Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist alltägliche gesellschaftliche Realität. Der vorliegende Gesetzesentwurf zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist für den Betroffenenrat ein entscheidender Schritt hin zu einer Gesellschaft, in der Prävention, Schutz, Hilfen, Aufarbeitung und institutionalisierte Betroffenenbeteiligung als eine selbstverständliche Daueraufgabe staatlichen Handelns gesetzlich und damit verbindlich geregelt werden. Nur durch ein dauerhaftes, konsequentes sowie ressortübergreifendes politisches Handeln von Staat aber auch Zivilgesellschaft kann dieser Verletzung von Kinder- und Menschenrechten angemessen begegnet werden.
Viele der nun im Gesetzesentwurf formulierten Regelungen gehen auf beschlossene Forderungen zurück, die im Rahmen des 2010 von der damaligen Bundesregierung beschlossenen Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch in Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in privaten und öffentlichen Einrichtungen und im familiären Bereich“ formuliert worden sind. Deutlich forderte der Runde Tisch u.a. die notwendige Verbesserung von Prävention, Intervention, Schutz und Wissensvermittlung im Themenfeld. Die Gewährleistung einer schnellen und effektiven Strafverfolgung wurde ebenso wichtig angesehen wie das Voranbringen der Forschung inklusive Evaluationen im Bereich sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendlichen. Ergänzt durch weitere konkretisierende Maßnahmen, finden sich viele dieser Bausteine im nun endlich vorliegenden Gesetzesentwurf wieder.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass die bis heute im Bund geschaffenen Strukturen wie das Amt des / der Unabhängigen Beauftragten, der Betroffenenrat als ein ständiges Gremium der Politikberatung aus Betroffenenperspektive und die Unabhängige Aufarbeitungskommission endlich auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden sollen. Die geschaffenen Strukturen haben sich in ihrem Zusammenwirken bewährt und weiterentwickelt. Jedoch nur eine gesetzliche Grundlage sichert ihre dauerhafte Verankerung. Mit einem verstetigten gesellschaftlichen Monitoring zur Evaluation der Maßnahmen durch ein Prävalenzzentrum können diese permanent gebündelt und verbessert werden. Die Analyse von Kinderschutzverläufen ist dabei für den Betroffenenrat ein zentrales Instrument.
Der Gesetzentwurf gewährleistet und fördert die Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie auf EU- und weiteren internationalen Ebenen und mit staatlichen und nicht-staatlichen nationalen sowie internationalen Organisationen. Ein wesentlicher Baustein hierin und ein Qualitätsmerkmal ist nicht zuletzt die gesetzlich verankerte Einbeziehung von Menschen mit Erfahrungswissen und Mehrfachexpertisen. Durch seine Arbeit bringt der Betroffenenrat die Perspektiven von Betroffenen in politische und damit auch gesellschaftliche Prozesse ein. Die Mitglieder des Betroffenenrats geben dem Thema viele Gesichter und wirken einer gesellschaftlichen Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen entgegen, die in Kindheit und Jugend sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren. Der Betroffenenrat schafft Sprechräume in Politik und Gesellschaft. Das jahrzehntelange Sprechen von Betroffenen muss höchstes Gehör finden und die Antworten des Staates müssen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt werden.
Kein Kind kann sich alleine schützen. Es ist dringend notwendig, mit dem UBSKM-Gesetz eine staatliche Verantwortungsübernahme für den Schutz vor sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zu definieren und ein Recht auf Aufarbeitung für Betroffene zu verankern. Die Arbeit gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen und die Unterstützung für die notwendigen Aufarbeitungsprozesse gehören anhaltend auf die politische Agenda von Bund und Ländern. Jahrzehntelang waren lediglich kurzfristige ad-hoc-Maßnahmen des Staates gegen sexualisierte Gewalt über verschiedene Politikfelder hinweg fragmentiert, wenig koordiniert und finanziell meist schlecht ausgestattet. Die Versorgung von Menschen, die in Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erleben oder erlebt haben, muss zu jedem Zeitpunkt sichergestellt sein und nicht nur dann thematisiert werden, wenn mal wieder in der Öffentlichkeit über sexualisierte Gewalt berichtet wurde.
Um sich öffnen zu können, brauchen Betroffene sexualisierter Gewalt fachkompetente und mehrdimensionale, also breit angelegte professionelle Hilfsangebote, die auf stabilen und für sie sicheren Strukturen basieren. Während der Bearbeitung und Stabilisierung brauchen Betroffene Anlaufstellen wie spezialisierte Fachberatungsstellen, Traumaambulanzen und Therapeut*innen, die ihre Bedarfe sehen und eine allumfassende Hilfe gewährleisten können, die über die Leistungen einer Richtlinien konformen Versorgung hinausgehen muss. Betroffene sexualisierter Gewalt werden nie zu Ex-Betroffenen. Daher sind in die Hilfsangebote, auch spezialisierte Versorgungsangebote für Betroffene im Alter einzubeziehen. All diese Teilbereiche müssen umfassend qualifiziert sein und nach entsprechenden Qualitätsstandards arbeiten. Auch für die individuelle Aufarbeitung braucht es Begleitung durch geschulte (Fach-)Personen ebenso dringend wie notwendige juristische Beratung. Davon sehen wir Einiges im Gesetz abgebildet und begrüßen außerordentlich, dass die Bundesregierung nun ihrer Verantwortung gegenüber Betroffenen von sexualisierter Gewalt gerecht werden möchte.
Dennoch kommen wir nicht umhin zu bemerken, dass die Verantwortungsübernahme nicht durch das reine Formulieren eines Gesetzestextes umgesetzt wird, sondern auch mit der Bereitstellung von erweiterten finanziellen Ressourcen einhergehen muss. Die sehen wir bisher nicht.
Für den Begründungsteil möchten wir im Folgenden auf uns wichtige Punkte detaillierter hinweisen:
In Teil A Allgemeiner Teil, I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen wird auf S. 18 des GE behauptet, dass eher Frauen schweren sexuellen Missbrauch erfahren haben. Wir fordern dringend, diesen Satz zu streichen, da auch viele Männer als Jungen schwere sexualisierte Gewalt erlebt haben. Im Kampf gegen sexualisierte Gewalt müssen genauso trans*, inter- und nichtbinäre Betroffene mitgedacht werden.
Auf S. 21 wird der Betroffenenrat als die zentrale Struktur benannt, über die Interessen und Bedarfe von Betroffenen in die politischen Prozesse eingebracht werden. Da der Betroffenenrat keine Interessenvertretung und auch keine Beratungseinrichtung ist, schlagen wir vor, die Formulierung auf jeden Fall zu ändern und „Interessen und Bedarfe“ mit „Perspektiven, Mehrfachexpertisen und Erfahrungswissen“ zu ersetzen. Wir möchten uns ausdrücklich dagegen aussprechen, den Betroffenenrat bei der / dem UBSKM per Gesetz als eine Interessenvertretung für Betroffenen zu verankern. Der Betroffenenrat bei der / dem UBSKM soll mit seiner Perspektive vorrangig politische Prozesse begleiten und damit Politikberatung auf Bundesebene machen. Die Beratung muss sowohl ressortübergreifend wirken als auch das Ziel haben, das Zusammenwirken von Staat und (Zivil-)Gesellschaft im Themenfeld zu verbessern. Dabei fließen vor allem das Erfahrungswissen und die Mehrfachexpertisen der Mitglieder des Betroffenenrats, die in Kindheit oder Jugend sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, in alle Arbeitsprozesse ein. Es kann jedoch weder ein Selbstverständnis noch ein formulierter Anspruch oder gesetzlicher Auftrag sein, als eine Interessenvertretung per Gesetz zu fungieren. Die Mitglieder des Betroffenenrats sollen mit dem Gesetz weiterhin ernannt werden und werden nicht demokratisch gewählt. Gerne verweisen wir hier auch auf unsere Stellungnahme im Landtag NRW zum Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache 18/4023, „Schaffung eines Landesbetroffenenrats und Landesbeauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte“.
Im Teil B Besonderer Teil wird § 6 auf S. 38 ausgeführt, dass der oder die Bundesbeauftragte zur Erfüllung seiner oder ihrer Aufgaben Untersuchungen an Dritte, zum Beispiel wissenschaftliche Einrichtungen, vergeben könne. Der Betroffenenrat betont, dass hierbei insbesondere auf die Förderung partizipativer Forschung bzw. Forschungsvorhaben mit starken Beteiligungsstrukturen von Betroffenen und Fachberatung geachtet werden muss, und regt eine Formulierung dazu an.
Zu § 14 wird auf S. 42 ausgeführt, dass die Mitglieder des Betroffenenrats alle selbst in Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt oder Ausbeutung erfahren haben. Da wir wissen, dass die Bearbeitung dieser Erfahrungen nie vollständig abgeschlossen ist, regen wir zur ergänzenden Formulierung an: „weitgehend verarbeitet, reflektiert und in die eigene Biographie integriert“. Weiterhin reicht unseres Erachtens die Betroffenheit an sich nicht aus, um das Amt im Betroffenenrat ausüben zu können. Die Mitglieder im Betroffenenrat bringen neben den individuellen Gewalterfahrungen und dem gewonnenen Wissen sowie erlangten Kompetenzen während der Auseinandersetzung und Bearbeitung auch viele weitere Expertisen durch berufliche Qualifikationen und / oder ehrenamtliches Engagement mit. All diese Expertisen werden in ihrer Summe dem Gremium zur Verfügung gestellt.
Wir schlagen daher folgende Formulierung auf S. 43 vor: „Um dieses persönliche und zeitintensive Engagement angemessen zu würdigen, ist eine entsprechende Aufwandsentschädigung vorgesehen, die der besonderen Konstellation der persönlichen Betroffenheit und der daraus und darüber hinaus gewonnenen Fachlichkeit angemessen Rechnung trägt.“
Zu § 15 bezüglich der Aufarbeitungskommission möchte der Betroffenenrat grundsätzlich betonen, dass eine eingesetzte nationale ehrenamtliche Aufarbeitungskommission nicht allen ihren Aufgaben und damit dem Ausmaß von sexualisierter Gewalt entsprechend gerecht werden kann. Im Ehrenamt sind Grenzen gesetzt, durch die die Arbeit der Aufarbeitungskommission in ihren Möglichkeiten begrenzt ist und Prioritäten gesetzt werden müssen und somit nicht alle Bedarfe an gesellschaftlicher Aufarbeitung abgedeckt sind.
Insofern möchten wir betonen, dass sich eine konsequente staatliche Verantwortungsübernahme nicht kostenneutral bewerkstelligen lässt. Viele nun gesetzlich formulierte Ansprüche und Maßnahmen sind nur mit einer finanziellen Abdeckung realisierbar, wie etwa ein Recht auf Aufarbeitung. Auch sehen wir das Recht auf bedarfsgerechte Unterstützung von betroffenen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Gesetzesentwurf noch nicht ausreichend berücksichtigt. Wenn es im Text heißt, dass der Bund „für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend dauerhaft ein Beratungssystem zur Unterstützung der individuellen Aufarbeitung der Gewalt“ bereitstellt, wird dies dann zukünftig auch finanziell unterlegt?
Seite 46/Zu Nummer 4: Im Zusammenhang mit der Kommission steht: „Hierbei ist sie darauf angewiesen, dass sich Institutionen mit ihren Erfahrungen eigeninitiativ mitteilen, ihr obliegen keine Akteneinsichts- oder Untersuchungsrechte.“ Nach Meinung des Betroffenenrates sollten die / der UBSKM und die Kommission durchaus Rechte wie umfassende Akteneinsicht sowie ein Aussageverweigerungsrecht haben. Mit dem Stasiunterlagengesetz existieren ja datenschutzkonforme Regelungen zur Durchsetzung der gesellschaftlichen Aufarbeitung, an denen sich das UBSKM-Gesetz orientieren kann.
Abschließend möchten wir darauf verweisen, dass die Arbeit des Betroffenenrats politisch wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Nicht nur vollziehen sich auf Ebene der einzelnen Bundesländer zunehmend Initiativen und Gründungen von Landesbetroffenenräten, sondern auch in anderen Ländern, wie aktuell in Kanada, Schottland und Frankreich. Diese Länder orientieren sich direkt am Vorbild des Bundesbetroffenenrats in Deutschland. Die Bedeutung des Betroffenenrats wird weiter zunehmen, auch wenn er keine gewählte Interessenvertretung ist. Ihn gesetzlich zu verankern, ist weltweit ein bisher einmaliger Schritt. Der Betroffenenrat wird sich auch zukünftig intensiv in den Gesetzgebungsprozess mit seiner Expertise einbringen. Darüber hinaus halten wir die Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag der / des UBSKM für unentbehrlich und regen an, dass neben einem eigenständigen Bericht der Aufarbeitungskommission auch ein eigenständiger Bericht des Betroffenenrates in die Berichtspflicht implementiert wird.
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