Podcast | Folge: 98 | Dauer: 34:39

Sexuelle Gewalt an der Schule – was hast du erlebt, Britta Rotsch?

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[00:00:00.300] - Britta Rotsch

Ich hatte nie im Kopf, dass ich sagen kann: "Ich möchte jetzt hier zurückgehen." Und ich wusste ja auch nicht, was passieren wird, wenn ich was sage, wenn ich handle. Und ich konnte auch gar nicht einschätzen, was das überhaupt alles ist. Also Machtmissbrauch und Manipulation, das geschieht ja immer so sehr subtil. Und dann als Jugendliche oder junger Erwachsene das einzuordnen, das war mir einfach damals nicht möglich.

[00:00:25.270] - Nadia Kailouli

Hi, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Ich bin Nadia Kailouli und in diesem Podcast geht es um persönliche Geschichten, um akute Missstände und um die Frage, was man tun kann, damit sich was ändert. Hier ist einbiszwei. Schön, dass du uns zuhörst.

[00:00:48.960] - Nadia Kailouli

Britta Rotsch ist 18 Jahre alt, als ein Lehrer anfängt, ihr per E-Mail Liebesbriefe zu schreiben. Sie ist total verwirrt, findet die Nachrichten des Mittfünfzigers abstoßend, bricht den Kontakt aber nicht ab. Irgendwie genießt sie die Anerkennung, die er ihr gibt und die sie als unsichere Jugendliche sucht. Erst viele Jahre später, als sie anderen davon erzählt und diese schockiert reagieren, erkennt sie die Situation als das, was sie war. Eine Grenzüberschreitung, ein klarer Machtmissbrauch. Britta, inzwischen Journalistin und Autorin, spricht mit vielen Betroffenen, trägt die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt an Schulen zusammen und schreibt das autobiografisch geprägte Sachbuch "Wenn Lehrer Grenzen überschreiten". Warum sexuelle Gewalt an Schulen ein strukturelles Problem ist und welche Rolle Geschlechterhierarchien spielen. Und genau darüber sprechen wir jetzt hier bei einbiszwei.

[00:01:37.430] - Nadia Kailouli

Dann sage ich herzlich willkommen bei einbiszwei, Britta Rotsch. Schön, dass du da bist.

[00:01:41.050] - Britta Rotsch

Hallo.

[00:01:41.790] - Nadia Kailouli

Hallo, Britta. Du hast vor kurzem ein Buch rausgebracht, das da heißt "Wenn Lehrer Grenzen überschreiten – über Machtmissbrauch in der Schule". Damit wissen wir also ziemlich schnell schon, worum es heute geht. Jetzt muss ich aber dazu sagen: Du bist, ohne jetzt irgendwie die Altersdiskriminierung machen zu wollen oder so, aber du bist jetzt schon ein paar Jahre raus aus der Schule. Warum kommt jetzt so ein Buch von dir?

[00:02:04.200] - Britta Rotsch

Weil manchmal braucht ja alles ein bisschen Zeit und irgendwie hat sich das so entwickelt. Ich habe immer wieder diese Geschichte erzählt, dass ein Lehrer übergriffig geworden ist und mir haben sehr viele dann gesagt, dass es ihnen ebenfalls so ging, dass sie vielleicht auch einen Lehrer kennen oder eben so eine Geschichte. Und irgendwann haben immer mehr Stimmen gesagt: "Ja, mach doch ein Buch dazu." Und irgendwann war ich dann auch so weit und habe dann gesagt: "Okay, dann probiere ich es einfach." Und deswegen hat das alles so lange gedauert.

[00:02:34.160] - Nadia Kailouli

Jetzt hast du es schon gleich am Anfang auch gesagt: Dir selber ist das passiert, dass ein Lehrer, dein Lehrer, damals Grenzen überschritten hat. Kannst du uns erzählen, was da genau passiert ist?

[00:02:44.880] - Britta Rotsch

Also das war in der Oberstufe in den letzten zwei Jahren und alles hat angefangen mit einer E-Mail. Ich habe eine Mail bekommen von meinem ehemaligen Deutschlehrer und der hat mir in der Nacht dann geschrieben: "Du bist wunderschön", und hat ein Bild von mir angeheftet und seine Initialen und "lieben Gruß". Und das hat mich sehr irritiert. Ich habe dann gleich eine Freundin angerufen, die auch mit mir in dem Deutschkurs war und die hat nichts bekommen. Und dann wusste ich, okay gut, also irgendwie ist das hier sehr merkwürdig gerade. Und so hat sich das dann über die Jahre immer mehr auch zugespitzt. Also er hat mir immer häufiger geschrieben. Ich bin dann auch irgendwann darauf eingestiegen. Er hat mir irgendwann gesagt, dass er mich sogar liebt. Er hat mir irgendwie noch nach der Schule weitergeschrieben, Geschenke geschickt, also sehr viele Bücher. Er hat mir auch mal eine Parabel geschrieben und ich habe einfach gemerkt, wie diese Nachrichten langsam immer sexualisierter geworden sind. Und irgendwann habe ich ihn dann damit konfrontiert. Das war Anfang 2020. Da hatte er mir immer noch geschrieben und daraufhin kam dann nichts mehr. Und dann habe ich noch mal nachgehakt, weil ich gerne seine Meinung dazu hören wollte für eine Geschichte, die ich dazu geschrieben habe.

[00:03:59.400] - Britta Rotsch

Und es kam einfach nichts. Ja, und das ist so grob gefasst sozusagen die Geschichte.

[00:04:06.660] - Nadia Kailouli

Jetzt hast du gerade gesagt, dass er erst 2020 dann noch mal geschrieben hatte und du ihn dann konfrontiert hast mit etwas. Mit was hast du ihn denn dann konfrontiert?

[00:04:17.190] - Britta Rotsch

Ich habe geschrieben, dass ich eine Geschichte mache für das Zeitmagazin und diese, also meine Geschichte erzählen werde. Und ich wollte wissen, warum er das gemacht hat natürlich und ob es vielleicht auch noch andere gab, ob es ihm leidtut und dass er das jetzt nicht mehr machen würde. Ich wollte einfach so ein bisschen seine Sichtweise auch dazu hören, schon allein aus journalistischer Sorgfaltspflicht. Und der kam aber, wie gesagt, nichts. Und das war sehr, sehr untypisch und deswegen habe ich das eben so ein bisschen als Schuldeingeständnis dann auch gesehen.

[00:04:46.370] - Nadia Kailouli

Wie war denn die ganze Phase vorher? Du hast gesagt, er hatte dir in der Oberstufe das erste Mal eben geschrieben, dir ein Kompliment gemacht und ein Foto angehängt. Hast du darauf reagiert? Hast du das einfach stehen lassen? Weil es kamen ja immer wieder Mails von ihm. Also hattet ihr einen richtigen Austausch per Mail oder wie war eure Kommunikation untereinander?

[00:05:06.650] - Britta Rotsch

Immer sehr unterschiedlich und ich habe auf die erste Mail auf jeden Fall nicht reagiert. Ich weiß noch, am nächsten Tag in der Schule habe ich mich dann ein bisschen versteckt, einfach, weil es mir sehr, sehr unangenehm war. Ihm übrigens gar nicht. Und ja, irgendwann bin ich aber immer mehr drauf eingestiegen, weil ich, glaube ich, ein bisschen sehr bedürftig war zu dieser Zeit und dieser Lehrer halt so ein bisschen wie so eine Vaterfigur auch war für mich. Der hat sich halt irgendwie mit Psychologie ausgekannt und mit Literatur und Philosophie, alles, was mich interessiert hat. Und da hat er mich irgendwie natürlich dann bekommen und hat mir immer Komplimente gemacht, wie toll ich nicht sei und wie klug ich nicht sei. Und das war so Balsam für mich, den ich sonst aus meinem familiären Kontext nicht kannte. Und deswegen bin ich dann auch drauf eingestiegen und habe dann auch geantwortet, ausführlich, saß dann immer mit dem Duden neben meinem Computer und habe versucht, natürlich alles sehr schön und richtig zu verfassen. Ja, also es war eine sehr ambivalente Geschichte, würde ich sagen. Manchmal hat es mich total angewidert und ich habe gar nicht reagiert, wochenlang. Und dann bin ich irgendwann wieder darauf eingestiegen. Das war ganz unterschiedlich.

[00:06:13.160] - Nadia Kailouli

Jetzt war er ja zur Zeit dein lehrender Lehrer ja auch, als diese Kommunikation, diese E-Mails an dich losgingen. Wie war das dann in der Schule? Also hat er dich da auch, ich sage mal, anders behandelt? Hatte er irgendwie was in deine Richtung face-to-face kommuniziert oder blieb es bei diesem Schriftverkehr?

[00:06:36.470] - Britta Rotsch

Also er hat mich ja schon immer wieder eingeladen auch, mit ihm mal einen Kaffee trinken zu gehen oder auch zu ihm nach Hause, weil seine Familie hat nicht mehr zu Hause gewohnt, die sind irgendwie weggezogen. Das gab es schon. Ich bin halt nur nicht drauf eingestiegen. Und er hat mich auf jeden Fall bevorzugt. Immer wenn sich jemand gemeldet hat und ich habe mich später gemeldet, bin ich dran gekommen. Er hat Zusatzmaterial reingeschoben für Dinge, für die ich mich interessiert habe. Man hat schon gemerkt, dass ich einfach so eine Priorität war für ihn und das haben auch andere gemerkt. Also das war ganz, ganz klar. Und er hat das aber vor den anderen Lehrer:innen eher so dargestellt, als sei ich diejenige, die für ihn schwärmen würde. Und deswegen habe ich auch gemerkt, dass manche Lehrer und Lehrerinnen mich ein bisschen strenger beurteilt haben und anders behandelt. Das hat mir dann auch immer wieder in Mails geschrieben, dass er sich sozusagen, ja halt, verstecken muss sozusagen und das dann ein bisschen anders darstellt. Ja, das war halt sehr unangenehm für mich natürlich.

[00:07:42.830] - Nadia Kailouli

Wie hast du das dann für dich irgendwie, ich will nicht sagen verarbeitet, sondern erlebt? Also du bist in der Schule, du merkst, von jetzt auf gleich ist da so ein Lehrer, der schreibt dir Mails, der bevorzugt dich. Warst du da schon volljährig? Ja. Doch, du warst schon eine volljährige, also eine erwachsene Frau in dem Sinne. Wie geht man dann damit um?

[00:08:05.330] - Britta Rotsch

Also, nur weil ich 18 war, würde ich nicht sagen, dass ich schon voll erwachsen war. Ich habe ja auch noch zu Hause gelebt. Wie bin ich damit umgegangen? Ja, also mal so, mal so, würde ich sagen. Also es war teilweise so, dass ich mir vorkam, wie seine emotionale Affäre. Es lief ja körperlich nichts, aber ich wusste, er hat Frau und Kinder, die sind auch in meinem Alter. Das war sehr merkwürdig. Da hatte er mir auch immer Nachrichten von seinem Familienkontext geschrieben. Ich war da sehr nahe einfach dran. Und deswegen hat sich auch immer mehr so ein Band um uns gewickelt, würde ich sagen, oder eher mich gewickelt, dass ich auch teilweise Gefühle einfach auch für ihn bekommen habe. Und wenn er mir geschrieben hat, habe ich mich auf einerseits gefreut und andererseits war ich damit total überfordert und wusste nicht so genau, was ich tun soll. Er hat mich ja auch immer wieder eingeladen, ich habe ihn wieder abgesagt. Dann hat er mich so hingehend manipuliert und hat gemeint: "Ja, warum ich denn nicht einfach dazu stehen könnte? Wir verstehen uns doch nun mal." Und das sei ja total das konservative Argument, zu sagen, "Wir sind Lehrer und Schülerin und deswegen geht das nicht." Also ich bin damit mal besser, mal schlechter umgegangen, aber ich habe gemerkt, dass es natürlich was mit mir macht, dass ich manchmal nicht wusste: "Wie soll ich in die Schule gehen? Wie kann ich diese Doppelstunde Deutsch hinter mich bringen?" Und manchmal war ich aber auch wie beflügelt einfach.

[00:09:27.290] - Nadia Kailouli

Ich will jetzt mal ganz kurz nach vorne springen, weil ich eine Frage habe, die du wahrscheinlich nur deswegen beantworten kannst, weil du dich dann intensiver damit auseinandergesetzt hast. Wenn man das jetzt so hört, die Argumentation deines Lehrers, das ist doch voll das konservative Denken: "Wir verstehen uns gut, du bist volljährig, ich bin der Lehrer, wir machen ja hier nichts Schlimmes. Wir verstehen uns einfach gut. Ich will mich mit dir austauschen und wenn du das auch willst, dann: Hey, let's go." Warum aber ist das problematisch?

[00:09:54.080] - Britta Rotsch

Na ja, weil wir nicht … Also das ist einfach eine Hierarchie zwischen uns und eine Machtdynamik. Er hat ja voll die Kontrolle über mich. Er bestimmt, was ich für Noten letztendlich bekomme. Er ist der erwachsene Part und ich bin ja eine Schutzbefohlene in dieser Schulzeit. Ich weiß gar nicht so richtig in dem Alter, was da passiert. Ich denke: "Okay, er ist ja Lehrer, er wird schon das Richtige tun." Und vertraue ihm ja auf eine gewisse Art und Weise und deswegen hat er mich ja in der Hand.

[00:10:22.660] - Nadia Kailouli

Und wenn jetzt Leute sagen: Naja, aber es gibt doch auch, keine Ahnung, Emmanuel Macron zum Beispiel, ist auch mit seiner Lehrerin heute verheiratet und die haben sich zu der Zeit zwar erst so richtig in eine Beziehung gestürzt, als sie nicht mehr seine Lehrerin war. Dennoch, mein Gott, wo die Liebe hinfällt, kann man jetzt sagen. Wie reagierst du darauf?

[00:10:43.720] - Britta Rotsch

Macht mich ein bisschen wütend, weil ich merke, wie das einfach gesellschaftlich so verfestigt ist, dass das manchmal romantisiert wird. Macron war ja damals 15, als das passiert ist. Das heißt, er war in einer vollkommen Abhängigkeit und konnte seine Gefühle ja gar nicht richtig einordnen. Und wenn dann eine erwachsene Frau oder ein erwachsener Mann das so ausnutzt, finde ich einfach höchst problematisch.

[00:11:11.680] - Nadia Kailouli

Du hast ja dann auch eben, als du das dann, ich will nicht sagen öffentlich gemacht hast, aber mit anderen Leuten darüber gesprochen hast und dann heute als Journalistin auch arbeitest und dich damit dann weiterhin beschäftigt hast, dann bist du ja zu Erkenntnissen gekommen, die dir gezeigt haben: Ah, Moment mal, das betrifft nicht nur mich, das betrifft auch andere. Und irgendwie steckt da mehr dahinter, als einfach nur der eine Lehrer in einer Schule, der mal einer Schülerin geschrieben hat.

[00:11:39.530] - Britta Rotsch

Ja, also irgendwie haben wir durch die Beiträge, die ich zu dem Thema gemacht habe, haben mir natürlich immer mehr Frauen vor allem geschrieben, eigentlich nur Frauen. Die waren entweder jetzt gerade noch in der Schule oder schon 65 Jahre alt. Ich habe einfach gemerkt, dass sich das so weit zurückzieht, auch in die Vergangenheit, und dass die Muster immer sehr ähnlich sind, dass die Frauen das nie richtig benennen konnten, was da passiert ist, bis sie dann sozusagen was von mir gelesen oder gehört haben, dass sie das einordnen konnten, was da passiert ist. Das ist ja ganz klassisch einfach etwas, wo Betroffene gar nicht so richtig wissen, wie sie das einordnen können. Und das, glaube ich, ist einfach sehr hilfreich gewesen für viele.

[00:12:21.700] - Nadia Kailouli

Was hast du sozusagen gespiegelt oder erzählt bekommen von anderen, die dann durch deine Berichterstattung gesagt haben: "Ah Moment, ich habe das auch erlebt", und so. Waren das ähnliche Fälle? Waren das Sachen, wo man sich gefragt hat: Wie konnte das sein, weil das so systematisch von einem Lehrer an Schulen stattgefunden hat? Oder was sind da so deine Erfahrungen?

[00:12:41.130] - Britta Rotsch

Ja, also manchmal hatte ich das Gefühl, das klingt wie meine eigene Geschichte. Es sind oft einfach junge Frauen gewesen, die eher vielleicht ein bisschen unsicherer waren, die alle nicht so ein gutes Verhältnis vielleicht zu ihren Eltern hatten oder zumindest zu einem Teil. Das hatte sich auf jeden Fall als Muster herausgespiegelt. Dann ging es oft, dass es zum Beispiel sehr engagierte Lehrer sind. Also ich will jetzt nicht sagen, dass engagierte Lehrer per se irgendwie eine Gefahr darstellen oder so, aber das ist etwas, was einfach sich herausgestellt hat, ein Muster ist, dass zum Beispiel der Lehrer, der irgendwie Theaterunterricht gibt am Nachmittag, dann mit einer Schülerin eine herauszieht und mit der dann irgendwie noch raucht und dann so ein freundschaftliches Verhältnis irgendwie aufbaut. Das war auch bei Macron tatsächlich ja auch derselbe Fall. Dann irgendwie im Musikunterricht, dass man dann irgendwie jemanden fördert und unterstützt. Das waren alles Frauen, die sich irgendwie mit ihren Eltern vielleicht nicht so austauschen konnten, die irgendwie ausbrechen wollten aus dem, was sie sind und noch entdecken wollten, was vielleicht noch in ihnen steckt. Und das spüren ja Lehrkräfte irgendwie so ein bisschen, wenn jemand unsicher ist, und nehmen sich natürlich dann genau diese Menschen heraus.

[00:13:55.410] - Nadia Kailouli

Wie ist das denn dann? Also bespricht man das mit anderen Lehrern, hast du dann - du hast ja deinen Lehrer sozusagen konfrontiert, der dir diese E-Mails dann auch geschrieben hat - mit deiner Recherche, hast du auch andere Lehrer aus der Schule konfrontiert?

[00:14:10.990] - Britta Rotsch

Ich habe eine Lehrerin kontaktiert von damals, weil ich wusste, dass die beiden befreundet waren. Und sie hat mir dann auch recht schnell geantwortet und hat gemeint, dass sie davon wusste, dass der Lehrer irgendwann auf sie zukam und meinte: "Hey, ich muss dir was erzählen. Ich habe mich da in diese eine Schülerin verliebt." Und sie hat mir dann gesagt, dass sie das halt einfach lächerlich fand und ihm das auch gesagt hat, dass sie nicht davon ausgegangen wäre, weil er jetzt nicht der Schönling war, dass da etwas passieren könnte und hat das Ganze halt einfach nicht wirklich so ernst genommen. Und sie meinte auch, sie hätte sich nicht getraut, etwas zu sagen, weil ihr das unangenehm gewesen wäre.

[00:14:47.670] - Nadia Kailouli

Du hast jetzt gerade gesagt, er hatte erzählt, er hätte sich verliebt, also er hätte sich in dich verliebt. Hat er dir das auch so geschrieben: "Ich habe mich in dich verliebt, Britta"?

[00:14:58.040] - Britta Rotsch

Ja, das hat er mir genauso geschrieben und er hat mir dann auch irgendwann geschrieben, er hofft, dass ich ihm irgendwann glauben kann, dass er mich liebt. Das hat er schon ganz direkt einfach so formuliert.

[00:15:08.730] - Nadia Kailouli

Das ist natürlich etwas, wo man sich denkt, irgendwie … Also jetzt gerade denke ich mir selber, wie soll man darauf reagierend dann, wenn der Lehrer einem schreibt: "Ich habe mich in dich verliebt", dann bekommt man ja sozusagen … Ich weiß nicht, in welcher Gefühlslage warst du da? Hattest du es dann eher mit der Panik zu tun? Dachtest du so: "Ne, auf gar keinen…" Also wie reagiert man da, wenn der Lehrer sagt: "Ich habe mich in dich verliebt"?

[00:15:30.780] - Britta Rotsch

Also ich konnte das gar nicht richtig glauben, weil das für mich ganz absurd war, dass so ein alter Mann, der im Alter meines Vaters war, mir das schreibt. Noch dazu hatte ich nicht den Selbstwert, dass ich sagen würde: "Ja, jemand kann sich mich verlieben", so ein bisschen. Also vor allem nicht jemand, der irgendwie so intellektuell ist. Und ich weiß aber noch, dass sich auf jeden Fall so alles in mir zusammengezogen hat, weil es so falsch und übergriffig einfach sich angefühlt hat.

[00:15:57.600] - Nadia Kailouli

Hast du ihn sozusagen dann zurückgewiesen und gesagt: "Das möchte ich nicht", oder?

[00:16:04.680] - Britta Rotsch

Nein, gar nicht. Ich hatte noch nicht mal im Kopf, dass ich sozusagen "Nein" sagen kann. Das ist ja etwas, was ich erst viel später gelernt habe und damals gab es ja auch diese ganze #metoo-Bewegung noch nicht so wirklich. Also ich hatte nie im Kopf, dass ich sagen kann: "Ich möchte jetzt hier zurückgehen." Und ich wusste ja auch nicht, was passieren wird, wenn ich was sage, wenn ich handle. Und ich konnte auch gar nicht einschätzen, was das überhaupt alles ist. Also Machtmissbrauch und Manipulation, das geschieht ja immer so sehr subtil. Und dann als Jugendliche oder junger Erwachsene das einzuordnen, das war mir einfach damals nicht möglich.

[00:16:40.430] - Nadia Kailouli

Als du dann eben angefangen hast, genau darüber zu berichten und dann diese Rückläufe auch bekommen hast. Wie geht man dann damit auch um als Journalistin, wenn man sieht: Okay, das ist so ein eigener Fall, aus einer eigenen Betroffenheit stürze ich mich da rein, ich möchte dazu mehr erfahren, und dann kommt immer mehr zurück. Du hast dazu ja dann das Buch geschrieben, aber wie war der Prozess davor? Also was macht man dann damit, wenn man auf einmal auf dem Tisch so viele Fälle liegen hat, zu etwas, wo man ja weiß, okay, jeder von uns betritt die Schule in seinem Leben und jeder von uns geht irgendwo dann vielleicht die Gefahr ein, an so einen Lehrer zu kommen, der seine Macht missbraucht.

[00:17:20.050] - Britta Rotsch

Für mich war das auf jeden Fall ein Antrieb, da weiterzugehen. Ich habe mir halt alle Geschichten angehört und mit den Betroffenen auch telefoniert und die getroffen und habe aber recht schnell einfach dann in meiner Recherche gemerkt, dass ich kaum Handlungsspielraum habe, da etwas zu verändern, weil irgendwie die Schulmauern so dick sind, dass ich da nicht so richtig durchkomme. Das System schützt sich halt selbst. Alle in der Politik, in der Bildungspolitik oder sonst irgendwo, deklarieren das als Einzelfälle. Das macht es natürlich sehr, sehr schwer. Statistiken habe ich versucht irgendwie zu bekommen. Das war auch eine große Herausforderung. Viele Bundesländer haben gesagt: "Ja, dazu gibt es bei uns nichts. Unter Machtmissbrauch ist sowieso überhaupt nichts aufgegriffen." Da habe ich noch mal versucht, das anders zu formulieren. Habe eventuell ein paar Zahlen bekommen, aber die Dunkelziffer ist natürlich viel, viel höher. Also das macht es natürlich sehr schwierig, dazu zu recherchieren, wenn das Außen sich so schützt und sagt: "Nein, also das Schulsystem, das ist ganz sicher und da passiert nichts." Und Lehrkräfte schützen sich teilweise untereinander oder sagen: "Sie wollen das jetzt nicht kommentieren, weil sie haben Angst um ihre Stellung." Und das ist einfach ganz schwierig gewesen.

[00:18:32.770] - Nadia Kailouli

Wenn du von Zahlen sprichst, von wem wurden diese Zahlen erhoben und was haben sie dir vor allem so gesagt?

[00:18:40.870] - Britta Rotsch

Ja, also ich bin halt an die Schulbehörden ran und an die Bildungsinstitute und die haben mir dann teilweise natürlich Zahlen gegeben. Ich habe das ja für den ganzen Dachraum gemacht, auch für die Schweiz und Österreich. In Österreich habe ich übrigens keine einzige Zahl bekommen. Da gab es dann oft die Argumentation: "Ja, unser Bundesland ist so klein, das würden wir wissen, wenn hier was wäre." Ja, und ansonsten habe ich auch mit einem Experten gesprochen, einem Psychotherapeut, der eben dazu forscht auch. Und der hat auch gesagt, dass er eben Studien rausbringen wollte und letztendlich die Bildungspolitik dann die Fenster geschlossen hat zu diesem Thema, weil sie irgendwie so ein bisschen auch wieder gesagt haben: "Dafür sind keine Gelder da. Das ist wirklich etwas, was nicht vorkommt." Also ich verstehe das nicht so richtig. Es gibt teilweise Zahlen und es gibt Fälle, wie die Odenwaldschule. Es gibt ja immer wieder in den Medien Fälle, die ans Licht kommen und trotzdem sagt man: "Nein, das passiert nicht." Das macht es natürlich unglaublich schwierig und auch für die Betroffenen ist es ja ganz schwer, dann überhaupt was zu sagen, wenn man merkt, einem wird nicht geglaubt oder das wird einfach gesellschaftlich nicht anerkannt.

[00:19:56.100] - Nadia Kailouli

Ist es dann auch so, ich finde es so absurd, weil die Schule ist ja der Raum, wo wir junge Menschen dann die Sprache an die Hand bekommen. Wenn es solche Vorfälle in Kitas gibt, dann sind die Kinder oft so klein, dass sie noch gar nicht wissen, wie sollen sie das benennen in Worte, was da gerade passiert. In der Schule sieht das dann anders aus. Wir können uns ausdrücken und dann müsste man doch eigentlich von einer Schule erwarten, dass diese sensibilisiert dafür, ihre Schülerinnen und Schüler, dass wenn sich einer im Kollegium nicht korrekt verhält und man sich nicht gut behandelt fühlt von einem Lehrer oder eben in missbräuchliche Situationen gerät, dass das kein Tabu ist, dass man das ansprechen kann beim Vertrauenslehrer oder ich weiß nicht was. Blöd, wenn es dann der Vertrauenslehrer ist, klar, aber du weißt, was ich meine. Das heißt, die Schulen, mit denen du so gesprochen hast oder deine Recherche zeigt, dass da eigentlich keine Offenheit für ist?

[00:20:52.560] - Britta Rotsch

Also ich würde es jetzt nicht so direkt sagen, aber es ist auf jeden Fall ein bisschen problematisch. Also die Schuldirektion ist ja auch manchmal oft männlich besetzt. Und mir haben zum Beispiel zwei Schülerinnen erzählt, dass sie eigentlich zum Direktor wollten und haben sich dann dagegen entschieden, weil er ihnen dann, als sie ihm irgendwie privat in der Stadt begegnet sind, auch sie kommentiert hat: Oh ja, wie gut sie nicht aussehen und so was. Da herrscht natürlich dann ein anderes Vertrauen einfach. Vertrauenslehrer, ich weiß nicht, ob du dich erinnern kannst, ob du jemanden hattest. Ich weiß nur, dass wir eigentlich nie Kontakt zu den Menschen hatten, die da irgendwie als Vertrauenslehrer deklariert waren. Also geht man zu einer fremden Person? Eher nicht. Und dann ist ja immer die Frage: Wird einem geglaubt, sozusagen, als Betroffene? Oder wem glaubt man? Dann schützen sich ja oft einfach Lehrer:innen gegenseitig. Und diese ganze Präventionsarbeit, die habe ich jetzt von Lehrkräften gehört, hat mir eine geschrieben: Ja, Sie haben das sozusagen nicht in der Schule drin. Wenn Sie sich auf dieses Thema, also wenn Sie sich da fortbilden wollen, dann müssen Sie es eigentlich selbst machen, auch selbst Geld in die Hand nehmen, weil einfach die Gelder dafür nicht da sind.

[00:22:09.690] - Britta Rotsch

Und ich habe auch mit einer Lehrerin gesprochen, da gab es auch einen größeren Fall an einer Schule in Niederösterreich. Und die hat auch gesagt: "Hey, wir müssen doch jetzt weiter einfach regelmäßig dazu die Lehrkräfte stärken. Wir müssen mit den Schüler:innen sprechen." Und der Direktor hat nur gesagt: "Nein, sorry, ist es einfach kein Geld dafür da." Und man möchte dann teilweise einfach auch wieder so den Deckel drauf machen. Es gibt zwar diese sogenannten Schutzkonzepte in Schulen, aber dass da wirklich die Lehrer und Lehrerin dann wissen, wie sie vorgehen, das ist meistens nicht der Fall. Und das ist halt problematisch. Also ich glaube, dieses sich nicht eingestehen wollen, dass etwas passiert an einem Ort, zu dem jeder geht, wo eigentlich jeder geschützt sein sollte, das ist halt das Hauptproblem, würde ich sagen.

[00:22:56.940] - Nadia Kailouli

Du schreibst ja auch in deinem Buch von einer, die den Hausmeister sozusagen gemeldet hat, weil der Hausmeister sich in dem Fall nicht korrekt verhalten hat und sie wurde da eigentlich gar nicht ernst genommen. Ist das die Problematik, dass man dann junge Menschen an Schulen, die irgendwas anprangern, erst mal auch nicht ernst nimmt, wenn sie etwas im System kritisieren?

[00:23:17.550] - Britta Rotsch

Ja, und das war ja noch nicht mal eine junge Person, sondern eine erwachsene Frau, die das problematisiert hat. Und das ist natürlich etwas, wo ich auch gedacht habe: "Was kann man dann noch machen?" Dass man einer Schülerin oder einem Schüler nicht glaubt, das kann ich zwar nicht nachvollziehen, aber das ist auf jeden Fall gängiger im Kopf, als wenn eine Person, die in diesem System arbeitet, zu einer Stelle geht und sagt: "Ich habe das und das beobachtet. Ich habe das hier alles schriftlich. Die Eltern machen sich auch schon Gedanken und Sorgen, dass ihr nicht geglaubt wird." Das fand ich schwierig. Und sie hat auch gesagt, dass es eigentlich nicht möglich ist, diese Schulmauer zu durchbrechen. Dann haben sie gesagt, dieser Hausmeister, der ist irgendwie mit dem Direktor befreundet und der Direktor ist irgendwie mit einem vom Schulamt befreundet. Also diese Vetternwirtschaft untereinander hat es natürlich sehr schwer gemacht und auch das Bagatellisieren, dass man ernst genommen wird, dass vielleicht jetzt nicht gleich sexualisierte Gewalt vorgekommen ist, sondern dass es ja auch auf einer emotionalen Ebene stattfinden kann. Das ist ja noch weniger gesellschaftlich anerkannt.

[00:24:22.950] - Nadia Kailouli

Und in deinem Fall sieht man ja auch, ohne da jetzt irgendwas zu sagen, was hätte passieren können – das ist mir schon klar – aber die Einladung zu sich nach Hause, die wurde ja nun mal schriftlich an dich herangetragen von ihm, ne?

[00:24:35.540] - Britta Rotsch

Ja, ganz genau.

[00:24:36.890] - Nadia Kailouli

Also ich meine, man kann ja einfach von Glück sprechen, dass du gesagt hast: "Nein, ich möchte das nicht. Ich gehe da nicht mit nach Hause." Und Du warst da schon 18, aber wenn so eine E-Mail eine 13-Jährige erreicht, kann das auch anders ausgehen. Jetzt ist es ja so, dass du die E-Mails ja auch in deinem Buch mitunter zeigst. Also man kann sozusagen lesen, was da passiert ist. Wie kommt es, dass du die … Also du hast die aufgehoben, richtig?

[00:25:05.840] - Britta Rotsch

Ja, ich habe die archiviert, genau.

[00:25:07.610] - Nadia Kailouli

Warum hast du das gemacht?

[00:25:11.060] - Britta Rotsch

Ich glaube, dass ich schon unterbewusst gemerkt habe, dass hier irgendwas falsch ist und habe die als Beweis gesammelt. Und das war ja auch gut so, weil ich natürlich sehr lange das Gefühl hatte, dass mir niemand glauben würde und ich mir das vielleicht selbst dann auch so von außen einreden lasse, dass ich mir das alles eingebildet habe. Ich glaube, ich habe mir das einfach als eine Schutzmaßnahme aufgebaut.

[00:25:35.030] - Nadia Kailouli

Darf ich etwas vorlesen?

[00:25:36.550] - Britta Rotsch

Ja.

[00:25:37.290] - Nadia Kailouli

Er hatte zum Beispiel einmal geschrieben: "Hallo, Britta. Hast du Interesse am kommenden Freitag, 11.01., mit mir mit auf eine Autorenlesung zu kommen? Dann denkt man sich erst mal so: "Puh, okay, das ist ja irgendwie auch interessant. Da fragt mich mein Lehrer, mein Deutschlehrer, ob ich mit dem auf eine Autorenlesung kommen möchte." Da denke ich ja erst mal … Oder ich weiß nicht, was ich erst mal denke, aber ich denke mir so, gerade wenn ich es so lese: "Komisch, aber der meint es ja gut, weil ich könnte ja dabei was lernen." Wie hast du darauf reagiert?

[00:26:10.490] - Britta Rotsch

Also es war ja nicht das erste Mal, dass er mich zu irgendwas eingeladen hat. Ich habe dann so halb irgendwie abgesagt und irgendeinen Grund vorgeschoben. Er hat mir danach dann noch geschrieben, wie das war und hat gemeint: "Ja, es war wahrscheinlich eh gut, dass du nicht dabei warst. Wahrscheinlich hättest du dich unwohl gefühlt, weil da viele Menschen in seinem Alter waren, eben auch Leute, die er kannte." Also das finde ich auch so absurd einfach, dass da würde doch jeder nachfragen: "So was zur Hölle macht bitte deine Schülerin mit dabei?" Und das waren auch natürlich Gedanken in meinem Kopf, also nicht nur, wenn uns jemand sieht, sondern es fühlt sich einfach nur falsch an, da hinzugehen. Und dass er aber bewusst das in Kauf genommen hat, finde ich ja schon sehr interessant.

[00:26:51.380] - Nadia Kailouli

Ich würde gerne noch eine Sache vorlesen, die etwas klarer, noch klarer ist. Da schreibt er: "Du hängst dir blutrote Schmucksteine ans Ohr. Blutrot, das passt zu dir. Das ist alles zugleich. Höchste Erregung, schrillste Alarm, Glut, Angriff deinerseits, aber auch Stopp für die anderen. Eben genau: Schwarz und blutrot. Deine Farben." Das ist natürlich etwas, wo man sich denkt: „Puh, was ist denn mit dem jetzt los?" Und da hast du gemerkt: "Das lösche ich jetzt mal lieber nicht?"

[00:27:27.770] - Britta Rotsch

Ja, also ich habe ja ein GMX-Postfach. Das heißt, ich kann ja dann Step by Step auch nachgehen, noch E-Mails archivieren und speichern. Und das habe ich dann auch irgendwann gemacht, aber erst nach der Schulzeit. Ja, und das war natürlich eine Mail ich sage mal, die ist noch relativ harmlos. Das hat mir dann einfach nur so ein bisschen gezeigt: Okay, irgendwie, ich werde hier so nach Äußerlichkeiten so ein bisschen bewertet und habe mich da jetzt auch nicht so richtig wiedergesehen, einfach. Aber so hat er mich ja natürlich oft dargestellt und wahrgenommen. Er hat mir ja noch viel andere ärgere Sachen geschrieben.

[00:28:07.750] - Nadia Kailouli

Was war für dich so, kann man das so sagen, das Schlimmste?

[00:28:14.800] - Britta Rotsch

Also es gab so unterschiedliche Sachen. Einmal hat er mir geschrieben gehabt, dass ich jetzt mal glauben soll, dass ich halt eine erwachsene Frau bin und ich soll mich vor den Spiegel stellen und nackt ausziehen. Und dann habe ich das gelesen und dachte mir so: “Okay, wenn bei mir gerade schon das Bild entsteht, dass ich nackt vor dem Spiegel stehe, dann wird das ja bei ihm auch eigentlich passiert sein." Das fand ich schon sehr eklig. Und dann hat er mir mal eine Parabel geschrieben, die hat er mir geschickt. Und der hat ja dann geschrieben, dass ich am Ende, wenn ich bei ihm irgendwie in der Wohnung bin oder nicht weiß, ob ich reingehen soll, was da denn bitte passieren soll und dass, wenn er mir was antun würde, dass man halt die Schreie, die von mir kommen würde, würde man halt nicht hören und so. Und es hat sich so angehört, wie so eine komische Vergewaltigungsfantasie, die da entsteht. Oder manchmal hat er mir auch von seinen Träumen berichtet und dann hat er die immer übersetzt und hat dann so lateinische und italienische Wörter reingeworfen und hat dann immer von "Ficken" und "Penis" und so was geschrieben. Also das waren lauter so Sachen, die halt sehr eklig waren.

[00:29:21.890] - Nadia Kailouli

Weißt du aufgrund deiner Recherche, wie da die Rechtslage ist eigentlich, wenn ein Lehrer einer Schülerin so etwas schreibt?

[00:29:30.140] - Britta Rotsch

Ja, das ist halt sehr schwierig, weil ich ja schon erwachsen sozusagen nach dem Recht war und ja dann auch nicht im Kontext, in der Schulzeit das gemeldet habe. Wie das jetzt schriftlich ist, weiß ich gar nicht so genau. Ich weiß nur, dass generell das einfach schwierig ist, da was zu machen. Also jetzt habe ich zum Beispiel letztes Jahr, haben mir zwei Schülerinnen geschrieben und da hat sich der Lehrer auch über SMS und WhatsApp an die teilweise gemacht. Da hatten die dann schriftliche Belege und haben die dokumentiert. Und ich habe die dann ermutigt, zur Direktion zu gehen. Das haben sie dann auch gemacht. Und das war ein Glücksfall für die, dass sie sozusagen was Schriftliches hatten, weil dann konnten die Lehrer und Lehrerinnen ja nichts mehr machen, als denen nur zu glauben und haben dann halt Schritte eingeleitet. Das ist halt gut. Aber ansonsten ist die Rechtslage sehr schwer für Leute, die schon irgendwie 18 sind und teilweise auch mitgemacht haben. Das ist ja das Problem, dass man so manipuliert wird, dass man ja irgendwann auch mitmacht. Und da hat mir auch eine Juristin gesagt: "In den Fällen ist es fast unmöglich, etwas zu machen."

[00:30:36.540] - Nadia Kailouli

Wahnsinn, oder?

[00:30:38.010] - Britta Rotsch

Ja, das ist ganz frustrierend.

[00:30:40.390] - Nadia Kailouli

Dass es gar nichts zählt, dass da so ein Gefälle ist von Macht, eben Lehrer, Schüler, viel, viel älter, ja, volljährig, aber erst 18, und dass da einfach gar keine Möglichkeit besteht, zu sagen, das kann man juristisch dennoch anzeigen oder prangern oder was weiß ich. Weißt du, was heute mit deinem Lehrer ist? Ist der noch an der Schule?

[00:31:04.030] - Britta Rotsch

Ich weiß nur, dass er mittlerweile in der Erwachsenenbildung tätig ist und Erwachsene unterrichtet, aber mehr weiß ich auch nicht.

[00:31:13.580] - Nadia Kailouli

Was würdest du dir wünschen? Du hast ja viele Schulen angeschrieben, Bildungsstätten angeschrieben. Was würdest du dir wünschen in dem Zusammenhang, auch vor allem mit den ja sehr persönlichen Zuschriften, die du bekommen hast?

[00:31:28.370] - Britta Rotsch

Ja, dass das nicht mehr so bagatellisiert wird, würde ich mir wünschen, dass vor allem … Es passiert ja nicht so oft, dass sozusagen auch ein sexueller Übergriff oder sexualisierte Gewalt dann passiert. Es passiert ja vor allem auch oft auf dieser emotionalen Ebene oder in diesen Graubereichen, dass dem eine so eine Wichtigkeit angesehen wird, wie wenn es jetzt was Sexualisiertes ist, weil das sagen auch Experten: Ein emotionaler Machtmissbrauch ist mindestens genauso schlimm wie ein sexualisierter Gewaltmussbrauch. Das würde ich mir wünschen und dass es ernst genommen wird und Präventionsarbeit einfach geleistet wird, dass nicht immer nur gesagt wird, das ist ein Einzelfall und wir können hier nichts machen oder Sonstiges, dass das einfach mal ernst genommen wird und da auch wirklich Geld reingesteckt wird.

[00:32:11.440] - Nadia Kailouli

Ich finde, wir haben heute einen ganz guten Eindruck durch dich bekommen, inwieweit eben diese Verschriftlichung von Machtmissbrauch, wie schädlich die sein kann, was das mit einem macht und dass das nicht in Ordnung ist. Und ich kann jedem nur empfehlen, sich dein Buch dazu durchzulesen, um zu erfahren: Ja, oh Gott, das liest sich hier alles nicht gut. Das ist hier absolut grenzüberschreitend. Und nein, Britta und Co sind keine Einzelfälle. In diesem Sinne sage ich vielen, vielen Dank, dass du heute unser Gast warst und uns diese Einblicke gegeben hast.

[00:32:44.650] - Britta Rotsch

Danke, hat mich gefreut.

[00:32:50.780] - Nadia Kailouli

Machtmissbrauch in der Schule von Lehrerinnen und Lehrern. Ich glaube, dass das heute ganz gut rausgekommen ist, dass das tatsächlich existiert, und zwar eben nicht nur in den Einzelfällen. Ich finde es teilweise wirklich erschreckend, dieses Buch zu lesen, diese E-Mails zu lesen, die Britta da von ihrem Lehrer bekommen hat. Aber ich finde es gleichzeitig auch sehr mutig, dass Britta ihren eigenen Fall so transparent gemacht hat und selbst in die Recherche dann gegangen ist und damit ein Themengebiet aufgedeckt hat, wo wir alle sagen müssen: Ja, auch ihr Schulen müsst euch mit dem Thema besser auseinandersetzen und müsst Schülerinnen und Schüler eben dahingehend sensibilisieren, dass es nicht okay ist, wenn Lehrerinnen oder Lehrer eine Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern aufbauen wollen.

[00:33:38.860] - Nadia Kailouli

Zum Abschluss hier noch eine wichtige Info: Wir bekommen von euch oft Rückmeldung und viele Fragen dazu, wie man eigentlich mit Kindern über sexualisierte Gewalt sprechen kann. Da kriegen wir zum Beispiel Fragen: "Wie soll ich mein Kind überhaupt fragen, ob da was passiert ist?" Oder zum Beispiel: "Wie sage ich meinem Kind, dass wenn Freunde zu Besuch sind und wir grillen, dass mein Kind nicht die Unterhose ausziehen soll?" Solche Fragen erreichen uns und dieses Thema beschäftigt euch und wir möchten euch dabei gerne unterstützen. Deshalb haben wir uns überlegt, regelmäßig eine Expertin einzuladen, die eure Fragen beantwortet. Einige von euch kennen Ulli Freund vielleicht schon aus der Folge 82 einbiszwei. Also schickt uns gerne eure Fragen an Ulli Freund per E-Mail an einbiszwei@ubskm.bund.de oder schreibt uns auf Instagram. Ihr findet uns unter dem Handle "Missbrauchsbeauftragte". Wir freuen uns auf jede Frage von euch, die wir hier auf jeden Fall sehr respektvoll behandeln wollen.

Mehr Infos zur Folge

Britta Rotsch ist 18 Jahre alt, als ein Lehrer anfängt, ihr per E-Mail Liebesbriefe zu schreiben. Sie ist verwirrt, findet die Nachrichten des Mittfünfzigers abstoßend, bricht den Kontakt aber nicht ab. Irgendwie genießt sie die Anerkennung, die er ihr gibt und die sie als unsichere Jugendliche sucht. Erst viele Jahre später, als sie anderen davon erzählt und diese schockiert reagieren, erkennt sie die Situation als das, was sie war: eine Grenzüberschreitung, ein klarer Machtmissbrauch.

Britta, inzwischen Journalistin und Autorin, spricht mit vielen Betroffenen, recherchiert weitere Fälle und trägt die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt an Schulen zusammen und schreibt das autobiografisch geprägte Sachbuch „Wenn Lehrer Grenzen überschreiten“.  Über ihre Erfahrung macht sie 2023 auch ein DLF-Feature: Viele Frauen berichten ihr nach Veröffentlichung über ähnliche Erfahrungen, von unangemessenen Berührungen bis hin zu sexuellen Übergriffen. Warum sexuelle Gewalt an Schulen ein strukturelles Problem ist und welche Rolle Geschlechterhierarchien spielen, erzählt Britta Rotsch bei einbiszwei. 

Britta Rotsch mit verschränkten Armen im Halbprofil, schwarz-weißes Porträtfoto

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

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