Podcast | Folge: 87 | Dauer: 38:01

Du hast sexuelle Gewalt am Filmset durch einen Schauspielkollegen erlebt – warum sprichst du jetzt darüber, Alina Levshin?

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[00:00:01.780] - Alina Levshin

Ich wusste, da ist was passiert, das ist nicht in Ordnung gewesen, aber mein Unterbewusstsein hatte erst mal geschluckt und runtergedrückt, weil da kein Raum dafür war, es zu klären. Ich habe gemerkt, dass derjenige nicht auf mich zukommt danach und habe dann sogar gezweifelt, ob ich das richtig verstanden habe. Also da waren sehr viele Gefühle, die mitgespielt haben. Natürlich auch das Berufliche, dass man denkt: „Was wäre jetzt, wenn?" Also wenn man das jetzt komplett sagen würde in der Produktion, Ich meine, was sollen die Leute auch daraufhin tun, das Ganze dann stoppen? Also wegen mir?

[00:00:36.040] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:01:00.440] - Nadia Kailouli

Die Frau, die ihr gerade gehört habt, ist die Schauspielerin Alina Levshin. Ihr kennt sie bestimmt aus der Serie „Im Angesicht des Verbrechens" oder ihr habt sie in „Die Kriegerin" gesehen oder gerade erst in dem Film „Am Abgrund". Alina Levshin ist das widerfahren, was in der Kunst-und Kulturszene anscheinend nicht so selten passiert. Sie wurde von einem Kollegen vergewaltigt. Doch anders als die meisten anderen Betroffenen aus der Filmbranche will Alina Levshin darüber nicht länger schweigen. Deshalb macht sie das, was ihr passiert ist, nun öffentlich und wir freuen uns, dass sie heute unser Gast ist bei einbiszwei.

[00:01:33.820] - Nadia Kailouli

Herzlich willkommen.

[00:01:34.660] - Alina Levshin

Dankeschön. Danke für die Einladung.

[00:01:36.410] - Nadia Kailouli

Alina, du bist eine bekannte Schauspielerin, eine preisgekrönte Schauspielerin und du hast zuletzt nicht nur mit deinen Filmen Aufmerksamkeit bekommen, sondern vor allem auch durch deine persönliche Geschichte, die du im Februar 2024 veröffentlicht hast in einem Interview. Du merkst, ich komme sofort zur Sache, hier bei dem Podcast einbiszwei. Ich möchte dir aber selber die Möglichkeit geben, uns einmal zu sagen, was du im Februar 2024 öffentlich gemacht hast.

[00:02:08.820] - Alina Levshin

Ja, also angefangen, ich musste etwas zurückrudern tatsächlich, weil da eine Geschichte auf mich zukam, ein Thema sozusagen, an mich herangetragen wurde und ich war sehr interessiert daran zu inszenieren. Es sollte ein Kurzfilm sein und ich habe da zusammen mit tatsächlich auch der Schauspielerin, die es dann auch gespielt hat, die Sophie, die hatte da etwas geschrieben und auf dieser Grundlage habe ich gesehen, dass das Thema sexuelle Gewalt etwas ist, was mich gerade interessiert und was ich gerade behandeln möchte. Und wir haben dann noch mal am Drehbuch gearbeitet, weil es so wie es war, wir fanden, dass das nicht stimmte und wir haben dann noch mal ein neues Konzept entworfen. Und innerhalb dieser Arbeit habe ich festgestellt, okay, das wird größer, die Sache. Es geht mich was an. Ich habe zaghaft noch gedacht, okay, wie kann ich das sozusagen, was ich selbst erlebt habe, da vielleicht rausnehmen und nicht unbedingt so nach vorne stellen und mich irgendwie in den Vordergrund spielen? Darum ging es gar nicht. Aber letztendlich, nach einigen Stationen und vor allem natürlich, Filme kann man ohne Geld nicht machen. Man braucht dann noch ein bisschen Budget für die Herstellung des Kurzfilms. Auch wenn er nur kurz ist, braucht man was. Also da haben wir ja keine staatliche Finanzierung gehabt und haben dann beschlossen, also ich habe einfach die Initiative ergriffen und gesagt, ich mache ein Crowdfunding über Startnext. Und so hat das Ganze angefangen, sodass ich eigentlich nicht so richtig weiter gedacht habe, so zielgerichtet nicht darauf, dass ich das machen werde auf jeden Fall und dann werde ich an die Öffentlichkeit gehen oder so. Das hat sich so organisch ergeben, sodass ich dann irgendwann dachte: Klar, jetzt ist das gerade online gegangen. Jetzt mal schauen. Und dann kamen ein paar Stimmen und Nachfragen, was ich denn jetzt speziell mit diesem Thema zu tun habe. Und innerlich habe ich beschlossen: Okay, es ist etwas Persönliches tatsächlich, was ich jetzt zum ersten Mal auch teilen kann und möchte, glaube ich, weil die Entscheidung, das zu machen, ist ja auch eine sehr… Man ist ja von eigenen Themen getrieben und dann, wenn etwas kommt und es schwingt gerade mit einem mit und man merkt, das ist gerade eine Baustelle, die kann ich gerade wieder berühren und wieder aufarbeiten, dann sollte man auch bereit sein, wahrscheinlich darüber zu sprechen. Also habe ich gedacht, werde ich lieber meine Energie noch aufwenden, nicht dagegen zu gehen und sozusagen das abzublocken, darüber zu reden, sondern ich benutze diese Energie und werde wirklich darüber sprechen, weil mir das sonst zu anstrengend ist, nicht darüber zu sprechen.

[00:04:32.630] - Nadia Kailouli

Weil man sich sonst immer mit einem Fragezeichen bewegt: "Hat sie was damit zu tun?"

[00:04:36.450] - Alina Levshin

So ist es.

[00:04:37.240] - Nadia Kailouli

Und dann eher so Mutmaßungen in den Raum stehen, anstatt deine wirkliche, wahre Geschichte. Ich fange jetzt gleich mal mit der kritischen Seite vielleicht an, die dann vielleicht dein Interview gelesen haben. Du hast der Bunten ein Interview gegeben über deine Geschichte, über das, was dir - Deine Geschichte ist viel größer als dieser Fall, aber das ist nun mal passiert - die dann kommen und sagen: „Ach so, jetzt will sie also Geld, jetzt braucht sie Geld und jetzt kommt sie mit so einer Geschichte." Hast du da Kritik erfahren, eher, dass man das runtergespielt hat und dann deine Ernsthaftigkeit dadurch ein bisschen verloren gegangen ist? Hast du das erlebt?

[00:05:13.610] - Alina Levshin

Also ich habe tatsächlich ein paar Stimmen, es waren jetzt nicht so viele, im Gegensatz zu denen, die auch positiv reagiert haben und mir eher Zuspruch gegeben haben und gesagt haben, dass sie es richtig finden, dass da jemand was sagt. Also ich habe auch einige kritische Stimmen, wie du sagst, aufgenommen, war tatsächlich etwas überrascht, weil ich auch darüber mir keine Gedanken gemacht habe, was das bedeuten kann, wenn dann noch die Kritik dazukommt. Leute teilweise gesagt haben: „Ja gut, jetzt hat sie eben das Schweigen gebrochen, hat den Mund aufgemacht, hat drüber gesprochen, aber es war ja nicht konsequent genug, denn sie hat ja nicht die Namen genannt." Und: "wer ist es denn?" und "überhaupt, was würde das für denjenigen bedeuten, wenn das jetzt rauskommt?" Und da waren so ein paar Sachen öffentlich, aber auch so in meiner Sphäre, sage ich mal, wo ich das mitbekommen habe von anderen, von ein, zwei Leuten, die das wussten, die aber dann mit anderen gesprochen haben und keine Namen genannt wurden, aber da waren einfach so Ideen im Raum, standen einfach so Thesen im Raum: "Was ist denn dann mit dem anderen?" Ich kann nur dazu sagen, ja, es gibt sicherlich diesen Kritikpunkt oder wie du sagst: "Vielleicht will sie sich in den Vordergrund spielen, vielleicht will sie was davon, vielleicht will sie ja sogar Geld oder so." Ich kann ja, ist ja Meinungsfreiheit, da kann ich nichts dagegen tun. Ich kann nur sagen, das alles habe ich vorher nicht kommen sehen. Und das sind nicht die Sachen, mit denen ich mich beschäftigt habe, warum ich das überhaupt angegangen bin. Ich wollte mich, wie gesagt, nicht in den Vordergrund spielen. Das war mir gar nicht wichtig. Ich habe andere Bereiche, wo ich spielen kann, sozusagen. Das ist mir nicht wert und nicht wichtig, aber es war schon schade, das zu vernehmen, die andere Haltung zu hören: Was macht das mit der anderen Person? Also Gerüchte, was ist das dann? Da kann ich auch nichts dagegen tun, was andere Menschen für Gerüchte verbreiten und wie andere darüber urteilen. Ich kann nur zu mir sagen, ich war sozusagen nicht bereit, dann auch noch diesen Schritt weiterzugehen und dann noch das so in der Öffentlichkeit, diesen Namen zu nennen. Und ich finde auch, das muss jeder für sich entscheiden, wann dieser Zeitpunkt eintrifft. Für mich war erst mal der Zeitpunkt da, darüber überhaupt zu sprechen.

[00:07:23.600] - Nadia Kailouli

Wer sich mit dir als Person auseinandersetzt oder gesetzt hat, der kann das bestätigen, was du sagst, dass du nicht unbedingt diejenige bist, obwohl sie im öffentlichen Leben steht, die sich in den Vordergrund spielt. Über deine Social-Media-Kanäle bist du sehr berufsorientiert. Man erfährt wenig Privates von dir, eben bis zum Februar 2024, obwohl man ja sagen muss, es ist etwas Privates, was ja aber im beruflichen Kontext stattgefunden hat. Du hast sexuelle Gewalt erlebt, du wurdest vergewaltigt am Set. Das kann man so sagen, oder?

[00:07:59.030] - Alina Levshin

Ja, das hat sozusagen dieser sexuelle Übergriff und diese Grenzüberschreitung stattgefunden während einer Produktion, während eines Drehs.

[00:08:10.420] - Nadia Kailouli

Und da kann man ja sagen, das ist eben etwas, was ja aus der Branche heraus, dich als Schauspielerin nicht nur persönlich sehr trifft natürlich und dass eine Verletzung war, sondern eben auch ein Abbild ein bisschen über die Branche. Du bist jetzt nicht die erste Frau in der Geschichte, die sexuelle Gewalt beim Film erlebt hat, aber du bist eine der wenigen, gerade in Deutschland, die das jetzt öffentlich gemacht haben. Haben wir grundsätzlich ein Problem in der deutschen Filmbranche, was Grenzüberschreitung bei sexualisierter Gewalt betrifft?

[00:08:46.400] - Alina Levshin

Na ja, wie du schon sagst, die Branche hat ja auch eine gewisse Struktur und eine gewisse Hierarchie irgendwo. Gibt es ja Machtmissbrauch oder eben sexuellen Missbrauch. Und man steht immer, man hat immer einen Status und das ist, glaube ich, etwas, was die meisten Menschen fürchten, dass sie eben diesen Status eventuell verlieren. Und es gibt viele Abhängigkeiten leider. Die gibt es sicherlich auch in anderen Berufen und in Bereichen, würde ich ja gar nicht abstreiten, dass wir da etwas sehr besonderes sind, aber ich glaube, tatsächlich diese Branche ist, weil wir so nahbar sind, weil wir so viel mit Menschen zu tun haben, weil wir uns in der Kunst bewegen, im Kunstbereich, aber auch in der Unterhaltung gleichzeitig. Das heißt, wir wollen ja auch gefallen mit den Produkten, die wir da schaffen. Und wir, sage ich jetzt mal so salopp, als Schauspieler, die Riege, ist natürlich auch angewiesen auf Publikum, auf dieses, wir sind ja das Produkt, sozusagen. Also wir wollen ja gecastet werden, wir wollen ja die Rolle bekommen, sei es am Theater oder beim Film. Wir wollen sozusagen teilhaben, wir wollen uns zeigen und anerkannt und gewertschätzt werden. Und ich glaube, da wird es öfters, kommt das vor, dass das einfach missbraucht wird. Und öfters auch, dass man eben nicht darüber spricht, weil es einem erst mal unangenehm ist natürlich. Das ist, glaube ich, erst mal etwas, was Frauen generell leider in sich tragen, dieses Gefühl: "Vielleicht habe ich ja was falsch gemacht?" Also dass man eher so ein bisschen zurücktritt. Und das andere ist: "Wenn ich jetzt was sage, wie sieht das aus?", also, "was macht das für einen Unterschied?" "Wird man mich eher...", wie du ja schon gesagt hast, kommen dann die Stimmen, die sagen: „Die will sich jetzt nur aufspielen. Da ist ja vielleicht gar nichts dran." Also man hat so ein bisschen Angst, dass man dann eventuell nicht mehr interessant genug ist, nicht mehr gewertschätzt wird, nicht mehr das bekommt, was man eigentlich möchte, die Rollen, die man vielleicht spielen möchte. Und diese Angst, die ist einfach so groß, glaube ich, in Deutschland allgemein. Ich glaube, in Deutschland sind wir, glaube ich, die Führenden in so Ängsten. Ganz ehrlich, ich habe das Gefühl - es ist aber nur mein persönliches Gefühl, da kann ich jetzt nicht mit Statistiken kommen, aber die gibt es sicherlich auch -, aber ich glaube, das ist so eine Mentalität und eine Nation, die sehr viel Gefahren sieht, sehr großes Sicherheitsbedürfnis hat, eine sehr große Sicherheitsmaschinerie, würde ich mal sagen, es gibt ja allerlei Versicherungen. Man hat einfach sehr viel Angst und hat sehr große Schwierigkeiten, Veränderungen anzunehmen und etwas Neues zu wagen. Aus dem heraus entstehen diese Strukturen.

[00:11:13.530] - Nadia Kailouli

Hattest du persönlich auch Angst?

[00:11:17.280] - Alina Levshin

Ja, also ich glaube, bei mir sind einfach so viele Sachen gleichzeitig passiert, persönlich und auch beruflich, dass ich das gar nicht so viel, nicht alles auf einmal überblicken konnte. Ich wusste, da ist was passiert, das ist nicht in Ordnung gewesen, aber mein Unterbewusstsein hat das sozusagen erst mal geschluckt und runtergedrückt, weil da kein Raum dafür war, es zu klären. Ich habe gemerkt, dass derjenige nicht auf mich zukommt danach und habe dann sogar gezweifelt, ob ich das richtig verstanden habe. Also da waren sehr viele Gefühle, die mitgespielt haben. Natürlich auch das Berufliche, dass man denkt: „Was wäre jetzt, wenn?" Also wenn man das jetzt komplett sagen würde in der Produktion. Ich meine, was sollen die Leute auch daraufhin tun, das dann stoppen, also wegen mir? Es ist ja schon allein schlimm genug, wenn man als Schauspieler, sage ich mal, ausfällt und krank wird. Also uns früher in der Schauspielschule, an der HFF, hat man uns erklärt, dass Schauspieler nicht krank werden. Wir haben nicht krank zu sein. Wir sind immer da, immer bereit. Und das ist halt etwas, was einem so mitgegeben wird, dass man einfach immer funktionieren muss und will auch. Das sieht man ja auch an der Gesellschaft, dass es einfach eher darum geht, zu funktionieren. Also wenn es dann irgendwie nicht läuft, gibt es ja sicherlich die eine oder andere Pille dafür, weil keiner sagt: „Jetzt setzen wir uns erst mal hin, beruhigen uns, spüren uns, meditieren vielleicht eine Runde und dann reden wir drüber." So wird das nicht funktionieren.

[00:12:38.460] - Nadia Kailouli

Und jetzt rückblickend, du hast gerade geschildert: „Ja, was soll ich jetzt machen, wenn ich das jetzt hier in der Produktion sage und sage, das ist mir gerade passiert mit XY. Was sollen die dann machen? Sollen die die Produktion stoppen? Sollen die den rausschmeißen? Dann muss das aufgearbeitet werden. Ich weiß nicht was." Heute im Nachhinein, würdest du sagen, du hättest es doch sagen sollen?

[00:12:59.910] - Alina Levshin

Also zumindest vielleicht hätte ich mich jemandem anvertrauen sollen, weil das habe ich tatsächlich nicht gemacht. Es gab auch keine Stelle dafür. Also natürlich die Produktion selbst, klar, aber das ist ja dann immer so eine Sache. Sehr viele Unsicherheiten, wie gesagt, als Schauspielerin, dass man ja eigentlich auch nicht ausfallen möchte und auch ja nicht diejenige sein will, wegen der jetzt das Ganze zum Stoppen kommt.

[00:13:24.110] - Nadia Kailouli

Das ist auch wieder so interessant, dass man dann so die Verantwortung übernimmt für das ganze Projekt, obwohl gerade eine Straftat begangen wurde, dir gegenüber und trotzdem hast du dann die Verantwortung im Kopf für das gesamte Team: "Wenn ich jetzt was sage, dann können ja die anderen auch nicht weitermachen."

[00:13:39.180] - Alina Levshin

Tatsächlich ist das sehr absurd. Ich weiß nicht, ob ich nur so bin, aber ich versuche mich dahingehend natürlich auch zu bessern, weil ich das sehe, auch reflektiere und sehe, okay, zu viel Sorge, zu viel Rücksichtsnahme ist auch nicht gut. Ich sollte lieber auf mich gucken und schauen, was ist für mich gerade das Beste? Was fühlt sich für mich richtig an? Und nicht, was sollte man jetzt tun in der Situation? Vor allem, was "Mann" tun sollte. Also da sind so viele Sachen im Spiel.

[00:14:03.890] - Nadia Kailouli

Jetzt, bevor wir dahin springen auf das, was du ganz am Anfang angesprochen hast, und zwar den Film, den du eben selber gerade auch produzierst "You Never Know", da werden wir gleich noch mal ausführlicher drüber sprechen –, würde ich gerne noch mal kurz dabei bleiben, dass du ja das, was dir passiert ist, öffentlich gemacht hast, aber du gar keine Hinweise gibst auf, wer es war, wann das stattgefunden hat und, und, und. Warum hast du das so entschieden? Um den Täter zu schützen, dich selbst zu schützen? Den Täter wahrscheinlich nicht zu schützen, aber du möchtest ja nicht, dass man weiß, wer dieser Mensch ist.

[00:14:38.330] - Alina Levshin

Ja, also es geht mir nicht in erster Linie darum, glaube ich, den Täter zu schützen. Tatsächlich bin ich schon gerade mehr bei mir, dass ich denke: Nein, ich mache diese ganze Aktion jetzt nicht, weil ich Rücksichtsnahme üben möchte für Täter, sondern ich mache das, weil ich gerade nicht die Kapazitäten habe, auch so weit zu gehen diesen Schritt und das in der Öffentlichkeit zu besprechen. Diesen Menschen anzugehen. Da wird ja so einiges dann aufkommen und sicherlich auch wieder dieser Vorwurf an mich zurück: „Ja, bist du denn sicher? Vielleicht hast du dich ja geirrt. Und er ist ja so nett. Das kann ja gar nicht so sein bei so einem sympathischen beliebten Schauspieler", so, "da hat sich sie vielleicht geirrt." Und dafür hatte ich keine Energie, denn ich wollte einen Kurzfilm machen, nicht mein Privatleben besprechen.

[00:15:23.800] - Nadia Kailouli

Wie fühlst du dich jetzt gerade, wenn wir darüber sprechen? Was ist das für ein Gefühl für dich?

[00:15:32.060] - Alina Levshin

Na ja, also wie gesagt, ich habe das nicht so geplant alles und das kam jetzt so organisch. Und dadurch, dass es tatsächlich einige Jahre zurückliegt, kann ich ja darüber sprechen. Und ich habe das in einer Therapie tatsächlich besprochen und es tituliert als Unfall. Also ich glaube, das hilft vielleicht einigen Opfern, wenn man so sagen möchte, von solchen Situationen, denen das sozusagen widerfahren ist, dass man das erst mal annimmt und akzeptiert, dass das erst mal ist, etwas, was man auch nicht mehr ändern kann, trägt man natürlich trotzdem mit sich. Aber da ist jetzt auch, wie gesagt, ich erwarte nichts. Also ich glaube, man sollte auch als Opfer auch keine Entschuldigung erwarten. Also natürlich erwarte ich etwas, aber ich glaube nicht, dass es eine bestimmte Aktion geben wird, um mir meinen Schmerz zu nehmen. Weißt du, was ich meine? Weil das ist etwas, was man mit sich sozusagen aushandeln wird und kann. Man kann natürlich auch, es gibt so Opfer-Täter-Gespräche und all so Strukturen gibt es schon. Aber ich glaube, in erster Linie muss man das in sich spüren und wissen, dass da was ist, das annehmen, es integrieren und damit weiterarbeiten, sozusagen. Aber man kann nicht von jemandem Äußeren erwarten, dass da jemand kommt, einen Knopf drückt und dann ist alles gut.

[00:16:48.470] - Nadia Kailouli

Wenn ich jetzt selber unser Gespräch hören würde, als Zuhörerin, von zu Hause aus, dann würde ich mich wahrscheinlich jetzt selber dabei ertappen, wie ich selber mir denke: „Ich möchte mehr wissen, was es da genau „Wie ist das passiert? Wie ist das passiert? Mit wem hat sie als erstes gesprochen? Und und und." Jetzt sitze ich dir aber gegenüber und möchte einfach das, was wir für alle verschiedenen Branchen uns immer wünschen, eine gewisse Form des Respekts auch haben und einfach an dieser Stelle einen Cut in dem Sinne machen, über deine persönliche Geschichte zu sprechen, sondern jetzt tatsächlich darauf zu kommen, dass du eben schon, bevor du deine Geschichte öffentlich gemacht hast oder das, was dir im beruflichen Kontext passiert ist, öffentlich gemacht hast, darüber sprechen, dass du ja eben als Schauspielerin und jetzt eben Produzentin dich filmisch mit diesem Thema auseinandersetzen möchtest. Wie erlebst du da - weil wir wissen ja, du hast es gerade selber gesagt, du gehst über Crowdfunding daran. Ein Film muss produziert werden, ein Film kostet Geld, auch ein Kurzfilm kostet Geld. Und der Film "You Never Know" beschäftigt sich eben mit sexualisierter Gewalt - erlebst du da eben eine Nichtbereitschaft, finanzielle Mittel für dieses Thema bereitzustellen? Ist es ein Kampf, Geld dafür zu finden?

[00:17:59.430] - Alina Levshin

Also ich muss erst mal sagen, auch, das hat sich auch so entwickelt. Wir haben, als wir das erste Mal besprochen haben im Team, haben wir einfach gesehen, wir erreichen auch gar nicht jetzt die Deadline. Wir müssen jetzt sofort schreiben und das schaffen wir gar nicht. Also was ist das nächste, was wir anpeilen können? Wir haben einige Institutionen angefragt, einfach auch Stiftungen in die Richtung. Jeder hat uns geäußert und zu erkennengegeben, dass das eine tolle Sache ist, aber es gibt keine Gelder, die uns zur Verfügung gestellt werden können. Ich habe auch eine lange Zeit auch "Gewalt gegen Frauen", diese Hotline, unterstützt. Von der Seite kam jetzt auch nichts … Also ich kann niemandem einen Vorwurf machen, so sind die Strukturen. Ich kann nur sagen: Schade, dass es nicht so viele Förderungen gibt für Kurzfilme in Deutschland. Also das ist einfach nicht so weitertragend. Der Akzent liegt nicht auf Kurzfilmen, leider. Also das gibt dann nur das BKM, glaube ich, und dann hört es eigentlich auch schon auf, wenn man die Deadline eben nicht hat. Deswegen war bei mir die Frage: Probiere ich es doch einfach mal. Ich habe das noch nie gemacht und werde einfach in der Öffentlichkeit nachfragen, ob es Leute gibt, die es unterstützen können. Tatsächlich haben sich ja sehr viele beteiligt und darüber bin ich sehr, sehr froh, dass es dazu gekommen ist, dass ich mich eben auch das getraut habe zu machen, tatsächlich zu sagen: „Leute, ich brauche eure Hilfe, sonst können wir das nicht realisieren!" Das heißt, das war eine ganz tolle bereichernde Erfahrung, dass da so viel herumgekommen ist, so viel zusammengekommen ist, dass tatsächlich wir diesen Film herstellen können.

[00:19:20.510] - Nadia Kailouli

Nun ist ja dieser Film keine autobiografische Erzählung, sondern der ist ja losgelöst von dem, was dir passiert ist. Möchtest du einmal kurz erzählen, was die Handlung des Films "You Never Know" ist?

[00:19:31.650] - Alina Levshin

Ja, also grob, um jetzt auch nicht zu viel zu verraten, ist die Prämisse die, dass sich zwei Menschen – es ist ein Kammerspiel –, eine Frau und ein Mann, eine junge Frau und ein Mann, dass die diese Vorgeschichte hatten, dass da was vorgefallen ist. Er hat sie sozusagen auf einer Party vergewaltigt und die beiden treffen sich nach ein paar Jahren wieder. Sie treffen sich zufällig wieder und die Frau muss, weil sie das noch viel präsenter im Kopf hat, einfach das sozusagen Status: "gerade so am Verarbeiten". Und bei ihm ist es einfach ganz anders. Also er hat es ganz anders abgespeichert, kann sich teilweise gar nicht erinnern. Und wie geht man dann damit um mit dieser Situation? Das ist eigentlich das, was passiert in einem wirklich kleinen, engen Raum. Wie kann man da Räume schaffen, mehr, um darüber trotzdem damit umzugehen? Wie kann sie als Frau, als sozusagen jemand, die ein Trauma erlebt hat, da rauskommen und eine Art Emanzipation erleben?

[00:20:32.200] - Nadia Kailouli

Dass eben Betroffene nicht in so einer Opferrolle sind, meinst du dann auch?

[00:20:37.050] - Alina Levshin

So ist das. Ich wollte keine Geschichte… Also ich wollte auch mit Klischees tatsächlich spielen und einfach Sachen zeigen, die so stattfinden und wie es wäre, wenn man sie einfach lose lässt und einfach damit spielt und guckt, wenn man das umkehrt oder so, was würde dann passieren? Wie fühlt sich das an? Wann ist man Opfer und wann ist man Täter? Wann ist diese die Grenze überschritten überhaupt? Und warum kann man nichts dagegen tun und sagen? Also sind einige Fragen tatsächlich in so einem kurzen Film, die ich versuche zu behandeln und versuche, dass es aufgeht. Es ist, glaube ich, jeder wird sich, denke ich, was selbst rausnehmen können. Man kann nicht alles behandeln, tatsächlich. Wir versuchten, nicht oberflächlich zu sein und in die Tiefe zu gehen. Aber was ich unbedingt wollte, ist, dass diese Frau, eben diese junge Frau, rausgeht, nicht als Opfer und dass sie ein Stück weit eine Bewältigung hinter sich gemacht hat, eine Entwicklung und etwas bewältigt hat am Ende.

[00:21:34.310] - Nadia Kailouli

Wie geht man als Filmschaffende daran, ein so, ich will jetzt gar nicht sagen sensibles Thema, weil wir in diesem Podcast immer schon die Haltung hatten, wir enttabuisieren und normalisieren etwas, was tagtäglich in unserer Gesellschaft stattfindet, eben sexuelle Gewalt, dadurch eben eine Erkenntnis dahin zu bringen, dass wir überall hinschauen müssen, weil es eben überall passiert. Jetzt, wie geht man als Filmschaffende im fiktionellen Sinne daran, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, was ja am Ende die Gesellschaft dahingehend auch ja irgendwie erreichen soll, sich für dieses Thema zu öffnen und zu realisieren, das sind nicht Opfer, das sind emanzipierte Frauen, aber nichtsdestotrotz haben sie sexuelle Gewalt erlebt und das ist nicht in Ordnung.

[00:22:19.670] - Alina Levshin

Ja, wie soll ich… Man kann ja immer nur von sich ausgehen tatsächlich. Ich habe aber auch mit anderen gesprochen, viel, und habe mich erkundigt natürlich, was wurde schon gemacht? Wie haben die das gemacht? Wie haben die das behandelt? Wie gesagt, wir haben in unserem kleinen Team entschieden, wir wollen daraus keine oberflächlichliche Sache machen, sondern wir wollen schon ganz sicher sein, auch was wir sagen wollen damit und wo wir was anstoßen. Natürlich gibt es immer Kritik, aber da können wir nicht drum rum. Es wird immer irgendjemanden geben, der es vielleicht nicht mag oder der es einfach nicht genug beantwortet für sich bekommt und, und, und. Ich habe versucht, trotzdem eine Welt zu schaffen damit und ein Stück weit noch mal das, was schon da ist an Dokumentationen oder fiktionalen Stoffen, eine Ergänzung zu schaffen, einfach. Und eine vielleicht etwas provocantere Ergänzung, aber ich glaube, wir brauchen so ein bisschen, gerade was dieses Thema angeht, etwas ein Aufrütteln. Wir können nicht nett darauf hinweisen: „Schaut mal, da ist etwas. Vielleicht könnten wir uns bitte damit ein bisschen auseinandersetzen. Wäre schön, wenn nicht, na ja, dann nicht." Also so, das ist nicht meine Herangehensweise. Wenn ich wirklich meine Zeit nehme und die ist halt kostbar, weil ich habe auch Familie, wenn ich mich da dran setze, ein Projekt zu schaffen, versuche ich, so effizient wie möglich zu sein und so genau wie möglich eine Aussage zu treffen.

[00:23:41.470] - Nadia Kailouli

Wie reagiert die eigene Branche darauf, wenn eine Frau, die sonst vor der Kamera aktiv ist, sich hinter die Kamera stellt, einen Film produziert zum Thema sexuelle Gewalt und man ja durchaus weiß, ob man jetzt selber in der Branche ist oder nicht, dass gerade auch in der Filmbranche durch Machtverhältnisse Machtmissbrauch stattfindet, sexuelle Gewalt stattfindet. Tauscht man sich da aus, wenn man auf dem Filmfest ist oder tabuisiert man das?

[00:24:11.980] - Alina Levshin

Also wenn du gerade das Filmfest ansprichst, das war ja auch gerade die Berlinale, als das noch lief. Da habe ich mit einigen gesprochen, aber ich kann jetzt auch nicht für alle sprechen, für die ganze Filmbranche. Die kann ich jetzt im Moment nicht reflektieren durch mich. Sicherlich wäre ich auch daran interessiert, wie der eine oder andere noch darüber denkt, aber diejenigen, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, haben, wie gesagt, recht gut und interessiert reagiert und unterstützend gewirkt. Also viele haben mir zum Beispiel ihre Unterstützung angeboten. Es gab sogar ein, zwei Kameramänner, die gesagt haben, wenn ich irgendwas brauche, die hätten was, die können mir das leihen, die würden sofort und so weiter. Also es gab sehr viele Leute aus dem Bereich Team, nicht nur unter meinen Kollegen, unter Schauspielern, aber auch tatsächlich weitläufig, weil man sich ja auch schon so nach 17 Jahren dann den einen oder anderen kennt, ist man einfach total gerührt und glücklich, dass das so wiederkommt. Also wirklich gewertschätzt, diese Idee. Von daher, wie das jetzt andere empfinden, die jetzt weiter weg waren von mir, kann ich jetzt nicht so sagen. Da wäre ich jetzt auch daran interessiert, wie man das denn überhaupt so empfindet, dass dann plötzlich eine Schauspielerin sich auch wieder traut, hinter die Kamera zu treten und dann auch selbst was zu erzählen. Das weiß ich nicht.

[00:25:23.060] - Nadia Kailouli

Und dann zu dem Thema.

[00:25:24.340] - Alina Levshin

Und dann auch noch zu so einem Thema. Ich erlebe ja, man sieht das ja vielleicht nicht so viel, aber wir haben ja tatsächlich vielleicht gerade mal so 20% Frauenmarktanteil in der Filmbranche. Also wenn ich andere Frauen sehe, finde ich das großartig. Das gibt es ja so einige, die tatsächlich auch vom Schauspiel kamen und die dann auch inszenieren oder schreiben. Jedes Mal, wenn ich das erlebe und ich das wahrnehme und sehe, bin ich so was von glücklich. Ich freue mich richtig darüber. Ich habe immer Tränen in den Augen, denke so: „Ja, ja, natürlich. Super, macht das. Also was auch immer ihr da … Ich unterstütze euch auch!" Also die Solidarität von meiner Seite ist auf jeden Fall da. Ich weiß jetzt nicht, wie das von anderen wahrgenommen wird.

[00:26:01.180] - Nadia Kailouli

Inwieweit war es dir jetzt als Filmproduzentin wichtig, gerade bei diesem Thema eben auf eine gewisse Form der, wie soll ich sagen, Sicherheit zu achten? Es gibt ja mittlerweile diese Intimacy-Koordinatoren am Set, da hatten wir auch schon eine hier zu Gast im Gespräch. Nichtsdestotrotz gerade für Nachwuchstalente, die so das erste Mal beim Film sind, junge Menschen, egal welches Geschlecht, sind ja der Gefahr ausgesetzt, irgendwie für den großen Erfolg sich von Produzenten oder Verantwortlichen vielleicht in etwas reindrängen zu lassen, gerade was Rollen betrifft, wo sie sich eigentlich nicht wohl mit fühlen. Wie ist da deine Haltung dazu und wie gehst du damit um?

[00:26:44.060] - Alina Levshin

Ja, dazu muss ich sagen, ich hatte natürlich, abgesehen von diesem Übergriff, von dem ich jetzt gesprochen habe, auch in der Laufbahn auch einige andere Übergriffe erlebt, die grenzwertig waren tatsächlich, die aber nicht sexuell waren, die aber so Machtmissbrauch sozusagen. Es ist nur so gewesen, dass damals bei mir, als ich diese Erfahrung gemacht habe, eben auch andere, nicht nur die sexuellen Übergriff, aber dann, wo man auch grenzwertige Erfahrungen gesammelt hat mit Leuten, die über einem stehen, Regisseure oder so, da habe ich mir tatsächlich gewünscht, dass das diese Stellen gibt. Und da gab es die noch nicht, anscheinend. Oder ich habe es nicht vernommen und das war nicht in dieser Produktion, jedenfalls hat mir das tatsächlich gefehlt. Und es ist eine gute Entwicklung, dass es sie gibt, definitiv. Und damit habe ich natürlich auch das einbezogen. Für mein eigenes Projekt war das auch wichtig. Ich habe mich auch total gefreut, dass viele auf mich zugekommen sind. Eine davon war auch eine Intimacy-Coach, die sich bei uns gemeldet hat, quasi, auf dieses Projekt hin, weil es öffentlich war und wie auch viele andere sich gemeldet haben, wie gesagt, worüber ich sehr froh bin. Und die haben wir dann aufgenommen und sie hat teilgenommen an der Vorbereitung, konnte dann tatsächlich am Dreh selbst nicht da sein, aber war in der Vorbereitung involviert. Tatsächlich gab es noch eine zweite Stelle, die besetzt wurde, von der ich auch so mir gewünscht habe, dass es jemanden gäbe, aber ich selbst niemanden kannte. Da hat sich eine Therapeutin bei uns gemeldet. Also quasi eine Therapeutin, die Traumaarbeit leistet, sonst eine Praxis hat. Die wohnte zwar nicht in Berlin, hat sich aber bereit erklärt, extra aus Leipzig anzureisen, die Heike. "DramaCare" nennt sich das, was sie sich da aufbaut, nebenher. Sie versucht, in der Filmbranche Fuß zu fassen, weil sie einfach auch gemerkt hat, durch andere Klienten, glaube ich, so wie sie es mir vermittelt hat, dass da einfach Bedarf besteht. Bei einigen Produktionen war sie einfach sozusagen close oder individuell für jemanden zuständig. Ihr ist aber aufgefallen, dass tatsächlich natürlich nicht immer nur Leute vor der Kamera vielleicht in einigen Szenen Support bräuchten, wenn man natürlich Koordinationssachen hat, Intimes ist das eine, aber das andere ist: Wie geht man aus solchen Situationen wieder raus, wenn man Gewaltsszenen spielt tatsächlich? Wie kann man danach das Ganze einfach da sein lassen, am Set lassen sozusagen, und dann nach Hause gehen? Wie geht das Team damit um? Die Team-Leute, die sind ja genauso am Set, die sehen wir ja nun nicht dann, trotzdem stehen sie da, trotzdem ist der Tonmann, der mithört und alle anderen sitzen oder stehen und schauen zu und nehmen das auf. Was kann man also danach, wie kann man das verarbeiten, dass man da vielleicht nicht die falschen Bilder mitnimmt? Und das tatsächlich hat mich sehr gefreut. Sie war dann komplett da. Sie war in der Vorbereitung und beim Dreh, drei Drehtage haben wir gedreht, in der Vorbereitung und bei Drehproben war sie immer da. Das war toll, diesen Support überhaupt zu haben, zu wissen, da ist jemand, wenn ich das nicht beantworten kann oder wenn ich merke, die Schauspielerin kommt nicht weiter oder ist was aufgegangen bei jemandem und heult jemand in der Ecke herum. Da kann ich ja nicht einfach sagen: „Machen wir weiter, weil wir müssen ein Pensum schaffen." Da war einfach Heike da. Das war ein gutes Gefühl.

[00:29:47.670] - Nadia Kailouli

Und würdest du dir das wünschen für die Rollen, die du dann in Zukunft spielst?

[00:29:52.900] - Alina Levshin

Für mich selbst würde ich es mir natürlich auch sehr wünschen. Klar, wenn man selbst spielt, hat man so einige, wie gesagt, schon Erfahrungen mit Rollen oder Situationen gehabt, wo man sich gewünscht hätte, so:_"Das wäre jetzt echt nicht schlecht, wenn wir jetzt hier so eine dritte Person hätten, die auch noch was dazu sagt und uns auffängt." Und klar, ich würde es wahnsinnig gerne, aber das ist so schwer zu trennen. Wenn man das, was man spielt, kann man nicht unmittelbar sofort ablegen, aber man kann lernen, damit umzugehen, dass man sich nicht noch tagelang, wochenlang damit beschäftigt, sozusagen die Psyche.

[00:30:22.950] - Nadia Kailouli

Jetzt hast du ja selber erzählt, du hast Familie, du bist Mutter. Wenn deine Kinder irgendwann zu dir kommen und sagen: „Mama, ich will auch Schauspielerinnen oder Schauspieler werden!" Was wäre da dein Rat?

[00:30:34.750] - Alina Levshin

Ja, interessante Frage. Tatsächlich wird das auch schon hier und da angeteast, das Interesse. Wahrscheinlich, weil man es einfach so ein bisschen bei mir miterlebt und die sind ja auch sehr viel auch am Set gewesen, teilweise, weil es einfach nicht anders ging, nicht, dass ich sie da zum Set gezerrt hätte. Aber ich glaube, ich würde… Was ich tue, ist, denen trotzdem versuchen zu vermitteln, dass es so viele andere Dinge gibt und so viele Talente, die man entdecken kann an sich und versuche da einfach, weitestgehend zu sehen, was sie können und das zu fördern, aber wirklich in unterschiedliche Richtungen, sodass ich nicht sofort sage: „Aha, diese Idee wurde jetzt geäußert. Da geben wir jetzt dem nach und alles andere lassen wir fallen, weil wir konzentrieren uns ganz effizient jetzt darauf, weil in zehn Jahren hat sie es dann geschafft." Also ich verfolge da keinen Plan, sondern schaue nach Interesse, weil das Interesse geht ja dann vielleicht wieder weg. Man weiß es ja nicht. Trotzdem unterstütze ich das natürlich. Ich finde, jedes Kind sollte die Möglichkeit haben, gerade in den Künsten sich auszuprobieren. Gerade was Musik, Kunst, Sport, wo es sich bewegen kann, wo es sozusagen Erfahrungen mit dem Körper machen kann, sich selbst gewahr zu werden. Das sind alles ganz wichtige Fächer oder ganz wichtige Themen und Bereiche, wo man Kinder fördern muss.

[00:31:47.220] - Nadia Kailouli

Wie groß ist deine persönliche Angst dann auch eben als Mutter, dass Kinder in diesen künstlerischen Bereichen eventuell – das passiert im Sport, sei es in der Musik, im Sport, beim Film, ich weiß nicht, überall eben –, dass sie missbraucht werden?

[00:32:05.000] - Alina Levshin

Ja, tatsächlich, wie du sagst, es gibt ja so viele Bereiche, wo unmittelbar Menschen miteinander arbeiten und wo es um Vertrauen geht und es einfach Menschen gibt, die selbst ihre Issues haben und diese Grenzen überschreiten, weil sie einfach mit ihrer Psyche nicht klarkamen, jetzt anderen das Ganze zufügen. Ob es einen optimalen Schutz gibt und einen ultimativen Schutz dagegen, das gibt es sicherlich nicht. Aber was es geben kann und muss, ist, glaube ich, eine gute Kommunikation. Erst mal, wie gesagt, durch Stellen in den ganzen Branchen und Bereichen, wo man einfach Absicherung hat und Stellen, wo man sich daran wenden kann, wenn etwas ist, dass man sich äußern kann, dass man erst mal das Gefühl hat: "Ich darf was sagen, hier. Es ist ein geschützter Raum, ich darf das, werde nicht komisch angeguckt, nur weil ich gerade das und jenes gesehen habe, ich fand das nicht in Ordnung." Also dass man erst mal diese Rahmen schafft und dass man sozusagen keine … Dass man es vielleicht anonym machen kann, dass man nicht befürchten muss, der andere gibt dann den Job nicht oder so, weil man es jetzt geäußert hat. Dann muss es auch, denke ich, eine Kommunikation untereinander sein.

[00:33:05.440] - Alina Levshin

Jetzt gerade, wenn du Kinder ansprichst, ist natürlich im besten Fall die Beziehung zwischen Eltern und Kindern funktionieren. Also dass man da miteinander sprechen kann und dass das Kind nicht das Gefühl hat: „Ich werde jetzt lieber nichts sagen, weil ich möchte jetzt auch keinen Stress produzieren. Ich kläre das mit mir selber." Also da bin ich dann eher vorsichtig. Das ist natürlich so, dass ich weiß, als Eltern hat man so viel zu tun. Manchmal kann da was durchrutschen oder so. Dafür gibt es natürlich auch Schulen und andere Lehrer und so weiter. Vielleicht weitestgehend andere Familienmitglieder, die das abfangen können. Aber ich glaube, wichtig ist, dass das Kind lernt, Selbstbewusstsein zu haben und etwas äußern zu dürfen. Ob es dann diesen unmittelbaren Weg gibt und den Kanal zu den Eltern oder zu der Betreuungsperson, zu der Bezugsperson, ist erst mal auch wichtig und muss hergestellt werden. Aber dann muss es auch noch eine Anlaufstelle geben, die dann noch mal checkt, ob das wirklich in Ordnung ist. Psychologen zum Beispiel, Betreuer an Schulen, an Einrichtungen. Diese Stellen, diese Schlüsselposition, muss es eigentlich mehr geben. Ich weiß nicht, inwieweit die jetzt schon so inkludiert sind in Betriebe, aber die sind ganz, ganz wichtig, weil es gibt so viel, was in der Kommunikation auch verloren geht, wo Menschen einfach auch vielleicht Missverständnisse oder gewaltvoll kommunizieren, nicht gewaltfrei, weil es irgendwelche Sachen gibt, die man unterstellt bekommt: "Das war aber nicht so gemeint." Und da kann man einfach so viel lösen, wenn man diese Stellen mit Mediatoren besetzt oder mit Psychologen.

[00:34:30.280] - Nadia Kailouli

Ich glaube, du hast jetzt gerade ganz vielen Eltern ein bisschen die, ich will nicht sagen, Sorge genommen, aber Zuspruch gegeben, mit ihren Kindern zu sprechen. Vielen Dank erst mal dafür. Also das überrascht mich gerade, ehrlich gesagt, weil du eben Schauspielerin bist, aber gerade irgendwie für dich fast wertvollere Tipps gegeben hast, wie man mit Kindern spricht, als manch Experte. Ich hoffe, ich darf das auch mal so ehrlich sagen. Alina, "You never know" heißt dein Film, der schon abgedreht ist und jetzt in der Endphase ist. Kannst du uns sagen, wann wir diesen Film sehen dürfen?

[00:35:01.980] - Alina Levshin

Also mein Wunsch oder unser Wunsch ist es, sehr gerne in diesem Jahr fertig zu werden. Das ist natürlich so: Ich bin jetzt kurz vor dem Schneiden. Also der Prozess hat noch nicht begonnen, weil es einfach aus ein paar Gründen mit derjenigen, mit der ich schneiden wollte, nicht jetzt klappt. Aber ich suche gerade noch und werde dann sicherlich dann in die Postproduktion starten und alle anderen Stellen warten schon darauf, es weiterzumachen. Und ich arbeite mit ganz tollen Leuten zusammen, worüber ich mich total freue. Einfach mein Team ist super. Das heißt, wir alle wünschen uns, dass es dieses Jahr dann einfach auch zum Abschluss kommt. Und sicherlich würden wir uns auch total wünschen, wenn es auf dem einen oder anderen Festival läuft in Deutschland. Das wäre schön, da eine Premiere zustande zu kriegen. Ansonsten werde ich wahrscheinlich auch an Sender herantreten und schauen, was gibt es da für limitierte Möglichkeiten und Formate, wo man das noch unterbringen kann. Und sicherlich auch noch mal auf Institutionen zugehen und sagen: „Hallo, wisst ihr noch ihr paar Stiftungen, die wir angeschrieben haben damals? Ihr fandet es gut. Wie kann man das jetzt? Wie kann man da miteinander kooperieren, sodass man da das zu sehen bekommt, sodass die Leute auch wirklich was davon haben?"

[00:36:06.420] - Nadia Kailouli

Ich muss sagen, Alina, ich finde das wahnsinnig groß, dass du das so offen ansprichst, dass du darauf angewiesen bist, dass dich andere unterstützen. Ich finde, das könnte in dieser Branche viel öfter stattfinden, weil man denkt immer so: „Wow, die steht im öffentlichen Leben, die hat Preise gewonnen, die läuft über einen roten Teppich, die hat tolle Fotos von sich..." Und du sitzt jetzt hier so bescheiden und strahlst wirklich, wenn du von deinem Team und diesem Projekt sprichst. Und ich finde das wirklich groß von dir, dass du das so öffentlich ansprichst, dass du Unterstützung brauchst. Und diese teilen wir hier sehr, sehr gerne über dieses Mikrofon. Danke.

[00:36:41.970] - Alina Levshin

Dankeschön.

[00:36:46.610] - Nadia Kailouli

Ja Leute, was soll ich sagen? Ich bin ja selten Fan von etwas oder von irgendjemandem, aber von Alina bin ich jetzt Fan. Ich fand die wirklich so angenehm. Ich saß ihr ja gegenüber und ich hoffe, dass ihre so tolle Art auch wirklich übers Mikrofon rübergekommen ist. Aber nicht nur, weil sie so toll ist, sondern weil sie sich, finde ich, auch mit den richtigen Themen auseinandersetzt. Also alle, die da draußen jetzt sagen: „Ich bin eine super Cutterin oder super Cutter und ich habe hier noch ein bisschen Kohle übrig und ich könnte jetzt einen Kurzfilm mit produzieren, finanzieren, etc." Wir leiten jede Anfrage, die "You Never Know" von Alina Levshin, unterstützen wollen. Einfach mal weiter. Ich muss jetzt selber lachen, weil ich so Werbung mache für ein Projekt, wo ich gar nicht involviert bin, aber ich fand es einfach super. Gutes Thema. Gute Frau. Machen!

[00:37:34.540] - Nadia Kailouli

An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.

Mehr Infos zur Folge

„Ich weiß noch, wie ich mehrfach „Nein” gesagt habe. Und ich weiß auch noch, wie es immer wieder ignoriert wurde. Ich wurde einfach nicht gehört.” Alina Levshin ist erfolgreiche Schauspielerin, hat für ihre Rollen viele Preise eingesammelt.

Bei einbiszwei erzählt sie, warum sie den Täter nicht nennen möchte und wie sie einen Weg gefunden hat, mit dem, was ihr widerfahren ist, umzugehen: Sie produziert derzeit einen Kurzfilm zum Thema sexualisierte Gewalt. Mit „You never know” möchte sie eine neue Debatte über sexuelle Gewalt anstoßen. Es geht ihr nicht um ihre eigene Geschichte, sondern darum, eine breitere gesellschaftliche Diskussion zu initiieren, sagt sie: „Ich möchte, dass sich die Menschen viel mehr hinterfragen. Ich möchte inspirieren und anderen Betroffenen Mut machen, sich zu wehren, klar Grenzen zu setzen und den Mund aufzumachen. Man muss sich Hilfe holen, den Dialog suchen. Allein auf sich gestellt, kommt man in so einer Situation nicht weiter, sondern wird depressiv. Und das darf nicht sein.“

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Interview in der BUNTE mit Alina Levshin
„Es gab einen sexuellen Übergriff” (02/2024)

Podcast-Folge des SWR mit Alina Levshin
Völlig entgrenzt: Wie stoppt man den Machtmissbrauch im Schauspiel? (03/2024)

YouTube-Video von RCR
Alina Levshin über „You Never Know” mit vielen an dem Projekt Beteiligten (02/2024)

Video vom NDR mit Alina Levshin
Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film (03/2024)

Beitrag vom RCR-Magazin
ALINA LEVSHIN über „You Never Know“ und sexuelle Gewalt (02/2024)

Aktueller Film in der ARD-Mediathek
Am Abgrund (06/2024)

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

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