Pressekonferenz Deutsche Kinderhilfe
Pressemitteilungen | 05.06.2018

Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik zeichnen ein trauriges Bild

143 tote Kinder im Jahr 2017 - Netzwerke im Kinderschutz müssen gestärkt werden
Die Deutsche Kinderhilfe stellte heute gemeinsam mit Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, Johannes-Wilhelm Rörig, Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, und Professor Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie Ulm und Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin, die Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2017 zu kindlichen Gewaltopfern vor. Im vergangenen Jahr wurden 143 Kinder getötet. Fast 78 Prozent von ihnen waren zum Zeitpunkt des Todes jünger als sechs Jahre. In 77 Fällen blieb es bei einem Tötungsversuch. Die Zahlen zu Misshandlungen an Kindern stagnieren seit Jahren auf einem hohen Niveau. 4.208 Kinder waren hiervon betroffen, 43 Prozent von ihnen haben das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet. Im Bereich sexuelle Gewalt nach den §§ 176, 176a und 176b weist die Statistik einen Rückgang von 3,64 Prozent auf, doch wurden noch immer 13.539 Kinder als Opfer registriert. Die in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfassten Fallzahlen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischen Materials stiegen im Vergleich zum Vorjahr wieder um 15,06 Prozent an. Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes, äußert sich angesichts der Zahlen zur Polizeilichen Kriminalstatistik wie folgt: „Jede Woche werden mindestens zwei Kinder Opfer eines Tötungsdelikts; täglich werden fast 50 Kinder misshandelt oder sexuell missbraucht. Und das sind nur die Fälle, die der Polizei bekannt werden. Wir müssen davon ausgehen, dass viele Taten unentdeckt bleiben. Der Schutz unserer Kinder ist ein erklärtes gesellschaftliches Ziel. Dazu müssen Prävention und Strafverfolgung ineinandergreifen und als gemeinsame Aufgabe verstanden werden. Dieses Zusammenwirken ständig weiterzuentwickeln ist unser Auftrag. Und gegenüber unseren Kindern gilt: Wir müssen ihre Signale ernst nehmen und sie auf mögliche Gefahren – auch im virtuellen Raum – vorbereiten.“ Dem stimmt Rainer Becker, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kinderhilfe, zu und ergänzt, dass „zum Schutz der Kinder Risikofaktoren wie Trennungskonflikte und psychische Störungen bei Eltern frühzeitig erkannt werden müssen. Dabei wird ersichtlich, dass die Verantwortung im Kinderschutz bei mehreren Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen wie Medizin, Kinder- und Jugendhilfe, Justiz, Kitas und Schulen, Fachberatungsstellen und Polizei liegt. Um der Verantwortung gerecht zu werden, müssen die Institutionen aber finanziell und personell gut ausgestattet sein.“ Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, zeigt sich erschüttert über die unverändert hohen Fallzahlen bei Kindesmissbrauch und den Anstieg bei Kinder- und Jugendpornografie: „Cybergrooming, sexueller Missbrauch und das Filmen dieser entsetzlichen Taten sind für tausende Kinder Realität. Besonders erschreckend sind der Anstieg härtester Gewaltszenen sowie die zunehmende Zahl von Missbrauchsabbildungen von Kleinkindern und Babys. Wir müssen davon ausgehen, dass sich der Missbrauch tausender Kinder unerkannt fortsetzt.“ Er verweist auch auf die zunehmende Gefahr sexueller Gewalt durch die digitalen Medien: „Kinder- und Jugendschutz findet im Internet nicht statt. Der Jugendmedienschutz muss jetzt dringend modernisiert und die IT-Wirtschaft auch gesetzlich verpflichtet werden, den Kinder- und Jugendschutz im Netz zu verwirklichen.“ Rörig fordert mehr geschultes Personal bei Justiz und Strafverfolgung. Auch die Ermittlungsmöglichkeiten müssten rechtlich und technisch verbessert und dem Internetzeitalter angepasst werden: „Sexualstraftäter dürfen sich in Deutschland nicht länger sicher fühlen.“ Bezüglich des alltäglichen Ausmaßes von sexuellem Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung in der Gesellschaft stellt Professor Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Ulm und Leiter des Kompetenzzentrums Kinderschutz in der Medizin, fest: Auf diese riesige Dimension sind die zuständigen Institutionen nicht vorbereitet. Dies gilt für das Gesundheitswesen wie für die Jugendhilfe etc. Die spezifische Fachberatung hat immer noch keine regelhafte Finanzierung. Bis 2013 durften Misshandlungsdiagnosen im Krankenhaus in Deutschland gar nicht gestellt werden, vieler Orts gibt es Abrechnungsprobleme bei der Abklärung von Kinderschutzfällen oder z. B. bei einer vertraulichen Befundsicherung nach einer Vergewaltigung von Kindern und Jugendlichen. Die Weltgesundheitsorganisation sagt, dass gerade in den reichen Ländern durch eine systematische Verbesserung und ein Ausbau der Versorgung Betroffener noch relativ viel erreicht werden kann, der Zugang zu einer fachlich fundierten wirksamen Traumatherapie muss dabei verbessert werden. Im Rahmen der nachhaltigen Entwicklungsziele der UN hat sich Deutschland verpflichtet Gewalt gegen Kinder zu beenden. Regelmäßig müssen entsprechende Indikatoren im Dunkelfeld erhoben werden. Die alleinige regelmäßige Präsentation der Kriminalstatistik reicht hierfür nicht aus.“

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