Bundespressekonferenz
Prävention | Pressemitteilungen | 03.05.2016

Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs stellt Arbeitsprogramm 2016-2019 vor.

Betroffene und Zeitzeugen können sich ab heute bei der Kommission melden, um an Anhörungen teilzunehmen. Erste Anhörungen sollen bereits im Herbst 2016 stattfinden.
Das Infotelefon Aufarbeitung 0800 4030040 (anonym und kostenfrei) und die Website www.aufarbeitungskommission.de informieren über die Arbeit der Kommission und den Ablauf der Anhörungen. Betroffene und Zeitzeugen können ab heute telefonisch oder schriftlich mit der Kommission in Kontakt treten, um an Anhörungen teilzunehmen. Prof. Dr. Sabine Andresen, Vorsitzende: „Die Einrichtung einer Kommission ist zentral für die Anerkennung des Unrechts und Leids von Betroffenen auf gesellschaftlicher und institutioneller Ebene. Betroffenen wurde selten zugehört und oft nicht geglaubt. Wir müssen das strukturelle Versagen des Kindesschutzes aufdecken und uns dem Verschweigen und Wegschauen in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR schonungslos stellen.“ Berlin, 03.05.2016. In der heutigen Auftaktpressekonferenz hat die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Prof. Dr. Sabine Andresen, gemeinsam mit den ständigen Gästen der Kommission, dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, und den Mitgliedern des Betroffenenrates beim Unabhängigen Beauftragten, Tamara Luding und Matthias Katsch, das Arbeitsprogramm der Kommission 2016–2019 vorgestellt.  Der Deutsche Bundestag hat sich im Sommer 2015 für die Einrichtung einer Aufarbeitungskommission ausgesprochen. Die Kommission wurde vom Unabhängigen Beauftragten im Januar 2016 bis zum Ende seiner Amtszeit, bis Ende März 2019, berufen. Die sieben Kommissionsmitglieder sind ehrenamtlich tätig. Rörig: „Wir müssen uns als Gesellschaft damit auseinandersetzen, dass wir in der Vergangenheit bei sexuellem Kindesmissbrauch zu oft weggesehen und geschwiegen haben. Wegsehen, Schweigen und Bagatellisieren sind auch heute noch die zentralen Gründe, warum sich im Bereich von Schutz und Hilfen bei sexueller Gewalt an Mädchen und Jungen zu wenig bewegt. Das Investment in Prävention und Hilfen steht bis heute in keinem Verhältnis zum Ausmaß dieser Verbrechen! Die neue Kommission wird dazu beitragen, dass Verantwortliche in Politik und Gesellschaft eine größere Vorstellung davon bekommen, welches enorme Leid und welche schweren Folgen sexueller Kindesmissbrauch im Leben von Menschen – und damit auch in unserer Gesellschaft – anrichtet. Wir dürfen Kindern nicht länger den Schutz vorenthalten, den wir ihnen schon längst geben könnten! Nur durch konsequent politisches und gesellschaftliches Handeln kann der tausendfache Missbrauch beendet werden!“ Die Kommission wird Missbrauch in Institutionen und in weiteren Kontexten wie beispielsweise in der Familie, durch Fremdtäter/-innen oder durch rituelle Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR untersuchen. Sie wird Strukturen aufdecken, die Missbrauch in der Vergangenheit ermöglicht und Aufarbeitung verhindert haben, Forschung initiieren und Eckpunkte einer gelingenden Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch modellhaft für Einrichtungen und Organisationen entwickeln. Hierzu wird die Kommission bundesweit Betroffenen das Sprechen in vertraulichen und öffentlichen Anhörungen ermöglichen. Zudem wird sie schriftliche Berichte von Betroffenen auswerten, Zeitzeugengespräche, Werkstattgespräche und Fachveranstaltungen durchführen, Archivrecherche und Dokumentenanalyse betreiben und vorliegende Aufarbeitungs-berichte auswerten. International ist die Aufarbeitungskommission die erste Kommission, die Missbrauch in institutionellen Einrichtungen und in weiteren Kontexten in den Fokus nehmen wird. Prof. Andresen: „Die Anhörungen von Betroffenen sind der Kern unserer Arbeit. Wir wollen Betroffenen geschützte Räume des Sprechens ermöglichen. Wir hoffen, dass sich Betroffene aus vielen verschiedenen Kontexten und jeden Alters, beispielsweise auch junge Erwachsene, bei uns melden. Es ist wichtig, dass wir den Blick auch auf Bereiche richten, die wir möglicherweise heute noch nicht ausreichend im Fokus haben oder uns neu erschließen müssen. Wir sind sehr gespannt, wie sich der Prozess der Aufarbeitung in Deutschland entwickeln wird.“  Katsch: „Wir haben als Betroffene lange für eine unabhängige Aufarbeitung gekämpft, weil sexueller Missbrauch kein privates Schicksal, sondern ein institutioneller und gesellschaftlicher Skandal ist! Wir müssen endlich strukturelle Ursachen und Verantwortlichkeiten in den Blick nehmen. Deshalb fordere ich Betroffene auf, sich mit ihrer Geschichte an die Kommission zu wenden“. Luding: „Wir erleben einen historisch einzigartigen Moment. Diese Kommission ist weltweit die erste, die sich auch um Opfer sexueller Gewalt in der Familie kümmert. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen sich zu Wort melden. Die Geschichten der Betroffenen zählen. Sie werden etwas bewirken. Sie werden dazu beitragen, dass die Menschen aus Politik und Gesellschaft begreifen, was es wirklich bedeutet, missbraucht zu werden. Nur so können wir etwas verändern, auch im Interesse der heutigen Kinder und Jugendlichen.“ Die Anhörungen finden bundesweit und dezentral statt. Sie werden von Mitgliedern der Kommission und ihrem erweiterten Anhörungsteam (Anwältinnen/Anwälten und Psychologinnen/Psychologen) durchgeführt. Die Anhörungen beginnen im Herbst. Ein erstes öffentliches Hearing soll Ende 2016 stattfinden. Der Zwischenbericht soll 2017, ein weiterer Bericht im März 2019, erscheinen.

Vorsitz und Mitglieder der Kommission: Vorsitz: Prof. Dr. Sabine Andresen (Erziehungswissenschaftlerin); Mitglieder: Dr. Christine Bergmann (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend a. D.), Prof. Dr. Jens Brachmann (Bildungshistoriker), Prof. Dr. Peer Briken (Sexualwissenschaftler und Psychotherapeut), Prof. Dr. Barbara Kavemann (Sozialwissenschaftlerin), Prof. Dr. Heiner Keupp (Sozialpsychologe) und Brigitte Tilmann (Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt/M. a. D.); Ständige Gäste: Tamara Luding und Matthias Katsch (Mitglieder des Betroffenenrates beim Unabhängigen Beauftragten), Johannes-Wilhelm Rörig (Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs) und Dr. Manuela Stötzel (Leiterin des Arbeitsstabes des Unabhängigen Beauftragten)

Weitere Informationen: www.aufarbeitungskommission.de

Büro der Kommission: Susanne Fasholz-Seidel, Tel. 030 18555-1572, susanne.fasholz@aufarbeitungskommission.de
Pressekontakt: Friederike Beck, Tel. 030 18555-1554, friederike.beck@ubskm.bund.de

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