Podcast | Folge: 82 | Dauer: 43:04

Sexuelle Übergriffe unter Kindern – was macht man da, Ulli Freund?

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[00:00:01.770] - Ulli Freund

Sexuelle Übergriffe haben was mit Unfreiwilligkeit zu tun und mit einem Machtgefälle. Und immer wenn Kinder Dinge tun, die Kinder nicht tun, weil sie nämlich Kinder sind und keine Erwachsenen, nämlich wenn es um Sex geht, dann sind wir auch im Bereich der Übergriffe. Nur Handlungen, die zur kindlichen Sexualität gehören, dürfen überhaupt stattfinden.

[00:00:19.780] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, akute Missstände und die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:00:44.280] - Nadia Kailouli

Wir haben hier bei der ein bis zwei schon sehr oft darüber gesprochen, wie man Kinder vor sexueller Gewalt durch Erwachsene schützen kann. Aber was ist, wenn Kinder sexuelle Übergriffe durch Gleichaltrige, also durch andere Kinder, erleben? Wie können sich Kinder gerade dann, wenn sie anfangen, erste Erfahrungen mit dem eigenen Körper zu machen, besser schützen? Und wo fangen überhaupt sexuelle Übergriffe unter Kindern an? Darüber sprechen wir heute mit Ulli Freund und ich freue mich sehr, dass sie da ist, denn Ulli ist tatsächlich die Expertin für sexuelle Übergriffe unter Kindern. Sie kann uns erklären, was es mit diesen "Doktorspielchen" so auf sich hat und wo sexuelle Neugierde aufhört und sexuelle Übergriffe anfangen und wie man Kindern erklären kann, was okay ist und was eben nicht. Ich sage, herzlich willkommen bei einbiszwei, Ulli Freund. Grüß dich.

[00:01:31.390] - Ulli Freund

Hallo.

[00:01:32.160] - Nadia Kailouli

Wir kennen uns, wir haben uns schon mal kennengelernt. Und es ist wirklich sehr schön, dass du hier bist. Und vor allem reden wir über ein Thema – ich hatte es gerade schon in unserem Vorgespräch gesagt – wo ich finde, das ist eigentlich noch mehr ein Tabu-Thema, darüber zu sprechen und zwar ist es kindliche Sexualisierung und vor allem sexuelle Übergriffe unter Kindern. Man kann sich das gar nicht vorstellen, ehrlich gesagt.

[00:01:53.780] - Ulli Freund

Ja, das ist das Problem. Man kann es sich nicht vorstellen und das ist wahnsinnig weit verbreitet. Das ist viel alltäglicher als sexueller Missbrauch von Erwachsenen an Kindern. Das ist etwas, was in Einrichtungen, also gerade wo junge Kinder sind, regelmäßig vorkommt. Auch in Grundschulen kommt das vor, in Hortgruppen, in Kinderwohngruppen. Also überall, wo Kinder miteinander sind, kommen auch sexuelle Übergriffe vor. Und ja, das muss man sich erst mal klar machen. Und ich glaube, die Verstörung liegt darin, dass viele denken: „Diese Missbrauchsgeschichten, die passieren dann unter Kindern. Wie schrecklich ist das eigentlich, dass Kinder schon so was tun?" Mir ist immer wichtig zu sagen, es ist kein Missbrauch, es ist kein Missbrauch-light oder Minimissbrauch oder so was, sondern das sind Überschreitungen von körperlichen Grenzen, die Kinder miteinander erleben, die eben ohne Strategie in aller Regel auch sind, anders als beim Missbrauch. Und überall, wo Kinder eben explorieren, ihre Sexualität entdecken, neugierig sind, sich mal zurückziehen, sich mal angucken, mal anfassen, kann es eben auch zu Übergriffen kommen.

[00:02:57.980] - Nadia Kailouli

Und ich glaube, da liegt wahrscheinlich das größte Tabu, dass man sich das gar nicht als Erwachsener vorstellen kann und möchte und auch nicht will, dass Kinder sich mal anfassen, sich mal anschauen, sondern man sich denkt: „Hä? Kindliche Sexualisierung? Was ist das? Das gibt es doch gar nicht. Ein Kind und Sexualität kann doch nicht im Zusammenhang gebracht werden."

[00:03:18.590] - Ulli Freund

Da liegt das große Missverständnis. Die meisten Menschen denken bei Sexualität an Sex, an die Sache, die Erwachsene miteinander machen oder Jugendliche miteinander machen. Aber kindliche Sexualität ist ein eigenes Thema, ein eigenes Terrain, ist eine Entwicklungsaufgabe. Eine sexuelle Entwicklung von Anfang an bis in die Pubertät erleben zu dürfen und da nicht reglementiert zu werden oder nicht unnötig eingeschränkt zu werden, ist ein ganz hohes Gut. Ich komme aus dem Kinderschutz und mir ist wichtig, dass Kinder keine sexuellen Übergriffe, also keine sexuelle Gewalt durch andere Kinder erleben müssen oder schlimmstenfalls damit alleine bleiben. Aber ich bin die Letzte, die die sexuelle Bildung von Kindern in Frage stellen würde, also Kindern alles zu verbieten und alles mit Kritik zu kommentieren, das wäre ein großer Fehler. Also wir haben die sexuelle Entwicklung der Kinder und dazu gehört eben auch, altersentsprechend, altersangemessen zu explorieren, sich zu erkundigen, bei anderen nachzufragen, sich zu vergleichen, Erfahrungen zu machen. Auch körperliche Erfahrungen im Sinne von Anfassen, mal daran riechen. Alles so was ist unter Kindern ganz normal.

[00:04:20.790] - Nadia Kailouli

Oh Gott, ich denk mir gerade so-

[00:04:22.700] - Ulli Freund

Aber das wissen sie wenigstens, weil sie einfach sofort diese Bilder von Sexualität, wie sie sie normalerweise verstehen, auf Kinder übertragen. Und das ist falsch. Kinder haben eine ganz andere sexuelle Schwingung, sage ich mal. Die haben keine Pläne.

[00:04:36.210] - Nadia Kailouli

Irritiert uns dann einfach das Wort?

[00:04:38.280] - Ulli Freund

Ja, vielleicht. Manchmal denke ich auch, vielleicht sind wir gar nicht so gut beraten, ich verwende den Begriff selber, aber vielleicht sind wir gar nicht so gut beraten, einen Begriff zu verwenden, der so besetzt ist mit dem Sex. Vielleicht geht es auch eher um Körpererfahrung, um Sinnlichkeit, aber mitunter hat das auch viel mit Lust zu tun und da müssen wir da schon ehrlich sein.

[00:04:58.270] - Nadia Kailouli

Das ist das nächste Tabu. Wir sind heute voll der Tabubrecher hier, finde ich. Also zum Beispiel Lust. Wie kann man das verstehen, dass Kinder Lust empfinden, was zum Beispiel das Berühren ihrer Geschlechtsteile betrifft? Ist das das, wenn wir darüber sprechen, dass Kinder Lust bekommen?

[00:05:17.100] - Ulli Freund

Also wenn sie sich selber berühren, haben die durchaus Lustgefühle, weil die merken, erst mal ist der ganze Körper zwar eine Fläche für Sinnlichkeit, also Kinder erleben ja ganz viele Berührungen als sinnlich, als angenehm, als Wohltun, als lustvoll. Wenn man die Säuglinge sieht, wie die Milch trinken und wie sie sich oral stimulieren. Das hat alles mit Lust zu tun. Und wenn sie mit sich selber sexuell aktiv sind, also sich selbst stimulieren, ihren Penis reiben oder an ihrer Vulva streicheln, dann hat das auch mit Lustgefühlen zu tun. Aber die Lust ist nicht so zentral wie bei den Erwachsenen. Bei den Erwachsenen ist das ja der Motor für Sex. Bei Kindern ist es eher so: Lust gibt es auch, aber vor allem gibt es eine Entwicklungsaufgabe und die heißt Identität. Also mich als sexuelles Wesen überhaupt zu finden, zu wissen: Wer bin ich? Welches Geschlecht habe ich? Wie sehe ich aus? Wie sehen die anderen aus? Was ist da eigentlich los? Und dann rückt es auch wieder in den Hintergrund. Das ist nicht so ein zentrales Thema, was es ja meistens im Erwachsenen- und Jugendlichenleben ist und bleibt. Sexualität gilt ja als eine wichtige Aufgabe für Glück und Wohlbefinden für Erwachsene. Für Kinder ist es meistens eine Phase, in der sie einfach diese Erfahrungen besonders suchen und machen. Und dann gibt es wieder andere Phasen, als ich die motorische Entwicklung Die Entwicklung ist wichtig, der Spracherwerb ist wichtig, die Musikalität, alles Dinge, die wir ja fördern. Und bei der Sexualität der Kinder, also bei diesem Entwicklungsbereich, schauen die meisten weg, haben Angst davor und wollen eben auch ganz gerne den Kindergärten verbieten, sich da überhaupt mit zu befassen. Und sie machen im Prinzip diesen Bereich zum Problem.

[00:06:50.060] - Nadia Kailouli

Aber jetzt bringe ich mal kurz ein Problem rein, so was ich gerade denke. Wenn wir anfangen, das Thema kindliche Sexualität zu enttabuisieren und darüber so zu sprechen und das nicht mehr als Tabu sehen, dass Kinder sich berühren, sich entdecken, geben wir damit nicht Pädokriminellen auch den Zuspruch in ihrer Welt, dass sie sagen, sie können mit Kindern eine Sexualität haben?

[00:07:13.750] - Ulli Freund

Ja, das hätten die gerne. So ist es aber nicht. Wenn wir sagen, kindliche Sexualität hat nur mit Kindern zu tun, da haben Erwachsene nie etwas dabei verloren. Keine Schmusespiele, keine Doktorspiele in der Kita dürfen unter erwachsener Aufsicht direkt stattfinden. Dass Erwachsene sozusagen immer über die Balustrade gucken, was machen die denn da eigentlich? Weil das hat immer die Gefahr, dass Erwachsene davon profitieren. Also kindliche Sexualität darf niemals unter Anwesenheit von Erwachsenen ihren Raum finden. Erwachsene haben sich zurückzuhalten. Die müssen Regeln vorgeben. Die müssen Kindern Orientierung geben. Die müssen Kindern sagen: "Wenn jemand sich falsch verhält und dich ärgert oder dich zu Sachen zwingt, die du nicht willst, dann darfst du kommen. Dann darfst du sagen: Nein, das will ich nicht. Und oft hört der andere ja nicht, dann darfst du zu mir kommen und dann regel ich das." Das ist die Aufgabe von Erwachsenen, aber nicht, Kinder komplett zu kontrollieren, damit da nichts Schlimmes passiert. Denn an sich, dass sich Kinder angucken und manchmal auch Grundschulkinder – das hört ja nicht mit sechs Jahren auf, nur weil man in die Schule kommt – Wenn man Kindern diese Möglichkeiten nicht gibt sich zu erkunden. Dann machen sie es heimlich, dann ist es schon tabuisiert. Sie machen es sowieso. Sie machen es sowieso und dann können sie aber auch nicht kommen und sagen: „Da ist was schiefgelaufen. Da war jemand gemein, der hat mich erpresst, der hat mich gezwungen, der hat was Böses mit mir gemacht, was mir wehgetan hat." Wie soll man denn darüber sprechen, wenn man an sich für dieses Interesse schon im roten Bereich ist?

[00:08:42.370] - Nadia Kailouli

Aber wo schafft man dann diese Räume? Nehmen wir mal das Beispiel Kindergarten. Man kennt … Oder bevor ich dahin komme, weil ich das gerade mit einem Beispiel der Doktorspiele beschreiben wollte: Wie stehst du überhaupt zu dem Begriff „Doktorspiele"?

[00:08:56.960] - Ulli Freund

Na ja, das ist so ein bisschen wie mit dem Thema sexueller Missbrauch. Alle verstehen, was damit gemeint ist, aber es trifft die Sache nicht, weil die Kinder rahmen das nicht immer durch Doktorsituation, durch Doktorsettings, sondern die nennen das irgendwie. Meistens haben sie gar kein Wort dafür. Und die Erwachsenen sagen dazu "Doktorspiele", damit man das Wort "Sexualität" nicht sagen muss. Kinder sagen eigentlich gar nichts dazu.

[00:09:18.200] - Nadia Kailouli

Die machen einfach.

[00:09:18.990] - Ulli Freund

Die machen.

[00:09:20.130] - Nadia Kailouli

Okay, jetzt nehmen wir mal das Setting Kindergarten. Da sind, egal welches Geschlecht, Kinder, die sind entweder alleine beschäftigt und fassen sich zum Beispiel gerade unbewusst einfach an oder fassen andere an oder schauen sich an, ziehen die Klamotten aus und keine Ahnung, was da so passiert. Wie soll man denn als Pädagogin oder Pädagoge jetzt in dieser Einrichtung das entweder unterbinden oder ignorieren? Oder was soll man da am besten machen? Weil das ist ja ein öffentlicher Raum, wo auch andere sind. Wir Erwachsenen fangen ja auch nicht an, uns zu streicheln, nur weil es schön ist im Büro.

[00:09:57.080] - Ulli Freund

Genau, nur weil es schön ist, ja. Genau, es geht um eine sexualfreundliche Haltung. Die Kinder müssen wissen, es ist ein prima Thema. Das ist was, das macht Menschen glücklich. Auch Kinder dürfen sich anfassen, das macht ihnen gute Gefühle. Man fühlt sich dann auch manchmal wieder sicherer, gerade wenn man unsicher war oder wenn man aufgeregt war oder wenn man sich geärgert hat. Dann fasst man sich eben mal in die Hose, man hält den Penis fest und dann fühlt man sich schon wieder sicher. Und die Kinder müssen wissen, die Erwachsenen wissen das auch. Das ist nichts Schlechtes. Aber die Kinder sollen eben auch wissen, dass dabei Regeln gelten. Und die eine Regel ist eben, nicht wenn alle dabei sind. Wenn wir am Mittagstisch sitzen, dann bleiben die Hosen zu und da kommen auch die Hände auf den Tisch. Wir wollen nicht zugucken, wie du deinen Penis streichelst, während wir hier Grießbrei essen. Das ist nicht gut. Es hat was mit Schamerziehung zu tun. Also die Kinder sollten im Kindergarten – ich finde, spätestens bis zur Einschuldung - gelernt haben, dass sexuelle Aktivitäten mit sich selbst, also Selbststimulation meistens, und aber auch dieses Neugierverhalten mit anderen in einen geschützten Rahmen gehört, wo nicht alle anderen zugucken dürfen und auch nicht müssen.

[00:11:00.530] - Ulli Freund

Es ist nämlich für manche auch unangenehm. Auch Erzieherinnen gucken da nicht gerne zu. Auch Eltern sagen immer: „Mensch, Kinder, ehrlich, will ich nicht, will ich gar nicht sehen." Aber nicht, weil es eine schlechte Sache ist, sondern weil es Schamgefühle verletzt. Und das ist auch die Aufgabe vom Kindergärten, Schamerziehung zu betreiben. Zu sagen: "Dafür gibt es… Dann könnt ihr wegen mir in die Kuschelecke gehen" oder die Kinder suchen sich ja eh meistens die Toiletten aus oder sie gehen hinter das Gebüsch, wo keiner guckt. Und das nicht grundsätzlich zu verbieten, sondern zu erklären: „Wir wissen darum, wisst ihr eigentlich noch die Regeln?" Und die Regeln sind: Wen suche ich mir aus? Ist das andere Kind ungefähr so alt wie ich? Oder ist es vielleicht ganz schön jung und kann gar nicht wirklich sagen, will ich oder will ich nicht? Ja? Ist es eine Situation, wo alle einverstanden sind? Können die sich eigentlich einigen? Das sind Regeln. Ich darf Bescheid sagen. Ich bin keine Petze, wenn ich Bescheid sage, wenn was schiefläuft. Das ist auch so eine Regel. Ich weiß, dass ich das darf, dass das mein Recht ist, dass mir Erwachsene helfen. Und ich weiß vor allem, wenn ich selber so was machen will, muss ich gut gucken, ob der andere das auch will.

[00:12:03.900] - Nadia Kailouli

Ist das nicht ein bisschen viel verlangt für ein Kind?

[00:12:07.240] - Ulli Freund

Wenn die im Sandkasten spielen, bringen wir ihnen ja auch bei, dass sie ihre Schippen entweder miteinander teilen oder eben keiner dem anderen die wegnehmen darf. Die wissen ja auch, dass sie nicht mit Sand werfen dürfen. Kinder wissen ja auch, dass sie sich nicht an den Haaren ziehen sollen. Bei anderen Gewaltthemen sind wir da ganz klar: Das können Kinder lernen. Davon sind wir überzeugt. Ich bin zutiefst überzeugt davon, wenn wir Erwachsenen eine gute Sprache finden, Kindern da ganz wenige übersichtliche, klare Regeln mitzugeben, dann verstehen Kinder das sehr gut.

[00:12:34.840] - Nadia Kailouli

Das heißt, das ist natürlich auch ein riesen Anspruch und eine Forderung dann eben an die Erzieherinnen und Erzieher. Nun, finde ich – und ich beschäftige mich ja mit dem Thema sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen sehr intensiv, aber dass das Thema kindliche Sexualität und wie sprechen Pädagoginnen und Pädagogen eigentlich mit Kindern darüber, ist selbst bei uns in diesem Podcast eher jetzt nicht das gängigste Thema. Wie sollen also Erzieherinnen oder Erzieher einem Kind sagen: „Felix oder Marie, fass dich jetzt bitte nicht da an!" Ohne ein Kind zu verängstigen oder zu verschrecken?

[00:13:13.200] - Ulli Freund

Ja, eigentlich so, wie Sie es gesagt haben: „Felix oder Maria, fass dich jetzt bitte nicht am Penis an oder an der Vulva. Das passt jetzt nicht. Wir wollen Mittagessen. Das macht zwar tolle Gefühle, aber die musst du machen, wenn du alleine bist. Jetzt nicht."

[00:13:26.850] - Nadia Kailouli

Und jetzt nehmen wir mal den Bereich … Du hast ja gerade auch gesagt, wenn wir Kindern im Sandkasten sagen, du haust jetzt mit der Schippe nicht Felix und Maria andauernd auf den Kopf, dann macht Philipp das trotzdem. Und nichtsdestotrotz kommt es ja immer wieder zu Grenzüberschreitungen bei Kindern. Wenn wir jetzt das Thema Sexualität da reinnehmen.

[00:13:44.540] - Ulli Freund

Ja, deswegen sitzen wir hier, weil es eben im Rahmen dieser Doktorspiele zu massiven Übergriffen kommt. Das ist ja mein Thema eigentlich. Jetzt haben wir im Prinzip den Vorspann gehabt: Was ist alles okay, damit man nicht das Kind mit dem Bade ausschüttet. Das ist unser großes Problem, dass also sogenannte besorgte Eltern und populistische Kreise gerne die gesamte kindliche Sexualität verdammen möchten und nichts übrig lassen wollen. Deswegen sage ich, ich komme aus dem Kinderschutz, aber mir ist so wichtig, dass dieser Entwicklungsbereich bleiben darf und dass wir den Kindern da was mitgeben und dass wir ihnen eben ihre Grenzen zeigen und sie beschützen davor, dass andere sie übergriffig behandeln, aber nicht das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

[00:14:23.960] - Nadia Kailouli

Jetzt kommen wir auch direkt auf dein Buch zu sprechen. Das heißt nämlich „Sexuelle Übergriffe unter Kindern." Du hast darüber eben geschrieben und dich intensiver damit auseinandergesetzt. Wie kommt es dann dazu und wie erkenne ich, dass das, was gerade passiert, eben nicht irgendwelche Entdeckungsspielchen sind, sondern tatsächlich Übergriffe, die von Kindern an Kindern im sexuellen Bereich stattfinden?

[00:14:45.860] - Ulli Freund

Ich habe das Buch damals mit meiner Kollegin Dagmar Riedel-Breidenstein geschrieben. Wir waren beide beschäftigt bei Strohhalm e.V., der Fachstelle für Prävention hier in Berlin. Und wir haben uns mit Missbrauchsprävention beschäftigt, in Grundschulen, in Kitas. Und irgendwann nahmen die Anfragen zu von pädagogischen Fachkräften, die sagten: „Was ist eigentlich mit den Kindern? Was ist eigentlich unter Kindern normal?" Und dann haben wir gemerkt, dazu gibt es für die pädagogische Praxis keine Antwort. Es gab nichts in Deutschland Anfang der 2000er. Dann haben wir uns hingesetzt und haben viel beraten und haben dabei sehr viel gelernt, viel nachgedacht und haben ein Konzept entwickelt. Wir haben gesagt, das lässt sich definieren und haben eine Definition entwickelt. Und mit dieser Definition arbeitet man inzwischen in den Fachstellen in Deutschland, weil man gemerkt hat: Das kann nicht jeder aus dem Bauch raus entscheiden. Nicht, was mir unangenehm ist, ist offenbar ein Übergriff oder was ich nicht sehen will, ist ein Übergriff, sondern es muss etwas Objektives geben. Es muss Kriterien geben und die sind sehr einfach. Das eine ist: Übergriffe fangen da an, wo die Freiwilligkeit nicht gegeben ist. Stichpunkt: sich einigen können. Und einigen können sich nur die Kinder, die auf Augenhöhe sind. Da, wo es ein Machtverhältnis gibt, wo jemand deutlich älter als der andere ist oder deutlich schlauer oder einfach schon weiter in der Entwicklung oder der Bestimmer in der Gruppe oder das Lieblingskind der Erzieherin. Da gibt so viele Gründe, warum Machtgefälle entstehen. Da ist es für die anderen Kinder oft schwierig, Nein zu sagen und sich da rauszuziehen und zu sagen: „Nein, da mache ich jetzt nicht mit." Das können die vielleicht noch beim Lego spielen, aber da wird es dann wirklich schwierig, bei den sexuellen Wünschen oder Angeboten von solchen mächtigen Kindern, sich da zurückzuziehen. Deswegen sagen wir, sexuelle Übergriffe haben was mit Unfreiwilligkeit zu tun und mit einem Machtgefälle. Und immer wenn Kinder Dinge tun, die Kinder nicht tun, weil sie nämlich Kinder sind und keine Erwachsenen, nämlich wenn es um Sex geht, dann sind wir auch im Bereich der Übergriffe. Also wenn Kinder versuchen, andere zu penetrieren oder oral zu stimulieren, solche Dinge. Das sind immer Übergriffe. Da muss ich nicht mehr über Freiwilligkeit und Machtgefälle nachdenken, das liegt auf der Hand. Also nur Handlungen, die zur kindlichen Sexualität gehören, dürfen überhaupt stattfinden.

[00:17:00.650] - Nadia Kailouli

Wer liegt da deiner Meinung nach in der Verantwortung? Sind das die Erziehungsberechtigten? Sind das die Erzieher? Sind das die Kinder selbst, die da eine Verantwortung tragen? Kann man einem Kind überhaupt vermitteln, was ein Missbrauch ist, was ein Übergriff ist?

[00:17:14.870] - Ulli Freund

Also die Kinder, die Übergriffe machen - die nenne ich übrigens niemals Täter, weil das sind Kinder, die machen Fehler und die müssen aus ihren Fehlern lernen und müssen damit wieder aufhören - die haben schon die Verantwortung. Wenn ein Kind ein anderes beißt, hat es auch die Verantwortung oder eben mit Sand schmeißt. Aber dahinter stehen ja die pädagogischen Fachkräfte und die Erziehungsberechtigten: Was geben die den Kindern mit? Wissen die eigentlich, wo enden meine Grenzen? Wo fangen die Grenzen anderer an? Wie lerne ich Rücksicht? Wie lerne ich, mich zu einigen? Wie lerne ich ein friedliches miteinander umgehen, ein gewaltfreies miteinander umgehen? Um all das geht es. Das sind originäre pädagogische Aufgaben. Das heißt, die Erwachsenen haben die meiste Verantwortung, dass es dazu nicht kommt, beziehungsweise wenn es dazu kommt, dann eben gut zu intervenieren. Heißt eigentlich erst mal den Kindern, die sich beschweren, die dann kommen und sagen: „Der hat mir beim Klo oben drübergeguckt, beim Pipi machen zugeguckt und der ist einfach nicht weggegangen." Dann ist das ein sexueller Übergriff, weil die Intimität gestört wurde von einem Kind, was nicht gesagt hat: „Ja klar, kannst gerne zugucken." Das ist der Unterschied. Zwei gehen zusammen aufs Klo: "Willst du zugucken?", "Ja!", dann ist es eine Aktivität. Aber macht der eine das gegen den Willen des anderen? Dann sind wir mitten im Übergriff. So und dann kommt so ein Kind und beschwert sich und dann sagt vielleicht der Erzieher: „Ach, beim nächsten Mal sagst du ein bisschen lauter 'Nein'!" Und dann war es das. Oder er sagt: „Was geht ihr auch zusammen aufs Klo?" oder er sagt: „Du, da musst du dich wehren“ oder noch schlimmer: „Du, ich war nicht dabei. Ich weiß es nicht." Da ist man meistens nicht dabei. Das gehört dazu, dass die Kinder das heimlich machen. Intervenieren heißt, dieses Kind, was sich beschwert, zu trösten, dem zu sagen: „Das darf der andere gar nicht. Gut, dass du kommst. Da bin ich froh, dass ich das jetzt weiß. Jetzt kann ich mich drum kümmern. Nein, du hast gar keine Schuld. Gut, dass du gekommen bist." Und selbst wenn das Kind – ich nehme noch mal die Toilettensituation – obwohl sie nicht gemeinsam auf Toilette gehen sollen, trotzdem mit einem anderen auf Toilette gegangen ist, dann darf ich ihm das nicht zum Vorwurf machen, nach dem Motto: „Hättest du, wärst du nicht mit dem Kind gegangen, wäre es auch nicht passiert", sondern zu sagen: „Ist ein anderes Thema, der durfte das definitiv nicht. Das ist ein Unrecht, das darf das andere Kind nicht." Und im nächsten Schritt spricht man dann mit dem übergriffigen Kind und nicht etwa mit beiden zusammen. Das passiert in der Praxis ständig. Man nimmt die Kinder zusammen und dann lässt man sie sich so austauschen: "Was hast du erlebt? Was hast du erlebt?" Und am Ende stehen zwei Wahrnehmungen nebeneinander und das betroffene Kind weiß immer noch nicht, ob ihm eigentlich geglaubt wird. Das Machtverhältnis besteht weiter. Das betroffene Kind muss um seine Glaubhaftigkeit ringen und das übergriffige Kind wird – und es ist fast immer so – alles tun, zu sagen: „Ich habe nichts gemacht, der andere hat angefangen. Ich wollte das gar nicht. Der war das ja." Also die Kinder wehren das ab und das ist ja auch natürlich. Also das ist ein ganz normaler Reflex, erst mal das von sich wegzuweisen. Deswegen, das macht man nicht gemeinsam, sondern das macht man getrennt. Und wenn man dann mit dem übergriffigen Kind spricht, dann fragt man auch nicht lange: „Sag doch mal, was war denn da vorhin auf der Toilette?" Weil dann bekommt man genau diese andere Story von: „Ich war gar nicht auf Toilette. Ich habe nichts gemacht. Der andere hat gesagt, ich soll…" Dann fangen die Kinder an, in die Abwehr zu gehen, in die Leugnung und erzählen uns wunder was für Geschichten. Und dann stehe ich da und dann plötzlich soll ich sagen: „Das glaube ich dir nicht." Dann braucht man gar nicht erst zu fragen. Mein Rat ist immer zu sagen: Sag dem Kind, was du weißt. Das weißt du nämlich von dem betroffenen Kind. Sag dem einfach: „Du warst vorhin mit Miri auf Toilette. Du hast da einfach über die Wand rübergeguckt, obwohl sie das nicht wollte. Du hast nicht aufgehört. Das geht nicht. Das erlaube ich dir nicht. Das ist in unserer Kita verboten. Und das musst du total verändern. Das darfst du hier nicht mehr machen. Das will ich nicht, das will unsere Leitung nicht. So was passiert hier nicht." Also man muss sehr streng sein.

[00:21:09.860] - Nadia Kailouli

Man muss streng sein.

[00:21:10.670] - Ulli Freund

Aber, also nicht rumeiern, ist so mein Gebot, nicht rumeiern, aber eben dieses Kind nicht in eine Ecke drängen und auch nicht abstempeln, sondern sagen: „Du kannst das anders. Hör auf damit. Los, wir überlegen jetzt, wie du das schaffst, dass du es nicht mehr machst!" Und dann überlegt man sich eine Maßnahme. Also entweder merkt man, das Kind ist zerknirscht und merkt: „Oh Gott, das ist ja wirklich schlimm!" und das kommt zu einer Einsicht. Dann reicht vielleicht tatsächlich ein Gespräch. Wenn man aber merkt, die oder der eiert immer noch so rum und will sich da rauswinden, dann sagt man: „Pass mal auf, ich glaube, du hast das noch nicht ganz verstanden, wie ernst uns das ist. Wir müssen jetzt mal gucken, wie du lernst, das zu lassen." Und dann als Maßnahme käme zum Beispiel in betrachtet, dass man sagt: „Weißt du was, Franzi, du musst jetzt die nächste Woche Bescheid sagen, wenn du auf Toilette gehst, damit ich sicher bin, dass da kein anderes Kind ist, was du stören kannst. Und wenn du auf Toilette warst, kommst du jedes Mal zurück und meldest dich zurück bei mir." Das heißt, dann ist eine Freiheit eingeschränkt. Dieses Kind kann sich bewähren, wenn man so will. Es kann zeigen, dass es sich an eine Regel halten kann. Und nach der Woche sagt man dann: „Das hast du super gemacht. Kann ich mich auf dich verlassen? Hast du es jetzt verstanden, dass das nicht geht, andere zu ärgern auf dem Klo, so zu ärgern?" Und wenn das Kind dann froh ist, dass diese Woche vorbei ist und diese wirklich strenge Maßnahme, streng insofern, als es eben lustig ist, mit anderen auf Toilette zu gehen. Wenn dieses Kind dann eben gemerkt hat: „Das will ich nicht länger, so eine strenge Maßnahme" und das hat dann wirklich alles richtig gemacht, dann kann es auch wieder mit den anderen auf die Toilette gehen.

[00:22:42.450] - Nadia Kailouli

By the way, finde ich diese getrennten Toiletten eh scheiße. Habe ich mich auch als Kind schon gefragt: Warum baut man eigentlich den intimsten Ort, den man hat, nur mit einer Trennwand?

[00:22:51.390] - Ulli Freund

Ja, wenn überhaupt. Ich kenne immer noch Kindergärten, die haben nicht mal eine Trennwand, die haben da Kloschüssel an Kloschüssel.

[00:22:56.700] - Nadia Kailouli

Stimmt.

[00:22:57.060] - Ulli Freund

Und wenn sie Trennwände haben, dann haben die Kinder keinen Haken, den sie umlegen dürfen, sondern jeder kann in diese Schwingtür rein. Also man kann sich eben nicht entscheiden, dass man für sich sein will.

[00:23:08.360] - Nadia Kailouli

Ja, ich war unter anderem deswegen auch ein Heimscheißer. Ich sag wie es ist, das war echt doof.

[00:23:11.970] - Ulli Freund

Genau, viele Kinder halten aus, weil sie diese bedrängenden Situationen in der Toilette nicht aushalten. Und trotzdem kann man den Kindern ja das auch offenlassen, wer denn zusammen will und mal gucken will, es spricht nichts dagegen. Nur wer das nicht will, muss es nicht mitmachen. Und dann ist es einfach ganz wichtig bei so einer Intervention, dass man das nicht in der Einrichtung belässt, also in der Kita in dem Fall, sondern dass man die Eltern informiert sofort, beide Seiten.

[00:23:37.520] - Nadia Kailouli

Das eine ist ja, die Eltern zu informieren, zu sagen: „Hier, Fritzi hat bei Franzi über die Toilettentür geguckt." Das andere ist, zu sagen: „Fritzi, hat Franzi die Unterhose ausgezogen und wollt mal gucken."

[00:23:49.320] - Ulli Freund

Das ist nur ein gradueller Unterschied. Das ist alles ein Übergriff. Und ob ich einem Kind die Hose ausziehe und dann eben seine Genitalien betrachte oder ob ich dann auch noch anfasse oder sage: „Zeig doch mal genauer" oder so. Ich meine, dann wird der intensiver. Da muss man dann auch massiver werden mit seinen Maßnahmen. Aber es ist alles ein Übergriff. Also ich sage mal so: Wenn wir bei den weniger intensiven Übergriffen nicht reagieren, dann wird es bei den Intensiveren umso schwerer. Die Kinder müssen von Anfang an auch bei den wenig intensiven Übergriffen merken: „Das geht hier nicht." Dann ist es Prävention für die Schwereren.

[00:24:28.430] - Nadia Kailouli

Und ist es schwierig oder scheuen wir uns nur davor? Ich denke zum Beispiel an Situationen am Strand. Kinder haben keine Badehosen an und da steht ein kleiner Junge und während er irgendwie im Sand spielt, spielt er auch an seinem Penis, zum Beispiel. Und dann kommt die Mutter und haut ihm auf die Finger. Ist das die richtige Maßnahme oder was macht man da?

[00:24:49.220] - Ulli Freund

Nein. Also wenn ein Kind selbstvergessen an seinen Genitalien spielt, dann kann man des Alters entsprechend darauf hinweisen und wer zwei ist, wird sich schwer daran halten können. Vielleicht ist dann doch leichter, man zieht doch eine Badehose an, damit das nicht ganz so leicht ist. Aber wenn man eben fünf ist und am Strand ist und immer noch an seinen Penis spielt, dann muss man dem Kind eben sehr deutlich sagen: „Wir sind hier in der Öffentlichkeit, du kannst deinen Penis nicht anfassen. Das stört manche. Wir möchten das nicht. Hör auf damit. Aber nicht, weil der nicht schön ist oder weil der sich nicht super anfühlt, sondern weil das nichts für die anderen ist."

[00:25:24.430] - Nadia Kailouli

Ja, und das ist es. Und wenn man es nämlich mit zwei wahrscheinlich nie gesagt bekommen hat, warum soll man dann mit fünf damit aufhören?

[00:25:30.050] - Ulli Freund

Ja, das sind dann die Kinder, die noch in der Grundschule sitzen und, weiß ich nicht, die Mädchen, die auf der Ferse rum juckeln, weil sie aufgeregt sind und sich dann lieber stimulieren, also um sich zu beruhigen. Oder die Jungs, die immer permanent die Hände in den Leggings haben und an ihrem Penis spielen und an ihren Hoden spielen. Das berichten Lehrkräfte aus Grundschulen, dass Kinder das einfach machen. Und dann denke ich mir, da hat die Kita was verpasst. Oder die Eltern, die haben den Kindern nicht beigebracht, dass das – Klammer auf – zwar schön ist, aber nicht passt in die Öffentlichkeit. Es ist privat.

[00:26:02.910] - Nadia Kailouli

Und das ist der wichtige Punkt, den du auch so vermitteln willst, dass man das nicht verbietet und als was Schlimmes abtut, sondern dass man sagt, es ist schön, aber es darf nur an Räumen stattfinden, wo du für dich bist und nicht alle anderen da Teil dran haben, vor allem wenn man das eigentlich gar nicht möchte. Wie ist es denn jetzt aber, wenn in einer Einrichtung, zum Beispiel im Kindergarten oder in der Grundschule, ein tatsächlicher Übergriff zum Beispiel passiert, den Erzieherinnen oder Erzieher beobachten, soll man dann sofort die Eltern kontaktieren? Soll man das eher in der Kita behandeln oder in der Grundschule? Was ist da der Weg?

[00:26:36.570] - Ulli Freund

Beides. Man muss es an dem Ort behandeln, wo es passiert ist. Also hier muss die Intervention dann auch stattfinden. Verantwortlich ist und bleibt die Institution oder die Einrichtung. Aber die Eltern müssen frühzeitig informiert werden, dass das vorgefallen ist. Denn schlimmstenfalls erzählt das Kind zu Hause davon und dann stehen die Eltern auf der Matte und dann ist die Einrichtung in der Defensive, muss sich erklären. Wenn man aber aktiv wird, auf die Eltern zugeht und sagt: „Können Sie heute einen Moment länger bleiben?" oder „Ich brauche noch mal einen Termin mit Ihnen. Ich möchte Ihnen noch was erzählen." Und dann den Eltern sagt: „So, heute war folgendes: Ihr Kind hat das und das erlebt" oder „Ihr Kind hat das und das gemacht." Dann …

[00:27:13.600] - Nadia Kailouli

Dann würde ich wahrscheinlich als Mutter direkt sagen: „Oh Gott, mein Kind kommt hier nie wieder hin!" Zum Beispiel.

[00:27:18.010] - Ulli Freund

Ja, genau. Und dann muss man eben – auch das gehört zu den Fortbildungen – Verständnis haben für die Ängste der Eltern, dass man eben sagt: „Ich verstehe, dass Sie erschrocken sind. Sie denken, Ihr Kind ist das Erste und Einzige, dem so was passiert. Ich muss Ihnen sagen, wo Kinder zusammenkommen, gibt es Übergriffe immer wieder mal. Aber wir, wir haben hier ein Konzept, wir wissen, wie wir damit umzugehen haben. Und wir haben eben auch Regeln, sodass Kinder sich schneller beschweren. Die bleiben nicht so lange damit alleine. All das kann man Eltern ja sagen. Und dann muss man den Eltern eben auch sagen, dass man sich über Maßnahmen Gedanken macht: Wie wird dieses übergriffige Kind eingeschränkt? Und Eltern, die es auch nicht so ernst nehmen wollen, Eltern von übergriffigen Kindern, die dann sagen: „Ach, so sind Jungs!" oder irgendwie so, denen muss man auch ins Gewissen reden und sagen: „Nein, Jungs können heutzutage so nicht sein. Es ist nicht mehr möglich. Die Zeiten haben sich verändert. Wir achten darauf, dass den Jungen auch Grenzen gesetzt werden." Man muss die Eltern im Prinzip für die Gangart der Kita oder der Einrichtung gewinnen und sie ins Boot holen, aber auch verstehen, warum die sich davor so fürchten. Und dann merkt man meistens in den Elterngesprächen, man hätte längst mal einen Elternabend zu dem ganzen Thema machen sollen, unabhängig von einem Anlass. Und wenn man dann so einen Anlass hatte, kann man nur sagen: „Wir machen mal demnächst eine Elternversammlung, wir reden mal alleine über dieses Thema, damit alle wissen, was ist ein Übergriff, was ist normale kindliche Sexualität und wie gehen wir konzeptionell damit um, damit die Eltern sich auch in diesem Themenfeld nicht so alleine fühlen und ihrer Einrichtung vertrauen können."

[00:28:41.200] - Nadia Kailouli

Was glaubst du, warum tun sich denn gerade Eltern so schwer, darüber zu sprechen, weil denen das so unangenehm ist. Also ich kenne von allen meinen Freunden niemanden, der gerne darüber spricht, sondern eher so eine Hilflosigkeit. Mich hatte letztens auch eine Freundin kontaktiert, die weiß, dass wir hier diesen Podcast machen. Die meinten so: „Oh, unsere Tochter, die fängt jetzt an, so Fragen zu stellen und macht da … Ich weiß nicht, hast du einen Tipp, was ich machen kann?" Und ich mir nur denke, ich bin auch nur die Journalistin. Aber es gibt eigentlich wahrscheinlich Orte. Aber eigentlich wäre es doch viel besser, wenn das schon viel früher stattgefunden hätte oder kann man diese Verantwortung auch so ein bisschen abgeben an dann eben die Pädagogen?

[00:29:14.040] - Ulli Freund

Nein, der Alltag Jetzt hier zu Hause. Eltern müssen versuchen, sprechfähig zu sein. Aber ich kann Eltern natürlich, anders als Fachkräften, nicht dazu verpflichten, eine ordentliche sexuelle Bildung mit den Kindern zu machen. Das kann ich in der Kita schon. Da kann ich sagen: Hier, es gibt ein Bildungsprogramm, frühkindliche Erziehung in den jeweiligen Bundesländern und ihr müsst in diesem Bereich ein bisschen euch entwickeln. Ihr müsst euch auch fortbilden, denn in der Erzieherausbildung kommt das meistens nicht vor. Bei Eltern sind da meine Ansprüche deutlich geringer, aber wenn mich Eltern fragen, sage ich immer, selber sich mit dem Thema beschäftigen. Kinderbücher lesen, die das Thema betreffen. Es gibt ja gute Bücher, reihenweise gute Bücher, einfach auch zu merken, es gibt eine Sprache dafür: "Welche Frage würde mir schwerfallen zu beantworten" und dann auch mal zu üben, sich vorzustellen: „Was würde ich dann sagen? Was würde ich dann sagen?"

[00:30:03.470] - Nadia Kailouli

Aber nichtsdestotrotz, es steht ja bisher nicht im Lehrplan oder im Ausbildungsplan fest verankert.

[00:30:08.050] - Ulli Freund

Bei der Erzieher:innen nicht und für Eltern gibt es ja eh keine Ausbildung. Die machen ja, wie sie denken. Und die meisten sind da auch nicht so frei oder so positiv mit ihrer Sexualität groß geworden, manche schon, manche haben auch ein zu viel an kindlicher Sexualität erlebt, wo sich das dann eben auch mit erwachsenen Interessen be-, also 68 und so weiter, was ich dann mit Erwachseneninteressen mischte, also in die Richtung Pädosexualität und sexueller Missbrauch. Und die sagen dann: „Mein Kind hat damit gar nichts zu tun!" Und schütten eben auch wieder das Kind mit dem Bade aus, statt zu sagen: „Ja, aber es gibt ja eine eigene kindliche Sexualität." Also das Sprechen über Sexualität ist in unserer Gesellschaft gegenüber Kindern offenbar wahnsinnig schwierig,  ich stimme dem zu und staune trotzdem immer wieder. Alles ist voll mit Sexualität, also Pornografie, überall. Die Leute stellen sich selbst ins Netz bei allen möglichen Kopfständen, die sie machen, aber sind nicht in der in der Lage, mit ihren Kindern diese einfachsten Dinge kindgerecht zu besprechen und auch keine guten Begriffe zu finden für die Geschlechtsteile. Es bleibt ja meistens sehr familiär, aber besser, man hat familiäre Begriffe, als man hat gar keine.

[00:31:12.900] - Nadia Kailouli

Wir hatten Magdalena Zidi auch zu Gast, die auch ein Buch geschrieben hat "Was kribbelt da so schön?" und eben auch über das Thema spricht. Und sie hatte das Beispiel eben genannt, dass dann der Penis ein "Spatzi" ist, zum Beispiel, dass man so diese Verniedlichung da reinbringt. Und ich kann das aber auch irgendwie verstehen, dass Eltern dann eben dem Sohn oder der Tochter eben nicht das-, was heißt ich kann das verstehen, weil ich auch so ein Tabuding im Kopf habe und mir denke, warum soll ich jetzt über Fritzi über seinen Penis reden, wenn man sagen kann, „Jetzt fasst dich da nicht an einem Spatzi!“ oder so. Ich weiß es nicht. Würde mir jetzt auch einfacher fallen, als zu sagen: „Fasst dich nicht am Penis an!", gegenüber einem 5-Jährigen. Aber weil ich halt auch so groß geworden bin. Man muss es halt so benennen.

[00:31:55.510] - Ulli Freund

Ja, ich bin auch so groß geworden. Auch wir hatten keine, sage ich mal, biologisch korrekten Begriffe zu Hause und trotzdem wusste ich, dass ich da einen Geschlechtsteil habe und ich wusste auch, wie das heißt. Und das fand ich toll, dass ich das weiß, wie das heißt. Und jeder, der mich hätte verstehen wollen, hätte es auch verstanden. Also ich denke eben, Eltern dürfen, da bin ich nicht so anspruchsvoll. Eltern dürfen – da bin ich nicht so anspruchsvoll – dazu sagen, wie sie wollen. Hauptsache, sie reden über diesen Bereich des Körpers und die Kita hat eher die Aufgabe, dann die korrekten Begriffe zu verwenden, aber nicht die Kinder zu korrigieren, weil das verunsichert, wenn die Kinder merken, das, was wir zu Hause reden, ist falsch. Das ist für Kinder ganz unangenehm. Es geht auch nicht aus Respekt vor den Eltern, finde ich, ihre Erziehung an der Stelle für falsch zu erklären. Aber die Kita muss sich eben auf einen Wortschatz einigen. Das schreibt man sich auch ins sexualpädagogische Konzept: „Wie reden wir eigentlich hier? Welche Begriffe verwenden wir?" Das kann man einheitlich im Team machen.

[00:32:50.940] - Nadia Kailouli

Würdest du sagen, dass die sexuelle Bildung und kindliche Sexualität, also das Auseinandersetzen mit kindlicher Sexualität, die beste Präventionsmaßnahme ist, um Kinder vor sexueller Gewalt zu schützen?

[00:33:04.300] - Ulli Freund

Nein, das würde ich jetzt nicht sagen. Also Kinder, sexuelles Wissen mitzugeben, ist ein wichtiger Baustein, ganz klar. Aber ich glaube, wir haben ja viele Präventionsthemen im Angebot. Ich glaube, der Favorit ist doch dieses Thema Selbstbestimmung: "Ich bestimme alleine über meinen Körper, niemand darf mich anfassen, dem ich das nicht erlaube. Und ob ich das gut finde oder nicht, spüre ich an meinen Gefühlen." Also dieses: "Vertraue deinem Gefühl." Ich glaube, das sind schon noch mal die zentraleren… Aber vielleicht brauchen wir auch gar keine Priorisierung. Sexuelle Bildung ist ein Baustein und der ist wichtig. In dem Moment, wo Kinder über Sexualität reden können, können sie eben auch über sexuelle Gewalt reden.

[00:33:42.440] - Nadia Kailouli

Jetzt hattest du eben gerade auch gesagt, wir leben in der Welt, wo Pornografie frei verfügbar ist zu jeder Tages- und Nachtzeit. Und wir wissen alle, dass das nicht nur erwachsene Menschen konsumieren, also ab 18, so wie es eigentlich vorgegeben ist, sondern vor allem gerade Kinder und Jugendliche, dass auch, ich will nicht sagen, gezielt konsumieren, aber über Chatgruppen zugeschickt bekommen. Auf Schulhöfen wird das einem gezeigt, dann hat man selber die Neugierde und geht mal heimlich an den Computer vom Vater oder so, ich weiß es nicht, oder von der Mutter. Hast du da eine Entwicklung gesehen, wie sehr dieser freie Zugang zu Pornografie die sexuelle Bildung eines Kindes beeinflussen kann, vor allem auch vielleicht im Negativen eher beeinflussen kann?

[00:34:23.550] - Ulli Freund

Ausschließlich im Negativen. Also diese Bilder, die Kinder da sehen, sehen müssen, auch zugeschickt bekommen, dann die Grundschulkinder und so weiter, die sind zutiefst verstörend. Sie sind in keiner Weise lehrreich. Man lernt nichts über Sexualität, wenn man Pornografie guckt. Ich sage immer, das ist wie, man glaubt, man könnte Autofahren, nur weil man Formel 1 geguckt hat. Geht auch nicht. Es ist zutiefst verstörend, weil da Dinge nahe kommen aus einer Lebenswelt, die nicht ihre ist. Und was sie da sehen, was sie da erleben, können sie nicht verarbeiten. Und das prägt sie. Also entweder wird Sexualität zu einer beängstigenden Sache oder zu etwas, was viel mit Leistung zu tun hat und mit unglaublichen Anforderungen und niemals mit einem Selbstausdruck von Nähe und Zärtlichkeit und wo Lustempfinden- Das ist ja alles nicht in der Pornografie da. Also es ist für Kinder eine ganz fürchterliche, das sind furchtbare Botschaften, die da drin sind und für die sexuelle Entwicklung sehr, sehr nachteilig. Es gibt einen Grund, warum Kinder keine Pornografie sehen dürfen nach der Rechtslage und dass es trotzdem geschieht, ist eine Katastrophe.

[00:35:28.880] - Nadia Kailouli

Da sind wir dann aber eher wieder wahrscheinlich im politischen Sinne, dass man da irgendwelche besseren Regularien finden muss, mit den Anbietern da sichere Zugänge zu schaffen. Ich zitiere das so oft: Julia von Weiler. Die hat es so toll gesagt damals, zu sagen: "Wir sind früher in die Videotheke gegangen, wir mussten uns ausweisen, um in die Ecke zu kommen, wo man eben pornografische Inhalte sich ausleihen durfte. Und das Internet, das ist halt ein Klick. Keiner muss seinen Perso zücken."

[00:35:57.450] - Ulli Freund

Häufig wird aber auch das Internet dafür verantwortlich gemacht, dass es angeblich immer mehr sexuelle Übergriffe unter Kindern gäbe. Und da bin ich ein bisschen kritisch, weil ich denke, der Zugang zu sexuellem oder pornografischem Material, das betrifft ja noch weniger, zum Glück, die Kinder in den Kindergärten. Und da heißt es, das nimmt so zu, das nimmt alles so zu. Und ich würde mal sagen, wir sind einfach sensibler. Leute, wir sind einfach sensibler, wir gucken besser hin. Kinder beschweren sich eher, die wissen inzwischen vielmehr über ihre Rechte, die kommen auch eher und sagen einem so was. Also ich glaube nicht, dass wir sehr viel mehr Fälle haben als früher. Bei den Grundschulkindern, bei den älteren Grundschulkindern, glaube ich durchaus, dass durch die pornografische Vergiftung, wenn man so will, da auch Ventile gesucht werden, wo man anderen das antut. Da ist dann Internetpornografie durchaus auch eine Ursache. Und natürlich auch bei den Grundschulkindern dieses ungefragte Vorzeigen auf dem Schulhof oder zuschicken von diesem Material an andere Kinder, das sind sexuelle Übergriffe. Wenn ich anderen Kindern so was schicke und sie dann mit Sexualität traktiere, also sexuelle Gewalt damit ausübe, dann bin ich im Bereich der Übergriffigkeit unter Kindern.

[00:37:08.310] - Nadia Kailouli

Und das wurde so ja lange gar nicht vermittelt, sondern so: „Mein Gott, hör auf mit dem Quatsch", aber dass das der wirklich eigentlich ein Übergriff ist und damit ja auch sexuelle Gewalt ausgeübt werden kann, wie zum Beispiel ungefragt ein Penisbild, ob es jetzt das eigene ist oder von jemand anderem an jemanden schicken, gilt auch als sexuelle Gewalt und als Übergriff. Wie erlebst du das? Wie offen sind wir mittlerweile, dank unter anderem Bücher, wie du sie geschrieben hast und Menschen wie dich, die sagen: „Ich gehe da jetzt hin und rede mit den Leuten und wir erstellen zusammen einen Plan, wie wir das machen", erlebst du eher Hürden oder offene Türen bei diesem Thema?

[00:37:46.490] - Ulli Freund

Also ich bin ja selbstständige Fortbilderin. Ich habe wahnsinnig viele Anfragen in diesem Themenfeld, gerade von Kitas, die sagen: „Wir haben hier einen Übergriff gehabt, wir haben den halbwegs abgewickelt, aber jetzt brauchen wir eben doch mal ein bisschen Fachwissen." Und das sind Fortbildungen, da haben die Leute meistens ein bisschen Angst: „Wie wird das eigentlich?" Und am Ende eines solchen Tages merken alle, da wird auch nur mit Wasser gekocht. Das ist ein Handwerkszeug, was einem die Ausbildung meistens leider vorenthält, aber was man einfach sich draufschaufeln kann. Es ist nicht schwer. Es ist wirklich nicht schwer. Es gibt einige Regeln. Eine Regel ist eben, sich damit bitte endlich zu beschäftigen, sich Fachwissen drauf zu schaufeln, zum Beispiel durch eine Fortbildung, und dann seinen Job zu machen. Erzieher:innen können mit Kindern reden. Die müssen sich nur noch trauen, über Sexualität zu reden und nicht im Kopf dieses Bild zu haben, es ginge hier Sex. Darum geht es nicht bei Kindern.

[00:38:39.440] - Nadia Kailouli

Jetzt können ja Mütter und Väter keine Fortbildung mal schnell so machen, nach dem Motto: „Wie kriege ich besser sexuelle Bildung in unseren Haushalt" oder? Oder gibt es das auch für Eltern, die sich da …

[00:38:50.100] - Ulli Freund

Ach, so was gibt es auch für Eltern. Ich werde punktuell auch mal für Elternabende angefragt. Aber es gibt ja nicht nur mich in dem Themenfeld. Es gibt ja auch viele Sexualpädagogen und Pädagoginnen, die auch Elternabende machen. Und wenn Sie es gut machen, reden sie bitte auch über die sexuelle Gewalt und nicht nur über die positiven Seiten. Das vermisse ich manchmal, dass das nicht ausreichend beleuchtet wird, dass es eben auch die Übergriffe gibt.

[00:39:10.440] - Nadia Kailouli

Lustig. Magdalena Zidi hat genau das andere gesagt. Sie meinte, sie würde sich so sehr wünschen, dass man mehr über das Gesunde, also nicht nur über das Negative spricht, die sexuelle Gewalt, sondern eher so das Gesunde. Aber klar, du kommst halt aus dem Kinderschutz und das Thema sexuelle Gewalt ist ja eher etwas, was gerade so Institutionen und Einrichtungen von sich weghalten wollen. Gerade Sportinstitutionen sagen: „Bei uns gibt es das nicht. Die sind alle nett, die kümmern sich." Bis man dann die Zahlen sieht und sagt: „Nein, das kann nicht sein, dass sich hier alle kümmern." Aber gut, ja.

[00:39:41.380] - Ulli Freund

Und Eltern, also für Eltern gibt es ja sehr schöne Materialien, einfach, die gut geschrieben sind, die leicht verdaulich sind. Diese schönen Hefte von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Jetzt fällt mir der Titel nicht ein, aber wenn man auf deren Website googelt, da findet man, dass es für Eltern von Kindern von 0 bis 6 gibt es ein schönes Heft, da steht alles drin. Da lernt man wirklich in kurzer Zeit die entscheidenden Dinge. Und es gibt ja auch Eltern-Chats, wo man diese Dinge nachfragen kann. Tolle Bücher, z. B. „Sex ist wie Brokkoli" ist so ein Buch, was ich total mag, was Eltern auch das Thema näher bringt. Aber man darf nicht wegtauchen. Es kommt nicht über Nacht von alleine dieses Wissen und diese Leichtigkeit in diesem Themenfeld. Und ich habe das oft in Fortbildungen, dass Leute sagen: „Ach, Frau Freund, wie Sie immer so reden, was Sie für leichte Sätze sagen. Das müssten wir uns alles mitschreiben, das müssten wir auch lernen." Dann sage ich immer: „Ich mache doch auch nichts anderes. Natürlich kann ich das gut." Aber Kinder sind wahnsinnig tolerant, wenn sich Erwachsene schwertun. Die sind da gar nicht so kritisch. Die merken schon, dass die sich bemühen. Und wenn man sich da ein bisschen verhaspelt oder keine richtigen Worte findet und noch mal ein bisschen überlegen muss, die sind geduldig. Die freuen sich, dass sich die Eltern überhaupt Mühe geben. Man muss es nicht perfekt machen. Das ist überhaupt nicht nötig. Und ich finde auch noch mal, gerade Eltern, die da wirklich mit ihrer eigenen Kindheit noch so gehemmt sind und die auch wirklich darüber nicht sprechen wollen und nicht sprechen können. Das muss man auch respektieren. Aber von denen erwarte ich, dass sie sagen: „Du, ich kann darüber ganz schlecht reden, aber in der Kita, ich rede noch mal mit deiner Erzieherin. Da wird dir das bestimmt besser erklärt. Die können das." Oder dass man aufgeschlossen ist, wenn es dann eben diese Sexualerziehung in der Grundschule gibt, dass man sagt: „Ein Segen, endlich spricht jemand vernünftig mit meinem Kind. Ich kann es nicht." Also da finde ich, muss man eben dann dieses grüne Licht geben: "Du darfst da zuhören, das ist eine gute Sache, aber ich komme aus einer Welt oder aus einer Kultur oder aus einer Zeit, wo darüber eben nicht gesprochen wurde. Ich kann es nicht so gut." Ist nicht schlimm. Aber dann den anderen, den Profis, die Erlaubnis geben. Das erwarte ich schon.

[00:41:44.610] - Nadia Kailouli

Und ich finde es super, dass wir einen Profi hier hatten und ich möchte mich dem anschließen, dass man mit dir wirklich so schön leicht, aber vor allem so lehrreich über dieses Thema kindliche Sexualität reden kann. Ulli Freund, vielen, vielen Dank, dass du heute unser Gast warst. Danke.

[00:41:57.510] - Ulli Freund

Sehr gerne.

[00:42:00.980] - Nadia Kailouli

Oh Mann, das war wirklich, also ja, ich kann es nicht anders sagen, leicht mit Ulli über dieses Thema zu sprechen, wo selbst ich ja irgendwie meine Beklemmungsgefühle gespürt habe, über das Thema kindliche Sexualität zu sprechen. Aber ich sage es euch, wie es ist: All meine Freunde, die Kinder haben, denen schicke ich diesen Podcast noch mal extra per WhatsApp zu, dass sie sich den anhören. Und wir verlinken euch hier in den Shownotes natürlich auch noch wichtige Infos, wo ihr mehr über das Thema kindliche Sexualität erfahren könnt.

[00:42:36.480] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Sind Doktorspiele vollkommen normal? Wo hört sexuelle Neugierde auf und wo fangen sexuelle Übergriffe an? Und wie kann man Kindern erklären, was ok ist – und was nicht?
Ulli Freund ist Präventionsexpertin und kann erklären, wieso Körperwissen und sexuelle Aufklärung von Beginn an wichtig sind, um Kinder zu stärken.
Schon kleinste Kinder brauchen ein gutes Selbstwert- und Körpergefühl und sollten ihre Grenzen benennen können. Doch wie begleitet man Kinder altersgerecht in der sexuellen Entwicklung, ohne sie zu überfordern? Wie reagiert man bei Doktorspielen, kindlichen Übergriffen und Selbstbefriedigung? Wie schützt man sein Kind vor sexualisierten Übergriffen durch andere Kinder?

Ein schwarz-weiß-Bild in dem Ulli Freund mit Nadia Kailouli in dem Podcast "einbiszwei" spricht.

Immer wieder sind Eltern und pädagogische Fachkräfte in Kindergärten oder Schulen verunsichert, wenn Kinder sexuelles Verhalten zeigen. Sie wissen nicht: Ist das eine altersgerechte körperliche Entdeckungsreise oder geht es darüber hinaus? Sollen sie eingreifen? Und wenn ja, wie? Erwachsene, die eine solche Szene beobachten, fühlen sich unangenehm berührt und reagieren daher gar nicht oder sehr vorsichtig und zurückhaltend. Das ist meistens nicht die angebrachte Reaktion, weiß die Diplom-Pädagogin, Fachberaterin und Autorin Ulli Freund. Sie sagt:

„Ich habe Prävention zu meinem Beruf gemacht, nicht weil alles immer schlimmer wird, sondern weil wir immer mehr darüber wissen, wie sexuelle Gewalt wirkungsvoll bekämpft werden kann.”

Ulli Freund hat das Buch „Sexuelle Übergriffe durch Kinder” geschrieben und erklärt bei einbiszwei, wie eine zeitgemäße Sexualerziehung aussehen sollte.

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

einbiszwei@ubskm.bund.de

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