Berlin/Bonn, 13.09.2025. Die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (UBSKM), Kerstin Claus, nahm heute an der Veranstaltung „Musik Macht Missbrauch" im Rahmen des Beethovenfestes Bonn teil. Der Lieder- und Gesprächsabend im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses thematisierte künstlerisch wie diskursiv Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt in der klassischen Musik.
Der Pianist und Lyriker Daniel Arkadij Gerzenberg und die Sopranistin Sophia Burgos präsentierten ein eindrucksvolles Programm: Klassische Lieder von Franz Schubert und Hugo Wolf, elektronisch verfremdete Improvisationen sowie die Uraufführung einer Komposition von Hector Docx verbanden sich zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Themen Gewalt, Abhängigkeit und fehlender Achtsamkeit im Musikbetrieb. Ausgangspunkt war auch Gerzenbergs Langgedicht „wiedergutmachungsjude“, in dem er eine eigene Missbrauchserfahrung verarbeitet. Der musikalische Teil machte erlebbar, wie Machtmissbrauch im Kulturbereich wirkt – und wie Kunst selbst ein Raum der Verarbeitung und Heilung sein kann.
Im Anschluss diskutierte ein interdisziplinäres Podium über strukturelle Missstände im Kunst- und Kulturbetrieb sowie konkrete Schutzmaßnahmen. Neben Kerstin Claus, nahmen Prof. Dr. Jörg Fegert (Universität Ulm), Prof. Lydia Grün (Präsidentin der Hochschule für Musik und Theater München) sowie Daniel Arkadij Gerzenberg selbst teil.
Claus betonte: „Ich bin sehr dankbar für diese wichtige Initiative des Beethovenfestes", und verwies dabei auf die spezifischen Risiken der Branche: „In Hochschulen und Ausbildungsstätten für Musik, Theater oder Tanz gibt es besondere Risiken. Hierarchien sind oft steil, Macht ist häufig stark konzentriert – etwa in der Person einer renommierten Professorin oder eines bekannten Gastdozenten. Für junge Talente, die auf Förderung und Netzwerke angewiesen sind, können daraus gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse entstehen, in denen Übergriffe häufig verschwiegen oder relativiert werden.“
Besonders problematisch sei der hohe Leistungsdruck in Elite-Fördersituationen. „Jugendliche wollen alles geben, um es zu schaffen. Täter und Täterinnen nutzen diesen Ehrgeiz und die Hingabe der jungen Menschen aus, um Grenzen zu überschreiten", erläuterte Claus. Hinzu komme, dass Grooming-Strategien in solchen Settings besonders erfolgreich seien, da sie zunächst als Förderung oder besondere Aufmerksamkeit wahrgenommen werden könnten.
Die Missbrauchsbeauftragte verwies in der Diskussion auch auf gesetzliche Fortschritte, etwa das neue "Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen"), das die Pflicht zur Erstellung von Schutzkonzepten auf alle Angebote der Kinder- und Jugendhilfe ausgeweitet hat. Gleichzeitig mahnte sie Lücken an: „Private und gewerbliche Angebote wie Musikschulen, Tanzstudios oder Schauspielkurse fallen bisher oft durch das Raster. Auch hier braucht es gesetzlich verpflichtende Schutzkonzepte.“
Ein weiterer Schwerpunkt war die Bedeutung von Aus- und Fortbildung: Alle Menschen die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten – sei es als Musikdozentin oder als Dirigent eines Jugendorchesters – müsse Warnsignale erkennen, angemessen reagieren und Täterstrategien verstehen können. „Junge Künstler*innen brauchen Ansprechpersonen, denen sie vertrauen und die Hinweise ernst nehmen", betonte Claus. Nur durch ein offenes Gesprächsklima, klare Verhaltensregeln und sichtbare Anlaufstellen lasse sich verhindern, dass Übergriffe verschwiegen oder bagatellisiert würden. Nur so könne sich langfristig eine Kultur der Achtsamkeit und Wachsamkeit etablieren.
Daniel Arkadij Gerzenberg, der seit 1. August 2025 auch mit Mitglied im neuen Betroffenenrat (2025 - 2030) der Missbrauchsbeauftragten ist, betonte in einem Interview gegenüber dem Magazin des Beethovenfests: "Wir setzen uns zwar mit einem verstörenden Thema auseinander, aber wir tun dies im Rahmen der Kunst und ermöglichen dadurch einen Zugang, der nicht verstörend wirkt, sondern Empathie und Verständnis erzeugt. Uns ist daran gelegen, einen emotionalen Rahmen zu schaffen, in dem die Auseinandersetzung möglich ist. Denn diese ist unabdinglich, damit sich etwas ändert. Unsere Arbeit als Künstler:innen ist es, dieses Konzert so zu gestalten, dass das Publikum sich nicht überwältigt, sondern an der Hand genommen fühlt – damit wir gemeinsam in den Abgrund schauen können, ohne hineinzufallen."
Das Konzert entstand im thematischen Anschluss an das Projekt „Inside Artists", das im Vorjahr durch die Liz Mohn Stiftung und „tuned – Netzwerk für zeitgenössische Klassik" der Kulturstiftung des Bundes gefördert wurde. Die Veranstaltung war Teil des diesjährigen Beethovenfestes unter dem Motto „Alles ultra", das vom 29. August bis 27. September rund 80 Konzerte, Talks, Ausstellungen und Workshops veranstaltet.
Weitere Informationen:
https://www.beethovenfest.de/de/programm-tickets/musik-macht-missbrauch/583
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