Sexuelle Gewalt im Sportverein – was berichten die Sportler:innen, Ina Lambert?
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[00:00:01.510] - Ina Lambert
Wir haben Betroffene, die sich an uns wenden, die schildern, was ihnen geschehen ist. Beispielsweise eine junge Schwimmerin, die sagt: „Ja, mein Trainer, der berührt mich dann auch gerne mal so an der Hüfte oder am Po. Und ich habe dann gemerkt, seine Hand war da und konnte das aber selber gar nicht so schnell einordnen und dann war es auch wieder weg und naja, habe mir da erst mal nichts dabei gedacht, bis dahin dann, dass er mich in der Umkleide so bedrängt hat, dass ich wirklich jetzt heute auch Angstzustände habe. Und ja, das aber gar nicht so richtig einordnen kann, was da überhaupt passiert ist."
[00:00:33.390] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst! Seit einem halben Jahr gibt es die Ansprechstelle Safe Sport. Da können sich alle melden, die in einem der knapp 90.000 Sportvereine in Deutschland sexuelle Übergriffe oder Gewalt erlebt haben. Jetzt hat die Ansprechstelle einen ersten Zwischenbericht vorgelegt und die Ergebnisse sind ernüchternd. Sexuelle Gewalt gibt es in allen Sportarten und in allen Formen: physische und psychische Übergriffe, Belästigungen, Stalking. Es ist alles dabei und es trifft vor allem Kinder und Jugendliche unter 18. Wieso fair “sports” anscheinend nicht überall gilt und wie die Anlaufstelle helfen kann, erzählt mir Ina Lambert. Sie ist die Geschäftsführerin von Safe Sport und ich freue mich, dass sie heute bei uns ist. Dann sage ich herzlich willkommen bei einbiszwei, Ina Lambert. Schön, dass du da bist.
[00:01:41.140] - Ina Lambert
Dankeschön, dass ich hier sein darf!
[00:01:42.920] - Nadia Kailouli
Ina, wir sprechen heute über Safe Sport e.V., richtig?
[00:01:47.190] - Ina Lambert
Genau.
[00:01:47.590] - Nadia Kailouli
Wir kennen hier bei einbiszwei schon die Safe Sport-Studie. Über die haben wir hier schon gesprochen. Wir haben hier bei einbiszwei auch schon sehr oft mit Sportler:innen über sexualisierte Gewalt im Sport gesprochen. Wir hatten Maximilian Klein von Athleten Deutschland auch schon hier zu Gast und jetzt haben wir Dich hier zu Gast und wir reden auch mit dir über das Thema sexualisierte Gewalt im Sport. Wofür steht denn jetzt Safe Sport e.V.?
[00:02:13.030] - Ina Lambert
Safe Sport e.V. ist der Trägerverein von unserer unabhängigen Ansprechstelle für psychische, physische und sexualisierte Gewalt im Sport. Genau, das heißt, wir sind ein gemeinnütziger Träger und betreiben seit Juli letzten Jahres die Ansprechstelle, an die sich Betroffene von Gewalt im Sport wenden können. Wir sitzen hier in Berlin. Man kann auch vor Ort zu uns kommen, aber man kann uns auch anrufen über unsere Hotline oder eben über die Online-Beratung kontaktieren.
[00:02:41.270] - Nadia Kailouli
Jetzt wissen wir eben schon durch die Gespräche, die wir hier schon geführt haben, aber auch durch eben die Safe Sport-Studie ja, dass sexualisierte Gewalt, psychische Gewalt im Sport keine Seltenheit ist. Was hat sich seit Juli letzten Jahres getan? Also klingelt bei euch das Telefon heiß oder ist es eher ruhig?
[00:03:00.130] - Ina Lambert
Ja, die Ansprechstelle wird auf jeden Fall gut angenommen. Es ist so, dass wir feste Sprechzeiten haben, zu denen sich Ratsuchende melden können, aber man kann uns auch jederzeit außerhalb der Sprechzeiten kontaktieren und einen Termin vereinbaren oder wie gesagt, sich über die Online-Beratung an uns wenden, was vielleicht für manche ein bisschen niedrigschwelliger ist, erst mal eine Nachricht zu schicken und zu gucken: „Welche Antwort bekomme ich denn da? Kann ich da überhaupt irgendwie Vertrauen fassen? Möchte ich mich da öffnen?" Und dann ist vielleicht der nächste Schritt, dass wir dann auch ein Telefonat anbieten oder auch einen Video-Chat. Genau, also die Nachfrage ist groß und es kommt immer so in Wellen, dass sich Ratsuchende melden. Also bei uns können sich ja sowohl Menschen melden, die selbst von Gewalt betroffen sind im Spitzen- oder Breitensport, als auch Menschen, die Gewalt beobachtet haben.
Das heißt, es melden sich auch zum Beispiel viele Eltern, die ein Kind im Sportverein haben und sagen: „Wir kommen irgendwie mit dem Trainer nicht zurecht und unser Kind zeigt mittlerweile beispielsweise irgendwie Angstsymptome und der brüllt dann rum, der Trainer, und wir wissen gar nicht, wie wir das einschätzen sollen", bis hin zu Betroffenen, die sich melden, die zum Beispiel auch vor vielen Jahren sexualisierte Gewalt im Sport erlebt haben, beispielsweise auch durch einen Trainer, die sich an uns wenden und sagen: „Ich möchte da irgendwie noch mal drüber sprechen. Ich merke bis heute, dass ich Symptome habe und brauche da Unterstützung." Was wir auch anbieten, ist eine juristische Beratung, da noch mal eine Einordnung zu bekommen. Zum Beispiel auch die Frage: „Kann ich das anzeigen? Sollte ich das anzeigen?" Also: „Soll ich wirklich eine Strafanzeige machen? Kann ich das innerhalb des Sports irgendwo melden, weil ich nicht möchte, dass dieser Mensch, der mir was angetan hat, noch anderen was antut?" Also die Bandbreite von Anfragen ist sehr groß und ähm...
[00:04:39.730] - Nadia Kailouli
Jetzt fangen wir mal ganz von vorne an...
[00:04:41.600] - Ina Lambert
Ja!
[00:04:41.960] - Nadia Kailouli
Weil ihr halt gerade noch so jung seid, sage ich mal, als Anlaufstelle. Wie konzipiert man das? Also wer sitzt dann da und wie handhabt ihr das? Man eröffnet ja nicht einfach ein Büro, schaltet eine Telefonnummer frei und sagt dann: Alles klar, alle, die im Sportbereich irgendwie was erlebt haben, was nicht in Ordnung ist, was sowohl psychische als auch sexualisierte Gewalt ist, die können sich jetzt anrufen und dann wartet man und dann ah das Telefon klingelt: „Hallo, wer ist denn da?" also wie geht man da ran? Wie baut man so was auf?
[00:05:11.380] - Ina Lambert
Ja, also das hatte natürlich einen sehr langen Vorlauf. Es gab diverse Studien, zum Beispiel die Sicher im Sport-Studie und die Safe Sport-Studie. Es gab zum Beispiel das Positionspapier von Athleten Deutschland e. V, dass es eine unabhängige Ansprechstelle für Gewalt im Sport auch braucht, auch unterstützt durch eben wissenschaftliche Befunde, auch unterstützt mit betroffenen Stimmen. Und das Bundesinnenministerium hat ja dann auch diesen Stakeholder-Prozess in Gang gesetzt, sodass perspektivisch auch ein Zentrum für Safe Sport entstehen soll. Diese Idee wurde auch im Koalitionsvertrag verankert 2021. Und im November 2022, am Rande der Sportministerkonferenz, wurde eben unser Verein Safe Sport e.V. gegründet. Durch den Bund, durch alle 16 Bundesländer, durch Athleten Deutschland e.V. und einen weiteren Vertreter aus der Wissenschaft und einer Kollegin aus der UBSKM.
[00:06:02.600] - Nadia Kailouli
Und wie bist du dann da reingekommen? Also wie ist man dann auf dich gekommen?
[00:06:07.320] - Ina Lambert
Genau, das war dann schon der nächste Schritt, weil zunächst hat unser ehrenamtlich engagierter Vorstand begonnen, zusammen mit dem BMI die Räumlichkeiten zu suchen, das Konzept auf die Beine zu stellen und dann eben auch Personal zu akquirieren. Und dann kam ich auch dazu. Letztes Jahr, also tatsächlich fast vor einem Jahr, letztes Jahr im April, wurde ich als Geschäftsführerin und Psychologin angestellt und noch eine weitere Kollegin als Juristin und noch ein weiterer Kollege, der Büroassistenz macht und Öffentlichkeitsarbeit, Social-Media-Kanäle und so weiter. Also wir sind tatsächlich nur zu dritt.
[00:06:40.580] - Nadia Kailouli
Okay, wow. Das heißt, ihr alle telefoniert da recht eifrig dann mit den Leuten, also nehmt die Gespräche entgegen. Oder ist das dann nur bei einer Person, was ja auch sehr wenig … Also drei ist schon sehr wenig, ne?
[00:06:53.160] - Ina Lambert
Ja, sogar im Grunde nur zu zweit. Also die Beratung machen nur meine Kollegin Michaela und ich.
[00:06:57.430] - Nadia Kailouli
Okay, Wahnsinn!
[00:06:57.660] - Nadia Kailouli
Dann kannst du uns ja ganz gut erzählen, was du so hörst am Telefon oder in den Nachrichten. Was erreichen dich für Nachrichten?
[00:07:07.120] - Ina Lambert
Also wie schon gesagt, es ist wirklich eine sehr, sehr große Bandbreite an Menschen, die sich melden. Wir haben teils sehr engagierte Ehrenamtliche und Trainer:innen, die sich an uns wenden, die zum Beispiel sagen: „Ich habe bei einem Trainerkollegen dieses und jenes Verhalten beobachtet." Vielleicht sind auch schon Spieler:innen auf mich zugekommen und haben sich bei mir beschwert darüber. Und ich merke so, dass es eigentlich nicht tragbar, dieses Verhalten und wollen aber auch erst mal eine Einschätzung von uns: Wie können sie das einordnen, was da passiert? Also ganz oft haben die Ratsuchenden dann erst mal vielleicht nur ein ungutes Gefühl und dann ist es total hilfreich, wenn wir ihnen vermitteln: Ja, da handelt es sich wirklich um psychische Gewalt beispielsweise. Das ist einerseits immer wieder erschreckend für die Personen, die sich melden, weil sie dann merken, okay, es ist wirklich nicht so harmlos, wie ich vielleicht gehofft habe, und andererseits ist es natürlich auch entlastend zu merken, ja, mein Gefühl täuscht mich da nicht und okay, hier müsste man womöglich wirklich was unternehmen.
Wir haben auch, wie gesagt, Betroffene, die sich an uns wenden, die häufig auch erst mal über die Online-Beratung Kontakt aufnehmen und schildern, was ihnen geschehen ist oder erst mal vielleicht nur auch wenig schildern, was ihnen geschehen ist, wo man dann anbietet: „Okay, wir können gerne erst mal weiter schreiben, oder es ist auch möglich, dass wir ein Telefonat dazu führen und vor allem erst mal zuhören und bestärken und jeweils schauen - egal wer sich meldet - was ist denn das Anliegen der Person? Also geht es eher psychische Entlastung? Geht es um eine juristische Einordnung des Geschehenen? Wollen die das melden? Wollen die sich an Stellen im Sport wenden? Und ja, da versuchen wir erst mal gemeinsam mit den Ratsuchenden zu sortieren, worum es überhaupt geht und versuchen dann zu unterstützen oder auch gegebenenfalls an entsprechende Stellen weiterzuverweisen. Weil es ist ja klar, wir können nicht alles managen. Wir haben natürlich die Möglichkeit, auch bei der psychologischen Beratung beispielsweise bis zu zehn Beratungseinheiten anzubieten. Sodass zum Beispiel, wenn man merkt, okay, eigentlich wäre eine Psychotherapie doch angezeigt und vielleicht ganz günstig, dass man zumindest in regelmäßigen Abständen ins Gespräch kommt und das so ein bisschen versucht zu überbrücken.
[00:09:16.610] - Nadia Kailouli
Jetzt ist so meine Erfahrung, die ich ja so gemacht habe, ist, dass vor allem Menschen erst nach dem Missbrauch sich trauen, darüber zu sprechen. Weil das eben schon in der Trainingsphase als Jugendlicher passiert ist und dann als Erwachsener man realisiert, das war alles echt überhaupt nicht in Ordnung. Rufen bei dir dann Betroffene an, also auch sehr junge Menschen, oder rufen bei dir Betroffene an, die den Missbrauch schon erlebt haben und sich jetzt trauen, darüber was zu sagen, weil sie wissen, dass der Trainer oder die Trainerin noch im Amt sind, zum Beispiel?
[00:09:52.220] - Ina Lambert
Also tendenziell würde ich sagen, dass die Ratsuchenden eher schon ein bisschen älter sind. Ich würde sagen, ab dem jungen Erwachsenenalter. Das heißt aber ja nicht, dass die Gewalt schon vorbei ist, sondern manche stecken auch wirklich noch in der Situation. Aber die meisten, da würde ich dir zustimmen, bei den meisten liegt es schon eine Weile zurück. Und die versuchen jetzt noch mal, das für sich zu sortieren oder sind das für sie schon am Aufarbeiten, sind vielleicht auch in psychologischer Behandlung und wollen dann aber das noch mal vielleicht auch juristisch einordnen können.
[00:10:23.550] - Nadia Kailouli
Also jetzt können wir uns das ja ein bisschen vorstellen, dass man euch entweder anschreiben kann oder euch anrufen kann und ihr sprecht dann ganz direkt mit den Leuten. Vielleicht kannst du uns noch mal einen Einblick geben, was man dir dann erzählt. Sagt man dann: „Hallo, ich bin gerade in einem Tennisverein und mein Trainer will immer mit mir in die Dusche", oder was wird einem da genau erzählt?
[00:10:42.940] - Ina Lambert
Also häufig, wenn Menschen anrufen oder sich melden, die selbst betroffen sind, dann fallen die in der Regel ja nicht so mit der Tür ins Haus, sondern sie tasten sich erst mal so vor und sagen vielleicht auch erst mal: „Ja, mir ist da was passiert in meinem Verein", und wollen aber vielleicht auch erst mal schauen: Kann ich darüber überhaupt sprechen. Dadurch, dass die Menschen, die selbst betroffen sind, sich häufig erst später melden, fangen sie vielleicht auch erst mal mit einer harmloseren, vermeintlich harmloseren Situation an, die zu erzählen. Beispielsweise eine junge Schwimmerin, die sagt: „Ja, mein Trainer, der berührt mich dann auch gerne mal so an der Hüfte oder am Po und ich habe dann gemerkt, seine Hand war da und konnte das aber selber gar nicht so schnell einordnen und dann war es auch wieder weg. Und na ja, habe mir da erst mal nichts dabei gedacht, bis dahin dann, dass er mich in der Umkleide so bedrängt hat, dass ich wirklich jetzt heute auch Angstzustände habe und ja, das aber gar nicht so richtig einordnen kann, was da überhaupt passiert ist." So als ein Beispiel.
Oder auch eine Mutter, die anruft und beschreibt, dass sie mitbekommen hat, dass in ihrem Ruderverein, da wo ihr Kind, also ihr jugendliches Kind trainiert, dass es da einen Trainer gibt, der schon auch bewusst immer dafür sorgt, dass zum Beispiel alleine mit ihm auf einem Boot gefahren wird, was das eigene Kind mit anderen beobachtet und dass das eigene Kind erzählt, also mein Freund, der auch im Verein ist, schildert unangenehme Situationen, dass er zum Beispiel dann auch gedrängt wird und dann aber auch gesagt wird: „Ich melde dich nur dann zum nächsten Wettkampf an, wenn du jetzt mit mir alleine hier im Boot fährst", und so weiter und wo dann so Berührungen an den Händen kommen. Also so wirklich dieses Herantasten mit Berührungen beispielsweise.
[00:12:23.480] - Nadia Kailouli
Aber ist ja total schwierig dann für euch, oder? Ich meine, was sagt man dann? Ich meine, außer dass man sagt: „Ja, das stufen wir jetzt auch so ein, dass das nicht zu dem Trainingsinhalt gehört." Aber was kann man dann darüber hinaus machen? Vor allem, wenn das jetzt eine Mutter ist, die das beobachtet aufgrund von ihren Schilderungen von ihrem Sohn, wo der noch nicht mal der eigene Sohn betroffen ist, sondern der Sohn beobachtet, wie andere Kinder betroffen sind. Was könnt ihr dann machen? Also was rät man dann da?
[00:12:52.430] - Ina Lambert
Also bei der Mutter wäre es jetzt so, dass man natürlich dann auch noch mal anregen könnte, mit anderen aus dem Verein dazu in Kontakt zu kommen. Vielleicht auch mit anderen Eltern sich zusammenzutun, zu fragen: „Was erzählen dann eure Kinder so über das Training?" Also, dass man wirklich erst mal so rein hört: „Wie nehmen das andere wahr?" Also das so als nächster Schritt. Bei der Person, die selbst betroffen ist, die unter diesen Berührungen leidet, da wäre es wirklich entlastend zu sagen: „Ja, das ist eine absolute Grenzüberschreitung, die da geschehen ist." Oftmals ist es dann aber auch schon so, also wir würden fragen: „Wie kannst du dich jetzt schützen? Bist du noch in dem Verein? Willst du da weiter hingehen?" Also wir würden natürlich erst mal eruieren: Was möchte die Person jetzt? Und oftmals ist es ja leider so, dass gerade die Menschen, die selbst betroffen sind, aus den Vereinen dann rausgehen, was natürlich auch immer als wahnsinnig ungerecht empfunden wird, auch von uns, die wir das hören, weil man denkt: „Ja, schön, genau so." Und die Täter:innen oder Beschuldigten sind weiterhin im Verein tätig. Es betrifft sicherlich auch andere, aber die Betroffenen gehen dann raus, wechseln die Sportart, wechseln den Verein, haben vielleicht überhaupt keine Lust mehr, jemals noch mal in einem Schwimmverein - jetzt in dem Fall - zu sein und müssen sich jetzt mit den Folgen auseinandersetzen, die oftmals einfach super gravierend sind.
[00:14:07.820] - Nadia Kailouli
Ist es dann eher so der Breitensport, der Spitzensport? Also es kommen ja immer wieder neue Geschichten ans Licht, gerade aus dem Spitzensport, wo dann irgendeiner dann im Nachhinein auspackt und sagt: „Das und das ist mir passiert, sei es im Tennis, im Fußball, in der Leichtathletik." Sind das sozusagen prominente Sportler auch, die bei euch anrufen?
[00:14:28.030] - Ina Lambert
Also im letzten Jahr – wir haben die Zahlen für das letzte Jahr ausgewertet – waren es ungefähr zwei Drittel der Betroffenen oder der Fälle, die wir gehört haben, aus dem Breitensportbereich und etwa ein Drittel aus dem Spitzensportbereich. Also das ist sehr breit gefächert. Man muss natürlich sagen, dass die Anzahl der potenziell betroffenen Menschen im Breitensport natürlich viel größer ist, weil es einfach viel mehr Breitensportvereine in Deutschland gibt. Allerdings belegen ja auch die Zahlen, dass es im Spitzensport noch wahrscheinlicher ist von Gewalt betroffen zu sein. Was ganz einfach daran liegt, da ist das Machtverhältnis der Trainer noch größer, da ist die gemeinsam verbrachte Zeit zwangsläufig größer, da sind vielleicht auch mehr Situationen im Eins zu Eins, weil man ein sehr enges Verhältnis auch mit dem Trainer zwangsläufig hat, die auch Gewalt begünstigen können. Also da sind einfach noch mehr, also oftmals, noch mehr Faktoren als im Breitensport, die Gewalt begünstigen können und die auch einfach ein größeres Abhängigkeitsverhältnis schaffen.
[00:15:26.380] - Nadia Kailouli
Jetzt ist es ja so, dass wenn man den Spitzen- und den Breitensport nimmt, dann stößt man da tatsächlich auf Strukturen, die gar nicht so offen sind - durch die Bank weg - zu sagen: „Wir wollen das aufarbeiten", oder „Wir wollen ganz klar von Anfang an hier eine Anlaufstelle haben oder einen Kinderschutzbeauftragten im Turnverein", oder so. Weil viele immer noch die Haltung haben: „Bei uns passiert das nicht. Wir sind hier alles eine Familie, ja, beim Sport hält man zusammen. Das ist eine Team-Geschichte." Wie ist da jetzt sozusagen eure Erfahrung mit, dass ihr eine Anlaufstelle seid? Ja, für alle irgendwie, also für Betroffene, für Beobachter. Geben die euch was mit, so: „Ich kann bei mir da niemandem was erzählen. Jeder kriegt es eigentlich mit, aber eigentlich will es keiner hören", weil keiner will ja seinem Verein schaden oder dem Super-Hero-Trainer irgendwie was ans Bein binden, was man nicht beweisen kann.
[00:16:16.120] - Ina Lambert
Also das ist sehr, sehr unterschiedlich, würde ich sagen. Dadurch, dass sich auch Trainer:innen beispielsweise melden als Kolleg:innen von potenziell Beschuldigten oder Täter:innen, sehen wir auch ein großes Engagement teilweise, dass die wirklich sagen: „Das und das geht nicht, und da müssen wir jetzt auch irgendwie einen Riegel vorschieben und der soll hier nicht mehr trainieren. Es gibt auch Vorstände von Vereinen, die da sehr besonnen reagieren, zum Glück, die dann auch, selbst wenn der Verdacht noch nicht bestätigt ist, Trainer auch freistellen, wenn eine Anschuldigung im Raum steht, um das erst mal zu klären. Das wäre natürlich gut, weil es geht ja den Schutz der Betroffenen. Wir kriegen aber genauso mit, dass sich Menschen melden, die sagen: „Ich kämpfe hier gegen Windmühlen. Der Vorstand will das nicht sehen." Wir haben auch schon Fälle gehört, wo klare Sachen nachgewiesen wurden, die allerdings, weil zum Beispiel keine Strafanzeige gestellt worden ist, also eben nicht strafrechtlich verfolgt wurden, aber trotzdem gab es, weil es auch um digitale Gewalt ging, es gab Beweise, dass das gelaufen ist und trotzdem kommen dann Stimmen aus dem Vorstand, wie: Ja, aber man muss dem Menschen ja noch eine Chance geben und der soll doch hier wieder trainieren und das ist doch kein Problem, wo aber der Ratsuchende sagt: „Nein, das geht doch nicht" oder „Wie seht ihr das denn und was kann ich noch tun, damit wir was dagegen unternehmen?"
So oder so machen wir immer wieder die Erfahrung: Es sind ja häufig keine Einzelfälle. Es sind häufig keine Einzelfälle, sondern wenn sich da ein Täter, eine Täterin im Sportverein bewegt, versuchen die es ja oft bei mehreren Kindern, Jugendlichen, Grenzen zu überschreiten. Das ist ja, wie gesagt, das sind häufig keine Einzelfälle, auch wenn Betroffene auch eingeschüchtert werden natürlich und ihnen vielleicht auch gesagt wird: „Behalt es für dich und sprich bloß nicht", und so weiter, die ganzen Täterstrategien, die ja bekannt sind, wo wir immer wieder sagen: „Okay, wer ist vielleicht deine Vertrauensperson im Verein? Hast du es vielleicht doch noch bei irgendwem mitbekommen? Hast du was beobachtet?" Egal, ob es jetzt eine betroffene Person geht oder um eine beobachtende Person. Dass wir immer wieder versuchen, dieses soziale Netzwerk, was da ja ist, und im Verein sind ja oft auch viele, das zu aktivieren, weil wir eben sagen: „Okay, wenn dir als Einzelperson nicht geglaubt wird oder auch in der Rolle der beobachtenden Person, such dir andere, die auch an deiner Seite stehen, die das vielleicht auch beobachtet haben und dokumentiert die Vorfälle und tut euch zusammen!"
Also das ist immer wieder was, was wir versuchen zu vermitteln, dass sich die Menschen zusammentun, weil wir wissen, das Thema spaltet. Es gibt oft auch ein Lager, die auch Beschuldigte stark verteidigen, aus welchen Gründen auch immer, sei es, dass die schon 40 Jahre zusammen im Verein sind und der Trainer ist ja so engagiert oder er ist auch im Vorstand und hat auch im Verein eine sehr machtvolle Position und dann die Sorge, ne: „Was passiert, wenn das nach außen dringt? Das wirft ein schlechtes das Licht" und so weiter. Es gibt viele Gründe, warum das dann verschleiert wird, aber sich da zusammenzutun, stark zu machen und dann eben doch dagegen vorzugehen. Und ja.
[00:19:08.350] - Nadia Kailouli
Ich habe mir gerade so gedacht: Wie handhabt ihr das denn? Also zum Beispiel, also man hat ja so ein Bild: Es rufen unterschiedliche Leute an. Ihr dokumentiert das ja dann. Und wenn ihr dann aber irgendwann merkt: „Krass, wir haben jetzt von dem Verein, schon unabhängig, dass die voneinander wussten, schon mehrmals einen Anruf bekommen und uns wurden Sachen erzählt von Gewaltstrategien oder Missbrauch oder psychischer Gewalt, Beleidigungen, was auch immer." Und ihr dann für euch herausfindet, dieser Verein ist irgendwie auffällig. Ist euch das schon passiert, dass ihr Anrufe bekommen habt, wo ihr sagt: „Ach, wir können das alles in eine Stadt, in einen Verein zurückführen?
[00:19:45.800] - Ina Lambert
Nein, das ist tatsächlich noch nicht passiert. Ich muss aber vielleicht auch noch ganz wichtig erwähnen, dass man bei uns natürlich auch anonym bleibt in der Beratung oder zumindest bleiben kann, wenn man das möchte. Also Ratsuchende müssen keine Namen nennen, auch nicht in der Online-Beratung. Es ist nichts rückführbar auf die Personen. Manche nennen auch bewusst ihre Namen, die nennen auch Namen der Täter:innen. Nichtsdestotrotz unterliegen wir einfach auch der Schweigepflicht und das bleibt erst mal alles bei uns. So, das heißt, wenn Ratsuchende auch nicht wünschen, dass irgendwelche Infos irgendwo hindringen, gemeldet werden, wie auch immer, bleibt es bei uns. Dazu sind wir verpflichtet. Natürlich, wenn jetzt eine akute Kindeswohlgefährdung vorliegen würde, müssten wir uns auch noch mal gegebenenfalls mit einer anderen Fachberatungsstelle beraten lassen. Wenn es jetzt Gefahr für Leib und Leben geht, das sind dann absolute Ausnahmefälle. Das müssen wir dann einfach abwägen, wie man dann vorgeht. Aber es geht, wie gesagt, nichts an den Betroffenen vorbei, weil das ist einfach das Wichtigste, dass die mitgenommen werden und den Prozess mitsteuern können, was auch immer mit diesen Infos passiert.
[00:20:52.180] - Nadia Kailouli
Bist du als Psychologin darüber erschrocken, wie viele betroffen sind im Sport?
[00:20:59.160] - Ina Lambert
Ja und nein. Ich denke, es ist naheliegend, dass das ein Feld ist, wo sich Täter:innen auch bewusst bewegen. Ehrenamtliche werden gesucht im Sport. Das ist auch nachvollziehbar, weil Sport ist auch total wertvoll für Kinder und Jugendliche und für deren Entwicklung. So eine Vereinskultur ist verdammt wertvoll für Kinder und Jugendliche. Aber da, wo Kinder sind, sind auch Täter:innen. Und da ja auch bekannt ist, dass es oft über eine Vertrauensbeziehung läuft und sich Täter auch so an das ja Vertrauen der Kinder gewinnen und sie auch von sich abhängig machen und so weiter, ist es überhaupt nicht verwunderlich, dass es gerade dort zu vielen Übergriffen kommt. Plus natürlich die Körperbetontheit im Sport, die Situation in der Dusche, in der Umkleidekabine, je nach Sportart, auch dass es vielleicht auch gar nicht so schwierig ist, Einzelsituationen zu schaffen, obwohl man darauf immer achten sollte, dass das nicht passieren kann. Aber es passiert eben doch. Und ja, deswegen, da sind einfach ganz viele Strukturen, die diese gerade auch sexualisierte Gewalt begünstigen.
[00:22:03.730] - Nadia Kailouli
Man denkt sich halt dann die ganze Zeit so: „Oh mein Gott, ne, mittlerweile sind wir ja zum Glück so weit, dass wir mit diesen Tabus brechen, dass auch Betroffene eben sprechen, dass Betroffene den Mut haben, auch wenn sie im Spitzensport sind, Trainer:innen irgendwie anzuzeigen. Nichtsdestotrotz, immer wieder, wenn ich über das Thema Sport spreche, frage ich mich immer: „Kann man sein Kind überhaupt noch in so Vereine schicken?" Weil, wie du jetzt gerade du eben erklärt hast, das so viel Potenzial mit sich bringt, dass Täter:innen dort eben sich ihre Opfer suchen gezielt. Und da frage ich mich jetzt: „Ist natürlich total toll, dass es jetzt Safe Sport e.V. gibt, nach allem, was du auch gesagt hast, wie sich das dahin entwickelt hat, dass man da mit Gremien zusammensaß, sich Studien angeguckt hat und dann ja auch vor allem Athleten Deutschland e. V. gesagt hat: „Wir brauchen eine unabhängige Anlaufstelle ja, wo sich Betroffene hinwenden können." Jetzt haben wir das alles, aber das haben wir alles, eigentlich noch mehr Sichtbarkeit zu schaffen? Oder haben wir das alles auch, um Prävention zu leisten und damit mehr Fälle zu verhindern?
[00:23:08.400] - Ina Lambert
Ich denke, sowohl als auch. Also wir selbst sind eben nicht für den Präventionsbereich zuständig, aber wir können natürlich auch noch mal durch unsere Arbeit jetzt wichtige Hinweise liefern, was vielleicht noch ausgebaut werden muss. Prävention decken zum Beispiel auch die jeweiligen Landessportbünde in den einzelnen Bundesländern ab. Ich denke, die machen da auch wirklich eine gute Arbeit und sind mittlerweile auch wirklich gut aufgestellt. Auch die deutsche Sportjugend ist einfach da sehr engagiert in dem Bereich und versucht ja auch, ja sich auch auf die Fahne zu schreiben: „Wir wollen den Sport sicherer machen." Ich glaube, das Ziel ist für alle irgendwie klar und das soll erreicht werden. Nichtsdestotrotz braucht es eben die Strukturen innerhalb des Sportes und es braucht auch unabhängige Strukturen. Und ich denke, also Prävention soll auch was sein, was später auch innerhalb des Zentrums für Safe Sport verankert sein wird, ebenso wie Aufarbeitung, wo es einfach wirklich auch noch, gerade bei Aufarbeitung, noch Nachbesserungsbedarf natürlich gibt, weil da häufig auch innerhalb des Sports die Kapazitäten gar nicht dafür da sind oder auch die finanziellen Mittel nicht dafür da sind. Wenn es heißt: „Wir hatten hier einen Fall, wir würden den gerne aufarbeiten, wie kriegen man das jetzt organisiert? Wen fragen wir da an?" Also ich glaube, dass sich die Haltung dazu schon sehr verändert hat, in den letzten Jahren, auch wenn man mit Leuten spricht, die schon lange auch in dem Bereich tätig und engagiert sind. Ich glaube, da passiert gerade wirklich viel Positives, aber es muss auch noch mehr passieren. So, und da sind wir, glaube ich, gemeinsam auf dem Weg aktuell.
[00:24:33.120] - Nadia Kailouli
Und wenn man sich anguckt, dann Safe Sport e.V., das klingt halt so groß, weil ich glaube, es gibt keine Institution, die so massenweise vertreten ist, wie der Sport. Also jedes Dorf, jede Stadt, es gibt Sportvereine noch und nöcher. Hunderttausende, Millionen Menschen, Millionen junge Menschen gehen zum Sport, sind im Sportverein aktiv. Und jetzt gibt es eine Anlaufstelle und da sitzen drei Menschen.
[00:24:55.650] - Ina Lambert
Ja, eigentlich ein bisschen absurd.
[00:25:01.920] - Ina Lambert
Genau, ja, aber wie gesagt, deswegen, wir machen im Moment nur die Intervention für Betroffene oder Beobachtende. Und ich denke, wenn wir noch bekannter sind, dann wird das auch perspektivisch, auch personell wachsen müssen, weil wir sonst auch die ganzen Anfragen gar nicht bewältigen können, natürlich. Aber klar, es gibt potenziell viele Fälle. Ich glaube auch natürlich nur - wie es immer so ist - die Dunkelziffer ist wahnsinnig hoch und nur wenige kommen tatsächlich ans Licht oder kommen eben viel später ans Licht. Und ja, wir erfahren auch von Fällen, wo man hört: „Okay, Trainer XY, da gab es oder gibt es offenbar massive Übergriffe" und man weiß aber: „Ok der ist, keine Ahnung, schon Mitte 60 und ist schon sein Leben lang in irgendwelchen Vereinen tätig, hat auch vielleicht Vereine gewechselt und so weiter." Also wo man sich wirklich nur ansatzweise überhaupt vorstellen kann, was der schon, ja, vielleicht auch vielen jungen Menschen angetan hat im Laufe der letzten Jahrzehnte. Und das sind auch keine Einzelfälle.
[00:25:59.540] - Nadia Kailouli
Ja, und man weiß ja auch – man darf jetzt keine Namen nennen –, aber man weiß ja auch von Betroffenen, von Trainern, die dann trotzdem noch in irgendwelchen Vorständen drinsitzen oder so, weil es entweder verjährt ist oder man das nicht beweisen kann irgendwie, die Fälle, die passiert sind, weil das natürlich alles immer unter zwei stattfindet und da die Beweislast dann einfach nicht so groß ist. Jetzt würde ich gerne noch einmal wissen, das eine ist ja, dass ihr beratet, dass ihr die Stelle seid, wo man wo ich erst mal hinwenden kann, was ja schon mal gut ist, weil diese Stelle gab es bisher noch nicht explizit nur für den Sport eben. Aber kannst du noch mal kurz einen Einblick geben, wie ihr dann weiterhelfen könnt? Also habt ihr schon Ergebnisse davon, dass man sich dann getraut hat, jemanden anzuzeigen oder dass dann ein Trainer den Verein verlassen musste oder dass ihr irgendwie so vermitteln konntet, dass es da jetzt eine Kinderschutzbeauftragte im Verein gibt oder so? Also könnt ihr so weit gehen oder seid ihr wirklich erst mal nur für die Einzelfälle da, um euch das anzuhören und zu dokumentieren?
[00:27:02.170] - Ina Lambert
Also dadurch, dass wir noch relativ frisch sind, ist es tatsächlich so, dass es jetzt gerade so anfängt, nach einem guten halben Jahr, dass wir noch mal Feedback zu gewissen Fällen hören, die wir vielleicht im letzten Jahr beraten haben. Aber das ist auch eher vereinzelt der Fall bislang. Uns interessiert natürlich auch immer, so ja, wie wirksam ist das, was wir da beraten, wie gehen die Fälle weiter? Aber man muss dazu sagen, das obliegt natürlich den Ratsuchenden, ob sie uns darüber noch mal in Kenntnis setzen wollen. Das ist einfach deren Verantwortung. Und da wäre es spannend für uns zu wissen, aber da haken wir dann auch nicht noch mal nach, sondern wir bieten immer an: „Hey, wenn noch was ist, meldet euch gerne noch mal oder gebt auch noch mal Feedback." Ich glaube schon, dass wir in vielen Fällen so eine Richtung aufzeigen konnten oder auch noch mal sagen konnten: „Dies sind die Stellen" oder wir nehmen selbst auch zu Stellen Kontakt auf, wo man sich noch mal hinwenden kann.
Wenn wir zum Beispiel auch denken: „Es wäre gut, ok dieser Verein hat noch kein Kinderschutzkonzept, macht da mal was und da könnt ihr euch zur Unterstützung auch an den Landessportbund wenden." Wir können auch anbieten, dass wir Kontakt herstellen zu den Ansprechpersonen. Wir können unterstützen, wenn es eine Fachberatungsstelle vor Ort braucht, vielleicht eher als jetzt so ein Online-Format, gerade auch, wenn es vielleicht ein Kind geht, das irgendwie mitkommen soll. Es ist vielleicht auch besser, das vor Ort dann zu machen, dass wir da unterstützen. Es ist wirklich sehr, sehr unterschiedlich. Aber manchmal ist dann eben monatelang Pause und dann kriegen wir noch mal einen Anruf und dann heißt es. „Okay, es hat sich jetzt so und so weiterentwickelt. Das war auch gut, aber jetzt habe ich noch die und die Frage."
[00:28:38.650] - Nadia Kailouli
Gibt es Sportarten, wo du sagst, aus der Sportart rufen häufig Leute an?
[00:28:44.630] - Ina Lambert
Nein, kann ich so nicht sagen. Wir haben wirklich ein ganz breites Feld an Sportarten. Man wird ja vielleicht denken, okay, eher so Einzelsportarten, da sind die Menschen vielleicht eher betroffen als in Mannschaftssportarten, aber selbst das lässt sich nicht sagen. Natürlich haben wir beispielsweise Fußball ist überrepräsentiert bei uns in den Anfragen, was aber schlicht daran liegt, dass es natürlich auch sehr, sehr viele Menschen, Kinder und Jugendliche, in Fußballvereinen gibt. Wobei ich da sagen würde, dass es da häufiger um psychische Gewalt tatsächlich geht. Aber ansonsten kann ich da jetzt keine Sportartenspezifik bis dato ausmachen.
[00:29:16.540] - Nadia Kailouli
Das ist aber auch noch mal ein interessanter Punkt mit dem Fußball, psychische Gewalt. Ich meine, wir kennen das von den ganzen Profispielen, die wir halt im Fernsehen sehen, wie dann die Trainer mal ausrasten oder der Spieler ausrastet, der Schiedsrichter ausrastet. Also Ausrasten gehört, Emotion, gehört irgendwie gefühlt zum Fußball dazu. Und jetzt schilderst du halt, dass das beispielhaft für psychische Gewalt eben ist, wenn die Leute anrufen, von denen die anrufen. Was fällt denn da drunter? Also wo fängt das gerade beim Fußball an, zum Beispiel?
[00:29:46.210] - Ina Lambert
Na ja, es kommt ja immer auch auf die Wahrnehmung der Betroffenen an. Wenn jetzt ein Kind nun mal verständlicherweise sagt oder ein Jugendlicher: „Ich möchte nicht angeschrien werden, das überschreitet für mich eine absolute Grenze, das ist zu viel." Also dann ist es einfach eine Grenzüberschreitung oder wenn massiver Druck ausgeübt wird oder wenn Kinder bloßgestellt werden in der Fußballmannschaft vor den anderen, wenn gesagt wird, so was wie „Ach du Weichei jetzt, stell dich doch mal nicht so an." Auch das ist eine Form von psychischer Gewalt. Und natürlich sind Menschen, Kinder und Jugendliche auch unterschiedlich aufgestellt. Die einen stecken so was vielleicht eher weg und die anderen reagieren aber verständlicherweise empfindlich darauf und sagen vielleicht irgendwann: „Ich will nicht mehr in diesem Verein spielen. Der Trainer ist schräg. Und wir sind auch wirklich der Meinung, wenn so mit Kindern und Jugendlichen umgegangen wird, sollten solche Menschen nicht trainieren.
[00:30:38.630] - Nadia Kailouli
Das ist halt eben wieder das mit den ehrenamtlichen Unterstützern, weil wenn ich die ich zurückerinnere so, ich habe jetzt selber nicht Fußball gespielt aber mein Bruder. Das war ja immer irgendeiner, der gesagt hat: „Ich mache das, ich trainiere die Jungs." Das war ja jetzt kein ausgebildeter Trainer, der dann, also gerade im Breitensport ist das jetzt nicht immer ein ausgebildeter Trainer, sondern man engagiert sich und man denkt sich so: „Ja ich krieg´ das hin, habe ja früher selber Fußball gespielt." Und zack, bumm, ist man Trainer auf dem Platz und hat natürlich die Macht über halt einfach eine Horde Jungs oder Mädchen. Und klar, da ist keiner darauf ausgebildet, zu sagen, man schreit seine Schülerinnen und Schüler nicht an, ja, wenn einem das nicht passt, dass jemand zu langsam rennt, dann sucht man ein Gespräch und sagt: „Hey, vielleicht müssen wir mal gucken, dass du an deinem Laufstil arbeitest“, oder so anstatt jemand anzuschreien: „Du bist zu langsam, so wird das nie was, oder so." Aber so kennt man es ja auch. So kennt man es ja auch im Profisport. Also, da werden Cola-Flaschen dann irgendwie weggeschmissen oder so. Gut, manchmal gibt es da eine rote Karte oder so, aber solche Szenen sind ja etabliert.
[00:31:46.900] - Ina Lambert
Schon. Und nichtsdestotrotz möchte ich wirklich noch mal sagen, es gibt auch sehr, sehr gute ehrenamtliche Trainerinnen und Trainer, die wirklich gut arbeiten, engagiert arbeiten. Es gibt auch super Fortbildungen, die man machen kann zu dem Thema. So ist es nicht. Das heißt, eigentlich ist es super, wenn die Menschen sensibilisiert sind, vielleicht andere darauf hinweisen. Man kann ja auch mal Fehler machen, aber dann muss darüber gesprochen werden und dann muss gemeinsam überlegt werden, wie man es ändern kann. Aber in diesen Strukturen ist ja leider oft so: „So wie ich das mache, ist es richtig und ich möchte auch keine Kritik daran. Und die, die das nicht aushalten, die sind halt zu weich oder für die Sportart nicht geeignet." Und genau dann wird es eben problematisch.
[00:32:25.800] - Nadia Kailouli
Also Ina, ich hoffe, dass die ehrenamtlichen Fußballtrainer:innen, die uns heute zugehört haben, in Zukunft dann vielleicht weniger schreien, sollten sie geschrien haben. Ina, vielen, vielen Dank, dass du heute unser Gast bei einbiszwei warst. Vielen Dank. Dankeschön. Ja, ich fand es super, dass Ina jetzt auch noch so konkrete Beispiele genannt hat. Gerade das mit dem Rudern, dass dann ein Sportskollege, Sportsfreund, wie auch immer, das dann beobachtet, dass da der Trainer sich immer einen raussucht, mit dem er dann alleine rudern will. Der erzählt das dann seiner Mutter und die Mutter dann sagt: „Ja, irgendwie finde ich das auch nicht in Ordnung." Und dann ruft die Mutter da an bei Safe Sport und das ist ja total gut dann. Dass es da, Leute gibt, die einfach einem sagen: „Hey, redet doch mal mit anderen, tut euch zusammen und so." Das ist ja schon mal der erste Schritt.
Und wenn ihr im Sportverein auch schon zum Beispiel sexuelle Übergriffe, psychische Gewalt erlebt habt, dann ruft doch bitte bei Ina Lambert in der Ansprechstelle Safe Sport an. Die sind wirklich für euch da. Bitte macht das. Ihr habt nichts zu verlieren, denn von alleine regelt sich das alles so gut wie nie. Die ganzen Details und Öffnungszeiten, die findet ihr in den Shownotes und ich gebe euch hier aber schon mal die Nummer durch. Und zwar ist das die 0 800 11 22 200. An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Seit einem halben Jahr gibt es die „Anlaufstelle Safe Sport”. Da können sich alle melden, die in einem der knapp 90.000 Sportvereinen in Deutschland sexuelle Übergriffe oder Gewalt erlebt haben. Jetzt hat die Anlaufstelle einen ersten Zwischenbericht vorgelegt und die Ergebnisse sind ernüchternd.
Sexuelle Gewalt gibt es in jeder Sportart und in allen Formen, psychische und physische Übergriffe, Belästigungen, Stalking – es ist alles dabei. Und: Es trifft vor allem Kinder und Jugendliche unter 18.
In Deutschland gab es zuletzt zwei große Studien, um Gewalt im Sport auch statistisch zu erfassen. Die Deutsche Sporthochschule Köln und das Universitätsklinikum Ulm befragten im Rahmen des Forschungsprojekts „Safe Sport” 1.799 Kaderathletinnen und -athleten zum Thema sexualisierte Gewalt. Unter zehn Teilnehmenden waren etwa vier, die von Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt berichteten.
In der 2022 veröffentlichten Anschluss-Studie „Sicher im Sport” wurden der Breitensport berücksichtigt und die Formen der Gewalt erweitert. Dabei wurde zwischen körperlicher, psychischer und sexualisierter Gewalt sowie Vernachlässigung unterschieden. 4.367 Sportlerinnen und Sportler beteiligten sich. 70 Prozent von ihnen gaben an, schon mal eine Form von Gewalt oder Grenzüberschreitung im Sport erlebt zu haben.
Mädchen und Frauen waren deutlich häufiger betroffen als Jungen und Männer. Befragte unter 30 Jahren berichteten ebenfalls von mehr Grenzüberschreitungen.
Wieso „fair sports“ anscheinend nicht überall gilt und wie die Anlaufstelle helfen kann, erzählt Ina Lambert bei einbiszwei. Sie ist die Geschäftsführerin von „Safe Sport”.
LINKSAMMLUNG:
Website der Ansprechstelle Safe Sport
www.ansprechstelle-safe-sport.de/
Bericht über die Ansprechstelle
"Die Zahl von Gewaltbetroffenen im Sport ist wahnsinnig hoch"