PODCAST | Folge 27 | Kerstin Claus

„Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist das sicherste Verbrechen, das man begehen kann. Das muss sich ändern.“

„Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs“ (UBSKM) – so heißt das Amt von Kerstin Claus. Sie will, dass sich mehr Menschen mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigen. Hier spricht sie darüber, wie sie das erreichen möchte.




Wenn Sie diesen bereitgestellten Inhalt aufrufen, kann es sein, dass der Anbieter Nutzungsdaten erfasst und in Serverprotokollen speichert. Auf Art und Umfang der übertragenen bzw. gespeicherten Daten hat die UBSKM keinen Einfluss. Weitere Informationen zu den von FeedPress erhobenen Daten, deren Speicherung und Nutzung finden Sie in der Datenschutzerklärung des Anbieters.

Folge hier anhören

Das Interview der Folge 27 als Transkript lesen

Kerstin Claus [00:00:02] Wenn Täterstrategien mal greifen, die ja sehr, wirklich strategisch sind, sehr systematisch. Das ist ein solches Geflecht. Also wenn das mal angefangen hat, sich dann als Kind da noch rauszuziehen, ist fast unmöglich.

Nadia Kailouli [00:00:16] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei. Damit sich was ändert.

Nadia Kailouli [00:00:42] Bei mir ist heute, Achtung, ein langer Titel: Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs oder kurz Kerstin Claus. Im April hat sie dieses wichtige Amt übernommen und kümmert sich seitdem darum, dass sich mehr Menschen als bisher mit dem Thema sexualisierte Gewalt beschäftigen. Klingt sehr anstrengend, aber Kerstin Claus sagt, für mich ist das ein toller Job. Sie will vor allem, dass Politik und Gesellschaft endlich begreifen, dass Missbrauch nicht irgendwo weit weg stattfindet, sondern mitten unter uns. Sexuelle Gewalt ist eine gesellschaftliche Realität, sagt sie und will die Politik dazu bringen, viel mehr zu unternehmen. Wie sie sexualisierte Gewalt bekämpfen will und wie sie damit umgeht, dass ihr manchmal alles viel zu langsam vorangeht, erzählt sie mir gleich. Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung. Herzlich willkommen, Kerstin Claus, bei einbiszwei.

Kerstin Claus [00:01:31] Ich freue mich sehr, hier zu sein.

Nadia Kailouli [00:01:32] Ja, und jetzt muss ich auch direkt sagen, wer Sie natürlich sind. Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Das ist ein ewig langer Titel und viele wissen gar nicht, was bedeutet das eigentlich genau?

Kerstin Claus [00:01:45] Das ist ein politisches Amt, das ein Resultat ist, der vielen Meldungen von Betroffenen 2010. Da gab es ja den Runden Tisch sexueller Kindesmissbrauch und da wurde eine Unabhängige Beauftragte sozusagen benannt. Das war damals Christine Bergmann, ehemalige Familienministerin, die sich, glaube ich, gerade auf ihren Ruhestand gefreut hatte oder über ihren Ruhestand und die dann noch mal aktiviert wurde. Dann wurde es übernommen von Herrn Rörig. Johannes Wilhelm Rörig, der das Amt elf Jahre lang innehatte. Und jetzt wurde ich im April diesen Jahres berufen. Und aus dieser politischen Entwicklung heraus kann man sagen, meine Aufgabe ist, alle Strukturen so aufzustellen und zu bündeln, dass wir hier und heute besser Kinder schützen, also der Präventionspart, gleichzeitig aber natürlich auch den Bereich Intervention politisch gesellschaftlich mitdenken, also das ist Gesetzgebung, das sind Hilfen für Betroffene und das ist natürlich auch sozusagen die Kommunikation in die Gesellschaft hinein. Also wie schützen wir tatsächlich besser und wie schaffen wir es, dass die Ausbildung gestärkt wird, dass Menschen mehr Ahnung vom Thema haben und diese gesellschaftliche Hilflosigkeit, die man ja immer wieder erlebt, wenn ich das denke, was tue ich denn dann, um ein Stück weit aufzulösen. Und in diesem Spektrum sehe ich meine Arbeit.

Nadia Kailouli [00:03:07] Viele fragen sich dann natürlich warum brauchen wir eigentlich in Deutschland so eine Missbrauchsbeauftragte?

Kerstin Claus [00:03:16] Ja, in der Tat gibt es eine Aussage, die mich immer wieder erschreckt: Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist das sicherste Verbrechen, das man begehen kann. Und sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist in unserer Gesellschaft fest verankert. Das merken wir immer wieder. Natürlich wenn so Fälle aufploppen wie zuletzt Wermelskirchen oder vorher Lügde, Bergisch Gladbach, und so weiter. Und das wissen wir aber auch durch die vielen, vielen Berichte von Betroffenen. Früher waren es im Rahmen der Frauenbewegung Frauen, Mädchen, Erwachsene, die gesprochen haben, denen man begrenzt geglaubt hat. Und mit dieser Welle 2010, wo dann auch vor allem Männer gesprochen haben, aus dem Kontext Schule und Kirche, hat dieses Thema dann eine andere Sichtbarkeit gewonnen. Aber diese öffentliche Sichtbarkeit ist eben nur die Spitze des Eisberges und sexuelle Gewalt ist gesellschaftlich massiv verankert. Und da die politischen Anstrengungen zu bündeln, und zwar auf Bundesebene, aber natürlich auch mit Blick auf die Länder, weil das meiste muss in den Ländern passieren, halte ich für eine immens wichtige Aufgabe. Die Schätzungen gehen immer davon aus, ein bis zwei Kinder pro Schulklasse erleben sexuelle Gewalt oder haben sie erlebt. Und wenn wir uns diese Dimensionen anschauen, dann weiß man, warum es so ein Amt braucht.

Nadia Kailouli [00:04:38] Sie hatten gerade den Fall in Wermelskirchen angesprochen. Das war jetzt zuletzt der große Fall, wo Ermittlungen jemanden gefunden haben, der wirklich schlimm pornografische Inhalte erstellt hat und Kleinstkinder missbraucht hat. Als ich das gelesen habe und ich mache ja diesen Podcast jetzt auch schon ein bisschen, war ich wirklich schockiert, dass noch mal so im Detail auch in der Presse so zu lesen. Wie können wir uns jetzt vorstellen, was läuft da bei Ihnen auf, wenn so was ans Licht kommt?

Kerstin Claus [00:05:13] Also zuerst mal liegt der Fall natürlich dort in dem Bundesland und Ermittlungsbehörden sind dort damit befasst und die ganze Strafverfolgung und soweiter ist Ländersache. Ich erfahre erst mal davon, genauso wie die meisten anderen auch, über die Medien. Über Zeitungen, über Berichterstattung, und so weiter. Natürlich haben wir aber, also ich habe 30 Mitarbeiter:innen und wir haben verschiedene Fachbereiche, und natürlich wird von uns inhaltlich, politisch, aber auch in Interviews, so wie hier zum Beispiel auch, auf eine gewisse Art und Weise eine Analyse erwartet, eine Einordnung, ein: Wie kann man damit umgehen? Was muss getan werden, damit besser ermittelt werden kann, damit Kinder besser geschützt werden können? Was heißt das für die politische Ebene? Welche Ressourcen müssen bereitgestellt werden? Also mich erreichen dann in meiner Arbeit mehr diese Fragen, man sagt immer so schön, auf der Metaebene. Was können wir da entgegensetzen? Und insofern erst erfahre ich das genauso wie alle anderen auch, und dann geht es darum, das praktisch umzusetzen und auch einzuordnen vor Gesetzgebungsverfahren, vor Gesprächen mit den Ländern, das klare Drängen darauf, dass Ressourcen für Ermittlungen zur Verfügung stehen müssen zum Beispiel. Und den Schutz von Kindern und Jugendlichen dahingehend zu betonen, dass wir sagen: Alle Bilder, die wir von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche haben, sind zu kurz gegriffen für das, was es tatsächlich gibt. Wenn man anschaut, dass es sich um Babys handeln kann, dass es sich um beeinträchtigte Kinder und Jugendliche handeln kann, dass es im sozialen Nahfeld der Familie diese Gewalt gibt, aber natürlich auch in allen möglichen anderen Settings, in denen sich Kinder und Jugendliche bewegen.

Nadia Kailouli [00:07:04] Jetzt können wir zum Beispiel darüber sprechen, sie sind selber lange, lange Zeit Journalistin gewesen, haben für die öffentlich rechtlichen als Journalistin gearbeitet. Wie blicken Sie jetzt als als Missbrauchsbeauftragte so über die Berichterstattung, wenn Sie sagen, Sie erfahren das ja auch durch durch die Medien mit, wenn Sie einen Fall wie Wermelskirchen ans Licht kommt.

Kerstin Claus [00:07:25] Das sind unterschiedliche Säulen. Da ist einmal diese Säule, dass ich sehr wohl wahrnehme, dass sich Berichterstattung professionalisiert hat. Und das liegt tatsächlich auch an den Strukturen. Das liegt auch zum Beispiel an meinem Amt, dass man hier die Expertise einholen kann, dass sie entsprechend jenseits der reinen Opfer-Berichterstattung oder der Monstrosität der Tat sozusagen auch eine Fachlichkeit entgegenstellen können, noch mal klarer. Da hat sich was geändert. Das zweite, was mich immer wieder erschreckt, ist vor allem, wenn es dann um Missbrauchsdarstellungen im Netz geht. Und das ist ja in Wermelskirchen auch so, dass man sagt, das sind soundsoviel Terabyte. Dass dieses Netz für viele immer ganz weit weg ist, ganz woanders. Und dass viel zu wenig die Verbindung gemacht wird, das sind ganz reale Verbrechen, die sich irgendwo vor Ort in Deutschland ereignen, in massivster brutalster Gewalt. Das ist das erste Verbrechen. Das zweite Verbrechen ist, dass es dokumentiert wird, dass also  gefilmt wird, das Fotodateien erstellt werden und und und. Das ist das zweite Verbrechen. Und das dritte ist ja dann auch noch das Verbreiten. Und das klar zu kriegen, dass das nicht irgendwo dort im Netz ist, sondern reale Verbrechen diesem Netz sozusagen vorausgehen, ist so der zweite Punkt. Und der dritte Punkt, der mich immer wieder beschäftigt, ist, dass auch, insbesondere wenn es um Darstellungen im Netz geht, die man findet, diese Gewaltdarstellungen, dann verkürzen auch öffentlich rechtliche Medien immer wieder auf pädophile Täter. Und wir wissen aus der Wissenschaft längst, dass sozusagen ein niedriger Anteil der Täter tatsächlich pädokriminell agiert. Also tatsächlich eine eine sexuelle, abnorme Neigung hat. Und dass der Großteil der Täter und manchmal auch Täter:innen, sozusagen ein vielfältiges Motivationspektrum haben, aber es eben gerade nicht diese krankhafte sexuelle Neigung ist. Aber in dem Moment, wo Missbrauchsdarstellungen in den Fokus rücken, verkürzen wir in der Perspektive in den Medien immer wieder auf pädophile Täter. Und ich glaube, das hat etwas genau mit diesem bildhaften zu tun, dass man denkt, das müssen Menschen mit dieser Neigung sein, die solche Bilder anfertigen. Und im Umkehrschluss würde das aber heißen pädophile Menschen, Menschen mit dieser sexuellen Neigung, sind quasi fast automatisch auch schon Täter. Und das wäre ja eine Art der Diskriminierung und der Perspektive und eine Verkürzung, die so in keiner Weise haltbar ist. Und das ist so der dritte Bereich, der mich daran immer wieder beschäftigt.

Nadia Kailouli [00:10:09] Wie können wir uns das vorstellen? Weil alleine jetzt die fünf Minuten, die wir uns jetzt schon unterhalten, macht klar, mit was sie sich da auseinander setzen müssen. Das klingt jetzt nicht nach dem schönsten Job.

Kerstin Claus [00:10:21] Für mich ist es der, wie soll ich das sagen, für mich ist es der tollste Job, den ich annehmen und übernehmen hätte können. Und das ist, glaube ich, auch der einzige, für den ich gesagt hätte und dann auch habe, ja, dafür gehe ich auch nach Berlin, dafür nehme ich sozusagen in Kauf, vielfältig getrennt von meiner Familie zu sein und mein Zuhause ein Stück weit zurückzulassen. Weil ich in der Tat fest davon überzeugt bin, dass wir in diesem Themenfeld unheimlich viel erreichen können. Ich habe vorhin schon gesagt, dass es diese Hilflosigkeit, mit dem Thema diese Gedanken nicht zulassen zu können, weil jede und jeder einzelne und damit meine ich sozusagen die Familien zu Hause, die einzelne Person, aber genauso Fachkräfte in Schulen, Vereinen und letztlich auch die Politik in diesem Themenfeld wahnsinnig befangen sind. Und ich bin der festen Überzeugung, man muss dieses Thema konkretisieren, man muss es rausholen aus dieser ja, vielleicht auch Dramatik im Sinne von: Boah ey, das ist so schlimm und das tut mir so leid. Und dann aber ganz schnell den Gedanken auch wieder wegzuschieben, weil man ihn im Kopf nicht aushalten kann. Wir brauchen sozusagen eine Verbindlichkeit und eine eine Kontinuität, uns dem Thema zu stellen, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen. Und da liegt auch tatsächlich einiges in der Kommunikation und in einem pragmatischen Herangehen nach dem Motto: Okay, das ist so! Was tun wir? Was muss ich denn wissen, um handeln zu können? Wie kann ich denn besser hinschauen? Also dieses befähigen. Und da hoffe ich, und daran arbeite ich in diesem Bereich, ganz viel zu erreichen, weil mir das hoffentlich gut gelingt gegenüber Politik, gut gelingt, auch gegenüber Fachkreisen, und gut gelingt auch Richtung jeden einzelnen Menschen, Gesellschaft, dieses Thema besser an sich heranzulassen.

Nadia Kailouli [00:12:15] Sie sprechen genau glaube ich, ein Problem an, was ich auch so erfahren habe hier mit den Betroffenen oder auch Expert:innen, die uns, die mit uns gesprochen haben. Dass wenn ich das dann so in meinen Freundeskreis zum Beispiel trage und sage, hört euch mal diesen Podcast an, dass genau das passiert: Ach gott, das ist ja furchtbar. Also, erstens will ich es im Detail gar nicht wissen, das ist mir zu doll. Oder: Ja aber bei uns nicht. Wie könnten Sie das denn, oder wie haben Sie sich beraten, dass Sie dieses Tabu in der Gesellschaft irgendwie so ein bisschen brechen können, dass wir es uns halt eben anhören, auch wenn es schmerzhaft ist, diese Geschichten dann mal im Detail mehr zu erfahren oder dass man sich damit auseinandersetzen muss, auch bei uns könnte das passieren. Oder vielleicht ist es auch schon in unserer Familie vorgekommen.

Kerstin Claus [00:13:04] Also zum einen vielleicht in einer gewissen Geradlinigkeit. Also dieses schwierige hin und her und zu sagen, wir müssen uns darauf einstellen und die schwere Stimme und wie auch immer, ich glaube, das Thema braucht tatsächlich eine gewisse Frische, eine Gradlinigkeit, eine Klarheit. Ja, das ist so. Wenn wir anfangen, das zu akzeptieren, dass es so ist, dass in unserer Gesellschaft sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche grundlegend verankert ist. Und wenn wir auf dem Boden sagen: Ja, und was heißt es jetzt für mich? Diesen einen Schritt weiterdenken, dahin zu führen und zu sagen: Ja, aber das Mindeste ist doch eine Grundhandlungskompetenz. Und da reicht es schon zu wissen, wir haben einen Hilfe-Telefon. Und dieses Hilfe-Telefon ist für mich erreichbar, wenn ich nur ein doofes Gefühl habe und jetzt aber nicht gleich irgendwie groß in Aktionismus verfallen möchte. Und bevor ich nichts tue: Hey, da gibt es ein Hilfe-Telefon. Ruf einfach an. Es gibt einfach Fachberatungsstellen, informier dich da einfach. Du musst nicht Experte/Expertin sein, aber es ist super gut zu wissen, das ist die Nummer und das ist die Fachberatungsstelle in deiner Umgebung. Also das so ein bisschen praktisch in einen ersten Schritt zu gehen. Und das zweite ist aber eben auch so, diese sprachlichen Dinge aufzulösen. Also das, was ich gerade schon gesagt habe: Pädophile Täter, diese Verkürzung. Und zu zeigen: Hey, nein, das ist es nicht. Aber was mache ich denn, wenn ich von pädophilen Tätern spreche? Dann bin ich bei einer krankhaften Neigung, bei einer psychiatrischen Diagnose. Und dann denken die meisten irgendwo im Hinterstübchen: Aha, das würde ich aber erkennen. Mein Nachbar ist aber ganz normal, der hat Frau, der hat Kinder. Nö, da ist nichts. Und dann bin ich schon wieder dabei, wegzuschieben. Also solche Verkürzungen zu benennen und zu sagen: Nee, so einfach ist das nicht. Und es gibt viele Motivationen, warum diese Taten geschehen und warum sie so geschehen, wie sie dann auch in Bild und Ton auf grauenhafte Art und Weise dokumentiert sind. Und das sind so diese Dinge, wo ich glaube, wenn man das Thema besser besprechbar machen kann und dazu auffordert, es auch zu besprechen, und zwar in allen Umgebungen, in denen sich Kinder und Jugendliche bewegen. Und dann bin ich auch bei den Schulen, dann bin ich bei den Sportvereinen, dann bin ich aber auch bei den Eltern, denen ich sage: Hey, frag doch mal, ob der Sportverein ein Schutzkonzept hat, ob die Musikschule ein Schutzkonzept hat. Und dann entscheidet bitte, dass das ein Gütesiegel ist und dass das wichtiger ist als die Farbe des Vereinstrikots, die die Lieblingsfarbe deines Kindes hat. Ja, also es ist ein wesentliches Kriterium, wo gebe ich meine Kinder hin. Und deswegen brauchen wir Schutzkonzepte und deswegen, hey, fragt doch danach und informiert euch.

Nadia Kailouli [00:15:44] Was glauben Sie, warum ist man in unserer Gesellschaft trotzdem immer noch so scheu? Obwohl wir von so vielen Missbrauchsfällen ja mittlerweile auch wissen. Von großen Missbrauchsfällen, aber auch von kleineren, die dann eben zum Beispiel in der Lokalpresse dann mal darüber berichtet worden ist. Warum tun sich vor allem Eltern so schwer, genau diese Fragen zu stellen, die sie gerade gesagt haben? Wie: Fragen sie doch nach einem Schutzkonzept im Sportverein.

Kerstin Claus [00:16:06] Also manchmal fehlt einfach die Erkenntnis, dass es Schutzkonzept gibt, dass ich danach fragen könnte. Das ist das erste. Das zweite ist,ich weiß, wir haben zwei Kinder. Und als ich bei unserer Tochter in der Kita irgendwie in die Richtung gefragt habe, war das auch als erstes so: Was wollen Sie hier eigentlich? Dann habe ich offengelegt, dass ich in meiner Jugend sexuelle Gewalt erlebt habe. Dann wurde mir aber gleich gesagt: Na ja, dann gucken Sie da vielleicht anders darauf, aber bei uns hier ist da natürlich nichts. Also dann wird man auch schnell in eine Ecke gestellt. Das heißt, wir brauchen hier tatsächlich die vielen Eltern, die nachfragen, weil wenn ich als einziges Elternteil nachfrage, dann kommt dieses: Oh, was unterstellen Sie uns? Oder wie auch immer. Dann mache ich also in der Reaktion eine negative Erfahrung. Also werde ich mir beim nächsten Mal dreimal überlegen, ob ich nach einem Schutzkonzept frage. Und umgekehrt müssen aber Einrichtungen und Strukturen auch sozusagen, wenn sie denn ein Schutzkonzept haben oder auch nur daran arbeiten, eins sozusagen zu entwickeln, auch stolz darauf sein und das in jeder Vorstellung: Wir sind hier diese Schule XY und übrigens, wir haben. Also es braucht so ein geben und nehmen in beide Richtungen. Und das ist das, was mir daran sehr wichtig ist. Und vielleicht noch die zweite Überlegung: Das Tabu greift ja weiter. Es ist ja nicht nur, dass wir mit unseren Kindern darüber nicht reden können, sondern es wird ja auch erwachsenen Menschen und das hören Sie ja in diesem Podcast immer wieder, auch so wahnsinnig schwer gemacht, selber darüber zu sprechen, sexuelle Gewalt erlebt zu haben. Und ich weiß allein von mir, dass ich eigentlich immer nur dann darüber gesprochen habe, wenn ich wusste, ich bin stark genug auszuhalten, dass mein Gegenüber, meine gute Freundin, Menschen, die mich seit ich weiß nicht wie lange kennen, sozusagen fürchterlich erschrocken und motional belastet sind, das zu hören. Dass ich in diesem Moment stark genug bin, das aufzufangen. Und das ist ja eine eigenartige Struktur, dass man sozusagen proaktiv, fürsorglich, sozusagen für den anderen mitdenken muss, dass, wenn ich das jetzt sage, ich das auffangen können muss, dass der andere damit nicht umgehen kann. Und das zeigt ja schon vieles an dieser Hilflosigkeit. Und ganz viele Erwachsene können auch deswegen nicht selbstverständlich zumindest Hinweise geben, weil das einen immer etwas kostet. Weil es uns als Gesellschaft selten gelingt, dass diese Person, dieser Mensch, der in dem einen Raum gesprochen hat, vielleicht auch unter Kollegen oder wie auch immer, morgen in dem gleichen Setting noch genauso betrachtet wird, wie bevor sie gesprochen hat. Häufig nimmt einem das etwas an, was man zutraut. Häufig läuft das in eine Stigmatisierung heraus. Das heißt, das nicht sprechen, geht sozusagen über die gesamte Lebensspanne. Nicht weil Betroffene das entscheiden, sondern weil auch hier das Umfeld nicht gut das aushalten kann. Und deswegen braucht es ein Aufbrechen auf allen Ebenen, würde ich sagen.

Nadia Kailouli [00:19:09] Jetzt würde ich gerne noch mal auf den Punkt zurückkommen, was bei Ihnen beim UBSKM eigentlich alles aufläuft, wenn eben solche Fälle rauskommen, wie jetzt gerade eben Wermelskirchen. Da werden Sie ja dann auch mit Fragen konfrontiert, wie Sie schon sagten: Wie kann das sein? Was kann man dagegen tun? Das sind aber die zwei Fragen, glaube ich, die gar nicht so einfach zu beantworten sind, obwohl gerade so die Masse der Gesellschaft darauf so händeringend einfach eine einfache Antwort haben möchte. Wie kann man das verhindern?

Kerstin Claus [00:19:35] Genau. Und da sind Sie so ein bisschen an diesem, was ist der kurzfristige Impuls in meiner Arbeit und was ist das Mittel- und was ist das Langfristige? Und das ist das, was einen manchmal auch mit ziemlicher Ungeduld erfüllt. Auch mich, dass ich sage, ich möchte hier und jetzt und alle antworten und zack, ich tue was, und dann ändert sich was. Und das ist natürlich nicht so einfach. Das heißt, wenn so etwas ist, wie jetzt dieses Aufdecken des Falls in Wermelskirchen oder andere Missbrauchskomplexe, Täternetzwerke, die sichtbar werden, dann sind es so Wellenbewegungen. Und das merke ich über erhöhte Interviewanfragen, über mehr Kommunikation, über auch Anfragen aus dem politischen Geschäft. Und dann liegt darunter aber natürlich etwas. Das geht dann um so Stichworte, die ich gerade schon genannt habe. Schutzkonzepte, was braucht man eigentlich, um ein Schutzkonzept zu entwickeln? Wie sehen eigentlich Bausteine aus? Wie kommunizieren wir mit der Kultusministerkonferenz? Wie erreichen wir, dass in Schulgesetzen verankert wird, dass alle Schulen in Deutschland tatsächlich Schutzkonzepte entwickeln müssen, weil Schutzkonzepte auch heißt: Wir schaffen Sprechräume, was ganz ganz wichtiges. Und alle Kinder und Jugendlichen gehen in die Schule. Das heißt ja, es geht auch um den Tatort Schule, aber es geht eben auch um Kinder und Jugendliche, die diese Gewalt in ihrem privaten Umfeld erleben, die aber vielleicht in der Schule jemanden finden können, um zu sprechen. Also das ist schon was deutlich Mittelfristigeres und das hat auch was mit politischem Druck zu tun. Und dann gibt es ganz konkrete Dinge: Wie kriegen wir Konstanz in politisches Handeln? Und hier stehen wir aktuell zum Beispiel in der bundespolitischen Gemengelage, dass der Koalitionsvertrag der jetzigen Bundesregierung gesagt hat, dieses Amt, mein Amt, Unabhängige Beauftragte, braucht eine gesetzliche Grundlage. Und da soll zum Beispiel auch dazu gehören eine Berichtspflicht im Bundestag. Sprechräume schaffen. Im Bundestag muss über dieses Thema debattiert werden, Abgeordnete müssen sich auseinandersetzen, weil die kommen ja auch alle irgendwoher aus Deutschland, die können ja wieder Multiplikator:innen sein in ihre Region.

Nadia Kailouli [00:21:42] Können Sie denn als Unabhängige Beauftragte Druck, genügend Druck, auf die Politik ausüben? Weil am Ende liegt es ja auch oft an politischen Entscheidungen, dass zum Beispiel Schutzkonzepte in Turnverein nicht nur freiwillig sind, sondern eben verpflichtend.

Kerstin Claus [00:21:58] Jetzt bin ich natürlich einerseits noch sehr frisch im Amt, also so viel Druck konnte ich noch nicht entfalten. Und im Moment setze ich auch viel tatsächlich auf Kommunikation, auf das Werben um Unterstützung. Aber wenn ich mir anschaue, was wurde denn geschafft die letzten Jahre? Dann muss ich sagen, die Bilanz auch meines Vorgängers oder meiner beiden Vorgänger, da steckt schon wirklich viel drin. Allein diese Struktur, diese Verbindlichkeit zu schaffen, den Betroffenenrat, der den Unabhängigen Beauftragten vor mir, also Herrn Rörig, und jetzt mich begleitet und berät. Was es verändert in politischen Prozessen, wenn man die Perspektive Betroffener in ihrer Fachlichkeit, auch in ihrem Erfahrungswissen. Was hätte geholfen, was würde heute helfen für mich als Erwachsene? Und so, wenn man, wenn man sich anschaut, wie das auch Diskurse und auch politische Kommunikation untereinander quasi verändert und was dann darüber immer wieder gelingt, wie das jetzt im Koalitionsvertrag die Regierung sich verpflichtet hat, dieses Amt auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen und bestimmte Dinge dann noch mal übergeordnet zu regeln. Das ist ja nicht entstanden, weil man mal geklopft hat und gesagt hat: Bitte, bitte. Sondern das ist schon diese Mischung aus Druck, der aus dem Amt kommt, Druck, der von Betroffenen kommt, der da noch mal gebündelt wird, der aber natürlich auch in der Öffentlichkeit vielfältig über Betroffenengruppierungen sichtbar wird, die ganz, ganz wichtig sind. Und dann aber auch Wissenschaft, NGOs, die ganz klar aufzeigen, was es braucht und letztendlich auch die Öffentlichkeit, die Medien, die dieses Thema immer fundierter beleuchten und sagen: Nein, nein, das ist aber hier nicht der eine Fall. Da steckt sehr viel mehr dahinter. Und das alles führt dann tatsächlich zu einer Frequenz von politischem Handeln und von richtig sich einem Plan machen. Und so fügen sich die Dinge zusammen. Aber natürlich kann man auch ganz konkret Druck machen, indem man Missstände benennt und sagt: Das reicht nicht aus. Und immer wieder wiederholt, weil dann kommen auch die Medien, die dann auch die handelnden Politiker:innen fragen und sagen: Die Missbrauchsbeauftragte sagt aber, was sagen Sie dazu? Also das sind schon Mechanismen, wie die Arbeit natürlich auch funktioniert.

Nadia Kailouli [00:24:11] Okay. Jetzt haben Sie das Amt für die nächsten fünf Jahre inne. Und Sie haben ja gerade schon gesagt, dass Ihre Vorgänger, Ihr Vorgänger und die Vorgängerin schon vieles, vieles gemacht haben, was uns hilft, eben sexuelle Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht nur aufzuklären, sondern eben auch präventiv zu arbeiten. Dass es hoffentlich weniger wird, was die Fälle betrifft. Wir haben in diesem Podcast ganz gut sichtbar machen können oder hörbar machen können, an wie vielen, in wie viel Mechanismen sexuelle Gewalt stattfindet. Sei es auf Instagram, sei es auf der Straße, sei es im Club, sei es bei der Familie zu Hause. Was sind so für Sie, die nächsten fünf Jahre, die großen Orte, die sie erreichen wollen, um eben präventiv und aufklärend Ihren Unabhängigen Beauftragten Job zu machen?

Kerstin Claus [00:25:06] Also zum einen muss man sich klar machen, dass das sowohl der der Schutz, also die Prävention von Kindern, das ist am Ende vielfältig Ländersache. Und genau das gleiche gilt für die Hilfe von Betroffenen. Oder für, wie kann ich Verfahren kindgerechter machen? Sie hatten psychosoziale Prozessbegleitung hier, und so weiter. Also welche Strukturen braucht es vor Ort und welche Unterstützung und Bedarfe haben auch erwachsen gewordene Betroffene? Das ist alles ein Stück weit Ländersache. Das heißt, mir ist es ein riesiges Anliegen zu sagen: Wie bringe ich Dinge, die im Bund gut funktionieren, und damit meine ich zum Beispiel, die Perspektive der Betroffenen in politisches Handeln einzubinden, den Betroffenenrat, wie bringe ich solch eine Struktur auch in die Länder? Da führe ich Gespräche mit Ländern, dafür werbe ich. Und das Gleiche gilt für die Struktur der Aufarbeitungskommission. Wir haben bei meinem Amt angedockt, eine unabhängige Aufarbeitungskommission. Die macht so ähnliches, was Sie in Teilen auch hier im Podcast machen, sie macht öffentliche Hearings, sie macht Anhörungen für die Betroffenen. Sie reflektiert aus dem, was diesen vielen 1000 Meldungen, die sie mittlerweile bekommen haben, und Gespräche, die geführt wurden mit Betroffenen, sagt sie: Okay, das ist symptomatisch für den Bereich der Kirchen, für den Bereich des Sportes, für den Bereich DDR, DDR Heime, also die verschiedensten Bereiche. Und das ist natürlich ein wichtiger Impuls, wenn wir sagen, okay, wir müssen ja das, was geschehen ist und was so lange unsichtbar geblieben ist, auch heute wenigstens sichtbar machen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass es diese Struktur einer Aufarbeitungskommission angedockt auf Länderebene auch braucht, weil wir hören immer wieder, die Kirchen sollen aufarbeiten, der Sport soll aufarbeiten. Aber wenn ich das jetzt mir anschaue, bezogen auf Bistümer, auf Landeskirchen, auf regionale Sportverbände, dann können die sich ja nicht immer an einen Bund, an eine Aufarbeitungskommission beim Bund wenden. Sozusagen: Wie machen wir was am besten? Die brauchen Strukturen vor Ort. Deswegen braucht es diese Strukturen auch auf Länderebene. Und dann brauchen wir, und da bin ich dann wieder bei dem Gesetz, das ich gerade gesagt habe, wir brauchen gesetzliche Regelungen. Gerade für diesen Bereich der Aufarbeitung merken wir ja, an welche Grenzen wir stoßen. Wie, groß immer Studien zeigen, was alles nicht passiert ist, wie viel auch vertuscht wurde, wenn wir das Tabu der Familie, wo nicht gesprochen, nicht geredet wird, über Jahrzehnte und die Last, die damit einhergeht, dann muss es ja vollkommen klar sein, wie wichtig Aufarbeitung ist. Und dafür brauchen wir eine gesetzliche Grundlage. Und auch das ist ein Stück weit genannt im Koalitionsvertrag, dass hier die Regierung in die Verantwortung gehen möchte. Und das ist für mich ein großes Ziel, das zu erreichen. Und vielleicht da noch ein letzter Satz. Für mich ist das wirklich so ein bisschen so Yin-Yang-mäßig. Also Prävention gelingt nicht, wenn ich nicht anschaue, was schon passiert ist, wenn ich mich nicht beschäftige mit Täterstrategien, wenn ich mir nicht klar mache, wie konnte das passieren und wo hat denn nicht funktioniert das Hinsehen? Wer hat denn vielleicht sogar was gesehen, aber war in Strukturen, in denen er sie trotzdem nicht handeln konnte? Immer dort wo ich mir das anschaue, lerne ich ja für das hier und jetzt, lerne ich ja für die Prävention. Und das ist mir ganz wichtig, dass sozusagen das nicht entkoppelt ist, sondern das muss eigentlich so ein gelebter Kreislauf sein. Und in diesem Sinne ist auch Aufarbeitung vorweggenommene Krisenintervention für das hier und jetzt und für das Morgen und Schutzkonzept sehe ich da ganz ähnlich. Und das sind so die Dinge, die flächendeckende Verankerung und das Recht auf Aufarbeitung kombiniert mit Schutzkonzepten. Damit schützen wir heute, weil wir hinsehen, was möglich war und nicht hätte passieren dürfen.

Nadia Kailouli [00:29:03] Jetzt haben wir über den Punkt gesprochen, was sie erreichen können, zusammen mit der Politik. Eben, dass eben gesetzliche Grundlagen verankert werden müssen. Aber was können unsere Zuhörer:innen tun, die eben jetzt nicht mit abstimmen können, ob es dieses Gesetz jetzt gibt oder nicht?

Kerstin Claus [00:29:21] Ganz pragmatisch: Mal schauen, wo gibt es denn eine Fachbratungsstelle sexualisierte Gewalt bei mir in der Nähe? Einfach nur, damit ich es weiß. Sich umschauen auf unserem Hilfeportal, also online sich sozusagen vertraut zu machen, ein bisschen zu lesen. Nachzufragen, was die eigenen Kinder angeht, die Settings, in denen Kinder sich bewegen. Habt ihr ein Schutzkonzept oder wie geht ihr eigentlich um? Oder wie ist das eigentlich in der Nutzung von WhatsApp und von Messengerdiensten und wie auch immer? Und habt ihr da irgendwelche Regeln? Gibt es Verhaltenskodizes? Also Nachfragen, einfach selbstbewusst nachfragen und zu sagen: Was macht ihr in dem Thema eigentlich? Und tatsächlich auch mit Kindern und Jugendlichen sprechen. Denn wir hatten es vorhin ganz am Anfang schon mit Wermelskirchen. Kinder und Jugendliche werden im Netz mit unheimlich viel Dingen konfrontiert. Und immer dort, wo es auch überfordernd ist, wo man denkt, darüber kann ich nicht sprechen, sprechen Kinder und Jugendliche auch nicht. Und natürlich lauern im Netz auch Gefahren. Und auch hier sozusagen proaktiv mit Kindern zu sprechen. Und natürlich nicht zu sagen: Hey, der kann das ABCD so durchdekliniert benennen. Aber zu sagen: Weißt du eigentlich, was du tust, wenn dir was unangenehm ist im Netz? Also dass sozusagen diese reale Lebenswelt von Kindern, in denen sie sich ja sozial aufhalten, ein bisschen genauer anzuschauen und sich auch da wiederum über entsprechende Portale und Seiten zu informieren von Schau hin über Logo, oder so was wie die Kinder Nachrichten, die haben sehr dezidiert auch darunter noch mal irgendwie Informationen auf ihren Seiten, wo man Tipps bekommen kann. Wie thematisiere ich das denn gut mit Kindern? Das ist schon auch wichtig, Sprechräume zu öffnen.

Nadia Kailouli [00:31:17] Ich glaube, davor haben auch wahnsinnig viele Angst. Ich weiß noch, wir hatten mal Sonja Howard hier zu Gast, die auch im Betroffenenrat ist. Und ihr habe ich nämlich die Frage gestellt, dass so viele Eltern sagen: So, ich will mein Kind, also ich kann mit meinem Kind nicht über so was reden. Und da sagte sie noch so: Naja, dieses Sexualisierte, das haben wir Erwachsene im Kopf. Für ein Kind ist da erst mal nichts sexuelles dabei, wenn man dem sagt: Da fasst dich keiner an! So, und das fand ich damals, das ist mir so drin geblieben, dass ich dachte, ja klar, wir Erwachsene sind so sexualisiert und haben Angst davor zu sprechen. Aber für ein Kind ist es ja einfach nur, sie hat das verglichen mit, du sagst ja deinem Kind auch so, über eine rote Ampel läuft man nicht.

Kerstin Claus [00:31:53] Ja, und es ist wirklich auch der Austausch. Also wenn ich mir überlege, was wir alles tun, wir lesen Testhefteweise, was wir unseren Kindern sozusagen, welche Fahrradhelm der beste ist und welche Cremes wir benutzen können und alles Mögliche. Und diese vollkommen reale Gefahr für unsere Kinder, ja, die wir nicht in Händen haben, wir haben nicht in Händen, sozusagen, wenn ich ABC tue, dann weiß ich, das passiert meinem Kind nicht, diese Kontrolle habe ich nicht. Also ist doch diese Mischung aus: Okay, was kann ich an Schutz aufbauen, ganz konkret? Und dazu muss ich mich irgendwie freimachen und sagen: Okay, ich muss es besprechen. Und gleichzeitig, welches Handwerkszeug kann ich meinem Kind mitgeben, damit es leichter identifiziert hier kann es gefährlich werden? Weil wenn Täterstrategien mal greifen, die ja sehr, wirklich strategisch sind, sehr systematisch. Das ist ein solches Geflecht. Also wenn, wenn das mal angefangen hat, sich dann als Kind da noch rauszuziehen, ist fast unmöglich. Das heißt, am Ende sind es wir Erwachsene und deswegen müssen wir sprechfähig sein.

Nadia Kailouli [00:33:01] Und wie gut, dass Sie heute mit uns gesprochen haben. Vielen Dank, Kerstin Claus, dass Sie heute hier bei uns bei einbiszwei waren.

Kerstin Claus [00:33:06] Total gerne. Danke für die Einladung.

Nadia Kailouli [00:33:10] Ja, das war ein interessantes Gespräch, finde ich mit Frau Claus und vor allem fand ich hinten raus, was sie gesagt hat, dass Eltern sich die, sie gucken sich Broschüren an: Was ist der beste Helm? Was ist der beste Rucksack? Was ist die beste Creme? Damit setzen sich Eltern so wahnsinnig auseinander. Aber warum eben so wenig dann zu gucken: Gibt es ein Schutzkonzept an der Kita? Gibt es ein Schutzkonzept in der Turnhalle? Wo es eigentlich das Hilfe-Telefon und so? Das fand ich noch mal so bildlich klargemacht. Das ist Thema unseres Alltags und gehört einfach dazu. Man darf keine Angst haben, sich damit auseinanderzusetzen, frühzeitig sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen, sich zu vergegenwärtigen, dass es eben überall und leider eben auch bei einem selbst vielleicht passieren könnte. Und deswegen keine Scheu, vorher informieren, wo bekommt man Hilfe her und wo ist mein Kind am besten geschützt?

Mehr Infos zur Folge

Bevor sie das Amt der UBSKM übernommen hat, war Kerstin Claus Journalistin und systemische Organisationsberaterin. Sie engagiert sich seit Jahren haupt- und ehrenamtlich gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Sie war u.a. Mitglied im Betroffenenrat, einem Gremium, von dem das Team der Unabhängigen Beauftragten seit 2015 bei der Arbeit beraten wird. Und sie gehört zum „Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“, der mit Politik und vielen Organisationen über Prävention, Intervention, Hilfen und Aufarbeitung berät.

Kerstin Claus will vor allem, dass Politik und Gesellschaft endlich begreifen, dass Missbrauch nicht irgendwo weit weg stattfindet, sondern mitten unter uns und oft dort, wo man ihn nicht vermuten würde. „Sexuelle Gewalt ist eine gesellschaftliche Realität“, sagt sie und will Politiker:innen, aber auch jede:n einzelne:n, dazu bringen, viel mehr zu unternehmen. Wie sie sexualisierte Gewalt bekämpfen will und wie sie damit umgeht, dass ihr manchmal alles viel zu langsam vorangeht, erzählt sie in dieser Folge. 

Mehr Informationen und Hilfe-Angebote findet ihr hier:

Auf der Website der Unabhängigen Beauftragten findet ihr mehr Informationen zu ihrer Arbeit, dazu, wie Kinder und Jugendliche geschützt werden können und wie damit umgegangen werden kann, wenn sexualisierte Gewalt geschehen ist:
Website UBSKM

Wenn du sexueller Gewalt ausgesetzt warst oder bist oder wenn du den Verdacht hast, dass in deiner Umgebung sexuelle Gewalt ausgeübt wird: Anlauf- und Beratungsstellen in deiner Nähe findest du hier.
Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch

„SCHAU HIN! Was dein Kind mit Medien macht.“, ist ein Ratgeber für Eltern zum Thema Smartphone, Games & Co:
Website SCHAU HIN!

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

Wenn Sie Fragen oder Ideen zu einbiszwei haben:

presse@ubskm.bund.de

Webanalyse / Datenerfassung

Die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs möchte diese Website fortlaufend verbessern. Dazu wird um Ihre Einwilligung in die statistische Erfassung von Nutzungsinformationen gebeten. Die Einwilligung kann jederzeit widerrufen werden.