Podcast | Folge: 64 | Dauer: 41:05

Was ist ein Childhood-Haus, Astrid Helling-Bakki?

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[00:00:02.590] - Astrid Helling-Bakki

Wir tun zu wenig momentan. Wir haben gute Anlaufstellen in Deutschland. Es hat sich viel entwickelt in den letzten 10, 20 Jahren. Aber in dem Umfang, wie wir in einem Childhood-Haus sehen, wie wir arbeiten können und was dort notwendig ist, was abgefragt wird, das können wir bei weitem noch nicht leisten. Weder flächendeckend noch mit zehn Häusern können wir auch nur einige tausend Kinder erreichen. Und das sind schon viele, denen wir dadurch einen Weg eröffnen.

[00:00:30.690] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:00:55.630] - Nadia Kailouli

Jedes Kind hat das Recht auf eine beschützte, liebevolle und sichere Kindheit, frei von sexuellem Missbrauch und Gewalt. Ja klar, sagt da jeder. Aber das ist eben alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Für einen besseren Kinderschutz setzt sich seit 1999 die World Childhood Foundation ein. Die Organisation, die von Königin Silvia von Schweden gegründet wurde, ist mittlerweile in Deutschland, Schweden, den USA und Brasilien vertreten und arbeitet aktuell mit mehr als 60 Partnerorganisationen aus 14 Ländern zusammen. Childhood verfolgt dabei klare Ziele: Die Rechte der Kinder schützen und vor allem die Lebensbedingungen der Kinder verbessern, die bereits Opfer von Missbrauch oder Misshandlung geworden sind. Eine besondere Idee für einen besseren Kinderschutz sind dabei sogenannte Childhood-Häuser. Die Idee dahinter ist simpel: Bisher werden Kinder, die missbraucht wurden, von einer Station zur nächsten weitergereicht und müssen bei der ärztlichen Untersuchung, dann bei der Polizei und dann beim Jugendamt und womöglich auch noch mal vor Gericht das, was passiert ist, wieder und wieder erzählen. Das Childhood-Haus will diesen quälenden Marathon beenden und stellt deshalb das Kind ins Zentrum. Und hier kommen alle Beteiligten zum Kind, das sich nur einmal daran erinnern muss. Wie das funktioniert, erzählt mir die Geschäftsführerin von Childhood Deutschland, Dr. Astrid Helling-Bakki.

[00:02:11.660] - Astrid Helling-Bakki

Hallo!

[00:02:12.120] - Nadia Kailouli

Hallo. Frau Helling-Bakki, Sie sind Geschäftsführerin der Childhood Foundation. Vielleicht erklären Sie einfach selber mal, was ist denn das genau?

[00:02:21.600] - Astrid Helling-Bakki

Die World Childhood Foundation ist eine gemeinnützige Stiftung. Wir arbeiten spendenbasiert, und zwar ausschließlich in dem Themenbereich Schutz vor Gewalt und vor allem sexualisierter Gewalt gegen Kinder an der Stelle. Und das variiert von Projektunterstützungen, programmatischer Entwicklung von dem Präventionsbereich in dem Feld bis hin zu Angeboten zu Unterstützungsschutz in Verfahren, in der Klärung solcher Fragestellungen und auch in der langfristigen Unterstützung von Betroffenen.

[00:02:52.900] - Nadia Kailouli

Das klingt jetzt so wahnsinnig durchdacht und theoretisch und so, aber wir sprechen ja von Kindern eben, die sie schützen wollen vor sexueller Gewalt. Wie kann ich mir denn diese Arbeit dann in so einer Foundation vorstellen? Also man kennt sie vor allem ja auch durch die Königen Elisa... Wie heißt sie von Schweden

[00:03:11.760] - Astrid Helling-Bakki

Silvia.

[00:03:12.350] - Nadia Kailouli

Genau, Elisabeth, die war eine andere. Aber das wurde ja, glaube ich, von ihr so ins Leben auch gerufen, diese Organisation. Wie kann ich mir das vorstellen? Sind da ganz viele Frauen, die sich darüber beraten, wie können wir Kinder am besten schützen oder wie sieht so eine Arbeit in dieser Childhood Foundation aus?

[00:03:29.480] - Astrid Helling-Bakki

Die Stiftung selbst ist eigentlich aus einer Idee und einem Wunsch entstanden, wirklich von Königin Silvia von Schweden selbst, die mit all ihrem gesellschaftlichen Engagement und ihrer Präsenz auch immer wieder Kinder erlebt hat, gesehen hat in prekären Situationen, die Gewalt erlebt haben und insbesondere sexualisierte Gewalt. Und vor jetzt fast 25 Jahren hat sie gesagt, das Thema hat zu wenig Aufmerksamkeit, es wird tabuisiert, dem müssen wir entgegenstehen und hat vier Stiftungen aus dem Hut gezaubert. Wir sind nämlich vier World Childhood Foundation International und hat diesen Stiftungen den Auftrag gegeben, mit Fördermitteln, aber auch mit inhaltlicher Entwicklung zu gucken, was sind gute Projekte, gute Unterstützungsmöglichkeiten? Wie wird Kindern wirklich geholfen? Wie werden sie wirklich geschützt? Und diese Projekte weltweit zu suchen und zu unterstützen und auch selber mitzuentwickeln. Das heißt, wir sitzen jetzt in der Stiftung und haben zum einen natürlich damit zu tun, dass wir Spenden einsammeln müssen, um überhaupt dafür tätig sein zu können. Und auf der anderen Seite wirklich mit ganz, ganz vielen Menschen aus der Praxis, aber auch mit Betroffenen zusammenzuarbeiten und zu gucken, an welchen Stellen können wir ansetzen? Wo ist Hilfe besonders notwendig und wo können wir mit finanzieller Förderung, aber auch mit inhaltlicher Entwicklung durch Experten, die wiederum auf unserer Seite sind, der Stiftung, die wir mit Fachleuten verbunden sind, neue Projekte auf den Weg bringen. Und so ist dann auch das Childhood-Haus in Deutschland entstanden als ein Best Practice Pilotprojekt, das praktisch Kindern und Jugendlichen helfen soll, die von sexualisierter Gewalt und anderen Gewaltformen vermutlich betroffen sind oder wo auch schon Beweise bestehen, ihnen zu helfen und ihnen auch einen Weg durch Verfahren zu ermöglichen.

[00:05:14.430] - Nadia Kailouli

Jetzt haben Sie es gerade angesprochen, das Childhood-Haus, dass das die direkte Anlaufstelle eben dann auch ist. Ja, da wird einem dann geholfen. Vielleicht können Sie uns noch mal erklären, was ist genau ein Childhood-Haus? Also ist das wie so ein Kindergarten und da kommt man hin und wird beaufsichtigt und da wird mit einem gesprochen und aufgeklärt oder was ist das genau?

[00:05:33.670] - Astrid Helling-Bakki

Das Childhood-Haus hat zwei ganz besondere Seiten. Das eine bietet wirklich einen Anlaufort, wo Professionen zusammenkommen, nämlich die Menschen und Fachleute, die vor allem gefragt sind, wenn man vermutet, dass ein Kind Gewalt erlebt hat. Das heißt Mediziner, Rechtsmediziner, die für Untersuchungen da sind. Das sind aber auch natürlich Menschen aus der Jugendhilfe, Sozialpädagogen, die unterstützen, beraten, dort Hilfestellung geben, die Jugendämter, die einen Schutzauftrag haben und einen Klärungsauftrag an dieser Stelle und natürlich auch die Ermittlungsbehörden. Polizei, die vernehmen muss, auch Kinder vernehmen muss, wenn die potenziell Opfer sind und auch die Richterschaft Staatsanwaltschaft, die dann in solchen Verfahren versucht eben auch die Täter oder Täterinnen zu verurteilen. Und all diese Personen, die das Kind sonst einzeln aufsuchen müsste bei diesen ganzen Fragen, sind zusammen unter einem Dach und werden um das Kind herum organisiert. Das ist so das eine, was besonders ist. Und das andere ist, dass das Kind wirklich ins Zentrum gesetzt wird, dass wir uns bei allen Schritten in einem Childhood-Haus immer wieder fragen: Was braucht das Kind, was braucht es, um hier gut durchzukommen? Welche Unterstützung braucht es? Was wurde vielleicht auch noch nicht gesehen? Was müssen wir tun? Und wie können wir ihm auch helfen, diese sehr anstrengenden und schwierigen Klärungsschritte, denn eine Untersuchung ist nicht angenehm und auch eine Vernehmung ist nicht angenehm, die bestmöglich zu bewältigen? Also Ziel ist, dass ein Kind gestärkt und gestützt durch all diese verschiedenen Prozesse herauskommt und dafür diese Anlaufstelle speziell geschult, speziell aufgestellt ist und dafür die Leute alle darauf eingeschworen sind, genau das so zu machen.

[00:07:14.540] - Nadia Kailouli

Bevor sie aber natürlich einem Kind helfen können, da rauszukommen aus dem, was Sie gerade geschildert haben, muss ja das Kind erst mal reinkommen in das Childhood-Haus. Wie findet denn eine Familie oder ein Kind oder eine Jugendliche den Weg zu Ihnen?

[00:07:29.200] - Astrid Helling-Bakki

Das ist ganz unterschiedlich. Sie können sich das so vorstellen, dass ein Kind oder ein Jugendlicher in seinem Alltag natürlich etwas erlebt und nicht unbedingt gleich erzählt. Das heißt, es gibt manchmal beunruhigende Situationen, wo es dem Kind nicht gut geht, manchmal irgendwelche Bemerkungen, die man noch nicht richtig zuordnen kann. Manchmal gibt es auch ganz konkret Beschreibungen, was passiert ist. Wir wissen, dass Kinder sich durchaus Erwachsenen und auch anderen offenbaren und ihnen erzählen, wenn ihnen zum Beispiel sexueller Missbrauch geschehen ist. Dann ist aber die Frage, was passiert? Wer hat es gehört und wer kann den Weg bahnen an der Stelle? Manchmal kommen Kinder und Jugendliche selber in Childhood-Häuser und sagen: "Hier, ich habe gehört, dafür seid ihr da. Helft mir, ich habe hier ein Problem an dieser Stelle." Das ist aber ehrlich gesagt sehr, sehr selten, weil das ist ein unglaublich schwerer Schritt. Und es ist natürlich auch schwierig zu wissen, wie man das Ganze macht. Das heißt, was viel häufiger passiert, ist, dass zum Beispiel Menschen aus dem Umfeld, aus der Familie ein Childhood-Haus kontaktieren oder dass schon die Schule involviert war und eventuell auch dem Jugendamt schon Bescheid gesagt hat oder andere Hilfestellen sich an das Childhood Haus wenden und sagen: "Wir haben hier eine Familie, da ist aber noch ganz schön viel mehr im Argen, um das wir uns kümmern müssen." Und man muss auch sagen, natürlich ist eine Sache auch, was passiert, wenn es schon bei der Polizei ist. Also vielleicht hat jemand dort eine Anzeige erstattet oder es ist Bildmaterial aufgetaucht von Missbrauchsabbildungen im Internet und man hat das Kind rückwirkend gefunden aus diesen Bildern heraus. Das sind alles Möglichkeiten, wie Kinder und Jugendliche zu einem Childhood-Haus kommen. Und das ist auch das Wichtige. Es ist eine unglaublich wichtige Netzwerkarbeit allen Leuten, die mit solchen Kindern zu tun haben und das sind letztendlich alle, die im Alltag mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, dass die Wege aufgezeigt kriegen, wie sie sich ans Childhood- Haus wenden können.

[00:09:22.510] - Nadia Kailouli

Wie geht man dann Schritt für Schritt mit diesem Kind am besten um, wenn es dann zu ihnen gebracht wird oder empfohlen wird, sich bei ihnen, ja also kleine Kinder können sich ja bei Ihnen nicht melden. Aber nehmen wir jetzt mal an, das Jugendamt sagt: "Hier, bitte kümmert euch Kind XY, wir weisen das jetzt mal zu euch hin." Oder wie funktioniert das? Vielleicht fangen wir mal so an. Wer sagt denn dann, gehen Sie da mal bitte hin und wem sagt man das? Den Eltern? Haben dann Jugendämter die Obhut über dieses Kind oder wie funktioniert das?

[00:09:50.980] - Astrid Helling-Bakki

Sie haben schon ganz viele Beispiele genannt. Alles ist möglich, weil es ganz unterschiedlich ist, wer mit welchem Verdacht oder welcher konkreten Fragestellung kommt. Wenn ein Jugendamt sich schon Sorgen macht und sagt, wir haben hier eine Kindeswohlgefährdungsabklärung, dann hat das Jugendamt ein ganz hohes Interesse, dass das Kind vorgestellt wird und kann das entweder selber tun, wenn sie das Kind in Obhut genommen haben oder dort ein Einverständnis der Eltern haben. Oder sie können mit den Eltern darauf hinwirken, dass die Eltern es dort vorstellen. Das ist wirklich ganz unterschiedlich. Und so viele Personen oder Stellen, die ich Ihnen genannt habe, von wo das Kind kommen kann, so unterschiedlich können die Wege dann letztendlich auch sein. Und das Wichtige ist genau, was Sie gesagt haben, nämlich die Kinder und Jugendlichen dann wirklich auch gezielt aufzufangen an dieser Stelle. Den Weg, wie sie kommen, suchen sich die Kinder meistens gar nicht so richtig selber aus, sondern das nimmt dann unterschiedlichen Läufe. Wenn sie aber im Childhood Haus sind, dann ist vor allem das Wesentliche und der Anfang viel Zeit, Ruhe, dem Kind und Jugendlichen alles zu erklären, wozu sie da sind, was das Haus für sie machen kann, was dort auch gegebenenfalls noch zu tun ist, wer mit den Kindern spricht und es wird sehr viel Zeit darauf verwandt zu gucken: Warum bist du hier? Wie geht es dir damit? Was weißt du überhaupt schon über den Grund, warum du hier bist? Also das ist ja oft, dass schon ganz viel über das Kind geredet wurde, aber noch gar nicht so viel mit dem Kind geredet wurde an der Stelle. Und das sind alles so Sachen, die erst mal aufgefangen werden, wofür sich Zeit genommen wird und dann auch ganz kleinschrittig erklärt wird: Wir haben hier die Sorge, dass dir was passiert ist. Es wäre gut, wenn wir dich untersuchen könnten und ein Arzt, eine Ärztin dich anschaut für den und den Grund. Wir zeigen dir den Untersuchungsraum. Wir erklären dir alles. Du kannst sagen, was du willst, was du nicht willst. Das sind alles Sachen, die in dem Childhood-Haus mit viel Ruhe und auch altersgerechter Erklärung immer wieder ermöglicht werden und auch in jedem Schritt begleitet werden. Das sind ja Sachen, die viele Stunden in Anspruch nehmen oder mehrere Besuche in Anspruch nehmen. Oder mal ist es eine Untersuchung, die ansteht, mal ist es eine Vernehmung, die ansteht. Das heißt, da ist einfach sehr viel Zeit notwendig, die Kinder wirklich ins Zentrum zu setzen, sie zu befähigen, sie zu informieren und sie Schritt für Schritt auch aktiv mitnehmen zu können auf diesem ganzen Prozess.

[00:12:06.170] - Nadia Kailouli

Was wäre denn so ein Fall, wo Sie es uns mal anhand eines Falles eben erklären können, der Ihnen vielleicht auch so jetzt erst kürzlich widerfahren ist oder passiert ist, wo Sie gesagt haben, diesem Kind haben wir dann geholfen in diesem Haus. Also lebt man dann bei Ihnen, wohnt man bei Ihnen, schläft man bei Ihnen, wird man nach Hause gebracht oder wie können Sie uns das noch mal näherbringen?

[00:12:24.990] - Astrid Helling-Bakki

Also man übernachtet dort nicht. Das ist kein Ersatz für eine Inobhutnahmestelle oder eine Station oder ein Kinderheim oder ähnliches, das ist es nicht. Also wir arbeiten natürlich eng, die Childhood-Häuser mit diesen Stellen zusammen auch. Aber die Childhood-Häuser sind wirklich punktuelle Kontaktstellen. Man kommt dorthin, wir sagen auch dazu sie sind ambulant, das heißt, man bleibt nicht dort über Nacht, sondern man kommt für einen gewissen Teil, für eine gewisse Fragestellung dorthin und wird drumherum begleitet natürlich auch noch mit telefonischen Kontakten und so weiter und so weiter. Das heißt, wenn ein Kind zum Beispiel jetzt sich geäußert hat in der Schule oder im Kindergarten, dass ihm etwas Ungutes widerfahren ist, vielleicht gar nicht so genau gesagt hat, was dem eigentlich passiert ist, aber sagt irgendwie: "zu Hause ist was passiert", oder: "Ich war da und da und mir hat jemand wehgetan", oder ähnliches. Und dann ist es in der Regel so, dass wenn es gerade in Kindergärten oder Schulen passiert ist, dass die sowas ja auch den Jugendämtern berichten müssen an dieser Stelle und auch dort eben Unterstützung und Beratung suchen müssen. Und häufig wird dann über die Jugendämter der Weg zu einem Childhood Haus gebahnt und gesagt: "So, wir haben hier ein Kind, das sagt, ihm geht es nicht gut, ihm ist was Schlimmes widerfahren. Wir wissen aber eigentlich nicht genau was. Und wir brauchen jetzt Menschen, die uns helfen, das zu klären an dieser Stelle", mit Einverständnis der Eltern oder eben wenn die das nicht mehr können, muss man gucken, ob Jugendamt, Familiengericht da eine Rolle übernehmen an der Stelle. Und dann kommt das Kind letztendlich ins Childhood-Haus, zum Beispiel am Anfang für ein Kennenlerngespräch und eine körperliche Untersuchung, um zu gucken, sind irgendwelche Zeichen da? Kann man das, was das Kind gesagt hat, auch konkreter fassen, zum Beispiel in eine Verletzung oder so etwas? Und dann ist die Frage, wie geht es weiter? Viel Beratung ist dabei. Nämlich die Frage, was brauchen wir jetzt? Hat das Kind ein geschütztes Umfeld oder ist das was, was noch mal passieren kann? Wer schützt dieses Kind? Und kann diese Person das auch schützen vor einem neuen Übergriff oder neuer Gewalt? Oder sind Hilfen dazu notwendig? Oder muss das Kind aus der Familie raus, wo es gerade ist oder aus dem Ort, wo es sich gerade befindet? Dann ist das Jugendamt vor allem dran. Und die Frage ist es etwas, wo eine Anzeige erstattet werden kann, soll oder müsste an dieser Stelle. Ein Muss gibt es in Deutschland nicht, was das angeht.

[00:14:50.810] - Astrid Helling-Bakki

Aber es gibt natürlich schon die Überlegung: Macht es Sinn, eine Strafanzeige zu stellen, um auch eventuell strafrechtlich einen Täter oder eine Täterin von weiteren Taten abzuhalten und auch dafür zur Rechenschaft zu ziehen? Und das sind, wie Sie schon merken, Sachen, die passieren nicht in einem Aufenthalt. Das sind viele Diskussionen. Es müssten auch alle, die beteiligt sind, mitdiskutieren und sprechen können. Das Jugendamt, die Eltern gegebenenfalls, die Mediziner, die sagen hier, wir sehen aber, das Kind ist total belastet oder es hat Verletzungen gehabt, die wirklich sehr, sehr gefährlich waren an der Stelle. So was darf nie wieder passieren. Und das wird alles dort begleitet. Und gleichzeitig immer das Kind mitgenommen auf dem ganzen Weg und geguckt, was brauchst du jetzt? Kannst du den Schritt mitgehen? Kannst du das machen an der Stelle? Und dann kann es eben auch sein, dass auch eine Strafanzeige passiert und das Kind vernommen wird. Entweder eben für eine strafrechtliche Ermittlung. Das sind dann Polizisten oder auch Ermittlungsrichter, die eine Vernehmung in dem Haus selber machen können, nämlich mit einer Videotechnik, das aufgezeichnet wird auch, was das Kind denjenigen, die vernehmen, erzählt. Ganz geschützt, ohne Kontakt zu anderen Leuten, ohne dass da zum Beispiel die angeschuldigte Person auch sichtbar ist für das Kind, um dann weiter in dem Verfahren diese Aussage nutzen zu können an der Stelle. Und das sind ganz wichtige Teile, die zusammengepuzzelt werden für jedes Kind, für jede Situation individuell. Denn wir wissen am Anfang, wenn so ein Verdacht im Raum steht, nie was kommt alles da raus? Wer wird alles noch beteiligt werden? Beteiligt werden müssen? Was passiert? Welche Verfahren kommen da raus? Das ist am Anfang wirklich ganz, ganz offen. Und wichtig ist, dass das Kind halt aber egal was noch kommt, gut begleitet ist und weiß, dass dort eine Anlaufstelle ist, wo dann diese ganzen Puzzlestücke auch zusammengesetzt werden können.

[00:16:44.460] - Nadia Kailouli

Wie ist das denn, wenn es denn dann zu so einem Gerichtsverfahren kommt, wie Sie gerade gesagt haben, dass Sie gesagt haben, okay, da passiert dann eine Anzeige und es kommt eventuell zu einem Verfahren. Sichern Sie dann die ganzen Beweise dafür oder machen Sie das schon vorher, dass Sie erst mal mit Ihren Kolleginnen und Kollegen dann so ein Factsheet aneignen, so nach dem Motto: Wir haben hier genug Beweise, wir müssen jetzt uns dafür einsetzen, dass es hier auch zu einer Anzeige kommt oder zu einem Verfahren kommt. Oder überlassen Sie das dann am Ende dem Jugendamt oder der Familie?

[00:17:16.400] - Astrid Helling-Bakki

Nein, so einfach ist es nicht. Sie sagen schon, das Richtige. Es sind wieder so viele Leute beteiligt und das muss abgestimmt werden. Das, was passieren sollte, ist, dass auf jeden Fall immer auch das Interesse von Kind und Jugendlichem bedacht ist und auch überhaupt bekannt ist an der Stelle. Das ist nämlich auch schon oft nicht der Fall. Und dann natürlich, wer entscheidet so was auch überhaupt? Ärzte haben eigentlich eine Schweigepflicht. So einfach eine Anzeige erstatten ist da nicht. Die Eltern können das theoretisch machen. Vielleicht kann es aber auch das Jugendamt machen. Also ganz unterschiedlich. Und oft ist es ein Beratungsprozess, der passiert und der natürlich auch, was sie sagen, mit einschließt: Was haben wir denn überhaupt schon für Informationen? Was haben wir auch gesehen? Was haben wir dokumentiert? Und wichtig ist, dass alles, was in dem Childhood Haus passiert, egal ob das eine Untersuchung ist oder das Kind spontan irgendwas erzählt, dass das gut dokumentiert ist und wir sagen rechtssicher dokumentiert ist. Die Menschen, die dort mit dem Kind zu tun haben und auch zum Beispiel das Kind untersuchen von der Rechtsmedizin, die sichern Befunde so, dass die rechtssicher dokumentiert sind an der Stelle. Wir wissen nicht, ob das für ein Strafverfahren relevant wird, ob das für ein Gutachten fürs Jugendamt relevant wird an der Stelle oder für ein familienrechtliches Verfahren, das wissen wir nicht. Aber es ist wichtig, dass es immer wirklich gut dokumentiert ist an dieser Stelle und gebündelt ist und dort vorhanden ist. Und wann wir diese Sachen brauchen, für was, für wen, für welche Entscheidung, das zeigt auch wieder der weitere Verlauf dann, was noch dazu kommt. Es sind immer viele Informationen, die zusammenkommen müssen, um dann sagen zu können, ja, hier ist eine Herausnahme des Kindes aus der Familie notwendig oder hier ist eine Strafanzeige oder ein Ermittlungsverfahren, das wirklich angestoßen wird. Das ist sehr vielseitig und muss wirklich gut geguckt werden.

[00:19:01.020] - Nadia Kailouli

Jetzt macht das alles irgendwie total Sinn natürlich, was Sie so sagen, weil es da so einmal gebündelt alles gibt an einem Ort, was einem Kind helfen kann, das Missbrauch erlebt hat oder auch vor allem helfen kann, da rauszukommen oder eben auch strafrechtlich dagegen vorzugehen. Jetzt scheint das ja ein totales Erfolgsmodell zu sein. Dennoch gibt es ja so Childhood-Häuser nicht überall in Deutschland, oder?

[00:19:24.290] - Astrid Helling-Bakki

Nein, leider bei weitem noch nicht. Man muss natürlich auch sagen, diese Idee, so gut die ist und die hat sich jetzt auch schon über 20, mehr als 20 Jahre in Europa auch immer weiterentwickelt. Also Deutschland war jetzt nicht das erste Land, das dieses Konzept oder in der Form erst mal als Grundlage genommen hat. Wir haben jetzt in Deutschland gerade neun Häuser eröffnet, das zehnte kommt, in verschiedenen Bundesländern. Wir gucken mal, dass in jedem Bundesland ein Pilot zumindest starten kann, damit dann im Bundesland weitergedacht und entwickelt werden kann an der Stelle. Der Erfolg ist sichtbar in Europa schon länger. In Deutschland an jedem Standort, den wir haben, sehen wir, dass es die Strukturen verbessert, dass es die Zugänglichkeit für die Kinder verbessert, die Versorgung der Kinder und Jugendlichen, die betroffen sind, verbessert. Das sehen wir. Das müssen wir international wissenschaftlich noch besser nachweisen. Das passiert gerade auch ganz, ganz viel. Aber ich sage Ihnen mal, wie lange es gedauert hat. Wir haben in Deutschland über zehn Jahre gab es Diskussionen zu dieser Art der Arbeit zusammen unter einem Dach oder in dem Austausch, bis dann mal vor fünf Jahren das erste Childhood-Haus eröffnet hat und letztendlich nur mit der Möglichkeit, dass ganz viele engagierte Menschen gesagt haben, wir probieren das. Wir wissen nicht, ob das in Deutschland funktioniert mit unseren Regeln, mit unseren Gesetzen, mit unseren sehr versäumten Strukturen. Und es wurde versucht und wir haben gesehen, es geht. Es könnte besser gehen, auch nach unseren Gesetzen. Ganz klar, wie wir uns austauschen können, wie wir Netzwerke machen, wie wir die Kinder auch versorgen. Es könnte besser gehen, wie es finanziert ist. Auch ein großer Punkt, denn das ist nicht vorgesehen. Dafür sind erst mal keine Mittel bei Jugendhilfe oder in den Krankenkassen vorgesehen, die man abrechnen kann. Das ist sozusagen eine Vorleistung, die die Häuser gerade auch machen, indem sie es praktisch erproben und mit viel Spendenmitteln auch dann überhaupt nur ermöglicht an dieser Stelle. Und das ist auch der Grund, warum es noch dauert.

[00:21:20.760] - Nadia Kailouli

Ja, und was ist, wenn jetzt eine Stadt sagt: "Oh Mann, das klingt alles total toll, was Frau Helling-Bakki da sagt. Wir wollen auch ein Childhood-Haus hier in unserem Ort."

[00:21:28.960] - Astrid Helling-Bakki

Da müssen alle, die in einem Childhood Haus arbeiten und all ihre Chefs und Vorgesetzten, Institutionen und Ministerien, die damit zu tun haben, sagen: "Das halten wir auch für eine gute Idee und wir halten die Mittel dafür bereit an dieser Stelle." Denn das kostet auch. Das einzurichten kostet, ich sage mal das sind dann eher einmal Kosten. Aber danach brauchen sie ja Personal, dass das auch in der Form und der Qualität auch durchführen kann. Und sie müssen vor allem all diejenigen, die im Alltag ja sowieso schon mit diesen Fragestellungen zu tun haben, auch überzeugen, dass es besser ist, wenn sie es zusammen im Childhood-Haus machen. Und das heißt, ganz viele alteingefahrene Wege und Routinen müssen noch mal hinterfragt werden. Das heißt, es ist ganz viel Überzeugungsarbeit, die passieren muss, damit das an einem Ort passiert. Und nur damit sie so ein Gefühl haben, bevor wir ein Childhood-Haus irgendwo eröffnen können, haben wir in der Regel zwei bis drei Jahre Vorarbeit nur für all diese Fragestellungen von: Wer macht mit, wer muss mitmachen, wer kann mitmachen? Wie kann es finanziert werden? Wo kann das hin? Wie kann es eingerichtet werden? Und erst dann beginnt die praktische Erfahrung, die man jetzt auch noch aufbaut.

[00:22:42.470] - Nadia Kailouli

Jetzt sind Sie ja selbst Geschäftsführerin hier in Deutschland der Childhood Foundation. Aber Sie sind ja selber auch Kinderärztin. Also ich kann mir vorstellen, als Geschäftsführerin hat man natürlich sehr operative Jobs, die man da erledigen muss, aber wie arbeiten Sie konkret mit den Kindern zusammen?

[00:22:58.420] - Astrid Helling-Bakki

Ich arbeite jetzt in der Stiftung, ich sage mal leider nur noch mit Kindern und Jugendlichen bei Fragen der Partizipation und Beteiligung, also der Entwicklung von den Projekten mit Workshops, wo die uns sagen, was bräuchtet ihr im Childhood-Haus noch? Was kann anders gemacht werden und Ähnliches? In der Zeit als Kinderärztin habe ich vorher selber aber auch eine Weile in einem Childhood-Haus gearbeitet, bevor ich zur Stiftung gegangen bin als Geschäftsführerin. Das heißt, ich kenne auch ein bisschen diese andere Seite. Davon habe ich aber jetzt im Alltag gar nicht mehr so viel, weil ich mich gerade mehr darum kümmere, dass es möglichst schnell möglichst viele Childhood-Häuser gibt in Deutschland. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, Kinder selber als Kinderärztin zu sehen.

[00:23:37.410] - Nadia Kailouli

Und wie sah Ihre Arbeit damals aus, als Sie in einem Childhood-Haus als Ärztin gearbeitet haben

[00:23:42.520] - Astrid Helling-Bakki

Ich bin selber Kinderschutzmedizinerin, das heißt also eine spezielle Qualifikation, die auch noch mal genau guckt, was man als Kinderärztin wissen muss, um Fragen von Kinderschutz zu klären und Kinderund Jugendgynäkologisch weitergebildet und Ähnliches. Das heißt, ich bin mit diesen Fragestellungen direkt konfrontiert worden. Ein Kind ist gebracht worden, erst früher in die Klinik, später dann in ein Childhood-Haus. Und es ist mir die Frage gestellt worden: Kannst du an diesem Kind oder von diesem Kind irgendetwas erfahren, was genauer passiert sein könnte anhand der Untersuchungen, die du machst? Was kannst du sehen? Was kannst du untersuchen, diagnostizieren? Ist das, was wir erzählt bekommen haben, was passiert sein könnte, irgendwie nachvollziehbar in der medizinischen Untersuchung? Und das heißt, ich habe wirklich Kinder untersucht, alle Altersgruppen, von quasi Neugeborenen bis hin zu 18-Jährigen und habe dann mit denen versucht zu verstehen, was ihnen passiert sein könnte. Wichtig ist natürlich auch als Ärztin, dass man da nicht suggestiv irgendwelche Fragen stellt, sagt: "Ist dir denn das schon passiert? Und das ist doch bestimmt passiert, wenn ich dich jetzt so ansehe", oder so was. Also man muss sehr vorsichtig sein. Das heißt, der Auftrag ist vor allem, den Kindern zuzuhören, ohne ihnen Fragen und Antworten vorzugeben an der Stelle und dann sie auch dazu zu bewegen, sich untersuchen zu lassen.

[00:25:06.930] - Astrid Helling-Bakki

Das ist jetzt, sage ich mal, beim Kinderarzt untersuchen, kennen fast alle Vorsorgeuntersuchungen und so weiter. Aber mit dieser Frage ist das noch mal ein bisschen schwieriger. Und gerade bei sexueller Gewalt, wenn man dann fragt, so darf ich jetzt auch mal in deine Unterhose reingucken und mir mal genauer angucken, warum du da eventuell Schmerzen hast. Das heißt, da muss man mit sehr viel Feingefühl drangehen und gleichzeitig nicht nur das untersuchen, was man sonst als Kinderärztin gelernt hat und das Kind gut angucken, sondern auch immer im Hinterkopf haben, was bedeutet das denn zum Beispiel. Im Sinne einer Spurensicherung? Ich darf selber keine Spuren kaputt machen. In der Regel hatte ich das Glück, dass ich Rechtsmediziner dabei hatte, also dass wir gar nicht alleine untersucht haben, sondern dass wir zusammen wirklich versierte Rechtsmediziner, Medizinerinnen und ich dabei untersucht habe und wir dann uns ergänzt haben. Der eine hat mehr auf die Spurensicherung geguckt und ich habe dann mehr auf die Untersuchung des Kindeswohlbefinden, gibt es eventuell noch Krankheiten, andere Zeichen, dass es dem Kind nicht gut geht, geguckt an der Stelle. Und das Ganze dauert auch relativ lange. Eine richtig gute Kinderschutzuntersuchung dauert bestimmt auch eine Stunde. Wenn das Kind sehr gestresst ist, braucht man auch mal mehr Zeit oder man braucht mal einen zweiten Anlauf für eine Untersuchung.

[00:26:17.000] - Astrid Helling-Bakki

Und am Schluss ist das Ziel, dass ich als Medizinerin sagen kann, okay, ich sehe an dem Kind das und das und das und das. Vielleicht sehe ich auch nichts eindeutiges oder ich sehe ein vermeintlich körperlich gesundes Kind. Ich sehe aber vielleicht auch, dass es mir berichtet, dass es nicht richtig schlafen kann, dass es nicht richtig essen kann, dass es unglücklich ist, dass es vielleicht auch Angst hat, wenn ich mit ihm spreche an der Stelle. Auch das ist wichtig, dass man so was als Befund mitnimmt. Und ich sichere auch Spuren dann zusammen mit der Rechtsmedizin, um wirklich das, was sie gesagt haben, egal wer danach fragt, für ein Gutachten, für ein Verfahren oder sonst irgendwas, sich sicher sein kann hier sind Spuren richtig gesichert worden an dieser Stelle und nicht irgendwie irgendwas durcheinandergeraten oder Spuren sogar eventuell durch eine Untersuchung verwischt wurden, was passieren kann.

[00:27:08.070] - Nadia Kailouli

Wenn Sie das alles so erzählen und dann vor allem so erzählen, dass es gerade mal, sage ich mal, zehn Childhood-Häuser in Deutschland gibt, noch nicht mal, das zehnte kommt ja erst noch, wir den Kinderschutzbund haben, wir das Jugendamt haben und aber die Zahl auch haben, dass wir ja wissen, dass Millionen Kinder in Deutschland eben von sexueller Gewalt betroffen und bedroht sind. Finden Sie, wir tun genug für den Kinderschutz?

[00:27:32.820] - Astrid Helling-Bakki

Nein, ich glaube, das kann ich so eindeutig beantworten, wenn man sich in dem Themenfeld bewegt, wenn man diese Kinder tagtäglich sieht auch. Wir können gar nicht genug tun und wir tun zu wenig momentan, ganz sicher an dieser Stelle. Wir tun zu wenig, weil wir zu wenig sehen. Wir tun zu wenig, weil wir zu wenig offene Ohren und offene Augen haben. Wir tun zu wenig, weil wir oft keine Fachkräfte haben, die überhaupt Kapazitäten dafür haben. Wir tun zu wenig, weil die Leute, die die Kinder sehen, zu schlecht ausgebildet sind. Ein ganz großes Problem auch. Und das gilt für jede Berufsgruppe, ob Mediziner, ob Psychologen, ob Jugendamtsmitarbeiter oder Richter, Richterinnen. Wir alle haben noch einen immensen Fortbildungsbedarf, was das Ganze angeht. Und natürlich das Flächendeckende ist für uns auch immer ein großes Problem. Wir haben gute Anlaufstellen in Deutschland. Es hat sich viel entwickelt in den letzten 10, 20 Jahren. Wir haben auch Kinderschutzambulanzen, die zumindest schon mal diesen Bereich Medizin und Jugendhilfe stärker verknüpft haben, an manchen Stellen auch schon die ersten Grundlagen dann für die Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz geschaffen haben. Aber in dem Umfang, wie wir in einem Childhood-Haus sehen, wie wir arbeiten können und was dort notwendig ist, auch was abgefragt wird. Und das können wir bei weitem noch nicht leisten. Weder flächendeckend noch wie Sie gesagt haben mit zehn Häusern können wir auch nur einige tausend Kinder, wenn überhaupt erreichen, was das Ganze angeht. Und das sind schon viel, denen wir dadurch einen Weg eröffnen.

[00:29:04.570] - Nadia Kailouli

Jetzt haben wir heute vor allem auch wieder gemerkt, es liegt dann oft eben am Geld. Weil es sind natürlich alles Menschen, die dann da arbeiten müssen, um sich dem Kinderschutz anzunehmen, um Untersuchungen durchzuführen, um auch psychologisch da zu sein, um bürokratische Sachen zu machen: Wie holen wir jetzt die Polizei dazu? Wie gehen wir mit den Eltern um? Wie binden wir die Schule mit ein? Et cetera. Wie ist denn Ihr Blick dann auf die Zukunft gerichtet, wenn wir eben ja nicht so spendabel sind, dass wir jetzt in jeder Stadt mindestens fünf Childhood-Häuser stehen haben, sondern bundesweit gerade mal zehn und wir überhaupt gar nicht hinterherkommen in den Einrichtungen, die ja schon bestehen, neben ihren Häusern jetzt zum Beispiel. Kann überhaupt der Einzelne in unserer Gesellschaft etwas tun, um einen ja Wert da reinzulegen, was den Kinderschutz betrifft?

[00:29:57.790] - Astrid Helling-Bakki

Ich würde das von zwei Seiten beantworten. Das eine ist jeder Einzelne kann die Augen aufmachen und zuhören. Der Anfang ist, Kindern wirklich offen und authentisch gegenüberzustehen und zu sagen: Ich höre dir zu und ich sehe dich. Und wenn du mir zeigst, dass es dir nicht gut geht und du eine Sorge hast, dann nehme ich das ernst. Das ist der allererste Anfang, bevor ich irgendeine Vermutung habe, was passiert ist, wirklich Kinder ernst zu nehmen an dieser Stelle. Und das würde, glaube ich, schon viel verändern. Denn das, was ich gerade erzählt habe und die vielen Fälle, die es zu betreuen und beraten gibt. 90 Prozent sind im Dunkelfeld. Die kommen nie zur Polizei, zum Jugendamt oder zu einer Anlaufstelle, die ihnen helfen kann, was das angeht. Und da die Augen aufmachen und diesen Kindern überhaupt erst mal einen Weg aus dem Nicht-sehen und Nicht-zuhören zu ermöglichen, das kann jeder von uns. Wir müssen nicht wissen als Privatperson oder als nicht qualifizierte Fachkraft, was danach kommt und wie man das macht und wer alles was tun muss und wie man mit wem telefonieren muss und sonst was. Das ist nicht der Job. Aber wir müssen ihnen zuhören und wir müssen den Kindern sagen: Hey, es gibt Telefonnummern, es gibt Stellen, da können wir jetzt anrufen und wir finden einen Weg, dass das, was du mir gerade gesagt hast oder was du mir gezeigt hast, auch bei kleinen Kindern, dass wir uns darum weiter kümmern an der Stelle und es nicht ignorieren. Das ist, glaube ich, für alle das Beste, was sie tun können. Kinder sehen und ernst nehmen.

[00:31:24.640] - Astrid Helling-Bakki

Die andere Seite ist die gesellschaftliche Frage, wie verteilen wir unsere Gelder und Mittel? Wir wissen, dass die Folgekosten von nicht gut aufgefangenen Gewalttaten und schlimmen Erlebnissen in der Kindheit unendlich viel höher sind als alles, was wir gerade reinstecken in Kinderschutz. Und das muss sich eine Gesellschaft halt auch klarmachen. Jedes Kind, das nicht gut betreut, versorgt ist, das nicht den Schutz bekommt und die Unterstützung, die es braucht, wenn es in solchen Gefahren steht oder diese Gewalt erlebt, ob sexualisierte Gewalt, körperliche Gewalt oder Vernachlässigung, ist letztendlich ein Kind, das in der Folge wahrscheinlich ganz schön viel Probleme kriegen wird mit sich selbst, mit seiner Gesundheit, mit der Schule, mit der Ausbildung. Es gibt unzählige Folgen, die wir kennen. Und wenn wir uns dem nicht stellen, dann wird das für das Kind schwierig sein, sich gut entwickeln zu können. Und ganz ehrlich. Ich weiß, wofür ich mich einsetze. Ich habe die Priorität gesetzt. Ich setze mich dafür ein, dass Kinder Kinderschutz bekommen und dass wir an dieser Stelle was verändern. Und das ist das Einzige, was ich mir wünsche, was noch viel stärker gesamtgesellschaftlich, aber auch politisch gesehen wird. Es kann nicht sein, dass Kinderschutzmedizin, wenn man ambulant sich eine Stunde mit einem Kind beschäftigt, nicht bezahlt wird von den Krankenkassen. Es kann nicht sein, dass keiner im Jugendamt Zeit hat, mal mehr als zwei Sekunden sich eine Akte anzugucken an der Stelle. Das kann einfach nicht sein. Und wenn wir das nicht ändern, dann wird es ganz schön schwer, den Kindern da eine gute Basis zu bieten.

[00:33:03.580] - Nadia Kailouli

Dann wünsche ich mir jetzt, dass das, was Sie sich wünschen, zumindest in Teilen eintrifft. Dr. Astrid Helling-Bakki. Vielen, vielen Dank, dass Sie heute bei uns bei einbiszwei waren.

[00:33:14.230] - Astrid Helling-Bakki

Vielen Dank.

[00:33:17.900] - Nadia Kailouli

Also es macht doch total Sinn, so ein Childhood-Haus. Da gibt es also ein Haus, wo Kinder in einem Haus alle gesammelt haben, die sich um eben diese Missbrauchsaufarbeitung und die Betreuung dieses Kindes kümmern. Nur eben tragisch, dass es so wenige davon gibt. Und wir haben es ja auch gehört von Frau Hellingen-Bakki. Es bräuchte viel, viel mehr finanzielle Unterstützung - so ist es halt leider immer - um noch mehr Childhood-Häuser in Deutschland bauen zu können.

[00:33:46.420] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Bisher müssen Kinder, die missbraucht wurden, bei der ärztlichen Untersuchung, dann bei der Polizei, dann beim Jugendamt und womöglich auch noch mal vor Gericht das, was passiert ist, wieder und wieder erzählen. Das kann retraumatisierend und sehr schwer für sie sein.

Das Childhood-Haus will diesen quälenden Marathon beenden und stellt deshalb das Kind ins Zentrum – hier kommen alle Beteiligten zum Kind, das sich so nur einmal erinnern muss.

Im Verdachts- oder erklärten Fall von Kindesmissbrauch werden Kinder im Childhood-Haus in kinderfreundlicher Atmosphäre durch den gesamten Verlauf aus Untersuchungen und Vernehmung begleitet. Die Bedürfnisse des Kindes stehen dabei an oberster Stelle.

Durch die enge Kooperation zwischen erfahrenem medizinischem und psychologischem Personal, Polizei, Justiz, Jugendamt und lokalem Kinderschutz ermöglicht das Konzept des Childhood-Hauses, Untersuchungen und Befragungen des Kindes auf ein Minimum zu reduzieren und zeitlich effizient zu gestalten. So kann einer Retraumatisierung des Kindes vorgebeugt werden.

LINKSAMMLUNG:

Die Website der Childhood-Stiftung

Die Childhood-Stiftung auf Instagram
@childhood.deutschland

ARTIKEL:

Das Ärzteblatt hat erklärt, wie Childhood funktioniert
Ärzteblatt | Kindeswohl: Alle Professionen kommen zum Kind

„Praxisleitfaden zur Anwendung kindgerechter Kriterien für das Strafverfahren“
Missbrauchsbeauftragte | Publikationen > Berichte

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

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