Wie sexistisch ist der Bergsport, Katharina Kestler?
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[00:00:00.690] - Katharina Kestler
In jedem Hostel gibt es Schlafräume für Frauen und für Männer und auf Berghütten gibt es das halt nicht. Da gibt es gemischte Lager und gerade aus diesen gemischten Lagern haben wir ja extrem erschreckende Geschichten geschickt bekommen. Es geht los bei Berührungen oder dass einfach jemand sich mit dem entblösten Unterkörper neben das Bett stellt oder dass tatsächlich sich Männer selbst befriedigt hätten in der Nacht im gemischten Lager.
[00:00:28.030] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missständen und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst. "Bergfreundinnen", so heißt der Podcast von Katharina Kestler, Toni Schlosser und Cathi Schauer. Dort geht es eigentlich um Themen wie Selbstvertrauen in den Bergen, nachhaltiges Bergsteigen, Menstruation in großen Höhen oder Mountainbike-Touren. Andere Frauen sollen ermutigt werden, selbst loszustarten, unabhängig davon, ob sie totale Profis oder noch unerfahren sind. Dass da oben in den Bergen allerdings nicht alles heile Heidi- Welt ist, wurde spätestens klar, als die drei Bergfreundinnen haufenweise Hörerinnenpost bekamen, in denen Frauen davon berichteten, wie sexistisch es auf Hütten oder unterwegs zugeht. Schnell war klar: Sexismus, in der von Männern dominierten Bergwelt, ist ein Riesenthema. Was für Übergriffe und Belästigungen Frauen in den Bergen erleben müssen, erzählt Katharina Kestler hier bei einbiszwei. Grüß dich.
[00:01:42.160] - Katharina Kestler
Servus, hallo.
[00:01:43.250] - Nadia Kailouli
Hallo, Katharina. Wir sind uns zugeschaltet. Du sitzt in München, nehme ich an?
[00:01:47.370] - Katharina Kestler
Nein, ich sitze tatsächlich gerade bergnäher in Obersdorf.
[00:01:50.810] - Nadia Kailouli
Oh, traumhaft. Du, soll ich dir was sagen?
[00:01:53.900] - Katharina Kestler
Ja.
[00:01:54.260] - Nadia Kailouli
Ich war dieses Jahr vor ein paar Wochen erst das erste Mal wirklich wandern in den Dolomiten, in Südtirol. Und dann habe ich mich auf unseren Podcast vorbereitet und dachte: Ja, Servus. Da hat es mir erst mal die Wanderschuhe ausgezogen, weil ich dachte: Okay, das ist ein Thema, mit dem habe ich mich noch gar nicht so wirklich beschäftigt. Ihr macht einen Podcast, der heißt „Bergfreundinnen" und da redet ihr unter anderem sehr intensiv auch über das Thema Sexismus im Bergsport" Wie seid ihr dazu gekommen, zu sagen, wir nehmen dieses Thema mal unter die Lupe und reden mal drüber?
[00:02:25.900] - Katharina Kestler
Ja, also herzlichen Glückwunsch erst mal zu deiner Tour in den Dolomiten. Hast du dir ja einen der schönsten Orte zum Wandern überhaupt ausgesucht. Da bin ich direkt ein bisschen neidisch. Nein, wir machen die Bergfreundinnen jetzt ja schon eine ganze Weile. Also Bergfreundinnen hat immer so den schönen Subtitel "Der Podcast für dein Leben mit den Bergen". Und deswegen geht es so um alles, was im Leben und in den Bergen eine Rolle spielt für uns als Bergfreundinnen und da wir eben drei Frauen sind als Frauen aus unserer Perspektive. Und da lag dann das sehr harte Thema Sexismus natürlich irgendwann mal ein bisschen auf der Straße, sage ich mal so, oder auf dem Wanderweg, sprichwörtlich. Genau, wir haben uns dafür ehrlicherweise recht viel Zeit gelassen, weil seit 2020 gibt es uns schon. Wir haben zwischendrin mal das Thema Gender und Geschlechterklischees gemacht, wo wir uns schon so ein bisschen angenähert haben, aber das große Fass, wie sexistisch ist der Bergsport eigentlich, aufzumachen, das hat uns echt ein bisschen Zeit und Mut gekostet, bis wir uns da dran getraut haben.
[00:03:31.160] - Nadia Kailouli
Es gibt einen gewissen Ausschlaggeber oder eine gewisse Ausschlaggeberin für dieses Thema. Nora, sage ich jetzt schon mal als kleiner Hint. Aber bevor wir darüber sprechen, vielleicht einmal allgemein: Ich meine, du bist ja professionelle Bergsportlerin, sage ich mal. Du bist in den Bergen zu Hause, bist wahrscheinlich heute Morgen, was weiß ich, immer mal wieder unterwegs. Als ich so angefangen habe, mich damit zu beschäftigen, überhaupt das Thema Wandern, das Letzte, was ich auf der Uhr hatte, war, dass es da irgendwelche Ungerechtigkeiten gibt zwischen Männern und Frauen. Ich dachte, das ist wirklich so ein wirklich gleichberechtigter Sport. Da sind alle gleich, da geht man zusammen auf die Hütte und da ist die Welt im Wortsinn noch in Ordnung. Aber so scheint es ja anscheinend nicht zu sein.
[00:04:12.590] - Katharina Kestler
Es ist in den Bergen, auch wenn Menschen aufeinandertreffen, ist es ein Teil unserer Gesellschaft und weshalb sollte es dann da anders sein, als in der restlichen Gesellschaft auch. Teilweise, ehrlicherweise eher im Gegenteil, weil wenn du jetzt gerade an die härteren Bergsportarten, sage ich mal, denkst, an die ganz hohen Gipfel, an die ganz schwierigen Routen, dann sind das ja sehr männlich geprägte Sportarten und sehr männlich geprägte Strukturen immer noch bis heute. Und dadurch war das Thema da jetzt auch nicht Prio eins, so wie jetzt in der Großstadtumgebung, wo unterschiedliche Geschlechter viel häufiger oder länger schon aufeinandergetroffen sind und es da auch schon eher zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema kam, stehen, glaube ich, viele Bergsportverbände, Vereine, da noch nicht ganz am Anfang,
aber sind noch nicht so weit. Und ja, es ist, glaube ich, so ein bisschen natürlich, dass es da genauso Themen gibt. Die Frage ist jetzt halt: Was verstehst du unter Wandern? Wenn ich einfach nur rausgehe und ein bisschen auf den nächstgelegenen Gipfel spaziere, dann treffe ich im Zweifelsfall vielleicht nicht mal jemanden oder einfach nur jemanden, der mir einen schönen Bergtag wünscht. Dann komme ich mit so was natürlich nicht in Kontakt.
[00:05:25.410] - Katharina Kestler
Aber weil du es jetzt so schön sagst, gerade beim Thema zum Beispiel, wenn du dir deine erste wenn du einen Wanderschuh kaufst oder Equipmentkauf, da sind uns Geschichten geschickt worden von Hörerinnen, die tendenziell gleich erst mal das schlechtere paar Schuhe verkauft bekommen, das nicht so sportliche, das nicht so hochtourenfähige. weil sie ja eh nur Frauen sind und wahrscheinlich nicht so krasses Vorhaben oder so. Also gerade auch da im „Ich kaufe mir erst mal was, womit ich anfangen möchte", da geht's schon los und dann mache ich einen Kurs und in dem Kurs sind- Vielleicht der Kursleiter ist halt auch noch nicht sensibilisiert, was, ja, keine Ahnung, was vielleicht sogar einfach eine geschlechtergerechte Sprache betrifft oder so. Und so geht es dann immer weiter. Der Berg ist einfach auch nur ein Teil unserer Gesellschaft oder die Berggesellschaft ist ein Teil der großen Gesellschaft und deswegen ist es da nicht besser und nicht schlechter als anderswo.
[00:06:20.470] - Nadia Kailouli
Aber interessanter Punkt. Das heißt, es fängt eigentlich schon damit an, dass wenn eine Frau in so einen Sportausstatterladen geht und explizit sich ihr Bergequipment holt, dass man per se erst mal davon ausgeht: „Naja, das ist eine Frau, die ist auf jeden Fall schwächer als der Mann. Die braucht jetzt nicht die Superschuhe, die braucht auch nicht den Superrucksack, lange hält sie es eh nicht durch." So in die Richtung meinst du?
[00:06:38.990] - Katharina Kestler
So was passiert, glaube ich, schon relativ häufig noch. Ich glaube, da hat sich auch viel getan. Viele Läden zum Beispiel, nehmen sich ja gerade auch Frauen als Zielpublikum, weil da auch noch das größte Wachstumspotenzial ist, sage ich mal. Und so kapitalistisch ist nun mal auch unser Wirtschaftssystem, dass man sich dann denkt: „Ja, cool. Bei den Frauen kann ich noch was holen. Vielleicht sollte ich mal explizit auf die eingehen." Und dann hat das den positiven Nebeneffekt, dass man halt gut beraten wird. Aber ja, also da gibt es schon viele solche Geschichten. Oder dass man halt in einen Laden geht und das hat jetzt nichts mit Mann oder Frau zu tun, sondern erst mal eben dein Körper bewertet wird, weil wenn du vielleicht nicht ganz so trainiert, nicht ganz so schlank ausschaust und so weiter, wird dir halt in einem Bergsportladen erst mal weniger zugetraut. Und das ist auch schwieriger, überhaupt was zu finden.
[00:07:27.160] - Nadia Kailouli
Also sehr, sehr oberflächlich und ja, klischeebehaftet, stigmatisierend. Was ich mir gedacht habe, ist, wenn man da ja so unterwegs ist … Ich war zum Beispiel einmal im Portugal. Ich will nicht sagen, ich war da wandern, ja, sonst denken alle: „Oh, die Kailouli, die ist ja fit unterwegs." Ich war, ich sage mal,
spazieren. Aber dann schon in der Region irgendwie, sehr viel Natur. Ich war da wirklich alleine und dann kamen so Motorcross-Team, so Typen. Und ich habe da wirklich Angst bekommen, weil ich dachte: „Oh fuck, wenn die jetzt böse sind, ich kann ja hier schreien, wie ich will. Mich hört ja hier keiner." Und das ist ja auf dem Berg auch so. Also klar, zur Hochsaison trifft man sich vielleicht mal, aber man hat ja schon mal Geschichten gehört, wo Frauen alleine unterwegs sind, wo sie wirklich, wirklich nicht schöne Sachen erlebt haben. Sind das Geschichten, die ihr in eurem Podcast auch hört, von Frauen, die alleine unterwegs sind?
[00:08:13.030] - Katharina Kestler
Also es Ist jetzt so nicht die Hauptgeschichten von Frauen, die allein unterwegs sind, wie du sagst, aber es kennen viele, dass sie zumindest dieses doofe Gefühl dann haben oder sich diese Fragen stellen, die du dir eben auch gestellt hast in Konfrontation mit den Motocrossern. Und das ist ja eigentlich schon total erschreckend, dass ich mir eben nicht denken kann: Okay, ich würde jetzt gerne, und zwar explizit vielleicht auch alleine rausgehen, weil an den Berg gehen, in die Natur gehen ja eine großartige Auseinandersetzung mit mir selber und nur mit mir selber sein kann. Und ich möchte dieses Erlebnis alleine. Und dann möchte ich keine Angst haben, nur weil mir irgendjemand begegnet. Also uns hat eine Hörerin eine Geschichte geschickt, die war tatsächlich alleine unterwegs und ein Stück hinter ihr ist halt ein Mann gelaufen und dieser Mann hat halt offensichtlich Selbstgespräche geführt und solche Dinge.
Und dann bist du als Frau da alleine und sie hatte dann direkt große Angst und ist eben schneller gegangen und hat sonst wie immer das Handy in der Hand gehabt und hatte da aber wohl auch keinen Empfang. Und mein Gott, das war halt vielleicht einfach nur ein Mann, der Selbstgespräche geführt hat und man weiß nicht, was seine Geschichte sozusagen ist, aber dass eben diese Frau, die da unterwegs war direkt Angst bekommt, das finde ich total bedenklich. Und dann denke ich mir: Das darf eigentlich so nicht sein. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem ich keine Sorge haben muss, alleine rauszugehen, indem ich mich alleine heraus traue und indem ich mich dann auch gut fühle. Klar, es hat dann immer so seine Grenzen. Sobald du am Berg bist, ist da natürlich immer so Sicherheit, es kann was passieren, keine Ahnung, manche Sachen empfehlen sich alleine auch nicht. Das darf man natürlich nicht vergessen, aber gerade bei den Dingen, die ich gut alleine machen kann, finde ich, wäre es durchaus begrüßenswert, wenn egal wer, Mann, Frau, sich da wohl und sicher fühlt.
[00:10:05.340] - Nadia Kailouli
Wie ist denn so die Community, sage ich mal, dazu eingestellt? Also welche Grundeinstellung erlebt man denn in der Bergsport-Community zu dem Thema Safe Space, Gendergerechtigkeit et cetera?
[00:10:17.900] - Katharina Kestler
Super divers. Auf diese Frage gibt es nicht die eine Antwort. Wir haben festgestellt, als Bergfreundinnen- Podcast, wie wir uns eben diesem Thema angenommen haben. Und wir haben ja dann eben aufgerufen, uns Geschichten zu schicken, uns Erfahrungen zu schicken. Erstens sind wir irgendwie so ein bisschen erschrocken, wie groß das Thema ist, also wie viel Dinge kamen, wie viel sehr unterschiedliche Geschichten kamen. Und dann aber in der Folge auch, in der wir uns mit dem Thema beschäftigt haben,
wie unterschiedlich die Einstellung der verschiedenen Menschen dazu auch ist. Und das haben uns auch Leute gesagt: „Ich hatte noch nie ein Problem." Und das glaube ich auch denen, natürlich glaube ich ihnen das, weil das natürlich eine Frage ist: Wie blicke ich auf die Welt und wie blicke ich auf die Dinge, die mir passieren und wie sensibel bin ich auch an der einen oder anderen Stelle und was habe ich alles schon erlebt? Und ich war tatsächlich fast so ein bisschen positiv überrascht, wie woke unsere Community, die Bergfreundinnen-Community, schon ist. Aber es gibt auch die – und auch das kann ich sehr gut nachfühlen –, die im Bergsport auch schon immer sich auf eine Art beweisen mussten, zeigen mussten, wie gut sie sind, wie stark sie sind, wie gut sie sportlich sind, wie hart sie sind, sich da in einem sehr männlichen, sehr leistungsorientierten Umfeld, sehr konkurrenzorientierten Umfeld auch oft eben beweisen mussten und die dann halt – das ist natürlich jetzt meine Interpretation - als Folge dessen auch so ein bisschen dieses „Jetzt, stell dich nicht so an, das war doch jetzt nur ein blöder Spruch und da muss man halt zurückschlagen verbal" oder „Das darf man sich halt nicht gefallen lassen. Aber da ist doch jetzt nichts dabei." So ein bisschen dieses mit Schlagfertigkeit und mit einfach zurückschießen kann man so einer Sache begegnen. Da gab es schon auch einige, die das eben hatten, als Einstellung, und gesagt haben: „Ja, verstehe ich jetzt nicht, warum man da jetzt so ein großes Thema oder so ein großes Ding daraus machen muss." Das sind so ein bisschen diese zwei Lager. Auf der einen Seite die, die eben sagen, sie verstehen nicht, warum es nicht auf allen Hütten- In jedem Hostel, gibt es Schlafräume für Frauen und für Männer. Und auf Berghütten gibt es das halt nicht. Da gibt es gemischte Lager. Und gerade aus diesen gemischten Lagern haben wir ja extrem extrem erschreckende Geschichten geschickt bekommen.
[00:12:33.150] - Nadia Kailouli
Hast du da Beispiele, was man euch da so geschickt hat?
[00:12:36.320] - Katharina Kestler
Also es geht los bei Berührungen oder dass einfach jemand sich mit dem entblösten Unterkörper neben das Bett stellt und so weiter, oder dass tatsächlich sich Männer selbst befriedigt hätten in der Nacht im gemischten Lager. Und dann passieren so Dinge, wie dass zum Beispiel selbst mein Partner hat dann gesagt: „Das glaube ich nicht." Ich so: „ja, aber warum?" Wir haben anonym aufgerufen. Niemand hat was davon, uns so eine Geschichte zu schicken, niemand wird nament- Wieso sollte diese Geschichte nicht stimmen? Also ich finde es erschreckend. Oder halt das andere ist dann da so: „Na ja, aber man zieht sich halt in einem Hüttenlager nun mal um." Ja, macht man. Aber als Frau nimmt man dann normalerweise seine Klamotten und geht aufs Klo oder sonstwohin und zieht sich da um.
[00:13:22.530] - Nadia Kailouli
Oder hat einen Handtuch umgebunden, ne?
[00:13:23.110] - Katharina Kestler
Und stellt sich nicht nackig nebens Bett von dem Kollegen. Ja, also da werde ich schon gleich wieder ganz sauer, weil ich mir denke: Wieso muss man dann immer gleich sagen, das glaube ich nicht? Woher
kommt dieser Entschuldigungsreflex? A: "Ja, es ist ja normal" oder, B: "Ja, das kann ja fast nicht sein, die muss sich getäuscht haben." Also why? Das hat mich tatsächlich sehr überrascht.
[00:13:48.450] - Nadia Kailouli
Ich hatte sogar einen Post, glaube ich, von dir gelesen. Nicht, glaube ich, der war von dir. Ich kann ihn jetzt nicht komplett zitieren, aber da war unter anderem auch so ein Satz, dass man dann spiegelt: „Da stehst du doch drüber." Und der hat ja sehr viel Zuspruch gefunden, dass das eben nicht so ist, nur weil man selber eben im Bergsport aktiv ist und dann ein paar Höhenmeter schafft, steht man nichtsdestotrotz nicht drüber, wenn einem Sexismus widerfährt.
[00:14:12.460] - Katharina Kestler
Ja, vor allem, selbst wenn ich dann mal drüberstehe. Also es kommt halt drauf an: Wie erwischt mich das? Wie geht es mir gerade? Wie geht es mir grundsätzlich? Was bin ich für ein Mensch? Was ist mir alles schon passiert? Das weiß man halt einfach nie. Und selbst wenn ich dann ausnahmsweise mal drüberstehe, auch wenn es eigentlich nicht berechtigt wäre, wieso ist dann dieser Bereich nur ein Ort für Leute, die das halt abkönnen? Das finde ich halt so schlimm. Wieso kann ich nicht als Person, die vielleicht ja auch schon sexuelle Gewalt, sexualisierte Gewalt erlebt hat, die kann da nicht drüber stehen? Wie soll die da drüber stehen? Und ich finde es so ganz schlimm, dass man sagt: „Ja, damit muss man halt klarkommen" oder „Da muss man halt einen lockeren Spruch auf den Lippen haben." Jetzt gehöre, glaub ich, ich eher zu den Menschen, die häufig und gern einen lockeren Spruch auf den Lippen haben, aber gerade bei solchen Themen habe ich lange gebraucht. Jetzt habe ich mittlerweile so einen kleinen Werkzeugkasten an Sprüchen für alle möglichen Situationen am Berg.
[00:15:09.940] - Nadia Kailouli
Die brauchen wir für unsere Shownotes.
[00:15:13.380] - Katharina Kestler
Ja, aber wie oft habe ich mich geärgert, dass mir nichts eingefallen ist oder dass ich nicht wusste, wie ich reagieren soll. Oder eine Kollegin von mir hatte neulich erst beruflich am Berg zu tun und es wurde ein Gruppenfoto gemacht und alle haben die Arme umeinander gelegt für dieses Gruppenfoto und der anwesende Bergführer hat halt den Arm nicht an den Rucksack und nicht auf die Schulter, sondern halt auf ihren Hintern gelegt. Kann wieder sehr zufällig sein, ja. Aber was soll sie tun, wenn sie das eskaliert in dieser Situation? Dann ist dieser ganze Tag, dieser ganze berufliche Termin, alles ist plötzlich kaputt, sozusagen. Und nein, da muss man nicht drüberstehen. Man muss einfach in eine Situation kommen, wo man nicht aus Versehen, zufällig, die Hand auf den Hintern legt der 20 Jahre jüngeren Frau, die neben einem steht. Wie kann so was passieren? Das sollte, finde ich, die Basis sein.
[00:16:08.280] - Nadia Kailouli
Jetzt ist es ja so, dass man ja sowieso auch als Frau immer gerne zu hören bekommt und wahrscheinlich im Bergsport dann auch, vor allem wenn man eben nicht der Profi ist, sondern noch in den Anfangsschuhen steckt und gesagt bekommt: „Wenn du das alleine machst, bist du ja selber Schuld." Also wer sich als Frau alleine in eine vermeintlich unsichere Situation begibt, ist ja dann auch selber Schuld, wenn dann was passiert. Wie behandelt ihr dieses Thema? Das, wie du ja eben sagst, ist ja eigentlich auch eine coole Erfahrung, auch als Frau, zu sagen: „Ich möchte mich selbst kennenlernen, ich möchte an meine Grenzen kommen. Ich will alleine diese Erfahrung machen, auf den Berg hochzugehen."
[00:16:46.050] - Katharina Kestler
Also dieses Thema alleine sein ist ein Riesenthema bei uns auch in der Community, weil ich möchte jetzt keine Pauschalurteile über Bergsportler und Bergsportlerinnen ablassen, aber natürlich ist der Berg ein Naturraum, in dem man eben auch der Zivilisation und ein Stück weit auch den Menschen gerne so ein Stück weit entkommt, nenne ich es jetzt mal, und den man gerne eben auch alleine kennenlernen will, habe ich ja schon gesagt. Und für Frauen ist es immer eine große Frage: Kann ich das alleine machen? Traue ich mir das alleine zu? Würde ich das alleine machen? Habe ich Angst? Wie ist das? Und wenn man das jetzt mal eben abseits von Sicherheitsbedenken, wie jetzt zum Beispiel mit Klettern geht eh nicht alleine, aber mit Touren oder Skitouren gehen, auch nicht alleine, einfach aus sicherheitsrelevanten Gründen. Aber abseits dessen bin ich jemand, der Frauen gerne motiviert, sich das zuzutrauen, was aber natürlich daran liegt, dass ich wenig schlimme Erfahrungen gemacht habe, wo ich Angst haben musste, wo ich so krass belästigt wurde, dass ich mir nicht zu helfen weiß und so weiter. Und deswegen kann ich auch verstehen, dass sich da viele total unsicher sind. Und was am Ende des Tages einfach hilft, ist, dass man sensibilisiert, dass man eben was wir jetzt auch versucht haben, mit unserem Thema zu machen, Bergsportvereine, Verbände, auf Hütten für dieses Thema Sensibilität schafft, dass man auch weiß, okay, wenn mir im Lager so was passiert oder wenn mir irgendein anderer Hüttengast zu nahe kommt oder wenn mir unterwegs auf dem Weg von A nach B, wo ich ganz alleine bin, jemand begegnet, dass ich da auch irgendwo hingehen kann und sagen kann: „Mir ist folgendes passiert. Vielleicht könnt ihr irgendwas tun, mir helfen, mich woanders unterbringen, die Augen aufhalten, falls euch dieser Mensch unterkommt." Und dann eben nicht auf: „Das kann ja gar nicht sein, das hat er bestimmt nicht so gemeint", stoße. Und deswegen hilft es, glaube ich, so viel wie möglich drüber zu reden. Aber ich kann auch alle Frauen verstehen, die sagen: „Nein, habe ich keinen Bock zu. Ist mir auch zu anstrengend alleine." Also anstrengend im Sinne von: "Ich mag mich nicht ständig mit meinen eigenen Bedenken und meiner eigenen Angst im Kopf auseinandersetzen, das zu machen." Also ich bin jemand, der super viel alleine macht und ich war neulich in Marokko zum Bikepacking und da war ich nicht alleine, sondern mit einem Mann und ich habe davor sehr lange darüber nachgedacht, ob ich das alleine machen würde und war dann unterwegs und dachte mir: Klar, würde ich das alleine machen? Weil es war- Also ich habe auf so einer langen Tour selten nur so freundliche Menschen getroffen wie da, aber es ist natürlich schon was anderes, einfach nur für sich selber verantwortlich zu sein die ganze Zeit. Es ist schon auch ganz gut, Verantwortung mal abzugeben, mal unabhängig um was es geht. Und wenn es nur darum geht, dass man jetzt einen Platten hat und irgendwo ist, wo keine Zivilisation in der Nähe ist, man ist halt permanent für sich selbst verantwortlich. Und das ist ja auch das, was mental dann anstrengend sein kann. Und da ist einem noch gar nichts passiert.
[00:19:43.580] - Nadia Kailouli
Ich bin jetzt irgendwie auf so ein anderes Thema gekommen, weil ich gucke mir solche Filme zum Beispiel total gerne an, wenn Leute alleine losziehen, sei es zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Motorrad. Und jetzt gerade kam mir das so: Oh, ich hätte das eigentlich aber auch gerne gesehen, wie Katharina da durch Marokko mit dem Fahrrad und so. Das ist ja irre. Und dann hast du, wenn ich mir so vorstelle, wahrscheinlich alles dabei, schläfst jeden Tag an einem anderen Ort. Und ich denke dann, ich kenne solche Reportagen eigentlich fast nur von Männern. Und wenn Frauen, dann kam mir gerade Reese Witherspoon, dann ist das Fiktion irgendwie. Und da dachte ich auch: Ist das nicht auch total- Also jetzt so der Vorwurf an uns, die das so in Auftrag geben, dass wir solche Filme dann gerne von Männern gemacht bekommen anstatt von Frauen?
[00:20:22.970] - Katharina Kestler
Ja, auf alle Fälle. Also das ist ja auch eins unserer großen Ziele, eine Plattform zu schaffen für Heldinnen, nenne ich es jetzt mal, weil im Männerbereich sind es ja oft Helden und dann aber eben auch nicht unbedingt die klassische Heldengeschichte zu erzählen, sondern eben auch die Geschichten des Scheiterns, vielleicht des Miteinanders, des Umkehrens, aber auch natürlich die Geschichten, wo was gelingt, wo was toll ist und Frauen tolle Dinge tun. Und ja, ich finde, da hat sich wirklich viel getan. Also es gibt mittlerweile, gerade wenn man natürlich so ein bisschen eintaucht in diesen Bereich, sehr viel Frauen die großartige Dinge am Berg, auf dem Rad, egal wo unternehmen und dafür auch medial die Aufmerksamkeit bekommen, finde ich, die sie verdienen. Aber nichtsdestotrotz ist da noch, finde ich, ein weiter Weg und es werden Frauengeschichten immer noch anders erzählt als Männergeschichten. Dazu gibt es ja, gerade was den Sportjournalismus, also den klassischen Sportjournalismus betrifft, auch Studien dazu, wie unterschiedlich eine Olympia Goldmedaillengewinnerin im Gegensatz zu einem Olympia Goldmedaillengewinner gezeigt wird oder solche Sachen. Also da gibt es wirklich viele, viele Studien und das ist uns von Anfang an ein Anliegen und nichtsdestotrotz müssen wir uns dafür auch immer rechtfertigen: "Aber warum denn Bergfreundinnen? Wozu braucht es das denn?", und, "Ist das ein Podcast nur für Frauen?", und, "Ist das heute überhaupt noch nötig?" Und so weiter. Und ich finde, total bezeichnend, wie oft wir sagen müssen, warum wir nur Frauen sind oder warum Teile unserer Community oder auch wir selber gerne mal nur mit Frauen unterwegs sind und Männer das einfach nie gefragt werden. Hat schon mal jemand… Also ich meine, mittlerweile ändert es sich, wie gesagt, aber wie viel Sportsendungen, wie viel Bergsportfilme haben einfach nur mit Männern statt gefunden, da ist keine einzige Frau aufgetreten. Das findet, heute teilweise gibt es noch Filme, wo ich mir denke: Ach cool, dieser Film, da ging es gerade drum, wie Mainstream Mountainbiken wurde und dass die ganze Gesellschaft Mountainbike fährt mittlerweile und es kam aber keine Frau drin vor. Aha. Und wir müssen uns aber immer dafür rechtfertigen, dass wir nur Frauen sind und: "Wozu braucht es das jetzt?" Und es ist immer noch besprechenswert, dass nur Frauen unterwegs sind. Ich war diesen Winter Skitourengehen mit fünf Freundinnen, dann kam eine Gruppe Männer an und dann sagt sie: „Ah, nur Frauen." Und wie gesagt, mittlerweile habe ich mein Werkzeugkasten und sage: „Aha, nur Männer? Wo habt ihr denn eure Frauen gelassen?" Und dann lachen sie natürlich und checken schon, dass es jetzt irgendwie ein bisschen Quatsch war, was sie gesagt haben, aber es ist immer noch besprechend ist wert. Und es gibt
mittlerweile so viele Frauen am Berg und so lange es besprechenswert ist, setzen wir uns, glaube ich, dafür ein, dass es sich ändert und dass eben keiner mehr sagt: „Ja, aber warum wollt ihr denn nur mit Frauen unterwegs sein?" Wie gesagt, keine Männergruppe wird gefragt: "Warum ist das so? Warum bist du nur mit deinen Bergkumpels am Berg?"
[00:23:18.110] - Nadia Kailouli
Ist halt selbstverständlich.
[00:23:19.200] - Katharina Kestler
Ja, war schon immer so.
[00:23:20.780] - Nadia Kailouli
Ja, war schon immer so. Wenn wir schon bei Mountainbike sind, würde ich jetzt tatsächlich den Namen Nora wieder erwähnen. Und zwar hat sich eine Nora mal bei euch gemeldet, ich glaube, sogar explizit bei dir und hat sich mit ihrer Geschichte euch anvertraut. Vielleicht willst du einmal selbst erzählen, was es damit auf sich hatte.
[00:23:38.990] - Katharina Kestler
Genau, Nora hat mich tatsächlich über Instagram angeschrieben, originär. Ich kannte sie noch nicht, aber ich habe gesehen, dass wir ganz viel gemeinsame Szenefreunde haben aus diesem Mountainbike- Bereich und hat uns eben ihre Geschichte erzählt davon, wie sie sich ehrenamtlich engagiert hat in der DIMB. Das ist die Deutsche Initiative für Mountainbike, der größte Mountainbike-Sportverband Deutschlands und der Wichtigste auch, und da in ganz unterschiedlichen Situationen eben mit Sexismus und Diskriminierung zu kämpfen hatte. Und es gab dann einen Auslöser, weshalb sie sich an uns gewendet hat, weil ein damaliger Kollege, sozusagen, ein damaliger Ehrenamtskollege eben auch heute oder zu diesem Zeitpunkt, als sie uns schrieb, sich in den sozialen Medien noch abwertend und diskriminierend und sexistisch über sie, nicht namentlich, aber durchaus erkenntlich über ihren Beruf geäußert hat. Und das haben wir dann zum Anlass genommen, uns eben A ihre Geschichte noch mal anzuhören und dieses Thema dann doch mal in der Form aufzugreifen und eben so ein bisschen die Angeln auszuwerfen, um zu recherchieren, oder unsere Frage war ja tatsächlich, wie sexistisch ist der große Bergsport wirklich und dieses große Thema aufzumachen.
[00:24:57.760] - Nadia Kailouli
Du bist ja dann wirklich selbst in in die Recherche gegangen. Es ist dann nicht nur dabei geblieben, dass ihr mal mit Nora gesprochen habt und so, sondern du selbst hast gesagt: „Irgendwie lässt mich das Thema nicht los. Ich recherchiere jetzt mal." Und bist sogar so weit gegangen, dass du auch ein Interview mit einem der Vorstandsmitglieder der Deutschen Initiative Mountainbike geführt hast. Mit was hast du den konfrontiert?
[00:25:18.550] - Katharina Kestler
Ja, klar. Wir haben nicht nur Noras Perspektive oder Geschichte erzählt, weil wir wirklich im Idealfall auch was Quantitatives und nicht nur was Qualitatives bringen wollten und herausfinden wollen. Natürlich mussten wir allein schon aus Sorgfaltspflicht auch die DIMB damit konfrontieren. Zum einen, was der große Vorwurf an die DIMB war zu dem Zeitpunkt, ist, dass sie einfach keine Strukturen haben, dass Nora als Betroffene von Diskriminierung und sexualisierter Gewalt oder sexualisierten Angriffen, sexistischen Angriffen, einfach allein gelassen wurde in ihrer Funktion als Ehrenamtliche und da niemanden hatte, keinen Ansprechpartner, der ihr dabei geholfen hat und jetzt eben auch im Nachgang nicht. Also dass ihre Anliegen, mit denen sie sich an ihre Kollegen und Vorgesetzten oder damaligen Ansprechpartner dann gewendet hat, immer abgetan wurden, auch als Privatsache zwischen ihr und der anderen Person oder eben schnell auf diese Ebene des persönlichen Problems geschoben wurden. Das war das, wie da der Verein oder der Verband reagiert hat. Und faktisch gab es eben in der DIMP keine Struktur für den Umgang mit sexualisierter Gewalt zu dem Zeitpunkt, als Nora uns diese Geschichte geschickt hat und zu dem Zeitpunkt, wo wir nachgefragt haben. Die DIMB hat dann sehr viel gemacht in letzter Zeit und da sehr viel auf den Weg gebracht, hat auch mittlerweile Ansprechpartnerinnen installiert, nicht nur zum Thema sexualisierte Gewalt und Gleichstellung, sondern auch zum Thema Kindeswohl, weil sie ja ein Verband sind, der mit Kindern arbeitet. Und da ist super viel passiert in den letzten Monaten. Zu dem Zeitpunkt, als wir da nachgefragt haben, war es noch nicht so und deswegen halte ich es auch für sehr wichtig und sehr mutig, dass sich Nora an uns gewendet hat und ihre Geschichte mit uns geteilt hat, um da auch was zu verändern. Das war auch so ihr Ziel.
[00:27:15.360] - Nadia Kailouli
Ja, ich finde, das ist auch mal schön, über positive Entwicklung zu sprechen und nicht immer alles niederzumachen. Aber was war das für ein Gefühl für euch, als ihr gemerkt habt: „Alles klar, wir stoßen das jetzt mal an? Wir wollen das jetzt nicht dabei belassen, dass uns jemand als Betroffene uns ihre Geschichte erzählt." Sondern ihr habt ja richtig was angestoßen und das ja mit Erfolg. Wie war das für euch?
[00:27:35.700] - Katharina Kestler
Ja, super. Natürlich. Ich meine, da muss man ehrlicherweise vielleicht einwenden, dass die DIMB natürlich abstreitet, dass nur was passiert ist, weil wir das noch mal angetrieben haben. Ich hatte dazu ja mit der Gitta Axmann von der Sporthochschule Köln zu dem Thema auch gesprochen, die sehr viel in diesem Bereich recherchiert und die mir ganz klar gesagt hat, also die Vereine und Verbände, wo wirklich was passiert, oder die Fälle, in denen sich was ändert, sind fast immer die Fälle, wo Presse herangezogen wurde. Und sonst wird das häufig so unter den Tisch gekehrt. Und wenn ich wirklich was bewirken will, dann muss ich es öffentlich machen, dann muss ich rausgehen. Natürlich kann man Betroffene nicht dazu zwingen, weil das ist natürlich ein krasser Schritt, vor allem so eine persönliche Geschichte, wo man gegebenenfalls irgendwie auch traumatisiert ist oder whatever, nach außen zu karren und an an die Medien weiterzugeben, sozusagen. Aber das ist tatsächlich ein sehr wirksamer Hebel und rein die zeitliche Abfolge in dem Fall hat uns schon so ein bisschen die Vermutung nahegelegt, dass da jetzt vor allem was vorangeht, weil a) Nora die Geschichte geteilt hat und b) wir nicht locker
gelassen haben. Wir mussten da ja mehrmals nachfragen, bis wir eine Stellungnahme bekommen haben. Wir sind da wirklich dran geblieben. Die DIMB sag, hey, da war schon einiges in Arbeit und da ist einiges hinter den Kulissen passiert, bevor wir quasi oder mehrmals an die Tür geklopft hatten. Können wir, wie gesagt, nicht beweisen. Gut ist, dass es passiert und gut ist, dass dadurch auch vielen Leuten, auch so was das Feedback war, was wir noch mal bekommen haben, glaube ich, eben, was ich vorhin schon sagte, die Sensibilität in allen Bereichen noch mal erhöht hat und die Leute sehen, wie wichtig dieses Thema ist und wie sehr man dafür sensibilisiert sein sollte, um die Berge und die Bergnatur draußen, für uns alle zu einem Ort zu machen, wo wir uns gerne aufhalten.
[00:29:35.270] - Nadia Kailouli
Ihr habt ja das tatsächlich dann sozusagen als Anlass genommen, wirklich so aufzurufen eurem Publikum und zu sagen: „Hey, wir haben jetzt über diesen Fall berichtet, aber wenn euch Ähnliches oder anderes passiert ist in dieser Richtung, dann meldet euch gerne." Und daraus sind ja dann sozusagen vier Folgen entstanden. Ihr habt ja dann sozusagen ja ein Special gemacht bei den Bergfreundinnen mit dem Thema Fokus auf sexualisierte Gewalt, Sexismus etc. Habt ihr damit gerechnet, dass sich so viele Leute dann am Ende bei euch melden? Also war das so absehbar oder wart ihr schockiert?
[00:30:07.340] - Katharina Kestler
Wir haben eine super aktive Community, deswegen melden sich gern mal viele Leute bei uns. Aber sagen wir mal so, von der Anzahl und auch der Breite und der Unterschiedlichkeit der Geschichten, die uns geschickt wurden, waren wir eher schockiert, würde ich sagen. Und ich habe bei mir so einen ganz seltsamen Reflex festgestellt, weil ich hatte irgendwie so das Gefühl: Ich brauche irgendwie eine krassere Geschichte. Weißt du, was ich meine? Damit man mal wirklich sagen kann: „Leute, hier …" und habe mich dann selber dabei ertappt, dass ich mir dachte: Das kann doch nicht sein. Das sind so heftige Geschichten. Und das Problem ist halt, dass alles in so einem strafrechtlichen Graubereich oft stattfindet, wo du keine Handhabe hast, sodass ich mir gewünscht hätte, dass ich Geschichten habe, wo ich jemanden hart drauf festnageln kann und sagen kann: „So, hier, da reden wir nicht mehr über den Graubereich." Und die kamen zum Glück, ja, muss man ja eigentlich sagen, Gott sei Dank nicht oder sehr überschaubar.
[00:31:12.220] - Nadia Kailouli
Ja, das zeigt halt so ein bisschen, dass wir so schwer vermitteln können, wo sexualisierte Gewalt anfängt und dass man da nicht drüber redet: „Naja, ist doch nicht so schlimm. Mein Gott, das kann mal passieren. Stell dich nicht so an." Sondern dass alles, was grenzüberschreitend ist, das kann ein Spruch sein, das kann die Hand auf dem Hintern sein, das kann sich entblösen vor dem Bett sein. Das ist alles sexualisierte Gewalt. Und irgendwie ist unser Umfeld immer noch nicht so wirklich sensibilisiert, dass das eigentlich, was heißt eigentlich, dass das nicht in Ordnung ist.
[00:31:40.860] - Katharina Kestler
Ja, und das fand ich da auch so spannend an dem, was Gitta Axmann mir von der Sporthochschule Köln dann eben gesagt hat, dass das einfach der Anfang ist, wenn ich merke: „Oh, ich kann mich hier nackig ausziehen und keiner beschwert sich und ich kann hier auch mal anfassen und ich kann dies und jenes machen", das dann halt sehr schnell eins zum anderen führt und dass es eben bei dem blöden Spruch, bei der Bemerkung schon losgeht und man deswegen schauen muss, dass man dem Einhalt gebietet und es eben nicht wartet, bis es dann aus dem Graubereich draußen ist, weil dann ist es zu spät.
[00:32:16.170] - Nadia Kailouli
Ja. Wie hat sich so dein ganz eigener Blick auf deine Community verändert? Du als ja schon immer begeisterte Bergsportlerin, sei es auf dem Rad oder zu Fuß oder auf Skieren. Und dann sind diese ganzen Geschichten an euch herangetragen worden. Mit welchem Gefühl gehst du heute raus und machst deinen Sport?
[00:32:35.870] - Katharina Kestler
Also mein Gefühl hat sich, glaube ich, nicht verschlechtert oder so. Ich gehe jetzt nicht mit einem schlechteren Gefühl raus. Ich war tatsächlich eher positiv nach der ganzen Recherche, weil ich auch so in Summe bei all den Verbänden und Vereinen – du hast ja schon gesagt, wir haben dann wirklich großflächig die meisten Verbände, Vereine und alle wichtigen Player im Bergsportbereich, im Outdoor- Bereich angeschrieben und gefragt, wie sie mit dem Thema umgehen, wie der Stand zu dem Thema ist, welche Strukturen es gibt, welche Fälle ihnen bekannt sind und so weiter und hatte da in Summe den Eindruck, dass A eine hohe Sensibilität herrscht, dass B an den meisten Stellen schon sehr viel gemacht wird und dass C, die Stellen, die aufgrund ihrer gewachsenen Struktur eben sehr alt, sehr männlich geprägt sind, dass die aber auch total wissen, dass sie da einen Punkt haben, an dem sie arbeiten müssen und sich dafür einsetzen, dass da ein Veränderungsprozess einsetzt. Da war ich eher positiv und ich hatte eher das Gefühl danach, dass ich jetzt als Person und auch alle betroffenen Menschen Möglichkeiten haben, Dinge anzusprechen und Dinge zu verändern und sich zu äußern. Und nichtsdestotrotz ist dann halt eben oft die Situation, in denen man so plötzlich hilflos ist und trotzdem nicht weiß, was man machen soll, weil die Gesamtsituation schwierig ist, weil man dann die Person wäre, die einen professionellen Termin komplett crasht, wenn ich jetzt bespreche, warum mir jetzt die Hand auf den Po gelegt wurde, dass ich auch einfach keine konkrete Ansprechperson in dem Moment habe, an die ich das weitergeben kann und so weiter. Aber in Summe war ich tatsächlich eher positiv, auch weil so viele Frauen ihre Geschichten geteilt haben und sich das auch getraut haben, ihre Geschichten mit uns zu teilen und zum anderen wir auch so viel Feedback von Männern bekommen haben, die auch ganz unterschiedliche Reaktionen geschickt haben, zum einen uns selber Geschichten geschrieben haben, wo sie beteiligt waren, zum anderen sich bedankt haben dafür, dass wir das Thema so differenziert behandelt haben und auch ihren Horizont erweitert haben. Und ich in Summe eher das Gefühl hatte, wir sind eigentlich schon auf einem ganz guten Weg und Idioten gibt es überall und das kriegen wir noch in Griff, so blöd gesagt. Aber insgesamt war ich da eher positiv danach.
[00:35:05.010] - Nadia Kailouli
Okay. Welches positive Gefühl kannst du denn den Frauen, vermitteln, die sagen: „Ich habe total Bock. Ich will das machen. Ich will auch mal alleine los sei es mit dem Rad oder eben zu Fuß auf dem Berg oder wo auch immer. Aber irgendwie traue ich mich nicht." Und immer noch mit so einer gewissen Angst begleitet sind. Hast du da einen Tipp?
[00:35:24.900] - Katharina Kestler
Also ich glaube, es ist … Trauen kann man sich aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht. Ich glaube, es ist wichtig, dass man halt langsam anfängt und sich nicht überfordert, weil es ist wie beim Klettern: Wenn ich gerade anfange zu klettern und dann gehe ich in eine ganz schwierige Route, dann bin ich körperlich am Limit, mental am Limit und dann bin ich komplett überfordert in allen Bereichen und dann wird es mir zu viel und dann muss ich abbrechen oder aufhören. Und ich glaube, da ist es genauso: Wenn ich gerne alleine raus will und was Größeres machen will, dann fange ich mit einer kleineren Tour an, wo ich weiß: Hey, ich bin hier vielleicht in der Nähe der Zivilisation. Ich habe hier immer ein Handyempfang. Ich kann jemandem meinen Standort schicken. Ich kann vereinbaren, dass ich mich jede Stunde melde, alle vier Stunden, was weiß ich, so oft, wie ich mich eben wohlfühle und kann mir so kleine Brücken bauen zu anderen Menschen oder in die Zivilisation. Kann ja vielleicht auch erst mal ein Stück zu zweit machen und mit meiner besten Freundin mir jemand suchen, der so was häufiger schon gemacht hat und dann vielleicht nur Abschnitte alleine gehen oder so. Ich glaube, es ist wichtig, dass man einfach kleine Schritte macht bei allem, wo man besser werden will oder sich mehr trauen möchte und nicht gleich so komplett ins kalte Wasser springt und dann schwimmen muss wenn es einem viel zu kalt ist, sondern eben sich da langsam ran tastet. Das wäre mein Tipp.
[00:36:51.050] - Nadia Kailouli
Und ich gebe noch einen Tipp dazu: Sich mal den Podcast "Bergfreundinnen" anhören. Vielleicht wird einem dann da auch die Angst genommen und ihr Motivation geschenkt. Katharina Kestler, ich danke dir sehr, dass du heute bei uns bei einbiszwei warst. Vielen, vielen Dank.
[00:37:04.450] - Katharina Kestler
Gerne.
[00:37:09.210] - Nadia Kailouli
Wisst ihr, was ich an dem Gespräch mit Katharina ganz toll fand? Dass sie ja gesagt hat, man trifft eben auf dem Berg in der Natur das Abbild unserer Gesellschaft. Da sind einfach die Leute unterwegs, die wir vor der Haustür haben. Und deswegen kann man nur appellieren an uns alle: "Typ da draußen, ja? Du entblößt dich bitte nicht in der Hütte einfach so vor meinem Bett, okay? Und du reibst dich bitte nicht irgendwie an meinen Körper, nur weil wir uns einen Schlafsaal teilen." Und ich glaube, wir Frauen, wir müssen einfach – und das fällt einem sehr, sehr schwer, das weiß ich, aber ich glaube, das ist auch noch mal so ein Schlüssel –, wenn uns das passiert, dann müssen wir die direkt damit konfrontieren. Dann soll nämlich der ganze Schlafsaal mal mitbekommen, was Pimmelheini da eigentlich gerade macht.
[00:37:55.020] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
„Bergfreundinnen” heißt der Podcast von Katharina Kestler, Toni Schlosser und Cathi Schauer. Dort geht es eigentlich um Themen wie Selbstvertrauen in den Bergen, nachhaltiges Bergsteigen, Menstruation in großen Höhen oder Mountainbike-Touren. Andere Frauen sollen ermutigt werden, selbst loszustarten, unabhängig davon, ob sie totale Profis oder noch unerfahren sind. Dass da oben in den Bergen allerdings nicht alles heile Heidi-Welt ist, wurde spätestens klar, als die drei Bergfreundinnen haufenweise Hörerinnenpost bekamen, in denen Frauen davon berichteten, wie sexistisch es auf Hütten oder unterwegs zugeht.
Katharina Kestler selbst hat als Mountainbikerin viele Formen von Sexismus erlebt – und wenn sie sich darüber empörte, gab es oft nur ein „da stehst du doch drüber” oder „stell dich nicht so an!”. Als eine Hörerin den „Bergfreundinnen” von Anfeindungen und Sexismus im größten deutschen Mountainbike-Verband erzählte, begannen Katharina, Toni und Cathi zu recherchieren. Heraus kamen vier sehr bemerkenswerte Podcast-Folgen, in denen es darum geht, welche Erfahrungen die Bergfreundinnen-Community mit sexualisierter Gewalt gemacht hat und was Sportverbände bereits dagegen tun. Was da alles an Übergriffen, Belästigungen und sexueller Gewalt zusammenkommt, erzählt Katharina Kestler bei einbiszwei.
LINKSAMMLUNG:
Podcast „Bergfreundinnen”: 4 Folgen zum Thema Sexismus
Folge: Nora ist kein Einzelfall – wie sexistisch sind die Berge?
https://www.ardaudiothek.de/episode/bergfreundinnen/nora-ist-kein-einzelfall-wie-sexistisch-sind-die-berge-sexismus-im-bergsport-story/br/13039145/
Folge: Eure Erfahrungen mit Sexismus und wie uns Vereine davor schützen (sollten)
https://www.ardaudiothek.de/episode/bergfreundinnen/eure-erfahrungen-mit-sexismus-und-wie-uns-vereine-davor-schuetzen-sollten-sexismus-im-bergsport-talk/br/13057755/
Folge: Das können wir alle tun – gemeinsam gegen Sexismus
https://www.ardaudiothek.de/episode/bergfreundinnen/das-koennen-wir-alle-tun-gemeinsam-gegen-sexismus-sexismus-im-bergsport-wissen/br/13079541/
Folge: Höhenbergsteigerin Tamara Lunger über Sexismus und Selbstbehauptung
https://www.ardaudiothek.de/episode/bergfreundinnen/hoehenbergsteigerin-tamara-lunger-ueber-sexismus-und-selbstbehauptung-sexismus-im-bergsport-interview/br/13100389/
WEITERE INFORMATIONEN:
Instagram-Beitrag zum Podcast
Sexismus im Bergsport https://www.instagram.com/p/C2KEN9PMmgl/
Der Standard Beitrag
Die der Berg ruft: Frauenpower am Gipfel (06/2023)
https://www.derstandard.de/story/3000000176057/die-der-berg-ruftfrauenpower-am-gipfel