Kerstin Claus hält eine Rede.
Aktuelles | 12.03.2025

FACHGESPRÄCH: GLAUBHAFTIGKEITS­BEGUTACHTUNGEN VON BETROFFENEN

Missbrauchsbeauftragte Kerstin Claus: „Die Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist für Betroffene von sexueller Gewalt in Kindheit und Jugend eine besondere Herausforderung – nicht nur in Strafverfahren, sondern auch in familiengerichtlichen Verfahren und in Verfahren der Sozialen Entschädigung. Es ist wichtig, dass wir die aktuelle Begutachtungspraxis vor dem Hintergrund der unterschiedlichen gerichtlichen Verfahren kritisch beleuchten und mit den relevanten Berufsgruppen darüber diskutieren, wie diese Praxis verbessert und Belastungen für Betroffene reduziert werden können."

Berlin, 12.03.2025. Die Glaubhaftigkeitsbegutachtung soll Gerichten eine sachgerechte Beurteilung ermöglichen, doch in der Praxis erleben Betroffene sie oft als zusätzliche Belastung und Hürde bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Angesichts dieser Herausforderungen lud die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), Kerstin Claus, heute zu einem Fachgespräch ein. Ausgangspunkt der Diskussion war die von ihr beauftragte und in 2024 veröffentlichte Expertise „Die Methode der forensischen Glaubhaftigkeitsbegutachtung im deutschen Sprachraum – Ein interdisziplinäres Plädoyer für eine kritische Bestandsaufnahme zur Anwendung der sogenannten Nullhypothese“ von Prof. Dr. Jörg M. Fegert et al. Die Studie legt zentrale Probleme der Begutachtungsmethode offen und fordert eine kritische Reflexion ihrer Anwendung.

Kerstin Claus betonte auf der Veranstaltung: „Die Methode der Glaubhaftigkeitsbegutachtung muss mit Blick auf die Beweismaßstäbe der unterschiedlichen gerichtlichen Verfahren überprüft werden. Die bisherige Anwendung auf Grundlage der Nullhypothese kann für Betroffene massiv belastend und schlimmstenfalls retraumatisierend sein. Wir müssen sicherstellen, dass die Rechte von Betroffenen in Verfahren uneingeschränkt gewahrt bleiben Die Veranstaltung fand im Rahmen der Arbeit des Nationalen Rats gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen statt und vereinte Expert:innen aus Justiz, Psychologie, Wissenschaft und Betroffenenvertretungen in einem interdisziplinären Austausch.

Das interdisziplinäre Team der Autor:innen Jörg M. Fegert, Jelena Gerke, Andrea Kliemann, Martin Pusch, Stephan Rixen, Cedric Sachser stellte zentrale Erkenntnisse der Expertise vor. Besonders kritisch bewerten die Autor:innen die Problematik der sogenannten Nullhypothese, die in Strafverfahren, familiengerichtlichen Verfahren und im sozialen Entschädigungsrecht zur Bewertung von Zeugenaussagen eingesetzt wird. Bei der Nullhypothese wird eine Aussage zunächst als unwahr betrachtet, bis sie durch bestimmte Prüfschritte als glaubhaft eingestuft werden kann. Ursprünglich zur Qualitätsverbesserung der Begutachtung eingeführt, werde sie heute oft missverstanden und irrtümlich als objektive Wahrheitsprüfung interpretiert, so die Kritik der Expert:innen. Diese Vorgehensweise sei wissenschaftlich nicht hinreichend abgesichert und berge erhebliche Risiken. Für Betroffene könne das bedeuten, dass ihnen nicht geglaubt wird mit weitreichenden Folgen für sie. Besonders Menschen mit komplexen Traumafolgen oder eingeschränkter Ausdrucksfähigkeit seien benachteiligt, da ihre Aussagen mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht den erwarteten Kriterien narrativer Kohärenz und Detailreichtums entsprächen.

Die anschließenden Diskussionsrunden spiegelten die unterschiedliche Fachperspektiven und behandelten mögliche Änderungsansätze. Es wurde deutlich, dass das Instrument der Glaubhaftigkeitsbegutachtung für das familiengerichtliche Verfahren und die Verfahren der Sozialen Entschädigung kritisch überprüft werden muss – insbesondere mit Blick darauf, dass in diesen Verfahren der strenge Beweismaßstab des Strafrechts nicht gilt. Zudem wurde diskutiert, inwieweit die derzeitige Begutachtungspraxis mit den geschützten Rechten von Opferzeugen vereinbar ist.

Neben juristischen Aspekten stand auch die Frage im Fokus, wie Begutachtungsprozesse betroffenenorientierter gestaltet werden können. Ein zentraler Diskussionspunkt war dabei die Qualifikation der Gutachter:innen. Die Expert:innen forderten eine umfassende Überprüfung der Ausbildungsstandards: Welche Grundkompetenzen müssen Gutachter:innen mitbringen? Sollten sie zugleich approbierte Psychotherapeut:innen sein? Wie kann ihre Ausbildung speziell für den Umgang mit traumatisierten Menschen verbessert werden?

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