Missbrauch im DDR-Leistungssport – was ist dir passiert, Susann Wegner?
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[00:00:00.000] - Susann Wegner
Da sitzen die Olympiasieger oder Weltmeister noch zu Hause, haben die Goldmedaille an der Wand hängen, aber können noch nicht mal arbeiten gehen. Oder Turnerinnen, die sich bei mir gemeldet haben, haben gesagt, ich kann das Messer abends nicht halten, meinen Kindern eine Brotscheibe zu schmieren. Das ist, das ist schlimm.
[00:00:22.860] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:00:47.620] - Nadia Kailouli
Sie war so talentiert, dass sie bereits mit neun Jahren an die Sporthochschule nach Halle Neustadt kam. 1981 war das, damals in der DDR. Mit 14 kam sie dann in die DDR Nationalmannschaft, fuhr als rhythmische Sportgymnastin zu Wettkämpfen. Mit 17 beendete Susann Wegner ihre Karriere, weil der physische und psychische Druck zu groß war und weil sie missbraucht wurde. Sexuelle Gewalt im DDR Sport. Das ist überhaupt kein Einzelfall. Die Sportsoziologin Bettina Rudolfs von der Sporthochschule Köln sagt: Das DDR-Leistungssportsystem war wie gemacht für den Missbrauch von Kindern. Schon im Grundschulalter wurden Talente in Kinder- und Jugendsportschulen untergebracht, oft auch in Internaten. Die gewohnten Kontakte und Vertrauenspersonen brachen weg stattdessen, Drill und ständiges Training. Dazu kam: Die Kinder wurden ständig gemessen, gewogen, untersucht, ständige Berührung, ständiges Alleinsein mit Ärzten. So war das auch bei Susann Wegner, die heute hier ist, über ein Thema zu sprechen, von dem viele nichts mehr wissen wollen: missbrauch im DDR Leistungssport.
[00:01:50.960] - Nadia Kailouli
Dann sage ich herzlich willkommen bei einbiszwei Susann Wegner.
[00:01:54.150] - Susann Wegner
Hallo!
[00:01:54.760] - Nadia Kailouli
Hi, grüß dich Susann, du warst früher rhythmische Sportgymnastin für diejenigen, die sich das gar nicht vorstellen können, was das eigentlich ist. Kannst du uns da mal so einen Rundumschlag geben, was man sich darunter vorstellen kann?
[00:02:08.370] - Susann Wegner
Oh je. Da stellt man sich eigentlich immer von ganz früher Leistungssport hieß das mal, Leistungsturnen, Frauen mittleren Alters, korpulent mit irgendwelchen Hulahoop-Reifen in der Hand vor.
[00:02:22.580] - Nadia Kailouli
So ist es aber nicht, ne?
[00:02:22.890] - Susann Wegner
So ging es mal los. Und dann ist es aber sich gesteigert, genau, in viel Beweglichkeit. Das hat was mit Akrobatik zu tun. Ein IOC Präsident hat mal gesagt, das ist die aufwendigste Sportart, die es überhaupt gibt, weil es so viel beinhaltet. Ja, und ich sage jetzt mal so, es endet darin, dass wir einen Reifen oder einen Ball hoch werfen, also mit Geräten auf einer Matte stehen, drei Rollen machen und den wieder auffangen und dann strahlen.
[00:02:49.700] - Nadia Kailouli
Ja, aber das ist nun wirklich. Also ich habe mir das früher tatsächlich auch super gerne angeguckt, weil das ja wirklich Hochleistungssport ist und man sich immer gefragt hat, wow, wie schaffen die das? Diese Rolle vorwärts dann direkt hoch springen, den Ball wieder fangen, dann irgendwie hat man das Gefühl, bis in die Fingerspitzen und Fußspitzen ist da eine Körperspannung delux. Und du hast ja wirklich diesen Sport profimäßig betrieben früher als Kind und Jugendliche.
[00:03:15.970] - Susann Wegner
Genau. Ich habe mit neun Jahren angefangen. Das war so, also mit sieben Jahren angefangen, mit neun Jahren sind wir dann alle auf die Sportschule gekommen, KJS, Kinder-und Jugendsportschule und dann haben wir trainiert. Ich habe dann, bis ich 17 war, da rutscht man dann, wenn man gut ist, in Leistungskader, also man wird dann Olympiakader oder nicht, kriegt eine Planung und irgendwann, wenn man es dann wirklich geschafft hat, fährt man zu Europameisterschaften, Weltmeisterschaften, Olympia. Ja, so genau. Und dann ist man eben Nationalmannschaft.
[00:03:47.360] - Nadia Kailouli
Ja, das ist man ja.
[00:03:48.290] - Susann Wegner
Das war ich. Genau.
[00:03:49.160] - Nadia Kailouli
Das warst du. Und ich finde, das hat erst mal eine absolute Anerkennung verdient, weil es ist ja eben ein ganz schön heftiger Sport, wo man viel trainieren muss. Und du wurdest, wenn ich das richtig gelesen habe, ja auch entdeckt, oder? Also man hat irgendwann gesehen, Mensch, die Susann, die hat ja richtig Talent als Kind und dann wurdest du gefördert oder wie kann ich mir das vorstellen?
[00:04:08.820] - Susann Wegner
Dahingekommen bin ich ganz einfach, ganz simpel. Meine Sportlehrerin in der Schule, die war eine Patientin meiner Mutter, die war Allgemeinmedizinerin und die hat gesagt: "Mensch, ihre Tochter habe ich gesehen, die sieht ja eigentlich ganz fit aus oder würde sich machen, kann die zu uns kommen?" So bin ich dann in diesen Bereich gekommen, damals in der DDR. Und ja, und dann muss man sich durchkämpfen. Ja, also man muss Voraussetzungen haben, man muss alles schaffen. Und wenn man das dann tut und vielleicht Talent hat und jemand das gut findet, wie man ist, wie man aussieht, was man tut, wie kräftig man ist, wie leistungsstark, dann wird man auch gefördert. Und das ist heute immer noch so. Es ist von vielen Faktoren abhängig, ob man Olympiakader wird und dann gefördert wird.
[00:04:57.170] - Nadia Kailouli
Ja, du wurdest eben gefördert bis zum Olympiakader hin und du hast dann aber mit 17 entschieden, nee, ich mache jetzt nicht weiter. Gab es dafür einen Auslöser?
[00:05:06.100] - Susann Wegner
Das habe ich versucht irgendwie auch ein bisschen herauszufinden durch die Aufarbeitung. Ich war kaputt. Also das war so das Ergebnis. Ich konnte nicht mehr. Ich habe keine Leistungssteigerung mehr gesehen, vielleicht auch ich nicht nur. Es war auch ein Wechsel im System, der bevorstand '89. Und wir sind einmal nicht zur Weltmeisterschaft gefahren. Da war ich noch in einer Gruppe Nationalmannschaft. Also da sind wir mal ganz viel auf der Matte. Damit haben sie uns dann die Olympiarteilnahme, die Qualifikation versaut. Wir haben jahrelang daraufhin trainiert und das haben sie uns genommen, das wissen wir jetzt, weil parallel zu unserer Weltmeisterschaft Leichtathletik Weltmeisterschaften stattfanden und man gesagt hat, es kann dem Volk nicht präsentiert werden, dass wir nur den dritten, vierten oder fünften Platz belegen bei einer Weltmeisterschaft und parallel die Leichtathleten Goldmedaillen holen. Und deswegen durften wir angeblich nicht fahren. Weil es war in Bulgarien. Wir hätten also, so sagt man immer, mit dem Eimer Slotty auch darüber laufen können. Also es kann nicht an dem fehlenden Geld gelegen haben, also Devisen oder so. Das war dann auch so ein Grund, dass unsere Sportart so ein bisschen anfing, den Bach runterzugehen, weil keine Olympia-Qualifikation heißt auch warum soll man diese Sportart noch fördern? So stand alles im Raum und ich war auch kaputt. Und mit 17 in der Pubertät eigentlich immer abnehmen, immer Hungern, immer Angst, dass man was nicht schafft und jeden Tag nur trainieren. Das war hart. Und irgendwann war der Körper auch nicht mehr in der Lage, glaube ich. Und dann auch die Psyche irgendwann nicht mehr, dann verlässt einen das.
[00:06:49.330] - Nadia Kailouli
Ja, du sprichst schon eine der Schattenseiten ja auch an an diesem Leistungssport, wie du es jetzt eben so geschildert hast, immer dieses schlank sein, dünn sein, trainieren bis zur Erschöpfung. Und dann warst du so weit mit 17, dass du gesagt hast, okay, ich kann und will nicht mehr. Nun reden wir hier bei einbiszwei vor allem über das Thema sexuelle Gewalt. Und ich weiß von dir, dass du auch sexuelle Gewalt erlebt hast und weiß aber auch, dass dir das gar nicht so leicht fällt, darüber zu sprechen, du es aber wichtig findest, darüber zu sprechen. In diesem Sinne möchte ich dir diesen Raum auch geben, dass du für dich entscheidest, was du erzählst und wie viel du erzählst. Aber ich fang einfach mal so an. Wann wurde dir bewusst, dass du etwas erlebt hast, was eigentlich nicht okay war innerhalb deines Trainings als Kind?
[00:07:38.960] - Susann Wegner
Ja, innerhalb unseres Trainings oder meines Trainings nie. Also wir haben es bestimmt gemerkt. Wir haben uns auch gewehrt, das weiß ich erst jetzt nach 30 Jahren. Aber ich habe es jetzt bis, also 2016 habe ich angefangen, durch ein persönliches Erlebnis überhaupt da drauf zu gucken und das zu sehen, dass da irgendwas nicht in Ordnung war. Und dann kam es erst alles hoch. Heute ist uns oder mir das auch klar, dass das schon früh angefangen hat und dass wir vieles gemacht haben, was nicht in Ordnung war und dass wir uns aber auch gewehrt haben, zumindest versucht. So, das ist der Beginn. Man sagt immer, man kann konditioniert werden. Ich sage jetzt mal so ganz grob. Wenn man jeden Tag mit Schmerzmitteln oder Dopingmitteln über die Grenzen getrieben wird, die eigene Schmerzgrenze, die Leistungsgrenze, dann gewöhnt man sich irgendwann dran. Man wird konditioniert. Und diese Gewöhnung findet eben auch in anderen Bereichen statt. Psychische, sexualisierte Gewalt, physische Gewalt. Alles, in allen Bereichen, es gehört alles zusammen. Und dass wir Missbrauch erfahren haben, das wissen wir. Das wussten wir bestimmt auch damals schon, aber wir konnten es nicht ausdrücken. Wir haben uns nicht getraut. Und wenn wir es gemacht haben, dann kam es nicht dazu, dass jemand da eingegriffen hat oder uns gesagt hat: "Gut, dass ihr das sagt. Wir machen was dagegen, das geht gar nicht." Also so, wir haben irgendwann aufgehört, darüber zu reden. Aber es war schlimm. Ja, und ich weiß auch jetzt, nachdem ich mich mit 20 damaligen Gymnasten wieder zusammengeschlossen habe ab 2016, dass sogar andere Sportarten uns versucht haben zu helfen. Also wir waren im Trainingslager. Wir haben immer allen auch zugucken können. Die Hallen waren offen. Viele saßen bei uns, haben geguckt und die Boxer waren oft auch bei uns mit dann oben. Also es gab immer Leichtathleten und Boxer waren viel da. Genau. Und die haben dann uns abends ins Internat, also da, wo wir geschlafen haben, aus der Turnhalle wieder begleitet. Das ist ein Fakt, also den wir heute ganz anders bewerten. Das heißt, die haben gesehen, uns geht es nicht gut, wir brauchen Hilfe, wir brauchen Schutz, wir brauchen jemand, der an unserer Seite ist. Und das ist schlimm. Also da kommen mir jetzt auch die Tränen. Also damals haben wir das nicht gemerkt.
[00:10:09.680] - Nadia Kailouli
Genau. Dieses dann als klar als Kind, das ist ja immer dieser Machtmissbrauch ja auch, der da dann drin steckt. So ein Kind ist darauf getrimmt, Leistung zu erbringen. Das ist der Sport. Jeder sagt "Ach, du wirst besser, du wirst schlechter, du musst wieder mehr machen." Dies, das. Dann ist da der Trainer, da sind da die Vereinsärzte und so ein Kind ist verängstigt. Und heute als erwachsene Frau realisierst du: Ne, Moment mal, das war nicht okay und keiner war da, der uns hätte beschützen können. Was würdest du sagen zum Beispiel, was war so ein absoluter schutzloser Raum für dich als junges Mädchen beim Training? Wo warst du wirklich ausgeliefert, ohne Schutz?
[00:10:48.130] - Susann Wegner
Also im Grunde den ganzen Tag, weil niemand da war. Das habe ich auch schon mal auf einem Hearing gesagt. Da saß der DOSB, weiß ich noch, im Publikum und haben die mich gefragt: Wie können wir diese Sportschule, wie finden Sie das, übertragen ins Heute? Ich habe gesagt, um Gottes Willen, das ist wie ein gläserner Turm, wie ein Gebilde, wo keiner von außen reingucken kann und von innen nichts nach außen dringt. Das heißt in allen Räumen, Gebieten, also Orten, wo man allein ist, mit entweder einem Trainer oder einem Arzt oder einem Physiotherapeuten oder Lehrer, kann alles passieren. Und das hatten wir den ganzen Tag.
[00:11:28.520] - Nadia Kailouli
Und die wussten, keiner von euch wird was den Eltern sagen? Oder weißt du im Nachhinein, dass doch die eine oder andere sich getraut hat, zu Hause zu sagen: "Mama, ich musste da alleine zum Arzt und mich ausziehen?"
[00:11:40.470] - Susann Wegner
Nein, wir haben das versucht zu analysieren. Niemand von uns. Also zumindest hat es keiner zugegeben. Aber wenn das gewesen wäre, dann hätten wir das ja damals irgendwie auch A untereinander vielleicht gesagt oder es wäre irgendwie zum Tragen gekommen. Aber auch die Trainer, die ich versucht habe, noch jetzt zu kontaktieren, haben auch nichts davon gesagt. Aber das ist nicht der Fakt. Also die könnten das auch verdrängen. Das ist nicht so, dass heute noch jemand ehrlich ist zu uns. Das haben wir alles versucht. Aber ich weiß, dass wir gar nicht auf die Idee gekommen wären oder so. Also wir haben allen vertraut, die um uns sind und wir haben einfach nicht gewusst, was ist eigentlich nicht in Ordnung? Wann darf man was sagen? Wo sind die Grenzen? Das ist das Schlimme. Das sage ich heute auch immer wieder, egal wo ich bin. Kinder müssen lernen, was Schutz ist, was ihr eigener körperlicher Schutz ist. Man muss definieren nach außen, immer wieder in Schulen, in Kindergärten, in Sportstätten: was ist Gewalt und was ist der eigene Schutz? Wo darf ich nein sagen? Wo muss ich nein sagen? Also das, das muss einfach definiert werden, aber dann so transparent gemacht werden für Kinder, dass sie das frühzeitig lernen. Das kann man nicht erst dann mit 18 oder so. Wenn jemand das vorher nicht gelernt hat, ist das unglaublich schwer.
[00:13:03.080] - Nadia Kailouli
Es ist das, was dich heute auch so am meisten beschäftigt, dass man dich nie aufgeklärt hat, was ein Arzt eigentlich machen darf und was nicht beim Training?
[00:13:12.070] - Susann Wegner
Ja, auf jeden Fall. Ich weiß, ich habe dann Briefe gefunden, dann in der Aufarbeitung, die genau das gezeigt haben, dass ich jemand war, der gesagt hat, wir dürfen uns das nicht gefallen lassen, wir müssen da was tun. Ich habe mich dann auch erinnert, jetzt nach 30 Jahren, dass ich mal mit einer, die unsere Sprecherin war für die Trainer, also so Gemeinschaft und jemand ist dann Sportlersprecher sozusagen, dass ich der auf so einem Gang mal gesagt habe: "Wir müssen was machen. Du musst als Sprecherin zu den Trainern gehen. So geht es nicht mehr." Wie das dann geendet ist, weiß ich alles nicht mehr. Aber ich weiß, wir haben es versucht. Aber wir haben es im Grunde genommen nicht gewusst und keiner hat uns zugehört. Und dann hört man irgendwann auf. Und das haben wir auch analysiert. Wir haben aufgehört. Es hat eine Freundin von mir dann auch im Film gesagt, wenn wir hingegangen sind und gesagt haben, wir wollen aber nicht im dünnen T-Shirt oder so stehen oder nur in Unterhose, dann wurde gesagt: "Meine Güte, habt euch nicht so!" Und das ist dann ein Moment, wo man aufhört, Vertrauen zu haben und dann Angst hat, dass es einem ja, es bringt nichts. Wir mussten ja eh nur funktionieren, die ganze Zeit. Genau. Also nur Leistung bringen, alles machen und nur Vertrauen haben. Da war niemand anderes.
[00:14:32.140] - Nadia Kailouli
Das finde ich aber gerade so spannend, dass du das so sagst. Selbst wenn einem Kind dann damals eben so aufgefallen ist und gesagt hat: "Moment, ich möchte hier aber nicht nur in Unterhose stehen, um untersucht oder gemessen zu werden". Dass dann da eben wieder diese Machtperson steht und einem vermittelt: Wieso, das ist hier alles ganz normal. Und das schüchtert ja dann wiederum einen, weil man sich schon einmal den Schritt getraut hat, gemerkt hat: Nee, ich fühl mich damit nicht wohl. Und dann kommt natürlich dann der Arzt oder der Trainer, der sagt: "Doch, doch, ist so." Und dann wird man halt irgendwie Mund tot gemacht.
[00:15:04.430] - Susann Wegner
Das ist das, was ich vorhin meinte. Man wird konditioniert. Also das ist ja nur ein Begriff. Aber wir wurden im Training von, ich sage jetzt mal, eine Trainerin hatte lange spitze Fingernägel und dann hat sie im Ballett-Training oder so, irgendwo hin: "Streng dich da an, mach den Arm gerade." Das tut weh. So, dann mussten wir immer auf die Waage. Entweder stand ein Aushilfstrainer, hatten wir mal vom Ballett oder unsere Trainer sowieso immer und wir standen da eigentlich wie nackend drauf und das jeden Tag. Morgens, manchmal mittags, auch abends. Das sind Momente. Dann haben wir im Trainingslager auch, das werde ich auch nie vergessen, wir mussten Wechselduschen machen zur Abhärtung, Kneipduschen, ach was weiß ich. Dann wurden wir von unseren Trainern mit einem Schlauch abgespritzt: Kalt, heiß im Wechsel, Arme, Beine hoch, runter. Nackend standen wir da. Eine Viertelstundstunde vorher waren wir aber auch noch auf der Waage und mussten 100 Gramm zu viel ertragen, dass das eingetragen wurde und wussten, was das für Konsequenzen hat. Danach mussten wir uns anziehen und laufen am Meer oder so, sind dann barfuß in kleine Fischgeräten oder so reingetreten. Das tat weh. Dann haben wir gesehen, wie die Skispringer auch gerade baden mussten und sich ausgezogen haben und nackend da rein. Und wir wussten auch, dass ein Arzt auch immer mal zuguckt irgendwo und uns beobachtet. Und das zieht sich den ganzen Tag in alle Bereiche. Und das meine ich mit Konditionieren. Das hat dieses System bereitgestellt. Wir waren abgeschottet und keiner war da. Es haben bestimmt viele gesehen und gemerkt, aber keiner hat was gesagt. Und damit, das haben wir wahrscheinlich dann irgendwann auch daraus gezogen, dann hört man auf, drüber nachzudenken, man macht nur noch. Aber es tut weh und es ist schlimm. Und ich weiß, dass die zwei, drei Jahrgänge vor uns auch erzählt haben, dass wir dann abends im Zimmer saßen und uns festgehalten haben und gehofft haben, dass man nicht selber zum Arzt muss. Und dass wir immer nicht wussten, wer und auch nicht wussten, was passiert ist, wenn derjenige wiederkam. Und das ist schlimm.
[00:17:18.680] - Nadia Kailouli
Ich habe ja eingangs gesagt, Susann, dass ich mir das so gerne angeguckt habe, diesen Sport und so beeindruckt war von dem, was diese jungen Mädchen da leisten auf der Matte bei den Events, dann bei den Sportevents. Jetzt schilderst du mir das und es läuft mir irgendwie kalt den Rücken runter, weil ich jetzt so den Backstage-Bereich davon kennenlerne, gerade durch deine Schilderung, die ich sehr schlimm finde und ich mir denke: Kannst du dir diesen Sport überhaupt noch anschauen?
[00:17:44.400] - Susann Wegner
Nein. Natürlich ist das schön. Und wenn ich Musik höre, es geht den anderen auch so, wir tanzen dann. Also wir haben das immer im Kopf und wir haben es immer in uns. Das wird uns nie verlassen. Wenn ich einen Kochlöffel in die Hand nehme, dann jongliere ich den manchmal oder so und denke dann "Oh Gott". Es war schön, es sind schöne Sachen, es hat uns Spaß gemacht und wir können das auch noch. Ich habe mal, mein Sohn ist jetzt 17, aber als er kleiner war, zum Kung fu gebracht. Dann habe ich es auch gemacht. Der fand das unglaublich, was ich da konnte. Okay, dann habe ich mal den Ball über die Arme rollen lassen, nur so irgendwie am Strand oder so, dann sehe ich den irgendwann beim Handball stehen und er macht das auch. Ich dachte, das habe ich ihm doch gar nicht beigebracht. Aber das ist so, ja, wir machen das den ganzen Tag anscheinend immer noch irgendwie. Wir lieben das bis heute. Das ist etwas ganz Besonderes. Es ist schön. Aber das, was wir erlebt haben dazu ist schlimm.
[00:18:41.060] - Nadia Kailouli
Ja, und das ist so, das ist so bitter. Das ist ja auch ein Talent, was man da hat, dass man körperlich eben diese sportliche Begabung hat und auch so diesen Ehrgeiz dann auch hat und die Freude dabei hat, da so zu trainieren und dann sitzen da im Hintergrund Ärzte und Trainer und eben Erwachsene, die ja eigentlich in der Verantwortung stehen, dass es euch dann dabei gut geht, die euch im Wortsinn auf verschiedensten Ebenen dann missbraucht haben, sowohl psychisch als auch körperlich. Und dir war ja dann auch wichtig, dein Schweigen zu brechen. Du hast dann irgendwann für dich entschieden: Okay, Moment mal, das ist zwar als alles ewig her, aber das können wir dennoch nicht so stehen lassen. Warum war dir das so wichtig, diese DDR-Leistungssportszene aufzuarbeiten, was euch da passiert ist?
[00:19:27.680] - Susann Wegner
Ich habe das durch ein privates Erlebnis überhaupt erst hochholen können. Also das, was ich jetzt weiß aus der ganzen Aufarbeitung, ist, dass wenn man traumatisiert ist, also solche schlimmen Erlebnisse hatte als Kind, kann es sein, dass das Gehirn das abspaltet. So, das ist dieser psychologische Begriff dafür. Und das haben wir anscheinend gemacht. Wir haben 30 Jahre schon auch ab und zu mal Kontakt gehabt, wir haben nie darüber gesprochen. Das kam jetzt erst durch mein Ereignis und weil ich dann alle zusammengetrommelt habe, weil ich nicht wusste, was mit mir los ist. Ich bin zur Polizei gegangen, weil ich dachte, ich werde gestalked. War ich vielleicht auch, aber irgendwie habe ich gedacht, ich muss einen Tag X setzen und der Polizist hat zu mir gesagt: "Mit Ihnen ist was nicht in Ordnung, merken Sie das gar nicht?" Und ich so: "Hä bitte? Ich bin nur aufgeregt, weil ich hier sitze." Und das war der Moment, wo ich angefangen habe, irgendwie zu überlegen und gemerkt habe, da ist was in meiner Vergangenheit, weil der, der mich, wo ich dachte, dass er mich stalked, der hat eine Ähnlichkeit mit dem Arzt, der dann der Auslöser war auch für alles, was wir hochgeholt haben an sexualisierter Gewalt, also an Missbrauch. Und hätte ich dieses Erlebnis nicht gehabt, wäre das wahrscheinlich gar nicht dazu gekommen, dass wir das alles hochholen. Dass wir jetzt wissen, dass wir auch in Zwangsdoping gefallen sind, okay, aber wir haben gelernt, dass dieses System alles beinhaltet hat. Und das ist so schlimm. Und wir haben eine Doping-Entschädigung bekommen, staatlich, die anerkannt wurden. Das waren aber nicht viele. Und ich wusste, wenn ich mehr mit nach außen arbeite, journalistisch, dann kann ich vielleicht die erreichen, die es auch nicht wissen zu Hause, was eigentlich mit ihnen passiert ist. Und deswegen habe ich das dann auch erst mal als Triebfeder genommen und wollte das alle sehen und dass es auch einen herausgibt da, also dass wir eigentlich tolle, starke Menschen sind, sonst wären wir nie da reingenommen worden. Also Talent, Kraft, Energie, alles, Liebe zum Sport. Und dass wir aber nichts dafür können, das wollte ich irgendwie zeigen, dass wir nichts dafür können, wenn irgendwas schiefgelaufen ist. Und davon gibt es viele. Und das habe ich durch die Aufarbeitung dann auch kennengelernt. Aus allen Berichten, aus allen, die damit arbeiten, Journalisten und Doping-Opfer-Hilfestelle und auch Schwerin, dass es so viele gibt, die zu Hause sitzen, alkoholabhängig sind, depressiv sind, Störungen haben, traurig sind, ihren Job verloren haben oder gar keine Ausbildung machen konnten, keine vernünftigen Beziehungen haben. Also das ganze Programm. Und das ist so gemein, das ist hart. Und das, was ich dann immer am Ende sage, ist, wenn man das mal zusammenfasst: Da sitzen die Olympiasieger oder Weltmeister noch zu Hause, haben die Goldmedaille an der Wand hängen, aber können noch nicht mal arbeiten gehen. Oder auch bei Turnerinnen, die sich bei mir gemeldet haben, die haben gesagt, ich kann das Messer abends nicht halten, meinen Kindern eine Brotscheibe zu schneiden. Das ist, das ist schlimm. Und deswegen hat mich das dann die ganze Zeit auch gesagt, okay, ich kann das, ich mache das gerne. Es hilft und deswegen mache ich das. Und dann kam die sexualisierte Gewalt dazu. Und das ist noch mal ganz schlimm. Dieser Zusammenhang, das wollten wir eigentlich auch mit in die Entschädigung, in das Gesetz mit reinbringen. Weil nicht nur allein die Dopingvergabe hat uns so dazu gemacht. Das kann man ja gar nicht mehr auseinanderhalten.
[00:23:02.190] - Nadia Kailouli
Ja, ich würde gerne einmal, bevor wir jetzt viele Zuhörer:innen haben, die sich fragen, Zwangsdoping, wie, was, wie, was, was ist da passiert? Kannst du uns einmal kurz erklären, wie dieses Zwangsdoping aussah, damit man besser verstehen kann, was ihr da erlebt habt?
[00:23:18.050] - Susann Wegner
Wir wurden vom Staat verordnet über das ZK, also Zentralkomitee, dann in den Sport hinein, es ist alles eine Vermischung, wurden also zwangsgedopt. Es gab einen Plan dafür, ein Vorgehen. Das heißt, alle, die auf der, ich sage jetzt mal da, konkret auf der Sportschule waren, meistens, also oft auch schon vorher, sind gedopt worden, unwissentlich. Wir haben das gekriegt in Tabletten, in Flüssigkeiten, versteckt als "das ist gut für die Zähne, das ist gut als Vitamin, es hilft dir", sonst irgendwas. Also es stand in Eimern irgendwo rum. Es wurde in irgendwas gemischt und wir haben es zu trinken, zu essen und als Tabletten bekommen. Und das wussten wir nicht. Wir wurden nicht aufgeklärt. Wir haben es genommen, weil das ist das, was vorher auch war, weil wir Vertrauen hatten. Und wenn jemand zu einem sagt, es tut dir gut und es ist nur für deine Gesundheit, dann nimmt man das.
[00:24:23.510] - Nadia Kailouli
Dann vertraut man da.
[00:24:24.600] - Susann Wegner
Aber das war flächendeckend in der ganzen Sportwelt sozusagen, alle die Leistungssport gemacht haben. Deswegen heißt es Zwangsdoping. Es wurde verordnet. Gibt es auch Belege für in Protokollen, Sitzungen. Ich habe das auch mir alles schon angeguckt. Es ist schlimm.
[00:24:43.530] - Nadia Kailouli
Wie war das aber, als du dich dazu entschieden hast, dein Schweigen zu brechen, an die Öffentlichkeit damit zu gehen? Also jetzt nicht nur an die breite Öffentlichkeit, sondern überhaupt innerhalb deiner Kontakte, die du noch hattest zu ehemaligen Mitschülerinnen, die da trainiert haben und so. Konntet ihr die Täter konfrontieren? Hat das jemals stattgefunden?
[00:25:03.380] - Susann Wegner
Ich habe alles versucht. Wir haben alle Trainer aufgelistet. Ich habe Kontakt versucht zu finden. Hab das auch geschafft. Es gab nur eine einzige Trainerin, die mit uns geredet hat und die dann auch bereit war sogar erst mal einen Artikel mit uns zu machen, also mit mir, mit Zeit Online, mit Oliver Fritsch und dann, der war sehr groß und sehr gut und auch parallel mit in den zweiten Film zu kommen. Und das war eine enorm harte Arbeit und die hat dann nach ganz viele böse Briefe, Anrufe, Schreiben bekommen, was sie für ein Mensch ist. Also die wurde richtig niedergemacht.
[00:25:41.820] - Nadia Kailouli
Von wem? Von ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus dem Verein, oder?
[00:25:46.220] - Susann Wegner
Ja. Und andere, die hauptamtlich auch für uns zuständig waren, Chef-Trainer zum Beispiel, die haben es geleugnet bis sonst wohin. Ich war beim DTB, Deutschen Turnerbund und habe das mal besprechen wollen, weil die heute noch in Amt und Würde sind, obwohl sie damals Verantwortung für uns hatten und das ja irgendwie gewusst haben müssen, was auch immer. Aber uns ging es nicht gut und das geht so nicht. Und das ist ganz schwierig, auch heute daran zu kommen. Und es gibt immer noch Trainer, die immer noch als Trainer arbeiten.
[00:26:21.440] - Nadia Kailouli
Und was macht das mit dir?
[00:26:23.370] - Susann Wegner
Also es ist schlimm für uns. Wir können es nicht verstehen. Uns tun auch die leid, die da jetzt vielleicht das Gleiche erfahren. Also wenn Menschen, die ich sage jetzt mal krank sind, psychisch gestört, es muss ja so sein, sonst tut man so was nicht. Also die hat uns angebrüllt, es ist eine Trainerin: "Du fette Kuh", oder, "Deine Hose muss doch schon kaputt sein mit deinen dicken Schenkeln", oder, "Was sieht die heute schön schlecht aus?" Da hatten wir alle einen Magen-Darm-Infekt. Solche Menschen sind doch nicht normal, die kann man doch nicht auf Kinder loslassen.
[00:26:59.710] - Nadia Kailouli
Also ich glaube, dass ganz viele jetzt gerade schon so ein bisschen stocken und das tue ich gerade auch, weil wir haben ja hier bei einbiszwei schon natürlich sehr oft mit Menschen gesprochen, die eben versuchen, ihren Missbrauch aufzuarbeiten, die ihre Täter gar nicht konfrontieren können, weil sie zum Beispiel schon verstorben sind oder es verjährt ist oder eben die Trainer nicht mehr im Amt sind, zum Beispiel Trainer, Ärzte, die Täter sozusagen. Jetzt schilderst du uns ja gerade, dass ihr, also mehrere, die betroffen waren, immer noch wissen, dass es da Menschen gibt, die euch damals missbraucht haben, in welcher Form auch immer, psychisch, sexuell, Gewalt, alles, die aber immer noch hier und da im Amt sind. Das kann man nicht verstehen, wie das sein kann. Wie kann es denn sein?
[00:27:45.430] - Susann Wegner
Wir wissen es nicht. Das ist genau der Punkt.
[00:27:47.710] - Susann Wegner
Weil euch die Beweise fehlen, oder?
[00:27:49.940] - Susann Wegner
Es interessiert niemanden. Ich bin zu vielen gegangen. Ich habe in die Politik geschrieben, ich habe Briefe geschrieben, ich habe E-Mails geschrieben. Also es interessiert niemanden. Alle sagen "ja, ja, wir kümmern uns", oder, "Ach Mensch, damit haben wir nichts zu tun." Es will niemand hören.
[00:28:06.400] - Nadia Kailouli
Ich bin wirklich empört, weil ich meine, wenn man sich überlegt, wie viel Sportvereine, Turnvereine wir in Deutschland haben, ja, das ist ja das Hobby, sollte es ja auch vor allem sein, für Kinder und Jugendliche in die Bewegung zu kommen, in den Sport zu kommen. Ob da jetzt daraus der große Leistungssport wird oder nicht, ist nun eine andere Frage. Aber gerade dadurch, dass es eben Menschen gibt, die sexuelle Gewalt, psychische Gewalt im Sport, im Leistungssport erlebt haben, ist es doch umso wichtiger, sich dahingehend zu öffnen in den Strukturen, damit man weiß, was man besser machen kann. Weil wir wissen ja, du weißt das, ich weiß das, viele andere wissen das, jetzt gerade findet gerade im Turnverein Sportverein ja immer noch Missbrauch statt. Wir kennen die Opfer, die dann irgendwann sprechen. Und ich frage mich gerade, wie kann man sich denn so querstellen, wenn jemand wie du und du hast ja auch gesagt, so leicht ist es nicht für dich, weil sich dich und andere das ja auch immer noch belastet. Und jetzt gibt man sich schon die Mühe und sagt, okay, trotz meiner psychischen Belastung möchte ich aufarbeiten und dann läuft man gegen Wände. Das macht mich gerade richtig sauer.
[00:29:10.100] - Susann Wegner
Ja, mich auch. Ich hatte einen schweren Unfall. Deswegen ist es für mich auch immer schwierig, so wieder vor die Kamera zu gehen. Aber es hilft ja nichts. Deswegen mache ich es auch. Aber als ich dann wieder so zurück war, nach vier, fünf Jahren jetzt, also jetzt eigentlich seit zwei Jahren wieder so ein bisschen mehr drin, habe ich auch gesagt, wie oft soll ich das denn nun noch erzählen? Also es hat sich ja nichts geändert jetzt in den letzten Jahren. Es sitzen immer noch dieselben Leute, die ich auch schon vor sechs Jahren gesehen habe und das Gleiche erzählt habe. Und es hat sich nichts bewegt. Alle sagen immer, man muss Geduld haben und ein bisschen bewegt sich was. Aber das ist für mich das Schlimmste. Also es ist nicht das zu erzählen. Und klar, wenn mir da mal die Tränen in die Augen steigen, das ist normal. Also nach meinem Unfall jetzt sowieso. Aber schlimmer ist dieses, dass sich alle wegdrehen, dass es niemand hören will und dass es politisch, gesellschaftlich wirklich wie eine Mauer ist. Also dass dieses Thema so unantastbar ist irgendwie, dass sich nichts bewegt und das ist ganz schwer zu ertragen. Also das finde ich am schlimmsten. Es ist nicht, dass darüber reden und dass es stattfindet. Das ist schlimm. Aber diese Menschen, die das nicht interessiert, die sich wegdrehen, Politiker, Sportfunktionäre, wer auch immer, das ist schlimm. Da fragt man sich, wo leben wir? Mit welchen Menschen leben wir? Was haben wir für eine Gesellschaft? Das kann doch nicht wahr sein.
[00:30:39.160] - Nadia Kailouli
Ich finde das halt so krass nach dem Motto "Komm, jetzt haben wir anerkannt in der DDR. Damals gab es halt das Zwangsdoping. Dieses Problem erkennen wir an, da können wir drüber reden, da können wir die Susanne auch gerne für Vorträge einladen. Aber bitte jetzt nicht über sexuelle Gewalt und Missbrauch sprechen. Also das ist hier zu viel."
[00:30:54.660] - Susann Wegner
Viel schlimmer ist, dass auch das angezweifelt wird mittlerweile, ist Zwangsdoping. Und dass es da ganz viel Bewegung gibt, auch bis in die Politik hoch sich getragen hat, dass wir Lügner sind. Ich wurde als Lügnerin bezeichnet, obwohl ich staatlich anerkanntes Dopingopfer bin. Ich habe jetzt aber auch gesagt, also auch der OKSK, wenn ich mit in das Boot genommen werde als Lügnerin, also wenn man dahinter steht, also als Lügnerin im Bereich Doping, dann würde das auch bedeuten, dass auch alles andere bei mir in Frage gestellt wird, was ich aussage. Und das würde dann bedeuten, auch für eine OKSK, dass ich das, was ich als Missbrauch und wo ich ja jetzt auch viel eingeladen bin und das auch thematisiert wird und bekämpft werden soll, da ja eigentlich dann auch in Frage gestellt bin.
[00:31:43.860] - Nadia Kailouli
Das ist krass, dass man dann wieder die Leute in Frage stellt, die Missbrauch erlebt haben, anstatt sich selber mal in Frage zu stellen, wo der eigene Fehler liegt, und zwar, dass man es nicht auf die Kette bekommen hat, Kinder davor zu schützen mit Erwachsenen, die ihre Verantwortung ausnutzen könnten und das ja auch passiert ist, irgendwie anzuprangern. Also anstatt dass man sich mal klarmacht Moment, scheiße, doch wir haben da einen Fehler gemacht und die werden immer noch gemacht. Wir können kleine Mädchen nicht einfach mit Erwachsenen unbeaufsichtigt nonstop konsequent alleine lassen. Das ist Bullshit.
[00:32:16.200] - Susann Wegner
Ich freue mich gerade, dass du das erkannt hast. Das ist die Kombination. Und ja, und das ist ja, da gibt es immer so Begriffe. Es muss erst mal Anhörung stattfinden, Anerkennung des Leides oder das, was passiert ist und dann geht es weiter. Dann fragt man, welche Strukturen herrschen. Und dann kann man anfangen, erst daran zu arbeiten, gucken, wie ist es dann heute? Haben wir da Ähnliches? Ich habe auch dem DTB auch gesagt und auch dem DOSB, wenn man nicht anfängt nach hinten zu gucken und Aufklärung betreibt und dann natürlich die Anerkennung und gucken, wie kann man denen, die betroffen sind, helfen? Dann kann man aber auch nicht Prävention betreiben, weil ohne das einmal zu analysieren und die Aufklärung zu machen, kann ich nicht nach vorne sagen: Ja, ja, wir schützen und wir machen alles. Nee, es geht nicht. Und das ist natürlich auch, habe ich auch dem DTB gesagt, das ist doch ein gutes Beispiel. Wenn sie jetzt zeigen, hier ist das passiert und wir helfen und um Gottes willen, wir wollen nicht, dass das wieder passiert, deswegen müssen wir das und das jetzt anders machen. Das ist doch die beste Art und Weise finde ich so.
[00:33:22.380] - Nadia Kailouli
Ja, man kann das so leicht runterbrechen, jetzt mal ganz plump. Aus Fehlern sollte man lernen. Und das ist ja nicht so, dass heutzutage im Spitzensport, im Leistungssport ja nicht auch Missbrauchsfälle bekannt geworden sind, die noch nicht mal, sage ich jetzt mal ganz überspitzt gesagt, so weit zurückliegen wie deine und eure Fälle, sondern ein, zwei Jahre zurückliegen und jetzt ans Licht kommen. Also irgendwann muss man ja auch mal sagen: Okay, wir haben hier Menschen wie Susann Wegner, die ist bereit, mit uns zusammen Konzepte zu entwickeln, Aufarbeitung zu leisten, damit man für die Zukunft Kinder besser schützt. Also so verstehe ich dich, dass das deine Mission ist.
[00:33:59.380] - Susann Wegner
Ja, Gott sei Dank eben auch andere, die da auch schon Jahre drin arbeiten. Und ich bin auch eingeladen beim DOSB. Ich arbeite mit Sporthochschule Köln auch zusammen mit Bettina Rulofs und so. Also ich bin überall da sehr willkommen, weil ich das sehr gut schildern kann und weil man daraus lernen kann. Und das finde ich gut. Es gibt viele, aber es müssen noch mehr werden. Ja, mache ich auch weiter für.
[00:34:26.260] - Nadia Kailouli
Welche Unterstützung wünscht du dir darüber hinaus?
[00:34:29.090] - Susann Wegner
Dass die, die eigentlich noch in Verantwortung liegen und das ist der DTB zum Beispiel und der DTB ist ja untergeordnet unter dem DOSB, dass es da einmal, das habe ich auch dem DTB gesagt, wir wünschen uns eine nach außen transparente Anerkennung des Leides, also dass sie es einmal aussprechen, dass es schlimm ist, dass was passiert ist, also es wirklich einmal aussprechen und dass es, ich habe damals gesagt, verschriftlicht wird auch entweder in einem Artikel oder in einer Pressekonferenz oder sonst was. Aber dass das wirklich offiziell mal gesagt wird, ausgesprochen wird.
[00:35:07.720] - Nadia Kailouli
Wie lange glaubst du, bist du von deiner Kraft, nicht, dass ich dich jetzt als schwach einstufe überhaupt nicht, aber es ist ja ein sehr kraftraubender Prozess auch für dich, ja, wie lange wirst du das noch mitmachen, da dich zu engagieren, aufzuarbeiten, obwohl du merkst, bisher ist irgendwie nicht das gekommen, was ich mir eigentlich erhofft habe?
[00:35:27.300] - Susann Wegner
Ich weiß es nicht. Ich habe auch ab und zu mal dann, also gerade jetzt, wo ich wieder drin bin seit zwei Jahren, Momente, wo ich denke, meine Güte, aber ich habe immer noch Kontakt zum NDR, wo ich die Filme gemacht habe. Ich habe immer noch zu Ines Geipel Kontakt und ich finde Sporthochschule Köln, die Arbeit mit denen, das tut gut. Und das macht mir schon auch immer wieder Mut und gibt Kraft. Da ist Bewegung. Und wenn solche Leute dann auch, weiß ich nicht, sich auch mit viel Kraft einsetzen.
Aber wir merken alle, also alle, die sich damit beschäftigen, das ist hart. Ich weiß es nicht. Aber aufhören kann ich nicht. Also dazu bin ich wahrscheinlich zu sehr Sportler. Gibt es bei uns nicht.
[00:36:09.620] - Nadia Kailouli
Ja.
[00:36:10.000] - Susann Wegner
Ich kann mich nicht ausruhen und hinsetzen. Nein, weitermachen!
[00:36:12.520] - Nadia Kailouli
Weitermachen. Das finde ich tatsächlich gut. Und ich finde es super, dass du so offen mit uns darüber gesprochen hast, auch so transparent darüber gesprochen hast. Und das heißt, wir werden dich wahrscheinlich dann einfach noch mal einladen mit der Hoffnung, dass du irgendwann mal bei uns als Gast bist und sagst: "Ah, jetzt haben wir endlich mal was erreicht und das erzähle ich euch heute mal."
[00:36:32.230] - Susann Wegner
Oh ja, bitte. Also das habe ich damals schon so gerne gemacht, als wir es geschafft haben, das Gesetz zu verlängern für die Anträge, für die Entschädigung. Das waren nur 10.500 € und da haben sich, glaube ich, 1.500 nur gemeldet, aber immerhin. Und natürlich und es gibt so viele, die sich bedankt haben, mit denen wir zusammen in meiner Sportart gearbeitet haben, denen es jetzt besser geht, weil wir das gemacht haben. Das ist hart, es tut weh, das sage ich ja auch, aber denen geht es jetzt besser.
[00:37:03.020] - Nadia Kailouli
Susann Wegner. Ich danke dir sehr, dass du heute bei uns bei einbiszwei warst. Vielen Dank und alles Gute.
[00:37:08.820] - Susann Wegner
Dankeschön.
[00:37:13.700] - Nadia Kailouli
Also ich glaube, ich habe in einem Gespräch mit Susann meinen Standpunkt sehr klar gemacht, dass ich das erschreckend finde, dass Menschen, die selber Missbrauch erlebt haben, auf verschiedensten Ebenen sich so engagieren und dann aber irgendwie nicht genügend Unterstützung bekommen. Das finde ich irgendwie immer noch echt, wo ich mir denke Leute, nehmt es an, setzt euch damit auseinander und verändert eure Strukturen. Ganz wichtig. Und ein Punkt, der ist mir ein bisschen untergegangen, aber den möchte ich ganz gerne hier noch mal festhalten: Wer Missbrauch erlebt hat, egal in welcher Form, bei dem kann es eben sein, dass das, was in der Kindheit passiert ist, später im Erwachsenenleben dazu führt, dass man Depressionen bekommt, nicht in der Lage ist, vielleicht eine vernünftige Beziehung zu führen, im Job irgendwie nicht so performen kann, wie man eigentlich will und so weiter, weil man sich andauernd immer mal wieder daran zurückerinnert, scheiße, da war ich schutzlos jemandem ausgeliefert, der mir wehgetan hat. Und das kann eben auch dein Leben prägen als erwachsener Mensch. Das hatte sie ja eben angesprochen. Umso wichtiger ist es dann eben aufzuarbeiten. Und wenn ihr euch jetzt fragt, über welche Filme hat Susanne denn hier die ganze Zeit gesprochen? Die verlinken wir euch in den Shownotes.
[00:38:21.360] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Sie war so talentiert, dass sie bereits mit neun Jahren an die Sportschule nach Halle-Neustadt kam – 1981, damals in der DDR.
Mit 14 ging es los in der DDR-Nationalmannschaft, Susann Wegner fuhr als rhythmische Sportgymnastin zu Wettkämpfen. Mit 17 beendete sie ihre Karriere – weil der physische und psychische Druck zu groß war, und: Weil sie missbraucht wurde.
Sexuelle Gewalt im DDR-Sport ist kein Einzelfall. Die Sportsoziologin Bettina Rulofs von der Sporthochschule Köln sagt: „Das DDR-Leistungssport-System war wie gemacht für den Missbrauch von Kindern. Schon im Grundschulalter wurden Talente in Kinder- und Jugendsportschulen untergebracht, oft auch in Internaten. Die gewohnten Kontakte und Vertrauenspersonen brachen weg, stattdessen Drill und ständiges Training. Dazu kam: Die Kinder wurden ständig gemessen, gewogen, untersucht, ständige Berührungen, ständiges Alleinsein mit Ärzten.“
So war das auch bei Susann Wegner, die heute über ein Thema spricht, von dem viele nichts mehr wissen wollen - Missbrauch im DDR-Leistungssport.
LINKSAMMLUNG:
Ein Beitrag vom NDR über den Missbrauch im DDR-Leistungssport
NDR - Sportclub Story (2017): “Kindheit unter Qualen - Missbrauch im DDR-Leistungssport”
NDR (2018): "Der Kraftakt": Folgen des DDR-Leistungssportsystems
YouTube | "Der Kraftakt": Folgen des DDR-Leistungssportsystems
Missbrauch in der DDR wurde bisher nicht genug aufgearbeitet
Süddeutsche | Missbrauch im DDR-Sport: Übergriffe mit System
Bei der Aufarbeitung geht es oft nur um Doping und nicht um Missbrauch
Deutschlandfunk | Sexualisierte Gewalt in der DDR Vergiftete Medaillen
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat zum Thema ein öffentliches Fachgespräch veranstaltet
Aufarbeitungskommission | Fachgespräch „Sexueller Kindesmissbrauch in der DDR – Fokus Sport“