PODCAST | Folge 34 | Juliane Löffler

„Gerade im Bereich #MeToo ist die Recherche wahnsinnig schwierig – aber es gibt Methoden, wie man Vorwürfe trotzdem überprüfen kann.“

Wenn Juliane Löffler anfängt zu recherchieren, hat das oft Konsequenzen für diejenigen, mit denen sie sich beschäftigt. Wie sie es schafft, das Fehlverhalten von Mächtigen aufzudecken, erzählt sie bei einbiszwei.




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Juliane Löffler [00:00:01] Es gibt auch Fälle von sexualisierter Gewalt, die möglicherweise verjährt sind, aber in einem Ausmaß und in einer Massivität stattgefunden haben, dass man sagt, natürlich muss man trotzdem darüber berichten, weil die Person hat sehr viel Macht und hat nun einmal sich hier offenbar fehlverhalten.

Nadia Kailouli [00:00:16] Hallo, herzlich willkommen bei einbiszwei, dem Podcast über sexuelle Gewalt. Ich bin Nadia Kailouli und hier spreche ich mit Kinderschutz-Expertinnen und -Experten, mit Menschen, die sich gegen sexuelle Belästigung wehren und sexuell missbraucht wurden und jetzt anderen Mut machen. Hier ist einbiszwei - damit sich was ändert.

Nadia Kailouli [00:00:41] Wenn mein heutiger Gast anfängt zu recherchieren, hat das oft Konsequenzen für diejenigen, mit denen sie sich beschäftigt. So war das zum Beispiel bei Julian Reichelt, dem ehemaligen BILD-Chefredakteur, der danach nicht mehr Chefredakteur war. Denn Juliane Löffler hatte mit vielen Menschen gesprochen, die über Julian Reichelt zu berichten wussten - dass er anscheinend seine Macht als Chef nicht nur benutzt hat, um die Zeitung mit Inhalt zu füllen. Machtmissbrauch war auch das Thema ihrer Recherche im Medizinbetrieb. Juliane Löffler hatte herausgefunden, dass einer der wichtigsten HIV-Ärzte Deutschlands seine Patienten missbraucht haben soll. Und auch das hatte Folgen. Der Mann muss sich derzeit vor Gericht verantworten. Bei Juliane Löffler geht es immer wieder darum, wie viel Macht eine Person hat und wie diese Macht genutzt oder ausgenutzt wird. Wie sie es schafft, das Fehlverhalten von Mächtigen aufzudecken, obwohl die alles unternehmen, um das zu verhindern, darüber habe ich mit Juliane Löffler bei einbiszwei gesprochen.

Nadia Kailouli [00:01:30] Und ich sage herzlich willkommen, Juliane Löffler. Schön, dass du da bist, bei einbiszwei.

Juliane Löffler [00:01:34] Hallo, danke für die Einladung.

Nadia Kailouli [00:01:36] Grüß dich. Juliane, viele kennen dich vor allem durch deine Recherche zu den Missbrauchsvorwürfen gegen Julian Reichelt. Und darüber wollen wir heute auch hier in dem Podcast einbiszwei mit dir sprechen. Aber wir wollen auch mit dir über andere Recherchen sprechen, die du schon gemacht hast, eben zum Thema Sexismus und sexualisierte Gewalt. Und da hast du eine Geschichte rausgebracht, die auch für viel Entsetzen gesorgt hat. Und du wurdest auch ausgezeichnet mit dieser Geschichte. Es handelt sich dabei um eine Arztpraxis in Berlin, wo eben sexuelle Gewalt passiert ist. Vielleicht magst du einmal selber erzählen, was das für eine Geschichte ist.

Juliane Löffler [00:02:16] Ja, das ist eine Recherche, die wir 2019 veröffentlicht haben, und zwar zusammen mit dem VICE damals, mit dem Kollegen Thomas Vorreyer. Da geht es um einen Arzt, der mutmaßlich seine schwulen Patienten sexuell missbraucht haben soll. Das ist ein spezieller Strafrechts-Paragraf, um den es da ging, der heißt sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Behandlungs-Verhältnisses. Es ging auch um Machtmissbrauch, weil es eben auch um diese Ausnutzung dieses Arzt-Patienten-Verhältnisses geht. Und der Arzt hat die Vorwürfe von Anfang an bestritten und dann auch unter anderem argumentiert, es würde sich um unkonventionelle Behandlungsmethoden handeln. Und nach seiner Darstellung war das eine Kampagne gegen ihn, die sozusagen von Neidern und Gegnern gegen ihn orchestriert wurde. Und wir haben diese Vorwürfe gegen ihn erstmals öffentlich gemacht 2019. Und ich habe dann im Laufe der Zeit - also diese Recherche hat mich sehr lang begleitet, zweieinhalb Jahre fast - mit über 70 Personen gesprochen, die gesagt haben, dass sie eben von ihm missbraucht worden sein sollen. Und, was vielleicht ganz wichtig ist, es gab auch ein Strafrechts-Verfahren, also der Arzt ist angezeigt und auch angeklagt worden in fünf Fällen. Das sind jetzt nicht Personen, die Teil meiner Recherche waren, sondern fünf andere, und ist jetzt auch erstinstanzliche verurteilt worden in einem Fall, zu einer Geldstrafe wegen diesen Vorwürfen. Und das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Also da wird noch weiter verhandelt werden, aber das ist sozusagen der aktuelle Stand von aus dem letzten Jahr.

Nadia Kailouli [00:03:46] Jetzt ist ja das eine, dass man gerade im Netz irgendwas liest und sich denkt, okay, krass, das schaue ich mir mal genauer an, aber dann war ja eben deine Aufgabe als Journalistin vor allem auch zu zeigen, okay, das sind nicht einfach nur leere Vorwürfe, sondern da steckt systematisch was dahinter. Wie bist du dann da vorgegangen?

Juliane Löffler [00:04:04] Also der erste Weg ist natürlich über die Quellen, also über die Personen, die diese Vorwürfe erheben, mit denen zu sprechen, sich erst mal anzuhören, was passiert ist, dann auch die Entscheidung zu fällen, wie sind diese Vorwürfe einzuordnen? Kann man das weiter überprüfen? Ist es was, was man weiter überprüfen möchte? Hat man eine Chance, das überhaupt öffentlich zu machen? Das war in dem Fall relativ schnell so, dass wir das Gefühl hatten, da ist was dran. Und wir finden das sehr wichtig, darüber zu berichten, weil es eben um eine besonders stigmatisierte Minderheit, nämlich um schwule Männer, geht und darüber sehr wenig gesprochen wird, über sexualisierte Gewalt in diesem Bereich und auch wenig berichtet wird. Ja, und dann war das in dem Fall, das passiert aber häufig so, dass man erst mal so einen klassischen Weg über Behörden geht und sagt: Liegt denn in dem Fall bei der Ärztekammer was vor oder bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Und wir sind da so auf Granit gestoßen, weil die Behörden sich mit Berufung auf Datenschutz gesagt haben, wir können Ihnen gar nichts mitteilen zu irgendwelchen Kammer-Mitgliedern von uns. Das heißt, der Weg ging sehr stark über diese Quellen. Also erst mal über die betroffenen Männer, aber dann auch über Personen aus dem Umfeld, wo wir recherchiert haben, also Schwulen-Beratungsorganisationen, denen diese Vorwürfe bekannt waren, und einfach Leute aus der schwulen Community. Und da diese Vorwürfe über wirklich sehr viele Jahre sehr weitreichende Kreise schon gezogen hatten, gab es da einfach viele, die uns so Puzzlestücke, die uns Sachen erzählt haben, Hinweise gegeben haben. Und wir haben dann eben tatsächlich auch Dokumente zu rechtlichen Verfahren erhalten, mit denen wir arbeiten konnten. Und dann ist es natürlich wahnsinnig schwierig, diese Schilderungen zu überprüfen, gerade im Bereich MeToo, weil man sich oft mit Vorwürfen beschäftigt, die hinter verschlossenen Türen, also in Eins-zu-Eins-Situationen befinden. Und da gibt es aber eine ganze Menge Wege, wie man solche Vorwürfe trotzdem recherchieren und überprüfen kann. Einer ist, dass man sozusagen erst mal die Umstände klärt. Also in dem Fall ist dieser Mann wirklich zu dem Zeitpunkt Patient in der Praxis gewesen. Da gibt es ja dann Rezepte oder medizinische Unterlagen, wie man so was nachprüfen kann. Und das ist dann eben so in gewisser Weise so ein bisschen eine Detektivarbeit, wie so eine Zwiebel von außen nach innen, die man schält, sodass man sich versucht, durch diese verschiedenen Hinweise und Indizien dem, was womöglich wirklich passiert ist, möglichst gut zu nähern.

Nadia Kailouli [00:06:27] Jetzt sind ja aber vor allem die Hinweise die gewesen, dass Betroffene sich selbst im Netz geäußert haben und geschildert haben, was ihnen passiert ist. Jetzt fragt man sich natürlich, warum braucht es denn jetzt eine Juliane, um zu sagen, ah, okay, Moment mal, das kann doch nicht sein, während wir eben Kammern haben oder Verbände haben, die ja genau solche Ärzte eigentlich unter die Lupe nehmen müssten, um zu gucken, können die bei den Vorwürfen, die da draußen kursieren, überhaupt noch ihren Job weitermachen? Hat dich das in der Recherche nicht geschockt?

Juliane Löffler [00:06:55] Ja, also ich fande das schon erstaunlich, wie lange es schon diese Hinweise bei, zum Beispiel, der Ärztekammer gegeben hatte und da auch schon eine ganze Menge passiert war. Also da hatten schon einige Personen vorgesprochen und auch dieses Strafrechts-Verfahren ja wirklich schon viele Jahre vorher zurücklag. Da hatte es Strafanzeigen gegeben, die waren von 2012, eine Anklage von 2014. Das hat sich wahnsinnig lang gezogen. Ich habe hinterher dann auch noch mal dazu recherchiert, so ein bisschen der problematische Umgang von Behörden mit, vor allen Dingen, MeToo im medizinischen Bereich. Und das ist so eine Mischung aus verschiedene Mechanismen greifen nicht richtig ineinander, Behörden blockieren sich da teilweise auch gegenseitig, reichen sich Infos nicht weiter, teilweise auch eine Langsamkeit des Systems. Und das hat natürlich die Personen, die ich angeschrieben habe, auch auf eine Art und Weise - also gerade jetzt diese Beratungs-Mitarbeitenden, mit denen wir gesprochen haben, die waren auch frustriert davon. Und das war dann aber umgekehrt natürlich eine Motivation, mit uns zu sprechen, weil sie das Gefühl haben, über diese normalen Beschwerde-Wege, die sie teilweise eben auch schon gegangen waren, sind sie irgendwie nicht weitergekommen und für sie ist gefühlt nichts passiert. Ja, und das ist dann oft eine Motivation auch für Quellen. Und das zu der Frage, warum braucht es jetzt eine Julianna für die Presse? Wenn sich da nichts bewegt, dann kommt eine Motivation der Quellen und dann ist es auch eine Aufgabe der Presse, das öffentlich zu machen und zu sagen, also hier gibt es folgende Missstände und vielleicht wäre es gut, mal darüber zu sprechen und sich denen anzunehmen. Und genau das haben wir getan.

Nadia Kailouli [00:08:35] Würdest du sagen, dass du im Laufe deiner Recherchen Unterschied gemerkt hast, wie ernst man Hinweise von schwulen Männern nimmt, die sexuellen Missbrauch anklagen? Und mit Anklagen meine ich jetzt nicht im juristischen Sinne, sondern eben dann auf den Netzwerken, wo du diese Sachen dann auch gelesen hast.

Juliane Löffler [00:08:57] Also, ich kann jetzt nicht sagen, dass ich so sehr explizit so was gehört oder erlebt habe wie, naja, das ist ja nicht so wichtig, also so eine ganz klare, harte Diskriminierung. Es war aber schon so, dass teilweise die Männer, mit denen ich gesprochen habe, selber gesagt haben, das war eigentlich alles nicht so schlimm, was mir passiert ist, ich fühle mich davon jetzt nicht traumatisiert, es ist nicht das erste Mal gewesen, dass mich jemand so übergriffig angefasst hat - also, dass sie selber auch reflektiert haben und gesagt haben, es gibt fast schon so eine merkwürdige Akzeptanz von sexualisierter Gewalt und Übergriffigkeiten in der schwulen Community. Und dass sich aber auch das durch MeToo auch in der schwulen Community verändert hat. Also ich habe oft gefragt, wie hat sich, wie sie früher darüber gedacht haben, als das mutmaßlich passiert sein soll, und wie sie heute darüber denken, verändert. Und viele haben gesagt, ich fand das damals nicht schlimm, aber heute finde ich das schon schlimm. Und jetzt finde ich, muss man das auch öffentlich machen und was dagegen unternehmen. Also, diese Bewusstseinsveränderung darüber, wie schwerwiegend was ist und dass das eben nicht okay ist in einer bestimmten Community, die habe ich eben von diesen Männern, von diesen Quellen selber sehr stark gehört. Und da ist mir das auch nochmal klar geworden, dass das schon etwas ist, was über einen langen Zeitraum oder teilweise auch bis heute, ja, auf eine Art und Weise irgendwie akzeptiert wird. Und das hat dazu geführt, dass die Personen sehr unterschiedlich dann auch oft reagiert haben. Also manche, die sozusagen gesagt haben, ach,  diese Gleichgültigkeit von Behörden, das bin ich gewöhnt und andere sich aber auch wahnsinnig darüber aufgeregt haben und gesagt haben, das kann nicht sein. Warum wird hier nicht richtig reagiert? Und hat das vielleicht was damit zu tun, dass wir schwule Männer sind? Und ich finde diesen Gedanken schon irgendwie nachvollziehbar, dass man den hat, wenn man das Gefühl hat, einem wird nicht so richtig geholfen.

Nadia Kailouli [00:10:56] Wie war das für dich innerhalb dieser Recherche jetzt zu sehen, okay, ich ich entdecke hier Vorwürfe gegen einen Arzt, wo Vorwürfe schon seit sehr, sehr lange Zeit im Raum stehen, dieser Arzt weiter praktiziert und auch als ihr recherchiert habt und ja schon in die Konfrontation gegangen seid, konnte dieser Arzt weiter praktizieren. Wie ist es dann für eine Journalistin zu sehen, okay, ich kann hier eben nur berichten in eurem Fall, aber selbst das reicht nicht aus, um jemanden in seinen Taten dann eventuell auch stoppen zu können.

Juliane Löffler [00:11:30] Ich glaube, es ist ganz wichtig, wenn man recherchiert, wenn man sich klar macht, dass man selber, ich in meiner Rolle als Journalistin, nicht diejenige bin, die die Konsequenzen für das, was passiert sein soll, bewertet letztlich, oder auch diese Maßnahmen oder Konsequenzen durchführt. Also das ist dann tatsächlich die Aufgabe von Strafgerichten, von Behörden, auch von der Öffentlichkeit, die sich möglicherweise auch ein moralisches oder ethisches Urteil bildet. Und das kann ich nicht machen, weil ich dafür einfach nicht geschult bin, sondern meine Aufgabe ist eben, diese Informationen möglichst gut zu recherchieren und möglichst gut handwerklich nach den Regeln, die es eben gibt für solche Veröffentlichungen, da sprechen wir ja auch noch mal drüber, zu veröffentlichen und den Rest so ein Stück weit aus der Hand zu geben. Also ich glaube, was man sich immer wünscht als Journalistin ist, wenn man sich diese Arbeit macht und solche Recherchen macht, ist, dass etwas passiert und dass nicht einfach niemand das liest und sozusagen die Recherche versinkt im Nirgendwo. Aber was passiert, das habe ich nicht in der Hand und das kann ich auch nicht in der Hand haben und es ist auch nicht mein Anspruch. Deshalb würde ich auch sagen, dass mein Frust darüber, was passiert oder möglicherweise nicht passiert, dann gar nicht unbedingt so groß ist, sondern ich eher das Gefühl haben muss, ich habe meinen Job gemacht und jetzt sind die anderen dran.

Nadia Kailouli [00:12:54] Du hattest eben das schöne Wort "sollte" gesagt - was da passiert sein sollte, so, also das heißt, du muss ja immer - oder vielleicht kannst du das einmal in deiner Begrifflichkeit so erklären. Ab wann sprechen wir von einer wirklich fundierten, recherchierten Berichterstattung und wann ist es eine Verdachtsberichterstattung, die dann aber trotzdem seinen Grund hat, warum man sie macht?

Juliane Löffler [00:13:16] Verdachtsberichterstattung ist wahnsinnig wertvoll und wichtig, weil wir uns sonst ja wir Journalistinnen und uns einfach in die Gerichtssäle setzen könnten und berichten könnten, was dort passiert und was dort entschieden wird. Und die Justiz ist eben nicht die einzige Instanz in unserer Gesellschaft, die sich mit Missständen beschäftigt. Und es gibt eben Fälle, von denen die Justiz oder auch andere Behörden oder andere Instanzen nichts wissen, weil sie nichts mitbekommen oder weil mutmaßlich Betroffene Angst haben zu sprechen. Und dann kommt eben die Presse ins Spiel. Es gibt auch Fälle, wo man sagen kann, also weiß ich nicht, sagen wir mal, vielleicht Fälle von sexualisierter Gewalt, die möglicherweise verjährt sind, aber in einem Ausmaß und in einer Massivität stattgefunden haben, dass man sagt, natürlich muss man trotzdem darüber berichten, weil die Person hat sehr viel Macht und hat nun einmal sich hier offenbar fehlverhalten. Und dann hat die Öffentlichkeit ein Recht, es zu erfahren, auch wenn der Fall vor der Justiz niemals zu einer Anklage führen würde, weil man sagt, das ist zu lange her. Also, und da macht es einen großen Unterschied, da geht es eben nicht nur um eine rechtliche, sondern auch immer um eine moralische, eine gesellschaftliche Bewertung. Und auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Fälle von Verdachtsberichterstattung, die dazu führen, dass die Justiz überhaupt erst aktiv wird. Also der Fall Larry Nassar, das ist so einer der krassesten Missbrauchsfälle, den es gibt, aus den USA - ich glaube, der ist zu 138 Jahren Haft verurteilt worden wegen, vor allen Dingen, junger Mädchen, die er in der Sport-Ausbildung missbraucht hat - den hat eine Lokalzeitung recherchiert und an die Öffentlichkeit gebracht. Also da hat, denke ich, Presse eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Nadia Kailouli [00:15:07] Warum ist es dennoch wichtig, sich diese Einzelfälle ganz genau anzuschauen und dann eben auch darüber zu berichten?

Juliane Löffler [00:15:14] Also ich denke, ganz wichtig ist immer zu gucken, wie viel Macht hat eine Person und gibt es ein Macht-Ungleichgewicht? Und das war auch ein Grund, warum wir in diesem Fall von dem Arzt uns entschieden haben, diese Recherche zu machen und die auch zu veröffentlichen, weil wir eben gemerkt haben, es geht um einerseits Patienten aus einer extrem stigmatisierten und auch bedürftigen Position, denn die sind erstens schwule Männer und zweitens sind die krank und haben teilweise eben auch Geschlechtskrankheiten, also Krankheiten, die auch besonders stigmatisiert sind. Und auf der anderen Seite steht eine Person, die sehr renommiert ist und einen sehr guten Ruf in der Branche genießt. Und das ist eine große Diskrepanz. Und ich denke, das ist eben auch ein Teil der Verdachtsberichterstattung, dass man immer schaut, wie groß ist denn das öffentliche Interesse daran? Da geht es jetzt nicht immer nur darum, wie viele Personen sind betroffen, sondern auch, wie viel Macht hat eine Person oder auch wie groß ist der Macht-Missbrauch? Also es gibt auch sicherlich Fälle, über die es wichtig ist zu berichten, wo es jetzt nicht um eine prominente Person geht, wie ja bei diesem Arzt auch, den ein Großteil der Bevölkerung wahrscheinlich gar nicht kennt und, ja, gar nicht weiß, wer das ist, sondern man aber auch schaut, ist jemand in einer besonders verletzlichen Position und deshalb ist es ein Missstand, über den man berichten sollte. Beantwortet das die Frage? Ich weiß nicht so recht.

Nadia Kailouli [00:16:40] Ich finde auf jeden Fall schon. Weil du gerade so das Thema prominente Person genommen hast - ich muss das jetzt einfach als Cliffhanger auch nehmen, um auf den Fall Julian Reichelt zu kommen. Ich weiß gar nicht, ist es so, können wir ganz offen darüber reden oder ist es, weil es eben ein Fall ist, der eben auch noch juristisch betrachtet wird und so, wie frei bist du da als Journalistin, die diesen Fall ja aufgedeckt hat, ans Licht gebracht hat, darüber heute mit uns zu sprechen? Ganz offen gefragt.

Juliane Löffler [00:17:13] Ich bin nie ganz frei über meine Recherchen zu sprechen, weil, wenn ich darüber spreche, genau dasselbe gilt, wie wenn ich dazu veröffentliche, nämlich ich bin eben an diese Regeln der Verdachtsberichterstattung gebunden. Und dazu gehört eben, dass ich nur bestimmte Vorwürfe, über die sprechen kann, das ich berücksichtigen muss, hat sich die Person dazu geäußert und gesagt, das stimmt alles nicht - was sowohl im Fall Julian Reichelt als auch bei dem Arzt der Fall ist. Und es ist dann auch wichtig, ihnen auch diesen Raum einzuräumen, das nennt sich im Journalismus dann eben Konfrontation. Das heißt, man lässt die Vorwürfe am Ende der beschuldigten Person zukommen, und die bekommt die Gelegenheit, sich dazu zu äußern. Und diese Äußerung muss man dann auch im Text entsprechend berücksichtigen, auch nicht alle im letzten Absatz, sondern die müssen gewürdigt und anerkannt werden und das ist wichtig und das ist auch so, wenn ich darüber spreche. Und das Wichtigste ist, denke ich, dass diese Texte, diese Recherchen, alle durch eine juristische Prüfung gehen und es für mich wichtig ist, wenn ich dann darüber spreche, mich sozusagen an diese Prüfung auch zu halten und zu sagen, es gibt vielleicht Dinge, die ich recherchiert habe, wo wir aber entschieden haben, weil vielleicht die Beleg-Lage nicht ausreichend war oder auch, weil Quellen uns nicht freigegeben haben, über die ich dann nicht schreibe und über die kann ich dann auch nicht sprechen. Deshalb, bei solchen Gesprächen über Verdachtsberichterstattung ist es immer einfach, über die Vorgänge theoretisch zu sprechen und wesentlich komplizierter, über die Vorwürfe inhaltlich zu sprechen, weil das, was für den Text passiert, mir auch passieren kann, wenn ich darüber spreche, nämlich, dass ich eine Abmahnung dafür oder eine Unterlassung dafür erhalte und jemand sagt, hier, du hast hier die Regeln nicht eingehalten oder du hast dich hier vorverurteilen geäußert. Und ich finde es trotzdem wichtig, darüber zu sprechen. Aber deshalb ist das nicht so ganz einfach.

Nadia Kailouli [00:19:03] Okay, wir versuchen es so zu machen, dass es dann am Ende nicht so ist, dass man dir irgendwas vorwerfen kann. Aber nichtsdestotrotz wollen wir da natürlich auf diese Recherche blicken, weil das war, das sage ich jetzt für mich, eine sehr wichtige Recherche und auch sehr gut, dass da Sachen ans Licht gekommen sind, die eventuell passiert sind - ich weiß gar nicht, ob ich das jetzt auch so sagen muss - aber kommen wir auf Julian Reichelt erst mal dahingehend, weil du bist selber Medienschaffende, Julian Reichelt ist Medienschaffender, er ist lange Zeit Chefredakteur der BILD-Zeitung gewesen, und ja, und dann kamst du genau.

Juliane Löffler [00:19:35] [00:19:35]Genau, ich muss dazu sagen, dann kam ich, aber ich kam auch nicht ganz alleine, sondern wie bei jeder Recherche gibt es natürlich Quellen, die mir viele Dinge erzählt haben. Es gab den Spiegel, der parallel bzw schon vorher auch dazu veröffentlicht hatte, bei dem auch viele Informationen lagen und wo ja ich auch letztendlich meine Rechercheergebnisse dann auch veröffentlicht habe, weil wir es eben bei uns, bei Ippen, nicht machen können. Also da kamen sozusagen eine ganze Menge Informationen von verschiedenen Kolleg*innen und auch von verschiedenen Quellen zusammen. [28.6s]

Nadia Kailouli [00:20:04] Vielleicht kannst du einfach erst mal erzählen, für viele, die jetzt diesen Podcast mit dir hören und sagen, Julian Reichelt, okay, habe ich schon mal gehört, aber was ist da eigentlich passiert?

Juliane Löffler [00:20:13] [00:20:13]Also was wir veröffentlicht haben, ist, dass Julian Reichelt seine Macht als Chefredakteur ausgenutzt haben soll, indem er ihm unterstellte Frauen aus dem Unternehmen bevor- und auch benachteiligt hat, im Zusammenhang mit sexuellen oder romantischen Interessen, die er an diesen Frauen hatte. Diese Vorwürfe wurden dann untersucht, von Springer, von dem Unternehmen. Und Julian Reichelt selbst hat diese Vorwürfe bestritten, bestreitet die auch bis heute. Das hat dann aber letztlich, nach unserer Veröffentlichung, was passiert ist, ist, dass Springer entschieden hat, ihn von seiner Position als Chefredakteur freizustellen. [36.8s]

Nadia Kailouli [00:20:51] Wie viel kannst du uns erzählen, wie das in dem Fall Julian Reichelt war? Waren da Frauen, die dir explizit geschrieben haben, die dir gesagt haben, hier, das und das habe ich so und so erlebt, oder wie können wir uns das vorstellen?

Juliane Löffler [00:21:02] [00:21:02]Also, es hat im Frühjahr letzten Jahres ein Compliance-Verfahren gegen Julian Reichelt gegeben von dem Unternehmen Axel Springer. Da ging es nicht um den Vorwurf sexueller Belästigung oder sexuelle Übergriffe, sondern es gab den Vorwurf einvernehmlicher Liebesbeziehung zu BILD-Mitarbeiterinnen und eben auch Hinweise auf Machtmissbrauch in diesem Zusammenhang unter anderem. Julian Reichelt bestreitet diese Vorwürfe und was dann eben passiert ist, ist, dass laut Springer - so haben sie es dann auch in der Pressemitteilung verkündet - dass bewiesen und eingeräumt worden sein soll eine frühere Beziehung zu einer Mitarbeiterin von BILD, jetzt mal unabhängig von beruflichen Vor- oder Nachteilen, und Springer dann aber gesagt hat, Julian Reichelt habe sich ihnen gegenüber eben nicht ehrlich verhalten und das dann der Grund gewesen sein soll, dass sie ihn freigestellt haben und dann eben entbunden haben von seinen Aufgaben als Chefredakteur. Dieses Compliance-Verfahren, diese Prüfung dieser Vorwürfe, das hatte eben der Spiegel öffentlich gemacht und was dann in der zweiten Veröffentlichung passiert ist, ist, dass wir sozusagen inhaltlich geschildert haben, was sind die Vorwürfe, welche inhaltliche Natur haben diese Vorwürfe? Also wie genau soll Julian Reichelt sich diesen Fragen gegenüber Fehlverhalten haben? [82.3s]

Nadia Kailouli [00:22:25] Jetzt bist du ja als Journalistin in einer Lage, die eigentlich den Dienst des Journalismus macht und sagt, ich decke hier Missstände auf, aber gleichzeitig dann eben juristisch in die Lage kommt zu sagen, ich muss wahnsinnig aufpassen, wie und was ich sage. Ist es nicht total bitter zu sehen, dass, wenn man über Machtmissbrauch berichten möchte, dass man da eigentlich am Ende auch ein bisschen gerarscht ist, weil man so aufpassen muss?

Juliane Löffler [00:22:51] [00:22:51]Ja und nein, würde ich sagen. Also erst mal ist es - in dem Fall kommen wir ja nicht in die Situation, dass wir sagen strafrechtlich bewiesen ja oder nein, weil die Vorwürfe, über die wir berichtet haben, sind nicht strafrechtlich relevanter Natur. Also Machtmissbrauch, da gibt es keinen Strafrechts-Paragraphen für. Und das war ja auch ein Argument hinterher, oder es ist immer ein Argument, an dem auch bewertet wird, darf Presse berichten oder nicht, wie schwer sind denn die Vergehen? Sind die strafrechtlicher Natur oder nicht? Und das ist auch für uns ein Kriterium, wenn wir überlegen, veröffentlichen wir oder nicht? Und ich sage ja und nein, weil ich natürlich einerseits gerne frei über das sprechen möchte, was ich recherchiert habe und es auch jetzt ja keinen Spaß macht, sich ständig in rechtliche Auseinandersetzung zu begeben. Also das ist irgendwie kräftezehrend und das kostet Geld und man braucht große Teams, die einen begleiten. Und auf der anderen Seite finde ich es natürlich schon wichtig, dass man eben bei diesen Recherchen bestimmte Regeln einhält, zu denen gehört, wir müssen eben auch ein Stück weit ernstnehmen - oder nicht ein Stück weit: Wir müssen ernst nehmen, was die Gegenseite sagt. Und wenn die sagt, so war das nicht, dann gehört das eben dazu. Und dass man eben dem Publikum oder der Leserschaft sagt, das sind meine Rechercheergebnisse, aber ihr habt schon die Möglichkeit, euch eure eigene Haltung zu bilden. Und im Fall Julian Reichelt war das ja auch so, dass er durchaus auch Unterstützung bekommen hat von Personen, die gesagt haben, wir glauben das nicht, dass das so war, oder wir finden das nicht schlimm genug, um darüber zu berichten, das ist seine Privatsache, warum wird das so breitgetreten in der Öffentlichkeit? Und ich finde, das ist eben ein Teil von Demokratie und es ist auch ein Teil von Öffentlichkeit, wie Öffentlichkeit und wie Diskurse funktionieren und wie auch Pressearbeit funktioniert. Und das finde ich richtig, dass sich auch meine Recherchen dieser Kritik stellen müssen und dass ich dann auch entsprechend gewisse Regeln einzuhalten habe, wie ich darüber spreche. Ich glaube, ganz grundsätzlich gesprochen, was ich oft als problematisch erlebe, ist, dass ich das Gefühl habe, ich gebe mir sehr viel Mühe, diese Regeln einzuhalten und das ist umgekehrt aber nicht immer der Fall. Also dann gibt es rechtliche Auseinandersetzungen und ich lese die Schriftsätze von Anwälten, die ihre Mandanten verteidigen, weil ich Missbrauchsvorwürfe gegen die öffentlich gemacht habe, und da stehen einfach Lügen drin. Da stehen einfach Sachen drin, die so nicht stimmen. Das kann ein Gericht aber nicht richtig wissen und im Zweifelsfall auch nicht verstehen. Und dann muss ich dagegen argumentieren und so detailreich wird es dann auch oft gar nicht ausdiskutiert. Also das ist auch im Justizapparat, wenn man sich da 70-seitige Schriftsätze hin und her schiebt, wird nicht jedes Detail ausdiskutiert. Und das fühlt sich dann für mich manchmal so an, wie als würde mit ungleichen Waffen gekämpft. Und ich gebe mir so viel Mühe, meine Rechercheergebnisse korrekt und transparent darzustellen und habe das Gefühl, dann kommt eine Gegenseite und lügt einfach und sagt nö und behauptet Dinge, von denen ich sicher bin oder auch Belege dafür habe, dass die so nicht stimmten. Und das ist - das ist jetzt wirklich generell gesprochen - das ist eine frustrierende Erfahrung. Das muss man aushalten. [202.7s]

Nadia Kailouli [00:26:15] Wie war denn die Erfahrung für dich, dass gerade jetzt in dem Fall Julian Reichelt - wir wollen jetzt auch aufhören, im Detail darüber zu sprechen, weil ich glaube, wir können ja einfach nochmal den Artikel dazu lesen - aber wie war das für dich, dass eben die Aufmerksamkeit ja sehr, sehr groß war? Sowohl jetzt von denen, die gesagt haben, ne, das finden wir alles gar nicht so wie das jetzt hier veröffentlicht worden ist, wir glauben dem Herrn Reichelt, meinetwegen, aber auch von anderen, die da eine grundsätzliche Debatte ja auch ausgelöst haben, eben, okay, wie sind Machtstrukturen gerade auch in Medienhäusern? Also, weil wir Medien ja oft dann denken, wir sind Vorreiter in Gleichberechtigung, wir sind Vorreiter in Diversität, wir sind Vorreiter in Gerechtigkeit und so und dann kommt so was ans Licht, sage ich mal, und auf einmal kommen mehrere Stimmen, die sagen, ja, eben, wir müssen auch hier mal gucken, wie sind die Strukturen? Wie war das für dich damals?

Juliane Löffler [00:27:11] [00:27:11]Also, ich bin an diese Recherche nicht anders rangegangen als an andere Recherchen auch, nur weil es sich jetzt um jemanden handelt oder um Vorwürfe handelt, die in meiner Branche spielen. Ich habe das Gefühl, handwerklich, von dem, was man zu tun hat, wie ich mit Quellen umgehe, wie ich Quellen schütze, wie ich Rechercheergebnisse überprüfe, wie ich eine Veröffentlichung vorbereite, wie ich mich mit juristischen Teams abstimme, was veröffentlicht werden kann und was nicht - das ist gleich, das verändert nichts. Insofern hatte ich zumindest während der Recherche jetzt nicht den Eindruck, dass da jetzt prinzipiell irgendwas völlig anders ist oder mich beeinflusst in der Art und Weise, wie ich arbeite. Was natürlich schon passiert ist, ist, dass die Aufmerksamkeit unendlich viel größer war als für viele andere Recherchen, bei denen ich handwerklich gar nichts anders gemacht habe und auch die Vorwürfe viel schwerer waren teilweise von dem, was ich bisher schon berichtet hatte. Und das liegt an unterschiedlichen Sachen und unter anderem sicherlich daran, dass es etwas ist, was im Medienbetrieb spielt. Das heißt, natürlich haben auch Medienschaffende ein besonders großes Interesse daran, weil sie die Personen kennen, weil sie bestimmte Verhältnisse kennen, weil sie auch eine gewisse Haltung gegenüber dem Medium BILD möglicherweise haben, weil es, ja, brisante Vorwürfe waren, die sich sozusagen im eigenen Umfeld abspielen. Und das war ein großer Unterschied, und das fand ich tatsächlich erstaunlich, wie überproportional viel Aufmerksamkeit es für diese konkrete Recherche gab. Es hing aber sicherlich auch damit zusammen, dass die Berichterstattung ja vorher von Ippen verboten wurde und es sozusagen schon Vorlauf gab, in dem es schon so eine Geschichte über die Geschichte gab, die für sehr viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Und als sie dann eben, wir sie da gemeinsam dann im Spiegel veröffentlichen konnten, die Rechercheergebnisse, es sich schon über mehrere Tage eine große Mediendebatte über "Was ist denn jetzt eigentlich der Inhalt dieser Recherche?" ergeben hatte. Deshalb war, denke ich, die Neugierde und das Interesse daran auch besonders groß. [130.5s]

Nadia Kailouli [00:29:22] Glaubst du denn auch, dass die Neugier und das Interesse auch nachhaltig ist? Also nachhaltig in dem Sinne, nicht, dass man weiterhin neugierig ist und wissen will, was macht Julian Reichelt eigentlich heute, sondern eher so, was kann sich dadurch verändern? Welches Umdenken kann dadurch stattfinden? Hattest du da irgendwie ein Feedback, also auch von anderen Medienhäusern, wie die so einen Fall in die eigenen Reihen holen? Nicht, weil sie sagen, wir sind alle betroffen, um Gottes Willen, sondern eher um zu sagen, okay, wir müssen über so ein Thema mal sprechen, Machtmissbrauch auf der Chefetage.

Juliane Löffler [00:30:01] Ich glaube das schon. Also ich glaube, dass jede von diesen größeren Recherchen, gerade im Bereich MeToo, die für viel Aufmerksamkeit sorgen, eine Debatte darüber machen, die auch in Medienhäusern oder in der jeweiligen Branche nach innen wirken. Wo man sich fragt, wie ist das eigentlich bei uns? Und sich eben einerseits verschiebt, worüber wird diskutiert - also, ich finde, gerade die Fälle, wo es dann hinterher Debatten gibt, sollte man darüber berichten, ja oder nein, sind eigentlich so wichtig, weil ja daran auch die Grenzen ausgelotet werden. Was ist denn jetzt eigentlich in Ordnung als Verhalten und was nicht? Und was darf öffentlich thematisiert werden an Fehlverhalten oder an mutmaßlichen Fehlverhalten? Und da habe ich schon das Gefühl, dass jede dieser Berichterstattungs-Gegenstände dazu führen, dass sich Personen mehr damit auseinandersetzen und teilweise auch verstehen, wo liegen auch Grenzen, also wo liegt ein Fehlverhalten vor, über das berichtet wird, was nicht akzeptabel ist und für das jemand berufliche Konsequenzen erfährt? Und ich glaube, wenn man das merkt, wenn man das sieht, auch in Chefetagen, dass ein gewisses Fehlverhalten öffentlich besprochen, moralisch bewertet, angeprangert wird und es im Zweifelsfall auch, zum Beispiel von Unternehmen, Konsequenzen gibt, dass das natürlich auch zu einem veränderten Verhalten führt. Und dann gibt es natürlich noch den Effekt, der, denke ich auch nicht zu unterschätzen ist, ist, dass Quellen sich auch ermutigt fühlen, über Missstände zu sprechen, weil sie sehen, es wird darüber gesprochen, es gibt ein Interesse darüber, und sich auch ermutigt fühlen und befähigt fühlen, über diese Missstände zu sprechen, wenn sie vielleicht vorher Angst davor hatten, dass es nicht ernst genommen wird oder dass es nicht wichtig genug ist. Ja.

Nadia Kailouli [00:32:02] Du hast jetzt eben auch noch mal den Hashtag-Begriff MeToo erwähnt und den will ich jetzt gerne auch noch mal nehmen, wie du das so wahrnimmst, als Journalistin, die ja auch über, ich sage jetzt mal, MeToo-Themen recherchiert hast, berichtet hast, über eben sexuellen Missbrauch geschrieben hast, Machtstrukturen, die ausgenutzt worden sind, geschrieben hast - wie erlebst du die Debatte darüber? Glaubst du, das Thema MeToo hat uns ein neues Genre eröffnet, worüber eben ständig und immer wieder und andauernd berichtet wird. Oder ist es ein bisschen ein Trend gewesen, wo sich alle drauf gestürzt haben und das journalistische Interesse in vielen Instanzen dann wieder abgenommen hat, weil man eben so ein bisschen dann heute zu wenig Skandale hat, weil man die Einzelfälle nicht so ernst nimmt wie jetzt so große Geschichten wie aus den USA zum Beispiel, oder ein Julian Reichelt zum Beispiel.

Juliane Löffler [00:32:55] Ich denke schon, dass die Debatten, die geführt werden, eben über diese Berichterstattung, also einerseits verändert, worüber wir berichten können, wie ich das eben auch gesagt habe, auch wo Grenzen von akzeptablen oder inakzeptablen Verhalten liegen. Und nein, ich glaube schon, dass das nachhaltig ist. Also, ich sehe, auch aus größeren Medienhäusern berichten mir Kolleginnen, dass das Interesse steigt, darüber zu berichten. Nicht, weil man sagt, wir wollen hier irgendwelche Skandale ans Licht bringen, sondern weil es einfach ein Verständnis dafür gibt, dass MeToo-Berichterstattung, dass es einfach um Fehlverhalten, also um große gesellschaftliche Fragen auch geht. Also um Fehlverhalten, um Machtmissbrauch, auch um Gerechtigkeit, ein Stück weit, die sich in ganz unterschiedlichen Branchen abspielen kann. Wir hatten, weil, als wir abgemahnt wurden für die Berichterstattung von dem Arzt, über den wir jetzt schon gesprochen haben, da gab es ein Urteil vom Kammergericht in Berlin, da hat die Vorsitzende Richterin mehrfach betont, dass sie die Recherche auch vor dem Hintergrund der MeToo-Debatte sieht und dass sich die Kammer, also das Gericht, bei der Beratung dann einig gewesen sei, dass die Entscheidung, die sie jetzt fällen, ob wir darüber berichten dürfen oder nicht, eine weitreichende Bedeutung für die MeToo-Berichterstattung in Deutschland haben wird. Und das denke ich, muss man schon immer im Zusammenhang sehen, also, wie Debatten über MeToo in Deutschland geführt werden und wie wir darüber berichten können und dürfen, das hat viel miteinander zu tun und das verändert sich gegenseitig. Ich glaube, dass diese Veränderungen immer ein bisschen schwer vorauszusehen sind. Aber im Moment wäre schon meine Beobachtung, dass das zunimmt, also dass die stärkere Berichterstattung dazu führt, dass mehr darüber gesprochen wird und dass mehr darüber gesprochen wird, auch zu einer stärkeren Berichterstattung führt. Das heißt nicht immer, dass alles besser wird, aber zumindest gibt es eine Aufmerksamkeit und eine, würde ich sagen, im Medienbetrieb eine größere Akzeptanz, dass das ein ernst zu nehmendes und ein wichtiges Thema ist, was in Medien stattfinden sollte. Das war, glaube ich, vor - wenn man jetzt vielleicht mal in so größeren Zeiträumen - vor einem Jahrzehnt oder so, wenn man da zurückschaut, durchaus noch sehr anders.

Nadia Kailouli [00:35:15] Und du bist eben Teil davon, dass sich das verändert hat. Das muss man an dieser Stelle jetzt einfach auch mal sagen.

Juliane Löffler [00:35:21] Zu deiner letzten Frage, weil das finde ich eigentlich ganz wichtig, noch mal zu sagen: Was ich beobachte, ist, dass sich zwar die Art und Weise, wie häufig, wie intensiv berichtet wird, wie das auch von Medienhäusern gefördert wird, über MeToo, dass sich das verändert. Mein Eindruck ist aber gleichzeitig, dass die Argumente dagegen, also gegen MeToo-Berichterstattung gleich bleiben und dass die sich nicht verändern. Nämlich, dass es den Vorwurf der Verschwörung gibt und der Kampagne und das ist alles gelogen. Und ich würde mir eigentlich wünschen, dass die Berichterstattung auch dazu führt, dass man einen einsichtigeren Umgang findet miteinander. Oder dass auch einfach mutmaßliche Täter sich trauen können zu sagen, ja, ich habe einen Fehler gemacht, vielleicht habe ich mich da fehlverhalten. Und das ist etwas, was ich nicht richtig beobachtet und das finde ich sehr schade. Es gibt eben andere Fälle, wo es Grenzverletzungen gibt, wo man sich eine konstruktivere Auseinandersetzung wünscht, die auch dazu führt, dass man sagt, wie müssen wir dann Strukturen verändern? Und eben auch, also sowohl in der eigenen Branche als auch in anderen Branchen, wie können wir denn Möglichkeiten schaffen, dass bestimmte Formen von Machtmissbrauch gar nicht stattfinden? Und ich glaube, das sind Debatten, bei denen das sehr helfen würde, wenn es auch eine gewisse Einsicht gibt. Und das vermisse ich oft, wenn es darum geht, wie wir uns über MeToo-Berichterstattung austauschen.

Nadia Kailouli [00:36:48] Super! Juliane Löffler, vielen, vielen Dank, dass du uns heute so einen intensiven Einblick gegeben hast in deine Arbeit als Journalistin zu den Themen, wo du schon drüber aufgeklärt und geschrieben hast, rund um sexuellen Missbrauch, Machtmissbrauch und MeToo. Juliane Löffler, vielen, vielen Dank, dass du heute bei einbiszwei warst.

Juliane Löffler [00:37:05] Danke für die Einladung.

Nadia Kailouli [00:37:08] Ja, ich hatte mich ja richtig drauf gefreut, mit Juliane Löffler zu sprechen, weil ich bin ja selber auch Journalistin und natürlich war es spannend für mich, auch mit der Frau zu sprechen, die eben diese Story rund um Julian Reichelt mit rausgebracht hat. Jetzt muss ich aber ganz ehrlich sagen, natürlich verstehe ich das auch, dass man da gar nicht dann so, ich will nicht sagen transparent, weil das hat sie, sondern so offen drüber reden kann, weil jedes Wort eben wiegt. Und das ist es halt: In der Verdachtsberichterstattung müssen Journalistinnen und Journalisten wahnsinnig aufpassen, wie sie dann weiter in diesem Fall darüber sprechen. Weil wenn die eine Seite in dem Fall ja dann sagt, ne, so war es alles nicht, kann man eben nicht einfach weiter raushauen und sagen, doch, doch, so war es. Das ist nämlich einfach nicht die Aufgabe von Journalisten, sondern einfach zu sagen, das und das haben wir recherchiert, so liegt es hier auf unserem Tisch. Aber ich selber muss sagen, manchmal ist das natürlich auch total unbefriedigend, weil man dann wissen will, so, komm jetzt, pack aus, was hat er gemacht? Ja, aber deswegen haben wir mit ihr gesprochen.

Mehr Infos zur Folge

Juliane Löfflers Recherchen drehen sich oft darum, wie viel Macht eine Person hat und wie diese Macht genutzt oder ausgenutzt wird. Das hat oft Folgen:Julian Reichelt bspw., der ehemalige Chefredakteur der BILD-Zeitung, war nach der Veröffentlichung der Recherchen von Juliane Löffler und Kolleg:innen nicht mehr Chefredakteur.

Machtmissbrauch war auch das Thema ihrer Recherche im Medizinbetrieb, dort ging es explizit um die Ausnutzung der Machtposition um sexuelle Gewalt auszuüben. Juliane hatte damals herausgefunden, dass einer der wichtigsten HIV-Ärzte Deutschlands seine Patienten missbraucht haben soll. Das hatte Folgen: Der Mann muss sich derzeit vor Gericht verantworten.

Juliane Löffler auf einer Treppe sitzend

Bei einbiszwei berichtet Juliane Löffler, wie wichtig Transparenz und Fairness bei ihren Recherchen sind, wie aufwändig es ist, zum Thema „Machtmissbrauch” zu recherchieren und wie frustrierend die Arbeit manchmal sein kann:

„Das fühlt sich für mich manchmal so an, als würde mit ungleichen Waffen gekämpft. Ich gebe mir so viel Mühe, meine Rechercheergebnisse korrekt und transparent darzustellen und dann kommt die Gegenseite und lügt einfach und behauptet Dinge, von denen ich sicher bin oder auch Belege dafür habe, dass die so nicht stimmen. Das ist eine frustrierende Erfahrung. Das muss man aushalten.”

WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:

Juliane Löffler bei Twitter:
@laloeffelstiel

Ihre Artikel im SPIEGEL:
Spiegel | Juliane Löffler

Die SPIEGEL-Artikel „Warum Julian Reichelt gehen musste”:
Spiegel | Warum Julian Reichelt gehen musste

Ihre Recherche zum HIV-Arzt, der seine Patienten missbraucht haben soll
Buzzfeed | Hinter verschlossener Tür

Interview mit Juliane Löffler über ihre Arbeit:
Journalist | „Was ist das für eine Unternehmenskultur?“

Juliane Löffler im Interview über Machtmissbrauch:
Siegessäule | „Beim Machtmissbrauch gibt es immer ähnliche Muster”

einbiszwei – der Podcast über sexuelle Gewalt

einbiszwei ist der Podcast über Sexismus, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt. einbiszwei? Ja genau – statistisch gesehen gibt es in jeder Schulklasse in Deutschland ein bis zwei Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Eine unglaublich hohe Zahl also. Bei einbiszwei spricht Gastgeberin Nadia Kailouli mit Kinderschutzexpert:innen, Fahnder:innen, Journalist:innen oder Menschen, die selbst betroffen sind, über persönliche Geschichten und darüber, was getan werden muss damit sich was ändert. Jeden Freitag eine neue Folge einbiszwei – überall, wo es Podcasts gibt. Schön, dass du uns zuhörst.

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