Erstmals wird Missbrauch in Institutionen und in der Familie durch eine staatliche Kommission untersucht. Damit setzt Deutschland auch international bei der Aufarbeitung neue Akzente.
Kommission soll im Januar 2016 starten.
Rörig: „Wir müssen verstehen lernen, welches unerträgliche Ausmaß Missbrauch in unserer Gesellschaft hat und was wir dagegen tun können!“
Der Deutsche Bundestag hat heute abschließend über die Sicherstellung einer unabhängigen Aufarbeitung in Deutschland debattiert und einen Antrag der Regierungsfraktionen mit Zustimmung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Die „Unabhängige Aufarbeitungskommission Kindesmissbrauch“ (UAK) soll beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, angesiedelt werden, im Januar 2016 ihre Arbeit aufnehmen und zunächst bis zum Ende der Amtszeit des Beauftragten, bis März 2019, tätig sein. Eine gesetzliche Grundlage wird es für die Kommission nicht geben. Auch die Finanzierung ist noch nicht abschließend geklärt. Die Einrichtung einer Kommission war seit Jahren eine zentrale Forderung von Betroffenen, weiteren Expertinnen und Experten und dem Beauftragten.
Rörig: „Spätestens seit 2010 wissen wir, dass sexueller Kindesmissbrauch kein Einzelphänomen ist, sondern ein unerträgliches Ausmaß in unserer Gesellschaft hat. Die Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von 18 Millionen Kindern allein nur in Europa, die sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit erleben. Alarmierende Zahlen, die niemanden unberührt lassen dürfen und uns als Gesellschaft zu weiterem Handeln zwingen. Es ist allerhöchste Zeit, dass wir in Deutschland auf staatlicher Ebene eine Kommission einrichten, die Strukturen untersucht, die Missbrauch in der Vergangenheit begünstigt haben. Missbrauch erledigt sich nicht von selbst. Missbrauch ist ein Generalangriff auf das Grundvertrauen und das gesunde Aufwachsen eines Kindes und wirft tiefe Schatten auf eine jede Gesellschaft. Es ist wichtig, dass Politik und Gesellschaft das von Betroffenen erlittene Unrecht anerkennen und gemessen an dem enormen Ausmaß von Missbrauch mitten unter uns in viel höherem Maße in den Schutz der Kinder vor sexueller Gewalt investieren.“
Formate und Ziele der Aufarbeitung: Die Aufarbeitungskommission soll u. a. Betroffene anhören, Zeitzeugen- und Expertengespräche führen und bereits vorliegende Aufarbeitungsberichte auswerten, dokumentieren und archivieren. Darüber hinaus soll sie Forschungsaufträge initiieren, beispielsweise für die Aufarbeitung des Missbrauchs in Familien durch die Untersuchung von Straf-, Familiengerichts- und Jugendamtsakten. Ziel ist es, ein größeres gesellschaftliches Verständnis und eine höhere Sensibilität für Ausmaß und Folgen von Missbrauch für Betroffene und für die Gesellschaft zu schaffen - und einen Lernprozess anzustoßen, durch den von Politik und Gesellschaft die heutige Prioritätensetzung überdacht und künftig viel stärker in Prävention, Beratung und Hilfen investiert wird.
Mitglieder der Kommission: Es sollen bis zu sieben Mitglieder aus den Rechts-, Erziehungs- und Geschichtswissenschaften sowie aus medizinischen, psychologischen oder (sozial-) pädagogischen Disziplinen im Herbst 2015 vom Beauftragten berufen werden. Der Kommission wird eine eigene Geschäftsstelle zugeordnet. Für Personal- und Sachkosten sollen der Kommission jährlich ca. 3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Der Beauftragte sowie zwei Mitglieder des neuen Betroffenenrates beim Beauftragten sollen Gaststatus in der Kommission erhalten.
Rechtliche Grundlage und Finanzierung: „Eine gesetzliche Verankerung der Kommission konnte politisch nicht durchgesetzt werden“, so Rörig. Dies hätte die künftige Arbeit der Kommission beim Persönlichkeits- und Datenschutz und bei der Einsichtnahme in Akten erheblich erleichtert. Jetzt sei es aber absolut wichtig, dass die Kommission ihre Arbeit aufnehme. Es werde sich bald zeigen, ob die Kommission vielleicht auf ein stärkeres rechtliches Fundament gestellt werden müsse. Wichtig sei, dass die Bundesregierung die notwendigen finanziellen Mittel jetzt schnell zusage. Das Familienministerium habe bereits Gelder in Aussicht gestellt. „Ein ressortübergreifendes Zusammenwirken bei der Finanzierung der Arbeit der Kommission wäre ein deutliches Signal an Länder, Kommunen, Kirchen, organisierten Sport und Wohlfahrt, dass die Bundesregierung insgesamt der Aufarbeitung eine sehr hohe Priorität einräumt“, betonte Rörig.
Internationaler Vergleich: Auch im europäischen und internationalen Kontext setzt Deutschland mit der Aufarbeitungskommission neue Akzente: Bisher wurde europaweit nur Missbrauch in konfessionellen oder nicht-konfessionellen Einrichtungen untersucht, weltweit die Familie durch eine staatliche Kommission noch nicht in den Blick genommen. Rörig: „Hier nimmt Deutschland bei der Aufarbeitung jetzt weltweit eine wichtige Rolle ein!“
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