„I Can Change” – hält euer Projekt für Menschen, die sexuelle Impulse nicht kontrollieren können, was es verspricht, Jonas Kneer?
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[00:00:01.700] - Jonas Kneer
Die wenigsten sagen, es ist in Ordnung, eine Frau zu vergewaltigen oder eine Frau möchte vergewaltigt werden. Also auch solche Überzeugungen gibt es, aber das ist sehr selten. Was man aber immer wieder findet, ist dieses, was wir eben auch schon geschildert haben: "Wenn eine Frau Nein sagt, dann muss ich es nur richtig probieren, dann muss ich dominant sein und dann wird sie schon Ja sagen." Oder das heißt, "wenn ich ihr zeige, wie toll bestimmte Praktiken sind, auch wenn sie das gerade nicht möchte, dann wird sie auch sehen, dass sie das doch möchte." Das heißt, dass ich irgendwie wie meine Bedürfnisse über ihre stelle. Und das ist so der erste Ansatzpunkt, daran zu arbeiten.
[00:00:36.360] - Nadia Kailouli
Hi, herzlich Willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kaioluli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missständen und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.
[00:01:00.310] - Nadia Kailouli
Exzessiver Konsum von Pornografie, sexuelle Gewaltfantasien und sexuelle Übergriffe – damit beschäftigt sich Jonas Kneer von der Medizinischen Hochschule Hannover. Mit dem Ziel, sexuelle Gewalt zu verhindern, bevor es zu Taten kommt, eröffnete der leitende Psychotherapeut und sein Team 2017 an der Medizinischen Hochschule Hannover das Präventionsprojekt „I Can Change". Hier soll Menschen geholfen werden, die unter sexuellen Impulsen leiden und die Hilfe suchen, weil sie eben fürchten, ihre Impulse nicht mehr kontrollieren zu können. Rund 300 Kontaktaufnahmen haben Jonas Kneer und sein Team seit Gründung von „I Can Change" gezählt. Mit mehr als 100 Menschen haben sie eine Therapie begonnen und bereits abgeschlossen. Ob und wie so eine Therapie funktioniert, das erzählt er uns am besten selbst. Herzlich willkommen bei einbiszwei, Jonas Kneer.
[00:01:46.870] - Jonas Kneer
Vielen Dank für die Einladung.
[00:01:48.350] - Nadia Kailouli
Schön, dass du da bist. Wir duzen uns. Ich hoffe, das ist in Ordnung. Ich habe immer das Gefühl, wenn hier Therapeuten sitzen, muss ich das vorher fragen. Irgendwie habt ihr so eine gefühlte Autorität, dass ich immer denke, ich muss das vorher noch mal anfragen. Jonas, wir haben hier bei einbiszwei schon natürlich sehr, sehr viel mit Betroffenen darüber gesprochen, was Täterinnen und Täter gemacht haben. Wir haben hier selbst noch nie mit Tätern gesprochen, die sexuelle Gewalt ausgeübt haben Jetzt sprechen wir mit dir und du hast aber schon viel – und jetzt muss ich mich selber befragen – schon mit Tätern gesprochen oder mit Menschen gesprochen, die potenziell Täter werden könnten?
[00:02:26.610] - Jonas Kneer
Sowohl als auch. Wir sehen in unserem Projekt einmal Menschen, die schon übergriffig geworden sind, aber unser Ziel ist es natürlich, dann anzusetzen, bevor solche Übergriffe passieren. Das heißt, präventiv tätig zu sein. Aber beides kommt letztendlich zu uns.
[00:02:39.750] - Nadia Kailouli
Da stellen sich natürlich einem schon jetzt ganz, ganz viele Fragen. Wir fangen mal da an:„Okay, wie soll ich denn selbst erkennen, dass ich vielleicht übergriffig werden könnte und zum Täter werden könnte und dann den Weg zu euch finden?"
[00:02:54.880] - Jonas Kneer
Eine sehr gute Frage und auch gar nicht so trivial. Naja, letztendlich, wenn Leute mir vielleicht immer mal wieder zurückmelden, dass Situationen schwierig gewesen sind oder dass sich Leute irgendwie bedrängt gefühlt haben, spätestens dann sollte ich vielleicht auch mal reflektieren: Wie kommt das? Was ist mein Anteil dazu? Und gucken, ob das alles so in Ordnung ist. Ja, aber letztendlich, also im besten Fall, guckt man eben drauf, wie man handelt und achtet darauf, wie Menschen auf einen reagieren.
[00:03:21.780] - Nadia Kailouli
Das ist natürlich irgendwie schwierig, wenn wir über Täter sprechen, was sexuelle Gewalt betrifft, und dann das nehmen, was du gerade gesagt hast. Da muss man sich das ja immer wieder in einer Art sexuellen Kontext die Frage stellen.
[00:03:35.160] - Jonas Kneer
Absolut, ja.
[00:03:36.140] - Nadia Kailouli
So, das bedeutet jetzt, wenn ich… Also reden wir hauptsächlich über Männer eigentlich?
[00:03:41.000] - Jonas Kneer
Wir reden zum Großteil über Männer. Wir haben auch Frauen im Projekt gesehen. Uns gibt es mittlerweile seit über sechs Jahren und vereinzelt wenden sich auch Frauen an uns. Der überwiegende Anteil ist aber männlichen Geschlechts.
[00:03:53.850] - Nadia Kailouli
Okay. Also wenn ich jetzt als zum Beispiel Mann in meinen sexuellen Handlungen merke, dass ich … weiß ich nicht, was ist man denn dann? Dass man zum Beispiel sehr aggressiv ist oder dass man sehr robust ist? Oder ich weiß nicht, was sind denn Handlungen, wo ich mich als Mann vielleicht fragen sollte: „Ist das so okay von mir, dass ich das so mache?"
[00:04:13.980] - Jonas Kneer
Na ja, grundsätzlich geht es ja darum, dass Handlungen möglichst im gegenseitigen Einverständnis stattfinden. Das Ideal für uns ist eigentlich, dass, wenn Sexualität stattfindet, dass es im besten Fall eigentlich von beiden gewollt ist und von beiden dazu genutzt wird, Lust, Befriedigung, zu maximieren. Also nicht so „Darf ich vielleicht? Wäre es für dich in Ordnung?", sondern eher „Hast du Bock darauf?" oder „Wollen wir?" Also eher so diese positive Seite. Die Realität sieht natürlich anders aus. Also so ein Stück weit, männliche Sozialisation bedeutet ja ganz häufig irgendwie, eher zu gucken, bloß keine Grenzen zu überschreiten, vorsichtig zu sein und dann eher zu gucken, wie weit darf ich denn gehen, bis jemand "Nein" sagt? Und das ist natürlich, wenn man immer mal wieder Grenzen ausreizt und irgendwie denkt: „Okay, es darf bloß kein Nein kommen." Dann wird das wahrscheinlich nicht gelingen, dass man sich wirklich die Seite anguckt, die eigentlich so diese positive Sexualität ausmacht. Wahrscheinlich wird man auch nicht offen über Bedürfnisse und Grenzen sprechen. Und das ist eigentlich schon so der erste Punkt, wo es eben wahrscheinlicher ist, dass Grenzen überschritten werden, also wenn gar nicht klar offen über Grenzen und Bedürfnisse kommuniziert wird.
[00:05:17.730] - Nadia Kailouli
Könnte man jetzt sagen, da liegt irgendwie so ein grundsätzlicher Fehler in unserem Sexualsystem?
[00:05:25.680] - Jonas Kneer
Ich glaube, ja, das kann man so sagen. Also auf der einen Seite natürlich Sexualmoral und sexuelle Aufklärung, wo es sehr viel darum geht, was man nicht tun darf, was nicht in Ordnung ist, anstatt wirklich dahin zu gucken, wie sollte denn eigentlich gute, gesunde, befriedigende Sexualität aussehen. Und natürlich auch so was wie der Einfluss, ich sage mal, patriarchaler Gesellschaftsstrukturen. Wenn wir uns angucken, bis ungefähr vor 50 Jahren gab es ja noch diese ehelichen Pflichten. Das heißt, dass man durch sein Geschlecht, in dem Fall als Mann, ein Anrecht darauf hat, den Beischlaf praktisch durchzuführen. Und das ist ja ungefähr so das Gegenteil von Konsens, wenn ich aufgrund meines Geschlechts irgendwie einen Anspruch auf Bedürfniserfüllung habe. Und das sind letztendlich so Grundlagen, die dann dazu führen, dass ich irgendwie vielleicht auch heute noch das Gefühl habe, hierarchisch Frauen übergestellt zu sein, dass ich irgendwie vielleicht das Gefühl habe, ein Recht auf Bedürfnisbefriedigung habe und dass es dann eben so weit geht, dass ich sage: „Na ja, also wenn jemand Nein sagt, dann heißt das wahrscheinlich, ich muss mich mehr anstrengen, dann heißt das, ich muss dominanter auftreten und dann wird das schon klappen."
[00:06:29.250] - Nadia Kailouli
Das ist ganz Interessant, was du sagst, gerade der Vergleich. Das liegt zwar 50 Jahre irgendwie zurück, aber wenn man sich heute, ich sage jetzt mal, neue Bewegungen anschaut – obwohl so neu sind die nicht mehr – wie zum Beispiel Incels oder so, die ja eine Ideologie davon haben, zu sagen: „Mir steht das zu, dass eine Frau mit mir schläft", dann ist das eben alles andere als eine freie Entscheidung von beiden Seiten, zu sagen: „Wir haben Spaß miteinander. Wie siehst du denn die Entwicklung in unserer Sexualität? Weil eigentlich könnte man ja meinen: Mein Gott, wir sind doch super aufgeklärt. Ja, wir haben einen Podcast, die darüber reden. Wir haben sowohl auf feministischer Seite als auch auf männlicher Seite, sage ich mal, obwohl auch Männer Feministen sein können, die da sehr, sehr offen drüber reden. Nein ist nein, Stopp ist Stopp, sexuelle Freiheiten, dies das bums. Erkennst du da einen Fortschritt oder eben eher etwas, das der Mensch an sich überhaupt gar nicht mehr hinterherkommt, was ist jetzt sexuell in Ordnung und was nicht?
[00:07:25.670] - Jonas Kneer
Also ich glaube, grundsätzlich gibt es schon sehr, sehr viele positive Entwicklungen. Ich frage mich da immer wieder, ob das wirklich so ein kontinuierlich positiver Verlauf ist oder ob das eher so punktuelle Phänomene sind, weil in unserer Geschichte gab es schon sehr häufig sehr positive Bewegungen, feministische Strömungen, die dann aber meistens auch irgendwann wieder rückläufig geworden sind. Und wenn man sich gerade so gesellschaftliche Entwicklungen anguckt, dann gibt es ja eben auch Tendenzen, die eher wieder in konservative Richtungen gehen. Ich glaube auch, dass es viel leichter ist, sich zu informieren, wenn man das möchte und dass es viel leichter ist, Zugriff auf gute sexuelle Bildung zu bekommen, also viel einfacher als vor 30, 40 Jahren. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass es eher ein bestimmter Anteil ist, also so ein typisches Bubble-Phänomen, dass es eben bestimmte Blasen gibt. Und wenn man so auf Instagram aktiv ist, dann hat man irgendwann das Gefühl: "Mensch, alle Menschen, die ticken genauso wie ich." Wenn man dann aber, was bei mir zum Beispiel immer wieder der Fall ist, entweder in der Arbeit mit Patient:innen, also als Psychotherapeut sehe ich auch ganz normale Patient:innen mit psychischen Erkrankungen oder auch im Rahmen von Fortbildungen, dass ich dann doch immer wieder vor Augen geführt bekomme, dass eben nicht alle so super sexuell offen und aufgeklärt sind, sondern dass es eben Menschen gibt, die sich teilweise einfach nicht dafür interessieren oder die eben noch, sagen wir mal, eher traditionelle Ansichten haben.
[00:08:43.950] - Nadia Kailouli
Was sind traditionelle Ansichten?
[00:08:47.480] - Jonas Kneer
Na ja, wahrscheinlich schon so ein Stück weit, dass es eine Hierarchie zwischen Männern und Frauen gibt, dass Sexualität etwas Privates ist, über das nicht gesprochen wird. Auch teilweise, wenn ich das so bei Ärzt:innen, aber auch Psychotherapeut:innen sehe, so die Idee, man darf mit Menschen nicht über Sexualität sprechen, das ist zu intim und wo ich versuche, dafür zu werben: Nein, wir sollten auf jeden Fall über Sexualität sprechen, weil Sexualität ist für ganz viele identitätsstiftend. Über Sexualität können wir, wenn es gut läuft, eine gesunde Sexualität, alle unsere Bedürfnisse befriedigen. Das heißt, unser Bedürfnis nach Lust, nach Bindung, aber auch so was wie Kontrolle, etwas negativer ausgedrückt Macht. Aber auch das ist möglich in konsensueller Sexualität sehr befriedigend zu erleben. Und wenn wenn man da nicht hinguckt, dann, glaube ich, kann man eben auch gerade in der Psychotherapie ein ganz wichtiges Potenzial verschenken, weil es ja auch was ist, was bei vielen Menschen auch gut läuft. Wir sprechen heute zwar über problematische sexuelle Verhaltensweisen und trotzdem ist Sexualität für ganz viele ja eine Ressource, in vielen Partnerschaften eben auch eher so der Kitt.
[00:09:49.690] - Nadia Kailouli
Bevor wir über die problematischen sexuellen Patienten sprechen, sage ich mal, hattest du gerade das schöne Wort „gesunde Sexualität" gesagt. Das ist ja eins, finde ich, in meinem Umfeld kommt das sehr oft vor, nach dem Motto „Ach, wir haben eine super gesunde Sexualität", "ich habe eine gesunde Sexualität mit mir selbst", keine Ahnung. Viele wissen gar nicht, was ist eigentlich eine gesunde Sexualität?
[00:10:11.680] - Jonas Kneer
Das ist, glaube ich, auch ganz schwer zu sagen. Ich kenne jetzt auch keine Definition, aber ich würde sagen, eine gesunde Sexualität ist eine Sexualität, die potent darin ist, meine Bedürfnisse zu befriedigen und die eben im gegenseitigen Einverständnis stattfindet. Also positiv beidseitig bedürfnisbefriedigend wirkt und auf der anderen Seite eben keine Grenzen überschreitet.
[00:10:31.750] - Nadia Kailouli
Jetzt fange ich mal an, ein bisschen provocanter, irgendwie den Psychotherapeuten mal zu befragen, wenn wir jetzt mal versuchen, irgendwie in die Sexualität rein zu gucken. Und da kippt es ja ganz oft, ich sage jetzt mal, innerhalb der sexuellen Handlung, dass man sagt, es fing ja alles ganz gut an und dann ist etwas passiert, das war grenzüberschreitend. Ich weiß gar nicht, ob du jetzt der richtige Ansprechpartner bist, aber wann ist denn Sexualität in der Sexualität, in der sexuellen Handlung, auf einmal grenzüberschreitend? Man ist ja sozusagen im Machen und dann passiert was, wo man sagt: „Das ging gar nicht, das war zu viel, das möchte ich nie wieder."
[00:11:09.420] - Jonas Kneer
Also ein ganz wichtiger Punkt. Und tatsächlich sind das genau die Fälle, mit denen wir immer wieder arbeiten und auch Fälle, über die wir manchmal eben über unsere, ich sage mal, normale Arbeit, also nicht im Projekt „I can change, sondern eher über unsere psychotherapeutische Regelversorgung Informationen bekommen und mit konfrontiert werden. Oft ist es ja so, dass etwas erst mal positiv anfängt. Ich sage mal, im besten Fall irgendwie guckt man aufeinander, man achtet drauf, wie die andere Person sich verhält, ob es beiden irgendwie damit gut geht. Und dann gibt es verschiedene Phänomene. Im besten Fall baut sich ja irgendwie bei beiden Erregung und Lust auf und die steigert sich, je besser eben die Handlungen zu den Bedürfnissen passen. Und dann kann es aber sein, dass vielleicht jemand eine andere Vorstellung von Sexualität hat, ich weiß nicht, vielleicht als Beispiel Analverkehr zum Beispiel, aber sich irgendwie auch nicht so richtig traut, das zu fragen. Und wenn ich denke: „Okay, eigentlich darf ich das nicht wollen und darf das auch nicht offen kommunizieren, sonst sagt die Person wahrscheinlich 'Nein', aber wenn sie erst mal erlebt, wie toll das ist und wie gut ich da drin bin und das irgendwie hinkriege, das ja eher so strategisch irgendwie hintenrum zu befriedigen, dann wird sie bestimmt auch denken, dass das super ist." Und das ist natürlich eine problematische Haltung, wenn ich denke: "Okay, ich darf es nicht offen kommunizieren und wahrscheinlich wird sie es ablenken, aber trotzdem mache ich es, weil ich irgendwie vielleicht denke, das wird dann ganz toll für sie sein." Oder wenn ich massive Angst habe, dann zurückgewiesen zu werden und trotzdem immer merke oder immer wieder merke:„Ich habe da so ein ganz starkes Bedürfnis, ich möchte irgendwas Bestimmtes machen. Vielleicht auch solche Praktiken wie Stimulation mit Fingern oder vielleicht auch mit der ganzen Hand. Ich mich aber eben wieder nicht traue, danach zu fragen, weil ich sage: Nur wenn ich sexuell auch Zustimmung bekomme, wenn ich den Zuspruch bekomme, dann bin ich ein richtiger Mann, dann bin ich ein guter Liebhaber. Das heißt, ich muss aufpassen, dass das nicht passiert." Und das führt eben immer wieder dazu, dass dann Grenzüberschreitungen stattfinden.
[00:13:02.770] - Nadia Kailouli
Du hattest es gerade angesprochen, das Projekt „I Can Change". Das ist eben das Präventivprojekt von euch, wo es darum geht, mit potenziellen Täter zu sprechen. Die von sich selbst schon ein Gespür entwickelt haben, zu sagen: „Ich weiß nicht, ob das so wie ich mich sexuell verhalte, ob das gut ist oder ob ich vielleicht potenziell irgendwann mal was mache, was ich eigentlich gar nicht machen möchte." Während ich das so ausspreche, denke ich mir: Oh Gott, schütze ich jetzt potenzielle Täter, indem ich mit „I Can Change" spreche jetzt? Verstehst du mein Bauchgefühl gerade so ein bisschen? Nimm mir das Bauchgefühl und erklär uns, warum es wichtig ist, dass es dieses Projekt gibt.
[00:13:43.430] - Jonas Kneer
Ja, so ein bisschen steckt da eigentlich die Frage drin: Soll ich mich mit Tätern und auch Täterinnen auseinandersetzen, oder? Und da würde ich sagen: Ja, auf jeden Fall. Wir müssen, also wir können uns dem nicht entziehen, sondern die erfordern ja auch eine Reaktion. Und was man so aus der Forschung weiß, ist, dass wenn wir diese Menschen ausgrenzen, wenn wir sie ablehnen, wenn wir sie irgendwie massiv konfrontieren im Rahmen von Therapien mit ihren Übergriffen, dann wird das, was man aus der Straftäterforschung, ziemlich sicher dazu führen, dass das Rückfallrisiko erhöht wird. Das heißt, meiner Ansicht nach ist der einzige Weg, dass wir langfristig nachhaltig sexualisierte Gewalt reduzieren, dass wir uns eben auch mit Tätern oder im besten Fall eben präventiv mit potenziellen Täter auseinandersetzen.
[00:14:28.560] - Nadia Kailouli
Aber wenn doch da Neigungen sind, die zum Beispiel pädophil sind oder Neigung sind zu sagen: „Ich möchte gerne Gewalt ausüben in meiner Sexualität." Wie kann man dem dann, diesem Menschen, dann in therapeutischer Sicht helfen, dass das nicht verstärkt wird, sondern im besten Fall abgelegt wird? Ich meine, kann man eine Neigung überhaupt ablegen?
[00:14:51.640] - Jonas Kneer
Ja, eine sehr gute Frage. Also grundlegend ist unser erster Schritt eigentlich, dass wir verstehen wollen, worum geht es, was ist genau die Gefahrenlage, Was beschäftigt auch die Person? Warum kommt die zu uns? Warum sieht die vielleicht bei sich ein Risiko oder warum ist es schon zu problematischen Situationen gekommen? Und da funktioniert unsere Arbeit eben sonst auch wie therapeutische Arbeit. Das heißt, wir müssen erst mal wertschätzend versuchen, eine stabile, tragfähige Beziehung aufzubauen, um letztendlich Unaussprechliches für diese Menschen aussprechlich zu machen, dass wir überhaupt an die Informationen kommen, die für uns relevant sind. Und das sind zum Beispiel bestimmte sexuelle Fantasien, der Wunsch, nach sexuellen Praktiken. Du hast das eben Pädophilie noch genannt. Das kann auch mal dabei sein und natürlich dann bearbeiten wir das auch. Wenn es ansonsten eine Primär- oder eine Kernpädophilie ist, dann werden die eher bei den Kolleginnen von „Kein Täter werden" aufgehoben. Aber natürlich, wenn das eine Nebenströmung ist oder ansonsten sexualisierte Gewaltfantasien oder sogar sadistische Fantasien, also damit arbeiten wir. Und da ist auch unsere Haltung: Die suchen sich nicht ihre Präferenz, ihre Neigung aus und dennoch sind sie aber gänzlich für ihre Verhaltensweisen, für ihre Handlungen verantwortlich. Und das heißt, wir schauen dann: Wie kann auch so eine Neigung, zum Beispiel wenn ich durch eine besonders aggressive Sexualität oder eine gewalttätige Sexualität erregt werde, wie kriege ich das hin, das konsensuell zu praktizieren? Gibt es da Möglichkeiten? Finde ich vielleicht entweder eine passende Person oder wenn ich schon in einer Partnerschaft bin und Angst habe, übergriffig zu werden, schaffe ich es mit meiner Partnerin, darüber zu sprechen und zu gucken, dass wir einen Weg der Kommunikation finden, wenn es zu weit geht, dass das irgendwie markiert wird. Und dann ist es die Aufgabe letztendlich unserer Patienten, dabei begleiten wir die dann, dafür einen Weg zu finden, das hinzubekommen. Das heißt, wir arbeiten zum Beispiel an problematischen Einstellungen, so ein bisschen das, was wir eben schon geschildert haben: "Wenn eine Frau 'Nein' sagt, dann heißt das vielleicht gar nicht 'Nein' oder dann muss ich noch offensiver sein." Aber wir arbeiten auch an sexuellen Fantasien und gucken, wie man eben auch mit sexueller Dranghaftigkeit, also starken sexuellen Verlangen umgehen kann. Und wir gucken uns auch an, wie wenn Menschen zum Beispiel impulsiv sind oder wenn es irgendwie noch weitere Risikofaktoren werden die genannt, so was zum Beispiel auch wie Substanzkonsum, enthemmende Substanzen, wie die möglichst damit einen verantwortungsvollen Umgang finden können, um eben Sexualität möglichst gesund auszuleben und trotz entsprechender Präferenzen oder entsprechender Bedürfnisse eben keine Grenzen zu überschreiten.
[00:17:20.340] - Nadia Kailouli
Jetzt fragt man sich natürlich: Wie kommen diese Leute eigentlich zu euch? Also ich wusste gar nichts davon, dass es euch gibt, sozusagen bis zum heutigen Tag. Und ich frage mich erst mal: Woher wissen die, dass es euch gibt? Und wie groß ist die Hemmschwelle, sich dann auch wirklich zu melden? Weil gerade Menschen, die ja… Ich sage es jetzt mal ganz blöd, das ist ja nicht anerkannt, irgendwie, dass man von sich aus sagt: „Ich habe Gewaltfantasien beim Sex. Ich möchte jetzt mal drüber reden." Das ist ja eher was, was wir verurteilen.
[00:17:51.980] - Jonas Kneer
Ja, absolut. Schön, dass ihr uns ja trotzdem gefunden habt und was wir eben auch immer wieder sehen, auch durch solche Arbeit, Social-Media, Podcasts oder auch ansonsten durch die Medien allgemein und durch unsere Internetpräsenz, sind wir auffindbar. Wenn man zum Beispiel Schlagworte wie "sexualisierte Gewalt, Grenzüberschreitung, Übergriffe" eingibt, irgendwann tauchen wir dann im besten Fall auf und dann kann man uns entweder anrufen zu unseren Sprechzeiten oder man schickt uns eine E-Mail. Es ist kostenlos, anonym und unter Schweigepflicht. Viele Menschen richten sich dafür dann spezifisch eine E-Mail-Adresse ein. Und das, was eigentlich alle gemeinsam haben, die erst mal zu uns kommen, dass die sich massiv schämen und dass es denen unglaublich schwer fällt, darüber zu sprechen, aber dass da trotzdem ein Problembewusstsein und auch eine Motivation ist, sich Unterstützung zu holen. Manchmal kommt die eben aus denen selbst raus, also so eine intrinsische Motivation. Manchmal sind es dann eben aber auch Ansagen, die die von Partner:innen bekommen oder irgendwie von Freunden, Bekannten. Und wir versuchen dann eben, aus dieser Motivation für eine Therapie, letztendlich eine Motivation für Veränderung und für eine gesunde, grenzenbewahrende Sexualität zu schaffen.
[00:19:02.620] - Nadia Kailouli
Ist es tatsächlich auch schon passiert, dass schon Täter sich bei euch gemeldet haben, gesagt haben: „Ich habe das und das gemacht"?
[00:19:12.770] - Jonas Kneer
Ja, absolut. Vielleicht ist es da noch mal ganz wichtig, auch mal sich damit auseinanderzusetzen, was denn eigentlich sexualisierte Gewalt bedeutet. Man hat ja häufig so ein Bild aus den Medien. Ich fand, du hast das eben sehr schön und sehr differenziert skizziert, das ist aber nicht das, was wir in den Medien erfahren. In den Medien erfahren wir ja meistens, dass Sexualstraftaten oder Sexualstraftäter, dass das Menschen sind, die irgendwie so am Rand der Gesellschaft sind, also irgendwie der Fremde, der Seltsame, der sich dann irgendwie aus dem Wald oder aus dem Gebüsch oder auch irgendwie nachts irgendwie auf einem Parkplatz rumtreibt und darauf wartet, dass er irgendwie sein Opfer erwischt und dann überwältigt und vergewaltigt. Diese Fälle gibt es und auch solche Fälle haben wir gelegentlich im Projekt. Das Großteil der Täter bewegt sich aber im sozialen Nahfeld. Das sind eben doch meistens die Leute, mit denen wir befreundet sind, so ungefähr zwei Drittel der Menschen, die sexuelle Übergriffe begehen, kommen aus dem sozialen Nahefällt, mit denen ist man befreundet. Zu denen hat man einen guten Kontakt und manchmal sind das eben auch die Partner oder Expartner, also Menschen, die wir auch vielleicht ja sogar geliebt haben. Und so mit diesem Satz vielleicht: Man sieht nur das, was man auch kennt, macht es das dann manchmal unglaublich schwierig und eben auch immer wieder, ja, sorgt das für Entsetzen, für Ratlosigkeit, wenn eben dann im Nahfeld mit Partnern so ein Übergriff passiert, dass man denkt: "Mensch, ist das jetzt irgendwie wirklich ein Übergriff gewesen oder was ist das?"
[00:20:43.780] - Nadia Kailouli
Ich frage mich natürlich gerade auch, wie so die Arbeit für dich aussieht. Da ruft jetzt jemand an und sagt: „Hier, ich habe einen sexuellen Übergriff gemacht und ich muss darüber reden. Ich will das eigentlich nicht noch mal." Gehen wir mal von dem Fall aus. Wie arbeitest du dann mit dieser Person?
[00:20:59.880] - Jonas Kneer
Genau, der erste Schritt ist, dass auch die Menschen, die unsere Hotline bedienen – manchmal mache ich das eben auch selbst – erst mal geklärt wird: Besteht gerade akut Eigen- oder Fremdgefährdung? Und wenn das vorliegt, versuchen wir da erst mal zu schützen. Das heißt, wenn eine akute Eigengefährdung vorliegt - und das ist auch immer wieder der Fall, die Menschen schämen sich, die sind belastet und sagen auch manchmal so was wie: „Ich habe eigentlich das Recht auf Leben verwirkt. Also eigentlich darf ich doch nicht mehr leben, wenn ich so was gemacht habe." - Wo wir dann eben empfehlen, möglichst akut Hilfe in Anspruch zu nehmen. Und wenn natürlich jemand am Telefon schildert, was bisher noch nicht vorgekommen ist, aber dass er grenzüberschreitend agieren könnte oder dass da vielleicht irgendwie jemand ist und der sich nicht weiß, ob er sich zusammenreißen kann, dann versuchen wir da natürlich erst mal zu schützen, Sicherheit herzustellen, dass die Person dann möglichst eben auch den Ort verlässt und versuchen dann auch möglichst zeitnah einen Termin anzubieten. Meistens schaffen wir das auch innerhalb von zwei Wochen, gerade so Notfalltermine, manchmal dann auch noch am gleichen Tag. Ich hatte jetzt vor drei Tagen jemand, dem ich dann eine halbe Stunde später einen Termin anbieten konnte, weil es gerade gepasst hat, der eben auch massiv belastet war.
[00:22:02.840] - Nadia Kailouli
Und was ist das dann genau? Also von was für Fällen reden wir? Reden wir darüber, dass da jemand beim Geschlechtsverkehr seiner Partnerin oder seinem Partner einen Klaps auf den Hintern gegeben hat, ohne dass man es wollte? Oder reden wir hier von, weiß ich nicht, Kindeswohlgefährdungen durch sexuelle Übergriffe?
[00:22:19.030] - Jonas Kneer
Genau, also wie gesagt, bei uns geht es ja meistens um Sexualität unter Erwachsenen. Also natürlich kann daraus auch eine Kindeswohlgefährdung resultieren, wenn jemand da wirklich massiv übergriffig gewaltätig ist. Aber es ist meistens nicht nur der Klaps auf den Hintern, sondern Verhaltensweisen, die sich wiederholt haben. Meistens nehmen die Menschen Kontakt mit uns auf, wenn eben wirklich negative Konsequenzen im Raum stehen. Das heißt, wenn die Partnerin sagt, und das ist zum Beispiel ein Fall, den ich auch erst vor Kurzem hatte, das war ein junger Vater, Ende 20, der sich an uns gewendet hat und der eben geschildert hat, dass er sehr belastet ist, dass er zu Hause ausziehen musste, weil es Grenzüberschreitungen in der Beziehung gegeben hat. Und die liegen aber schon über zehn Jahre zurück. Die haben stattgefunden, als sie sich kennengelernt haben, aber die Partnerin hat das im Rahmen von einer Psychotherapie, das heißt, die ist, glaube ich, so weit ich das noch richtig erinnere, aufgrund beruflicher Herausforderungen hat die sich therapeutische Unterstützung genommen und dabei haben die eben auch die Beziehung reflektiert und die Therapeutin hat ihr gesagt, das, was da passiert ist, das war eine Vergewaltigung. Und das war weder der Partnerin zu dem Zeitpunkt, klar, noch ihm. Und er sagt: „Ja, wenn ich das reflektiere, das ist es gewesen. Und jetzt, wir haben einen kleinen Sohn, wir haben vor drei Jahren geheiratet. Jetzt liegt das irgendwie alles in Scherben. Ich weiß nicht, was ich tun soll, aber ich weiß auch, ich habe das gemacht und ich bin auch schuldig." Und da versuchen wir dann eben, gemeinsam zu verstehen, wie das passieren konnte und dann möglichst eben Mittel und Wege zu finden, dass das nicht wieder passiert, aber natürlich auch dabei zu unterstützen, dass jemand eben nicht eigengefährdend agiert.
[00:23:53.680] - Nadia Kailouli
Was sind denn Mittel und Wege im Allgemeinen jetzt in diesem Projekt „I Can Change", die ihr therapeutisch anwenden könnt, Menschen davor zu schützen, zum sexuellen Straftäter zu werden?
[00:24:06.450] - Jonas Kneer
Genau, also das, was häufig so ganz vorne ran steht, was auch so ein… Also man spricht von empirisch belegten, also wissenschaftlich gesicherten Risikofaktoren. Risikofaktoren, die das Risiko eben erhöhen, dass man sexuelle Grenzüberschreitungen begeht. Und da ist zum Beispiel eine übergriffsbegünstigende Einstellung so ein ganz zentraler Faktor. Das heißt, über das, was wir jetzt schon ein paar Mal gesprochen haben, also Gedanken oder Einstellungen, die es irgendwie legitimieren, dass man sexuell grenzüberschreitend agieren kann, weil ich meine Bedürfnisse über die einer anderen Person stelle. Und die wenigsten sagen: "Es ist in Ordnung, eine Frau zu vergewaltigen" oder "eine Frau möchte vergewaltigt werden." Also auch solche Überzeugung gibt es, aber das ist sehr selten. Was man aber immer wieder findet, ist, dieses, was wir eben auch schon geschildert haben: "Wenn eine Frau 'Nein' sagt, dann muss ich es nur richtig probieren, dann muss ich dominant sein und dann wird sie schon 'Ja' sagen." Oder das heißt: "Wenn ich ihr zeige, wie toll bestimmte Praktiken sind, auch wenn sie das gerade nicht möchten, dann wird sie auch sehen, dass sie das doch möchte. Das heißt, dass ich irgendwie meine Bedürfnisse über ihre stelle." Und das ist so der erste Ansatzpunkt, daran zu arbeiten. Meistens ist es aber was sehr Individuelles. Das heißt, wir gucken uns die jeweilige individuelle Gefahrenlage an. Das heißt, im Rahmen so ein Modell: Wie hat es denn zu schwierigen Situationen geführt? Oder was sind vielleicht, wenn man sich so Fantasien anguckt, was könnten schwierige Situationen sein? Und dabei dann eben zu gucken: Was braucht die Person, um auch mit diesen schwierigen Situationen umzugehen? Wenn jemand zum Beispiel große Selbstwertproblematiken hat und sagt: „Ich traue mich gar nicht, wirklich zu sagen, was ich möchte, und trotzdem merke ich immer wieder diesen Impuls, dass ich es mir doch dann irgendwie einfordern möchte." Dann arbeiten wir da daran: Wie schafft er es, diese Bedürfnisse mit der Partnerin zu besprechen? Weil bei manchen Bedürfnissen gibt es ja schon auch die Möglichkeit, dass die Partnerin vielleicht genauso denkt oder der Partner, je nachdem in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung. Und manchmal laden wir dann eben auch Partner oder Partnerinnen mit ein und gucken eben gemeinsam, wie man das hinkriegt, dass die bei der Sexualität eine gute Kommunikation haben und dass eben auch klar ist: Was braucht denn die Person für ein Signal, wirklich zu wissen, hier ist Stopp? Und da wird ja manchmal auch so unterschieden. Es gibt eben so dieses, ich sage mal, eher Unabsichtliche, das Unachtsame, so diese Grenzverletzungen, die in den meisten Beziehungen vorkommen. Und dann gibt es ja wirklich das, was absichtlich stattfindet, wo ich genau weiß, die Person möchte das eigentlich nicht, ich habe aber Lust drauf, ich möchte das trotzdem. Und dass man da eben auch eine Sensibilität für entwickelt: Wann entscheide ich gerade? Gibt es vielleicht auch so Gedanken, die mich legitimieren: „Okay, jetzt mache ich das wirklich, obwohl ich weiß, dass es falsch ist."?
[00:26:45.950] - Nadia Kailouli
Mir kam die ganze Zeit dieser eine Begriff in den Kopf „sexuelle Frustration", weil man den… Ich weiß nicht, in welchem Kontext ich den mal gehört habe, aber irgendwie kam er mir gerade nach dem Motto: „Wer sexuell frustriert ist, der macht dann schon mal Sachen, weil du lässt mich ja nie ran." Jetzt mal überspitzt gesagt.
[00:27:04.180] - Jonas Kneer
Ja, absolut überspitzt gesagt. Und genau das so eine Einstellung wäre, die in der Therapie als hochproblematisch aufgegriffen werden würde und dann so die Frage wäre: "Okay, wie kommen Sie denn dazu? Warum meinen Sie, dass, nur weil sie gerade nicht sexuell aktiv sind, weil sie nicht befriedigt sind, dass sie dann so was machen dürfen?" Wenn jemand davon überzeugt ist, dass das okay ist. Und tatsächlich ist es genauso, wie du sagst, also gerade so diese sexuelle Frustration für viele Männer eben ja gefährlich ist. Es gibt so eine Untersuchung, da wurden junge Männer dazu befragt, wann sie sich denn wirklich männlich fühlen und da haben eben oder mit die häufigste Antwort das: "Beim Sex". Und für viele Männer auch gerade in unserem Projekt hat Sex eine unglaublich große Bedeutung. Das heißt, Sexualität als was Identitätsstiftendes und Sexualität, was irgendwie auch immer wieder so damit verbunden wird: "Wenn der Sex klappt, dann bin ich ein richtiger Mann, dann bin ich ein guter Partner, dann läuft unsere Partnerschaft gut, dann werde ich geliebt, dann bin ich begehrenswert." Das heißt aber auch im Umklärschluss: Sobald die Sexualität eben nicht läuft, ich irgendwie zurückgewiesen werde, heißt das, irgendwas stimmt nicht. Und dann immer wieder bei unseren Teilnehmern im Projekt dann die Angst ganz groß ist: „Okay, vielleicht liebt sie mich nicht mehr, vielleicht findet sie mich nicht mehr attraktiv." Und dann eben immer wieder absurde Ideen kommen, also dysfunktionale Ideen und dann auch grenzüberschreitende Verhaltensweisen, doch irgendwie an diese Sexualität zu kommen, die ihnen dann wieder sagt: „Doch, ist alles in Ordnung." Und auch solche Dynamiken gemeinsam zu erarbeiten, ist eben oft auch so ein Schlüsselmoment, dass die verstehen: „Ja, krass. Also das ist halt mein Umgang mit Unsicherheit, dass ist irgendwie meinen Umgang mit Ängsten, dass ich mir selbst sagen möchte, es ist alles in Ordnung, weil ich irgendwie nicht das Gefühl habe, ich kann da offen drüber sprechen, ich darf diese Emotionen nicht irgendwie offen zeigen und ich darf meine Ängste nicht offen kommunizieren." Und dass ja auch so ein ja, so ein Männlichkeitsbild ist: Ein starker Mann, der zeigt keine Emotionen, ein starker Mann hat keine Ängste und ein starker Mann, der zeigt seiner Partnerin auch nicht seine Unsicherheit. Und auch das ist natürlich was, was durch patriarchale Strukturen gestützt wird und was auch eben so Nährboden für Grenzüberschreitung sein kann.
[00:29:19.050] - Nadia Kailouli
Jetzt ist das eine ja, sich selbst zu reflektieren und das klingt so sehr erwachsen. Das andere, was du beschrieben hast, klingt halt so, das steckt schon fast, finde ich, in den Kinderschuhen: Wie wird man erzogen in seinem Geschlecht? "Du bist doch ein Mann, du bist ein Junge, du bist stark, du bist so und so", und das adaptiert sich dann irgendwie so von sich selbst auf seine Sexualität. Jetzt ist die Frage an dich: Inwieweit sind denn heutzutage gerade Jugendliche davon betroffen und dementsprechend auch gefährdet, in ihren ersten sexuellen Erfahrungen gleich schon sexuell übergriffig zu werden aufgrund dieser Erziehung und immer noch dieses Bildes, was wir haben, wie ein Mann zu sein hat?
[00:30:00.200] - Jonas Kneer
Ja, das ist eine unglaublich schwierige Frage. Naja, letztendlich auch die ganzen Einflüsse, die auf uns wirken, wirken natürlich auch auf Jugendliche. Und auch da gibt es noch Nachwirkungen patriarchaler Struktur, auch gerade durch Medien. In ungefähr einem Drittel aller Sendungen wird geschlechtsbasierte Gewalt präsentiert. Oder auch, wenn man vielleicht nicht ein bisschen zurückblickt, James Bond zum Beispiel, wo letztendlich auch Vergewaltigung teilweise heroisiert worden ist. Damals fand man das gut. Mittlerweile setzt man sich da kritisch auseinander, habe ich das Gefühl, aber doch auch was, womit Jugendliche immer wieder auch konfrontiert werden oder auch gerade Pornografiekonsum zum Beispiel. Ich glaube, viele Jugendliche sind da kompetent drin, auch bei Pornografie zu verstehen: Das ist eben nicht die richtige Sexualität, aber es gibt sicher auch immer wieder Menschen, denen es sehr schwer fällt, das zu verstehen und die das als Ideal sehen und eben auch das Gefühl haben, genauso agieren zu müssen. Und wenn ich das nachstelle, was ich in der Pornografie sehe, dann ist eben auch wieder die Gefahr relativ groß dass das eben keine befriedigende, sondern im schlimmsten Fall eher eine grenzüberschreitende Sexualität wird.
[00:31:05.860] - Nadia Kailouli
Jetzt gibt es ja innerhalb des Projekts, wo du arbeitest, noch ein anderes Projekt. Das heißt eben "180 Grad", wo du jetzt aktiv nicht mit dabei bist, aber vielleicht kannst du uns trotzdem ein paar Impulse dahingehend geben, inwieweit denn da Unterschiede sind, Jugendliche eben davor zu bewahren, nicht sexuell übergriffig zu werden. Weil ich glaube, die Scham unter Jugendlichen ist ja noch mal höher, sich an einen Therapeuten zu wenden, zu sagen: „Ich will aber eigentlich das und das mit meiner Freundin und mit meinem Freund machen und ich traue mich nicht, aber eigentlich sagen meine Kumpels: 'Ey, wenn die das nicht macht, dann bist du kein richtiger Mann'." Oder so, keine Ahnung.
[00:31:42.420] - Jonas Kneer
Genau, das "180 Grad"-Projekt ist auch ein Projekt in unserer Abteilung. Aus der Erfahrung heraus, dass es da eben eine ganz große Versorgungslücke gibt für Jugendliche und dass mit Jugendlichen sehr häufig nicht über Sexualität gesprochen wird und auch wenn problematische sexuelle Handlungen stattfinden, dass eher sanktioniert wird, dass gesagt wird: „Okay, das ist nicht so in Ordnung, das darfst du nicht mehr machen", aber dass nicht darüber gesprochen wird, wie es denn alternativ aussehen kann. Und unser Präventionsgedanke, also versucht ihr eigentlich immer dann anzusetzen, bevor es wirklich zu Taten kommt, als letztendlich auch Opferschutz. Und natürlich, je früher wir ansetzen, desto erfolgreicher ist das. Das heißt, wenn man gerade Jugendlichen in einer entwicklungssensiblen Phase vielleicht da eher positive Werte mitgibt, eine Sensibilität für sexuelle Grenzüberschreitungen und sie dabei unterstützt, eben eine möglichst gesunde Sexualität zu entwickeln, dann ist die Chance eben noch mal größer, dass es langfristig nicht zu Grenzüberschreitungen kommt. Und Scham ist ein ganz wichtiges Thema. Meistens, wenn man von Jugendlichen spricht, dann spricht man ja eher von Jugendlichen, die aversive, also negative Erfahrungen gemacht haben, die vielleicht selbst betroffen von Missbrauch gewesen sind. Was dabei aber ganz häufig vernachlässigt wird, ist, dass so ungefähr ab dem 14. Lebensjahr eben Jugendliche auch immer wieder auch als Täter in Erscheinung treten und dann spätestens, wenn sie strafmündig werden, dann eben auch in den polizeilichen Kriminalstatistiken überrepräsentiert sind. Das heißt, auch Jugendliche begehen sexuelle Grenzüberschreitungen und auch die brauchen da Unterstützung. Und da gibt es eben unglaublich wenig Angebote. Also überhaupt, es gibt sehr, sehr wenig Angebote, die sich an die Verursacher richten und unsere Haltung eben, dass das doch eigentlich der Ansatz sein müsste, diese Problematik wirklich im Kern anzugehen, an der Wurzel zu packen.
[00:33:29.320] - Nadia Kailouli
Ja, und da sagen wahrscheinlich viele Eltern: „Sag mal, ne bitte, mein Kind und Sexualität, der hat jetzt eine Freundin, die schmusen jetzt mal ein bisschen rum." Eltern blenden das gerne aus, zu was ihre Kinder im Stande sind und sehen dann natürlich weder die Prävention irgendwie zu sagen: „Werd nicht zum Täter", noch die Prävention zu sagen: „Wie hast du eine gesunde Sexualität?" Weil man geht ja davon aus: „Mein Gott, mit 14, was soll da schon passieren"? Wo packt man dann diesen Kern an, wenn ein junger Mensch noch gar nicht selbstbestimmt eigentlich da sich mit beschäftigen kann, weil die Eltern ja da auch noch eine Rolle spielen.
[00:34:03.600] - Jonas Kneer
Absolut. Da ist es noch mal viel wichtiger, mit dem ganzen System zu arbeiten und auch mit Lehrer:innen in Kontakt zu treten. Und trotzdem ist da ja die Chance noch mal umso größer, dass wenn man es schafft, da ein gesundes Bild von Sexualität zu vermitteln, dass das eben langfristig dazu führt, dass dieser junge Mensch eben da nicht grenzüberschreitend wirkt. Und das, was du gerade gesagt hast, es gibt ja auch so Kampfbegriffe, wenn man jetzt noch ein bisschen weiter zurückgeht, wie zum Beispiel "Frühsexualisierung". Ja, und sicher muss man sich da immer schauen, was ist kindgerecht und was ist eine angemessene Art und Weise, dann mit Kindern oder Jugendlichen über Sexualität zu sprechen. Und das ist eben das, was bei uns dann die Therapeut:innen im Projekt machen, aber dass man eben auch da schaut, dass sie eben eine möglichst gute Aufklärung bekommen. Das heißt auf der einen Seite, dass ihnen das Wissen vermittelt wird, um zu verstehen, was da auch passiert und auch ein Verständnis dafür zu bekommen, was eben grenzüberschreitend ist, was in Ordnung ist und was eben nicht mehr in Ordnung ist. Und auch da ist eigentlich unsere Haltung, also sowieso in allen Projekten, dass es niemals darum gehen darf, den Täter zu verurteilen und irgendwie zu stigmatisieren, zu beschämen, sondern dass das, woran wir arbeiten und das, was wir auch ablehnen, das sind die Taten. Und dass wir da eben für eine Verantwortung auch für das Verhalten werben und dabei unterstützen, sich möglichst richtig zu verhalten.
[00:35:21.270] - Nadia Kailouli
Mit dieser Aussage stößt du wahrscheinlich auch auf Gegenwind, oder? Weil wenn ich mir überlege, also zum Beispiel ich als Journalistin, wenn wir Beiträge darüber machen über Betroffene, die uns ihre Geschichte zum Beispiel erzählen und wir vielleicht im juristischen Sinne das Recht hätten, den Täter zu benennen und auch zu zeigen, überlegen wir immer ganz genau, machen wir das oder machen wir das nicht, mit dem Wissen, dass die Gesellschaft …Es gibt ja wahnsinnig viele Menschen, die dann in die Selbstjustiz gehen und diesen Menschen dann versuchen, ausfündig zu machen, zu jagen, zu beschimpfen, tatsächlich auch mit Morddrohungen kommen und sagen: „Wir machen den fertig. Das heißt, der Täter an sich, der erwiesene Täter an sich, hat in unserer Gesellschaft einen sehr, sehr niedrigen Stellenwert und die meisten würden jetzt auch sagen: „Zurecht." Du hast jetzt gerade gesagt, wir wollen nicht den Täter beschämen, sondern wir gucken auf die Tat.
[00:36:11.730] - Jonas Kneer
Exakt, ja.
[00:36:12.710] - Nadia Kailouli
Das finde ich irgendwie interessant und irgendwie habe ich das Gefühl, Da muss man noch mal drüber reden, weil wie sollen wir denn sonst mit Tätern umgehen?
[00:36:19.280] - Jonas Kneer
Ja, du hast gerade so viele Sachen gesagt, auf die ich irgendwie eingehen möchte.
[00:36:22.380] - Nadia Kailouli
Bitte, ja.
[00:36:22.700] - Jonas Kneer
Und das suggeriert ja immer wieder, dass dieser Täter wirklich der Fremde, der Abartige ist, der eben ausgeschlossen werden muss. Und die Wissenschaft, die spricht eben eine ganz andere Sprache. Aus den USA weiß man sehr genau, dass härtere Strafen, lange Haftstrafen eben nicht dazu führen, dass so was wie sexualisierte Gewalt oder Kriminalität weniger wird. Das heißt, der einzige Weg, da wirklich einen guten Umgang mit zu finden, ist, dass wir uns mit diesen Menschen auseinandersetzen und ja auch die Idee von Resozialisierung, dass wir sie dabei unterstützen, möglichst, wenn Taten stattgefunden haben, daraus zu lernen und es anders zu machen oder wenn noch keine Taten stattgefunden haben – das ist so der Königsweg –, dann eben zu gucken, wo Risiko ist und wie man es schafft, mit denen zu Verhaltensänderungen zu kommen. Was sich eben auch so aus der Forschung gezeigt hat, ist, Konfrontation bringt weder in der Psychotherapie noch in der Straftäterbehandlung irgendwas, sondern hat eher einen negativen Effekt. Das heißt, wenn wir Menschen damit konfrontieren und sagen: „Du, du, du, so geht das nicht", dann führt das in der Regel eher zu Reaktanz. Sie wenden sich ab und reflektieren eben auch nicht, was vielleicht wirklich Problematiken sind, sondern letztendlich muss man denen auch, auch den Tätern oder auch Täterinnen, möglichst wertfrei, empathisch und eben Unterstützung, also eher kooperativ anstatt konfrontativ, gegenübertreten, um eben Verhaltensänderung herbeiführen zu können. Und letztendlich ja, ist es richtig, wir können da nicht alle unterstützen. Es gibt Menschen, die wollen sich auch nicht verändern und das ist auch schwer auszuhalten. Aber es gibt eben auch viele Menschen, die durchaus bereit sind, zu reflektieren, die zu uns kommen und die sich eben auch verändern wollen und wo wir auch sehen im Verlauf dann ein halbes Jahr, ein Jahr oder auch manchmal zwei Jahre, dass Veränderung doch möglich ist und dass unsere Arbeit einen Effekt hat.
[00:38:08.330] - Nadia Kailouli
Es ist, glaube ich, eben noch mal ganz wichtig, jetzt zu betonen, dass du da aus therapeutischer, psychotherapeutischer Sicht drauf schaust und nicht aus einer persönlichen Haltung heraus, sondern eben du sprichst wissenschaftliche Erkenntnisse an, die wir jetzt hier alle nicht vor uns liegen haben. Jetzt kann man sagen: Ja, leuchtet mir ein, aber die große Frage: Bringt das alles überhaupt was? Also habt ihr dahingehend schon Erkenntnisse gewinnen können, sowohl bei der Arbeit mit Jugendlichen als auch bei Erwachsenen, dass eine Prävention im therapeutischen Sinne hilft, sexuelle Übergriffe zu verhindern?
[00:38:42.950] - Jonas Kneer
Das ist natürlich schwer zu sagen. Wir nutzen empirisch gesicherte Methoden, Verfahren, wo ich davon ausgehe, dass unsere Arbeit sinnvoll und nachhaltig wirksam darin ist, sexualisierte Gewalt zu reduzieren. Aber den tatsächlichen Wirknachweis zu erbringen, müsste man komplexe Forschungen durchführen. Das heißt, randomisierte, kontrollierte Studien sind da das Stichwort, mit entsprechenden Kontrollgruppen. Wir versuchen das, aber es ist eben unglaublich aufwendig und wir sind ein kleines Projekt. Wir hoffen aber langfristig natürlich auch, da nachweisen zu können, dass diese Arbeit wirksam ist. Und es gibt sehr viel Forschung dazu, ob es monetär wirksam ist, also präventive Arbeit, wo sich meistens zeigt: Ja, das ist deutlich günstiger, als Menschen einfach nur wegzusperren oder irgendwie zu sanktionieren. Deswegen hoffe ich, dass auf der einen Seite natürlich auf der Kostenebene, aber auf der anderen Seite eben auch dadurch signifikant Leid gelindert werden kann.
[00:39:37.850] - Nadia Kailouli
Wenn wir jetzt noch mal kurz – und jetzt provoziere ich dich mal ein bisschen – darauf gucken, dass viele Betroffene ja selber immer sagen, der Fokus liegt so auf den Tätern. Dann werden die nicht verurteilt, dann ist die Beweislage zu schwach. Und dann die Medien stürzen sich viel lieber auf den Täter, weil das ist die krassere Story als auf den Betroffenen. Und jetzt kommt auch noch Jonas daher, als Therapeut, der sagt, wir müssen mit Tätern ins Gespräch kommen. Wir können Täter von Taten im therapeutischen Sinne vielleicht davon abbringen, weitere Taten oder überhaupt eine Tat zu machen. Also liegt der Fokus jetzt wieder auf den Tätern.
[00:40:11.040] - Jonas Kneer
Ja, also es ist schmerzhaft, was du gerade sagst. Und natürlich ist es nachvollziehbar, dass Menschen, die da negative Erfahrungen gemacht haben, dass die wütend sind, dass die sich eben nicht mit den Tätern auseinandersetzen wollen und dass für die unvorstellbar ist, sich irgendwie konstruktiv mit Täter auseinandersetzen zu setzen. Habe ich vollstes Verständnis dafür und es gibt eben auch sehr viele Psychotherapeut:innen, die es eben auch ablehnen, mit Tätern zu arbeiten. Ich kenne beide Seiten. Ich habe immer wieder Betroffene auch vor mir sitzen, wo mich das Leid eben auch sehr mitnimmt und ich ja auch weiß, wo das herkommt. Aber gerade das ist, was mich eben auch motiviert, mit diesen Menschen zu arbeiten und möglichst dieses Leid zu lindern. Für mich ist das nicht ein „Entweder oder", sondern vielmehr "sowohl als auch". Betroffene von sexualisierter Gewalt, die müssen bestmöglich versorgt werden. Ich finde, das ist der Auftrag in unserer Gesellschaft. Aber ich finde, wir sollten auch nicht die Chance außer Acht lassen, dass wir eben möglichst früh ansetzen und versuchen, da anzusetzen, dass es gar nicht zu diesen Grenzüberschreitungen kommt. Und das gelingt uns eben auch nur, wenn wir eine Risikogruppe adressieren können. Und deswegen glaube ich, dass unsere Arbeit eben genauso wichtig ist, aber die muss auch auf einer betroffenen, respektierenden Art und Weise stattfinden. Das heißt, was wir auch immer wieder versuchen. Und wenn du das so sagst, dann klingt das fast danach: „Es gibt diese Täter und wenn die ihre Übergriffe begangen haben, dann sollten die eigentlich ausgeschlossen werden und keiner setzt sich mehr mit denen auseinander." Und die Wahrheit sieht ja leider anders aus. Tatsächlich ist es so, dass eben trotzdem weiterhin auch die Beziehungen fortbestehen, dass manchmal da auch nichts gegengetan wird und dass dann gefordert wird: „Okay, nehm dir Hilfe, übernimm Verantwortung", aber aus welchen Gründen auch immer, dass die Beziehung eben doch weiter Bestand hat. Und dann versuchen wir eben auch in unserem Team zu gucken: Schaffen wir es, vielleicht auch noch die betroffene Person mit zu involvieren und auch zu schauen, wie können wir die bestmöglich unterstützen? Schon mit der Idee, dass nur wenn die gemeinsam an diesen Problematiken arbeiten, die Chancen eben auch maximal sind, dass es nicht wieder passiert, aber schon auch, dass diese Person gut für sich reflektiert, ob sie das so weiter fortführen kann, also die betroffene Person, und eben auch zu gucken, sie dabei zu unterstützen, dass sie sich selbst schützt. Aber klar, bei uns liegt der Fokus auf den Verursachern. Das stimmt.
[00:42:29.300] - Nadia Kailouli
Und deswegen bist du heute auch unser Gast, weil wir es eben auch wichtig finden, darauf zu gucken, vor allem auf eure Arbeit mit dem Projekt „I can Change". Jonas Kneer, was soll ich da noch sagen? Vielen, vielen Dank, dass du heute unser Gast warst. Danke dir.
[00:42:42.490] - Jonas Kneer
Vielen, vielen Dank.
[00:42:47.290] - Nadia Kailouli
Ja, interessante Einblicke, die uns Jonas hier gegeben hat in sein Projekt „I Can Change", eben zu gucken, wie kann man auf therapeutischer Ebene präventiv mit Menschen über ihr Sexualverhalten sprechen, dass es eben nicht zu einer Tat kommt, was sexuelle Übergriffe betrifft. Er hat ja selber den Hinweis gegeben: Pädophilie ist noch mal ein anderes Thema in diesem Sinne, wo er sagt, wenn sie Leute haben, die ganz klar sagen: „Ich habe hier pädophile Neigungen", dass die die eben an andere Therapeuten noch mal weiter geben und sagen:„Okay, da bitte melden, da müssen Sie sich helfen lassen."
[00:43:21.280] - Nadia Kailouli
An dieser Stelle möchte ich mich auch ganz herzlich mal bei euch bedanken, dass ihr uns so treu zuhört und dass ihr auch bei schwierigen Themen dranbleibt. Wenn ihr wollt, dann folgt uns doch gerne, abonniert unseren Kanal und wenn ihr uns persönlich einmal schreiben wollt, dann könnt ihr das natürlich sehr gerne tun. Eine E-Mail könnt ihr einfach schreiben an: presse@ubskm.bund.de.
Mehr Infos zur Folge
Exzessiver Konsum von Pornographie, sexuelle Gewaltfantasien und sexuelle Übergriffe – damit beschäftigt sich Jonas Kneer von der Medizinischen Hochschule Hannover. Mit dem Ziel, sexuelle Gewalt zu verhindern, bevor es zu Taten kommt, eröffneten der leitende Psychotherapeut und sein Team 2017 an der Medizinischen Hochschule Hannover das Präventionsprojekt „I Can Change”. Hier soll Menschen geholfen werden, die unter sexuellen Impulsen leiden und Hilfe suchen, weil sie fürchten, diese nicht mehr kontrollieren zu können. Rund 300 Kontaktaufnahmen haben Jonas Kneer und sein Team seit Gründung von „I Can Change” gezählt, mit mehr als 100 Menschen haben sie eine Therapie begonnen oder bereits abgeschlossen.
Freiwillig und aus eigenem Antrieb sollen sie kommen, sagt Jonas Kneer. Deswegen wird niemand therapiert, gegen den ermittelt wird. Zu 95 Prozent sind es Männer, die Problemlagen sind vielfältig, oft handelt es sich um Sexualstörungen oder Grenzüberschreitungen in Partnerschaften. So gehe es beispielsweise manchen Patienten, die ohne Zustimmung Videomaterial von Partnerinnen anfertigen, um einen intensiven Kick von Macht und Kontrolle, so Jonas Kneer.
Ein neues Projekt der Medizinischen Hochschule Hannover ist „180 Grad”. Dieses Projekt richtet sich an 14- bis 18-Jährige, die befürchten, ihre sexuellen Impulse nicht mehr kontrollieren zu können. Sie erhalten dort anonym und kostenlos therapeutische Hilfe unter Schweigepflicht. Zielgruppe sind einerseits Menschen, die im jugendlichen Alter merkten, dass sie sich zu vorpubertären Kindern hingezogen fühlen, zum anderen geht es um Jugendliche, die unter ihren sexualisierten Gewaltfantasien leiden, schon Grenzen überschritten oder gar sexuelle Gewalt ausgeübt haben. Das Team will zudem mit Jugendlichen ins Gespräch kommen, die ihren exzessiven Pornokonsum als Problem sehen.
LINKSAMMLUNG:
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Website der Medizinischen Hochschule Hannover zu „I Can Change”
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