Tierquälerei, Kriegsverbrechen, sexuelle Gewalt – was sehen Kinder im Internet, Silke Müller?
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[00:00:00.000] - Silke Müller
In einer sechsten Klasse ging es auch um Pornografie und so weiter und so fort. Und da habe ich mit den Kindern gesprochen, weil da ging es um das Hin und Her senden von Bildern bei Snapchat. Und dann habe ich gesagt: "Leute ey, wenn ihr eure Bilder verschickt, was passiert denn dann?" Dann kommt die klassische Antwort: "Ja, da gibt es ja nicht nur nette Leute und das ist ja auch so, das mit Missbrauch und so", die eiern dann halt so rum. Und dann sage ich: "Dann stellt euch doch mal vor, dass da eben nicht Philipp 15 sitzt, sondern...", wenn jetzt jemand Karl Heinz heißt, entschuldige mich, ich muss mich immer für die Namen entschuldigen, die ich da verwende, "wenn Karl Heinz 55 auf dem Sofa sitzt, der zieht sich seine Hose runter, guckt sich euer Bild an und dann wisst ihr, was er damit macht." Und dann sagen die Kinder, kriegen plötzlich große Augen und sagen: "Oh mein Gott!"
[00:00:37.460] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei. Ich bin Nadia Kailoui und in diesem Podcast geht es um sexuelle Gewalt und was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst. Wissen Sie, was Ihr Kind auf dem Smartphone zu sehen bekommt? Vermutlich nicht, oder? Wie soll man das auch machen? Schließlich gilt Privatsphäre ja auch für Kinder. Und ganz ehrlich, Sie kennen doch auch gar nicht all diese Plattformen und Spiele, wo die so unterwegs sind, oder? Schulleiterin Silke Müller wollte es aber wissen. Sie hat recherchiert und Tierquälerei, Pornos, Gewalt unter Kindern und Missbrauch gefunden. "Wir verlieren unsere Kinder. Gewalt, Missbrauch, Rassismus, der verstörende Alltag im Klassenchat" heißt das Buch, das sie darüber geschrieben hat und das mittlerweile ein Bestseller ist. Darin appelliert sie nicht länger wegzusehen. Und jetzt ist sie hier. Silke Müller, herzlich willkommen bei einbiszwei.
[00:01:30.580] - Silke Müller
Hallo! Schön, dass ich da sein darf.
[00:01:32.340] - Nadia Kailouli
Ja, wir freuen uns sehr. Silke, du bist Schulleiterin in Niedersachsen und Achtung, Digitalbotschafterin des Landes
[00:01:38.420] - Silke Müller
Richtig. Ganz genau. Zwei ungewöhnliche Titel, die wir bestimmt gleich noch gemeinsam erklären können.
[00:01:44.440] - Nadia Kailouli
Genau. Vor allem möchte ich jetzt erst mal von dir wissen, wie oft sagst du im Unterricht eigentlich: "So, jetzt Handy weg!"
[00:01:50.690] - Silke Müller
Gar nicht, weil bei uns ist Handyverbot an der Schule. Man glaubt es kaum. Aber...
[00:01:55.600] - Nadia Kailouli
Nein, echt?
[00:01:56.680] - Silke Müller
Ja doch. Die Kinder haben alle elternfinanzierte Tablets ab Klasse sieben. Also unsere Schülerinnen und Schüler gehen in die fünfte bis zur zehnten Klasse zu uns. Und wir haben schon vor ziemlich genau zehn Jahren den Beschluss gefasst, dass alle Kinder mit Tablets arbeiten werden. Das hat aber dann zur Folge, dass sie natürlich digital unterwegs sind, aber ehrlicherweise keine Smartphones benötigen. Und das machen wir nicht, weil wir glauben, dass wir die Kinder ganz besonders schützen, dann irgendwie vor sozialen Netzwerken und so weiter, sondern weil wir den Kids Anreize geben wollen, gerade in den Pausen und so weiter, da sind auch die Tablets verboten, sich wirklich miteinander zu unterhalten, Freizeit zu gestalten oder auch mal Langeweile auszuhalten. Und das geht trefflich supergut ohne Smartphones.
[00:02:36.250] - Nadia Kailouli
Okay, wow, das ist jetzt für mich komplett neu. Ich meine, ich habe keinen Bezug zu Kindern und Jugendlichen, die gerade in die Schule gehen. Deswegen dachte ich, mein Gott, das ist doch klar. Jeder hat ja ab keine Ahnung gefühlt sechs Jahren oder sieben Jahren schon ein Smartphone und natürlich daddeln die dann alle im Unterricht rum, dass es ein Verbot gibt, war mir neu. Ist es nur in eurer Schule so oder an anderen Schulen auch?
[00:02:56.310] - Silke Müller
Also ich glaube, dass immer mehr Schulen dazu übergehen. Zumindest kenne ich sehr viele, die jetzt auch diesen Weg gehen, weil man immer ja versucht mit der Zeit zu gehen und viel auszutesten. Und auch wir hatten beispielsweise mal so eine Handyzone irgendwie in der Mittagspause und haben dann immer gedacht: Aber warum eigentlich? Wir müssen den Kindern doch echt Anreize schaffen, wie sie Zeit auch mal wirklich im wahrsten Sinne des Wortes analog verbringen. Und das hat ganz gut geklappt. Und wir haben vor kurzem neue Schulregeln, also neuen Kanon oder Übereinkunft sozusagen des Zusammenarbeitens und Zusammenlebens an der Schule entwickelt. Da waren auch die Schüler maßgeblich beteiligt. Selbstverständlich kommt immer mal wieder die Frage, aber das Einverständnis, dass wir sagen, es geht auch ganz ohne, ist für die Schüler auch groß und das ist auch da. Und das zeigt einfach, dass es auch so ein Gemeinschaftsgefühl ist, was da wachsen kann. Ich würde das allen Schulen echt empfehlen.
[00:03:40.560] - Nadia Kailouli
Okay, das hören bestimmt jetzt auch andere Lehrerinnen und Lehrer und denken sich so: "Vielleicht müssen wir das jetzt mal mit unserer Schulleiterin oder Schulleiter durchbringen." Jetzt kann man sich fragen, warum hat einbiszwei denn ausgerechnet Silke Müller eingeladen? Es gibt ja nun weitaus mehr und andere Schulleiter:innen in Deutschland. Aber nicht nur, dass du Digitalbotschafterin bist. Du hast nämlich auch ein Buch geschrieben und dieses Buch heißt: "Wir verlieren unsere Kinder. Gewalt, Missbrauch, Rassismus, der verstörende Alltag im Klassenchat". Das ist ein Buch, worüber wir mit dir sprechen wollen. Jetzt muss ich aber fragen, wenn du ein Buch darüber schreibst, was im Klassenchat so los ist, woher weißt du das denn, wenn es Handyverbot an eurer Schule gibt?
[00:04:17.710] - Silke Müller
Aha. Also dass die Welt der Netzwerke sich entwickelt hat, wissen wir ja alle irgendwie. Angefangen von was weiß ich damals Facebook, ist übrigens für die Kinder das Netzwerk der alten Leute, also wenn Sie das da draußen jetzt hören und sie haben noch Facebook, dann wissen sie ab heute, sie sind alt. Dann die Entwicklung von Instagram und schließlich WhatsApp, Snapchat, TikTok und Co. Da war es tatsächlich so, dass gerade in den Anfängen Kinder kamen und sagten: "Gucken Sie mal, was hier einer in den Klassenchat geschrieben hat, gucken Sie mal, da hat einer ein Instagram Profil von mir gefaked", und so weiter und so fort. Das waren für mich, so ich sage mal, datiert auf 2015/16 die Anfänge, dass wir sehr, sehr massiv mit dem, was im Netz eben nicht gut läuft, konfrontiert wurden. Und die Schülerinnen und Schüler haben sich oftmals hilfesuchend an uns gewandt. So, daraus ist entstanden, dass wir näher hingucken mussten und nicht nur in Prävention und nicht nur: "Hey, was ist da eigentlich los? Und lass mal ein bisschen Aufklärung machen", sondern: Was ist die echte Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen? Wir haben dann 2018/19 eine sogenannte Social-Media-Sprechstunde ins Leben gerufen, auch mit dieser Begrifflichkeit, um den Kids auf Augenhöhe zu zeigen: "Pass mal auf, wir sprechen hier über euer Thema!"
[00:05:24.820] - Silke Müller
Das ist nicht nur einfach eine Beratungsstunde für Konflikte, sondern es ist wirklich diese Welt der sozialen Netzwerke. Und in dieser Sprechstunde, die einerseits statisch stattfindet, ganz bewusst im Stundenplan verankert, aber andererseits auch irgendwie verstanden wird als Einladung, sich jederzeit an uns zu wenden, also an meinen Kollegen, an mich, an andere Kolleginnen und Kollegen, wenn irgendwas schief läuft per Mail, per Terminabsprache oder wie auch immer. Führt dazu, dass Kinder uns viele Eindrücke in ihre Welt geben, weil sie sich ernst genommen fühlen. Und ich glaube, dadurch konnte ich ganz, ganz viele leider schwer belastende Beispiele sammeln. Auch die einfachen Konfliktmomente, die leider tagtäglich vorkommen. Und ich sage immer wieder, ich glaube, dass kein Kindeskonflikt in der Pubertät mehr medial unbegleitet stattfindet. Also entweder es beginnt ein Streit im Klassenchat und geht dann analog in die Klasse oder es beginnt was ganz normal analog im Klassenraum und es wird per WhatsApp oder wie auch immer Snapchat weitergeführt. Oder es gibt so Rangelei auf dem Schulhof und die wird selbstverständlich gefilmt. Also es gibt eigentlich nichts mehr ohne. Und das sind dann möglicherweise noch die harmloseren Konflikte. Aber all das hat sich im Laufe der Jahre so angesammelt, dass ich dann irgendwann angesprochen wurde, weil ich mit diesem Thema digitale Ethik sehr, sehr bundesweit im Grunde unterwegs bin, darüber nicht ein Buch schreiben möchte und das habe ich dann getan, um aufzurütteln.
[00:06:39.450] - Nadia Kailouli
Okay, du hast eigentlich jetzt gerade schon das Hauptthema angesprochen, und zwar die digitale Ethik. Du sagst von dir selbst: "Ich möchte nicht das Handy verbieten, sondern wir brauchen einen anderen Umgang damit." Das wollen wir heute mit dir ein bisschen tiefer erkunden. Vor allem, weil wie in deinem Buchtitel ja schon erwähnt, geht es um Gewalt, Missbrauch und Rassismus. Wenn man sich dahingehend eine Kriminalstatistik aus dem Jahr 2022 anschaut, dann sieht man, dass es einen sehr, sehr starken Anstieg gibt bei Kindern und Jugendlichen, was eben Kriminaldelikte betrifft. Siehst du einen Zusammenhang unter diesen Delikten in Bezug auf unser oder das Konsumieren von digitalen Inhalten von Kindern und Jugendlichen?
[00:07:19.960] - Silke Müller
Ja, sehe ich eindeutig. Und zwar möchte ich das an zwei Dingen festmachen: Das eine ist natürlich, dass dieser Vorwurf nur weil man - nur in Anführungsstrichen - weil man Gewaltvideos sieht, wird man nicht automatisch ein gewaltvoller Mensch. Das ist ja so, wie wir Horrorfilme früher gesehen haben oder Splattermovies an sich, haben wir ja auch nicht irgendwie eine Verrohtheit gespürt, aber ich glaube, dass die Masse des Konsums und des Contents, was auf Kinder zutrifft, stelle ich zumindest fest, dass wir parallel damit auch eine Veränderung des Verhaltens von Kindern und Jugendlichen erleben. Das heißt eine verrohte Sprache in den Klassenchats, wie sie einander begrüßen, wie sie sich einander beschimpfen, wie sie sich auf den Fluren begegnen. Das ist eindeutig für mich ein Zusammenhang. Ich bin kein Psychologe, ich kann das nicht deutlich, ich kann das nur feststellen. Das ist das eine. Das andere ist, was die Kriminalstatistik auch zeigt, dass der Anstieg von versendeten kinderpornografischen Material deutlich höher ist. Und da sind wir jetzt nicht sofort nur in der pädophilen Ecke, sondern man muss verstehen, dass intime erste Erfahrungen bei Pubertierenden oftmals nicht mehr im Kinderzimmer, dieses praktisch: "wir knutschen mal im Kinderzimmer und versuchen uns langsam zu erkunden", stattfindet, sondern bevor die Kinder körperliche Berührungen haben, haben sie sich schon längst Bilder hin und her geschickt. Und das sind oftmals alles Dinge, wenn die aufploppen. Das ist Kinderpornografie und das läuft mit in diese Kriminalstatistik. Und deswegen sind die Ersttäter auch immer jünger.
[00:08:37.990] - Nadia Kailouli
Jetzt kann man sich fragen: Okay, super, jetzt haben wir doch unserem Kind hier so ein Smartphone gegeben, weil wir als Eltern, als Erwachsene sagen, wir wollen uns der digitalen Bildung und dem digitalen Zugang nicht querstellen. Ja, das gehört heute zu Tage einfach dazu. Jetzt wissen wir nicht nur von dir, von dem, was du gerade gesagt hast, sondern grundsätzlich, dass man eben gerade übers Smartphone, übers Internet unter anderem, pornografische Inhalte verschicken kann, dass man Rassismus schüren kann und dass man eben auch sexuelle Gewalt in Chats ausüben kann. Was ist denn jetzt aber der richtige Umgang? Weil auch wenn man jetzt sechs Stunden in der Schule ist oder acht oder fünf, könnt ihr zwar das Handy verbieten, nichtsdestotrotz, wenn man euren Schulhof verlässt, hat man ja das Handy wieder in der Hand. Was ist also der richtige Umgang, damit wir nicht gleich diejenigen verstören, die sagen: "Ja, super, soll ich jetzt meinem Kind das Handy verbieten, oder was?"
[00:09:28.660] - Silke Müller
Das ist tatsächlich die Frage nach dem Pudels Kern, wo ich gerade mit vielen Mitstreitern drum ringe. Denn einerseits natürlich sind wir sehr schnell im Bereich der Prävention, die sich mit Sicherheit verändern und erneuern und modernisieren muss. Aber das ist ehrlicherweise so ein bisschen wie Prävention im Umgang mit gesunder Ernährung. Wir wissen alle, wie wir uns gesund ernähren und sitzen am Ende doch bei irgendwelchen Fast-Food-Ketten und sagen: "Oh, einmal geht es, ganz geil eigentlich." Und das ist bei Prävention ähnlich. Wenn du bei uns auf den Schulhof gehst, dann wissen die Kinder, was darf ich rechtlich? Was darf ich eigentlich moralisch? Ist was gut? Ist was nicht gut? Und sie handeln trotzdem anders, weil und da komme ich zum entscheidenden Faktor, das Netz einfach ein völlig anarchischer Raum ist. Selbstverständlich gibt es Gesetze oder Medienschutzgesetze und so weiter und so fort, aber tatsächlich ist ja keiner von uns da, die Kinder sozusagen algorithmisch zu begleiten. Wenn ich mich als Silke43 bei TikTok anmelde, kriege ich, ich sage immer so schön, Haar- und Schminktutorials oder meinetwegen irgendwie noch nette Reisetutorials im Moment oder irgendwas. Aber mit Sicherheit nicht die Inhalte, die die Kinder bekommen. Das heißt, das ist wirklich so ein Haifischbecken, wo keiner von uns ist. Und der richtige Umgang, ich glaube, der muss auf zweierlei Seiten betrachtet werden. Einerseits muss ich als Elternteil natürlich vollkommen klare Regeln festlegen und in meinen Augen auch mal entmystifizieren, dass ein Handy nicht eben ausschließlich ein Privatgerät ist. Das betrifft jetzt sicherlich nicht die privaten WhatsApp Chats, aber wenn ich meinem Kind jetzt ein Handy in die Hand drücken würde, ein Smartphone, dann würde ich klar festlegen, das wird abends abgegeben vor dem Schlafengehen, dann liegt es hier. Und ich habe die Überhand über das Handy, weil in der dunkelsten Zeit passieren ehrlicherweise immer die dunkelsten Sachen. Ich würde auch tatsächlich sehr klar festlegen, dass wir vielleicht gemeinsam, liebes Kind, du und ich mal am Freitagnachmittag die Fotogalerie aufräumen deines Handys, denn auch das ist eben nicht so privat, wie man dann meint. Und ich glaube, ich muss dem Kind von Anfang an klarmachen, dass sobald ich online unterwegs bin, eben letztlich nichts mehr privat bleibt, weil ich irgendwas screenshotten und verschicken kann. Das heißt, dieser Mythos Privatsphäre muss aufgebrochen werden. Das ist eben nicht wie ein Tagebuch. Es ist eben nicht wie früher der klassische Brief. Dann muss ich dazu übergehen, dann muss ich sagen: "Hier hast du ein Tagebuch, da guckt keiner rein, das ist nur für dich." Da lassen wir Eltern uns, glaube ich, sehr, sehr schnell von den Kindern einfangen und sagen Nein, das ist meine Intims- und Privatsphäre, das ist das andere. Und gleichzeitig braucht es natürlich Filter auf Routern und so weiter und so fort. Man kann auch Bildschirmzeiten eindämmen. Aber das sind manchmal eher so aus der Hilflosigkeit der Eltern heraus, im Sinne von "ich habe was getan", weil es schützt am Ende nicht vor Inhalten. Und dann sind wir auf der Ebene der Politik. Und das ist mir extrem wichtig zu sagen, wir müssen da mehr einfordern. Denn weder im Jugendschutzgesetz, das mir wirklich auf dem Dorf, wir leben ja auf dem Dorf, sagt, welchen Muttizettel braucht mein Kind, dass es nach 22 Uhr noch auf einer Zeltparty sein darf? Wann darf es das erste Bier trinken und wie ist es überhaupt mit Filmen über 18, unter 18 und so weiter? Da ist nichts geregelt. Im Jugendschutzgesetz ist nichts geregelt zum Umgang mit Smartphones. Das wäre für mich der allererste Ansatz. Da könnte auch mal drinstehen, dass ein Smartphone vor 14, ich weiß, das ist illusorisch und ich bin wahrscheinlich irgendwann most hatet Person bei den Kindern, nicht zu suchen hat.
[00:12:25.990] - Silke Müller
Gleichzeitig braucht es aber mit Sicherheit auch innenministerielle, also ja im Grunde genommen legislative Änderungen, wo man drüber nachdenken muss, dürfen wirklich alle Inhalte so frei verfügbar sein? Müssen wir dieses böse Wort Zensur mal wieder in den Mund nehmen? Muss man drüber nachdenken, wo man wirklich hin und wieder, ich habe es nach dem Fall, nach dem Mord an der Luise in Freudenberg gedacht, ob man TikTok nicht hätte, einfach mal zwei, drei Tage abschalten können für einen ethischen Grundgedanken? Und muss man vielleicht nicht darüber nachdenken, dass man die Anonymisierung verändert? Sprich jeder kann sich anmelden, jeder kann irgendeinen Namen hinschreiben. Keiner weiß die Identität. Wenn man, ich denke immer so naiv, wenn man einfach mal seinen Pass einscannen müsste, um sich zu verifizieren und zu sagen: "Ich bin der und der", glaube ich, würden wir viele Probleme lösen, übrigens auch viele Altersfragen lösen. Und wir hätten nicht mehr dieses Problem mit, dass ich nicht identifizierbar bin. Ich weiß, dass wir sehr schnell in der Diskussion der Vorratsdatenspeicherung und so weiter wären, aber in meinen Augen wäre es das wert, diese zu führen, wenn man wirklich hinguckt, und in meinen Augen ist es dringend notwendig, dass Politik wirklich die Sache strategisch und möglicherweise auch auf europäischer Ebene angeht.
[00:13:29.780] - Nadia Kailouli
Du sagtest gerade dieses schöne Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Aber wenn man das eben vergleicht oder parallel stellt, zum Thema Kinderschutz und es sind einfach keine Schutzräume mehr oder waren sie noch nie. Das Internet ist kein Schutzraum und im Internet passiert eben Missbrauch oder eröffnet Missbrauchsstrukturen, die dann eben im analogen Raum stattfinden können. Du willst was sagen? Ich merke das.
[00:13:54.040] - Silke Müller
Ja, weißt du, ich würde sogar noch weitergehen. Ich habe heute mit einer Kollegin über diese Vorratsdatenspeicherung gesprochen und gesagt: Okay, wenn ich doch eigentlich ein relativ rechtschaffender Mensch bin, habe ich kein Problem damit. Ich überlasse überall meine Fußspuren und ich zahle mit einer EC-Karte, ich logge mich irgendwo ein, ich bin mit einem Kennzeichen unterwegs auf dem Auto, mit dem Auto, dass Flensburg meine Punkte, bei mir tun sie es auch fleißig, sammeln können. Ich habe eine Steuer ID, dass kein Cent am Fiskus vorbeigeht und so weiter. Das heißt, ich bin ja total transparent unterwegs. Und wenn ich doch rechtschaffend bin, mir doch egal wo meine Daten liegen. Ich muss das mal so klar sagen, wenn es dem Schutz des Kindes dient. Und ich glaube, ich habe ja auch in meinem Buch ganz krasse und leider aber alltägliche Fälle geschildert, wenn man die sich mal anhört, wenn man dann mal, ich habe jetzt mehrere Vorträge gehalten, wo ich auch Screenshots zeige oder Videos zeige, was wirklich bei TikTok los ist, dann kann man sich nicht mehr wegducken.
[00:14:44.280] - Nadia Kailouli
Jetzt für alle Hater, die jetzt sagen. "Oh nee, Vorratsdatenspeicherung, ja, liebe Silke, da kommst du mir nicht ran. Das ist mein Thema und das ist superwichtig", damit die Leute jetzt auch wissen, warum dir das Thema so wichtig ist. Vielleicht kannst du uns und die dein Buch vor allem nicht gelesen haben, vielleicht kannst du uns ein paar Beispiele mal nennen, warum du da so leidenschaftlich gerade drüber sprichst, wie du es gerade tust.
[00:15:06.050] - Silke Müller
Kann ich sehr gerne übrigens an einem ganz aktuellen Fall, den wir selber an der Schule hatten über Pfingsten. Da ist ein Mädchen hat sich, damit geht es schon los, es gibt keine Onlinewache, das heißt, das Kind kann nicht einen Button drücken und sagen: "Mir passiert hier gerade was im Netz, kann mal einer irgendwas tun?" So wie auf 110 auf der Straße. Sondern die hat sich dann an mich und meinen Kollegen, der Lehrer, der die Social Media Sprechstunde leitet und auch Klassenlehrer dieses Kind ist, gewandt. Und ich bin so ein Nerd, ich rufe halt leider auch ständig meine Mails ab und bin immer viel zu süchtig irgendwie unterwegs und hat wirklich mit dem Betreff geschrieben: "Ich brauche dringend Hilfe." Und das hat sie im Klassenlehrer geschrieben und kurze Zusammenfassung: Sie wurde über Snapchat von jemandem angeschrieben schon vor einiger Zeit, mit dem sie sich leider auch getroffen hat. Das heißt, bei Kindern setzt es aus, wenn ihnen geschmeichelt wird und so weiter und so fort. Und die denken dann nicht mehr nach, ob man jetzt sagt: "Ja, aber wie können die Kinder das tun?" Das sind Kinder! Und dieser Mann hat beim ersten Treffen, das leider auch mit sexuellen Handlungen zu tun hatte, sprich das Mädchen hat sich bei ihm auf den Schoß gesetzt und er hat dann Fotos vom Gesäß gemacht, wo er die Hand sozusagen in die Hose führt, hat von ihren Brüsten Fotos gemacht, ohne dass sie das wusste, hat ihr diese Aufnahmen geschickt und hat parallel gesagt: "Ich schicke das deinem Vater, ich schicke das deiner Schule, ich schicke das allen, wenn du dich nicht ein zweites Mal mit mir triffst und dich entjungfern lässt von mir und diverse Sexualpraktiken durchgehen lässt." Und sie hatte ganz, ganz große Panik, insbesondere vor ihrem Elternhaus, dass sie gedacht hat: Okay, irgendjemand muss mir helfen. Ich bin dann nachts zur Polizei in Absprache mit meinem Kollegen, weil das Kind hat alles richtig gemacht, die hat Screenshots gemacht. Wir konnten das alles belegen. Und am Ende sind wir zur Polizei gegangen und das wurde dort gut aufgenommen und diese eine Polizeistation konnte wirklich die Identität des Snapchatusers, weil alles war über Snapchat, über verschiedene Wege herausfinden und hat dann gesagt: "Na ja, wir werden doch heute Abend noch am Bett stehen, mit Sicherheit und die Geräte einkassieren." Passiert ist das fünf Tage später, weil das nämlich von einer Polizeistation an die nächste ging und der nächste aufnehmende Beamte hat gesagt: "Das ist doch nur im Internet, dann soll das Kind doch mal das Gerät ausmachen, dann wird es schon nicht so schlimm sein." Ende des Liedes: Die haben sich ein zweites Mal getroffen. Ob es zu sexuellen Handlungen kam? Ich kann es nicht sagen. Das Kind hat gesagt nein, aber sie hat sich im Wissen der Polizei ein zweites Mal getroffen. Worauf will ich da raus? Das sind Fälle, die passieren tagtäglich, wenn wir nicht sofort nachverfolgen und zurückverfolgen. Es gab gerade den Fall der Gerichtsverhandlung in Gießen. Parallelfall, wo ein Mann sein Opfer dann umgebracht hat nach sexuellen Handlungen. Auch die hat sich aus Angst ein zweites Mal getroffen. Das heißt, wir sind bei Cybergrooming. Wir sind aber auch sehr schnell, du fragst nach mehreren Fällen, bei solchen Dingen wie, dass da Videos durchs Netz gehen. Ich glaube, jeder hat es im Moment mitbekommen, dass eine Babykatze in einen Mixer gesteckt wurde. Dieser Mixer wird betätigt. Die Katze ist am Ende nicht tot. Man sieht das glasklar und wird dann sozusagen in die Mikrowelle gesteckt. Das ist widerlich. Alle Schüler unserer Schule kannten dieses Video. Es geht also um Foltervideos, es geht um unglaubliche Pädophilie. Also das, was da wirklich durch TikTok zum Teil wandert, wie Kinder sich da darstellen, unbedarft, arglos manchmal auch, was sie für Nachrichten bekommen, wo man genau weiß, das ist mit Sicherheit nicht Philipp 12, der da jetzt schreibt, sondern ganz anders. Das sind Fälle, wo nicht nur die psychische, sondern auch die physische Gesundheit unserer Kinder gefährdet ist oder ohnehin sozusagen Kinder nicht mehr ungefährdet sind und teilweise um Leib und Leben fürchten müssen. Und ich weiß nicht, ob wir und da hast du genau recht, die Hater gibt es und ich bin auch viel zu naiv, immer zu sagen, lass uns mal diskutieren darüber, es gibt doch bestimmt mehr Wege, zum Beispiel bei der Vorratsdatenspeicherung. Ich glaube aber nur, zumindest sollten wir über Dinge, über mögliche Wege diskutieren, überhaupt mal wieder, das Netz sicherer zu machen. Ich lasse mich auch gerne von anderen Wegen überzeugen. Aber ich habe halt zu wenig Ideen, zu wenig Kenntnis vielleicht auch technischer Art, was man tun kann. Ich glaube nur, wir müssen für die Kinder ins Gespräch kommen.
[00:18:48.050] - Nadia Kailouli
Du hast jetzt gerade Beispiele genannt, die sehr, sehr eindringlich sind, die verstörend auch sind tatsächlich. Aber sie sind halt wirklich Beispiele, die nur du jetzt aus deinem Umfeld als Lehrerin erlebt hast und das eben nur für diesen Bereich auch spricht, aber man kann sich daran natürlich sehr gut orientieren, was in anderen Schulklassen passiert. Nichtsdestotrotz ist es ja wahrscheinlich eine Diskussion, wo es schwierig ist, da irgendwie ja mit einem guten Ergebnis rauszugehen, weil wir ja mit dieser Überschrift auch leben: Digitale Bildung. Wir brauchen digitale Bildung. Wie sieht denn für dich als Lehrerin digitale Bildung aus? Mit der Erfahrung von Missbrauchsdarstellung, von Folterdarstellung etc.
[00:19:33.040] - Silke Müller
Wenn wir das tatsächlich mal umschwenken zu digitaler Bildung, ist es glaube ich so, dass wir im ersten Schritt unseren Kindern hinterhereilen müssen, dass wir aufhören, digital und analog voneinander zu trennen. Das heißt, beide Welten gehören ja unabdingbar zusammen. Übrigens nicht nur in der Kommunikation, sondern ja auch in ganz, ganz vielen anderen Dingen. Und im Alltag nehme ich das wie selbstverständlich. So was weiß ich, ob ich bei McDonalds stehe oder bei einer anderen Fast-Food-Kette und ich muss da am Panel irgendwas bestellen. Ich habe mich unglaublich schwergetan. Warum kann ich da jetzt nicht einfach hingehen und mir einen Burger so bestellen? Oder ich sitze irgendwo im Restaurant und es kommt ein Bedienroboter oder wie auch immer. Medizintechnik, andere Technik in der Landwirtschaft ganz viel verankert ist es ja vollkommen normal geworden, mit Technologien umzugehen. Im schulischen Kontext wird es ja immer noch behandelt wie so ein Fremdkörper ganz oft. Und das ist es eben nicht und es darf auch nicht mehr sein. Und ich glaube, wir müssen digitale Bildung sehr strategisch verstehen. Zum einen braucht es sicherlich eine Festlegung Was sind die IT-Kompetenzen, die die Kids in Zukunft brauchen? Also ist es das klassische, dann sagt immer jeder ITler: "Silke, das ist keine IT-Kompetenz, wenn du von einem Word Dokument, das man formatieren soll, sprichst." Aber ihr wisst, was ich meine, du weißt, was ich meine, niederschwellig vielleicht. Es geht aber auch unbedingt ein Grundverständnis für künstliche Intelligenz, was in Schulen seit ChatGPT bestimmt mehr angekommen ist, aber eben auch nur so vereinzelt auf ChatGPT. Das heißt, es geht ja auch da um eine ethische Diskussion: Was macht künstliche Intelligenz und wie intelligent darf künstliche Intelligenz wirklich werden? Und das dritte ist, dass diese digitale Ethik das dritte Großziel sein muss und ich immer wieder Werte und Normen im Netz miteinander kommunizieren sollte. Und ich würde mal davon ausgehen, ihr habt bei euch mit Sicherheit Compliance Regelung, wie man miteinander umgeht. Jedes große Unternehmen hat es, aber gerade sozusagen im Netz gibt es ja noch nicht mal eine Konvention, wo ausgehandelt wurde, wie Menschen miteinander umgehen. Und das braucht es mit Sicherheit auch. Und ich glaube, dass digitale Bildung einfach nur Bildung ist, weil digital ist unsere Welt. Und diese 24 Skills, kritisches Hinterfragen, das Wichtigste, die 4K sozusagen, wichtigste Kompetenz für mich seit je her, hat ja nicht nur noch was mit der digitalen Welt zu tun, sondern auch mit der analogen, also mit beiden Welten.
[00:21:34.560] - Silke Müller
Und ich glaube, wie gesagt, die wichtigste Erkenntnis: Wir sollten gar nicht von digitaler Bildung, sondern von Bildung sprechen in einer, man sagt immer so schön Kultur der Digitalität. Ich stehe damit ein bisschen auf Kriegsfuß mit diesem Wort, sondern in der jetzigen Kultur einfach, die wir haben. Und da gehört das dazu. Und dann haben wir ein Grundproblem bei uns Lehrkräften, weil wir eben, das ist eher so diese Mentalität: Wir machen mal die Tür auf zur Welt, sehen dann was da draußen ist und sagen: "Oh Gott, huch die Welt", wir machen die Tür wieder zu und sagen: "Ne, mal lieber weiter wie bisher, weil das kann ich alles andere habe ich ja nicht gelernt." Und wir ziehen uns oft so ins Schneckenhaus zurück und dann passiert es, dass man analogen Unterricht einfach mit einem Tablet aufhübscht und das war's. Das kann nicht sein. Das heißt, diese drei Grundziele, gepaart mit einer Haltung, das eben letztlich digital vollkommen normal ist, führt glaube ich dazu, dass wir einen anderen Umgang mit Digitalisierung bekommen würden. Ich kann übrigens den Begriff Digitalisierung auch nicht mehr hören. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber...
[00:22:24.660] - Nadia Kailouli
Du hast ihn wahrscheinlich noch viel öfter gehört als ich, als Lehrerin. Aber was ich mich gerade auch frage, ist natürlich, wen zieht man da an erster Stelle in die Verantwortung? Natürlich, du hast die Politik angesprochen, gar keine Frage. Aber bis Politik was umsetzt, es dauert und ich weiß nicht, haben sie es auf dem Tisch, haben sie es nicht auf dem Tisch? Aber fangen wir mal niederschwelliger an, und zwar eben bei den Eltern, bei den Lehrern, bei den Schülern. Wer ist denn in der Verantwortung zu sagen, okay, ich kontrolliere die Inhalte, die da kommen, oder sollen wir überhaupt kontrollieren? Auf der anderen Seite sind dann oft Eltern total überfordert. Du hast jetzt gerade Beispiele genannt. Für viele Eltern ist es so: "Oh Gott, mir war gar nicht bewusst, dass man so was überhaupt übers Internet oder über Snapchat oder TikTok gezeigt bekommt." Du hast gerade deinen Account angesprochen Silke43, keine Ahnung, irgendwelche Schminktutorials und auf einmal ist man halt bei Silke14 und die kriegt ganz anderen Content dahin geliefert.
[00:23:19.590] - Silke Müller
Das ist so der Anfang dessen, dass wir alle zu wenig Kenntnis haben, was da eigentlich los ist. Wenn du fragst, wer ist verantwortlich? Dann würde ich in erster Linie davon ausgehen, wir haben 40.000 Schulen dieses Jahr im Land, dass mindestens mal die, ja wahrscheinlich ist nicht jede Stelle besetzt, aber 39.000 Schulleiter und Schulleiterinnen jetzt sagen: "Okay, was kann ich denn für mein kleines System tun?" Und ich wäre dann dafür: Führen Sie sofort so eine Social Media Sprechstunde ein. Es geht relativ easy, das zu tun. Man braucht einfach einen Kollegen, vielleicht übrigens auch mit Hilfe von Schülern manchmal, muss man ein bisschen vorsichtig sein, wie weit man die in diese Welten reinbringen will oder auch mit Eltern oder Ehrenamtlichen oder Sozialpädagogik, wenn es an einer kleinen Schule keine Lehrkraft gibt, die das machen möchte, die auch gleichzeitig übrigens einen guten Blick haben. Und mein Kollege Thomas, der recherchiert halt auch hin und wieder mal und gibt uns in einer Dienstbesprechung, das ist der zweite Schritt, uns Kollegen oder in der Lehrerkonferenz eben immer wieder ein Update und sagt: "Leute, das ist übrigens gerade los. Wundert euch nicht, wenn die Kinder das und das Verhalten zeigen, kann das dieser und dieser Trend bei TikTok sein." Beispiel Schultoiletten. Immer ist irgendwas auf Schultoiletten. Entweder es wird gezündelt oder die letzte Challenge, die wir massiv hatten, da werden dann, wird Klopapier nass gemacht, an die Wände so geschmissen, dass es hängenbleibt, und jeder fragt sich: Was soll das denn? Ja, TikTok- Challenge ohne Sinn und Verstand, aber TikTok-Challenge. Dann kann man das anderes besser einordnen und kriegt das übrigens auch schneller besprochen und vom Tisch, wenn man weiß, was dahintersteckt. Weil die Kinder uns ja auch gerne mal für blöd verkaufen. Das heißt, diese Social Media Sprechstunde kann Dreh und Angelpunkt sein, überhaupt mal erst mal in Kenntnis und auf Gesprächsaugenhöhe zu sein. Das ist total wichtig. Wir machen es auch bei uns, dass wir Elternabende geben, in denen wir die Eltern konfrontieren mit diesen Inhalten, damit sie genau dieses Bewusstsein haben und eben den Kindern mal die Hand anbieten und sagen: "Egal ob du den falschen Knopf gedrückt hast oder egal ob du was gesehen hast, wo du sagst Alter, ist das schlecht? Komm zu mir." Denn der schlimmste Satz für mich den Eltern sagen können und wenn du fragst, wo können wir niederschwellig anfangen, dass wir mal aufhören, das als Schande zu betrachten, wenn was Schlimmes passiert im Netz für die eigene Familie, weil ganz viele Eltern sagen: "Nee, also ernsthaft, bei uns ist das nicht so. Also ich habe das mal gehört, aber auch bei uns an der Schule nicht oder in der Klasse nicht." Dieser Satz kommt so häufig und das führt zu zweierlei Dingen. Natürlich, wenn den Kindern dann doch was im Netz passiert oder sie mistbauen. Die testen Grenzen aus und das Netz und die sozialen Netzwerke sind Teil der Kinder und Jugendkultur. Das gehört einfach dazu. Dann testen sie auch da Grenzen aus. Dann haben die ja total Schiss, dass das Handy weg ist. Wenn ich was sage, so nach dem Motto: "Oh Gott, das sackt Mama ja nur ein oder Papa." Gepaart, wenn meine Eltern sich dann noch vor mich hinstellen und sagen: "Mein Kind macht das nicht." Und ich dann sagen muss, okay, ist total stolz und jetzt enttäusche ich diesen Stolz. Das ist eine ganz, ganz blöde Kombi. Von der einen Seite, diese Emotion Stolz zu enttäuschen und auf der anderen Seite Angst haben vor, da passiert was, dann wird mein Kind mit Sicherheit nicht kommen und was sagen. Das heißt, dieses Schamgefühl, ich weiß nicht, wo es herkommt, das muss mal weg, weil es kann überall in jeder Familie und wenn sie noch so akademisch oder gut situiert ist, überall was passieren und dann ist das so und dann kann ich mit den Kindern sprechen, Bilder im Kopf löschen, vielleicht die Schule informieren uns sagen: "Komm, lass mal gemeinsam überlegen, wie wir da jetzt aus der Nummer rauskommen." Weil es sind mehrere Schüler beteiligt und hat eine andere Gesprächskultur ganz plötzlich. Also damit geht es im ganz kleinen los, dass wir überhaupt ein Gesprächs und eine Ansprechkultur entwickeln zu dem Thema.
[00:26:29.930] - Nadia Kailouli
Jetzt ist ja das eine, dass man Content bekommt, der Gewaltinhalte zeigt, aber es gibt ja immer mehr Fälle, eben auch von Kindern und Jugendlichen, die selber Gewalt-Content produzieren. Du hast es gerade gesagt, auf dem Schulhof passiert was und es wird gefilmt und dann verbreitet. Wie ist deine Einschätzung, Erkenntnis darüber? Warum sind Kinder und Jugendliche überhaupt in der Lage selber gewaltvollen Content zu produzieren?
[00:26:56.570] - Silke Müller
Also ich glaube, was man nicht unterschätzen darf und ich muss immer vorsichtig sein, dass ich nicht zu viel deute, sondern einfach erst mal feststelle, was man nicht unterschätzen darf, ist die Menge von Inhalten, mit denen Kinder bespielt werden. Das heißt wirklich dieser grausame Content bzw. Auch die... Es gibt bei TikTok übrigens und bei vielen anderen Kanälen sicher auch ganz viel Content, wie man Schüler mobben kann und die werden glasklar dargestellt. Ist mir ein Riesenrätsel, warum da keiner hinguckt und das mal meldet. So wie man, ich denke an den Fall von Heide, da wurde ein Mädchen eine Zigarette im Gesicht ausgedrückt, mit Flüssigkeiten übergossen usw. Von Mitschülerinnen, in Schleswig-Holstein ja in diesem Frühjahr. So was ist massenhaft bei TikTok zu finden, auch wie man wirklich jemanden degradiert und demütigt und so weiter. Das heißt, die Vorlagen an sich bestehen ja. Und wenn ich dauerhaft damit bespielt werde, kann mir keiner sagen, dass das nicht hängenbleibt im Kopf. Also es ist ja bei einem selber so, wenn man nur oft genug irgendwas sieht oder oft genug ein Vorurteil hört, irgendwann ist man so, keine Ahnung, was da jetzt wirklich los ist. Und ich glaube, dass diese Vorlagen dazu führen können, zumindest, dass die Hemmschwelle sinkt.
[00:27:55.190] - Silke Müller
Und das ist das, was selbst wir auf dem Dorf beobachten oder eben auf dem Land, wo man sagt okay, wir sind um Gottes Willen keine Großstadt bei uns, haben auch keine in der Nähe. Aber wir sehen eben trotzdem so eine Herabsetzung der Hemmschwelle dessen, was man sich sagt, was man sich antut und wie man miteinander umgeht. Und auch dieses klassische Mobbing gab es immer, gar keine Frage. Die Qualität und die Menge dessen ist allerdings eine andere geworden. Und ich finde, wir kriegen im Moment so viele Fälle bespielt, jetzt war es vor zwei Wochen hat der Bayerische Rundfunk über einen Fall in München berichtet, wo eine gespielte Massenvergewaltigung einer 12-Jährigen zum Thema wurde. Auf offener Straße wollten Mitschüler das Kind einfach demütigen, haben so getan, als wenn sie sie vergewaltigt haben. Das Mädchen war fix und fertig und ein Passant hat das schlichtweg wahrgenommen und dann die Polizei gerufen. Und diese Fälle an sich müssten doch schon jeden so aufrütteln, wenn man das hört. Das sind ja keine Einzelfälle, weil das ist jetzt sichtbar geworden, dann kann man irgendwie noch eingreifen. Aber was glaubst du, was da tatsächlich jeden Tag los ist und wie Kinder darunter leiden und manchmal erst Monate später sagen: "Boah, ich kann es nicht mehr aushalten."
[00:28:59.240] - Nadia Kailouli
Das ist nämlich auch meine Frage gewesen. Wie geht man dann mit Kindern als Lehrerin um, die das erlebt haben, die sowohl Gewalt-Content gesehen haben, Missbrauchsdarstellungen gesehen haben? Das ist ja auch nicht leicht zu verarbeiten, diese Bilder im Kopf dann. Und auf der anderen Seite hast du das Gefühl, dass Kinder und Jugendliche abgestumpft sind oder abgestumpft werden, weil sie so viel davon konsumieren?
[00:29:24.220] - Silke Müller
Ja, das glaube ich schon. Also das glaube ich eindeutig. Das kann ich sogar an mir selber festmachen. Ich konnte vor fünf Jahren noch nicht so viel Brutalität ab, wie ich das jetzt abkann. Also ich gucke mir halt die Dinge an und sage: "Oh ne, nicht schon wieder." Und damals hätte ich noch gesagt: "Oh mein Gott." Kann ich auch irgendwie schlecht einordnen. Ist das eigentlich jetzt gut? Ist das eine gewisse Art von Resilienz, dass ich tatsächlich einen Abwehrmechanismus entwickle und das nicht mehr so an mich ranlasse? Das kann ja bei Kindern auch der Fall sein. Mindestens aber glaube ich, müssen wir da sehr differenzieren, wie die Kinder mit diesem Konsum umgehen. Es gibt ja die, die kommen sofort und sagen: "Boah, ne, guck mal, boah ne, was da passiert ist." Dann habe ich die größte Chance, mit den Kids zu reden und zu arbeiten sofort. Oder ich sehe zum Beispiel, jemand ist irgendwie traurig, zurückgezogen und ich kann mal so anfangen mit den Kindern zu reden und kriege dann vielleicht was mit. Die Kinder, die ganz viel mit sich selber ausmachen, so einen Schein wahren und man nicht weiß, was ist denn deren Köpfen los. Das sind für mich die Gefährdendsten. Die haben oft zu Hause niemanden, über die müssen wir eben auch sprechen, die kein stabil... Wir reden immer über die Eltern, aber für manche Kinder gibt es gar nicht die Eltern. Die haben halt niemanden, den sie ansprechen können. Und ich glaube, die Grunddramatik ist, wenn ich das so erlebe, wenn ich an diese Kinder denke, denen solche Sachen passieren. Wir greifen ja erst dann ein, wenn was passiert ist. Und die Kids haben dieses Trauma überlebt. Und dann kann man echt nur mit großer therapeutischer Arbeit manchmal miteinander arbeiten. Ob man das jemals wieder so richtig gelöscht kriegt aus dem Hirn, glaube ich nicht. Das ist einfach da. Und es macht mir unfassbar große Sorge, was das für eine Bedeutung für das spätere Leben hat, für Unbeschwertheit, für Glück in Kindheitstagen und so weiter.
[00:30:53.270] - Nadia Kailouli
Inwieweit, ich glaube, das ist keine direkte Frage, sondern eine Feststellung, sind ja die Betreiber dieser Apps wie Snapchat, TikTok oder sonst was ja mitverantwortlich, finde ich, weil diese Plattform eben da keine Regularien wirklich hat oder wenn, gut, du kannst was melden, aber bis das dann greift und dann sind es wieder andere, die was teilen. Aber inwieweit würdest du sagen, sind solche Apps, die ja eigentlich auch immer nur eine gewisse Lebedauer haben? Also wie du schon sagtest, Facebook, wer heute noch auf Facebook ist, ist alt. Ja, ich habe mit Facebook angefangen, da war ich noch jung. Jetzt TikTok, Snapchat. Es kommt ja immer wieder was Neues dazu. Aber inwieweit ist oder was würdest du dir wünschen von politischer Seite, was der Umgang mit den Betreibern ist? Weil die geben ja überhaupt erst die Plattform im Wortsinn, dass man Kinder und Jugendliche erreicht und dann eben auch mit diesen Content erreicht.
[00:31:44.460] - Silke Müller
Genau. Und die haben mit Sicherheit ja auch ihre Filtertechnologien, dass sie versuchen, rauszufiltern, wenn grausame Inhalte usw. zur Verfügung stehen. Nur das kann ja sehr leicht immer unterwandert werden. Das ist ja, sie kriegen halt nicht alles gefiltert. Und ich glaube auch, dass da Regularien festgelegt werden müssen, möglicherweise so begrenzte Zeitsperren oder was weiß ich. Also da wiederum würde ich auch das, was du vorhin gesagt hast, darauf pochen, dass irgendjemand die brennende Idee hat und sagt, so können wir es regulieren und eindämmen. Und das sind die technischen Einstellungen dahinter, die man vornehmen kann. Wenn ich aber zum Beispiel, heute habe ich eine Ankündigung von Snapchat gesehen, die jetzt ChatGPT in ihren Messenger-Dienst einbauen. Das heißt, ich habe demnächst meinen persönlichen AI, sozusagen mein Chatpartner. Und die haben da ein Beispiel gemacht, wo es darum ging: "Hey, mich hat jemand angesprochen, total netter Typ" und das Personal-AI antwortet dann mit: "Das ist ja super, erzähl doch mal ein bisschen über den", und dann erzählt man und so weiter. Und dann, wenn wir jetzt an Cybergrooming denken, sagt das Kind dem Personal AI: "Ja du und ich will mich mit dem treffen, was ist denn super für so ein erstes Treffen?" Und dann sagt dieses Personal-AI: "Denk an Kerzen, denk an schöne Musik. Es ist ganz wunderbar, sich in eine junge Liebe zu begeben."
[00:32:53.960] - Nadia Kailouli
Scheiße.
[00:32:54.590] - Silke Müller
Ja, genau. Und da frage ich mich, okay, was denn noch? Was ist jetzt das Nächste? Weil man ja auch immer das Gefühl hat, man kommuniziert persönlich. Und ich weiß nicht, ob so was sein muss. Ich weiß nicht, ob so was sein darf und ich weiß nicht, ob man da regulierend eingreifen muss. Aber ich glaube wieder: Gehst du in die Politik, ich will da niemanden angreifen, sagen viele wahrscheinlich: "Snapchat habe ich mal gehört, aber ich weiß nicht, was das ist." Und das ist Anfang und Ende der Geschichte. Das heißt, auch da gibt es natürlich gute Leute in den Referaten, die sich kümmern und die gucken und Cyberkriminologie und so weiter und so fort. Das soll auch wirklich nicht angreifend klingen. Ich glaube nur, wir müssen den Fokus anders setzen, dass wir den Kinder und Jugendschutz im Netz an eine völlig andere Ebene heben.
[00:33:32.010] - Nadia Kailouli
Und greift das, wenn du als Lehrerin deinen Schülerinnen und Schülern über Kinder- und Jugendschutz aufklärst und in dem du im Unterricht dann vehement immer sagst: "Wenn ihr angeschrieben werdet von irgendwelchen Leuten, trefft euch nicht direkt, erzählt es entweder dem Vertrauenslehrer, erzählt es zu Hause.“ Ich weiß es nicht. Greift so was noch? Zählt das noch oder will das keiner mehr hören in der Schule?
[00:33:50.370] - Silke Müller
Das ist die Problematik der Prävention. Wir haben super, also keine Ahnung, ob es uPort, ob es Klicksafe, ob es ganz viele andere Initiativen gibt. Die machen geile Arbeit. Aber selbst die sind an so einer Grenze, dass sie sagen: "Ja, aber es passiert trotzdem zu viel und trotzdem erreichen wir die Kids teilweise nicht mehr." Und ich mache dir mal ein Beispiel: Ich habe in einer sechsten Klasse ging es auch um Pornografie und so weiter und so fort. Und da habe ich mit den Kindern gesprochen, weil da ging es um das hin- und her senden von Bildern bei Snapchat. Und ein Mädel hat da ziemlich Mist gemacht irgendwie. Und dann habe ich gesagt: "Leute, wenn ihr eure Bilder verschickt, was passiert denn dann?" Dann kommt die klassische Antwort: "Ja, da gibt es ja nicht nur nette Leute und das ist ja auch so, das mit Missbrauch und so." Die eiern dann halt so rum. Und ich habe dann zu einer ganz drastischen Maßnahme gegriffen und gesagt: "Leute, ihr geht mir echt auf den Zeiger. Ihr redet so drum rum. Was machen denn die Leute?" Dann gucken mich die Kinder wirklich mit großen Augen an. Dann sage ich: "Dann stellt euch doch mal vor, dass da eben nicht Philipp 15 sitzt, sondern...", Wenn jetzt jemand Karl Heinz heißt, entschuldige mich, ich muss euch immer für die Namen entschuldigen, die ich da verwende, "wenn Karl Heinz 55 auf dem Sofa sitzt, der zieht sich seine Hose runter, guckt sich euer Bild an und dann wisst ihr, was er damit macht." Und dann sagen die Kinder, kriegen plötzlich große Augen und sagen: "Oh mein Gott!" Ich sag: "Ja, aber darüber reden wir." Das heißt, möglicherweise müssen wir auch eine völlig andere Betroffenheit bei Kindern mal erzeugen, auch wenn es Angst macht, auch wenn es sicherlich pädagogisch ganz vorsichtig betrachtet werden muss, wie und wann und an welcher Stelle sensibilisiere ich. Aber damit schütze ich die Kinder manchmal, indem ich klare Beispiele aufzeige, was passieren kann. Das ist der, wenn ich das mal ergänzen darf, der gleiche Punkt, dass ich immer versuche, meine Kinder vor allem zu schützen. Das kann ich nicht im Netz. Selbst wenn ich bei mir zu Hause alles mache, weiß ich auf dem nächsten Kindergeburtstag kann mein Kind mit Inhalten in Berührung kommen. Also denke ich doch lieber vom worst case, was muss ich alles aufklären, damit das nicht eintritt? Und mit welchen drastischen Worten, damit die Kinder auch sagen: "Um Gottes willen, das mache ich auf keinen Fall, weil ich weiß, was im worst Fall passieren kann."
[00:35:37.310] - Nadia Kailouli
Ich weiß, was glaube ich auch jetzt im worst Fall passieren kann. Und zwar, dass viele Leute sagen: "Sag mal, ist bei Frau Müller eigentlich noch alles in Ordnung? Dass die jetzt sagt: Ich soll meinem Kind also erzählen, dass Karl Heinz sich da im Wortsinn einen runterholt auf dein Bild." So, da werden jetzt viele Eltern sagen: "Nee, also das geht uns hier zu weit. Wir möchten nicht, dass unsere Kinder überhaupt damit in Berührung kommen", dass eine Lehrerin. Es gibt super viele Eltern, die jetzt sagen: "Stopp, das geht mir zu weit." Wie geht man da im besten Fall um?
[00:36:04.600] - Silke Müller
Indem ich immer wieder sage: Das können Sie gerne machen, diese Haltung, des total überschützen. Aber dann setzt man den Kindern eben sehr, sehr große Gefahren aus. Bei mir war es auch eine Entwicklung, dahin zu kommen. Und das ist sicherlich nicht die Art der Prävention, die ich will. Aber wenn ich alles gemacht habe und solche Fälle treten trotzdem auf. Ich muss mein Kind irgendwie wirklich bestmöglich schützen. Das bedeutet auch, dass ich sie sozusagen, dass ich mal auch da Begriffe wie Pornografie und so weiter entmystifiziere und sage, was bedeutet das? Und das besprechbar machen, sag was ist normale Sexualität? Was ist angemessen? Ich würde gerne diese Eltern, die dann immer so... Das ist kein Überbehütend, das ist natürlich ein beschützen wollen. Ganz klar, das verstehe ich auch. Aber ich würde sie so gerne wachrütteln und sagen: "Gucken Sie sich die Bilder an, die Ihre Kinder möglicherweise sehen. Gucken Sie sich an, wer sie demnächst anschreibt bei Snapchat, bei irgendwelchen Spielen und so weiter und so fort und wie Kinder dann reagieren." Das muss doch mein ureigenster Sinn sein, mein Kind vor all dem zu schützen. Das bedeutet auch, dass ich im Zweifel dann überlegen muss, wenn alles nicht mehr wirkt, was ist dann der nächste Schritt und was ist die Welt da draußen wirklich geworden? Die darf ich ja nicht verschweigen. Diese Welt gibt es ja nun mal leider. Und die haben wir ja, wir Erwachsenen, ermöglicht. Und wenn du mich fragst, was sagst du den Eltern? Dann sage ich: Bitte, bitte steigen Sie mit mir in den Ring, steigen sie mit allen anderen in den Ring, die dann auch eine krasse Auffassung haben. Aber schützen wir bitte zusammen die Kinder. Das ist ja nichts Böses, das ist auch nichts Verrohendes, sondern es ist wirklich ein Schutz, den wir versuchen zu gehen. Denn das, was ich tagtäglich sehe, das, was mir Kolleginnen und Kollegen schildern und auch Schüler schildern. Und übrigens ich habe für acht deutsche Auslandsschulen in Amerika gerade einen Vortrag gehalten, Washington, D. C. und Umgebung, die erzählen genau das Gleiche und haben tatsächlich die gleichen Probleme vor der Brust mit den gleichen Plattformen, den gleichen Entwicklungen und Fällen. Da muss man wirklich hingucken und sagen, wir müssen uns alle mal ein bisschen wachrütteln und sagen: Die Welt ist nicht mehr die der Püppchenhäuser und Autorennen, das ist leider vorbei.
[00:37:53.940] - Nadia Kailouli
Boah Silke, jetzt hast du aber hier echt was losgetreten, auch in mir, wo ich mir denke, puh, weil ich habe Lehrerinnen und Lehrer in meinem Bekannten- Freundeskreis und ich kriege davon irgendwie immer eine Sache so extrem mit. Die Eltern sind so ein bisschen auch beratungsresistent und denken sich so: "Also ganz ehrlich, nur weil jetzt Sebastian meiner Tochter dieses Video geschickt hat und meine Tochter es weitergeschickt hat, weiß ich nicht, warum ich jetzt hier sitze. Das ist bitte ihre Aufgabe als Lehrerin oder als Lehrer dafür zu sorgen, dass Sebastian so eine Videos erst gar nicht rumschickt." So, was macht man da?
[00:38:29.710] - Silke Müller
Also das ist, also ich sage mal so, wir sind dann in der Helikopter-Diskussion quasi bei den Eltern. Auch das muss man besprechbar machen. Ich sage den Eltern aber übrigens unserer ganzen Gesellschaft immer wieder, wir Erwachsenen sind die schlechtesten Vorbilder im Netz. Es geht los mit übrigens WhatsApp Gruppen zwischen Eltern. Wie manchmal wir Lehrer da hin und her gejagt werden: "Der hat in Mathe wieder das...", und wieder geschimpft wird und jemand auch demontiert wird letztlich. Muss man sich überlegen, ob es richtig ist, wenn ich mich darüber aufrege, wie Kinder miteinander schreiben, weil die so was oftmals ja auch mitbekommen. Und Aufgabe von Schule ist es mit Sicherheit auch Probleme am Nachmittag und in der Nacht als die sozusagen von der Schule zu lösenden Herausforderungen anzunehmen, weil die Kinder, sobald sie miteinander in Interaktion sind, ist es auch Sache der Schule. Ist meine ureigenste Einstellung. Ich kann nicht sagen, nur weil 17 Uhr ist und das mit Schule nichts mehr zu tun hat, geht Schule nichts an, das geht nicht. Gleichzeitig müssen Eltern aber auch an der Stelle sagen, okay, das ist jetzt vielleicht mal in der Schule passiert oder wir haben einen Fall, obwohl die Prävention gehabt haben und so weiter. Die Frage muss immer sein, wie kriegen wir es zusammen hin? Ich mache für mich immer so ein Bild auf am Anfang des Sommers, wenn die Kinder wieder aus den Sommerferien kommen und die Fünftklässler bei uns eingeschult werden, sage ich ganz gerne immer: Stellen Sie sich bitte vor, wir sind in so einem Ruderboot und da sitzen Sie als Eltern, wir als Lehrer, nur die Kinder, um sportliches Training zu haben, schwimmen bitte brav hinterher, aber wir geben die Richtung an einem Boot. Sobald das sich verändert und sobald ich sozusagen immer meinem Kind zur Seite springe, am besten Fall in der Schule anrufe, während das Kind noch daneben sitzt und sagt: "Wie könnten Sie nur, wie konnte Frau und Herr nur", haben wir für erfolgreiche Erziehung keine Chance mehr. Das kann man drehen und wenden, wie man will. Da kann man Lehrer doof finden, wie man möchte und wir sind bestimmt spezielle Menschen, aber dann haben wir verloren. Sobald wir uns nicht gemeinsam in einen Raum setzen und sagen, im Grunde wie beim Papst, bis der Weiße Rauch aufgeht wird hier gestritten, aber niemals vor den Kindern.
[00:40:17.160] - Nadia Kailouli
Silke, wir haben heute glaube ich ganz viel gewonnen, dass wir dich hier als Gast hatten bei einbiszwei. Wir reden schon ziemlich lange und wir könnten ewig weiterreden. Aber ich würde nur sagen, man sollte sich dein Buch durchlesen und man sollte sich ein paar Worte, die du heute hier losgeworden bist, mal zu Herzen nehmen. Silke Müller, vielen Dank.
[00:40:31.260] - Nadia Kailouli
Ich danke dir.
[00:40:35.290] - Nadia Kailouli
Ja, wenn man das so hört, was Silke Müller jetzt gerade hier alles erzählt hat, da will man doch den Kindern gleich das Handy am liebsten wegnehmen, aber das geht natürlich auch nicht. Aber ich glaube, was ganz gut rausgekommen ist, ist, man muss drüber reden. Man muss einfach offen darüber reden, was da passieren kann oder zum größten Teil ja auch passiert über sämtliche Plattformen, welche Inhalte da geteilt werden und dass das einfach nicht korrekt ist. Und man braucht halt einfach den transparenten Umgang damit, dass durch das Smartphone sexuelle Gewalt und Missbrauch stattfinden kann.
[00:41:05.340] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de.
Mit der Schulleiterin Silke Müller haben wir darüber gesprochen, welch verstörenden Content sich Schüler:innen schicken: Tierquälerei, sexuelle Gewalt gegen oder unter Kindern, Mobbing, Schlägereien. Uns erzählt sie, wie man dagegen vorgehen kann.
Mehr Infos zur Folge
Viele Medieninhalte, die Schüler:innen heute über Chats oder soziale Plattformen konsumieren, sind hochproblematisch: Pornos, gefährliche Mutproben, sexuelle Gewalt gegen oder unter Kindern.
Silke Müller möchte eine ethische und demokratische Werteerziehung in der digitalen Welt und appelliert an Eltern, Lehrkräfte und die Politik, längst überfällige Grundlagen für eine zeitgemäße, an Werten orientierte Medien-Erziehung zu schaffen.
Silke schreibt:
„Ich habe den Eindruck, kaum jemand erkennt das Problem in seiner ganzen Dimension. Es geht nicht um Bildschirmzeit, es geht um Inhalte!
Kinder und Jugendliche sind einer Flut von Gewaltdarstellungen, sexualisiertem und verfassungsfeindlichem Content ausgesetzt – wenn ich auf Elternabenden zeige, was da millionenfach geklickt wird, etwa Seiten, die Raubüberfälle, Vergewaltigungen, Morde zeigen, dann höre ich immer wieder:
‚Wir hatten keine Ahnung, dass so etwas überhaupt möglich ist.‘
Seit einigen Jahren kommen neue Plattformen dazu, auf denen Kinder massenweise eigenen Content produzieren. Erst Snapchat, dann Tiktok, aber auch Messenger-Dienste wie WhatsApp. Und obwohl Kinder theoretisch sehr genau wissen, was sie dürfen und was nicht, dass es Alterssperren gibt oder das Recht am eigenen Bild, halten sie sich oft nicht daran.”
Was man machen kann, um die Enthemmung im Netz einzugrenzen, erzählt sie hier bei einbiszwei.
LINKSAMMLUNG:
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@SilkeWSH
Silke Müllers Buch zu diesem Thema landete auf der SPIEGEL-Bestsellerliste:
Buchreport | „Wir verlieren unsere Kinder!”
Auch der NDR berichtete über Silke Müllers Buch:
NDR | "Wir verlieren unsere Kinder": Was Kinder im Netz sehen und tun