PODCAST | Folge 26 | Maximilian Klein

„Leistungsdruck, Abhängigkeitsverhältnisse, Machtdynamiken - das öffnet Missbrauch Tür und Tor.“

Missbrauch im Sport: darüber wird immer noch wenig geredet und es wird wenig dagegen unternommen. Dabei berichten 30% der Spitzensportler:innen von sexuellen Übergriffen. Maximilian Klein erklärt, was passieren muss, damit Vereinssport sicherer wird.




Wenn Sie diesen bereitgestellten Inhalt aufrufen, kann es sein, dass der Anbieter Nutzungsdaten erfasst und in Serverprotokollen speichert. Auf Art und Umfang der übertragenen bzw. gespeicherten Daten hat die UBSKM keinen Einfluss. Weitere Informationen zu den von FeedPress erhobenen Daten, deren Speicherung und Nutzung finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters.

Folge hier anhören

Das Interview der Folge 26 als Transkript lesen

Maximilian Klein [00:00:02] Sie sind dann natürlich hochgradig abhängig von ihren Trainerinnen und Trainern, von Verbands-Entscheidung, von Nominierungs-Entscheidungen. Und das kann natürlich Tür und Tor für Missbrauch öffnen.

Nadia Kailouli [00:00:15] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadja Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei, damit sich was ändert.

Nadia Kailouli [00:00:39] Sportvereine sind für viele Kinder und Jugendliche eine Art Ersatzfamilie, erst recht, wenn es Richtung Leistungssport geht. Da wird dann drei, vier Mal die Woche trainiert. Irgendwann gibt es Einzelbetreuung, Trainer reisen mit der Sportlerin oder dem Sportler alleine zu Wettkämpfen. Da verbringen Kinder also viel Zeit mit ihren Trainern. Da kommt es zu Nähe und da gibt es auch immer wieder sexuelle Übergriffe. Wenn die betroffenen Kinder es dann sogar schaffen, darüber zu sprechen, glauben viele Vereine den Betroffenen nicht oder versuchen, den Missbrauch zu verschleiern, damit der Verein nicht schlecht dasteht. Missbrauch im Sport, das ist immer noch etwas, worüber möglichst wenig geredet und wenig unternommen wird. Und das kann so nicht bleiben, hat sich der Verein Athleten Deutschland gesagt. Und deren Sprecher Maximilian Klein hat mir erklärt, was alles passieren muss, damit Sport im Verein und vor allem Spitzensport eine sichere Sache ist. Herzlich willkommen, Maximilian Klein bei einbiszwei. Schön, dass du da bist.

Maximilian Klein [00:01:32] Ja, vielen Dank für die Einladung.

Nadia Kailouli [00:01:33] Maximilian, du bist bei Athleten Deutschland e.V., muss man, glaube ich dazu sagen. Und ihr setzt euch, wenn ich das jetzt mal so zusammenfassen darf, für einen Sport ein, der eben nicht diskriminiert werden soll, wo es Gleichberechtigung gibt, wo man wo, also wo aufgeklärt werden soll, in Diskriminierung, Missbrauch etc. Also das fällt alles unter diesen Deckmantel Athleten Deutschland. Oder wie würdest du das beschreiben?

Maximilian Klein [00:02:02] Ja, das stimmt schon ganz. Das ist natürlich richtig so. Wir sind sozusagen die Vertretung der deutschen Kaderathletinnen und -Athleten. Wir sind mit, ich glaube zwischen 40 und 50 Mitgliedern gestartet, damals noch 2017/2018 und mittlerweile auf über 1500 Kaderathletinnen angewachsen und setzen uns eigentlich für die Perspektive unserer Mitglieder ein, persönlich wie sportlich, für Mitbestimmung im nationalen und internationalen Sportbetrieb und eben für den Schutz unserer Mitglieder. Es gibt ganz viele Regelungen und ganz viele Strukturen, die Menschenrechtsrisiken für Athletinnen und Athleten bedeuten. Und da geht es natürlich darum, dass wir einen Sport haben, Leistungssport, der frei von Gewalt, frei von Missbrauch ist.

Nadia Kailouli [00:02:48] Und genau auf diesen Themenbereich konzentrieren wir uns heute. Wir sprechen über Missbrauch im Sport und wir sprechen darüber, weil man darüber sprechen muss, weil es eben nicht nur Einzelfälle gibt, sondern dass das schon fast würde ich sagen, systematisch auffällt, dass gerade im Sport eben viel Missbrauch passiert. Direkt die erste Frage: Warum? Warum gerade im Sport?

Maximilian Klein [00:03:15] Na ja, man muss vielleicht noch mal unterscheiden, welcher Sport eigentlich. Also es gibt ja da den Breitensport und in unserem Bereich ganz konkret den Leistungs- und Spitzensport. Aber man kann schon für beide Bereiche sagen, dass es da ja Selektionsprozesse gibt, die gibt es auch im Breitensport. Das heißt, es gibt eine Bestenauslese und da entstehen natürlich auch Abhängigkeitsverhältnisse. Da kann viel Missbrauch mit Macht geschehen, im Privaten wie im Leistungssport. Oft sind Sportvereine auch so eine Art Familienersatz. Und wir wissen ja auch Missbrauch findet auch in Familienstrukturen, Familien-ähnlichen Strukturen statt. Es ist teilweise ein männlich dominiertes Feld. Auch das ist sicherlich, spielt sicherlich eine Rolle. Und insgesamt, je höher das Leistungsniveau geht, desto höher sind auch die Risiken und desto besser sind auch die Gelingensbedingungen von Missbrauch. Deshalb sind auch Leistungssportlerin und Sportler noch mal auch eine spezifische Risikogruppe.

Nadia Kailouli [00:04:14] Warum ist gerade dann oder warum ist man gerade dann gefährdet, zum Beispiel im Sport, wenn es, wie du gerade sagt, es so um Leistung geht? Warum ist es so, ich will nicht sagen gefährlich, aber warum sind Täter dann gerade da in diesen Strukturen so konzipiert? Oder warum ist gerade dieses: Okay, Druck ausüben, damit mehr Leistung kommt auch eben der der Weg in den Missbrauch hinein?

Maximilian Klein [00:04:42] Na ja, im Leistungssport ist es ja so, dass die Athletinnen und Athleten sich sehr früh in dieses System begeben. Es sind teilweise reden wir auch über geschlossene Strukturen, die von außen kaum einsehbar sind, also gerade wenn wir über Stützungssysteme reden. Und das passiert schon im frühen Kindesalter und es wird sehr, sehr früh jede Entscheidung der sportlichen Karriere untergeordnet und sehr, sehr früh entstehen da Abhängigkeitsverhältnisse, Machtdynamiken, wo die Athletinnen und Athleten diese biografische Fixierung haben. Und sie sind dann natürlich hochgradig abhängig von ihren Trainerinnen und Trainern, von Verbands-Entscheidungen, von Nominierungs-Entscheidungen. Und das kann natürlich Tür und Tor für Missbrauch öffnen. Und deshalb ist es so wichtig, dass es dann eben auch entsprechende Schutzmaßnahmen für die Athletinnen und Athleten im Spitzensport gibt. Im Breitensport würde ich jetzt noch mal dazu sagen, da haben wir auch das Problem. Also da werden jetzt erstmalig Daten erhoben, im Spitzensport liegen die vor und im Breitensport haben wir natürlich das Problem, dass wir so viele Vereine haben. Wir reden da über 90.000 Vereine. Da haben wir natürlich zahlenmäßig eine ganz andere Dimension.

Nadia Kailouli [00:05:49] Jetzt hattest du gerade eben schon Studien angesprochen, Zahlen angesprochen, die es im Spitzensport schon gibt. Die belegen okay, hier findet Missbrauch statt, sei es jetzt eben verbal, körperlich etc. – wir fassen heute alles erst mal unter einem Begriff. Ich habe mir diese Studie auch angeschaut und da ging es auch vor allem darum, was man besser machen muss. Ja, und da ist ja zum Beispiel erst mal die Bereitschaft überhaupt, dass man sich diesem Thema annähert. Und da sind viele Vereine schon dazu bereit, eben auch im Breitensport. Aber viele sagen auch noch: Nee, bei uns nicht, wir kennen uns ja alle, da braucht man uns jetzt erst mal gar nicht mit befassen. Und da genau liegt ja das Problem. Und da habe ich mich gefragt: Wie sensibilisiert man denn im Breitensport, dass Sie sich auch mit dem Thema Missbrauch im Verein auseinandersetzen müssen?

Maximilian Klein [00:06:41] Also das ist eine der großen Fragen, weil tatsächlich die meisten Missbrauchsfälle im Vereinsumfeld stattfinden. Das heißt, die Vereine, das ist schon das Handlungsfeld, wo am meisten gemacht werden muss. Und es gibt da auch eine neuere Zahl vom Sport Entwicklungsbericht: 40 % der Vereine gaben da an, sich eher nicht oder gar nicht in diesem Handlungsfeld zu engagieren. Und das ist natürlich eine alarmierende Zahl. Also das ist schon die Frage, wie sozusagen, wie wir Präventions- und Schutzmaßnahmen und Schutzprozesse in die Fläche bringen, sodass am Ende es eben nicht vom Zufall abhängig ist oder von Region oder Sportart, wie gut Kinder, wie gut Sporttreibende geschützt sind. Also das ist, das ist wirklich ein Riesenproblem, dass wir dieses Gefälle in Deutschland haben. Also es gibt einige Bundesländer, auch Landessportbünde, die sozusagen viel, sehr gute Arbeit machen und auch Qualitätsbündnisse zum Beispiel aufgebaut haben. Und dann haben wir aber auch Vereine oder Sportarten oder Regionen, wo zu wenig passiert. Und die Frage ist so ein bisschen, wie kann man da ein einheitliches, hochwertiges Schutzniveau in ganz Deutschland herstellen und da auch strategische Maßnahmen ausrollen, damit es auch in die Umsetzung kommt? Und wir fragen uns natürlich: Muss das von oben kommen? Ich glaube, das geht immer nur zu einem gewissen Teil. Also was ist sozusagen die strategische Steuerungsfähigkeit der Dachorganisationen, also Deutsche Sportjugend, Deutscher Olympische Sportbund, DOSB und wie viel muss sozusagen über die Landessportbünde kommen? Also es fängt tatsächlich viel an mit einem Commitment, dass man überhaupt den Willen hat, als Verein oder als Sportorganisation da loszugehen. Und dann braucht es aber unbedingt diese Unterstützung von außen, gerade wenn es um Risikoanalysen geht, da brauchen die Unterstützung von außen. Und das Ganze bringt vielleicht eine riesige Herausforderung, das heißt aber nicht, dass wir nicht darüber reden dürfen. Also Herausforderung stimmt, aber es braucht Lösungen.

Nadia Kailouli [00:08:37] Wäre eine Lösung, etwas verpflichtend zu machen, also jeden Verein, egal ob jetzt Spitzensport oder Breitensport, dazu zu verpflichten, eben Schutzkonzept zu haben und sich damit auseinanderzusetzen und vielleicht auch noch andere Regeln, über die wir gleich noch reden können, anzuwenden.

Maximilian Klein [00:08:54] Ja, absolut. Also dieses Thema Verpflichtung mögen Sportorganisationen manchmal nicht ganz so gerne. Da sind wir dann vielleicht auch oft im Bereich der Autonomie des Sports. Also Sportorganisationen haben manchmal so leichte Abwehrreflexe, wenn es um Regelgebung geht, die außerhalb ihres eigenen Gestaltungsspielraums liegen. Um das jetzt diplomatisch zu formulieren. Was tatsächlich viel passiert ist über den Hebel der öffentlichen Förderung. Also da muss man schon sagen, dass ja der Staat, der größte Zuwendungsgeber, der größte Förderer von Sport ist, auf kommunaler Ebene, auf Landesebene, auf Bundesebene. Und dass man über diese Hebel geht und sozusagen die Weiterleitung von öffentlichen Geldern an die Umsetzung von Schutz- und Präventionsmaßnahmen knüpft. Das passiert zum Beispiel im Spitzensport schon teilweise. Oder dass es eben über die Dachorganisation geht. Also der DOSB, die DSJ, machen das mit ihrem Stufenmodell schon für ihre Mitgliederorganisationen. Diese Stufenmodelle umfassen aber eben nicht die Vereine. Und das ist eben das das Ding, dass man schon da auch an die Vereinsebene ran muss. Also man kann sicherlich mit Druck arbeiten. Das ist der eine Hebel, aber es muss auch von innen kommen. Also da muss auch ein Kulturwechsel stattfinden und das geht nicht nur über Druck oder Zwang.

Nadia Kailouli [00:10:11] Wie würde denn der Kulturwechsel aussehen? Wenn du so erzählst, versuche ich mir das so ein bisschen zu visualisieren, um das besser nachzuempfinden. Wie war das eigentlich damals, als ich im Volleyball, ich habe Volleyball gespielt, man glaubt es nicht. Ja genau. Im Volleyball Verein, ja. Wie würde ich, wenn ich mich so zurückerinnere, jetzt als erwachsene Frau, die jetzt auch so mit dem Thema Missbrauch und auch mit dem Thema Missbrauch im Sport sich schon intensiver auseinandergesetzt hat, wie blicke ich darauf? Und natürlich weiß ich, es gab einen Trainer, mir ist nichts passiert, das war alles cool. Aber wir hatten da genau nur einen Trainer, einen männlichen Trainer, eine Halle und 20 Mädchen. So, jetzt überlege ich so: Okay, wie könnte da, wie könnte da jetzt ein Kulturwandel einen Strukturwandel stattfinden? Hätte nicht noch Frau Soundso dabei sein müssen? Hätte man vielleicht irgendwie sich anders anziehen können? Weil Volleyball wissen wir es ziemlich knapp, die Kleidung. Sprichst du das an, wenn du über Kulturwandel sprichst oder wie würdest du das definieren?

Maximilian Klein [00:11:02] Beides. Also einmal, dass man ein Bewusstsein schafft und da gibt es verschiedene Aktivierungs- oder auch Gelingensfaktoren. Zum Beispiel mit der Größe des Vereins: Je größer der Verein, desto wahrscheinlicher, dass der Verein sich damit auseinandersetzt. Das hängt auch mit der Geschlechterverteilung im Vorstand ab. Also je männlicher, desto weniger relevant ist das Thema. Das heißt, es geht auch darum, dass mehr Frauen in Führungspositionen in Vereinen kommen. Das hängt auch von Qualitätsbündnissen ab. Also in welche Netzwerke ist der Verein eingebettet? Gibt es da Fachberatungsstellen in der Region? Gibt es da vielleicht Qualitätsbündnisse? Das sind schon solche Faktoren. Das meine ich mit mit diesem Organisationsprozess, mit diesem, dass man überhaupt das als Problem auch anerkennt. Und dann haben wir natürlich noch einen, da rede ich jetzt mehr über den Leistungssport natürlich, das Thema Kulturwandel im Sinne von: Was ist eigentlich ein Leistungssport? Oder was ist ein Sport, der die Menschenrechte achtet, der gewaltfrei ist? Und im Spitzensport haben wir eine große Diskussion gehabt, gerade in ästhetischen Sportarten, wo die Grenzen liegen. Also reden wir nicht exklusiv über sexualisierte Gewalt, sondern auch gerade über psychische Gewalt und die Fälle im Turnen. Global ist das ein Problem, aber jetzt hier auch in Chemnitz, in Deutschland, haben da halt einen riesen Prozess in Gang gesetzt. Da reden wir auch schnell  über Kinderrechte, über minderjährige Athletinnen und Athleten, Grenzverletzungen und die Einbindung natürlich. Am Ende geht es natürlich um die Einbindung der Athletinnen und Athleten.

Nadia Kailouli [00:12:36] Wenn wir jetzt darauf gucken, was Athleten Deutschland so an einem eigenen Kader hat, an Leuten, so nenne ich das jetzt mal, die sich dafür einsetzen, engagieren. Sowohl du, der eher so von politischer Bewegung da was verändern will, als auch eben Sportlerinnen und Sportler, die sich damit engagieren, sieht man ja eine Bewegung. Man sieht diese aber ja, wenn man auf diese Studie guckt und sich anschaut, dass diese Safe Sport Studie ja schon 2016 rausgekommen ist und wo wir heute stehen, wenn wir das zum Beispiel mit dem Missbrauch in der katholischen Kirche vergleichen, wo seit Herauskommen der Fälle wahnsinnig viel drüber berichtet worden ist, wahnsinnig viel drüber gesprochen worden ist, fragt man sich, warum das beim Sport eigentlich in Anführungszeichen so schleppend vorangeht? Obwohl ihr viel tut.

Maximilian Klein [00:13:21] Ja, ich wollte sagen, das ist immer so eine Frage der Perspektive. Aber natürlich, in der Gesamtschau ist es schon so, dass das Thema, also dass der Sport in einigen Bereichen hinterherhinkt, in anderen Bereichen schon viel macht. Und ich glaube, es ist schon auch wichtig zu betonen, dass viele engagierte Personen im Sport schon seit Jahren und Jahrzehnten unterwegs sind und sich diesem Thema widmen und auch eine hohe Kompetenz aufgebaut haben. Also es gibt Athletinnen und Athleten, die immer mündiger werden, die sich immer mehr trauen, über Vorfälle zu sprechen. Das wurde auch global ausgelöst in den USA, durch diesen, durch diesen Fall um Larry Nassar im US-Turnen. Dann gibt es diese unabhängige Athletenvertretung jetzt in Deutschland, die eben außerhalb der Sportstrukturen auf Missstände aufmerksam macht. Und es gibt eben eine Politik, auch einen Staat, der viel mehr Interesse hat, den Sport auch irgendwo zu verpflichten, dass mit öffentlichen Geldern keine Menschenrechtsverletzungen begangen werden, kein Schaden angerichtet wird. Und in Abgrenzung dazu hat der Sport schon oft auch die Tendenz, die Dinge intern zu halten und ja, in seinem Handelsbereich das Ganze so zu regeln, regeln zu wollen.

Nadia Kailouli [00:14:34] Und da sieht man eben, dass das in manchen Bereichen eben nicht der beste Berater ist, das rein intern zu machen. Wenn ich so an den Sport und an Prävention denke, dann denke ich in erster Linie an, was gut, richtig und wichtig ist und niemals aufhören darf, ist halt eben, dass man Anti-Rassismus-Kampagnen macht. Eben. Wir sind alle gleich auf dem Platz hier. Das ist hier nicht der Ort für Rassismus und wir engagieren uns gegen Rassismus. Weniger ist es bekannt im Thema Sexismus zum Beispiel. Wann war das? Vor zwei Jahren? War das letztes Jahr oder vorletztes Jahr? Ich glaube, vorletztes Jahr, als sich die olympischen Turnerinnen eben oder einige davon stark gemacht haben oder dafür eingesetzt haben, zu sagen:  Wir ziehen andere Kleidung an. Nicht mehr nur dieser knappe Body, sondern die Beine sind bedeckt. Dass man bei den Übungen, trotzdem die Übung sehen kann, so aus dem sportlichen Aspekt. Aber eben wenig Po, wenig Bein. Wie findest du das? Oder wie, nein, jetzt erst mal nur du. Bevor du nur für Athleten sprichst, interessiert mich deine Meinung.

Maximilian Klein [00:15:39] Ich finde das ja klasse, ich finde das super. Das ist genau das, was ich eben gemeint habe. Also die Athletinnen und Athleten sind mündig. Und sie haben in letzter Zeit, in den letzten Jahren gab es immer mehr, die von ihrer Stimme Gebrauch gemacht haben und sich immer mehr getraut haben, eben gegen diese Abhängigkeitsstrukturen, gegen gegen diese Machtgefälle vorzugehen, um einfach auf Missstände auch aufmerksam zu machen. Deshalb ist es so wichtig, dass auch die Turnerinnen und Turner da ein Zeichen gesetzt haben und diese langen Anzüge tragen. Das ist genau diese Debatte. Also da haben wir bei Athleten Deutschland zum Beispiel auch eine AG für Gleichstellung, wo es genau diese Themen gibt. Und um das ein bisschen größer zu machen: Es geht am Ende um Menschenrechtsrisiken. Also das ist eigentlich das verbindende Thema, über das wir hier reden, über Diskriminierung, über Gleichstellungsfragen, Gewalt und Missbrauch. Und es gibt ganz, ganz viele Rechte von Athletinnen und Athleten, die durch die Regeln, durch die Strukturen im Sport beschnitten werden. Und deshalb so wichtig, dass die Athletinnen und Athleten das einmal darauf, also einmal darauf aufmerksam machen, auf der anderen Seite, dass es auch unabhängige Vertretungen gibt, wie die unsere, wo wir sozusagen solche Konflikte auf unsere Schultern laden können und das eben nicht mehr dann auf der Schulter der Athletinnen abgeladen wird. Weil das erfordert ja auch Mut und Risiko.

Nadia Kailouli [00:17:01] Genau, zum Beispiel auch Mut und Risiko, weil es waren natürlich nicht alle Athletinnen und Athleten der Meinung von einigen, die gesagt haben, wir ziehen jetzt lange Kleidung an, sondern es gab natürlich auch die, die gesagt haben Moment mal, aber was für ein Zeichen setzen wir damit, dass eine Frau, die knapp bekleidet ist und turnt, gleich zu einem potenziellen Opfer wird?

Maximilian Klein [00:17:20] Ja, aber es geht bei dieser Debatte um Wahlfreiheit. Das ist der Punkt, und das haben wir ganz viel. Also wir haben hier das Thema Wahlfreiheit. Genauso wie wir im Beachvolleyball die Debatte darüber hatten, ob jetzt die Frauen in Doha verpflichtet wurden, lange Anzüge zu tragen. Nein, sie wollten kurze Bikini Hosen tragen. Aber im Beachhandball haben wir genau die umgekehrte Debatte, da wollen die Frauen lange Hosen tragen wie die Männer. Und es geht hier um Wahlfreiheit, genauso wie es auch beim Thema Meinungsfreiheit um Wahlfreiheit geht. Also die Meinungsfreiheit ist ja durch so eine Regel beschnitten. Athleten dürfen auf dem Podium oder auf dem Spielfeld keine Meinung äußern, dürfen keine Protestaktionen machen. Und da muss man auch sagen,es geht hier um Wahlfreiheit. Wer sich äußern möchte, sollte das recht haben, sich äußern zu können.

Nadia Kailouli [00:18:08] Wenn wir jetzt über das Thema Äußern sprechen, gehen wir mal auf das Thema, dass man im Sport ja, du kennst es wahrscheinlich als ehemaliger Beachvolleyballer auch sehr gut, dass man eben dieses Teamgefühl hat. Und das hat man nicht nur mit seinen Mitturnern und -Turnerinnen, sondern das hat man auch mit den Eltern, mit denen, die nur die, weiß ich nicht, die Anzüge waschen. Ja, mit dem, der die Turnhalle aufsperrt. Da gibt es ein Gefühl der Zugehörigkeit, und das hat man ja oft auch dem Trainer gegenüber. Und dann ist ja oft zum Beispiel der Trainer aber der Täter und viele können das gar nicht glauben. Und dann hat man diese Angst, das zu äußern, dass dieser Trainer oder auch Trainerin sich eben nicht korrekt verhalten hat. Habt ihr für euch mit dem Auseinandersetzen dieser Thematik einen Schlüssel gefunden? Wie spricht man das an? Weil man damit ja eine Vereinsstruktur zerstören könnte.

Maximilian Klein [00:19:01] Also es muss ein System geben, das gewährleistet, dass Meldungen ernst genommen werden, dass meldenden Personen kein Nachteil entsteht und dass eben auch Konsequenzen folgen. Und das ist das große Problem. Es wird viel zu wenig ernst genommen. Viele Meldungen versanden. Die betroffenen Personen bekommen nicht die Unterstützung, die sie brauchen, die ihnen zusteht. Am Ende haben wir das Riesenproblem, dass oft kein Durchgriff erfolgt, dass sich nichts ändert, weil es eben dann am Ende in der Realität schon geschlossene Ökosysteme gibt, die kaum von außen aufgebrochen werden können. Das heißt, es geht am Ende um eine Gewaltenteilung, die nötig ist, irgendwo.

Nadia Kailouli [00:19:40] Jetzt gibt es ja hier und da eben doch schon Schutzkonzepte. Also nicht doch schon, sondern es gibt verpflichtende Schutzkonzepte ja, auch für für den Spitzensport, wenn ich richtig informiert bin. Die müssen einen Beauftragten, einen Ansprechpartner in ihrem Verein nachweislich da haben, wohin man sich als Spitzensportler in diesem spitzen Verein wenden kann, falls was ist. Das gibt es ja noch nicht so lange wie wie ist es also wie kann man schon sagen, was das bringt, dass es eben viele gibt, die sich melden? Oder gibt es kaum jemand, der sich meldet? Also habt ihr da schon Erkenntnisse?

Maximilian Klein [00:20:18] Ja, das ist die richtige Frage, leider. Weil es eigentlich zwei Probleme gibt. Wir haben da auf der einen Seite ein Datenproblem und wir haben natürlich ein Problem, wie diese Strukturen da der internen Ansprechpersonen überhaupt aufgesetzt sind. Also erstens, es gibt nach meiner Kenntnis kein nationales Fallmonitoring, was ja eigentlich nötig wäre. Es bräuchte eine Art Erhebung oder eine anonymisierte Erfassung, wie mit Fällen umgegangen wird innerhalb der Sportstrukturen, wie gemeldet wird, wie die gelöst werden, weil nur wenn man sozusagen diese Daten hat, kann der Sport für sich Ableitungen treffen, kann man auch sehen, ob es über die Zeit Entwicklungen gibt. So, also da haben wir ein Riesenproblem, dass es alles wie ein Flickenteppich ist. Also wir haben einmal diese regionale Aufteilung in die Landessportbünde  und dann hat man noch mal die Spitzenverbände. Die Landessportbünde sind deutlich besser aufgestellt, auch im Hauptamt. Und trotzdem ist alles einfach Stückwerk, ein Flickenteppich. Teilweise wird isoliert voneinander gehandelt. Das heißt, es gibt nicht diese Übersicht, wie überhaupt mit den Fällen umgegangen wird. Und dann hat man noch mal, was die Benennung der internen Ansprechpersonen angeht, so ein bisschen die Herausforderung, dass es da total gute Leute gibt, auch toll aufgestellte Teams. Auf der anderen Seite dann aber Leute im Ehrenamt beauftragt werden. Teilweise stehen die selbst in Abhängigkeitsverhältnissen zu Verbandschefs, teilweise ist der Ausbildungsstandard gar nicht klar. Also wir haben dieses Gefälle. Und das ist natürlich ein Problem. Also wir brauchen da klare Bildungsstandards, es braucht eine gute Besetzung und da braucht man auch erst mal eine Übersicht. Auch diese internen Ansprechpersonen, das ist eigentlich die letzte Herausforderung, sind einfach, denen sind auch die Hände gebunden. Also selbst wenn die wollen, können die ganz oft auf Fälle gar nicht einwirken. Die können nur empfehlend einwirken. Und selbst die gut ausgestatteten Teams in gut aufgestellten Landessportbünden sind in der Interventionsarbeit, also wenn es wirklich um den Umgang mit Fällen geht, überlastet, überfordert, weil das so hochspezialisierte, arbeitsintensive Expertise bedeutet. Und das heißt, diese internen Ansprechpersonen, die haben einfach einen super schwierigen Job, die stehen teilweise zwischen den Stühlen, haben mehrere Hüte auf, können selbst in Interessenkonflikte kommen, wenn es um die Bearbeitung von Fällen geht, wo vielleicht Verbandspersonal involviert ist. Also ganz schwierige Sache, ganz schwieriger Job. Und deshalb braucht es sozusagen auch eine Struktur, die unabhängig von denen läuft.

Nadia Kailouli [00:22:49] Gut, wenn eine Struktur unabhängig von denen läuft, braucht es ja trotzdem den oder diejenige, die sich dann dieser unabhängigen Struktur zuwendet. Wie sensibilisiert man überhaupt, sich zum Beispiel auch, man kann sich ja auch bei euch hinwenden, zu Athleten Deutschland e.V.. Ich frage mich so: Wer macht das? Weil, also die Angst davor zu sagen, das war nicht korrekt, ist erst mal riesengroß, weil man selber für sich gar nicht mehr so richtig definieren kann, wo ist eigentlich die Grenze? Wie weit darf mein Trainer zum Beispiel gehen? Da fängt es ja schon an. Dann, wie du ja eben schon gesagt hast, ist ja die Leistung, das große Thema. Ich will ja hier, weil ich will ja was erreichen, deswegen bin ich hier. Ich bin ja nicht nur hier, weil mir langweilig zu Hause ist, sondern ich will auch irgendwie Leistung bringen und auch Erfolge sehen. Das heißt, mit dem Anprangern könnte meine Leistung ja gefährdet werden. Wie sensibilisiert man denn im Sport gerade die Sportlerinnen und Sportler, dass nichts der Leistung schaden könnte?

Maximilian Klein [00:23:44] Es ist natürlich eine Riesenherausforderung, die Athletinnen und Athleten dafür zu sensibilisieren. Gerade im Spitzensport hast du halt diese Abhängigkeitsverhältnisse. Du fixiert alle Lebensentscheidungen auf die sportliche Karriere, ordnest alles unter über Jahre. Und dann das Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es doch Grenzen gibt und dass es auch Rechte gibt, die einfach einzuhalten sind, die man achten muss. Das erfordert extrem viel Arbeit, die jahrelang braucht und die wahrscheinlich auch Sportler Generationen brauchen wird. Um sozusagen die Not zu lindern, ist eine unabhängige Anlaufstelle mittlerweile anzubieten: Anlauf gegen Gewalt. Das heißt die erste unabhängige Beratungsstelle für Gewalt und Missbrauch im Spitzensport, wo wir auch nicht nur einen Erstkontakt anbieten, sondern auch eine längerfristige psychosoziale und rechtliche Begleitung. Das löst aber natürlich kein Strukturproblem.

Nadia Kailouli [00:24:34] Und vor allem, wenn man sich die Masse anschaut. Ich weiß nicht, wie viele Turnvereine, Sportvereine es in Deutschland gibt, abgesehen vom Spitzensport, eben dem Breitensport. Da sind wir bei etlichen 1000 Vereinen, die es da ja auch Geld zu erreichen. Und da denke ich mir natürlich auch, wär es denn nicht gut, wenn es irgendwelche Kontrollen geben würde? Wenn man sich dann einmal die Zahl anguckt, also ich müsste jetzt auch recherchieren, aber es sind auf jeden Fall ja, ich weiß ja, wenn ich jetzt 90.000 im Breitensport, 90.000 Vereine sage, dann bin ich, glaube ich, gar nicht so weit davon entfernt, oder?

Maximilian Klein [00:25:07] Ja, man redet immer so, man spricht immer von 90.000 Vereinen und ich glaube fast 30 Millionen Mitglieder.

Nadia Kailouli [00:25:14] Ja.

Maximilian Klein [00:25:14] Also wir reden hier, wenn man eine gewisse Prävalenz da zugrunde liegt von hunderttausenden Fällen. Und gerade wenn wir auch einen erweiterten Gewaltbegriff anlegen, also nicht nur sexualisierte, sondern auch physische und psychische Gewalt, da ist das natürlich eine Mammutaufgabe. Und wir müssen es schaffen, dass es diesen Kulturwandel gibt auf der einen Seite, in der Fläche, dass aber auch die Strukturen richtig aufgestellt sind, also eine Mischung also aus unabhängigen Strukturen und eben Strukturen im Sport, die fit for purpose sind, sozusagen also geeignet sind.

Nadia Kailouli [00:25:49] Jetzt sprechen wir mit dir natürlich ganz explizit darüber, wie sich Vereine aufstellen können. Du hast mehrmals gesagt, ihr als Athlet:innen-Vertretung, seid auch Ansprechpartner oder appelliert dahin: So, das sind eure Rechte, achtet darauf etc.. Ich frage mich gerade, ich habe jetzt keine Kinder. Aber natürlich ist glaube ich das erste, was man irgendwie machen möchte, wenn man da irgendwie Kinder in die Welt setzt oder die dann da sind oder man selber dann irgendwann seinen eigenen Kopf hat, dass man sich denkt, natürlich, welcher Sportverein wird es denn?Weil irgendeiner wird es. Es wird das Turnen, es wird Volleyball, es wird Fußball, es wird Spinning, es wird Tennis, es wird Boxen, es wird Judo – ich habe ja keine Ahnung. So, jetzt frage ich mich: Gibt es denn jetzt aus deiner Perspektive Strukture, die man sich anschauen sollte, um zu wissen, da kann ich mein Kind mit gutem Gewissen hin bringen. Weil man guckt sich ja, also ich kann mich nicht erinnern, dass meine Eltern sich den Volleyball Verein angeguckt haben, wo ich reingekommen bin, sondern: Da gibt es einen Verein, Freitags 15:10 Uhr bist du da.

Maximilian Klein [00:26:48] So war das bei mir auch. Also du hast ja auch gar keine andere Wahl. Also wer zum Volleyball, bei mir gibts im Nachbarort ein Verein, bin ich hingegangen. Ich habe das nicht hinterfragt, ich glaube, meine Eltern auch nicht. Ja, ich glaube, das passiert viel zu wenig. Aber natürlich kann man gucken, ist das Thema in der Satzung des Vereins. Damit fängt es halt schon an,  tatsächlich mit so einem Bekenntnis in der Satzung. Gibt es ein Präventionskonzept? Wer ist zuständig? Gibt es eine Zuständigkeit? Wie ist auch vielleicht der Landessportbund aufgestellt im jeweiligen Bundesland? Also das ist so ein bisschen die Dachorganisation. Haben die Teams? Wie arbeitet der Verein auf kommunaler Ebene zusammen? Es gibt ja auch die Fachberatungsstellen, also gibt es da vielleicht ein Link? Gibt es da eine Verbindung? Also da gibt es schon so ein paar Dinge, aber wer macht das schon? Also wer guckt sich das schon an? Da muss man ja wirklich schon sehr, sehr bewusst sein. Und das ist das, das kann natürlich, also natürlich haben Eltern da die Verantwortung, aber ich denke, das machen viele nicht.

Nadia Kailouli [00:27:49] Das ist wie das Kleingedruckte lesen, die AGB, es ist ja eigentlich immer nur nervig.

Maximilian Klein [00:27:53] Und es ist auch etwas, was wir eigentlich, s muss eigentlich normal sein, es muss eigentlich Standard sein. Wir geben unsere Kinder da hin, das ist wie ein Ersatzfamilie. Und genau deshalb muss es eigentlich selbstverständlich sein, dass die Sportorganisationen ihrer menschenrechtlichen Verantwortung da nachkommen. Am Ende geht es darum, dass es Menschenrechtsrisiken in den Aktivitäten der Sportorganisationen gibt. Das ist auf Vereinsebene, das geht aber bis zum Dachverband. Da braucht es Risikoanalysen. Es braucht Maßnahmen,  um das zu verhindern. Genauso wie wir jetzt über Prävention reden, brauchen wir aber auch überall Maßnahmen, um mit Beschwerden umzugehen, um mit Fällen umzugehen. Weil Prävention ist ja nicht alleine, sondern es werden Fälle kommen. Es gibt sie. Wie läuft es in der Intervention? Was ist mit der Aufarbeitung? Vereine haben da die größten Herausforderungen, oft ehrenamtlich geführt. Das stimmt. Man muss auch berücksichtigen, dass man sie nicht überfordert. Aber da müssen natürlich dann die die Dachorganisation und auch die Landessportbünde noch viel mehr tun.

Nadia Kailouli [00:28:56] Ich frage mich, ob es so Role Models geben muss oder ob es die braucht, um eben Mut zu machen. Wir hatten hier zum Beispiel Boris Kaminski zu Gast, der von seinem schlimmen Missbrauch, muss man wirklich sagen, den er erlebt hat, als Junge im Tennisverein. Und klar, also wir sind ja hier bei einbiszwei davon überzeugt, dass wir eben Missbrauch sichtbar, hörbar machen müssen, dass man damit eben klar macht: Okay, das ist jetzt nichts, was irgendwann mal auf dem Campingplatz nur passiert, sondern es passiert tagtäglich überall. Die Zahlen stehen für sich und wir, wenn wir darüber sprechen, eben klären wir auf und machen klar: Das ist nicht okay und das darf eigentlich auch nicht passieren. Jetzt frage ich mich im Sport, es gibt ja eben diese Sportstars, die sich halt für alles stark machen, für den Umweltschutz, für den Rassismus, gegen Rassismus eben. Aber brauchen wir eben auch solche Role Models für den Missbrauch, für sei es psychische, physische oder sexuelle Gewalt?

Maximilian Klein [00:30:06] Ja und nein. Also sicherlich braucht es die. Es braucht mutige Athletinnen und Athleten. Und es sind sicherlich auch Spitzenathletinnen und -Athleten, die da eine Plattform und eine Reichweite haben. Wenn sie aber selbst betroffen sind, muss es ihnen natürlich freistehen, sich dafür zu entscheiden. Und wir wissen auch, was für eine immense Last das bedeuten kann. Deshalb sind das extrem mutige Entscheidungen, teilweise die da, die dahinterstehen. Da ist viel Risiko auch mit verbunden. Wir sehen aber, dass sie natürlich was bewirken. Also dieser Auftritt von Boris Kaminski hat extreme Wellen geschlagen. Wir wissen aber auch zum Beispiel im britischen Turnen oder auch im US-Turnen als die Turnerinnen, da ja das Ganze öffentlich gemacht haben, das hat ja einen Tsunami ausgelöst. Also in der Welt des Spitzensports haben sich plötzlich Turnerinnen und Turner aus allen Ländern gemeldet. Und auch in Chemnitz hat das ja wirklich einige Dinge ins Rollen gebracht. Also auf der einen Seite ist das sicherlich dann hilfreich, auf der anderen Seite ist es aber auch schade, weil es eben irgendwo so ein bisschen impliziert, dass man immer diese Fälle braucht und dass sie immer öffentlich sein müssen. Dabei wissen wir das ja alles. Also wir kennen ja die Prävalenz, wir wissen ja über die Strukturen und das Thema ist irgendwo eigentlich ausdiskutiert. Also auf politischer Ebene oder auch ist es irgendwo alles bekannt. Das heißt, wie viele braucht es noch, die sozusagen diese diesen Weg über die Medien suchen sollten oder über mediale Kanäle, um darauf aufmerksam zu machen? Also ich finde das total richtig, aber es sollte, es sollte nicht so wirken, als bräuchte man noch ein paar Argumente, um dann auch zu handeln.

Nadia Kailouli [00:31:56] Und liegt es am Ende vielleicht auch wieder am Geld? Weil wenn wir darüber, also ich dachte so, das muss ja auch alles bezahlt werden. Der Beauftragte, der dann da sitzt, ja der, der das vielleicht kontrolliert, der sich die Vereinssatzung anschaut. Das sind ja eben, wenn wir auf die Zahl zurückkommen, wie viele hunderttausende Menschen oder Millionen Menschen in Sportvereinen in Deutschland überhaupt aktiv sind, da die Kontrollen loszutreten. Dann sind wir da wieder bei einem politischen Finanzproblem.

Maximilian Klein [00:32:28] Wie meinst du das jetzt?

Nadia Kailouli [00:32:29] Na ja, dass die eben die Strukturen schaffen müssen, dass eben die Vereine ihrem Strukturwandel auch ein bisschen Feuer gemacht wird.

Maximilian Klein [00:32:36] Ja, beides. Also es braucht im Grunde genommen eine, es braucht auf der einen Seite natürlich die, die Stärkung in der Fläche. Also wenn wir sagen, wir wollen einen gewaltfreien Sport, der die Menschenrechte der Athletinnen und Athleten schützt, dann müssen wir Geld ausgeben. Also wir können nicht nur Geld für Schwimmbäder und Sportstätten ausgeben, sondern wir müssen auch Geld dafür ausgeben, dass die Menschenrechte geachtet werden, so das ist einfach so, das sollte Grundlage sein. Und da müssen wir auch sagen, wir müssen den Sportstrukturen, müssen den mehr Geld geben. Brauchen wir eine Analyse? Wir müssen erst mal wissen was. Was ist da? Was brauchen wir? Wie viel Geld kostet das? Das ist das eine. Und dann braucht es natürlich aber auch Geld für eine unabhängige Struktur, für ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport, das sozusagen die Aufgaben übernimmt, die unabhängig von den Sportorganisationen laufen sollten. Also diese Diskussion muss man führen: Was läuft im Sport? Was sollte unabhängig erledigt werden, damit es zum Beispiel keine Interessenkonflikte gibt? Und was sollte zentral laufen? Was sollte dezentral laufen? Das ist ein Raster, das müssen wir beantworten. Und dann muss man irgendwann auch den politischen Willen finden, dafür Geld auszugeben. Das stimmt.

Nadia Kailouli [00:33:43] Dann hoffen wir doch, dass der kommt. Aber vor allem hoffe ich, weil ich finde diesen Kulturwandel, den du angesprochen hast, ich hoffe in erster Linie, dass die Vereine tatsächlich für sich selbst eben erkennen, wir müssen da alle zusammen was dran tun. Und das heißt auch wir im Verein, auch wenn es anstrengend ist. Und auch wenn man nicht glaubt, dass das auch bei dem kleinen Verein in sonstwo, auch dort könnte was passieren, weil ich glaube oder nachdem was ich alles hier erfahren habe, Täter:innen finden ihren Weg. Ich denke mir manchmal, wenn ich einen neuen Job anfange, dann werde ich eingearbeitet. So, und wenn ich doch als Sportlerin und als Trainer und als Eltern und was weiß ich, in einen neuen Verein komme, dann finde ich: Warum gibt es da nicht eigentlich zweimal im Jahr erstmal einen Workshop? Was ist erlaubt, was ist nicht erlaubt? Was sind hier die Regeln? So, das ist, wie wenn du einen neuen Job anfängst. Da fängt es ja auch erst mal an und kriegt erst mal ein Factsheet vorgetragen, wie es hier läuft. Könnte man doch im Verein auch so machen?

Maximilian Klein [00:34:38] Passiert ja auch teilweise. Also ich stimm dir da voll zu. Ich würde sozusagen einfach noch erweitern oder ergänzen. Also das passiert teilweise. Das Problem ist einfach, dass es dieses Gefälle gibt und dass wir sozusagen einen riesen Flickenteppich haben. Also was wir eigentlich brauchen, ist so einen Atlas. Du brauchst so eine Ampel, man müsste eigentlich gucken: Ich will in den Verein, die Ampel steht auf Grün, da sind Schutzprozesse da, da sind sozusagen die Strukturen gut. In einer idealen Welt könnte man das ja so lösen. So, und dann haben wir aber eigentlich das Problem, dass wir außerhalb des Präventionsbereichs ja trotzdem Fälle haben. Das heißt die frage ist, wie wird dann mit Fällen umgegangen? Und da haben wir eben, das habe ich ja eben schon gesagt, so das Problem: Okay, es kann oft nur intern empfehlend gewirkt werden oder teilweise sind intern-handelnde Personen ja auch in Interessenkonflikten. Das heißt, es braucht dieses unabhängige Zentrum für Safe Sport, diese unabhängige Organisation, die politisch jetzt auch im Koalitionsvertrag steht, die mit solchen Fällen umgehen kann. Das heißt, wir brauchen auch abseits der Prävention einen Mechanismus, der sicherstellt, dass, wenn mal was vorfällt und wenn mal eine Meldung gemacht wird, dass diese Meldung nicht versandet, dass sie unabhängig aufgenommen werden kann, dass das untersucht wird, ganz wichtig und dass am Ende Konsequenzen folgen. Und dafür braucht es bindenden Rechtsrahmen.

Nadia Kailouli [00:35:57] Du hast jetzt mehrmals das Safe Sport Zentrum angesprochen. Wie können wir uns das vorstellen? Steht das schon? Kommt da noch was? Wie sieht das da aus?

Maximilian Klein [00:36:05] Also eigentlich ist das auf gutem Weg. Insofern, dass es eben im Koalitionsvertrag mittlerweile verankert ist. Und vor der Wahl es eine öffentliche Anhörung im Bundestag gab, wir zuvor so ein Impulspapier vorgelegt haben, eben beschrieben haben, was es eigentlich braucht, entlang dieser Säulenprävention, Intervention, Aufarbeitung. Und wir haben halt gemerkt, dass sich gesellschaftliche Akteure dafür ausgesprochen haben, Parteien über die Parteigrenzen hinweg. Also da ist sehr, sehr schnell so eine Art Konsens hergestellt worden, dass das nötig ist. Und auch die Innenministerin hat sich da noch alles noch mal dazu bekannt. Auch die Sportminister der Länder, die Innenminister sind das. Also, da ist schon ganz viel quasi jetzt geschehen. Wo wir so ein bisschen Schwierigkeiten hatten war, dass überhaupt der Sport, sich damit beschäftigt. Das passiert jetzt aber auch. Es gibt jetzt so einen Dialogprozess, also es laufen ganz viele Prozesse und das ist natürlich ein riesen Strukturprojekt. Wenn das so käme, dann hätte das Zentrum, könnte im Präventionsbereich Leute ausbilden oder zertifizieren, Standards setzen, im Interventionsbereich, Meldungen entgegennehmen, Untersuchungen sanktionieren, Aufarbeitung auch Aufarbeitungsprojekte koordinieren. Also sehr, sehr weitreichende Kompetenzen, die jetzt auch von einer Machbarkeitsstudie bestätigt wurden, die das Innenministerium beauftragt hat. Und da das aber so ein Mammutprojekt ist, wird das sicherlich Jahre dauern, bis das umgesetzt wird. Und da stehen wir jetzt. Also es laufen viele Prozesse, aber umgesetzt ist halt noch nichts.

Nadia Kailouli [00:37:38] Ach, es dauert immer so lange.

Maximilian Klein [00:37:39] Es dauert immer so lange. Deshalb haben wir diese Anlaufstelle jetzt wenigstens aufgebaut, um sozusagen kurzfristig zu handeln. Genau. Aber da hoffen wir, dass es so einen richtigen Strukturwandel, so einen Wandel auf Systemebene gibt. Genau.

Nadia Kailouli [00:37:53] Sehr gut. Irgendwann muss man anfangen, auch wenn es lange dauert.

Maximilian Klein [00:37:56] Ja.

Nadia Kailouli [00:37:58] Maximilian Klein, vielen Dank, dass du heute bei einbiszwei warst.

Maximilian Klein [00:38:00] Vielen Dank für die Einladung.

Nadia Kailouli [00:38:03] Ich fand's super, dass Maximilian Klein heute da war, um uns mal so ein bisschen auch einen Eindruck zu geben, was strukturell alles so passieren muss. Aber er hat es ja ganz deutlich gesagt, auch darüber hinaus eben, dass es jetzt nicht nur einfach damit getan ist, dass man im Verein seine Strukturen ändert, sondern dass man auch im politischen, juristischen Sinne sich eben Missbrauch in Sportvereinen näher anschauen muss und dass da vor allem auch gehandelt werden muss. Ich persönlich, und das ist meine ganz persönliche Meinung, würde mir Sportvereine tatsächlich einfach gut anschauen. Die Vereine, die schon zeigen: Wir setzen uns mit dem Thema auseinander, wir haben hier Ansprechpartner. Das ist für mich erst mal ein gutes Zeichen zu sagen, da kann ich mein Kind mit einem guten Gefühl hinschicken.

Mehr Infos zur Folge

Sportvereine sind für viele Kinder und Jugendliche eine Art Ersatzfamilie, erst recht, wenn es Richtung Leistungssport geht. Da wird dann drei-, viermal die Woche trainiert, irgendwann gibt es Einzelbetreuung, Trainer:innen reisen mit der Sportlerin oder dem Sportler allein zu Wettkämpfen. Da verbringen Kinder also viel Zeit mit ihren Trainer:innenn, da kommt es zu Nähe – und da gibt es auch immer wieder sexuelle Übergriffe. Wenn die betroffenen Kinder es dann sogar schaffen, darüber zu sprechen, glauben viel Vereine den Betroffenen nicht oder versuchen, den Missbrauch zu verschleiern, damit der Verein nicht schlecht dasteht.

„Athleten Deutschland” wurde 2017 gegründet, um den für Deutschland startenden Athlet:innen erstmals ein echtes Mitspracherecht zu ermöglichen. Der Verein setzt sich für grundlegende Veränderungen im deutschen und internationalen Sportsystem ein. Der Schutz, die Perspektive und die paritätische Mitbestimmung der Athlet:innen stehen dabei immer im Mittelpunkt.

„Wir treten ein für fairen und sauberen Sport, frei von Missbrauch und Gewalt, Manipulation und Misswirtschaft”, schreibt der Verein auf seiner Website. Maximilian Klein, Sprecher von Athleten Deutschland e.V., hat uns erklärt, wie das erreicht werden soll. 

Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:

Hier gibt es mehr Informationen über „Athleten Deutschland“: 
Website von Athleten Deutschland e.V.

Wer körperliche, psychische oder sexualisierte Gewalt im Spitzensport erlebt oder erlebt hat, kann sich an die Anlaufstelle wenden – anonym und vertraulich: 
Anlaufstelle gegen Gewalt

Die „Safe Sport”-Studie gibt es hier: 
Studie – „Safe Sport“

Was Sportvereine tun sollten, um Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt zu schützen, steht hier: 
Handlungsempfehlungen für Sportvereine

Mit Missbrauch im Sport hat sich auch die Aufarbeitungskommission beschäftigt: 
Aufarbeitungskommission – Sexueller Kindesmissbrauch im Sport

Die internationale Dimension von Missbrauch im Sport wird hier beschrieben: 
Deutsche Welle – Sextortion: Sexueller Missbrauch im Sport

Wer im Sport sexuelle Gewalt erlebt hat, kann sich an die "Ansprechstelle Safe Sport" wenden:
www.ansprechstelle-safe-sport.de
Telefonische Beratung 0800 11 222 00 Mo, Mi, Fr 10-12 Uhr Do 15-17 Uhr
per mail: beratung@ansprechstelle-safe-sport.de

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs möchte diese Website fortlaufend verbessern. Dazu wird um Ihre Einwilligung in die statistische Erfassung von Nutzungsinformationen gebeten. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.