu verunsichern. Und das finde ich ganz wichtig, dass man das weiß. Eben vielleicht auch in anderen Situationen, wenn jemand mal mir etwas macht, das ich komisch finde oder mir unwohl dabei ist oder ich vielleicht weiß, das ist nicht okay. Und dann jemand sagt: "Ja, das ist normal." Dass ich weiß: "Aha, das ist vielleicht so ein Trick, mich dahingehend zu manipulieren, dass ich was tue oder mitmache oder eben was nicht erzähle, was ich eigentlich erzählen möchte." Ja, und ich denke schlussendlich auch ganz wichtig, dass auch Eltern sich eben Wissen aneignen. Also schlussendlich ich rede jetzt immer davon, was die Botschaften für die Kinder in meinem Buch. Aber ich glaube, wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist es mir noch viel wichtiger, dass Eltern oder die pädagogischen Fachpersonen das Buch lesen und sich Wissen aneignen. Weil ich meine schlussendlich, natürlich ist das Buch eben ist ein Kinder Fachbuch. Es hat viele Informationen für Kinder in Kindersprache drin, aber Kinder können sich nicht alleine vor sexualisierter Gewalt schützen. Und das finde ich ganz wichtig. Also meine Idee ist überhaupt nicht, dass man einfach Kinder aufklären muss und dann kann man sich zurücklehnen und die Kinder schauen dann schon. Das funktioniert nicht. Ich finde, wir müssen Kinder aufklären. Aber vor allem müssen wir Erwachsene kompetent werden, uns der Thematik annehmen und wirklich eben auch stehen und Grenzverletzungen wirklich auch anprangen. Und das ist meine Erfahrung, dass man gerade bei diesen alltäglichen Grenzverletzungen gegenüber einem Kind, die wir durchaus alle kennen und schon beobachtet haben, dass man lieber nichts sagt, als der erwachsenen Person das Gefühl zu geben, man hätte allenfalls den Verdacht, dass irgendeine sexuelle Absicht dahinter wäre. Das ist ja so furchtbar unangenehm, dass man lieber nichts sagt. Und das finde ich, das möchte ich erreichen, Eltern wirklich auch zu ermutigen: "Sprich das an, wenn die Großmutter, der Onkel dem Kind zu nahe kommt, dann kann man das sagen, dann kann man das rückmelden." Dann kann man sagen: "Du, ich möchte nicht, dass du mein Kind so auf den Schoß nimmst. Punkt." Ohne das eben groß aufhebens gemacht wird. Und ich weiß, in der Realität ist das unheimlich schwierig. Ich finde es auch schwierig, meinen lieben Menschen solche Rückmeldungen zu machen. Aber dort finde ich wirklich, wir müssen eine Kultur entwickeln, damit wir über Grenzen und Grenzverletzungen reden können.

[00:29:58.910] - Nadia Kailouli

Und ich finde, dass du alleine, dass du heute mit uns diese halbe Stunde gesprochen hast, schon so vielen Menschen Mut gemacht hast zu sagen: "Okay, ich traue mich jetzt, mir Wissen anzueignen, wie ich eigentlich mit meinen Kindern über das Thema sexualisierte Gewalt sprechen kann." Vielen, vielen Dank, dass du heute bei uns bei einbiszwei bist und ich kann dein Buch jedem nur empfehlen. Und ich sage herzlichen Dank, Agota Lavoyer.

[00:30:21.430] - Agota Lavoyer

Herzlichen Dank.

[00:30:22.130] - Nadia Kailouli

Wunderschöner Name.

[00:30:27.950] - Nadia Kailouli

Super interessanter Punkt finde ich von Agota ist, nur weil es jetzt so ein Buch gibt, wo man sagt, hier redet mal mit euren Kindern darüber, klärt sie auf, eignet euch Wissen an, heißt das ja nicht, dass man Kinder dann damit alleine lässt und sich dann sagt: "Okay, erledigt, schwammt drüber, weitermachen." So ist es ja nun nicht. Also ganz, ganz wichtig, dieses Buch ist irgendwie ja so eine Hilfestellung für alle, die mit Kindern über das Thema sexualisierte Gewalt reden wollen, aufklären wollen etc. Aber damit ist es dann eben auch nicht alleine getan. Man muss weiter hinschauen und immer ein offenes Ohr und offene Augen behalten, wenn es das Thema sexualisierte Gewalt und Grenzüberschreitung geht. An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E- Mail könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de.

Kinder aufzuklären ist wichtig. Aber noch wichtiger ist es, dass Erwachsene Bescheid wissen, wie sie mit Kindern auch über schwierige Themen reden können. Agota Lavoyer spricht über ihr Buch „Ist das okay?” und erklärt, wie man mit Kindern über sexuelle Gewalt spricht und sie davor schützt.

Mehr Infos zur Folge

In der Schweiz erlebt mindestens jedes 7. Kind im Verlauf seiner Kindheit sexualisierte Gewalt. Wenn Kinder keine Ahnung haben, dass es so eine Art der Gewalt gibt, haben sie auch keine Chance, diesen Missbrauch überhaupt zu erkennen – und jemandem davon zu erzählen.

Die Schweizerin Agota Lavoyer berät, redet und schreibt über gesellschaftspolitische Aspekte sexualisierter Gewalt, Opferberatung und Opferhilfe. Als Opferhilfeberaterin hat sie in den letzten Jahren hunderte Opfer sexualisierter Gewalt begleitet, ihre Angehörigen unterstützt und Fachpersonen beraten.

Als Referentin und Buchautorin engagiert sie sich für einen gesellschaftspolitischen Wandel und für ein Umdenken bezüglich sexualisierter Gewalt. Sie setzt sich für eine bessere Unterstützung von Opfern sexualisierter Gewalt in der breiten Gesellschaft und der Justiz ein und für die Prävention sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder.

WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:

Homepage von Agota Lavoyer
AgotaLavoyer.ch

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Das Buch „Ist das okay?” von Agota Lavoyer
Mabuse-Verlag | „Ist das okay?”

Weitere Links zum Thema

Ein Artikel der ZEIT zu sexualisierter Gewalt in der Schweiz
ZEIT | "In der Schweiz galt viel zu lange alles als privat"

In diesem Artikel spricht Agota Lavoyer über ihre tägliche Arbeit
Hauptstadt.be | «Meine Ansichten sind nicht radikal, sondern selbstverständlich»

Agota Lavoyer spricht in diesem Podcast auch über das Thema Kinderschutz
#malehrlich Podcast | Wie kann ich mein Kind vor sexualisierter Gewalt schützen?

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

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