Podcast | Folge: 83 | Dauer: 40:49

Wer sind diese „Väterrechtler” und was wollen sie, Thomas Gesterkamp?

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[00:00:00.700] - Thomas Gesterkamp

Väterrechtler sind Männer, die in der Öffentlichkeit sich darüber beklagen, dass sie nach Trennung und Scheidung zu wenig Rechte haben. Vor allen Dingen geht es um den Zugang zu ihren Kindern, zum Kind. Sie sind natürlich schon zum Teil sehr stark gegen Frauen gerichtet und behaupten eben auch die Familiengerichtsbarkeit, also das Umfeld, in dem sie sich da juristisch mit ihren Partnerinnen auseinandersetzen, wäre feministisch dominiert.

[00:00:29.240] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missständen und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst. Eine Trennung ist für beide Elternteile und die Kinder immer ein schwieriges Thema. Nur selten läuft es einvernehmlich ab und spätestens, wenn es um das Sorgerecht geht, wird es oft hitzig. Über 100.000 mal jährlich entscheiden Gerichte in Deutschland über Sorgerechtsfragen. Da geht es dann um das Aufenthaltsbestimmungsrecht, um das Umgangsrecht und um Unterhaltszahlungen. Und immer häufiger entscheiden Gerichte zugunsten von Vätern. Das muss nichts Schlechtes sein, aber die Zeitschrift „Emma" beispielsweise hat bereits Ende letzten Jahres Alarm geschlagen. Sie sieht hinter vielen väterfreundlichen Entscheidungen den Einfluss einer immer stärker werdenden sogenannten „Väterrechtler-Lobby", die vor allem zurück zu traditionellen Familienstrukturen möchte. Einer, der seit Jahren erforscht, wer diese Väterrechtler sind und was sie wollen, ist der Politikwissenschaftler Thomas Gesterkamp. Und ich freue mich sehr, dass er heute hier ist. Herzlich willkommen. Schön, dass Sie da sind.

[00:01:48.530] - Thomas Gesterkamp

Hallo.

[00:01:49.470] - Nadia Kailouli

Herr Gesterkamp, wir wollen heute über das Thema Väterrechte sprechen und ich sag's Ihnen ganz ehrlich: Als ich das erste Mal den Begriff gehört habe "Väterrechte" da dachte ich doch, hm, ist doch was Positives. Stimmen Sie mir da zu?

[00:02:01.750] - Thomas Gesterkamp

Grundsätzlich ja. Die Leute, die sich Väterrechtler nennen, haben dann aber einen bestimmten Ausschnitt im Kopf, über den wir wahrscheinlich in den nächsten Minuten reden werden.

[00:02:13.910] - Nadia Kailouli

Und eigentlich haben Sie ja schon das kleine, aber feine Unterschiedchen gemerkt: „Väterrechte" und „Väterrechtler" ist ja nicht das Gleiche.

[00:02:22.280] - Thomas Gesterkamp

Ja, „Rechtler" hört sich ja ein bisschen gleich wie „Rechthaber" an und manche Männer in dieser Szene sind auch sehr rechthaberisch.

[00:02:29.980] - Nadia Kailouli

Aber jetzt gucken wir mal auf die Themen, in denen sie rechthaberisch sein wollen. Wenn Sie „Väterrechtler" zusammenfassen müssten, wie würden Sie das tun?

[00:02:38.590] - Thomas Gesterkamp

Väterrechtler sind Männer, die in der Öffentlichkeit sich darüber beklagen, dass sie nach Trennung und Scheidung zu wenig Rechte haben. Vor allen Dingen geht es um den Zugang zu ihren Kindern, zum Kind. Es geht aber auch über angeblich zu hohe Unterhaltszahlungen, um, ja, die ganzen Begleiterscheinungen des Rosenkriegs, den es manchmal gibt, zwischen Paaren, zwischen Eltern nach der Trennung. Und da fühlen sich diese Männer benachteiligt, verletzt und tragen das in die Öffentlichkeit, in dem Sinne, dass sich da was ändern muss.

[00:03:11.710] - Nadia Kailouli

Jetzt könnte man doch eigentlich sagen, aber zum Teil haben doch viele Väter wahrscheinlich recht, vor allem wenn wir irgendwie uns anschauen, den letzten Fall, den ich so mitbekommen habe, wie ein Vater eben bis vors höchste Gericht gegangen ist, um eben seine Rechte als Vater anzuklagen und da auch Recht zu bekommen, dass er irgendwie, ja, als biologischer Vater auch rechtlich als Vater anerkannt werden möchte. Da kann man doch sagen, ist es nicht total emanzipatorisch, dass Männer, Väter, sich für die Rechte als Vater besser oder mehr einsetzen wollen und da auch mehr Zuspruch bekommen wollen?

[00:03:45.560] - Thomas Gesterkamp

Das ganze Phänomen „Väterrechtler" ist ja relativ neu, jetzt historisch betrachtet. Das gibt's erst seit zwei, drei Jahrzehnten. Aus meiner Sicht hat es viel damit zu tun, dass es neue Väter gibt, paradoxerweise. Also es geht ja bei den Folgen von Trennung und Scheidung darum, dass Männer Care-Arbeit einfordern eigentlich, dass sie fordern: „Ich will mit meinem Kind zusammen sein!" Und das ist historisch ein relativ neues Phänomen nach Trennung. Also früher gab es die Kneipenbekanntschaften der Frauen, die Verpisserväter, die sind dann schnell verschwunden, wenn die Frau schwanger war oder das Kind da war und sie hatten gar kein Interesse an einem Kontakt zu ihrem Kind. Und das hat sich, glaube ich, geändert. Darüber habe Ich habe ja auch Bücher geschrieben. Ich habe ja Bücher geschrieben über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus männlicher Perspektive. "Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere" hieß das Letzte. Und da schreibe ich eben über diesen Begriff der neuen Väter. Der Begriff, kann man sich drüber streiten, der ist ja gar nicht so neu, denn der taucht in der Wissenschaft schon in den 1980er Jahren auf. Aber auf einem Buchtitel muss ja immer alles neu sein. Historisch, wenn man's in langen Zeiträumen betrachtet, ist es in der Tat ja was neues, gerade bei nicht-ehelichen Paaren, dass sich Männer, die Frauen schwängern, nicht danach verpissen, sondern dass sie präsent sein wollen, dass sie vielleicht sogar auch in einer nicht-ehelichen Gemeinschaft mit der Frau leben am Anfang, sich vielleicht auch fürsorglich um einen Säugling kümmern. Und wenn sie dann diese Erfahrungen gemacht haben, die eben diese Kneipenbekanntschaften früher nicht gemacht haben, dann sind sie verbittert, wenn ihnen dieser Kontakt untersagt wird. In dem Sinne gibt es einen Zusammenhang und wichtig ist auch, dass... Sie hatten ja schon diese letzten Gerichtsverfahren erwähnt, dass sich ja spätestens seit den 1990er Jahren viel zum Positiven verändert hat im Familienrecht, zugunsten der Väter. Absurderweise gibt's trotzdem mehr Prozesse als früher, nach Trennung, obwohl ganz viele Paare, und das fällt ja oft hinten rüber, sich einvernehmlich einigen, ohne Prozesse, ohne Rosenkrieg. Und das ist die Mehrheit. Ich kenne in meinem Bekanntenkreis alleine schon diverse Trennungseltern, die das ganz gut hinkriegen. Also die Männer, die sich unheimlich streiten mit ihren Frauen, mit ihren Ex-Partnerinnen und dann vielleicht sogar vor Gericht ziehen oder bis vor das Bundesverfassungsgericht. Das ist eine Minderheit und durch diese Verbesserung im Sorgerecht, im Umgangsrecht seit den 1990er Jahren, hat sich viel verändert. Ich kann da vielleicht nochmal was Persönliches zu erzählen, weil ich selber in den 90er Jahren eine Tochter bekommen hab und wir waren auch nicht verheiratet. Und als wir dann beim Jugendamt das Sorgerecht im Einverständnis des Vaters anerkannt haben, wurde dann in die Geburtsurkunde eingetragen: „Die Vaterschaft ergibt sich aus einem Randvermerk." Also ich wurde gleich in so eine randständige Rolle, sogar in der Bürokratie, gesteckt, in der ich aber mich in meinem Selbstverständnis gar nicht befand, weil wir haben egalitäre Arbeitsteilung gemacht von Anfang an. Wir haben uns das Aufziehen auch eines ganz kleinen Kindes wirklich paritätisch geteilt und ich war alles andere als ein randständiger Vater. Aber in der juristischen Denke der Behörden, der Jugendämter, war damals eben verankert: Selbst wenn der Vater das Sorgerecht anerkennt, ergibt sich seine Vaterschaft aus einem Randvermerk. Eine schöne Anekdote, die ich bei meinen Vorträgen auch gerne erzähle.

[00:07:25.630] - Nadia Kailouli

Sie hatten's gerade erwähnt, Sie haben eben mehrere Bücher geschrieben, unter anderem haben wir Sie auch deswegen eingeladen. Sie sind Autor, Sie sind Journalist und Sie sind in diesem Thema drin. Ich nenne mal Ihre Buchtitel: „Hauptsache Arbeit. Männer zwischen Beruf und Familie", "Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere", "Die Krise der Kerle. Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft", "Jenseits von Feminismus und Antifeminismus. Plädoyé für eine eigenständige Männerpolitik". Jetzt fragt man sich natürlich, wie taucht man denn da rein in diese Männer-Vater-Welt? Klar, Sie sagen es, Sie haben es gerade erzählt, Sie sind selber Vater. Das reicht aber wahrscheinlich nicht dafür aus, um herauszufinden, dass „Väterrechtler" durchaus ja nicht nur eine, ja, positive Bewegung ist, sondern dass da ja durchaus auch eine Gefahr besteht, sich in dieser Gruppierung aufzuhalten.

[00:08:12.830] - Thomas Gesterkamp

Ja, danke für Ihren ausführlichen Werbeblock. Dann muss ich das nicht mehr machen. Ja, es ist eigentlich entstanden über meine Bücher über Väter und Vereinbarkeit, über Vortragsveranstaltungen, wo ich dann konfrontiert war im öffentlichen Raum mit Väterrechtlern. Ich kann mich an eine Veranstaltung erinnern, bei Ihnen in Berlin, von der Bundeszentrale für politische Bildung. Das war ein Jugendfestival. Da sollte ich Jugendlichen, also jungen Menschen zwischen 17 und 25, was über gelungene Vereinbarkeit von Beruf und Familie erzählen. Ich war da, glaube ich, mit Thea Dorn und mit Carsten Wippermann, also einer Autorin und einem Sozialforscher, auf der Bühne. Und an demselben Wochenende, wo dieses Festival stattfand, haben Väterrechtler in Berlin auf dem Kurfürstendamm demonstriert und dann haben sie sich überlegt: „Wir gehen mal zu dieser Diskussion." Und dann haben sie sich in die erste Reihe gesetzt und haben immer wieder Fragen zu Trennung und Scheidung gestellt. Und diesen Jugendlichen, die alle noch vor der Familiengründung standen, haben sie richtig schlechte Laune gemacht, nach dem Motto: „Das ist alles ganz schlimm. Wenn man Kinder kriegt, dann streitet man sich als Paar." Und das ist dann auch auf anderen Veranstaltungen in einer ähnlichen Form passiert. Also die haben die Veranstaltung ja nicht gesprengt oder gestört, aber wenn dann immer wieder nur über Wortmeldungen über Trennung und Scheidung geredet wird, statt über positive Dinge, dann ist das natürlich schon eine gewisse Störung. Und dann habe ich mich gefragt: Was sind das eigentlich für Leute, diese Väterrechtler? Und hab mich eben intensiver mit dem Thema beschäftigt und dann 2010 da meine erste Recherche zu veröffentlicht, die hieß "Geschlechterkampf von rechts". Da habe ich einen richtigen Shitstorm geerntet, weil in Deutschland wird rechts immer gleich mit Nazi gleichgesetzt. Ich hab aber nie behauptet, Väterrechtler wären Nazis. Ich hab nur auf Grauzonen hingewiesen zum rechten Umfeld und wurde dann aber eben im Netz ziemlich abgewatscht.

[00:10:09.170] - Nadia Kailouli

Aber hat sich das im Laufe der Jahre mehr und mehr bestätigt oder hat es zugenommen, dass immer mehr Väterrechtler eben auch in die rechte Richtung denken?

[00:10:19.360] - Thomas Gesterkamp

Ja, rechts ist ja ein dehnbarer Begriff. Man könnte jetzt auch sagen, konservativ. Sie haben sicherlich ein eher konservatives Familienbild. Deswegen sind sie ja auch so rechthaberisch, weil sie denken, der Vater hat's dann letztlich doch zu bestimmen. Also sie sind auch in ihrer männlichen Rolle, in ihrem männlichen traditionellen Selbstverständnis ja sehr gekränkt. Also dass die Frau ihnen die Kinder wegnimmt, das haben sie sich eben vorher nicht vorstellen können. In dem Sinne würde ich schon sagen, es überwiegen da eher traditionelle Rollenbilder. Sie haben auch ein sehr binäres Verständnis von Geschlechterrollen, also: Mann, Frau, Kind, intakte Familie. Also Patchwork kommt dann eher nur am Rande vor, auch wenn Sie selber dann ja oft in diese Konstellation hereinrutschen. Aber ich würde jetzt auf keinen Fall sagen, alle Väterrechtler sind automatisch rechts. Es gibt da Grauzonen, es gibt Diskursbrücken, wie man in der Wissenschaft sagt. Und man sollte auf keinen Fall den Fehler machen, ich sage das auch auf meinen Veranstaltungen, Art McCarthy von links. Ich weiß nicht, ob Sie Joe McCarthy noch kennen. Das war ein amerikanischer Senator in den 50er Jahren, im Kalten Krieg. Der hat praktisch jeden Professor, der mal mit irgendeinem Kommunisten auf einem Podium gesessen hat, dann als Kommunist verdächtigt und der bekam dann berufliche Schwierigkeiten. Und wenn man das jetzt aber von links macht, wie das zum Teil auch Antifa-Gruppen machen, die überall Rechtsextremismus wittern, dann ist das zumindest, was die Väterrechtler angeht, nicht korrekt. Nicht alle Väterrechtler sind rechts. Es gibt Einzelpersonen, es gibt auch Übertritte zur AfD zum Beispiel – kommen wir vielleicht später noch mal drauf – es gibt aber auch Väterrechtler, die sind in der FDP, weil die sich am stärksten für ihre Forderungen einsetzt, was die Reform des Unterhaltsrechts angeht, was das sogenannte Wechselmodell angeht. Aber das Milieu ist total heterogen. Es gibt sogar Väterrechtler, Männerrechtler, die sagen, sie sind links.

[00:12:18.580] - Nadia Kailouli

Aber kann man verallgemeinend denn sagen, welche Themen Väterrechtler beschäftigen, nach welchen Ideologien oder Werten sie arbeiten oder agieren?

[00:12:29.030] - Thomas Gesterkamp

Ja, ich unterscheide ja zwischen Männerrechtlern und Väterrechtlern. Also Väterrechtler im engeren Sinne. Wir können auch gerne über Männerrechtler reden. Da geht's dann um Themen wie: „Sind Jungs Bildungsverlierer?" Oder das Thema Männergesundheit wird angeblich vernachlässigt. Aber Väterrechtler kreisen ja eigentlich um ein monothematisches Feld, nämlich die Folgen von Trennung und Scheidung für Männer. Das ist ihr Thema. Von dem sind sie geradezu besessen. Ich meine das jetzt nicht pathologisierend, sondern ich kann es auch verstehen, weil eben viele ehrlich verbittert sind. Das nehme ich ihnen auch ab. Ich bin ja selber auch auf Veranstaltungen von väterrechtlichen Vereinen gewesen. Das wurde dann im Laufe meiner Recherchen zunehmend schwieriger, weil ich nicht mehr erwünscht war, weil man mich kannte von meine Veröffentlichungen aber...

[00:13:13.960] - Nadia Kailouli

Können Sie das direkt erläutern? Warum waren Sie nicht erwünscht? Weil es klingt jetzt nicht unbedingt so, als würden Sie die total anfeinden oder da irgendwie eine große Aufdeckungskampagne sagen. Sie haben jetzt gerade sehr gut aufgeklärt, dass wir nicht so pauschalisieren sollten und das auch nicht dürfen. Also warum mag man Sie nicht?

[00:13:30.250] - Thomas Gesterkamp

Ich muss da nicht gemocht werden. Also ein falsches Selbstverständnis als Journalist auch. Man muss ja nicht überall gemocht werden. Dann schreibt man vielleicht auch nicht mehr kritisch. Ich habe sie ja schon kritisiert in dieser Recherche, von der ich vorhin gesprochen habe, "Geschlechterkampf von rechts" und hab auf diese Grauzonen zum rechtspopulistischen Milieu hingewiesen und auch auf die traditionellen Vorstellungen von Geschlechterrollen. Und das hat natürlich nicht jedem gefallen und Sie wissen ja, wie das Netz funktioniert. Man wird dann eben sehr pauschal abgewatscht und das ist mir eben auch so gegangen. Genauso heterogen wie die Männer sind, sind ja auch diese Vereinsfunktionäre. Also manche haben mich dann trotzdem auch als Pressevertreter immer wieder eingeladen oder zugelassen, dass ich mir das anhöre. Und das ist ja auch ganz in deren Sinne, weil ich habe dadurch ja auch positive Erlebnisse gehabt. Ich habe zum Beispiel beim "Väteraufbruch für Kinder", das ist der größte väterrechtliche Verein in Deutschland, mit nach eigenen Angaben 3000 Mitgliedern, habe ich sehr gute Veranstaltungen erlebt, wo viele Frauen waren, Mitarbeiterinnen von Jugendämtern, Rechtsanwältinnen, Familienhelferinnen, die sich da weitergebildet haben. Und das war keine tendenziöse Veranstaltung. Es gibt da durchaus dann auch Referenten, die für Mediation in Trennungsprozessen werben, also für ein Verständnis auf, ja, therapeutischer Ebene sozusagen und eben nicht auf der gerichtlichen Ebene. Es gibt aber auch väterrechtliche Vereine oder Einzelpersonen in diesen Vereinen, die raten den Männern gleich zum Prozess, also zur Rechthaberei vor Gericht. Und das ist ja auch richtig teuer. Also auch für die Männer ist das sehr teuer, wie überhaupt Trennung Armutsrisiko ist für beide Geschlechter, also auch für die Männer übrigens. Das wird oft in der frauenpolitischen, feministischen Debatte vergessen: Diese Männer sind ja nicht reich. Also jede Trennung führt dazu, dass die Eltern verarmen. Gerade wenn die Männer dann auch das Kind sehen wollen, dann müssen sie eine größere Wohnung anmieten, dann müssen sie auch ein Kinderzimmer einrichten. Sie müssen sowieso natürlich den Unterhalt zahlen bei dem traditionellen Residenzmodell, wo das Kind überwiegend bei der Mutter ist. Also für beide ist alleinerziehend oder, wie man korrekter sagen sollte, getrennt erziehend, ein Risiko, zu verarmen, weil wenn man als Paar, als Familie lebt, ist es immer billiger. Klar.

[00:15:51.300] - Nadia Kailouli

Jetzt versuchen wir uns mal... Also, wir reden tatsächlich bei einbiszwei häufiger über das Thema Frauen und die Rechte der Frau oder Gewalt gegenüber Frauen. Jetzt reden wir heute mal über die Väter, über die Männer. Würden Sie denn Vätern raten, die sich in einer Trennung befinden, wo ein Kind involviert ist, sich über die Väterrechtler zu informieren, welche Rechte mir als Vater zustehen? Oder ist das die falsche Anlaufstelle?

[00:16:16.920] - Thomas Gesterkamp

Würde ich sehr differenzieren nach den Vereinen. Es gibt Vereine wie ISUV. Das ist der älteste väterrechtliche Verein in München. Der ist sehr radikal. Das "Forum Soziale Inklusion" würde ich nicht empfehlen. Mit Inklusion ist da übrigens die Exklusion der Väter gemeint, nicht irgendwas mit behinderten Kindern in der Schule. "Der Väteraufbruch", der größte Verein, wie gesagt, ist ein sehr heterogener Verein. Da gibt es Ortsvereine, die würde ich eher als konservativ-rechtspopulistisch einordnen. Andere machen gute Arbeit, sind eigentlich Selbsthilfegruppen. Also spricht ja nichts dagegen, dass Männer da in Selbsthilfegruppen gehen und sich wechselseitig bestärken. Empowerment sozusagen. Das machen ja Frauen in ihren geschlechtshomogenen Gruppen auch. Es gibt ja auch alleinerziehende Mütterverbände. Und ich habe nichts gegen Selbsthilfegruppen und es kommt eben sehr darauf an, wie diese Gruppen arbeiten, ob sie die Väter in ihrer Verbitterung bestärken, noch zusätzlich aufwiegeln im Sinne eines Geschlechterkampfes oder ob sie versuchen, praktikable Lösungen zu finden, die eben auch die Interessen der Mütter, der Frauen berücksichtigen.

[00:17:26.720] - Nadia Kailouli

In welcher Sprache wird denn dann da gesprochen? Also kann mir vorstellen, also wenn man an die falsche Gruppe jetzt zum Beispiel gerät, dass da regelrechter Frauenhass ausgesprochen wird? Oder was ist das Ziel dann dieser, ich sage jetzt mal, schlechteren Väterrechtlergruppen?

[00:17:43.260] - Thomas Gesterkamp

Was mir immer wieder auffällt, ist, dass Väterrechtler im öffentlichen Raum oder väterpolitische Aktivisten, ich sag's mal neutraler, dass sie sehr ungeschickt agieren, dass sie sehr aggressiv argumentieren, wenn sie sich auf Veranstaltungen zu Wort melden, dass das dann schnell einen frauenfeindlichen Touch bekommt. Eben diese Verbitterung, man könnte es positiv ausdrücken, die Verbitterung kommt eben sehr deutlich rüber und es fehlt die Empathie. Insgesamt fällt mir auf, dass Väterrechtler jenseits ihrer eigenen Selbsthilfegruppen auch bei Debatten über Vereinbarkeit oder über geschlechterpolitische Themen sich eher rar machen. Also sie bleiben eher in ihrer Blase. Es ist ja zum Teil auch ein Internetphänomen, also dass im Internet diese Gruppen viel machtvoller wirken, als sie in Wirklichkeit sind. Ich spreche in dem Zusammenhang immer von einer Kunstrasenbewegung im Kontrast zur Graswurzelbewegung. Also es ist eben nicht Graswurzel, eine Bewegung, die von unten wächst, sondern im Internet wird der Eindruck erweckt, dass sie sehr mächtig sind, weil da Leute mehrere Klarnamen benutzen, weil sie überall kommentieren, wo in den Zeitungen vom Thema Trennung und Scheidung die Rede ist. Es ist aber kein reines Internetphänomen, sonst wären ja diese Gruppen auch nicht so vergleichsweise groß. Also 3000 Mitglieder bundesweit ist nicht so wenig für einen Verein, der auch Mitgliedsbeiträge erhebt. Das ist aber auch nicht immer dieselbe Zusammensetzung, weil Sie müssen sich vorstellen, dass diese Väter, die da reingehen, eigentlich sofort wieder aussteigen, wenn sie ihr Problem gelöst haben. Also wenn sie eine halbwegs praktikable Lösung mit ihrer Partnerin gefunden haben, wechseln sie eigentlich wieder, verlassen sie die Gruppe und das heißt, da ist eine unheimliche Fluktuation. Und da hat sich im Laufe der Zeit auch ein Radikalisierungsprozess ergeben. Ich war übrigens bei der Gründung von diesem "Väteraufbruch für Kinder" als ganz junger Journalist, 1988 schon dabei. Damals war das ein von Gewerkschaften getragener, eher links eingestellter Verein, der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Vätersicht verbessern sollte. Und dann ist er aber immer weiter in dieses rechthaberische Lager abgedriftet. Und heute ist er deshalb eben umstritten. Ich werbe aber immer dafür, ihn eben nicht pauschal als rechts oder indiskutabel abzuwerten, wie das zum Teil in feministischen und frauenpolitischen Debatten passiert.

[00:20:10.460] - Nadia Kailouli

Aber inwieweit – wir reden ja jetzt die ganze Zeit über die Väter, ja – inwieweit spielt denn in diesen Gruppen tatsächlich das Wohl des Kindes eine Rolle? Also wird das vermittelt oder ist das eine reine Ego-Show, wo es drum geht: „Hol dir das, was dir zusteht", aber man weiß eigentlich gar nicht wirklich, was bedeutet das für das Wohl des Kindes, um das es ja dann am Ende geht?

[00:20:31.510] - Thomas Gesterkamp

Ja, das Wohl des Kindes steht ja auch in der ganzen Gerichtsbarkeit im Vordergrund. Es geht in den Prozessen eigentlich immer als Priorität um das Wohl des Kindes. Es gibt durchaus in den Vereinen das Bemühen, das Wohl des Kindes zu betonen. Manchmal ist das aber auch nur verbal. Also die Väter reden schon sehr viel über ihre Rechte. Ich hatte ja schon über die Kränkung gesprochen, also dass man überhaupt auf der... Sie nehmen sich ja als familiäre Verlierer wahr, als die Benachteiligten in der Familie. Was mir auch immer auffällt, ist, dass sie sehr ungern reden über die Arbeitsteilung vor der Trennung. Also in den alleinerziehenden Frauenverbänden wird ja zu Recht beklagt nach dem Motto: „Vorher hat er sich nicht gekümmert und jetzt will er dauernd mein Kind sehen". Also Väter, auch wenn sie vorher eine sehr traditionelle Arbeitsteilung, also sprich Arbeitsmann plus Hausfrau oder Hinzuverdienerin, praktiziert haben, reden da ungern drüber nach der Trennung. Sondern dann fordern sie, was ja eigentlich was Positives ist, ihre Beteiligung an der Care-Arbeit ein. Und ich weiß manchmal nicht so recht, ob ich das jedem einzelnen Mann wirklich abnehmen soll oder kann, dass er dann jetzt plötzlich für paritätische Arbeitsteilung ist. Noch heikler ist ja gerade für Ihr Projekt das Thema Gewalt. Also es gibt ja in Trennungsfamilien manchmal auch Gewaltvorkommnisse, die dann zu der Trennung geführt haben, Gewalt gegenüber der Partnerin, vielleicht sogar auch Gewalt gegenüber dem Kind. Und darüber wird natürlich gar nicht gesprochen.

[00:21:59.900] - Nadia Kailouli

Das ist dann natürlich jetzt, wo man sagt, okay, das ist natürlich sehr unglücklich, sage ich mal. Weil wenn das gar kein Thema ist, dass das als, ich sag mal, als Grund überhaupt herangezogen wird, warum ein Mann verlassen wurde von der Partnerin, unter anderem, um das Kind zu schützen und das aber gar nicht thematisiert wird, fragt man sich natürlich, inwieweit da eine Blase entsteht und daraus vielleicht dann noch mehr Gewaltpotenzial entstehen könnte. Haben Sie das Gefühl, dass... Wir gehen jetzt mal von den Väterrechtlergruppen aus, von denen Sie auch eher ablehnen - haben Sie das Gefühl, dass dort Gewalt eher geschürt wird?

[00:22:33.420] - Thomas Gesterkamp

So weit würde ich nicht gehen. Ich würde erst mal sagen, das Thema Gewalt ist eben in diesen Vereinen ein Thema, was nicht angesprochen wird. Also die Männer reden nicht darüber, was da vielleicht vorgefallen ist. Vor Gericht spielt das natürlich oft eine große Rolle, weil es gibt ja umgekehrt auch den Vorwurf eben von Frauen, der dann vielleicht auch vor Gericht verhandelt wird: „Er hat mir Gewalt angetan" oder „Er hat meinem Kind Gewalt angetan". Und dann müssen sich die Männer natürlich vor Gericht schon damit auseinandersetzen. Aber in diesen Gruppen wird das Thema eher ausgeblendet.

[00:23:07.070] - Nadia Kailouli

Die ganze Zeit, wenn wir so darüber sprechen, habe ich immer wieder den Begriff „Incels" im Kopf. Die Frauenhasser, das ist ja eine sehr junge Bewegung eher, also auch ein Internetphänomen, glaube ich, wo sich sehr junge Menschen zusammentun und über Netzwerke, soziale Medien zusammentun, um eben ganz gezielt ihren Frauenhass zum Ausdruck zu bringen. Sehen Sie da Parallelen?

[00:23:30.480] - Thomas Gesterkamp

Incels haben ja in der Regel keine Kinder. Das ergibt sich ja schon aus der Bedeutung des Wortes. "Unfreiwillig zölibatär" heißt ja, dass sie keine Partnerin haben oder darüber enttäuscht sind, frustriert sind, bis hin dann zur … Hat ja ein sehr hohes aggressives Potenzial bis hin zur Gewalttätigkeit. Damit würde ich aber Väterrechtter nicht in einen Topf werfen wollen. Also zumal die Incels auch eher jüngere Männer sind vor der Familiengründung. Also das Thema Väterrechte spielt bei den Incels eigentlich keine große Rolle. Da geht es ja um ihren Frust auf den Beziehungsmarkt, sozusagen, dass sie keine Freundin finden.

[00:24:06.830] - Nadia Kailouli

Ja, ich dachte gerade, ob irgendwie Väterrechtler, die dann zwar Kinder haben und eben die Rechte des Vaters in Anspruch nehmen wollen oder überhaupt auf der Suche danach sind, ob es wirklich im Vordergrund steht, bei diesen Gruppen das Vaterrecht in Anspruch zu nehmen oder ob es im Vordergrund steht, die Mutter, die ehemalige Partnerin, anzuprangern, weil sie sich für eine Trennung entschieden hat und da halt eben eher Frauenhass geschürt wird, als Väterrechte aufrechterhalten werden.

[00:24:39.200] - Thomas Gesterkamp

Ja, es gibt sicherlich da inhaltliche Überschneidungen, was Frontstellung gegen Frauen angeht, vielleicht bis hin zum Frauenhass. Ich wollte jetzt nur damit sagen, dass mir jetzt keine Fälle bekannt sind, wo Väterrechtler, meinetwegen ähnlich wie die Incels, Attentate verübt haben. Es gab ja diese Fälle in Toronto und Christchurch und so weiter, wo diese Incels Menschen umgebracht haben. Und damit haben die Väterrechtler aus meiner Sicht nichts zu tun. Sie sind natürlich schon zum Teil sehr stark gegen Frauen gerichtet und behaupten eben auch, das Weltbild teilen sie mit den Männerrechtlern allgemein, dass sie eben behaupten, die Familiengerichtsbarkeit, also das Umfeld, in dem sie sich da juristisch mit ihren Partnerinnen auseinandersetzen, wäre feministisch dominiert. Und das passt zu diesen fast verschwörungstheoretischen Ideen von Männerrechtlern allgemein, dass sie behaupten, wir würden in einem feministischen Governantenstaat leben und die Männer wären jetzt die heimlich Benachteiligten. Also da gibt es Überschneidung. Das ist ja das, was mit Grauzonen und Diskursbrücken gemeint ist, mit diesem Übergangsfeld, wo ich aber eben dafür plädiere, genau hinzuschauen und nicht alle Leute über einen Kamm zu schweren.

[00:25:57.090] - Nadia Kailouli

Genau hinzuschauen fällt aber wahrscheinlich ja einigen schwer, wenn man ja gerade auch in so einer Trennungsphase ist. Da ist die Sachlichkeit das eine, aber die Emotion das andere. Wie groß ist denn die Gefahr, dass ich als Vater in die falsche Gruppe gerate, weil ich eben so emotionalisiert bin aufgrund der Trennung zu meiner Partnerin, aber vor allem aufgrund der Trennung zu meinem Kind?

[00:26:19.410] - Thomas Gesterkamp

Ja, die Gefahr ist groß. Das ist eben ein emotional hoch aufgeladenes Thema. Die Verbitterung ist groß, der Frust ist groß. Und ja, das hat so was dann vom Rattenfänger von Hameln. Also wenn die Männer da in der falschen Gruppe landen oder vielleicht auch falsche Freunde finden, dass sie sich dadurch radikalisieren. Nicht alle, aber es kann passieren. Extremer ist es, glaube ich, noch im Netz. Also die Leute, die in den Gruppen sind, also sich analog treffen, haben da, glaube ich, eher noch ein Korrektiv, als die Leute, die sich nur im Netz austauschen und sich da gegenseitig hochschaukeln in ihrem Frauenhass.

[00:26:58.760] - Nadia Kailouli

Jetzt hatten wir ja eingangs schon Sie über den Begriff „neue Väter" gesprochen. Väter, die sich dafür einsetzen, sich ums Kind zu kümmern, die eben sich die Care-Arbeit teilen wollen mit ihrer Partnerin, ob jetzt man zusammenlebt oder getrennt lebt. Sie haben ja, wie gesagt, ein Buch geschrieben, „Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere". Was macht denn diese neuen Väter genau aus?

[00:27:20.170] - Thomas Gesterkamp

Das fängt damit an, dass sie schon bei der Geburt dabei sind. Das ist ja heutzutage eigentlich selbstverständlich. Die Zahlen liegen zwischen 90 und 95% inzwischen der männlichen Beteiligung. In der Generation meines Vaters war das umgekehrt. Da waren 10% der Männer bei der Geburt dabei. Also die waren in der Kneipe oder auf dem Krankenhausflur. Also sie durften zum Teil auch gar nicht in die entsprechenden Stationen oder in die OP-Säle, wenn es nicht so gut klappte. Zu den Phänomen der neuen Väter gehört, dass ungefähr 40% der Väter Elternzeit nehmen. Davon allerdings drei Viertel diese zwei Väter-Monate, nicht mehr. Das wird ihnen von frauenpolitischer Seite immer vorgehalten oder auch mir bei meinen Veranstaltungen. Aber zwei Monate ist natürlich schon was anderes als null Monate. Also wenn man am Anfang dabei ist, wenn man vielleicht sogar alleine für ein Säugling verantwortlich ist oder für ein Kleinkind, dann entsteht da auch viel Liebe. Dann macht das was mit den Vätern und schwierig wird es dann später mit Teilzeitmodellen für Väter. Darüber habe ich ja auch viel geschrieben, weil das immer noch nicht so üblich ist. Hat sich jetzt ein bisschen verbessert durch Homeoffice-Möglichkeiten nach Corona, die ja auch zum Teil erhalten geblieben sind. Also das alles verbessert ja die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Wie gesagt, neu ist der Begriff nicht. Man könnte sich jetzt auch darüber streiten, ob es neue Väter gibt, aber es gibt zumindest eine Zunahme von Engagement. Und da werbe ich auf meinen Veranstaltungen in meinen Büchern auch immer dafür, dass die Frauen das wahrnehmen, weil das gerne angezweifelt wird. Ich weiß, dass da der Fortschritt eine Schnecke ist, aber wenn man sich überlegt, dass vor der Einführung dieser Vatermonate des Elterngeldes, also das gibt es ja erst seit 2007, haben 3,5% der Männer Erziehungsurlaub genommen, wie das damals noch hieß. Und jetzt sind wir eben bei 40%, das ist ja eine Verzehnfachung binnen 15 Jahren.

[00:29:16.720] - Nadia Kailouli

Einen Punkt würde ich gerne noch ansprechen. Sie haben gerade gesagt, okay, „neue Väter" ist eigentlich nicht so der neue Begriff. Ja, es gibt keine "neuen Väter", kann man sich darüber streiten, aber es gibt eine Zunahme an Vatern, die sich mehr kümmern möchten und gleichwertiger die Arbeit und Erziehung aufteilen wollen mit der Mutter. Ist diese Zunahme dieses Engagements nicht auch eine Abnahme in Richtung Väterrechtler, also dass sich weniger Väter oder Männer eben in diese Richtung bewegen?

[00:29:43.880] - Thomas Gesterkamp

Ja, der Zusammenhang ist ja ein bisschen verzwickt. Das hatte ich ja schon beschrieben. Es gibt eben unter den Väterrechtlern viele, die am Anfang engagiert dabei waren und nur deshalb werden sie dann auch zu Väterrechtlern. Also früher wären das Väter gewesen- In anderen Ländern, zum Beispiel in den USA, gibt es das ja viel häufiger als bei uns, wo die Väter dann einfach dauerhaft abwesend sind, also eigentlich gar keine Verbitterung darüber spüren, dass sie ihr Kind nicht mehr sehen können. Also diese Enttäuschung darüber, dass man sein Kind nicht mehr sehen kann, muss ja mit Vorerfahrungen zu tun haben, mit Liebe, die da entstanden ist. Das würde ich den Väterrechtlern nicht absprechen, dass sie … Sie wollen ja jetzt nicht nur ihrer Partnerin einen reinwürgen. Gibt es vielleicht auch Einzelne, aber erst mal nehme ich ihnen ihr Interesse an ihrem Kind ab und insofern ist das kein Widerspruch zu den neuen Vätern.

[00:30:37.570] - Nadia Kailouli

Gut. Ich glaube, viele tun sich da einfach, ich will nicht sagen, schwer, aber ich meine, wir haben ja den Begriff „neue Väter" so was von eingenommen schon, würde ich sagen, in unseren Wortschatz, wenn wir über eben die Väter reden, die sagen: „Okay, ich bin jetzt genauso in Elternzeit wie meine Partnerin. Ich kümmere mich gleichwertig", etc. Aber was man da ja nun auch merkt, ist doch, dass das immer noch nicht von allen in unserer Gesellschaft so eine Anerkennung findet, vor allem nicht im beruflichen Kontext, weil man sich denkt: „Ja, uch kann mir das gar nicht so erlauben", oder? Oder wie erleben Sie das?

[00:31:15.150] - Thomas Gesterkamp

Ja, also ich bin gerade Großvater geworden. Also kriegt das jetzt bei meiner Tochter hautnah mit. Die hat ein fünf Monate altes Baby und bei den jungen Frauen, die wollen alle lange stillen. Und meine These war immer: Im ersten Jahr sind Männer automatisch Assistenten. Also sie haben dann Chancen, später zum Teilhaber zu werden, aber gegen stillende Mütter können Väter erst mal nicht konkurrieren. Und das ist vielleicht auch nicht schlimm. Und es geht eben dann vor allen Dingen so nach ein, zwei Lebensjahren des Kindes darum, dass die Mütter eben auch wieder ihre Chancen im Beruf bekommen und nicht in dieser Teilzeitfalle hängenbleiben, was ja immer noch das klassische Modell ist von Eltern, auch von jüngeren Paaren. Also Arbeitsmann, "Hauptsache Arbeit", wie mein Buch damals hieß, und plus Hinzuverdienerin oder Minijob. Verschärft wird das Ganze durch die Kita-Krise. Alle Eltern klagen im Moment darüber, dass die Plätze nicht ausreichen, dass das Personal fehlt, dass die Randzeiten in den Kitas nicht besetzt sind. Also all das erschwert ja paritätische Modelle da zwischen den Geschlechtern, zwischen den Eltern. Also das ist ein ganz schwieriges Thema, mit dem beschäftige ich mich jetzt seit über 30 Jahren und es hat sich ein bisschen was verbessert, aber vieles liegt auch immer noch im Argen. Und die Arbeitswelt macht es den Männern in der Tat schwer. Es gibt ein paar Fortschritte, hatte ich ja schon erwähnt. Homeoffice ist leichter geworden. Also es gibt auch mehr Männer, die dann mal von zu Hause arbeiten können, aber sie sind ja da auch immer noch eingebunden. Sie können sich ja nicht mit dem Säugling beschäftigen, während sie irgendwelche Zoom-Calls machen. Und insofern hat das auch seine Grenzen.

[00:32:55.060] - Nadia Kailouli

Was die Frau ja so auch nicht kann. Also braucht es da eine …

[00:32:58.800] - Thomas Gesterkamp

Ja, ich habe da ein klares Konzept für in meinen Büchern.

[00:33:02.610] - Nadia Kailouli

Ja bitte.

[00:33:03.100] - Thomas Gesterkamp

Nämlich kürzere Arbeitszeiten für alle. Also wir müssen runter von der 40-Stunden-Woche in Richtung, ich nenne es kurze Vollzeit für alle, 30 Stunden. In die Richtung müsste die gesellschaftliche Perspektive gehen. Und wenn Sie das zusammenrechnen, also wenn Männer und Frauen die 30 Stunden arbeiten würden, was ungefähr übrigens auch ihren Arbeitszeitwünschen in Umfragen entspricht, dann sind wir aufs Paar bezogen, auf die Familie bezogen, bei 60 Stunden. Und das ist auch jetzt ungefähr die durchschnittliche Zeit, die in Familienerwerbsarbeit geleistet wird. Nur eben nicht 30/30, sondern 40 plus 20. Und meine Utopie ist, dass das reduziert wird, dass wir ein neues Normalarbeitsverhältnis bekommen. Die Arbeitgeber sind dagegen, auch wegen des Fachkräftemangels. Und das ist natürlich eine lange Auseinandersetzung. Ich hatte ja schon erwähnt, dieser "Väteraufbruch für Kinder" ist damals unter anderem von Gewerkschaftern mitgegründet worden, weil die sich eben auch für dieses Thema kürzere Arbeitszeiten für Männer interessiert haben.

[00:34:00.180] - Nadia Kailouli

Also würden Sie sagen, wir sind noch lange nicht da, wo ein gutes Zusammenleben zwischen Vater und Mutter klappen kann, was die gerechte Aufteilung betrifft?

[00:34:09.830] - Thomas Gesterkamp

Ja, dafür bedarf es großer Veränderungen in der Arbeitswelt, sicherlich auch Veränderungen in der Gerichtsbarkeit und im Rechtssystem. Da haben wir bisher ja wenig drüber gesprochen. Es gibt ja jetzt neue Vorschläge von Herrn Buschmann, von unserem Justizminister. Er will das Unterhaltsrecht ändern und auch das Wechselmodell ist ja in der FDP in der Diskussion oder wird eher favorisiert. Beim Unterhaltesrecht, finde ich, hat Herr Buschmann recht, weil ich habe zum Beispiel einen Freund, der in Trennung lebt und wenn der im Sommer den ganzen August mit seinen Kindern zelten fährt, dann muss er trotzdem den Unterhalt für seine Frau bezahlen für den Monat. Das ist ein bisschen absurd. Also das Residenzmodell, das bedeutet ja, das Kind lebt bei der Mutter, jedes zweite Wochenende dann beim Vater und vielleicht noch mal einen Nachmittag in der Woche. Das ist verbunden mit dem vollen Unterhalt, den die Männer zahlen müssen, was sie ärgert. Und jetzt muss man fairerweise berücksichtigen, dass 50% der Männer den Unterhalt gar nicht zahlen. Also das ist natürlich ein riesen Konfliktfeld. Aber jetzt bei dem Beispiel von dem Bekannten von mir zu bleiben: Es muss Mischmodelle geben. Also es muss Mischmodelle geben, was den Unterhalt angeht, dass eben der Unterhalt reduziert wird, wenn der Vater sich stärker beteiligt, wenn er meinetwegen fast jedes Wochenende zuständig ist oder mit den Kindern auf Reisen geht. Also das finde ich ein gutes Konzept von Herrn Buschmann. Bei dem Wechselmodell bin ich etwas skeptisch, auch weil ich weiß, dass viele Kinder das nicht wollen. Also das mit dem Kindeswohl steht ja im Vordergrund und gerade pubertierende Kinder, zum Beispiel ältere Kinder, die wollen nicht zwei Wohnungen haben und dauernd zwischen Vater und Mutter pendeln.

[00:35:47.570] - Nadia Kailouli

Würden Sie sagen, dass das Residenzmodell, was Sie gerade angesprochen haben, vor allem was die Unterhaltzahlungen betrifft, unter anderem dann eben diese Wut schüren, zu sagen: „Ich schließe mich jetzt Väterrechtlern an an, weil ich finde das nicht in Ordnung, dass ich hier zahlen muss, obwohl ich doch dann das Kind vier Wochen mit in Urlaub nehme und alles bezahle." Sind das unter anderem Faktoren, die das anfeuern?

[00:36:09.430] - Thomas Gesterkamp

Ja, sicherlich. Auf der anderen Seite: 50% der Trennungsväter zahlen keinen Kindesunterhalt. Weitere 25% zahlen zu wenig oder unregelmäßig. Alleinerziehende Mütter sind am meisten von Armut betroffen und es gibt auch wenig staatliche Sanktionen für säumige Zahler. Also das muss man von berücksichtigen, aber es gibt diesen Frust von Männern, die sich engagieren und da plädiere ich eben dafür, dass man das etwas flexibilisiert. Das heißt aber nicht, dass jetzt, wie die Väterrechtler das fordern, das Wechselmodell zur Regel gemacht werden sollte. Denn das mit dem Wechselmodell, also das genau paritätisch aufzuteilen, fordert ein Teil der Väterrechtler natürlich auch deshalb, weil sie dann keinen Kindesunterhalt mehr zahlen müssen. Also in dem Moment, wo das paritätisch gewechselt wird, fällt der Kindesunterhalt ja weg.

[00:36:59.630] - Nadia Kailouli

Das sind ja auch alles immer irgendwo politische Interessen, natürlich. Und wenn wir jetzt sagen, dass wir jetzt nicht veralgemeinern können, dass Väterrechtler alle per se rechts sind, aber man ja durchaus sagen kann, dass die Ideologie von Väterrechtlern durchaus konservativ sind. Was spricht dagegen, weil es nicht mehr salonfähig ist, konservative Lebensmodelle zu leben oder sich dafür auszusprechen?

[00:37:22.780] - Thomas Gesterkamp

Ja, wir haben ja bisher über Parteipolitik dann noch wenig gesprochen. Es ist so, dass es kaum Kontakte gibt von Väterrechtlern zur SPD, zu den Grünen und zu den Linken. Es gibt Kontakte zur FDP. Da gibt es sogar eine Vereinigung, Liberale Männer in der FDP, der eben ganz stark diese Themen Unterhaltsrecht und Wechselmodell forciert. Es gibt Übertritte zur AfD von Einzelnen. Es gibt Verbindungen zur CSU, weil dieses "Forum Soziale Inklusion", was ich erwähnt hatte, ein väterrechtlicher Verein aus Bayern, gute Kontakte zur CSU pflegt, der auch Fördergelder bekommt. Auf Bundesebene ist das übrigens gescheitert. Da haben sie auch versucht, Gelder zu akquirieren, die sie auch erst zugesprochen bekommen haben Ende 2020. Und das Familienministerium hat dann sich auf seine Grundsätze berufen und diesen Förderskandal, der auch breit in der Presse skandalisiert wurde, abgewendet. Da hängt aber immer noch ein Verfahren, ist da anhängig beim Berliner Verwaltungsgericht, wo eben versucht wird, dieses Geld im Nachhinein noch zu kriegen. Da ging es um 400.000 Euro. Das ist relativ viel, weil das ist ein ganz kleiner Verein da in Bayern und es war völlig unangemessen, diese Summe. Da haben die im Haushaltsausschuss geschlafen, die Politiker.

[00:38:38.370] - Nadia Kailouli

Wie wichtig würden Sie sagen, ist es eigentlich, dass Frauenvereine und Männervereine zusammen arbeiten?

[00:38:45.730] - Thomas Gesterkamp

Sehr wichtig. Also es gibt ja den Dachverband männerpolitischer Vereine und Organisationen, das sogenannte Bundesforum Männer. Das ist das Pendant zum Deutschen Frauenrat. Und dieses Bundesforum wird auch eher angefeindet von Väterrechtlern, weil sie so geschlechterdialogisch orientiert sind, weil sie eben mit Frauen kooperieren, weil sie sagen: "Das ist ein wechselseitiges System. Also Männer können sich nur verändern, wenn sie Frauen verändern und wir bewerten erst mal Frauenemanzipation positiv und das ist ja eigentlich eine gute Entwicklung." Das hat eine Weile gedauert, dass eben die frauenpolitischen Aktivistinnen verstanden haben, dass das eher profeministisch ausgerichtete Männer sind, die dieses Bundesforum ins Leben gerufen haben und das sehe ich als positive Entwicklung. Also da sind wir auf einem besseren Weg als vor 10 oder 20 Jahren.

[00:39:41.190] - Nadia Kailouli

Das ist doch schon mal ein guter Ausblick. Thomas Gesterkamp, ich danke Ihnen sehr, dass Sie heute unser Gast waren bei einbiszwei. Vielen Dank.

[00:39:48.270] - Thomas Gesterkamp

Ja, danke für das Gespräch und die Einladung.

[00:39:54.400] - Nadia Kailouli

Ja, also wenn uns jetzt hier Väter zugehört haben, die getrennt sind und sagen: „Oh Mann, ich brauche irgendwie Unterstützung, Hilfe, keine Ahnung was." Dann kann man nur sagen, es ist nichts gegen Selbsthilfegruppen einzuwenden. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, sich mit anderen darüber auszutauschen. Aber gebt auf jeden Fall acht vor diesen Väterrechtlergruppen, denn ihr könntet da in Gruppen reingeraten, in die ihr eigentlich gar nicht reingeraten wollt.

[00:40:22.180] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

Eine Trennung ist für beide Elternteile und die Kinder immer ein schwieriges Thema. Nur selten läuft es einvernehmlich ab und spätestens, wenn es um das Sorgerecht geht, wird es oft hitzig.

Über 100.000-mal jährlich entscheiden Gerichte in Deutschland über Sorgerechtsfragen. Da geht es dann um das „Aufenthaltsbestimmungsrecht“, um das „Umgangsrecht“ und um Unterhaltszahlungen. Und immer häufiger entscheiden Gerichte zugunsten von: Vätern. Das muss nichts Schlechtes sein – aber die Zeitschrift EMMA hat bereits Ende letzten Jahres Alarm geschlagen. Sie sieht hinter vielen väterfreundlichen Entscheidungen den Einfluss einer immer stärker werdenden sogenannten „Väterrechtler-Lobby“, die vor allem zurück zu traditionellen Familienstrukturen möchte. In der EMMA liest sich das so: „Beeinflusst von menschenverachtenden Doktrinen – die von international agierenden Lobbygruppen seit Jahrzehnten gezielt ins Justiz- und Hilfesystem eingeschleust werden – treffen Familiengerichte Entscheidungen, die Kinder und Jugendliche schädigen und die Rechte von Frauen mit Füßen treten.“
Das klingt ein bisschen wie eine Verschwörungserzählung, aber der Versuch, mit Lobbyarbeit Einfluss zu nehmen, hat in den letzten Jahren tatsächlich zunehmend an Fahrt aufgenommen, nicht zuletzt durch die Bildung neuer Bündnisse zwischen Väterrechtlern, Maskulinisten und Rechtspopulisten. Auf diese recht neuen Allianzen machten gerade erst CORRECTIV und der Stern mit einer großen Recherche aufmerksam.

Wer sind diese Väterrechtler und was wollen sie? Das erklärt Thomas Gesterkamp, der sich als Politikwissenschaftler, Journalist und Buchautor seit mehr als 30 Jahren mit Geschlechter- und Männerpolitik beschäftigt und sich auskennt in der Welt der Maskulinisten, Antifeministen und Väterrechtler.

EINIGE BEITRÄGE VON THOMAS GESTERKAMP

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

einbiszwei@ubskm.bund.de

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