Aus unserer Sicht (Betroffenenrat) | 23.09.2024

STELLUNGNAHME GESETZ ZUR UNABHÄNGIGEN BEAUFTRAGTEN FÜR KINDERSCHUTZ UND KINDERRECHTE IN NRW

Stellungnahme des Betroffenenrates bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs Verbändeanhörung: Gesetz zur unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte oder zum unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte in NRW

Sehr geehrter Herr Dr. Weckelmann, Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank, dass wir zu Ihrem geplanten Gesetzesvorhaben zur Schaffung einer/eines unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte erneut die Möglichkeit zur Stellungnahme haben, die wir hiermit im Rahmen unserer Möglichkeiten gerne wahrnehmen.

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist gesellschaftliche und gleichzeitig alltägliche Realität. Der vorliegende Gesetzesentwurf zur unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte oder zum unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte kann aus unserer Sicht ein richtiger Schritt sein, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor jeder Form der Gewalt und Machtmissbrauch und Kinderrechte nachhaltig zu stärken. Durch ein dauerhaftes, konsequentes sowie ressortübergreifendes politisches Handeln kann dieser Verletzung von Kinder- und Menschenrechten angemessen begegnet werden. Für die Arbeit der/des zukünftigen Beauftragten ist die Anerkennung der im Gesetzentwurf beschriebenen Realität, dass die meisten Fälle im familiären und vertrauten Umfeld stattfinden, unverzichtbar. Es ist gut und richtig, dass Sie sich mit dem Gesetz konsequent positionieren und ehrlich formulieren, wie es ist: „Denn nirgends, wo Erwachsene und Kinder zusammenleben, zusammenkommen, zusammen lernen, sind Machtmissbrauch und Gewalt ausgeschlossen.“ Vielen Dank für diese oft fehlende Klarstellung. Wir begrüßen es zudem sehr, dass Kinder und Jugendliche im Gesetzentwurf expliziert als Rechtsträger*innen benannt werden.

Im Folgenden möchten wir aus unserer Perspektive Punkte benennen, bei denen Präzisierungen oder Nachbesserungen sinnvoll erscheinen.

Zuvorderst bitten wir dringend, den Satz „Alle Formen der Gewalt, physische, psychische oder sexualisierte Gewalt sowie Machtmissbrauch und Vernachlässigung gegen Kinder und Jugendliche haben unabänderlich weitreichende Folgen und Einfluss auf das gesamte Leben der Betroffenen, als auch ihrer Angehörigen und des privaten Umfelds.“ zu überdenken. Dieser erinnert uns sehr an die „Seelenmord“ Formulierung von Innenminister Herbert Reul. Zugespitzt formuliert, würde diese Aussage stimmen, müssten Sie das vorliegende Gesetz gar nicht verabschieden. Natürlich sind die Folgen und der Einflussn nicht unabänderlich. Dann würden Ihre eigens formulierten Ziele von konsequenter Intervention und bedarfsorientierten Hilfe ja keinen Sinn machen. Diese Formulierung ist hochgradig missverständlich. Wenn Sie jedoch inhaltlich überzeugt sind von der getroffenen Aussage, dann ist es schlichtweg falsch. Wir gehen davon aus, dass hier gemeint ist, dass alle Formen der Gewalt verschiedenste Folgen haben und genau aus diesem Grund Intervention und frühzeitige sowie bedarfsgerechte Hilfe so wichtig sind.

Ihr Referenzpunkt im vorliegenden Entwurf sind immer wieder die großen Missbrauchsfälle wie in Lüdge und Münster. Dennoch spiegelt sich die Dimension der sexuellen Ausbeutung der betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie die massenhafte Anfertigung und Weitergabe von Bild- und Filmmaterial dieser Gewalt an keiner Stelle dieses Entwurfes wieder. Leider wird diese auch mit nichts in Bezug auf die Kinderrechte gesetzt.

Nach wie vor bleiben wir dabei, dass es Vor- und Nachteile hat, das Thema der sexualisierten Gewalt bei einer/m Beauftragen für Kinderschutz und Kinderrechte unterzubringen.1 Kinderschutz ist ein sehr breites Themenfeld und da bleibt das Risiko, dass das nach wie vor gern verschwiegene Thema der sexualisierten Gewalt untergeht. Im Gesetzentwurf wird „sexualisierte Gewalt“ nur viermal genannt. Wir Mitglieder des Betroffenenrates wissen aus Erfahrung, dass grundsätzlich die Gefahr besteht, dass sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen thematisch untergeht, wenn sie lediglich mitgemeint ist. Dabei geht es uns keineswegs darum, verschiedene Formen der Gewalt zu gewichten, sondern sicherzustellen, dass sexualisierte Gewalt nicht einmal mehr verschwiegen wird.

Dies gilt auch in Bezug auf die formulierten Beteiligungsverfahren. Formuliert ist die „Schaffung von Formaten zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, sowie Unterstützung Dritter bei der Entwicklung und Umsetzung von Beteiligungsformaten“. Wir finden es gut und progressiv, dass Betroffene „jeder Form von Gewalt im Kindes- und Jugendalter“ beteiligt werden sollen, sehen aber das Problem, dass dann vielleicht nur sehr wenige Personen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, dabei sind. Hinzukommt, dass die meisten Kinder und Jugendlichen Mehrfachgewalterfahrungen machen oder gemacht haben. Es wird festgehalten, dass die gesetzlich geregelten Beteiligungsverfahren „auch den erforderlichen fachlichen Besonderheiten im Bereich der sexualisierten Gewalt durch die Beteiligung von Betroffenen ausreichend Rechnung tragen“ sollen. Aber insgesamt stellen wir es uns schwierig umsetzbar vor, in einem einzigen Gremium oder in regelmäßigen Austauschformaten den Anliegen von Betroffenen im breiten Spektrum aller Gewalt- und Vernachlässigungsformen in der Kindheit gutes Gehör zu verschaffen. Auch bleibt es hier ungeklärt, welche konzeptionelle sowie strukturelle Vorstellung die Grundlage des angedachten Beteiligungsverfahrens sein soll, und wie möglichen Bedarfen der verschiedenen Beteiligten verantwortungsvoll Rechnung getragen werden soll. Die gesetzlich verankerten Beteiligungsverfahren von Kindern und Jugendlichen, von Betroffenen von jedweder Gewalt wie auch fachlichen Akteur*innen des Kindesschutzes sollen ganz offensichtlich anstelle eines auch von uns immer wieder eingeforderten Landesbetroffenenrates verankert werden. Es wird Sie nicht verwundern, dass wir an dieser Stelle unsere Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen. Das finden wir nicht nachvollziehbar und verweisen erneut auf unsere Stellungnahme in Fußnote 1 und hoffen, dass am Ziel der Schaffung eines Landesbetroffenenrates festgehalten wird. Nicht nur im Einklang mit den bestehenden Strukturen sollte gearbeitet werden, sondern zukünftig auch mit neu zu schaffenden Strukturen, wie beispielsweise einem Landesbetroffenenrat.

Im §18, (5) heißt es: Die Landesbehörden und alle sonstigen öffentlichen Stellen des Landes unterstützen die Beauftragte oder den Beauftragten bei der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Wir fragen uns, was das genau bedeutet? Es wäre hilfreich, an dieser Stelle zu präzisieren, da die Formulierung "nach ihren Möglichkeiten" viel Spielraum lässt, Mit- oder Zuarbeit als nicht möglich zu erklären.

In §19 zum Thema Aufgaben heißt es (1) 1. Weitervermittlung der Anliegen von Kindern und Jugendlichen, ihren Interessenvertretungen sowie von Betroffenen jeder Form von Gewalt im Kindes- und Jugendalter und deren Angehörige an geeignete Unterstützungssysteme“. Die Anliegen sollen lediglich an „geeignete Unterstützungssysteme“ gehen? Damit werden sie primär als hilfsbedürftig definiert, nicht als Expert*innen mit Erfahrungswissen, deren Anliegen auch in politische Prozesse einfließen sollen. Und was genau soll das sein? Die/ der Beauftragte als erste Anlauf- und Beratungsstelle? Auch ist uns nicht klar, an wen welche Art Anliegen weitervermittelt werden sollen? Diese Aufgabe ist hinreichend unkonkret und lässt viel Interpretationsspielraum. Letztlich benötigen dann die gemeinten Unterstützungssysteme, wie Fachberatungsstellen, mindestens eine ausreichende und gesicherte Finanzierung.

(1) 6: „Förderung der Kooperation und des Austausches zwischen zivilgesellschaftlichen, staatlichen oder sonstigen Akteuren in den Bereichen Kinderschutz und Kinderrechte.“ Wir möchten hier konkret die Ergänzung folgender Ebenen vorschlagen: auf kommunaler, Landes-, Bundes-, EU- und internationaler Ebene. Eine mögliche Ergänzung der Aufgaben könnte sein, dass der/die Beauftragte sich für eine Stärkung der politischen Vernetzung von Betroffenen einsetzen könnte.

In § 20 liegt der Fokus unseres Erachtens eher auf Institutionen. Sprachlich sollte hier hervorgehoben werden, dass es um alle Formen von physischer, psychischer, sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sowie Vernachlässigung und Machtmissbrauch „in Institutionen, im familiären Bereich, im sozialen Nahfeld und Freizeitbereich von Kindern und Jugendlichen, im digitalen Raum und weiteren Kontexten“ geht.

Die Berichtspflicht in §21 begrüßen wir sehr und finden es konsequent und zentral, diese von Anfang an zu implementieren, um auch eine kontinuierliche parlamentarische Widerspiegelung der Arbeit der/des Beauftragten zu gewährleisten.

Im Begründungsteil fehlen uns vor allem die länderspezifischen Hinweise, auf eine dringend notwendige, umfassende Verbesserung der Ausbildung, Fort- und Weiterbildung aller mit Kindern und Jugendlichen arbeitenden Berufsgruppen und pädagogischen Kontexte inklusive der Gewährleistung kindgerechter Justizverfahren.

An einer Stelle könnte der Gesetzentwurf durchaus viel fordernder sein und nicht nur auf den Status Quo verweisen; „Die oder der Beauftragte fügt sich dabei in die bestehenden Kinderschutz- und Beschwerdestrukturen ein.“ Reicht das wirklich für die Zukunft aus? Wäre nicht folgende Ergänzung möglich und notwendig: „[…] fügt sich in bestehende Kinderschutz- und Beschwerdestrukturen ein und setzt sich für deren kontinuierliche Verbesserung und Weiterentwicklung in allen Bereichen ein.“ Spätestens bei der Evaluierung der interdisziplinären Zusammenarbeit müssen die Sektoren spezifischen Bedingungen für die gesetzlich verankerte Kooperation mitgedacht und bei Bedarf notwendige Änderungen nicht nur angemahnt, sondern umgesetzt werden.

Sie wollen die Überprüfung des Kinderschutzes um ein Kinderrechte-Monitoring ergänzen. Dürfen wir davon ausgehen, dass NRW zukünftig die grundgesetzliche Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz unterstützen wird oder geht es hier um eine wie es scheint unabhängige Umsetzung von Kinderrechten, die sich vorrangig auf Beteiligung und Schutz vor Gewalt beziehen? Wir würden uns jedenfalls über Ihr Engagement für eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz sehr freuen und Sie hätten uns dabei an Ihrer Seite.

Unser Augenmerk lag auch noch einmal auf den Formulierungen und Ausführungen im sog. Besonderen Teil B des Entwurfes. Sie formulieren zu § 20 „Vor diesem Hintergrund wird im Sinne einer kinderrechtsbasierten Betrachtungsweise das Erfordernis einer durchgängig vorzunehmenden Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in allen sie betreffenden Angelegenheiten und Verfahren formuliert. Dabei sind die unterschiedlichen Lebens- und Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen zu beachten.“ Diese Formulierung intendiert eine Verengung auf ein Recht auf Beteiligung und des Vorrangs des Kindeswohls. Verstehen wir es somit richtig, dass trotz der Einrichtung eines solchen Amtes die Kinderrechte nicht vollumfänglich zur Grundlage gemacht werden? Ein echter Paradigmenwechsel wäre es ja, sämtliches staatliches Handeln an den Kinderrechten und nicht nur am notwendigen Kinderschutz auszurichten.

Ein letzter Punkt ist uns wichtig zu betonen, den auch Sie im Gesetz betonen. Ein inklusiver Kinderschutz bzw. eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe sind eine große Herausforderung. Bisher nehmen wir oft wahr, dass Inklusion als nachrangig behandelt wird. Eine glaubwürdige Änderung und nicht nur wohl formulierte Sätze in einem Gesetz wäre ausgesprochen wünschenswert.

Ganz grundsätzlich haben wir uns gefragt, ob die Umsetzung eines so komplexen Themas auf dieser gesetzlichen Grundlage mit einem derzeit geplanten jährlichen Budget von 1 Mio. Euro nachhaltig und realistisch ist.

Lassen Sie uns abschließend zur Feststellung „Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit sind nicht berührt“ eine kleine Nebenbemerkung machen. Für uns sind sehr wohl Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit berührt, denn insbesondere Teilhabe und intergenerationale Gerechtigkeit tragen zur sozialen Nachhaltigkeit bei.

Der Betroffenenrat bei der UBSKM, im September 2024

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