Berlin, 14.11.2025. Im Bundeshaushalt für das kommende Jahr sind keine Gelder mehr für den Fonds Sexueller Missbrauch eingeplant. Dieses Ergebnis der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses wurde heute scharf von der Unabhängigen Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (UBSKM), Kerstin Claus, dem Betroffenenrat beim UBSKM-Amt und der Unabhängigen Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs kritisiert.
Die Statements im Einzelnen:
Unabhängige Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (UBSKM), Kerstin Claus: „Dass es nicht gelungen ist, den Fonds für das Haushaltsjahr 2026 finanziell abzusichern, ist für Betroffene ein Desaster. Der Staat verweigert damit Hilfe und Unterstützung genau dort, wo er am meisten versagt hat: beim Schutz der Kinder und Jugendlichen. Der Fonds hat Betroffenen späte Anerkennung und Perspektiven ermöglicht, wo staatliche Systeme aufgrund der hohen Hürden beim Nachweis der Tat und ihren Folgen nicht greifen. Er hat Leben wirklich verändert und muss als niedrigschwelliges Hilfesystem weiter erhalten bleiben. Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zum Erhalt des Fonds verpflichtet. Jetzt erwarte ich, dass der Bundeskanzler gemeinsam mit der zuständigen Ministerin Karin Prien umgehend Lösungsvorschläge vorlegt und damit die Zusage an die Betroffenen umsetzt. Auch wenn aktuell noch keine gesetzliche Grundlage vorliegt, hätte einer Fortführung des Ergänzenden Hilfesystems nichts im Wege gestanden, da die seit 2025 geltende Billigkeitsrichtlinie eine haushaltsrechtlich konforme Lösung zur Weiterführung darstellt. Einzig wegen der fehlenden finanziellen Ausstattung hat das zuständige Familienministerium den aktuellen Antragsstopp verhängt.
Bis zuletzt hatte Familienministerin Prien eine gesetzliche Lösung in Aussicht gestellt. Allerdings kann und darf das Fehlen einer solchen gesetzlichen Verankerung jetzt nicht als Begründung der Abgeordneten genutzt werden, die finanziellen Mittel nicht im Haushalt 2026 einzuplanen. Denn eine Fortführung auf Grundlage der 2025 geänderten Billigkeitsrichtline wäre jederzeit möglich. Der seitens des Ministeriums beschlossene Antragsstopp ist allein deswegen erfolgt, weil die Haushaltsmittel für die Bewilligung neuer Anträge fehlen.
Auch politisch ist ein Aus für den Fonds nicht zu erklären: Die Gründe, die zu seiner Einrichtung 2013 geführt haben, treffen heute weiter zu: Es gibt für Betroffene sexualisierter Gewalt auch heute kaum Zugang zu anderen Unterstützungssystemen. An den Hürden, die Tat und gesundheitliche Folgeschäden im Opferentschädigungsrecht (SGB XIV) nachzuweisen, hat sich seit Einrichtung des Fonds nichts geändert, weswegen auch heute die wenigsten Betroffenen Unterstützung aus diesem System erhalten. Und das waren gerade die entscheidenden Gründe für die Einrichtung des Fonds.
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zum Erhalt des Fonds verpflichtet. Jetzt erwarte ich, dass die die Abgeordneten gemeinsam mit der Bundesregierung eine kurzfristige Lösung finden, damit der Fonds Sexueller Missbrauch ab 2026 fortgeführt werden kann und damit die Zusage an die Betroffenen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt wird.“
Betroffenenrat bei der UBSKM: „Bundestag lässt Betroffene sexualisierter Gewalt erneut massiv im Stich. Kein Geld für den Fonds Sexueller Missbrauch (FSM) für Betroffene im familiären Bereich. Mit dieser Nachricht mussten heute die neu berufenen Mitglieder des Betroffenenrates bei der UBSKM in ihre zweite Sitzung starten. Mit großer Fassungslosigkeit und breitem Unverständnis blickt der Betroffenenrat auf die Entscheidung der nächtlichen Bereinigungssitzung des Deutschen Bundestages. Mit diesem Vorgehen sprengen die Abgeordneten gleichzeitig folgenschwer das Ergänzende Hilfesystem (EHS) für den institutionellen Bereich. Wir würden es begrüßen, wenn Institutionen wie Sport und Kirche jetzt erst recht gemeinsam mit Betroffenen laut werden. Tausende Betroffene werden mit fatalen Folgen im Stich gelassen, trotz anders lautender politischer Bekenntnisse auch in Gesprächen mit dem Betroffenenrat. Bis Ende November haben die Mitglieder des Bundestages jetzt noch die Möglichkeit, ihrer Verpflichtung nachzukommen, niedrigschwellige Hilfen nachhaltig zu sichern.“
Unabhängige Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs: „Den Abgeordneten des Bundestages ist es nicht gelungen, Mittel zur Verfügung zu stellen, um den Fonds Sexueller Missbrauch weiterzuführen, obwohl die Bundesregierung dies in ihrem Koalitionsvertrag als Ziel genannt hatte. Viele Betroffene stehen nun ohne die Hilfe da, auf die sie gezählt hatten. Es fehlen dadurch dringend notwendige Unterstützungsleistungen, die durch die Regelsysteme nicht oder nicht ausreichend getragen werden, zum Beispiel die Fortführung von Therapien oder das Nachholen von Bildungsabschlüssen. Die Unabhängige Aufarbeitungskommission fordert, dass die Leistungen des Fonds vorläufig auf der bisherigen Grundlage weitergeführt werden und die Bundesregierung nachfolgend eine dauerhaft gültige gesetzliche Grundlage schafft.“
Zum Hintergrund:
Das BMBFSFJ hatte im März 2025 auf der Website des Fonds Sexueller Missbrauch bekannt gegeben, dass Erstanträge nur noch bis zum 31. August 2025 gestellt werden können und eine Auszahlung nur noch bis 31.12.2028 erfolgen kann. Der Fonds ermöglicht Betroffenen, Sachleistungen in Höhe von bis zu 10.000 EUR (bei einem Mehrbedarf bei Behinderungen bis zu 15.000 EUR) zu beantragen. Er war eine zentrale Errungenschaft des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch" (2010-2011) und bot Unterstützung, wo andere Hilfesysteme wie das Opferentschädigungsrecht nicht greifen konnten, weil Betroffene die erlebte Gewalt nicht oder nicht mehr hinreichend beweisen können. Im Juni 2025 ist die Frist für Erstanträge erneut geändert worden. Einreichungsfrist ist seither rückwirkend der 19.03.2025. Im Moment stehen für den Fonds nur noch Mittel für schon gemachte Zusagen aus Altanträgen zu Verfügung.
(siehe auch https://www.fonds-missbrauch.de/aktuelles/aktuell/aenderungen-beim-ergaenzenden-hilfesystem)
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